Beiträge von Marcus Flavius Aristides

    Trockener Staub wurde aufgewirbelt. Sandwolken stoben von den Füßen nach oben, verstärkt durch hunderte und noch mal hundert Füße von Soldaten. Der Wind riß die Sandkörner mit sich und wehte auszehrend in Marcus Gesicht. Die Sonne stach brütend und verzehrend auf ihn und seine Männer hinab. Blendend blau erstrahlte der weite Himmel. Und jeder seiner Schritte wurde von dem Widerhall tausender Soldaten begleitet. Dem Rasseln von Schwertern, Rüstungen, Waffen, dem Schnauben der Tiere, dem schweren Atmen der Männer. Schon nach den ersten Schritten hatte Marcus angefangen nicht mehr durch den Mund zu atmen. Dennoch mußte er schon früh einige tiefe Schlücke zu sich nehmen. Der Marsch der letzten Tage machte sich – neben den Verletzungen – auch bei ihm bemerkbar, selbst wenn er doch weniger an Marschgepäck tragen mußte. Auch die eingesparten Wasserrationen drückte auf die Männer. Schwarz flimmerten die Reihen der Parther im hellen Sonnenlicht, verschwommen zu einem Meer aus düsteren, menschenlosen Kreaturen, die darauf warteten sich den römischen Soldaten entgegen zu werfen. Ein Meldereiter galoppierte an Marcus vorbei. Marcus hustete als er von der Staubwolke ab bekam. Er wischte sich über sein hochrotes Gesicht und blinzelte den Schweiß aus seinen Augenwinkeln, der dort brennend sich immer wieder bildete. Einem Wurm gleichend, einem riesigen, Speere spuckendem Lindwurm, schlängelt sich die Armee bis zu dem Schlachtplatz.


    Geordnet marschiert Marcus mit der Zenturie voran und auf den Platz, wo sie den Kampf bestreiten würden. Ziemlich weit vorne waren sie gelandet. Stumm verharrte Marcus. Ein warmer Wind strich über sie hinweg. Zerrte an den Feldzeichen, ließ Stoff rascheln, kühlte nur wenig und trocknete dennoch den Schweiß auf Marcus Stirn. Seltsam distanziert betrachtete Marcus die Truppen in der Ferne. Es war als ob er eine Stimme hörte, die bis zu ihnen getragen wurde. Eine kräftige und eindringliche. Rauh und fremdartig war die Sprache. Unverständlich. Doch die Reaktionen der feindlichen Truppen eindeutig. Das begeisterte Schlagen und Rufen dröhnte bis zu ihnen. Wurde nur schwer von den Fußschritten übertönt. Marcus warf einen flüchten Blick über seine Schulter. Besah sich die Reiter im hinteren Feld. Seine Stirn furchte sich in tiefe Falten. Er konnte zwar sehen, dass der Tiberier wohl eine Rede hielt, doch auch von ihm vernahm er nur Wortfetzen. Es war Marcus auch egal. Er war mehr verwundert. Erstaunt, abermals den Legaten nicht zu sehen. Weder vor, nach und während des letzten Scharmützels und auch nicht vor jener Schlacht schien er aufzutauchen. Die meiste Zeit verbrachte er fern den Truppen. Den Kaiser bekam die prima öfters zu Gesicht als ihren eigenen Kommandanten. Mit gemischten Gefühlen drehte sich Marcus um. Was war schon eine Einheit ohne ihren eigentlichen Kommandanten? Immerhin war der Kaiser hier um sie zu führen und zu lenken. Ihm würde Marcus blind sein Leben anvertrauen.


    Mehr das Klopfen und die Rufe der Soldaten, die aufgegriffen wurden, rißen Marcus aus den Gedanken heraus. Vorsichtig bewegte er seinen rechten Arm. Schmerz zuckte durch diesen. Marcus trat einen Schritt voraus und ging zur Seite, überließ einem Soldaten den Platz, den er sonst einnahm. In ordentlicher Schlachtformation verharrte die Zenturie. Das Feldzeichen stach deutlich hervor. Die Sonne blendete.

    Auf eine Weise kam der Brief schließlich auch im Lager an und bei dem Zelt des praefectus castrorum.




    Eilbrief!


    An
    Camillus Matinius Plautius
    Feldlager der Legio I
    Parthia



    Matinius Plautius,


    ich weiß nicht, an wen ich mich sonst wenden könnte außer dir, um Gewissheit über eine sehr ernste Angelegenheit zu erlangen. Ich will mich auch gar nicht lange zurückhalten mit meiner Frage, und stelle sie dir daher ohne Umschweife: Lebt mein Verlobter, lebt Flavius Aristides?


    In der letzten Acta erschien eine Liste der Gefallenen, sein Name fand sich unter zahlreichen anderen. Seine Familie ist erschüttert, ich selbst will es nicht wahrhaben, kann es nicht glauben. Ich bitte dich, sende mir schnellstmöglich eine Rückmeldung! Ich will dafür beten, dass es ein Irrtum ist, wie ich dafür beten will, dass die Zahl der Todesopfer und Verletzten in diesem grausamen Krieg gering bleibt.


    Noch ist die Hoffnung nicht erloschen.
    In tiefer Dankbarkeit,


    [Blockierte Grafik: http://img152.imageshack.us/img152/5753/unterschriftepicharisyt9.gif]




    Rom, ANTE DIEM III KAL OCT DCCCLVII A.U.C. (29.9.2007/104 n.Chr.)

    Die Briefe waren geschrieben. Marcus war völlig lädiert. Schon alleine vom Diktieren. Aber es strengte ihn auch an, besonders wenn er versuchen mußte eloquent zu wirken. Er war es nie sonderlich, aber bei den Briefen an seine Verlobte half ihm Naevius stets. Merzte alle groben Fehler aus. Aber Naevius war dennoch nun mal nicht Hannibal. Immerhin mußte Marcus selber nicht schreiben, er hätte es auch gar nicht gekonnt. Gerade noch hatte er den Brief siegeln laßen, schon war der Soldat verschwunden, ab in die Poststube, da kam ein anderer Soldat herein. In seinen Händen wedelte er mit etwas herum.


    Die acta, centurio.“
    „Ah.“

    Mäßig begeistert war Marcus. Mit einem Deuten zeigte er dem Soldaten, sie Naevius zu reichen. Schläfrig legte sich Marcus auf seine Pritsche zurück. Das Murmeln seines Schreibers lullte Marcus ein. Schon dämmert er hin fort und wollte seine Kräfte regenerieren als er ein scharfes Atem holen von Naevius hörte. Und dazu ein erschreckter Laut. Verblüfft blinzelte Marcus und sah auf. War etwas schlimmes passiert? Etwa weitere Hiobsbotschaften? Mehr zögerlich sah er in das bestürzte Gesicht von Naevius.

    „Was ist los?“
    „Schrecklich. Ein Alptraum für mich.“
    „Was denn? Nun sprich schon, Mann!“


    Naevius sah auf. Blass sind die Wangen des Schreibers.


    „Die Tinte. Sie geht aus.“


    Verständnislos sah Marcus den Schreiber an.

    „Hm?"
    „Die acta. Sie hat darüber geschrieben. Und wir sind Schuld!!“
    „Wie, was? Warum? Das steht in der acta? Schlimm? Und wie kommt das?“


    Naevius nickte.


    „Jawohl. Die Zensur. Soll ich es Dir vorlesen?“


    Marcus nickte. Er mußte es wohl hören. Seinem Schreiber wegen. Für den das wohl ein einziger Albtraum war. Doch dann schmunzelte Marcus. Leise gluckste er vor sich her als er die weiteren Worte vernahm. Dafür erntete er prompt einen bösen Blick von seinem Schreiber. Als der Artikel zu Ende war, sah er nachdenklich an die Zeltdecke.

    „Wir müssen etwas tun, centurio?“
    „Hm?“
    „Deine Briefe. Du schreibst zu viel!“
    „Ich? Aber doch nur drei oder vier Briefe bis jetzt.“
    „Ja, wenn das alle Soldaten so machen. Also, wir sind drei Legionen, centurio. Drei mal sechstausend sind...?“
    „Ähm....fünfzigtausend?“
    „Nein, achzehntausend Männer. Und wenn da alle so zensiert werden, wie bei den Briefen die ich mitbekommen habe- bei dem Decimer haben sie die Hälfte gestrichen- ist das mit der Tinte kein Wunder. Und das, obwohl er der Neffe des legatus ist. Ich habe gehört, selbst beim praefectus wird zensiert.“
    „ Tatsächlich? Oh. Das ist schon dreist von den Schreibern.“
    „Bei achzehntausend Mann sind das mal vier Briefe...?“
    „Hör auf Naevius. Wie viele? Sag schon!“
    „Na, zweiundsiebzigtausend Briefe. Und wenn da die Hälfte durchgestrichen wird. Pah. Wie schaffen die das nur in der kurzen Zeit?“

    Beeindruckt starrte Marcus seinen Schreiber an. Schon stieg der Mann ebenfalls zu einem kleinen Genie auf. Wenn er derartige Zahlen im Kopf rechnen konnte. Doch die Konsequenz konnte sich Marcus dennoch nicht vorstellen.

    „Und?“
    Centurio, Du musst den Anfang machen. Entweder schreibst Du gar nicht mehr oder anders. Sonst wird auf das Imperium eine wirtschaftliche Katastrophe zukommen. Am Ende kommen wir zurück in ein völliges Debakel. Eine Ödnis und in ein Land voller Analphabeten, weil unsere Kinder nichts mehr lernen können. Keine Schriften, kein Wissen. Und wer lenkt dann die Geschicke des Staates? Etwa Männer wie....“

    ....Du? Das verkniff sich Naevius im letzten Moment. Sah jedoch Marcus eindringlich an. Marcus konnte die Gedanken von Naevius nicht ganz nachvollziehen. Doch er nickte langsam. Seinem Schreiber mußte er ab und an seinen Willen geben. Er war auf ihn angewiesen.


    Gut, was soll ich tun?“
    „Rufe den Boten zurück. Dann schicke die Briefe direkt in die Mansio. Du kannst doch einen Sklaven beauftragen. Wir müssen Tinte sparen.“
    „Wenn Du meinst, Naevius. Schicke einen anderen Soldaten hinter her. Und mache einen Boten bereit. Und jetzt laß mich schlafen.“


    Glücklich lächelte Naevius und entschwand. Marcus legte sich auf seine Decke und war binnen einer Minute eingeschlafen. Kleine Tintenkobolde verfolgten ihn. Männer, die in Tintenfäßer fielen und seltsame Gedichte von sich gaben. Alles wegen einem Artikel in der imperialen Zeitung.

    Eine Zenturie hatte schon damit begonnen. Der Artikel der acta sollte nicht ungehört bleiben. Denn das wirtschaftliche Debakel stand bevor. So zumindest laut der Schreiber von Rom und dem Schreiber der zweiten Zenturie der ersten Legion- Naevius war sein Name. Und so war ein Sklave bis zur Mansio nach Zeugma gekommen. Hatte sich allen Widrigkeiten gestellt und so die zwei Briefe an den Tintenverschwendern vorbei geschmuggelt. Ganz für die Mission: Rettet die Tintenvorräte. Nun stand er in der Mansio. Staubig, dreckig und mit der Gefahr im Nacken. Würdevoll reichte er die Briefe an die Postboten weiter. Den Boten des Cursus Publicus.


    "Salve. Die beiden Briefe gehen nach Roma. Eilbriefe, wenn es geht. Reicht das Geld? Sechzig Sesterzen?"


    Der Bote zählte es hin. Anweisung, ein nötiges Trinkgeld zu geben, hatte er auch bekommen. Von Naevius, der die Kasse von Aristides geplündert hatte.



    Ad
    Manius Flavius Gracchus
    villa Flavia Felix
    Roma – Italia





    Meinen Gruß aus der Ferne an Dich, mein brillanter Vetter und Genie der Familie,


    vorsorglich richte ich diesen Brief an Dich. Denn mir wurde gesagt, daß ich – seltsamerweise- auf die Listen der Verluste gesetzt wurde. Sprich, alle, die diese Liste sehen, denken wohl ich bin tot. Zudem habe ich erfahren, daß die Liste an die imperiale Zeitung geschickt wurde. Und da ich weiß, Vetter, daß Du diesen Wisch auch stets mit Eifer ließt, nehme ich mal an, daß Dir die Liste unter die Augen kommt. Naja, also, es ist so. Ich bin gar nicht tot. Ich bin sogar noch sehr lebendig. Ein bisschen lädiert, mag sein. Meine Schulter tut ganz schön gehörig weh und ich kann heute immer noch nicht meine Finger bewegen. Aber das hindert ja nicht daran, Dir zu schreiben. Du kannst ja eh sehen, daß ich den Brief nicht selber schreibe. Warum das so gekommen ist, ja, daß werde ich Dir leider nicht in diesem Brief erzählen können. Das ist geheim. Aber wenn ich wieder in Rom zurück bin, werde ich Dir das mal ausführlich erzählen. Bei einem guten Wein und einem schmackhaften Mal. Ich hoffe indes, daß der Brief Dich schnell erreichen wird. Denn schlimme Nachrichten hatten wir in der Familie wirklich genug.


    Daß Schlimmste hat mich vor einigen Tagen erreicht. Ich traue mich gar nicht, Dich zu fragen. Denn immer noch versuche ich, daß als ebenso große Falschmeldung, als eine Fehlinformation einzuorden. Aber meine Verlobte schrieb mir vor einigen Tagen davon, daß mein kleiner Goldschatz, mein Ein und Alles angeblich verstorben sei. Aber, Manius, das kann doch nicht sein. Mein Kind war doch das blühende Leben. Nein, ich glaube dem nicht. Und ich hoffe, daß Du mir bald davon schreibst, wie es meinem Herzen, meiner kleinen Arrecina geht.


    Es krampft mir das Herz, wenn ich nur an die Möglichkeit denke, daß es meinem Kind nicht gut gehen könnte. Und immer wieder habe ich das Gefühl, ich sehe sie. In meinen Träumen. Anklagend ist sie. Oh, Manius, es ist schrecklich. Ich bin ein furchtbarer Vater. Ich bin weit in der Fremde und weiß noch nicht mal, wie es meinen Kindern geht. Falsche Nachrichten können mich erreichen, sie können jedoch genauso gut wahr sein. Aber, Vetter, womöglich sind meine Worte wirr. Aber ich flehe Dich an, finde heraus, wie es meiner Tochter geht. Der Schicksalsschlag um unsere liebste Base, die wunderschöne und liebreizende Leontia, war schon schlimm genug. Können die Götter uns derart haßen, daß sie die ganze Familie strafen möchte? Und wenn ja, wofür? Was unsere Vorfahren getan haben? Worin wir gefehlt haben? Ich bin ratlos, Manius. Aber ich weiß, daß Du der Klügste von uns bist. Vielleicht weißt Du eine Antwort.


    Pass auf Dich auf, Vetter. Mögen die Götter Dich schützen und gut auf Dich achten. Denn, Vetter, die Familie braucht Dich besonders. Dein Genius, Deine führende Hand und Deine Anwesenheit in Rom.
    [Blockierte Grafik: http://img64.imageshack.us/img64/9927/marcusunterschriftlq7.jpg]





    Ad Claudia Epicharis
    villa Claudia
    Roma – Italia



    Meine liebe Epicharis,


    womöglich ist mein Brief nicht schnell genug. Doch ich hoffe, er kommt noch an, bevor der Bote das Haus, wo Du auch tätig bist, erreichst. Ich habe gehört, es ist eine Liste zu der acta heraus gegangen, die meinen Tod propagiert. Dem ist nicht so. Wie Du an den Zeilen hier lesen kannst, hat es einen Irrtum in dieser Liste gegeben. Ich lebe nämlich noch. Die Mühlen der Verwaltung haben einiges durcheinander geworfen und Namen auf die Listen gesetzt von jenen, die lediglich vermißt waren. Aber sorge Dich nicht. Daß ich vermißt war, lag nur an einem strategischen Manöver. Genaueres kann ich Dir leider auch nicht schreiben. Ich werde Dir eines Tages davon genauer erzählen können. Wenn ich zurück bin in Rom. Ich hoffe doch, Du hast Dich nicht gegrämt.


    In Deinem letzten Brief hast Du mir davon geschrieben, daß Du nach Ägypten reisen möchtest. Ist das immer noch so? Dieses Land kann ich Dir nur ans Herz legen, liebe Epicharis. Es ist ein Land voller Wunder. Die Pyramiden von Ägypten, die Wüstenlandschaften, der Sternenhimmel. Es ist eine wahre Augenweide. Und zudem schön warm, eine gute Luft und spannend. Doch nehme Dir genug Sklaven und Leibwächter mit. Denn es gibt nichts Tückischeres, Verschlgeneres als ein Ägypter. Niederträchtig sind sie und sie können sich mit der Fähigkeit zu Lügen durchaus mit den Syrern meßen. Da kann ich Dir auch einiges von erzählen. Die Syrer sind auch ein verschlagenes Völklein. Aber die Griechen auch. Im Grunde glaube ich, daß nur Römer wirklich ehrenhaft sein können. Von Germanen bis Parther- nur Niedertracht überall.


    Gerne würde ich Dir von den Neuigkeiten hier erzählen. Was uns widerfährt und welchen Widrigkeiten wir uns stellen müssten. Doch keine Sorge, die Gefahren sind nicht groß hier. Wir sehen ja kaum Parther. Manches Mal glaube ich, sie fliehen vor uns. Feiges Pack sind sie allesamt. Aber ich darf Dir nichts genaues schreiben, denn der Brief kann in Feindeshand gelangen. Und so ruchlos wie die Parther sind, schrecken sie natürlich auch nicht vor der privaten Post der Soldaten zurück um sich einen Vorteil zu verschaffen.


    Liebe Epicharis, das Amulett schützt mich gut. Sorge Dich nicht und ich danke Dir für die actaausgaben, die ich mit großer Aufmerksamkeit gelesen habe. Auf daß die Götter die Hand über Dich halten und Dein junges Leben schützen.
    [Blockierte Grafik: http://img64.imageshack.us/img64/9927/marcusunterschriftlq7.jpg]






    Sim-Off:

    Überwiesen!



    Hastig kam ein weiterer Soldat in die Poststube und schnappte sich die beiden Briefe- den an Gracchus und an Epicharis-, ehe der Schreiber sie in die Hand bekam. Der andere Soldat sah verwirrt auf seinen Kollegen von der zweiten Zenturie. Doch der meinte nur zu dem Schreiber.

    „Das mit den Briefen hat sich erledigt. Mein centurio will sie doch nicht abschicken. Vale. Komm. Andere Befehle.“


    Und schon waren die beiden Soldaten, samt der Briefe draußen. Mission: Rettet die Tintenvorräte war zumindest für den Augenblick erfüllt. Doch Naevius- dem Kopf dieser Mission- war klar: das war nur der Anfang. Sie würden mehr tun müssen.

    Zitat

    Original von Gaius Tallius Priscus
    [-]


    „Ah!“


    , murmelte Marcus. Daß die Leiche geborgen worden war, das war gut. Denn so hatten auch die Angehörigen die Möglichkeit noch Abschied zu nehmen. Wenn ihnen die Asche ihres Verwandten zugeschickt wurde. Sofern sie es schafften, den Soldaten eine Einäscherung zu gewähren. Denn in diesem verdammten Wüstenland schien Holz sehr rar zu sein. Marcus runzelte die Stirn und dachte über dieses Dilemma nach. Darum war auch seine nächste Frage:


    „Wurde sich schon um die Verbrennung des Soldaten gekümmert? Wenn nicht, dann schicke doch bitte einen der Soldaten bei mir vorbei.“


    Marcus seufzte und nickte bei Priscus weiteren Worten. Unwillkürlich hob er seine Hand und kratzte jetzt wirklich an dem Verband. Der Schmerz zuckte durch seine Schulter. Ärgerlich und unflätig fluchte Marcus leise, aber vernehmbar vor sich hin. Wo war er nur in der letzten Nacht mit den Gedanken gewesen? Wenn er aufmerksamer gewesen wäre, dann wäre all das nicht paßiert. Der primus pilus hätte sich nicht derart in Gefahr begeben müssen und Marcus würde nicht bereits als halber Krüppel in den nächsten Kampf ziehen müssen. Denn Edessa lag nicht mehr weit, die nächste Konfrontation schien nahe zu sein.

    „Ja, zufrieden sind wohl die Wenigsten damit. Ich gewiss auch nicht. Aber dann ist gut. Solange die Soldaten nicht murren und nur eine Handvoll Schlaf haben möchten, ist es gut. Dann will ich Dich nicht länger aufhalten, optio.“


    Marcus nickte ihm zu. Als ihm noch etwas einfiel.


    „Und optio, danke. Die Tage sind nicht gerade einfach für mich. Es kann durchaus sein, daß ich Dich auch in den nächsten Tagen vermehrt brauche.“

    Der Schatten seines Zeltes kühlte Marcus, das Licht vor seinem Zelt blendete ihn. Er verengte seine Augen und betrachtete die Soldaten, die sich für den heutigen Tage rüsteten. Eine steile Falte bildete sich zwischen Marcus Augenbrauen. Stumm verfolgte er das Klappern von Töpfen, des nervöse Rüsten der Männer. Überspielt mit Witzen und fröhlichen Worten, als ob nur ein ganz normaler Marschtag vor ihnen lag. Doch es fehlten die langen Gesichter, die Resignation wieder durch die Hitze und den Staub marschieren zu müssen. Nein, an jenem Tag war es anders. Denn ein jeder wußte, daß es sein letzter Tag bedeuten könnte. Doch was hieß das? Begriff man das als Sterblicher wirklich? Marcus fuhr sich über seinen Nacken. Ein eisiger Schauder jagte ihm über den Rücken. Sein Testament brauchte er nicht zu machen. All seine Habseligkeiten würde seinem Sohn gehören, seinem einzigen Erben. Seinem einzigem noch verbliebenem Kind. In Gedanken wanderte Marcus zu seinem Sohn. Ob er noch in Ägypten war? Ob er noch wütend auf ihn war? Marcus verzieh seinem Jungen schon lange die Angelegenheit auf dem Fest. Er war nun mal nur ein Junge. Aber Kinder konnten unversöhnlich sein. Grübelnd sah Marcus über die Zeltspitzen hinweg und betrachtete das bunte Wimpel des Kaisers. Sein Zelt stach mit denen der legati besonders prächtig hervor.


    Optio! Die Männer sollen in einer hora bereit sein.“


    Einen Herzschlag lang wanderte Marcus Blick über den optio und die anderen Männer hinweg. Dann drehte er sich um und kerhte in sein Zelt zurück. Die Schatten des Zeltes umfingen Marcus. Langsam trat er zu seiner Kiste und öffnete sie. Eine kleine elfenbeinfarbene Statue holte er hervor. Der Genius Flavii. Andächtig betrachtete Marcus die Statue. Ächzend setzte er sich auf das Bett und hielt die Statue weiter in seiner Hand.

    „Oh, Manius. Wenn ich doch Deinen Rat hätte. Haben die Götter uns Flavier verlaßen? Ist das ein Wink der Schicksalsgöttinnen? Was sollen wir nur tun?“


    Doch weder war ein Gracchus in seinem Zelt, noch vermochte die Statue ihm zu antworten. Selbst nach Minuten langem Starren auf das Elfenbein nicht. Dann erst legte Marcus sie zurück und stand auf. Es galt die Zweifel für den Tag beiseite zu schieben. Die quälenden Sorgen um die eigene Tochter. Der nagende Schmerz sie verloren zu haben und den heimlichen Wunsch, ihr zu folgen. Und ein großer Teil von ihm glaubte die Hiobsbotschaft nicht mehr. Verleugnete sie. Als das Zelt abgebaut war, stand Marcus draußen. Sein Gepäck war auf dem Maulesel verladen und er sah zu den Männern. Das Gewicht des Schildes war auf seinem Rücken zu spüren. Die Sonne strahlte hell von ihren Rüstungen. Er sah in die Gesichter alter Veteranen, die seinen Blick unerschrocken erwiderten. Doch ebenso die nervösen Gesichter der jungen Soldaten. Und es waren viele Junge unter seinem Kommando. Marcus war kein Mann großartiger Reden, noch besonders begabt dafür. Er brauchte stets jemand, der ihm all die klugen Dinge vor sagte. Die er einübte und dann wiedergab. Doch die Soldaten waren keine Männer des Senats, noch wollten sie die Reden eines Politikers hören.


    Milites, Jahre an Erfahrung, Monate des harten Trainings liegen hinter euch. Und ihr seid gut. Sehr gut. Rom kann zu Recht auf euch stolz sein. Und ihr müsst nur in das vertrauen, was ihr gelernt habt. Lasst euch nicht erschüttern. Lasst euch nicht von ihnen verwirren. Egal mit was für fremdartigen Kriegstechniken oder Geheul sie auch kommen. Mars wird mit euch sein, denn ihr seid seine Söhne.“


    Marcus winkte seinen cornicen und signifer heran. Nach einem Zeichen von Marcus hoben diese das Horn, ebenso das Feldzeichen und Marcus marschierte los, den Männern voran und sich in den Strom der Soldaten einordnend, die auszogen in Richtung des großen Heeres der Parther. Schon nach wenigen Schritten wurde das Sonnenlicht immer gleißender. Die Hitze immer drückender. Das Licht flirrte über der Landschaft. Seltsame Säulenkonstrukte ragten hervor um gleich wieder zu entschwinden. Berge entstanden und verschwanden. War da nicht schon eine Stadt? Das Fieber. Das Fieber. Und obwohl Marcus einige Schlucke zu sich nahm, verschwanden diese seltsamen Bilder nicht mehr. Die Hitze gaukelte ihm noch mehr vor.

    Zitat

    Original von Gaius Tallius Priscus
    ...
    "Nachdem alle unseren Verschollenen wieder aufgetaucht sind, haben wir mit Hostius Secundus aus dem fünften Contubernium nur einen Gefallenen. Timarchus und Similis sind wegen ihrer Verletzungen nicht mitgekommen. Icelus hat sich durchgebissen, mit reduziertem Gepäck. Laufen kann er, kampftauglich ist er nicht. Um die anderen vierzehn mache ich mir keine Sorgen", ....



    Marcus streckte seine linke Hand aus und nahm die tabula entgegen. Leise vor sich hinmurmelnd überflog er die Namen. Das sah doch besser aus als er nach der Nacht vermutet hätte. Dennoch preßte er seine Lippen fest aufeinander. Ein Soldat war tot. Sicherlich. Das wäre früher oder später paßiert, war nicht zu vermeiden und das Risiko eines Soldaten. Dennoch. Marcus sah eine Weile lang stumm auf den Namen. Es galt Briefe zu schreiben und den Verwandten die Nachricht zukommen zu laßen, keine einfache Aufgabe und eine schwere Bürde, aber seine Pflicht und Aufgabe. Marcus sah von der Tafel auf und Priscus ernst an.


    „Wurde Hostius' Leiche geborgen, optio?“


    Immerhin gab es auch einige gute Nachrichten. Nur ein Ausfall für die nächste Zeit und sonst mehr oder minder leichtere Verletzungen. Somit war das Scharmützel kein Fiasko sondergleichen. Sie hatten immerhin die Parther wieder in die Flucht geschlagen...wobei sie sich mehr zurück gezogen haben. Aber diesen feinen Unterschied erwog Marcus in dem Moment nicht.


    „Wenn es bei Icelus nicht besser wird, soll sein Gepäck verteilt werden und er soll sich ins Lazarett begeben. Die Anderen sollen sich auch noch mal von einem capsarius anschauen lassen. Nicht, daß sie aus lauter vermeindlicher Zähigkeit auch noch ausfallen. Auch die beiden Soldaten, die verschollen waren. Sie waren auch verletzt, wenn ich mich recht entsinne.“


    Marcus reichte Priscus die Tafel zurück. Mit einer Hand rückte er seinen Verband an der Schulter etwas zurecht, der zu sehr drückte.


    „Und sonst? Was reden die Männer so über die letzte Nacht? Sind sie zufrieden damit? Oder gibt es Gemurre?“

    Und aus der zweiten Zenturie, der ersten Kohorte kam ein Bote in die Poststube. Damit auch jene Briefe nach Rom verschickt werden konnten.



    Ad
    Manius Flavius Gracchus
    villa Flavia Felix
    Roma – Italia





    Meinen Gruß aus der Ferne an Dich, mein brillanter Vetter und Genie der Familie,


    vorsorglich richte ich diesen Brief an Dich. Denn mir wurde gesagt, daß ich – seltsamerweise- auf die Listen der Verluste gesetzt wurde. Sprich, alle, die diese Liste sehen, denken wohl ich bin tot. Zudem habe ich erfahren, daß die Liste an die imperiale Zeitung geschickt wurde. Und da ich weiß, Vetter, daß Du diesen Wisch auch stets mit Eifer ließt, nehme ich mal an, daß Dir die Liste unter die Augen kommt. Naja, also, es ist so. Ich bin gar nicht tot. Ich bin sogar noch sehr lebendig. Ein bisschen lädiert, mag sein. Meine Schulter tut ganz schön gehörig weh und ich kann heute immer noch nicht meine Finger bewegen. Aber das hindert ja nicht daran, Dir zu schreiben. Du kannst ja eh sehen, daß ich den Brief nicht selber schreibe. Warum das so gekommen ist, ja, daß werde ich Dir leider nicht in diesem Brief erzählen können. Das ist geheim. Aber wenn ich wieder in Rom zurück bin, werde ich Dir das mal ausführlich erzählen. Bei einem guten Wein und einem schmackhaften Mal. Ich hoffe indes, daß der Brief Dich schnell erreichen wird. Denn schlimme Nachrichten hatten wir in der Familie wirklich genug.


    Daß Schlimmste hat mich vor einigen Tagen erreicht. Ich traue mich gar nicht, Dich zu fragen. Denn immer noch versuche ich, daß als ebenso große Falschmeldung, als eine Fehlinformation einzuorden. Aber meine Verlobte schrieb mir vor einigen Tagen davon, daß mein kleiner Goldschatz, mein Ein und Alles angeblich verstorben sei. Aber, Manius, das kann doch nicht sein. Mein Kind war doch das blühende Leben. Nein, ich glaube dem nicht. Und ich hoffe, daß Du mir bald davon schreibst, wie es meinem Herzen, meiner kleinen Arrecina geht.


    Es krampft mir das Herz, wenn ich nur an die Möglichkeit denke, daß es meinem Kind nicht gut gehen könnte. Und immer wieder habe ich das Gefühl, ich sehe sie. In meinen Träumen. Anklagend ist sie. Oh, Manius, es ist schrecklich. Ich bin ein furchtbarer Vater. Ich bin weit in der Fremde und weiß noch nicht mal, wie es meinen Kindern geht. Falsche Nachrichten können mich erreichen, sie können jedoch genauso gut wahr sein. Aber, Vetter, womöglich sind meine Worte wirr. Aber ich flehe Dich an, finde heraus, wie es meiner Tochter geht. Der Schicksalsschlag um unsere liebste Base, die wunderschöne und liebreizende Leontia, war schon schlimm genug. Können die Götter uns derart haßen, daß sie die ganze Familie strafen möchte? Und wenn ja, wofür? Was unsere Vorfahren getan haben? Worin wir gefehlt haben? Ich bin ratlos, Manius. Aber ich weiß, daß Du der Klügste von uns bist. Vielleicht weißt Du eine Antwort.


    Pass auf Dich auf, Vetter. Mögen die Götter Dich schützen und gut auf Dich achten. Denn, Vetter, die Familie braucht Dich besonders. Dein Genius, Deine führende Hand und Deine Anwesenheit in Rom.
    [Blockierte Grafik: http://img64.imageshack.us/img64/9927/marcusunterschriftlq7.jpg]





    Ad Claudia Epicharis
    villa Claudia
    Roma – Italia



    Meine liebe Epicharis,


    womöglich ist mein Brief nicht schnell genug. Doch ich hoffe, er kommt noch an, bevor der Bote das Haus, wo Du auch tätig bist, erreichst. Ich habe gehört, es ist eine Liste zu der acta heraus gegangen, die meinen Tod propagiert. Dem ist nicht so. Wie Du an den Zeilen hier lesen kannst, hat es einen Irrtum in dieser Liste gegeben. Ich lebe nämlich noch. Die Mühlen der Verwaltung haben einiges durcheinander geworfen und Namen auf die Listen gesetzt von jenen, die lediglich vermißt waren. Aber sorge Dich nicht. Daß ich vermißt war, lag nur an einem strategischen Manöver. Genaueres kann ich Dir leider auch nicht schreiben. Ich werde Dir eines Tages davon genauer erzählen können. Wenn ich zurück bin in Rom. Ich hoffe doch, Du hast Dich nicht gegrämt.


    In Deinem letzten Brief hast Du mir davon geschrieben, daß Du nach Ägypten reisen möchtest. Ist das immer noch so? Dieses Land kann ich Dir nur ans Herz legen, liebe Epicharis. Es ist ein Land voller Wunder. Die Pyramiden von Ägypten, die Wüstenlandschaften, der Sternenhimmel. Es ist eine wahre Augenweide. Und zudem schön warm, eine gute Luft und spannend. Doch nehme Dir genug Sklaven und Leibwächter mit. Denn es gibt nichts Tückischeres, Verschlgeneres als ein Ägypter. Niederträchtig sind sie und sie können sich mit der Fähigkeit zu Lügen durchaus mit den Syrern meßen. Da kann ich Dir auch einiges von erzählen. Die Syrer sind auch ein verschlagenes Völklein. Aber die Griechen auch. Im Grunde glaube ich, daß nur Römer wirklich ehrenhaft sein können. Von Germanen bis Parther- nur Niedertracht überall.


    Gerne würde ich Dir von den Neuigkeiten hier erzählen. Was uns widerfährt und welchen Widrigkeiten wir uns stellen müssten. Doch keine Sorge, die Gefahren sind nicht groß hier. Wir sehen ja kaum Parther. Manches Mal glaube ich, sie fliehen vor uns. Feiges Pack sind sie allesamt. Aber ich darf Dir nichts genaues schreiben, denn der Brief kann in Feindeshand gelangen. Und so ruchlos wie die Parther sind, schrecken sie natürlich auch nicht vor der privaten Post der Soldaten zurück um sich einen Vorteil zu verschaffen.


    Liebe Epicharis, das Amulett schützt mich gut. Sorge Dich nicht und ich danke Dir für die actaausgaben, die ich mit großer Aufmerksamkeit gelesen habe. Auf daß die Götter die Hand über Dich halten und Dein junges Leben schützen.
    [Blockierte Grafik: http://img64.imageshack.us/img64/9927/marcusunterschriftlq7.jpg]






    Sim-Off:

    Überwiesen!

    Schwarz wirbelten die Ascheflocken nach oben. Der Wind wehte sie immer höher, ließ sie herumwirbeln. Die Sonne verdunkelte sich. Der Ascheregen schluckte das güldene Licht, zehrte an der Sonnenscheibe und schien sie auffreßen zu wollen einem gierigen Aasgeier gleichend. Hügel wölbten sich entgegen, fielen ab zu langen Tälern. Endlose Ödnis starrte ihm entgegen. Jeder Schritt schien schwer zu sein. Als ob er durch Wasser waten würde. Jeden Zoll, den er erkämpfte, tropfte mehr Blut an ihm herunter. Immer langsamer wurde er. Tausende Stimmen wisperten um ihn herum, dröhnten in seinen Ohren. Das Marschieren tausender Füße schallte neben seinem Kopf. Und immer wieder:


    „Das Gericht, das Gericht.“


    Mühsam hob er den Kopf an und sah durch den Regen aus schwarzen Flocken, die ihn zu ersticken drohten. Heiß und stinkend war die Luft. Als ob die Erde selber ihn zu Grunde richten wollte. Eine einzige Gestalt schälte sich aus dem unendlich scheinenden Schwarz. Blutig rot war ihr Gewand. Ihre Augen aufgerissen, ihre Haare strähnig über den Rücken fallend und die Füße bloß, verbrannt von der heißen Erde. Stumm und anklagend sah sie ihm entgegen und hob den kalten, vom Tod gezeichneten Finger.


    "Du kannst Deinem Urteil nicht entkommen. Deine Schuld, Deine Schuld."


    Der Schmerz drückte an Marcus Schulter. Doch er konnte den Blick nicht abwenden. Seine Lippen versuchten Worte zu formen. Allerdings kam kein Laut von ihm. Und er schien sich auch nicht mehr bewegen zu können. Schwere Klötze aus Zement hielten ihn an Ort und Stelle.


    centurio, centurio...“


    Rot und dämmrig glühte es hinter dem Mädchen auf. Feuerbrocken wurden durch den Himmel geschleudert. Lautlos krachten sie auf dem Boden ein und wirbelten noch mehr Asche auf. Ersticken, ersticken wollte sie Marcus.


    Centurio, centurio, wach auf.“


    Marcus blinzelte. Die Morgensonne strahlte in das Zelt hinein. Einer seiner Soldaten stand im Zelt. Bereits gerüstet und mit dem Geruch nach dem ersten Lagerfeuer an sich. Marcus atmete ein und erhob sich aus den Fellen, die ihn vor der nächtlichen Kälte geschützt hatten. Er brauchte einige Herzschläge, um die nächtlichen Erinnerungen von sich zu streifen. Schlecht gelaunt sah er zu dem Soldaten.

    „Ja?“
    centurio, es geht los!“
    „Was geht los?“
    „Die Parther...sie sind da!


    Es war einfach zu früh am Morgen. Marcus war schon immer ein Morgenmuffel gewesen und brauchte zu jener Tageszeit besonders lange. Doch dann begriff auch er. Er nickte knapp und sah auf seinen Arm herunter, der immer noch in der Schlaufe steckte.


    „Dann wecke die Männer...oder sind sie schon wach?“


    Ein Kopfnicken vom Soldaten.


    „Die Meisten, centurio. Und sie kochen schon ihren puls.“
    „Ah. Na, dann hilf mir mal. Hol die Rüstung...“


    Stück für Stück kleidete sich Marcus an. Und am Schluss quälte er sich auch in die Rüstung. Schmerzhaft drückte sie auf seine Wunde an der Schulter, obwohl er sie gepolstert hatte. Auch sah es schon merkwürdig aus als er erneut die Armschlaufe umlegte. Doch dann rückte er sein gladius zurecht, streckte sich und trat hinaus in das Sonnenlicht. Blinzelnd spähte er über das Lager der Soldaten, betrachtete die kleine Rauchfahnen, die vom pulskochen in den Himmel stiegen.

    Zitat

    Original von Gaius Tallius Priscus
    Irgendwann war er dann selber zum Centurio gerufen worden und betrat kurz darauf dessen Zelt. "Salve", grüßte er. "Melde mich zur Stelle."


    Papyrus raschelte, eine Feder kratzte darüber hinweg. Marcus lag mit dem Rücken auf seinem Lager, wälzte sich hin und her und suchte in seinem Geist nach den passenden Worten. Natürlich waren sie wieder mal nicht aufzutreiben. Verflucht noch mal! Ihm fehlte einfach sein Sklave Hannibal. Und der lungerte wahrscheinlich im sonnigen Baiae, angelte Fische und ließ es sich gut gehen. Nur mit Mühe unterdrückte Marcus den Impuls sich an der verletzten Schulter zu kratzen. Aber wie das auch mal wieder juckte!! Marcus seufzte verhalten und verzog angestrengt das Gesicht.


    „Also, schreibe folgendes....ich bin nicht tot, ich lebe noch. Macht euch keine Sorgen. Mögen die Götter euch schützen. Marcus. Meinst Du das geht?“


    Marcus sah zu dem Schreiber, der an seiner Kiste hockte und konzentriert auf das leere papyrus sah. Langsam schüttelte Naevius den Kopf.


    „Bei allem Respekt, das ist doch ein wenig dürftig, centurio. Ein bisschen mehr Erklärung könnte es schon sein.“
    - „Grmpf, wird doch eh alles zensiert. Was für einen Schmuh die da zensieren...dort in der Poststube. Das kann doch eh keiner begreifen, warum was gestrichen wird.“


    Naevius zuckte gleichgültig mit der Schulter. Er schrieb niemandem, denn seine beiden Brüder waren ebenfalls mit im Krieg. Und seine alte Mutter bekam nichts mehr mit vom Leben. Darum war es ihm reichlich egal, was dort zensiert wurde. Aber Marcus nicht. Grummelnd fügte er noch an:


    „Wenn ich schreiben würde, daß ich gestern hier Kekse gegeßen habe, wetten daß sie das auch zensieren? Oder wenn ich meinen Latrinengang – falls ich auf den Gedanken kommen würde- erwähne. Durchgestrichen. Also was bringt es, wenn ich da was schreibe? Und am Ende streichen sie sogar heraus, daß ich gar nicht tot bin und was nützt es dann, daß ich überhaupt einen Brief schreibe und überhaupt...herrje nochmal.“


    In dem Augenblick öffnete sich die Zeltplane und Priscus kam herein. Marcus spähte nach oben und nickte ihm knapp zu. Mit seiner noch gesunden Hand deutete Marcus auf einen freien Hocker im Zelt.


    Salve, optio. Nimm doch Platz. Etwas Wein...? Naevius, schenke dem optio ein.“


    Marcus atmete tief ein, um sich aufrichten zu können. Währenddessen langte Naevius nach der Weinkanne und stellte einen Becher vor Priscus, um den darauf hin auch gleich zu füllen. Marcus erhob sich ächzend und mußte noch mal kräftig durch atmen. Es schwindelte kurz um ihn herum, aber dann ging es wieder. Mißmutig betrachtete Marcus den Verband an seinem Arm, der sich ein wenig mit Blut wieder getränkt hatte. Wahrscheinlich sollte er noch mal im Feldlazarett vorbei schauen. Das würde er gleich mit einem Besuch der verletzten Soldaten aus seiner Einheit verbinden. Denn ansonsten haßte Marcus den Geruch nach Tod und Verletzungen.


    „Ist alles gut gelaufen heute, optio? Und wie hoch sind unsere Verlustzahlen? Wie viele Verletzte haben wir? Und wie viele von denen können nicht mehr kämpfen?“

    Trocken war die Landschaft, genauso trocken war es in Marcus Mund. Er meinte bereits seit Stunden den Sand zwischen seinen Zähnen zu spüren und konnte ihn nicht mit Wasser herunter spülen. Selbst wenn ihm als centurio doch mehr Wasser zustand, so war es bei weitem nicht genug. Und er wollte auch nicht vor seinen Soldaten mit Wasser protzen, während sie sich in der Hitze abquälten. Trotz Verletzung, trotz dem Blutverlust. Schwer drückte die Hitze auf Marcus herunter und seine Stirn war noch hitzig von dem Fieber der vorigen Nacht. Aber erstaunlich gut hatte der medicus seine Verletzung behandelt und hatte den Pfeil gut aus seiner Schulter entfernt. Und Marcus hatte eindeutig noch mal Glück gehabt. Dennoch marschierte er nun mit einer Schlaufe um den Arm, einen dicken Verband an seinem rechten Unterarm recht weit hinten. Er war noch nicht in der Lage gewesen so schnell wie die meisten Soldaten seiner centuria zu laufen. Und er war froh darum, daß der Kaiser einen langsameren Marsch angeordnet hatte und dazu nur ein halbes Tagespensum. Peripher bekam Marcus etwas von dem Reden zwischen dem praefectus und einem seiner Soldaten mit. Aber es flimmerte vor seinen Augen, das Land wölbte sie mal vor und wieder zurück und es war ihm in dem Moment einfach egal gewesen. Einen Fuß nach dem Anderen mußte er vor sich setzen. Nein, in einem Wagen mit den Verletzten wollte er nicht fahren. Zwar war er nicht wirklich zu Kommandos in der Lage, aber dafür hatte er ja Priscus. Der schaukelte das Kind schon, wenn Not am Mann war.


    Die Zeit rann wie Sandkörner durch Marcus Finger. Das Fieber kam wieder zurück und als am Abend das Lager aufgebaut war, marschierte Marcus nur noch in das Zelt hinein. Plumpsend ließ er sich auf dem Lager fallen und war froh um die Soldaten in seiner centuria, die alles bereits von sich aus getan hatten – oder hatte Priscus sie dazu angehalten? Marcus hatte davon nichts mitbekommen. Es hätten wohl auch lauter hübsche, tanzende Nubierinnen an ihm vorbei laufen können. Marcus hätte sie nicht gesehen. Eine Weile lang lag Marcus auf dem Lager und atmete schwer ein. Mars sei Dank gab es zahlreiches Kräuterwerk. Denn das Zeug, was ihm der medicus widerwillig verabreicht hatte, vermochte ihn auf den Beinen zu halten und die Schmerzen zu vertreiben. Es war nicht mehr weit bis Edessa und Marcus mußte wenigstens einigermaßen in der Lage sein, Kommandos geben zu können. Dummerweise benebelte ihn das Kraut auch gehörig und er meinte Dinge zu sehen, die gar nicht da waren. Marcus atmete schwer ein. Gerade wollte Marcus über jene Bilder aus seinem Traum nachdenken, ergründen, warum er sie gesehen hatte als sich das Zelt öffnete und Naevius herein trat. Marcus spähte zu ihm hinüber. Grelles Sonnenlicht verbarg erst sein Gesicht. Als er jedoch in den Schatten trat, erkannte Marcus seinen scriba. Herrje, dann galt es wohl irgendwas zu unterschreiben.


    „Geht nicht, Naevius. Ich kann nicht schreiben.“


    Marcus konnte noch nicht mal seinen Arm heben, um es Naevius zu verdeutlichen. Dieser winkte jedoch ab und setzte sich unaufgefordert. Naevius fühlte sich beinahe schon als ein heimliches Familienmitglied bei den Flaviern. Immerhin kannte er fast alle bei Namen und hatte schon die persönlichsten Briefe von Marcus verfaßt. Marcus spähte zu dem Schreiber. Der starrte ihn lange an, dann meinte er trocken.


    „Du bist tot, centurio!“


    Das Kraut. Marcus starrte den Schreiber an und schob alles auf die Wirkunge des Krautes. Hatte er gerade richtig gehört? Einige Herzschläge vergingen und Marcus schwieg immer noch. Dann meinte er ebenso trocken.

    „Aha! Na, dann kannst Du mich ja schlafen laßen, Naevius.“
    - „Nein, centurio. Wirklich. Du bist tot.“
    Hör auf zu scherzen, Naevius. Ich atme doch sogar noch.“
    - „Ähm...Du stehst auf den Verlustlisten.“


    Marcus Gedanken arbeiteten sehr langsam. Noch langsamer als sonst. Und lahm tropfte das Gesagte bis zu seinem Bewußtsein vor.


    „Hm?“


    Naevius rollte mit den Augen. Er hatte schon damit gerechnet, länger ausholen zu müßen. So holte er tief Luft.


    „Es ist so, centurio. Im Morgengrauen wurden bereits die Listen verfaßt um den Kaiser informieren zu können. Ja, und da muß irgendwie Dein Name drauf gerutscht sein. Also, wahrscheinlich hat einer in der Nacht vermißt mit gefallen verwechselt. Naja, und dann bist Du halt für tot erklärt worden.“


    Bürokratie! Nun war es an Marcus mit den Augen zu rollen. Herrje. Naja, bestimmt noch früh genug, um zu verhindern, daß bald ein neuer centurio hier herein marschierte. Und daß ihm der Sold gestrichen wurde. Denn dann war Schluß mit lustig. Kein Entenfleisch mehr und kein guter Wein, geschweige denn die lupanarbesuche. Er würde sich erst mal Geld leihen oder schicken laßen müssen.

    „Dann veranlaße, daß das bereinigt wird.“
    - „Ähm...centurio? Die Listen gingen schon raus!“
    „ Wo raus?“
    - „Zur...acta?“

    Erneut dauerte es eine Weile bis Marcus es dämmerte. Acta? Zeitung? Liste? Zeitung? Marcus hob seine linke Hand und kratzte sich am Kinn. Hm!?!


    „Und?“
    - „Ja, arbeitet Deine Verlobte nicht dort?“


    Tatsache! Nun, wo der Schreiber das erwähnte, dämmerte auch bei Marcus etwas. Hatte sie nicht mal was erwähnt? Marcus hatte es schon vergeßen.

    „Tut sie das?“
    - „Ja, centurio. Ich lese Dir doch immer die acta vor!“
    „Aber nicht das Improvum.“
    - „Impressum, centurio!“
    „Egal...wie auch immer.“

    Stumm sah Marcus an das Zeltdach. Was bedeutete das? Hm...erneut langsames Denken. Dann zuckte es wie ein Blitz durch seinen Geist. Himmel und alle guten Götter. Baff starrte er seinen Schreiber an.


    „Ja, herrje, dann denken ja alle in Rom, ich wäre tot?“


    Der Schreiber seufzte erleichtert, endlich hatte es wohl auch der centurio begriffen.

    „Ja, centurio.“
    - „Dann sorge dafür, daß die acta das nicht veröffentlicht.“
    „Zu spät, centurio, der Bote ist weg.“
    - „Oh! Und nun?“
    „Vielleicht schreibst Du ein paar Briefe, centurio?“
    - „Ah, gute Idee, Naevius. Hol Dein Schreibzeug und ach...rufe doch noch Priscus herein, wenn Du schon auf dem Weg bist.“

    Der Schreiber, der eigentlich schon alles Schreibzeug vorsorglich dabei hatte, erhob sich wieder und schickte einen Soldaten den optio Bescheid zu geben.

    Die ersten Sonnenstrahlen glitten über die Felsenformationen. Die Schatten wanderten weiter, warfen lange Abbilder ihrer Originale und die erste morgendliche Wärme suchte danach die frostige Kälte zu vertreiben. Denoch war die Rüstung von Marcus eiskalt und schien noch mehr an ihm Zerren zu wollen. Kopfschüttelnd zog Marcus wieder den Helm vom Kopf und reichte ihn an Serapio weiter. Denn er war schon froh gewesen, daß dieser ihm den abgenommen hatte. Nur mit größter Anstrengung konnte Marcus ein Keuchen unterdrücken als ihm unter die Schulter gegriffen wurde. Denn der Pfeilschaft schien sich noch mehr in ihn reinzubohren. Aber irgendwie mußte er nun auf die Beine kommen. Marcus spürte den Boden unter sich und ein Schwindeln. Aber langsam ging es besser und die Leichenfarbe- die vermeintliche- wich aus seinem Gesicht.


    „Danke, milites.“


    , presste Marcus zwischen – den Schmerzen wegen - zusammengepressten Zähnen. Der rote Fuchs schüttelte unwillig den Kopf als er seine Hand in seine Mähne grub, um sich auf das Pferd zu erheben. Lieber wäre Marcus zu Fuß – immerhin war das auch seine Profession – in das Lager zurück gekehrt. Aber es sollte wohl nicht sein. Mit Hilfe der Soldaten schwang sich Marcus auf das Pferd. Steine polterten hinab und Marcus konnte das erste Mal in das enge Flußbett sehen. Körper, überall sah er die Toten der Nacht. Ob es Römer oder Parther waren? Marcus vermochte es nicht zu trennen.


    Unter der Berührung des primus pilus zuckte der junge Parther zusammen. Doch das Stöhnen und der flache Atem zeugte davon, daß es schlecht um dem Mann stand. Womöglich würde er den Morgen nicht durchhalten. Vielleicht doch.


    Marcus sah zu dem Körper des Parther, wußte nicht recht, warum dieser gefangen genommen war. Als er Jenseits von Gut und Böse war, hatte er freilich nichts davon bemerkt.


    „Verschwinden wir, ehe noch mehr von denen kommen, centurio, hm?“


    Und auch jene Nacht hatte ein Ende, ebenso der Vorstoß dieser drei Soldaten um einen einzigen centurio zu retten. Die Hufen klapperten, die Schritte hallten im Tal wieder. Das Krächzen der Geier verfolgte Marcus bis weit aus dem Tal hinaus. Boten von Tod und Verderben, Zeugen eines Krieges.


    --------- Im Lager zurück gekommen -------------


    Mühsam glitt Marcus von dem Rücken des Pferdes. Seine Augen suchten das Lager ab. Ordnung war wieder eingekehrt. Die Wachen standen auf dem vallum und um die Brandreste wurde sich bereits gekümmert. Rauchsäulen stiegen in den Himmel, doch es waren die von den Lagerfeuern der Soldaten, die sich bereits puls kochten. Der Schmerz in Marcus Schulter war nicht besser geworden- im Gegenteil. Mit einer hochgezogener Augenbraue musterte er den Jüngsten aus seiner Truppe. Recht käsig sah er um die Nase aus und ziemlich verängstig. Warum, das fragte sich Marcus nicht. Das waren wohl noch die Auswirkungen des Scharmützels gewesen. Marcus wandte sich an Avitus und nickte ihm zu -halb gegen das Pferd gelehnt, um nicht wieder aus den Latschen zu kippen.


    "Danke, centurio. Ich stehe in Deiner Schuld."


    Und so meinte es Marcus auch. Und ein Flavier würde so etwas auch nicht vergeßen. Derweil besah sich Marcus auch Sparsus. Herrje, der war auch verletzt? Na, da half nix.


    "Milites, kommt, ab ins Lazarett. Die medici werden es nicht unbedingt besser machen, aber eure Verletzungen sehen zu übel aus."


    Zudem wollte Marcus nicht zugeben, daß er womöglich unterwegs noch mal Hilfe gebrauchen könnte. Langsam - und mit der Gefahr jederzeit wieder umzukippen - schlich sich Marcus in Richtung des Lazaretts.

    Kalt zog der Morgen auf, noch kälter als die Nacht. Doch keine Tautropfen fiel wie im milden Italia. Trocken war auch der Morgen und alles seltsam still um Marcus herum. Eben noch hatte der junge Mann wie wild auf ihn eingeredet. Marcus hatte kein Wort davon verstanden, war er trotz seiner offenen Augen noch benebelt vom Schmerz und der vorangegangenen Schwärze. Nur Genickt hatte er, doch da war der Decimer schon weg. Mit großer Anstrengung vermochte Marcus auf seinen linken Ellbogen zu rollen und einen Blick um sich zu wagen. Keine Soldaten waren zu sehen, nur der türkisfarbene Himmel, der sich sachte in einen güldenen Ton wandelte, erstrahlte vor ihm. Ein Adler zog seine Kreise, aber genauso noch das Aasvolk. Aristides runzelte die Stirn und langsam dämmerte ihm, was vorgefallen war. Nur nicht, warum er hier oben war. Stimmen ertönten in der Nähe und dann feste Schritte. Marcus zischte leise zwischen seinen Zähnen hindurch als er sich aus Versehen auf seinem rechten Arm abstützte. Einige Steine polterten neben ihm herunter und es gelang ihm noch nicht mal, sich richtig aufzusetzen. Verdutzt bemerkte er den primus pilus an seiner Seite. Marcus holte tief Luft, die Kälte drang in seine Lugen, suchte danach den dämpfenden Nebel zu vertreiben. Doch es gelang immer nur für einige Herzschläge, dann suchte der Schmerz ihn wieder umnächtigen.


    „Das war...“


    Marcus bekam einen Hustanfall und hatte seine liebe Mühe sich weiter gegen den scharfkantigen Stein zu lehnen.


    „...nur die Generalprobe, primus pilus.“


    Das schiefe Grinsen wurde mehr zu einer schmerzlichen Grimasse als Marcus erneut mit dem Atmen kämpfte. Der Pfeil schien sich mit jedem Atemzug tiefer in ihn hinein bohren zu wollen. Hundeelend fühlte sich Marcus, gerädert, von den Fingern eines unsichtbaren Gottes durch gemahlen und dann wieder nutzlos ausgespuckt. Doch gänzlich gehen laßen wollte er sich nicht. Bei Mars, nein! Doch mehr als über den Vorsatz kam er nicht hinaus, denn als er sich mit seiner Hand hochziehen wollte, bemerkte er erst zu spät, daß es erneut seine rechte Hand war. Glühendheiße Nadeln zogen durch seinen Arm und raubten ihm fast abermals das Bewußtsein. Ärgerlich krallte Marcus sich fest, um nicht auch noch vom Hang zu rutschen. Unter ihm schien es schwindelerregend tief zu gehen. Verblüfft blinzelte Marcus auf. Er grinste nun doch und fast hätte sich ein leises Lachen aus seiner Brust gelöst, doch ein aufkeimender Schmerz verhinderte das.


    „Danke, centurio. Ich bemühe mich auch redlich, nicht noch mal verloren zu gehen.“


    Marcus versuchte sich erneut abzustützen. Wäre doch gelacht, wenn ein Flavius nicht selber auf die Beine käme. Abermals wurde Marcus von sich selber enttäuscht. Er seufzte resigniert. Es sollte wohl nicht so sein.


    „Kommt schon, milites. Helft einem alten Mann auf die Beine.“


    Hatte er das grade gesagt? Herrje, dabei versuchte Marcus stets, sich vorzugaukeln er wäre selber noch ein junger Mann. Doch für die beiden Männer war er wahrscheinlich bereits in hohem Alter. In dem Augenblick war es Marcus egal. Zudem hatte er einen unsäglichen Durst, es brannte auf seiner Zunge und sie fühlte sich seltsam pelzig und taub an. Außerdem war er sich nicht sicher, wie lange ihn seine letzten Kraftreserven einen wachen Geist schenken würden. Marcus streckte seinen linken Arm aus, um sich aufhelfen zu laßen.

    Ungnädig starrte der Geier auf sein Opfer hinab. Doch was war da? Eine Bewegung. Der Geier spähte auf und wurde gerade vertrieben als er auf der Brust von Aristides landen wollte. Ein krächzender Laut und der Geier erhob sich in die Luft. Er würde sich wohl für heute doch einen anderen Kadaver suchen müßen. Marcus öffnete blinzelnd die Augen. Ein Schemen war über ihn zu sehen, das Krächzen des Geiers klang noch in seinen Ohren. Stöhnend hob Marcus eine Hand und versuchte dieses Tier zu verscheuchen. Doch der Schemen, er ging nicht weg, nein, er sprach sogar mit ihm. Wirres Zeug drang zu Marcus, die Worte rauschten um ihn herum. Milchig blau schien alles um ihn herum gefärbt zu sein. Er blinzelte einige Male und spürte den Schmerz durch seine Schulter rasen. Der Helm schlug blechern gegen einen Stein. Marcus bekam besser Luft und er sog diese tief in sich hinein. Ein Stechen ging durch seine Seite, doch seine Sinne begannen sich zu klären- leider. Denn damit wurde der Schmerz an seiner Schulter und seinem Arm umso heftiger. Mühsam hob Marcus seine Hand, die völlig blutig war und fuhr sich über die Stirn, die auch einiges an diesem Lebensodem abbekommen hatte.


    Der kalte Stahl an dem Hals von Arsarkes fuhr wie der Hauch des Todes durch seinen Körper. Arsarkes riß die Augen auf. Rasselnd zog er Luft in sich hinein. Er spürte bereits einen feinen Schnitt an seiner Haut, einen Blutstropfen, der hinab perlte und den Römer dicht hinter sich, der nur eine langsame, aber todbringende Bewegung vollführen mußte, um ihn ins Jenseits zu schicken. Abgestochen wie eine elende Sau und das noch nicht mal auf dem Schlachtfeld. Doch Arsarkes hatte kein Bestreben, ruhmvoll in der Schlacht zu sterben. Er wäre lieber für ewig in die Geschichte eingegangen mit seinen Versen und ausdrucksvollen Gedichten. Seine Beine wurden einen Moment weich, wollten ihn nicht mehr tragen. Reiß Dich zusammen! Die Stimme seines Vaters drang bis zu Arsarkes. Zudem war der Anblick von Zuhabra und Avitus ein weiterer Schock für Arsarkes.


    Schmerzlich wurde Zuhabra an seinen Fuß erinnert. Zu langsam bewegte er sich, seine Reflexe waren erlahmt und zudem er schlecht bewaffnet. Er biß die Zähne zusammen. Sicherlich, er hätte sich verdrücken können. Hätte die Flucht antreten können und seinen Freund zurück lassen. Aber Zuhabra war nicht so. Kalt starrte er in die Augen von Avitus. An dessen Bewegungen erkannte Zuhabra, daß er keinen Anfänger vor sich hatte. Zuhabra spannte seinen Körper und sprang auf Avitus zu. Schnelligkeit mußte die kurze Reichweite seiner Waffe wett machen. Doch abermals verließ ihn sein Körper. Ein Zischen entfuhr ihm, als sein Fuß versagte. Sein Dolch glitt an Avitus vorbei, ohne ihn auch nur zu berühren. Erstaunt sah Zuhabra an sich hinab. Er sah das gladius sich durch sein Fleisch bohren, spürte das warme Blut an sich herunter rinnen. So geht es zu Ende?, fragte er sich. Der Dolch fiel polternd auf den steinernen Boden. Unglauben stand in Zuhabras Augen geschrieben. Langsam taumelte er zurück. Seine Hand tastete zu der blutströmenden Wunde und dann kam der Schmerz. Bohrend, heftig wie es Zuhabra noch nie in seinem Leben gespürt hatte. Ein qualvoller Laut drang von seinen Lippen. Er sank auf seine Knie und krallte sich mit seinen blutverschmierten Händen an einen Felsen. Dann verlor er den Halt. Sein Körper stürzte, den Hang hinab. Geröll wurde mitgerissen, eine kleine Lawine löste sich und Staub wurde aufgewirbelt.


    Das war das Letzte was Arsarkes sah. Mit erschrocken geweiteten Augen starrte er der Staubwolke hinter her. Die Worte von Avitus vernahm er nicht mehr. Arsarkes blinzelte einige Male, dann spürte er nur noch einen gewaltigen Schmerz an seinem Kopf. Mihr sei mit uns! Das war sein letzter Gedanke ehe er zusammenbrach.


    Der goldene Schimmer der Sonne war nun über den Horizont getreten. Erleuchtete die Berge sanft und mild, machte aber auch das schreckliche Bild der Nacht umso deutlicher. Blut klebte an den Felsen, Leichen waren im Talgrund zu sehen und die Geier stürzten sich auf all jene Unglückseligen, die nicht für eine anständige Bestattung mitgenommen worden waren. Marcus Sinne hatten sich soweit geklärt, daß er den Jüngsten in seiner Truppe über sich ausmachen konnte. Nur: Wo war er? Verwirrt und benommen sah sich Marcus um.


    „Was...“


    Marcus hustete und versuchte sich ab zu stützen, doch der Schmerz zuckte scharf durch seine Schulter, so daß er angestrengt Luft holen mußte.


    „Was hast Du gesagt, Decimus?“


    Parther, Primus Pilus? Marcus war sich nicht sicher. Kräftezehrend war es, aber Marcus konnte sich etwas aufsetzen. Alles wirbelt um ihn herum und er fühlte sich wieder auf ein Schiff zurück versetzt. War nicht eben noch die Schlacht gewesen, das Scharmützel auf jeden Fall? Und war da nicht der Parther, den er getötet hatte? Doch nun war er oben am Hang. Marcus war ratlos.

    Gespenstern aus der anderen Welt gleichend zogen die schwarzen Schemen am Morgenhimmel entlang. Lang sind ihre Hälse, weit ihre Schwingen. Immer wieder zogn sie ihre Bahnen über dem trockenen Flußtal. Geifernd und gierend lächzten sie danach sich zu den Leichen hinab zu bewegen. Ein Geier landete in der Nähe von Marcus und flatterte mit den Flügeln. Langsam und scheu näherte sich das Tier dem centurio. Der war jedoch weit fort und bemerkte den Aasgeier nicht. Auch das erschrockene Wiehern oder das Poltern in seiner Nähe. Immer flacher wurde sein Atem. Der Vogel näherte sich ihm und stieß mit seinem Schnabel gegen die blutige Schulter von Marcus. Ein Stöhnen ließ den Vogel aufschrecken. Hastig flatterte er auf den Stein neben Marcus. Mißtrauisch beäugte das behäbige Tier den Soldaten, der immer noch nicht sein Leben ausgehaucht hatte. Hätte man in die Gedanken- sofern dieses Tier solche besaß- geschaut, womöglich hätte man dort das Bedauern erkennen können, daß es sich ausgerechnet den noch Lebenden auf dem Feld des Scharmützels ausgesucht hatte. Der Hals des Vogels verrenkte sich, doch dann beäugte er noch mal sein Opfer und wartete darauf, daß dieser endlich starb.


    ----Weit entfernt und im Auge eines Sturmes---


    ...rang Marcus mit den tosenden Elementen. Die Kette schien ihn zu erwürgen. Seine Kraft nur noch marginal vorhanden. Mit einem Mal löste sich die Kette und Marcus konnte Luft holen. Gerade rutschte sein Finger von der Kante. Nur mit letzter Kraft konnte Marcus seine andere Hand an den Rand des Abgrundes greifen. Das wütende Toben unter ihm suchte ihn zu fangen. Doch mühsam zog sich Marcus höher....


    -------- und schlug abrupt die Augen auf. Ein schwarzer Schatten schwebte über ihn. Eisige Kälte durchdrang ihn. Stöhnend hob er seine Hand, ein Schmerz zuckte durch seinen Arm.


    Im Tal konnte der junge Parther nur die Schemen der Steine ausmachen. Einem alten Mann gleichend war eine Felsformation nach vorne gebeugt. Ein Schmunzeln zuckte über das Gesicht des jungen Parther. Gleich darauf vernahm er oben am Himmel ein Rauschen und er sah einem der Todesboten hinterher. Glatt wäre er versucht gewesen nach einem Stein zu greifen und dem Tier hinter her zu werfen. Denn er haßte jene Aasgeier, die sich an den Leichen verdienter Soldaten labten. All jene, die sie nicht mitnehmen konnten um ihn eine anständige Bestattung an zu gedeihen. Doch die Pferde zerrten immer unruhiger an seiner Hand.


    „Psst. Was ist denn los, Morgenwind.“


    Arsarkes sah wieder nach vorne und erschrak als er direkt Avitus gegenüber stand. Zu langsam sind seine Reflexe. Er war noch nie ein großer Kämpfer, mehr ein Denker. Und womöglich wurde das dem jungen Mann zum Verhängnis. Seine Hand ging dann doch zu seinem Schwert an der Seite. Er suchte danach, es zu ziehen. Doch wieder verhakte es sich, wie so oft. Panik stieg in Arsarkes hoch. Ein Stoßgebet schickte er zu den Göttern. Aber dann erkannte er, daß der Mann vor ihm ungerüstet war. Sparsus hatte er immer noch nicht bemerkt.


    „Es hat genug Tote gegeben, Rhomaer!“


    , setzte er an. Auf Griechisch, denn Latein sprach auch Arsarkes nicht. Womöglich konnte er den Römer überzeugen? Ein vager Hoffnungschimmer keimte in ihm auf. Ebenso als er einen Schemen hinter dem Mann ausmachen konnte. Zuhabra! Wie so oft wollte Zuhabra ihm zu Hilfe eilen. Doch aus irgendeinem Grund war Arsarkes das Morden zu viel. Gerade setzt er an, um Zuhabra daran zu hindern. Doch dann- ein lautes Poltern, ein Stein kullerte in ihrer Nähe davon. Erschrocken sah Arsarkes nach unten.


    Zuhabra trat lautlos über einen Felsvorsprung. Sein Schatten erstreckte sich über den Hang und folgte ihm dicht auf. Genauso kauernd war sein Ebenbild auf den Felsen. Ein Stein schlug direkt neben seinem Kopf gegen die Felswand. Laut polternd fiel er herunter und kullerte den Hang hinab, löste kleinere Steine und Geröll. Zuhabra unterdrückte einen zischenden Fluch und biß sich auf die Zunge. Doch dort unten mußte jemand sein. Jetzt oder nie! Sein Dolch blitzte auf in den ersten Strahlen der Morgensonne und er sprang nach vorne. Ein Windhauch eilte ihm voraus als er auf Avitus zusprang. Sein Dolch wollte sich den Weg in seinen Nacken suchen.

    Die blaue Stunde griff um sich. Zart gefärbt erschien der Himmel und vor diesem zeichneten sich deutlich die Konturen von dem zweiten und jungen Parther ab. Arsarkes Gedanken waren nicht ganz bei der Sache. Zu unaufmerksam führte er die beiden Pferde über das steinige Gelände. Ihre Hufen klapperten, leiser als normal. Denn wenigstens hatte der junge Soldat daran gedacht ihre Hufen mit seinem Umhang zu dämpfen. Jetzt wo die anderen Reiter ihren Rückzug nicht mehr decken konnten, waren sie selber eine leichte Beute für die Römer. Sein Rappen stoberte an seiner Schulter und stieß seinen warmen Atem in seinen Nacken. Arsarkes sah zu dem Roß und legte beruhigend die Hand auf seine Nüstern.


    „Psst, Morgenwind. Psst. Die Römer sollen uns nicht hören. Was würde Vater sagen, wenn ich von dem feigen Pack nieder gestreckt würde?“


    Arsarkes litt schon lange unter der Meinung seines Vaters. Obwohl der Älteste von seinen Brüdern und der Träger des Namen seines Vaters und dessen Vaters, war Arsarkes kein starker Mann geworden. Doch sein Sinn für Gedichte war in seiner Familie verschwendet. Immer schon hatten sie als Soldaten gedient. So lange alle Erzählungen zurück reichten. Der junge Parther war nicht das erste Mal in ein Kampf verwickelt, hatte jedoch noch nie so eine Wut wie in dieser Nacht verspürt. Versunken führte der Soldat die Pferde den schmalen Ziegenpfad am Hang entlang. Wo war nur sein Kamerad? Der Einzige aus ihrer Einheit, der ihm stets Rückendeckung geboten hatte und vor den Hänseleien der Anderen bewahrte. Seine Augen starrten durch die sich erhellende Dämmerung. Da! Da war der Stein. Ein leises Pfeifen wich durch seine Zähne. Hell und leise, gar schon etwas kläklich. Unruhig zog sein Rappen an dem Strick. Auch der Rote hinter seinem Roß wiehert hell und klar auf. Nervosität zeigte sich bei den Pferden. Erstaunt sah der junge Parther zu den Pferden und dann auch hinab in das dunkle Tal...


    ----Und fern dieses Tals, wo man nur einmal hingehen sollte oder es jede Nacht tat, wenn die Götter einen Mann strafen wollten---
    Phlegeton und Kokytos lachten ihn mit tosendem Hohn ins Gesicht. Das Sehnen wurde immer drängender, das Zerren strenger, unmenschlich gewaltig. Wie konnte er sich als kleiner Sterblicher dem erwehren? Viele Stimmen vereinten sich zu einem unmenschlichen Chor. „Spring, laße Dich fallen!“, schrien sie. Marcus runzelte die Stirn. Es klang sinnig und einleuchtend, denn dafür war er doch hierher gekommen. Der Hain der Persephone wisperte ähnliche Laute. Langsam nickte Marcus. Ein Schritt...der Fuß hob sich und Marcus sah auf. Was war das? Eine Gestalt zeichnete sich hinter Kokytos ab. Schwarze Nebelschwaden gierten nach der zartweißen Silhouette. Eine Frau? Verblüfft starrte Marcus die junge Frau an. Worte schien sie zu formen; doch sie übertönten nicht das Tosen. Marcus Fuß fand wieder halt auf den glatten, schwarzen Steinen. Er erkannte die Frau. Seine Lippen pressten sich zusammen.


    Er trat einen Schritt zurück. Das Sehnen wurde schwächer und das Zerren gnädiger. Noch ein Schritt, gleich würde er die Pappeln hinter sich streifen. Die Kälte wurde frostiger, die Schreie der Flußgeister enttäuschter. Marcus drehte sich um. Seine Füße wollten ihn fort von dem Riß in der Erde tragen.


    „Du entkommst nicht. Nicht dem Gericht.“


    Es war als ob eine eisige Kette um seinen Hals geschlungen wurde. Marcus keuchte auf und wurde nach hinten gerißen. Seine Finger krallten sich in die kalten Steine, welche jedoch weich, kalt und glitschig wurden; sie boten ihm keinen Halt mehr. Schon hing er über den donnerndem Wasserfall. Nur noch drei Finger hielten ihn an dem Felsen. Der Stein schnitt scharf in seine Finger und die Kälte breitete sich in ihm aus...


    ----------


    ...fröstelnd zog Zuhabra den Umhang um sich. Der Morgen brachte noch mehr Kälte als die Nacht. Erst die Strahlen Mihrs würden diese vertreiben. Doch bis die Wärme auf den Hang fielen, wollte Zuhabra hier nicht verweilen. Doch da! Das Zeichen erklang. Sein Kamerad konnte immer noch nicht richtig pfeifen. Wie oft hatte Zuhabra mit dem jüngeren Mann geübt. Doch dieser war Besser mit der Feder als mit dem Schwert, wenn auch mittlerweile ein passabler Soldat. Doch aus irgendeinen Grund hatte Zuhabra den jungen Mann ins Herz geschlossen. Er erinnerte ihn an seinen jüngeren Bruder oder doch an Zaradran? Eigentlich amüsierte es, daß ausgerechnet sein jüngerer Kamerad ihn sein Leben gerettet hatte. Gerade wollte sich Zuhabra erheben als er einen Schemen erkannte. Bei Mihr, ein Römer? Zuhabra spähte durch die Dämmerung. Seine Augen waren trotz seiner vierzig Lenze noch gut. Und die Schemen näherten sich seinem Kameraden. Zuhabras Augen verengten sich und er zog seinen Dolch. Mit einem leisen Ruck an der Rüstung von Aristides zog er ihn tiefer hinter den Felsen. Daß er den Römer dabei halb erwürgte, war Zuhabra egal. Gewandt duckte er sich in den Schatten der Felsen und schlich an dem Ziegenpfad entlang. Der Schmerz dröhnte dumpf in seinem Fuß bei jedem Schritt. Doch Zuhabra biss den Schmerz herunter. Geschmeidig und lautlos näherte er sich Avitus, der ihn nicht bemerkt zu haben schien. Dabei entging Zuhabra jedoch die zurück gebliebenen Soldaten am Fuße des Hanges. Nur die beiden Römer, die sich seinem Kameraden ungesehen nähern wollten, beobachtete Zuhabra. Nur noch wenige Schritte und er würde den Dolch dem Römer in den Hals stechen. Seine Augen fixierten den Punkt über der Tunika. Erstaunt stellte Zuhabra fest, daß der Römer noch nicht mal eine Rüstung trug. Umso leichter...

    Flüsternde Worte entfleuchten dem Parther. Der Wind ergriff die Gebete, zerfaserte und trug sie hinauf, um höchstenfalls von seinen Göttern erhört zu werden. Andächtig betrachtete Zuhabra das erhabene Schauspiel der Sonne. Langsam verfärbte sich der Horizont. Ein mildes bläuliches Schimmer glitt hinüber in ein pastellenes, rosefarbenes Leuchten. Den Rand der Sonne erahnte der Soldat schon lange vorher. Scharf zeichneten sich die Schatten um ihn herum ab, umschmeichelten ihn und schienen ihn mit dem Hang zu verschmelzen. Immer mal wieder sah der Soldat nach oben, wohin sein Kamerad geklettert war. Den schmalen Pfad, womöglich einst von Ziegen bestiegen, konnte er noch nicht ausmachen. Aber er wußte, daß dieser dort war. Der Parther kannte die Gegend gut, er liebte sie. Denn sie war seine Heimat, das Haus seiner Geburt nur einige Steinwurf von hier entfernt. Womöglich hatte er deswegen besonders viel Ingrimm verspürt. Er zog einen langen, schlanken Dolch. Scharf war dieser. Jeden Abend schärfte Zuhabra den Dolch und seine Waffen. Das Murmeln und Stöhnen neben ihn reizte seine Nerven. Immer wieder drehte Zuhabra die Dolchspitze an seiner Hand. Ein Stich und sein Gefangener würde tot sein. Reiter galoppierten unter ihm hinweg. Schnell duckte sich Zuhabra neben dem Stein, der ihm Schutz und ein Versteck bot. Abermals sah er nach oben. Doch noch immer war sein Kamerad und ihre Pferde nicht zu sehen. Waren die Pferde womöglich durchgebrannt? Sein Kamerad bereits tot? Doch Zuhabra wähnte sich von Ohrmazd, Anahid und Mihr gesegnet. Als er verletzt vom Pferd gestürzt war, glaubte er sich bereits bei seinen Eltern und Vettern, die schon vor Jahren verstorben waren. Doch die Götter hatten ihn den Sturz überleben lassen und sogar aus dem Getümmel entkommen. Nun saß er hier mit dem Gefangenen. Einem ihrer Hauptmänner. Womöglich hätte er doch nicht Einhalt gebieten sollen. Nur ein Stich....


    -------Ganz woanders und in einer Welt, in die niemand dem centurio folgen kann-------
    Ein donnerndes Rauschen raubte Marcus jegliche Sinneskraft. Schwarze Fluten fielen in eine Unendlichkeit, bildeten unheilvolle Wirbel und rißen alle mit sich, die sich nicht halten konnten. Deren Kraft entwichen war und denen jegliche Lebenswille genommen wurde. Ein Leichentuch bedeckte seinen Körper. Blut sickerte aus vielen Stellen und färbten das bleiche Tuch tiefrot. Vewirrt starrte Marcus auf das Toben um sich herum. Überall flossen die Bäche zu einem mächtigen Strom zusammen, es schien kein entkommen mehr zu sein. Die Steine des Ufers waren blank gewetzt von dem Wasser, daß ihn von hinten eingeschloßen hatte. Zwischen all dem thronte ein Hain. Silbergraue Pappeln bewegten sich träge hin und her, doch die Blätter hingen schlaff herunter, tot und verdorrt. Nebelfetzen zogen durch die Erlen und Weiden- alle schwarz und verkrüppelt. Tot. Die kimmerische Finsternis hielt Marcus fest im Griff.


    „Ai, ai!“


    Hohl dröhnte eine Stimme bis zu Marcus. Ein Reiter galoppierte durch die Erlen hindurch. Sein Gesicht war zu einer schwarzen Fratze verzerrt, sein Pferd stieß Wolken aus schwarzer, um sich greifender Kälte hervor, das Fell glänzte blutigrot und die schwarzen Schwingen waren an den Pferdeleib gepresst. Vor Marcus warf der Reiter ein Bündel auf den Boden und verschwand im blaugrauen Nebel. Perplex sah Marcus auf den Mann hinab- dem herabgeworfenen Bündel. Dieser stöhnte leise und erhob sich schwankend. Blut war im Gesicht des Mannes und ein Pfeil steckte in seiner rechten Schulter. Sanft erzitterte der Schaft. Ohne Erstaunen erwiderte der Mann seinen Blick.


    „Endlich. Nun sind wir angekommen!“
    - „Wo angekommen?“
    „Am Ende. Dort wo Du hin willst. Somit ich auch.“
    - „Was, wie? Wer bist Du?“


    Der Mann lächelte dünn und trat an den Rand des Ufers. Mit einer gewissen Freude im Gesicht starrte er in den ewigen Abgrund.


    „Ich bin Du!“


    Marcus runzelte die Stirn und schüttelte abwehrend den Kopf. Doch es war nicht zu leugnen. Er trug sogar die selbe Pfeilwunde an der Schulter. Und tropfte nicht das Blut von dem tiefen Schnitt an seinem Arm? Die roten Schlieren floßen über den schwarzen Stein, die den Lebensodem aufzufreßen schienen. Höhnisch lachte sein Ebenbild und deutete einladend auf den Abgrund.


    „Spring!“


    Sein Ebenbild hob seinen Fuß, breitete die Arme aus und glitt wie ein Vogel in das schwarze Rauschen hinein. Seine Gestalt wurde von dem Tosen verschluckt. Marcus verspürte ein sehnliches Ziehen dorthin. Ein Schritt, ein Sprung....


    -------------



    ....ein Stich. Nur ein Einziger. Der Parther starrte auf die sich deutlich abzeichnende Schlagader am Hals. Direkt neben dem kleinen Lederriemen, der den Helm von Aristides an dessen Kopf hielt. Woran Zuhabra ihn erkannt hatte- als Hauptmann. Schnaubend steckte Zuhabra den Dolch weg. Nein, so nicht. Er- Zuhabra- war kein Mann ohne Ehre. Düster starrte er hinunter auf den schmalen Weg, den sie vom trockenen Flußtal hinauf gewählt hatten. Über ihn vernahm er ein Wiehern. Ob das sein Kamerad war? Ärgerlich sah Zuhabra auf Aristides. Sie würden ihn noch sehr viel höher ziehen müssen. Noch nicht mal die Hälfte des Weges hatten sie bewältigt. Mihr dankend, den Sturz überlebt zu haben, wartete Zuhabra auf das leise Pfeifen, woran er seinen Kameraden erkennen würde...

    Kalt fuhr der Wind über das Zelt hinweg. Die Stangen des Zeltes klapperten leise. Das Tuch bauschte sich auf und fiel wieder schlaff zurück. Durch die Ritzen des Zeltes zog der bitterkalte Luftstrom. Marcus erschauderte und doch war es nicht die Kälte, die ihn dazu trieb. Doch der Wind trocknete etwas den Schweiß auf seiner Stirn. Wild tanzte das Licht in seinem Zelt und warf groteske Schatten, verzerrte die Ombrage des optio. Mal nach dort, dann in die andere Richtung schien Priscus zu tanzen. Doch womöglich täuschten auch nur Marcus Augen ihn. Marcus Nasenflügel erzitterten heftig als er die Luft in sich einziehen wollte. Kalt stach sie in seinen Lungen, der Rauch der Öllampe kratzte in ihm. Und doch klärten sich ein wenig seine Sinne. Ein Zittern breitete sich tief in ihm aus. Sie haben sie mir genommen. Mein Kind. Immer mehr dringt diese Nachricht an Marcus heran. Immer stärker realisiert er die schlimme und grausame Botschaft, die ihm seine Verlobte in wenigen Zeilen übermittelt hatte. Ohne es zu ahnen. Oder doch? Erst dann wurde Marcus wieder seines Stellvertreters gewahr. Keine Kinder? Womöglich war es ein Glück für den optio. Es war doch nicht richtig, dass ein Vater sein Kind überlebt. Nein, gewiss nicht.


    „Die Kinder sollten länger leben als ihr Vater. Sie sollten ihn bestatten und nicht umgekehrt. Findest Du nicht auch?“


    Eigentlich hatte Marcus den Gedanken nicht aussprechen wollen. Doch er merkte, daß ihm die Selbstbeherrschung entglitt. Und mit dem letzten Quentchen, was er noch aufbringen wollte, würde er sich nicht vor seinem Stellvertreter derart gehen lassen. Dignitas! Wie oft hatte ihm das seine Mutter eingebläut. Marcus erhob sich mühsam. Nur die Zeltstange, an der er sich festhielt, verhinderte einen erneuten Zusammenbruch. Fahlblaß sah er im Gesicht aus.


    „Es geht schon, optio. Danke. Du kannst wegtreten.“