Beiträge von Marcus Flavius Aristides

    Der Griffel quietschte über die Tafel, Appius notierte fleißig und ärgerte sich jetzt schon, daß er noch mal die Archive öffnen und den Decimer dort eintragen mußte, die Musterungsrollen ergänzen und einige andere organisatorische Dinge erledigen sollte. Dabei wollte in wenigen Stunden die Legion abziehen und er hatte noch einen Haufen von Dingen zu tun, ehe er sich anschloß und der Versorgungseinheit folgte. Er würde mit, wie der Legat, einer der Letzten zwar sein, die das Lager verließen, dennoch war er unter einem gewissen Zeitdruck. Seine Nase wackelte abermals hin und her, er suchte mit einer Hand nach dem Linnentuch, womit er seine Nase schneuzen konnte und sah- nachdem er alle Angaben des jungen Mannes notiert hatte- erneut auf. Ja, was sah er ihn so erwartungsvoll an. Der Decimer sollte ihm sagen, was er wissen sollte und nicht umgekehrt. Wo kamen sie da hin, daß die Anwärter hier die Fragen stellte? Unzufrieden schüttelt Appius den Kopf, hielt seine spitze Nase- die weit aus dem Gesicht heraus ragte- an das Tuch, schnaubte kurz durch, tupfte sich die Nase trocken und steckt das Tuch wieder weg, was er sogar selber bestickt hatte.


    „Was Du meinst, was Deinen Dienst hier erschweren könnte! Denn wenn da ein schwarzer Schatten in Deiner Vergangenheit ist, den Du uns nicht mitgeteilt hast, kann es zu bösen Konsequenzen für Dich führen.“


    Appius sah dabei den Decimer nicht an, sondern nur auf die Wachstafel.


    „Fähigkeiten? Kannst Du Lesen und Schreiben? Reiten und Schwimmen? Hast Du ein Handwerk gelernt? Oder irgendwelche Sprachen? Welchen Beruf hast Du vorher ausgeübt?“



    Sim-Off:

    Fang doch einfach schon mal im valetudinarium und der Ausrüstungskammer an. Die Legion ist bald weg aus Italia und dann kann ich Dir - oder sonst jemand aus der legio- schwer antworten.


    [Blockierte Grafik: http://img510.imageshack.us/img510/268/leg1optiopf1.png]

    Im Grunde hatte Marcus durchaus die Tendenz ein wenig zum Cholerischen. Er konnte sich schnell aufregen, hatte einen kleinen Überfluß an schwarze Galle in sich und dies brach schon durch, wenn er nur den Tiberier sah- was leider in letzter Zeit immer öfter der Fall gewesen war. Aber im Grunde war das- mit der Galle- eine Eigenschaft, die wohl einfach im Manne lag. Doch Marcus Gesicht verfinsterte sich als er die Worte des Tiberiers hörte. So, so, Bruder? Nachdem dieser seine Mutter als eine lupa bezeichnet hatte, dies in seinen Grundausbildungen wohl gerne zu tun pflegte, war das noch mal ein Gipfel der Unverschämtheit. Doch Marcus versuchte den Tiberier zu ignorieren, sah in den Himmel, betrachtete die Vögel über dem Kastell, versuchte sich mit Gedanken zu beschäftigen- es gelang nicht sonderlich gut- und sah dann doch wieder nach vorne, gerade als das Pferd sich aufbäumte. Pah, Angeber!, dachte Marcus und gab dem cornicen und signifer ein Zeichen, sich bereit zu machen. Ruhig wartete Marcus erst auf die Befehle des ersten centurio. Erst als sie an der Reihe waren gab er den leisen Befehl weiter, der cornicen blies in sein Horn, der signifer trabte voran und die ersten Reihen marschierten los, ebenso Marcus. Bis der letzte Mann aus dem Tor war, würde es noch eine Weile dauern, und die Ersten würden schon ein gutes Stück vom Lager entfernt sein. Marcus gehörte mit zu den Ersten, nach der ersten centuria, die das Tor passierten, das Lager zurück ließen und sich aufmachten in eine ungewisse Zukunft, einem fremden, exotischen und feindseligen Land und weit weg von seiner Familie.

    Einfach nur Sprachlosigkeit ergriff Marcus. Er sah seine Tochter lange an und ließ das Schweigen über dem Essen währen. Denn keiner der Antworten war etwas, womit er gerechnet hätte. Im ersten Moment war es Wut, die in ihm aufstieg, die in seinen dunkelbraunen Augen aufblitzte, welche dann sofort von Kummer abgelöst wurde. Seine Stirn schlug sich in Falten und er sah stumm in den Garten. In all den letzten Monaten hatte sich Marcus selber belogen, getäuscht und vor gegauckelt, alles würde wieder in Ordnung kommen, wenn seine kleine Tochter ein wenig Ruhe, die Besinnung der Familie haben könnte. Doch nun, und offensichtlicher ging es nicht mehr, erkannte er, wie sehr er sich selber etwas eingeredet hatte. Es schien ihm fast so, als ob er seine kleine Tochter verloren hätte und eine Fremde saß ihm gegenüber. Das stimmt nicht!, schollt sich Marcus und atmete tief ein. Doch dieses unbestimmte Gefühl wollte sich nicht mehr aus den Tiefen seines Geistes entfernen laßen.


    „Glaubst Du wirklich, Arrecina, daß ihr mir so egal seid? Du und Lucius?“


    Womöglich dachte sie das tatsächlich. In jenen Tagen war sich Marcus einfach nichts mehr sicher, was seine Kinder dachten oder fühlten. Womöglich lag es doch an der Zeit, die er in der Legion verbracht hatte, daß er nicht mehr in die Gesichter seiner Kinder sehen konnte und wußte, was los war. Früher hatte er sie selten länger als einen Tag nicht gesehen, doch in den letzten beiden Jahren war Marcus immer wieder Wochen oder Monate weg gewesen ehe er wieder zur Familie zurück kam. Ausnahmsweise war Marcus der Appetit vergangen und er ließ das Essen unbeachtet auf dem Tisch stehen. Doch ihre derart schlechte Meinung über die eigene Familie erschütterte Marcus umso mehr, der er doch ein Familienmensch war, dessen Loyalität gegenüber den Flaviern am Meisten zählte.


    „Bist Du nicht ein wenig ungerecht, gegenüber Deinen Verwandten hier in Rom? Welche Tür steht Dir nicht offen, wenn Du Dich alleine fühlst? Gracchus, der doch immer alles tut, damit es der Familie gut geht. Sicherlich, Minervina ist eine sprunghafte junge Frau, aber sie würde doch niemals einem Familienmitglied den Rücken zukehren. Oder Leontia? Und was soll das heißen, der Name Flavia wäre ein Käfig...?


    Marcus schüttelte ungläubig und verwirrt den Kopf.


    „Der Name Flavia öffnet Dir Tür und Tore in jedes, wirklich jedes Haus, von Rom. Welche Familie kann das schon sagen? Oder meinst Du, Du hättest bei den Aureliern oder Claudiern ein glücklicheres Leben? Eines mit weniger Standeserwartungen?“


    Seine Augenbrauen zogen sich unbedeutend zusammen, eine steile Falte erschien zwischen ihnen und er betrachtete Arrecina aufmerksam.


    „Oder heißt das, Du wärest lieber eine Plebejerin? Arrecina, wenn, dann gibst Du Dich noch mehr dem Lug und Trug hin, daß Du bei ihnen freier wärst. Was kann schon eine Frau der Decimer oder Iulier mehr als Du? Worin besteht der Unterschied? Wenn es nach Deinem Vergleich mit dem Käfig ginge, dann ist der Unterschied bestimmt nur in der Farbe des Gefängnisses zu finden. Du hast einen Goldenen und sie einen Silbernen. Und was ist mit den armen Plebs? Möchtest Du wirklich den ganzen Tag arbeiten? An einen Handwerker verheiratet sein, schon vor Jahren, und bereits drei Kinder haben, wo Du nicht weißt, ob das eine Kind nicht dem bösen Winterhusten verfallen wird, weil ihr nicht genug Geld habt, um einen medicus zu bezahlen?“


    Seine Kinder gaben sich scheinbar irgendwelchen Illusionen hin, wie das Leben gestrickt war. Marcus kam der spontane Einfall, so manch ein Patrizierkind täte es nicht schlecht, für einige Wochen oder Monate das Leben mit dem einfachen Pöbel zu teilen, um zu erkennen, was für Freiheiten und Luxus, Komfort und Annehmlichkeiten es hatte.


    „Oder möchtest Du lieber noch nicht mal eine Römerin sein? Vielleicht eine Griechin? Verheiratet und noch rechtsloser als eine Römerin? Eine Germanin womöglich? In einer Holzhütte lebend, ärmlich, bescheiden und im Winter in einem feindseligen Land? Weißt Du, daß ein Germane seine Frau nach Belieben töten kann? Eine Sklavin? Dann wärst Du in einem eisernen Käfig! Also, Arrecina, welche Familie, welchen Stand und welches Land würdest Du vorziehen gegenüber der Familie der Flavier?“


    Nun griff Marcus doch nach dem Wein, sah nur einen Herzschlag in die goldene Flüssigkeit und hatte die Hoffnung, er hätte sich am Ende verhört, aber scheinbar doch nicht. Denn die Worte hallten noch klar und deutlich in seinem Geist. "Und vielleicht will ich das wirklich," Marcus Nasenflügel erbebten.


    „Nein, ich habe noch niemanden für Dich ins Auge gefaßt...“


    ...weil einfach noch niemand gut genug für seine Tochter war und er sie immer noch als Kind betrachtete.


    „Du möchtest also verheiratet werden? Manus? Möchtest Du nicht mehr Teil der Familie Flavia sein? Hast Du gar schon jemanden in Aussicht? Gibt es etwas, was ich wissen sollte, Arrecina?“

    Langsam begann Marcus seinen Vetter zu verstehen. Immer dieses ständige Gefühl, man hinterließ mit dem eigenen Tun nur Chaos und Leid, Kummer und Sorgen. Dabei hatte Marcus sich nichts groß bei der ganzen Sache mit der Verlobung gedacht, zudem befand er durchaus, daß seine Kinder nicht das Recht hatten, derart fordernd bezüglich seiner Angelegenheiten zu sein. Aber unglücklich sehen, wollte Marcus keiner seiner beiden Kinder und war somit völlig ratlos.


    „Aber Arrecina, wie kommst Du darauf, daß ich Epicharis liebe? Ich kenne sie doch kaum. Sie ist eine freundliche, kluge und erfrischende Frau, so wie ich sie kennen gelernt habe. Aber das waren zwei Begegnungen bis jetzt vor der Verlobung...oder drei, ich weiß es nicht mehr so genau. Aber Epicharis hat wirklich nicht die derartige Verachtung verdient, die Lucius ihr entgegen gebracht hat. Ja, gut, ich verstehe, daß Du und er wütend auf mich seit, aber....aber...ach, verdammt und verflixt noch mal!“


    Marcus beugte sich vor und sah Arrecina eindringlich an.


    „Cinilla, Du hast Deine Familie hier. Leontia und Minervina zum Bespiel, aber auch Deinen Onkel Gracchus, Deinen Onkel Felix oder auch Deinen Onkel Aquilius...“


    Von dessem Techtelmechtel Aristides, den Göttern sei Dank, nichts wußte, sonst hätte er ihn mit eigener Faust das Herz aus dem Leibe gerissen und das auch noch genüßlich- Vetter hin oder her. Doch so versuchte er sogar noch mit dessen Nennung Arrecina ein wenig auf zu muntern.


    „Aber wäre es Dir lieber, wenn Du wieder zu Deiner Großmutter nach Baiae zurück kehrst? Ich, mein Sonnenschein, kann Dich nicht in den Krieg mitnehmen. Und wieso ist das ein Käfig hier? Du kannst in die Stadt gehen? In die Thermen, einkaufen, alles, was Du magst und Dich vergnügt, mein Kind. Oder....oder...“


    Marcus zögerte einen Augenblick.


    „...möchtest Du etwa verheiratet werden?“


    , fragte er schließlich, dabei eine große Hürde überwindend. Denn Marcus konnte den Gedanken nicht ertragen, daß ein Mann sich mit den widerlichen Gedanken- die nun mal jeder Mann in sich trug und Marcus insbesondere, deswegen kannte er sich auch so gut damit aus- seiner Tochter näherte.

    Ganz entrückt sah Appius seinem direkten Vorgesetzten hinter her- schließlich saß er in der Verwaltung und die wurde zur Gänze von Plautius geleitet. Appius starrte auf die hölzerne Tür, dachte über seine glorreiche Zukunft als centurio nach und strich dabei selig dem kleinen Kätzchen über den Kopf. Die Katze sträubte sich jedoch immer noch und richtete ihren Schwanz auf, als der Hund sich weiter näherte. Doch weder für das, noch für die Liegestütze hatte Appius einen Blick übrig. Er ging zu seinem Platz zurück, setzte sich und ergriff eine tabula. Ob die Männer ihn respektieren würden? Appius war sich dessen nicht ganz sicher und sogar mehr als skeptisch, weswegen er auch dementsprechend drein schaute. Dann sah er auf und in das Gesicht von dem jungen Mann vor sich. Ah, weiter im Programm. Appius sah auf die Schreibtafel hinunter. Zwar hatte er noch was mit Liegestützen im Hinterkopf, aber meinte auch ein gewisses Ächzen vernommen zu haben. Und was gute Liegestütze waren oder nicht, konnte Appius nicht genau sagen. Es waren schon Jahre vergangen, seitdem er zuletzt auf dem campus gestanden hatte.


    „Geburtsort? Krankheiten und Geistesgestörtheiten bei Dir oder in Deiner Familie? Hast Du schon mal gestohlen, betrogen oder einen Mord begangen? Bist Du irgendwo Aktenkundig und gibt es etwas, was wir wissen sollten?“


    Gelangweilt leierte Appius die Fragen hinab, denn eigentlich wollte er den Decimer so schnell wie möglich los werden, um mit seiner Katze die neuesten Nachrichten über seine Karriere besprechen und ihr seine Sorgen und Ängste, aber auch die Hoffnungen mitteilen.


    [Blockierte Grafik: http://img510.imageshack.us/img510/268/leg1optiopf1.png]

    Der Bißen blieb Marcus wahrlich im Halse stecken als er die Antwort von Arrecina vernahm. Schnell griff Marcus nach dem Becher mit dem goldenen Wein und trank ihn aus, sah dabei seine Tochter unverwandt und erstaunt an. Früher hatte er seinen Goldschatz derart nie erlebt. Sie war doch immer so liebreizend, offen und herzlich. Wie sehr er den Germanen doch dafür haßte, daß er ihm seine Tochter genommen hatte. Und nicht nur das, er mußte den Keim des germanischen Zornes in seine Tochter gepflanzt haben. Marcus schluckte und schüttelte den Kopf, erstmal ratlos was er auf die Vorwürfe erwidern sollte. Denn wenn er wütend wurde, würde sein Kind sicherlich in Tränen ausbrechen und den Anblick konnte Marcus nicht ertragen, tat er doch dann alles, damit die Tränen versiegten und Arrecina wieder lächelte. Marcus stellte den Becher zurück und fuhr sich mit der Hand über den Nacken.


    „Aber mein Sonnenschein, meinst Du, ich bin davon begeistert gewesen, wieder heiraten zu müßen? Deine Großmutter hat das alles in die Wege geleitet und was soll ich da schon machen...?“


    Seiner Mutter konnte Marcus einfach nichts abschlagen, hatte es noch nie und würde es wohl auch niemals tun. Er zuckte etwas hilflos mit der Schulter und seufzte leise.


    „Und daß Dein Bruder verschwunden ist, das wollte ich doch auch nicht. Ja, bei Iuppiter und Mars! Ich mache mir doch große Sorgen um Lucius. Schließlich ist er noch ein Kind und sollte nicht alleine draußen unterwegs sein. Im Übrigen laße ich schon seit gestern Nacht nach ihm suchen, mein Kind. Das kannst Du mir durchaus glauben. Aber was würde es bringen, wenn ich kopflos wie ein enthauptetes Huhn durch die Straßen Roms irre, wenn er doch schon längst die Stadt verlaßen haben könnte? Alle Anzeichen sprechen dafür. Hannibal kümmert sich auch darum und wird Lucius gewiß bald wieder in die villa bringen.“


    Auf den letzten Grund ihres Zornes konnte Marcus schwer etwas erwidern, denn sie hatte Recht damit. Es war so: Er zog in den Krieg und ließ seine Kinder zurück. Marcus presste seine Lippen aufeinander und starrte auf ein Stück Brot, dessen Körner und kleine Kerben des Bäckermessers er nicht sah, nur die Vorstellung von seiner zornigen kleinen Tochter. Er sah auf und direkt Arrecina an.


    „Es tut mir leid, daß ich in den Krieg muß. Auch, daß ich in den letzten Jahren so wenig Zeit für Dich und Lucius hatte. Scheinbar war es doch der falsche Weg in der legio und ich hätte womöglich besser getan, wenn ich Gracchus Pfaden gefolgt wäre. Aber jetzt kann ich mich meinen Pflichten nicht entledigen, der Kaiser und der legatus würden mich auch nicht mehr aus dem Dienst entlaßen. Aber Du wirst nicht alleine sein, mein Sonnenschein.“


    Marcus versuchte noch mehr Äußerungen zu finden, die seinen Kummer darüber Ausdruck verleihen konnte, daß er seine Tochter so lange nicht sehen konnte und durfte. Doch er fand keine, er war schließlich noch nie ein Meister großer Worte gewesen. So fragte er schlicht:


    „Du bist unglücklich in der villa hier?“

    Was tat Marcus, wenn er glücklich war? Er aß. Womit widmete er sich, wenn er frustriert war? Er aß. Was machte er, wenn er traurig war? Na? Dasselbe. So lehnte er sich zurück, griff nach einem Teller mit kaltem Fleisch, etwas Brot dazu und fing an zu schmausen. Schon die Hälfte des Tellers war gelehrt bis sein Vetter verstummte und Marcus die Wut in sich abgekühlt hatte und seine Gedanken sich mehr oder minder mit einer unangenehmen Materie befaßte, das Verheiraten, Heiraten und Ehebündnisse im Allgemeinen. Er würde wohl oder übel seiner Mutter einen Brief schicken müßen, denn Marcus sah sich außerstande etwas derartiges zu vollbringen. Doch er kam nicht umhin auf Gracchus Worte zwischen den Bißen zu lachen, wobei er sich zwischenzeitlich fast daran verschluckte.


    „Manius, Du bist wirklich ein Uni...Unika...Unidingsbums. Du weißt schon, was ich meine, oder? Alle Töchter zu den Vestalinnen schicken. Hah, herrlich!“


    Marcus lachte kollernd und wischte sich mit einer Hand am Augenwinkel entlang, als ihm die Lachtränen in die Augen schoßen. Erst dann, nach ein paar Mal tief Luft holen, widmete er sich wieder dem Essen und sah auf als das Angebot kam.


    „Das ist nett von Dir, Manius. Ach, mir fällt halt auch niemand ein. Die, die ich mag, die sind alle zu alt für mein Mädchen, zudem üble Rabauken oder knochentrockene Stubenhengste. Nein, nein, meine Tochter, mein Sonnenschein, muß schon jemand Besonderes erhalten. Das hat mein Mädchen schon verdient. Und zudem muß er ein anständiger und ehrenhafter Patrizier sein. Also nicht einfach. Aber ob Tiberier oder Aurelier ist mir in dieser Hinsicht gleich. Aber was soll's...sag mal, hast Du heute Abend noch was vor? Laß uns doch noch ein wenig in die Stadt gehen und über das Leid von Verlobten und Ehefrauen einen Tropfen vergießen.“


    Ob das noch passierte oder Marcus dann doch am Tage in den Thermen, die er später noch besuchen wollte, versumpfte, das zeigt sich an anderer Stelle oder nicht. Irgendwann war der Besuch seines Vetter vorüber und Marcus ließ sich noch länger massieren ehe er sich in den Garten begab, um sich seiner Tochter zu widmen.

    Das Schild auf dem Rücken, das gladius an der linken Seite und sonst kaum Gepäck an sich, schließlich waren seine Sachen auf dem Rücken eines Maultieres gepackt- immerhin ein Vorteil, wenn man den Rang eines centurio inne hatte- und so marschierte Marcus, an der Seite seiner Soldaten- die hundertsechzig Mann, für die er verantwortlich war- frisch und munter in die noch grüne Landschaft. Denn noch hatte die sommerliche Sonne, die Scheibe Sols nicht das grüne Gras verbrannt und nur den schmalen Streifen am Rande des Flußes bei Mantua übrig gelassen. Zwar versprach es ein heißer Tag zu werden, doch noch war die Hitze erträglich, noch waren sie alle ausgeruht und von all den Reden motiviert- zumindest galt es für Marcus, der das aber an so manch einem der Gesichter ablaß, die in der langen und weit ausgestreckten Kolonne marschierten. Nun, zumindest in seiner Sichtweite meinte er das zu eruieren. Nach einigen ersten Minuten, die erste hora war noch nicht verstrichen quatschten schon die Meisten der Soldaten munter an seiner Seite. Marcus meinte auch die eine oder andere Stimme zu erkennen, die ihm schon auf dem Exerzierplatz aufgefallen war. Natürlich kannte er den, der als Brutus angesprochen worden war. Ebenso die anderen Stimmen, wenn er auch nicht- noch nicht- jeden seiner Soldaten aus dem Efef mit Namen betiteln konnte, obwohl er sich auch schon einige verinnerlicht hatte. Jede Woche einen weiteren dazu gelernt.


    „Haste schon mal den Kaiser geseh'n?“
    „Jo, auf den Spielen mal in Roma. Da war ich mit meinem Liebchen!“
    „Und? Ist er wirklich 8 Fuß groß?“
    „Öhm, weiß net, hab ihn nur von Fern geseh'n! Größer als sieben war er gewiß net!“


    Marcus ließ sich etwas zurück fallen und bis ans Ende seiner centuria, die vorne von ihrem cornicen – momentan lautlos- in der Kolonne gehalten wurde und trat an die Seite von Priscus. Marcus ging einige Schritte schweigend und meinte, als sie ein kleines Wäldchen passierten, wo eine einzelne Rauchfahne von einem Gehöft hervor drang.


    „Der zweite Mann auf dem campus, der das Wort erhoben hat. Kennst Du ihn, optio?“


    Ein kleines Verslein fiel Marcus in jenem Augenblick ein: Priscus möchtest Du frein: Mich wundert's nicht- klug bist du, Paula. Aber er nimmt dich nicht: Priscus ist ebenso klug. Marcus Mundwinkel hoben sich ein wenig und er fragte sich, warum ihm der Vers ausgerechnet jetzt einfiel. Wie zu sich selber zuckte er mit der Schulter und griff nach dem Schlauch mit der säuerlichen Erfrischung.

    Gerade noch war Marcus dabei, sich ein wenig hin und her zu bewegen als er in der aufkommenden Hitze der Sonne sich unwohl zu fühlen begann und schon im nächsten Moment hatte er das Jucken an seiner Schulter vergessen. Denn die ersten Worte von Plautius, den man wohl noch in Mantua gut verstehen konnte, weckten Marcus Interesse. Er lauschte ihm und nickte ab und an. Meinte Gracchus nicht etwas wie: man müsste seine Reden dem Publikum anpassen? Plautius konnte das sicherlich, denn Marcus konnte ihm ohne Mühe folgen. Besonders der Part, der sich mit dem Schutze des Imperiums und der Metapher mit der Mutter beschäftigte, leuchtete Marcus ein. Nein, es leuchtete ihm nicht nur ein, es bewegte ihn und vermochte voll und ganz seine Zustimmung erringen. Denn niemand auf der Welt war Marcus derart wichtig wie seine eigene Mutter. Er liebte und verehrte sie abgöttisch und würde wohl alles für sie tun. Somit konnte er schnell den Schluß, mitgerißen von der Rede des praefectus, auch auf das Imperium ausdehnen. Marcus reckte sich ein wenig, fühlte noch mehr Stolz in sich aufkommen und den Drang hinaus zu ziehen, mit seinen Männern an der Seite und den verfluchten Parthern zu beweisen, daß sie allerhöchstens die zweitbeste Armee der Welt waren, nämlich nach der ersten Legion des römischen Imperium. Auch da er dem Kaiser schon persönlich begegnet war und tief beeindruckt von ihm war, sprach er abermals den Eid feierlich aus, wie so viele andere hunderte und tausende Stimmen um ihn herum, was sich zu einem Chor der Treue und Loyalität vereinigte. Marcus hob die Hand, wischte sich etwas Schweiß von der Wange und war ganz erschlagen von all den heroischen Aussichten.


    Aus dem Grund mußte er erst mal noch einen Schluck Essigwasser zu sich nehmen, während er am Rande bemerkte, daß noch jemand vorne seine Stimme anhob. Marcus starrte ihn an und hatte keine Ahnung, wer das war, was er hier machte und warum er überhaupt sich an die Legion wandte. Zudem schien der Mann es nicht für nötig zu erachten, dieses Rätsel aufzuklären. Zwischen seinen Männern konnte er vereinzelt einige Stimmen ausmachen.


    „Wer issn dat?“
    „Keine Ahnung!“
    „Du, Brutus, den kenn' ich. Also ich glaube, der war mal ein Schwarzrock. Ich hab das neulich auf den Latrinen gehört. Der lange Lucius hat erzählt, der kennt einen in der Stadt, der hat einen Vetter in Rom, dessen Schwager ist mit einem Verwandt, dessen Vater wiederum ein miles unter dem war. Ganz seltsame Geschichte.“
    „Und was macht der hier?“
    „Reden, hörste doch!“
    „Hmm!“


    Marcus wandte sich um und warf den Soldaten einen strafenden Blick zu, die daraufhin wieder verstummten. So konnte er auch diesem Mann noch wenigstens bei den späteren Worte zuhören. Daß er die ersten Worte nicht ganz vernommen hatte, war womöglich gut, denn die Aussicht auf ständigen zähen Kampf hätte Marcus nicht begeistert. Doch der Teil der Rede, den Marcus noch mitbekam, sprach ihn ebenfalls an. Wo sie allerdings hinziehen sollten- dieses Cetesdingsbums- das wußte Marcus nicht, wo das sein sollte. Innerliche Notiz an sich selber: Hannibal einen fragenden Brief schicken. Womöglich sollte er doch noch seinen Sklaven mit her holen und ihn doch in Ravenna mit nach Parthia mitnehmen. Marcus kam ins Grübeln, wenn er auch immer noch ganz erfüllt war von der Aussicht, derartiges Großartiges zu leisten. Und wenn die Männer das vorne sagten- so Marcus in seiner leichtgläubigen Art- dann würde das sicherlich auch passieren. Marcus Mundwinkel hoben sich, er atmete tief ein und fühlte sie bereit, in die Fremde zu ziehen.

    Mit einem Engel hätte Marcus seine Tochter verglichen, hätte er solche Wesen schon gekannt. Und es schien ihm- Marcus wollte es auch gerne so sehen- daß seine Tochter wieder milder gestimmt war, womöglich für den Moment jeglichen Groll- welcher Natur er war, konnte Marcus nicht genau benennen- begraben hatte. Marcus betrachtete seine Tochter. Wie groß sie geworden war! In seinem Geist war Arrecina doch noch immer das kleine Mädchen, seine kleine Tochter. Marcus lächelte sie warmherzig und voller tiefer Zuneigung an, die er nur derart seinen Kindern und seiner Mutter gegenüber verspürte.


    „Mein Sonnenschein, das freut mich sehr! Was ich essen mag? Nun, der Koch hat einiges zubereiten lassen. Ich hoffe, da ist auch einiges dabei, was Dir munden wird, mein Kind!“


    Sanft nahm Marcus die filigrane Hand seiner Tochter in die Seinige, so behutsam als ob er ein feines Vogelnest mit seinen Küken in die hohle Faust legen wollte. Einen Augenblick zögerte Marcus als er das Antlitz seiner Tochter betrachtete, ihr schönes Gesicht, ihre dunklen Augen und das seidige Haar. Sie schien ihm weniger ein Mädchen als eine Frau zu sein. Aber nein, schnell schüttelte Marcus diesen Eindruck von sich fort. Denn Arrecina war sein kleines Mädchen, sein Schatz und Ein und Alles, auf die er niemals von jemand oder etwas ein schlechtes Licht werfen ließ- egal was passierte. In dieser Hinsicht war Marcus nun mal völlig blind. So führte er sie zu einer schon bereit gestellten Liegeecke im Garten, zwischen einigen blühenden Kamelien- rot, weiß und goldorange. Marcus nahm auf einer der beiden Klinen Platz, überließ dabei seiner Tochter diejenige, die den schönen Ausblick auf die weißen Kieswege neben den Rosenbüschen und den Fischteich hatte. Es standen vier Platten auf dem Tisch- halbierte Eier, gefüllt mit verschiedenen Pasten, zartes Entenfleisch in einer feinen, sämigen Soße getunkt, frischer Flußfisch in der gelblichen, universalen Fischsoße, und gefüllte Blütenblätter mit einer Olivencreme bestrichen. Ein junger Sklave mit braunen Locken goß Arrecina und auch Marcus von einem goldenen Wein ein, der mit Honig und Gewürzen veredelt war. Marcus griff ganz ungeniert- schließlich war er in Gesellschaft seiner Tochter- nach einem Stück Fleisch, nahm sich von dem Brot, was in einer tönernen Schüssel noch von der Hitze des Ofens dampfte, und steckte sich beides in den Mund. Kauend betrachtete er seine Tochter und schluckte nach einigen Herzschlägen herunter.


    „Bist Du wütend auf mich, Arrecina?“

    In einem Moment stieß Marcus noch den Atem abgehackt durch seine Nase, war rot wie ein spätherbstlicher Apfel oder einem Mann, der sich zu lange der Sonne ausgesetzt hatte, und im nächsten Moment, nach dem Ausruf von Gracchus stand er auf, ging einige Schritte hin und her, um seinen Ärger wenigstens auf diese Weise Luft machen wollte. Immer wieder fuhr er sich mit seiner Rechten über den Nacken und starrte auf die Wand gegenüber der Kline, auf der er noch vor wenigen Minuten entspannt lag und die mittagliche Massage genoßen hatte. In den letzten Wochen und Monaten hatte Marcus völlig diese Begegnung aus dem atrium mit dem Caecilier vergeßen und dem nicht allzu große Bedeutung beigemeßen. Aber daß sich der Mann derart penetrant in ihre Familie einschleichen wollte, trotz der unüberwindlichen Standesunterschiede, war doch kaum zu glauben. Und Marcus- eigentlich kein sonderlich mißtrauischer Mann- konnte dem Ganzen nur noch mit Argwohn begegnen. Doch dann schüttelte er verwirrt den Kopf, blieb stehen und wandte sich seinem Vetter um.


    „Herrje, Manius, ich weiß es doch auch nicht. Aber seltsam erscheint mir das alles durchaus. Es kann kein Zufall sein, daß sich der Caecilier so sehr um unsere weiblichen Familienangehörigen zu tummeln scheint. Wenn er bei Minervina abgeblitzt wäre, hätte er es womöglich auch noch bei der kleinen Leontia versucht. Und Du kennst doch ihre weltliche Unschuld. Sie wäre wahrscheinlich genauso auf ihn hereingefallen. Aber...ach, bei Mars Faust und seinem gerechtem Zorn, ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Die arme, kleine Minervina! Das liebe Mädchen hat doch gar nicht ahnen können, was für einem Mann sie dort begegnet ist.“


    Marcus hatte immer noch die Angewohnheit alle flavischen Frauen, die kaum älter als seine eigene Tochter waren als Mädchen zu betrachten. Daß sowohl Leontia als auch Minervina nicht jünger als seine frisch Verlobte waren, das kam Marcus nicht in den Sinn. Marcus blieb neben dem Tisch mit dem Essen stehen und sah mit gerunzelter Stirn auf seinen Vetter hinab. Ratlosigkeit mit dem noch nachhallenden Ärger zeigte seine Miene, schließlich seufzte Marcus und nahm wieder Platz.


    „Frauen! Sie scheinen einem Mann nur graue Haare auf den Kopf wachsen zu lassen. Egal, ob sie Töchter oder Ehefrauen sind. Aber womöglich gibt es nur eine Lösung. Sie müssen verheiratet werden. Also die Töchter und so...Du weißt schon, was ich meine, oder?“


    Damit dachte Marcus durchaus auch an seine eigene Tochter, selbst wenn er immer noch befand, daß sie viel zu jung war, um zu verheiratet zu werden. Aber das würde sich auch in zehn Jahren nicht ändern- in Marcus Augen.


    „Langsam bekomme ich selbst die Einsicht, daß meine Tochter diesen Weg beschreiten sollte. Nur fällt mir niemand ein, der meine kleine liebreizende Tochter auch verdient hat. Und Minervina? Hat sie etwa tiefere Sympathien für ihren Retter?“

    Ehe Appius weiter diesen Anwärter sekieren konnte- wie womöglich ein gebildeter Geist sich ausdrücken würde- ihn dabei Stück für Stück mit jenen Fragen- die Viele sehr ärgerten- entblättern, die Zwiebelschalen abzupfen und schließlich zum Kern der Wahrheit zu kommen, wurde Appius in seiner doch jahrelang gewohnten Routine gestört. Aber wahrscheinlich wäre es ihm nicht gelungen, den Decimer die Wahrheit zu entlocken, schließlich wich Appius nur selten von seinen Standardfragen ab. Sein Mund blieb offen stehen, ehe er sich schnell erhob und ungelenk und linkisch salutierte. Außer dem legatus, dem Kaiser und seiner hochgeschätzten Gattin, war der praefectus einer der Wenigen, die in diesen ungewohnten Genuß von dem optio kamen, wenn sie sein Reich betraten. Auch Appius war nun mal bestechlich und der Schlüssel war: Respekt. Schnell notierte sich Appius- nachdem er natürlich erst wieder Platz genommen hatte- die Anweisungen seines Vorgesetzten.


    „Jawohl, praefectus, wie Du wünschst, praefectus!“


    Appius hob den Griffel an sein Kinn und sah den Matinier und den Decimer starr an, versuchte eindringlich das Bild von einem Kirschen klauenden Legaten vor seine Augen zu bringen- es gelang ihm nicht. Das Bild von seinem Heerführer und einem Lausbub wollte nicht konvergieren, zudem war Appius nicht sehr phantasievoll. Verblüfft sah Appius auf, als Plautius ihn ansprach. Centurio? Er? Appius Unterkiefer fiel hinab und er starrte Plautius an, als ob ihm der Lemur seines eigenen Vaters begegnet wäre. Doch da Plautius weder einen Stock schwang, noch ein „Du bist ein Nichts, Appius, und Du wirst immer ein Nichts bleiben!“, entgegen krächzte, erkannte Appius schnell, daß es sich um keine wider- oder übernatürliche Gestalt vor ihm handelte. Appius Hand zitterte, er schluckte heftig, denn seine Kehle war ganz rauh und er atmete abgehackt. So viel Phantasie für folgendes brachte Appius auf:


    Er- Appius, centurio im Range- mit seinen achzig Mannen in der Schlacht. Tobende Kämpfe, der Kaiser mitten im Trubel und mit donnernder- vielgöttergleicher Stimme- Iuppiter würde da wohl nicht ausreichen, zudem mußte der Kaiser doch sicherlich lauter als der praefectus und der legatus zusammen sprechen können- dazwischen. Ein Speer, ein Parthischer, fliegt über aller Köpfe hinweg und er- Appius, centurio im Range- würde sich dazwischen werfen und dem Kaiser- seinem geliebten Idol- das Leben retten.


    Appius blaßblauen, - sonst eigentlich- gefühllosen Augen bekamen einen feuchten Glanz, seine Nase hörte auf zu zucken und er starrte in ferner Richtung. Die Katze war von der Neuigkeit nicht ganz so gebannt wie ihr Herrchen, sondern hob den Kopf schnurrte leise und sträubte plötzlich ihr Fell als ein Hund sich langsam schnüffelnd dem Fensterbrett näherte- unbemerkt von Appius. Appius riß sich von seinen Tagträumen los, sprang auf, der Hocker fiel um und deutete feierlich auf seine Katze.


    „Werter praefectus, das ist Drusilla. Drusilla, das ist der praefectus castrorum, Matinius Plautius! Meinst Du wirklich? Centurio? Ich? Nimmst Du ihn nicht mit auf den Feldzug? Drusilla und Augustus würden sich sicherlich gut verstehen. Ich dachte, Katzen wären erlaubt...?“


    Den letzten Satz brachte Appius nur leise und verlegen hervor, wenn die Worte auch wie ein Wasserfall aus dem Mann hervorsprudelten. Denn er hatte fest vor, seine Drusilla mitzunehmen. Ohne seine Katze war er hoffnungslos verloren. Er hatte schließlich sonst niemanden in der Legion, der ihm zuhörte, hielten ihn doch alle für einen übellaunigen, kalten Stinkstiefel. Doch dann entsann sich Appius an Augustus und war gar nicht so sicher, ob er den Kater in der Nähe seiner zarten Drusilla wißen wollte. Irritiert sah Appius zu dem Decimer, war völlig aus dem üblichen Konzept gebracht.


    „Soll er noch zum medicus, praefectus?“



    [Blockierte Grafik: http://img510.imageshack.us/img510/268/leg1optiopf1.png]

    Glitzernde Tautropfen des Morgens wurden zertreten, die nächtliche Stille- selbst schon geschwängert von den Geräuschen des nahenden Aufbruchs- wurde von dem geschäftigen Treiben einer ausrückende Legion übertönt. Wie wohl so viele hatte auch Marcus in der vergangenen Nacht, seitdem sie von dem Abmarsch erfahren hatten, kein Auge mehr zugetan. Obwohl sie schon so lange bereit waren, fielen dann doch Tausend Dinge ein, die es zu erledigen galt. Doch nun lief er an der Seite seiner centuria entlang, hörte das Tönen einiger cornicen, die das Kuddelmuddel in ein geordnetes Muster brachten, vernahm das Klappern des Marschgepäcks seiner Soldaten. Der Wind fuhr sanft unter seinen Umhang, er griff mit einer Hand danach und löste ihn, warf ihn einem der Soldaten zu, der diesen dann auf dem Maultier mit seinem Gepäck unterbrachte. Die centuria marschierte an, trat in Reihe und Geordnet neben die Erste, das Gepäck auf den Schultern, bereit aus dem Kastell zu ziehen und in die Fremde, die ungewisser für viele kaum sein konnte.


    Ravenna! Gerüchte und die stille Post im Lager hatte das Wort durch die Mannschaftsquartiere getragen. Marcus sah sich auf dem campus weiter um, betrachtete so manch ein Gesicht der Abmarsch bereiten Soldaten, dann die Pfähle, die so lange Zeit als Übungsobjekte gedient hatten. Bald würde sich zeigen, ob die Ausbildung auf diesem Platz die Soldaten dafür bereit gemacht hatte, in den Krieg zu ziehen. Wenn es hieß gegen Gegner anzutreten, die sich nicht nur bewegten, sondern dachten, fühlten und den gleichen Willen zum Überleben hatten. Womöglich noch einen größeren, wenn sie so nahe der Heimat waren. Marcus sog die Luft tief durch die Nasen ein, fummelte ein wenig am Riemen seines Helmes herum, um diesen fester zu schnallen. Seine Hand fuhr unter den metallenen Rand an der Stirn, um wenigstens etwas von dem aufkommenden Schweiß weg zu wischen. Gebannt richtete er seine Aufmerksamkeit nach vorne. Tribunus Tiberius Vitamalacus stach ihm sofort ins Auge, Marcus Augenbrauen zogen sich zusammen- wie immer, wenn er den Mann sah, der seine Mutter derart übel beleidigt hatte- und ein wenig Unmut trat an die Stelle, wo sonst höchstens sein Magen grummelte und sich beschwerte, wenn er nicht genug gepflegt wurde. So rege und so präsent wie der Tiberier war und so wenig man den eigenen Legat sah, so sehr konnte man annehmen, daß Vitamalacus der eigentlich Anführer der Legion war. Etwas, was Marcus nicht schmeckte, aber aus persönlichen Gründen, weniger weil er an der Kompetenz des Tiberiers zweifelte.


    Marcus griff nach einem ledernen Schlauch und trank einen Schluck von dem säuerlichen Gebräu, verzog angewidert das Gesicht, war aber vom Durst befreit. Geduldig wartete er bis auch die anderen Einheiten auf den campus marschierten.

    Der Griffel von Appius drückte sich tief in die Wachsschicht. An solchen warmen Sommertagen war es besonders leicht, die Spuren der Schrift in der gelben Masse zu hinter lassen, aber ebenso stieg der Duft von Bienenwachs in seine Nase, die langsam immer weicher wurde. Appius haßte Gerüche, die ihn in seiner Konzentration behinderten, wenn auch das Wachs der Tafeln ihm das vertraute Gefühl von Heimat vermittelte und bald würde er all diese schönen Dinge im Kastell lassen müßen. Ungnädig hob Appius die gerupften Augenbrauen, seine Stirn schlug einige Falten und er hob sein Kinn unerheblich an, so daß er von unten den Decimer erspähen konnte.


    Ordo equester? Hmm....und dann als probatus in die legio? Tsts!“


    Letzte Angaben wurden notiert und Appius sah suchend zu der Musterungsrolle, wo er wohl oder übel, wenn der Decimer nicht doch noch aussortiert wurde, noch ganz unten den Namen des jungen Mannes anfügen mußte. Appius Nase zuckte unzufrieden hin und her, einem Frettchen wurde er in jenen Herzschlägen umso ähnlicher. Abweisend betrachtete Appius den Decimer und wartete auf dessen Erklärung. Appius rechter Mundwinkel wanderte noch einen Deut tiefer und seine Augen wurden starrer. Immer dieselben Worte, die er Tag für Tag, Woche für Woche zu hören bekam und alle waren genauso heroisch und pathetisch. Gloria und Honor hatte Appius in seinem Dienst noch nie erlebt, geschweige denn von Anerkennung für seine Arbeit.


    „So? Du siehst es als Deine Pflicht an? Das mag wohl für jeden Römer zutreffen. Doch bist Du Dir sicher, daß Du bereit bist ALLES zu geben? Denn der Schritt in die Legion einzutreten bedeutet, die nächsten zwanzig Jahre nur und ausschließlich dem Kaiser mit Schild und Schwert, natürlich dem eigenen Leib, zu dienen. Nur mit Schimpf und Schande oder den Beinen voraus wirst Du die Legion vorzeitig verlaßen können. Bist Du bereit, Dein Leben möglicherweise schon in einigen Monaten zwischen den parthischen Feinden dem Imperium zu schenken?“




    [Blockierte Grafik: http://img510.imageshack.us/img510/268/leg1optiopf1.png]

    „Trifft Ares im Krieg, der gewaltige Recke, und blind entgleiten der Hand die Geschoße gegen die... die...ah...Feinde immer aufs neue und bringen den Tod, wem ein Gott ihn bestimmte.“


    Theatralisch streckte Appius- Optio des Rekrutierungsbüros- die rechte Hand in die Luft, ebenso reckte sich Appius‘ hagere Nase stolz und verwegen höher, seine bleichen und ausgemergelten Wangen waren mit einem Hauch von begeisterter Röte überzogen. Das officium stand leer, der letzte Rekrut wurde vor einigen Tagen aufgenommen, verzeichnet und in den Akten festgehalten. Nun stand es nur noch für den optio an, die Musterungsrollen- um später diese mit den Verlust- und Deserteurlisten zu vergleichen- zu sortieren und zu verpacken.


    „Vielleicht, meine liebe Drusilla, werde ich diesmal nicht der Versorgungseinheit zugeteilt. Was meinst Du, meine Schönste aller Schönen?“


    Zwei große dunkelblaue Augen sahen Appius unverwandt an, Appius lächelte diesen warmherzig - er war ja allein im officium- entgegen.


    „Miauuu!“


    Appius trat an ein Körbchen heran und fuhr liebevoll über das kleine Köpfchen der silbergrau-weiß getigerten Katze, welche von filigraner Statur und kaum größer als ein großes Kaninchen war.


    „Das hast Du schön gesagt!“


    Das Klopfen erschreckte optio als auch Katze, die sofort mit ihrem Kopf im fellgepolsterten Korb verschwand. Appius seufzte leise, hob den Korb und stellte ihn behutsam auf die Fensterbank. Das war sicherlich ein Bote von der höheren Verwaltungsebene mit seinen Befehlen, weswegen Appius zügig „Herein!“ rief. Sorgfältig gekleidet wie immer und mit seinem eigenen kalten Ausdruck auf dem Gesicht wandte er sich distanzierter Haltung- die rein gar nichts von der Begeisterung und Zuneigung der vorigen Momente offenbarte- dem jungen Mann zu.


    „So, so! Ein Anwärter! Ganz schön spät!“


    Appius nahm Platz und umfasste einen Griffel. Nach einer leeren Tabula musste er länger suchen, die meisten waren verpackt oder weggeschlossen, in Syria und Parthia würden sie wohl oder übel auf papyrus zurückgreifen müssen, der Hitze wegen.


    „Faustus Decimus Serapio? Du willst der Legio beitreten? Wir ziehen in den Krieg, das weißt du schon, Decimus?“


    Es musste die Anwesenheit der Katze sein - die vorsichtig ihre Kulleraugen aus dem Korb streckte - warum Appius‘ gewohnte Kälte marginal weniger frostig ausfiel.


    „Eltern? Geburtsort? Stand? Und warum überhaupt? Wäre der stilus nicht besser für Dich als das gladius?“


    Appius zwei Augen sahen ihn starr an, genauso wie Serapio von zwei Katzenaugen gemustert wurde.


    [Blockierte Grafik: http://img510.imageshack.us/img510/268/leg1optiopf1.png]

    Auf seinen Schild gestützt stand miles Palatius vor dem Tor des castellum der legio prima, in dem dieser Tage rege Betriebsamkeit herrschte. Es summte förmlich wie ein Bienenstock, stand doch der von vielen so heißersehnte Marschbefehl gen Osten kurz bevor. Ruhig betrachtete Palatius- von vielen nur Tius genannt- eine einzelne Gestalt, die sich auf dem Weg von Mantua her näherte, dann sah er minutenlang grüblerisch in den wolkenverhangenen Himmel hinauf. Schließlich wandte er sein fülliges Gesicht miles Cafo zu, der in ganz ähnlicher Haltung auf sein Schild gesunken neben ihm Wache hielt.


    "Und?"


    Sein hagerer Kollege kniff die Augen zusammen und bemerkte, nach einem Moment des Schweigens, mit heiserer Stimme:


    "Wird regnen, schätze ich."


    Tius schüttelte ansatzweise den Kopf und spuckte aus.


    "Wegen Deiner Kleinen meine ich."


    Cafo kratzte sein Kinn, wo die Narbe mal wieder juckte, zuckte dann lakonisch die Schultern.


    "Die hat sich jetzt entschieden. Sie bleibt. Sag sie ist keine siebzehn mehr, und auch keine Trosslupa..."


    "War abzusehen. Nicht?"


    "Hmhm."


    Abermals verfielen die beiden in Schweigen. Ruhig sahen sie dem Näherkommenden entgegen, und hörten sich an was er zu sagen hatte. Sie musterten ihn, dann wurde ein langer, vielsagender Blick zwischen ihnen ausgetauscht, bevor Cafo gleichmütig das Wort ergriff.


    "Salve, salve. Ein Decimer, da schau her. Willst Du in den Krieg ziehen, Junge?"


    Ohne die Antwort auf diese rein rhetorische Frage abzuwarten, drehte er sich um und rief heiser zum Tor hin.


    "Lasst mal den Anwärter da rein. Vermerk im Wachbuch nicht vergessen."


    Nicht unfreundlich wandte er sich wieder an den jungen Mann und erklärte:


    "Das Rekrutierungsbüro ist gleich da die via entlang, bis zur principa. Nicht zu verfehlen. Viel Glück."


    "Noch einer."


    kommentierte Tius, nachdem der junge Mann davon gezogen war, während er sich wieder gemütlich auf seinem Schild zurechtlehnte.


    "Und reichlich spät dran."


    "Hmhm."


    [Blockierte Grafik: http://img114.imageshack.us/img114/2254/leg1legionariuscb9.png]

    Wie ein weicher Schleier legte sich das Licht der Abendsonne auf die Gestalt von Epicharis. Orangegolden erstrahlten ihre hohen Wangenknochen, was Marcus sehr gut gefiel und seine Lippen zu einem Lächeln veranlaßten. Was ihm ebenso erfreute, wie ihre anmutige und schöne Gestalt und Erscheinung, war auch ihre offensichtlich gute Meinung über ihn- so gerechtfertig sie nun war oder nicht. Denn insgeheim war Marcus davon überzeugt, daß vieles von dem, was er in der legio tat einfach die Routine und tägliche Pflichterfüllung war, wohinter er keine große Bedeutung oder Wichtigkeit erkannte. Er mußte sie tun und er vollführte sie. Aber womöglich erkannte Epicharis etwas in Marcus, dessen er sich selber nicht bewußt war. Wenn er auch wußte, dass er dem Kaiser stets treu und loyal sein würde, der kurze Eindruck, den er von dem Mann während seiner Audienz erhalten hatte, hatte tief und nachhaltig auf Marcus gewirkt. Ein Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Güte und Führungsstärke hatte Marcus bei sonst keinem Menschen in dieser Art erlebt und er war seit dem Zeitpunkt noch sehr viel stolzer, dem Kaiser derart dienen zu dürfen. Womöglich suchte Marcus- aufgewachsen ohne Vater- aber auch einfach nur weiter nach einem Vaterersatz und projizierte seine ganze Verehrung aus diesem Grunde auf den Kaiser.


    „Ja, in Parthia. Weit, weit weg scheint mir das Ganze zu sein. Und mit jedem Tag entfernt sich das Land noch sehr viel mehr als ob es auf einer schwimmenden Insel läge, was sich auf dem blauen Ozean von uns weg bewegt. Wir warten schon lange auf den Abmarschbefehl, seit längerem haben wir Ausgangssperre, dürfen noch nicht mal mehr in die Stadt und zudem scheint sich der Feldzug immer wieder zu verzögern. Die Männer werden unzufriedener und manch einer raunt schon, daß vielleicht erst eine andere legio dort hingeschickt werden soll und wir nur die sichere Nachhut bilden sollen…“


    Marcus sann mit ruhiger Stimme vor sich hin, unterbrach sich dann jedoch und wollte Epicharis nicht mit seiner plötzlich aufkeimenden pessimistischen Stimmung anstecken. Daß er in den letzten Tagen über einen Austritt wieder aus der Legion nachgedacht hatte, ließ er unerwähnt. Denn im Grunde war es ihm im Moment verwehrt, wollte er nicht als Feigling gelten. Und zudem wollte er immer noch nicht seine Männer im Stich laßen, jetzt, wo sie einen bekannten centurio brauchten, der ihre Marotten und sie dessen Schrullen kannten. Marcus Mund zeigte wieder ein sinniges Lächeln, seine Gedanken richteten sich auf das Hier und Jetzt, Grübeleien wurden bei Seite geschoben- was Marcus durchaus leicht konnte. Seine Fingerspitzen erkundeten Epicharis Kinnlinie und zogen sich weiterhin nicht zurück. Stattdessen sah er in ihre braunen, leuchtenden Augen, die einen goldenen Glanz, ein warmes Schimmern enthielten, er entdeckte das feine Spiel von winzig kleinen schwarzen Linien in dem Braun, sogar kecke kleine dunkle Tupfen meinte Marcus in ihnen erkennen zu können, ein faszinierendes Spiel der Farben offenbarte sich in den Augen von seiner Verlobten. Dunkle Augen, dunkle Haare, Marcus mochte das sehr. Der Moment schien still zu sein, im Hintergrund leuchteten weitere Feuer im Lager auf, die Dunkelheit senkte sich an einer Stelle im Osten über das Kastell, während der westliche Teil und der Wehrturm vom letzten Sonnenlicht bestrahlt wurde. Marcus, der in dem Moment nicht nachdachte, sondern ganz seinem inneren Impuls folgte, beugte sich zu Epicharis vor und legte seine Lippen auf die von Epicharis. Geschmeidig und samtig fühlte sich ihr sinnlicher Mund an. Marcus legte einen Arm um ihre Taille, zog sie behutsam näher und küsste sie sanft und sinnenfreudig, kostete dabei erst Mal mit seinen Lippen die Konturen ihrer Unterlippe ehe er weiter ging.

    „Tatsächlich. Nun, du kennst Deine Frau sicherlich besser als ich.“


    Marcus zuckte mit der Schulter, denn er wollte nicht auf Gracchus belehrend oder besserwisserisch wirken, wo Marcus es wohl schwerlich beurteilen könnte- Gracchus Familie und Privatleben kannte er nur aus wenigen Begebenheiten, die er in Gracchus Leben geteilt hatte. Marcus musterte seinen Vetter dann stumm und er fühlte ein tiefes sympathisches Mitgefühl für ihn. Sicherlich, Sympathie hegte Marcus ohnehin für seinen klugen, wenn auch schrulligen Vetter, aber die Misere einer unglücklichen Ehe konnte Marcus ganz und gar nachvollziehen. Und auch er wußte nicht, wie es sich in seiner Zukunft verhalten würde, die noch so fern durch den Krieg wirkte. Marcus Mundwinkel hoben sich und er winkte gelassen ab. Mit Worten war Marcus eindeutig nicht so versiert wie Gracchus.


    „So meinte ich das auch nicht, Manius. Mein Sohn bedeutet mir sehr viel, meine Familie ist alles, was mir auf der Welt bedeutet und ich bin sehr stolz auf meinen Jungen, sogar wenn er mich an der Nase herumführt- wenn nicht sogar insbesondere dann…ähm…nun…zumindest nachdem ich dann aufgehört habe mich darüber zu ärgern. Er ist nun mal ein kluger Junge und ja…wissbegierig.“


    Marcus lächelte und freute sich darüber, daß sein Sohn ein derartig guten Eindruck bei Gracchus hinterlaßen hatte, nein, er war sogar im höchsten Maße zufrieden darüber, zeugte es doch davon, was sein Sohn alles vollbringen konnte. Ein guter Junge, abgesehen von gestern Nacht und jetzt wo er verschwunden war. Marcus Mundwinkel senkten sich erneut und er kratzte sich an der Schläfe Gedanken verloren, grübelnd, wie er seinen Sohn am Besten auffinden konnte.


    „Aber was meinen Sohn angeht, kenne ich ihn doch um Jahre besser als Du, Manius. Sei gewiß, er ist ein Schlingel und Frechdachs durch und durch, nur ein Brillanter dazu.“


    Marcus streckte sich wohlig, denn eine Massage nach dem Aufstehen war genau das Richtige, was er nach so einem Abend mit viel Wein und noch viel mehr Essen gebrauchen konnte. Obwohl er durchaus ordentlich zugelangt hatte, war er erneut hungrig wie ein Bär nach dem Winterschlaf- nur daß er im Gegensatz zu dem Tier aus dem Walde nicht derart von seinen Fettreserven befreit war. Abermals verwundert wölbte Marcus seine Augenbraue in die Höhe. Die Angewohnheit früh aufzustehen hatte er in der legio freilich auch, aber nur gezwungenermaßen. Interessiert- wie immer wenn es um die Belange der Familie ging- lauschte Marcus. Die arme Minervina, dachte Marcus gleich. Wie gebeutelt mußte das junge Ding sein, das zerbrechliche kleine Mädchen- Leontia, Minervina und seine eigene Tochter waren in Marcus Augen noch mehr Kinder als Frauen. Spontan entschloß sich Marcus, daß er etwas tun mußte, damit Minervina in Zukunft sicher war. Einige Leibsklaven, am Besten einen Gladiator, der sie vor allen Widrigkeiten schützen vermochte. Wobei Gladiatoren doch nichts anderes als abgerichtete Bestien war. Marcus grübelte schon über einen geeigneten Kandidaten nach als sein Vetter einen Namen nannte, der all seine Nackenhaare aufsträuben ließ. Caecilius! Der praefectus! Marcus Atem stob schnaubend durch seine Nase und sein Ohr gehörte wieder ganz seinem Vetter.


    Mit wachsendem Unmut lauschte er dessen Worten. Und es brauchte eine Weile bis die ganze Bedeutung- nun sagen wir mal, der Ansatz davon- bei Marcus ankam. Ungläubig starrte Marcus seinen Vetter an, die Selbstvorwürfe von ihm registrierte er nur am Rande, nickte flüchtig. Caecilius Crassus, diesem Mann war Minervina auf einer Feier begegnet und dann wie eine Närrin hinter her gereist? Marcus konnte es nicht fassen und schüttelt dann verwirrt den Kopf. Crassus war noch vor einigen Monaten in der Villa gewesen, um um seine Tochter Arrecina zu werben- auf eine Weise, wie sich Marcus das niemals hätte vorstellen können, beleidigend und anmaßend- und dann hatte er ein Techtelmechtel mit seiner Base? Und die fiel auch noch auf diesen Aufschneider herein. Zudem befreite er diese noch von Räubern? Räuber…Räuber…Marcus Augenbrauen zogen sich zusammen und Mißtrauen- wider Marcus sonstiger Natur, der doch mehr das Gute in den Menschen sehen wollte und auch in dieser Angelegenheit Minervina doch sofort frei von jeder Schuld sprechen wollte, sie wurde nun mal von einem skrupellosen Mann herein gelegt- keimte in Marcus auf. Erneut schnaubte Marcus und griff nach dem Brot, was die Sklavin herein gebracht hatte. Grob riß er ein Stück aus dem Laib, als ob er damit seinen Ärger bezeugen wollte.


    „Caecilius Crassus, dieser Parvenue! Oh, Manius, ich sage Dir, wenn ich den Namen schon höre, dann…ja…werde ich halt wütend. Hab ich Dir erzählt, daß er vor einiger Zeit in die villa Flavia gekommen ist und um die Hand meiner Tochter angehalten hat? Ich habe noch nie einen derart unverschämten Kerl erlebt, der schlägt sogar noch diesen Aurelier…wie hieß er noch mal?...ähm diesen Antontinus oder so…dieser Crassus hat im selben Atemzug noch unseren gesamten Stand defamiert…aber was rede ich da? Ich meine, Du hast mir doch bei dem Brief geholfen, den ich ihm als endgültige Absage zugeschickt habe…so eloquent wie Du das formuliert hast…das kannst Du wahrlich gut.“


    Marcus atmete tief ein und aus, die Wut wurde stärker als er an die Abgründe jenes Mannes- worin sich Marcus gerade mit tiefer Lust hinein steigerte- dachte. Sein Hals färbte sich rot und auch sein Gesicht- was immer passierte, wenn er sehr zornig, aber auch wenn er verlegen wurde. Marcus biß in das Brot und kaute mechanisch, schluckte das Stück Brot hinunter, so daß es ihm fast in der Kehle stecken blieb. Heftig hustend versuchte Marcus sich davon zu befreien, was ihm erst durch einen tiefen Schluck Wein gelang.


    „Puh…also, Manius, ich würde mich nicht wundern, wenn dieser Kerl alles arrangiert hätte, um sich der nächsten Flavierin habhaft zu werden. Wahrscheinlich ist er sehr begierig auf unseren Namen und sich bei uns einzudrängen. Die Feier, ein junges und unschuldiges Mädchen, was er verführen kann, eine fingierte Entführung, er als strahlender Held und somit ein Freund der Familie. Pah! Bei Mars Faust, ich wette mit Dir, Manius, der hat alles so eingefädelt. Die arme Minervina. Ist so einem Kerl auch noch auf dem Leim gegangen. Herrje!“


    Marcus schüttelte den Kopf und sah empört, wütend und dann durchaus wegen der armen, kleinen Minervina bewegt seinen Vetter an.

    Das Lärmen und die aufgeregten Stimmen all der vielen Soldaten vernahm Marcus sehr gut, während er mit den anderen centuriones der ersten cohors vor Avitus stand. Im selben Augenblick spürte er viele Blicke der Soldaten auf sich ruhen und merkte neben der Gespanntheit des Feldzuges wegen auch einen gewissen Stolz in sich aufkeimen über die Legion, die Männer und ein Teil von dem Ganzen zu sein. Sicherlich rümpfte so manch einer in seinem Stande pikiert die Nase, würde er ihm von seinem Dienst als centurio berichten, doch Marcus sah das anders. Zudem empfand er es als eine große Ehre ein centurio ersten Ranges in der Legion zu sein. Marcus deutete mit seinem Kinn ein Nicken an auf die Anweisungen des primipilus.


    „Verstanden, primus pilus!”


    Auch ähnliche Kommentare kamen von den Anderen, Bruseus hob sofort sein Schild an, wandte sich um, um beim Befehl des Wegtreten an der Seite seiner centuria zu stehen. Marcus Augen folgten kurz dem dienstälteren Offizier, der jedoch genauso lange wie er centurio in der ersten cohors war- vorher war er in einer anderen cohors. Marcus schloß seine Faust um den Griff in der Mitte des Schildes und schmiegte seine Hand in die Mulde, die von dem eisernen Buckler gebildet wurde. Die zwanzig Pfund des Schildes machten ihm schon seit Jahren vom Gewicht kaum noch etwas aus, als er diesen anhob. Er betrachtete einen Herzschlag lang die Soldatenreihen, die ihr Marschgepäck auf dem Rücken trugen, gleichsam die Schilde. So hätte die gesamte erste cohors sofort aufbrechen können, um Hunderte von Meilen über das Land und in den Krieg zu ziehen.


    In agmen venite! Primo centuria prima!“


    Marcus nickte einem signifer und cornicen zu. Diese marschierten vor die erste centuria, der Feldzeichenträger hob das signum in die Höhe, woran sich die Soldaten orientieren konnten.


    Abite!“


    Der cornicen blies in sein Horn und beide Männer setzten den Abmarsch mit ihren ersten Schritten voran, die erste Reihe folgte ihnen brav. Marcus musterte mit ein wenig verengten Augen den Abmarsch der Männer, hoffte, daß die Neuen und die leise miteinander schwätzenden Soldaten nicht durcheinander gerieten und dann große Lücken in der Marschkolonne einrißen. Das passierte schneller als man ahnte. Marcus, sein Schild immer noch in der Hand, da er sonst kein Marschgepäck bei sich hatte- es war alles auf seinem Maulesel verpackt- trat an die Seite der vorderen Reihen.

    Lange Warten gelaßen wurden sie nicht, was Marcus erfreute. Denn das Rumstehen in offiziellen und gewichtigen Hallen behagte ihm oftmals nicht, zudem hielt er das für verschenkte Zeit, die man doch angenehmer in Thermen oder mit gutem Essen verbringen konnte, wenn man schon ein wenig Zeit außerhalb von Dienst und Pflichten hatte. Aber hierfür hätte er wohl den ganzen Tag auch ohne zu murren gewartet, schließlich war es ein wichtiger Anlaß, der sie in die regia gebracht hatte, etwas, was ihre ganze Zukunft besiegeln würde. Als sie letztendlich hereingelaßen wurden, angesprochen und der Schreiber/Angestellte gleich zum Punkt kam, sah Marcus einen Herzschlag zu Vesuvianus, für den Fall, daß er zuerst sprechen wollte. Noch ein Herzschlag und noch einer, dann entschloß sich Marcus, den Anfang zu machen. Er neigte höflich den Kopf zum Gruße und beneidete den Mann hinter dem Schreibtisch nicht im Mindesten. Zum einen ewig in einem officium sitzend und dann auch wohl immer dieselben Fragen, die er stellen mußte. Aber jeder hatte sein Schicksal selber in der Hand, was solche Arbeit anging- so Marcus Meinung, für den Arbeit eine Erfüllung von Familientradition war und keine wirkliche Notwendigkeit aus finanziellen Gründen.


    „Salve, mein Name ist Marcus Flavius Aristides. Wir möchten eine Verlobung eintragen laßen.“


    Und da das für Marcus nicht das erste Mal war, wußte er durchaus, worauf es ankam.


    „Das ist meine Verlobte, Claudia Epicharis. Sie steht unter der patria potestas von Herius Claudius Vesuvianus, quaestor urbanus.“


    Bei jeder Namensnennung sah Marcus zu den beteiligten Personen, Epicharis und Vesuvianus. Das Datum der Verlobung und den Rest der Formalitäten wollte er noch anfügen, beschloß jedoch, dass wohl die Willenserklärung und Erlaubnis des Vaters zuerst kommen sollte.