Verständnislos betrachtete Marcus seine Tochter. Was sie genau von ihm wollte, das sagte sie ihm zwar, aber dennoch konnte Marcus es nicht so ganz einordnen. Seine Vorstellung von ihrer Konstellation, Vater und Tochter, war doch durchaus anders. Doch ihr zu Liebe hörte er sich ruhig alles an, wobei die Falte zwischen seinen Augenbrauen nicht weg gehen wollte. Herrje, wo waren die Zeiten geblieben als Arrecina noch mit einer schönen Puppe oder in Honig getauchten Früchten zufrieden war? Wo sich Probleme nur auf die nächsten Stunden bezogen, damit sie nicht Langeweile ertragen mußte oder sie unzufrieden war, weil sie einen Sklaven nicht haben durfte? Die Vorstellung- ein kleines Mädchen vor sich zu haben- schwand mit jedem Wort immer mehr in Marcus. Denn seine Tochter hatte ein Stadium erreicht, was nur Frauen besaßen: Komplikation und das Bedürfnis, alles schwieriger zu machen, als es doch in Wirklichkeit war. Zudem alles stets und immer besprechen zu wollen, Gefühle zu erläutern und ähnliches. Marcus seufzte, lehnte sich gegen die Lehne seiner Liege zurück und verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust, bis er bemerkte, daß das eine Geste war, die er stets bei seiner verstorbenen Frau angewandt hatte. Abermals durch die Nase geschnaubt und Marcus stand auf, ging einige Schritte auf dem Weg neben der Liegegruppe hin und her.
„Mein liebe Arrecina, ich habe noch nicht mal mit Deiner Mutter immer alles besprochen...“
...gerade nicht mir ihr.
„Sicherlich, Lucius hat noch weniger von mir erlebt. Aber er ist stark und auch niemals, nicht einen Tag alleine gewesen, sondern stets im Schoße der Familie. Er ist ein Kind zudem. Denkst Du wirklich, ich bespreche meine Angelegenheiten mit einem Kind? Und bei Dir, Arrecina, habe ich meine Anwesenheitspflicht lange genug ernst und intensiv wahrgenommen. Bis Du schon lange im heiratsfähigem Alter warst, warst Du ständig bei mir und um mich herum. Jeder anderer Vater hätte Dich zu dem Zeitpunkt, vor drei Jahren bereits, einem anderen Mann überantwortet. Doch das wollte ich nicht für Dich...schließlich...ja...Du warst noch so jung.“
Marcus griff sich an den Nacken und sah Arrecina verwirrt an.
„Und was meinst Du damit, daß ich Dich beobachten laße? Das ist nicht wahr! Ich habe Dir stets vertraut. Warum hätte sich das nach Deiner Entführung ändern sollen, Arrecina. Ich habe niemanden auf Dich angesetzt. Ich habe nur gehofft, daß Du hier die Ruhe findest, Dich wieder an alles zu erinnern.“
Kopfschüttelnd nahm Marcus wieder Platz, den Drang sich zu bewegen hatte er genug ausgelebt.
„Liebe, Gefühle, glückliches Leben? Arrecina, Arrecina, glaubst Du das wirklich in einer Ehe zu finden? Außerdem ist mir doch auch an Deinem Wohl gelegen, sonst hätte ich Dich schon längst einem Mann wie Claudius Vesuvianus oder Tiberius Durus versprochen. Beides gute und ehrenhafte Männer...“
Jetzt fiel Marcus erst ein kleines Detail in Arrecinas Rede auf. Den, den er damals abgewiesen hat? Wenn sie einen Mann traf, der sie glücklich machen würde, aber kein Patrizier war? Marcus kombinierte. Es dauerte. Ein Herzschlag, noch einer und dann ein Dutzend. Schließlich sah er von dem grünen Flecken Gras auf, was ihm als Gedächtnisstütze helfen konnte. Hätte er es nicht sogar heute schon von jenem Caecilier gehabt, dann wäre es ihm womöglich gar nicht aufgefallen.
„Was...? Soll das heißen, Du bist Caecilius Crassus schon vorher begegnet? Hattet ihr etwa ein Techtelmechtel miteinander? Ist das der Grund, daß der unverschämte Kerl bei mir angetanzt ist?“
Marcus sah seine Tochter sprachlos an, konnte diese Vermutung nicht wirklich faßen, aber es mußte so sein.
„Und warum, meine liebe Tochter, hast Du es nicht für nötig erachtet, mich vorher zu informieren? Zudem: Der Mann ist aufs übelste aufgetreten, hat die Flavier und unseren ganzen Stand diffamiert und mir ins Gesicht gesagt, ich könne doch froh sein, einen solchen Kandidaten für Dich zu bekommen. Und so einem unverschämten Wicht hätte ich Dich geben sollen? So einem Grobian und Prahler?“
Abweisend kratzte sich Marcus an der Wange und abermals eröffnete sich ihm eine weitere Erkenntnis.
„Und wer ist das, von dem Du noch nicht mal weißt, ob er Dich haben will? Herrje, Arrecina, mir wirfst Du vor, ich würde nicht mit Dir sprechen, aber scheinbar wirfst Du Dich laufend Männern hinter meinem Rücken an den Hals...“
Erst als Marcus das aussprach- er hatte nicht darüber nachgedacht- wurde er sich der Bedeutung klar. Schockiert starrte er seine Tochter, sein Kind an. Sie war doch noch so jung, nein, das konnte irgendwie nicht sein.