Mit einer gewissen Zufriedenheit und auch Freude bemerkte Marcus doch, daß Epicharis wohl etwas für Süßspeisen übrig hatte und dem Genuß solcherlei Köstlichkeiten etwas abgewinnen konnte. Der sich leerende Teller war Beweis genug für Marcus. Und da er Frauen, die auch einen gesunden Appetit hatten, noch mehr mochte als die dürren Stecken, die dem Leben keine Freude abgewinnen konnten, stimmte ihn das noch mehr froh. Einige Schwalben flogen im tiefen Flug über dem Aventin entlang, der hier doch seine schönen Seiten und nicht die ärmlichen Insulae offenbarte. Mit ihrem eleganten Flug erjagten sich die Schwalben kleine Fliegen aus der Luft und erhoben sich in einer gekonnten Schraube wieder in die Höhe. Auch Marcus war froh darüber nicht weiter über die Belange der legio und mögliches Unheil zu sprechen, denn selbst wenn er es sich nicht eingestehen würde, es besorgte ihn selber durchaus. Mit Erstaunen lauschte Marcus ihren Worten und nickte beeindruckt. Denn zum einen klang es sehr philosophisch, was Epicharis dort sagte, und zum anderen war er schlicht von der Tatsache beeindruckt, daß sie sich schon zwei Mal einer Voraussagung eines Orakels gestellt hatte und glaubte, auch die Worte deuten zu können- wie auch immer sie das mit dem Verstehen, Nicht-Verstehen und doch Wissen auch gemeint hatte. Denn wirklich hatte Marcus ihre Aussage nicht verstanden, wenn er sich davon nichts anzumerken gedachte. Dies war nicht das erste Mal, daß es ihm so ging, und Philosophie- so war Marcus fest überzeugt- war nur Philosophie, wenn ein Normalsterblicher- sprich er- sie nicht begriff. Marcus stützte sich auf seinem Ellbogen ab und nippte am Wein, dachte dabei nach, ob er etwas ähnlich Schlaues erwidern konnte. Aber das war nun mal die leidige Angelegenheit, wenn man über zu wenig Bildung verfügte, oder eher sich nicht wirklich an die Weisheiten der mal erlernten Texte entsann. So gab er das Unterfangen- ein Gedicht wäre schließlich nichts passendes gewesen- wieder auf und nickte zustimmend.
„Gut, dann zur neunten Stunde vor dem Orakel der Sibylle.“
Mit einer Hand deutete Marcus einem Sklaven ihm nachzuschenken und nickte wehmütig lächelnd. Ja, Africa war für ihn ein Traum gewesen- abgesehen von den Widrigkeiten des Reisens, das zweimalige Überfallenwerden, die Insekten, die Krankheit seines Sohnes, das Jammern der Kinder, wenn es mal wieder zu heiß war, die kleinen Leiden, die man immer in der Fremde hatte und ähnliches. Aber je länger die Reise nach Africa her war, desto mehr verklärte Marcus diese und hielt das Land nur noch für ein Hort aller Schönheit und die Vorboten der elysischen Felder. So hätte er wohl den ganzen Abend schwärmen können- wenngleich er sich wohl über die betörenden, dunkelhäutigen Frauen weniger ausgelassen hätte-, aber er wollte Epicharis nicht allzu sehr langweilen, es ihr lieber selber eines Tages zeigen und den Reiz dieser Länder selber offenbaren. Warum Marcus ein Faible für Africa hatte, hinterfragte er nie, lag es doch schlicht in der Familie. Immerhin waren einige Flavier für ihre Liebe zu diesen exotischen Reichen bekannt, hatte sogar einer der Kaiser, Vespasian, aus seiner Familie dem Kontinent doch die Kaiserswürde zu verdanken oder Domitian indirekt sogar sein Leben.
“Aber natürlich können wir auch das Museion besichtigen. Es ist mit Sicherheit einen Besuch wert.“
Wenn auch Marcus wenig Lust dazu hatte, so würde er doch Epicharis den kleinen Gefallen tun. Interessiert eine Schriftrolle anzuschauen, dabei kein Wort zu lesen und die Gedanken mit den angenehmen Dingen des Lebens zu füllen- also Tagträume zu pflegen- das konnte Marcus durchaus ganz gut. Außerdem hatten manche Schriftrollen auch recht ulkige Bilder und die Griechen des Museion waren doch häufig sehr amüsante Zeitgenossen, über die man sich herrlich lustig machen- selbst wenn diese es nicht beabsichtigten. Mit dem Abendrot färbte sich auch das Purpur der Klinen, wandelte sich in ein tiefes Rot- wie in den roten Lebensodem getaucht oder ein Feld von Mohn, was sich sanft im Wind wiegte, schien die Farbe zu leuchten. Doch dann schlug die Verwirrung bei Marcus zu als Epicharis die Sklavin erwähnte, folgte mit dem Blick zu Dhara und konnte sich nicht im mindesten einen Reim darauf machen, was Epicharis meinte. Welcher Brief? Genau genommen hatte Marcus schon seit Wochen kein Schriftstück auf seinem Schreibtisch angeschaut, geschweige denn gelesen. Der riesige Berg darauf war ihm ein Grauen gewesen und so hatte er entschlossen alles gepackt und in eine Kiste geworfen. Ob da der Brief von Epicharis dabei gewesen war? Schon bohrte sich der Pfeil von schlechtem Gewissen, getaucht mit dem Gift von Verlegenheit in Marcus. Hinter Epicharis Rücken bemerkte Marcus ein energisches Kopfnicken von seinem Sklaven, sah einige Herzschläge verwundert drein, ehe er ebenso mit dem Kopf nickte.
“Aber natürlich. Nun, es freut mich, wenn Dir die Sklavin Freude bereitet.“
…was auch immer ich damit zu tun habe!, kam Marcus der Gedanke. Aber das würde er später noch mit Hannibal klären müssen. Scheinbar hatte der vergessen, ihn auf etwas hinzuweisen. Obwohl voll und doch etwas träge durch das Mal, erhob sich Marcus und deutete eine Verbeugung im schwindenden Abendlicht am.
“ Und mir war es eine große Freude und Ehre Deine reizende Gesellschaft an dem heutigen Nachmittag genießen zu dürfen!“
Natürlich verstand es sich von selbst, daß Marcus Epicharis mit bis zur Sänfte führte und sie erst dort, bewacht von unzähligen Sklaven, verabschiedete. Eifrige Hände- die der Sklaven- entzündeten am Weg bis zur Sänfte bereits kleine Öllampen, die mit filigranen roten und blauen ägyptischen Glas überdeckt waren und ihr buntes Licht auf die hellen Kiessteine warfen. Im Dämmerlicht zwitscherten einige Vögel, besonders die Amseln, aber auch so manch ein exotischer Vogel, der sich von Epicharis zu verabschieden schien. Die verschnörkelten Tore schwangen von den beiden Patriziern auf und Marcus wandte sich vor der Sänfte Epicharis zu. Das letzte Licht im Abendrot beschien die eine Hälfte seines Gesichtes, während die Andere völlig von der heranziehenden Dunkelheit bedeckt wurde. Sanft ergriff Marcus Epicharis Hand und sah sie einige Herzschläge mit einem längeren und intensiveren Blick an.
„Selig wie ein himmlischer Gott erscheint mir, wär’s erlaubt, noch über den Göttern selig, wer, vor dir hinsitzend, dich immer, immer schauet und anhört.“
Wie einen Schatz in seiner Hand beschirmend hob Marcus Epicharis Hand, drehte sie herum und küsste behutsam sie am Handballen und gleich darauf zart an ihren Fingerspitzen, dann verbeugte er sich und lächelte. Fackeln flammten um sie herum auf als die bereit stehenden Leibwächter diese entzündeten und sich für den Rückweg durch die Strassen Roms bereit machten. Obwohl nicht erlaubt, so trugen doch alle diese Männer Waffen unter ihren Überwürfen, um Epicharis unbeschadet durch die Stadt in die villa zu bringen. Und keiner der Sklaven zweifelte daran, daß ihr letzter Tag wäre, wenn ihnen dies nicht gelang.
„Ich freue mich sehr darauf, Epicharis, Dich bald wieder zusehen und wünsche Dir eine angenehme Nacht.“
Abermals deutete Marcus eine Verbeugung zum Abschied an, einer der Sklaven warf sich abermals vor der Sänfte auf den Boden, um Epicharis das Einsteigen leicht und komfortabel zu machen.