Für Marcus gab es einige feststehende Grundsätze, was Frauen anbelangte. Unter anderem: Frauen sind launische Geschöpfe, dabei doch die reizendsten Wesen der Welt, dennoch hatten sie seltsame Angewohnheiten. Wenn sie etwas meinten, so behaupteten sie das Gegenteil von ihren Wünschen und Verlangen. So kam es Marcus in diesem Momente vor, meinte er doch eine feine Gänsehaut ob der Kälte auf Epicharis Haut erkennen zu können. Doch in einem musste Marcus ihr Recht geben, die frische Luft tat gut und belüftete sogar ein wenig den Raum unter seiner unbequemen toga. Wie sehr er doch seinen Vetter Gracchus beneidete, der die toga mit einer Selbstverständlichkeit trug als ob er damit geboren wurde. Scheinbar nachdenklich- eigentlich dachte Marcus in jenen Herzschlägen gar nicht, sondern betrachtete nur still den tiefschwarzen Garten, der sich vor seinen Füßen ausbreitete- neigte er den Kopf ein wenig zur Seite, spürte dann jedoch den Blick von der jungen Frau an seiner Seite auf sich ruhen. Sein Kopf wandte sich ein wenig zu ihr, doch in jenem Moment sah sie schon wieder weg. Vielleicht hatte er sich aber auch nur getäuscht. Mit der üblichen wachsenden Verlegenheit, wenn man als Unbeteiligter vom Tod eins nahen Verwandten des Gesprächspartners erfuhr, vernahm Marcus von dem Dahinscheiden ihrer Tante, grübelte schon über eine passende Antwort.
„Das tut mir Leid…“
Die übliche Frage: Standest Du ihr sehr nahe?, lag ihm bereits auf der Zunge. Doch er war froh, daß er sie nicht mehr aussprechen konnte. Daß Epicharis von sich aus die Materie von solchen bedrückenden- wenngleich sie ihm nicht nahe gingen- Nachrichten wechselte und sich wieder harmloseren Gesprächsstofff widmete. Marcus atmete tief ein und schüttelte andeutungsweise den Kopf.
„Nein, nicht direkt. Wir dienen zwar in der gleichen legio, doch sind wir unterschiedlichen cohortes, also unterschiedlichen Einheiten, zugeteilt. Um genau zu sein, habe ich doch eher weniger mit Deinem Vater zu tun, seit Monaten das erste Mal erneut auf der Schulung in der legio mit der Thematik der Belagerungstürme…aber ich will Dich nicht damit langweilen…“
Mit etwas, was Marcus selber ein Graus war, Theorie und Schulungen lagen ihm überhaupt nicht. Nicht umsonst hatte er schon seit seiner Kindheit versucht jegliche Unterrichtsbemühungen durch griechische Lehrer zu umgehen. Auch wollte er nicht gleich damit herausrücken, dass die Anfänge mit Epicharis Vater nicht gerade goldig und glorreich waren, es mehr zu Missverständnissen und Reibereien kam. Doch letztlich hatten sich die Wogen in der Führungsebene- zu der sich Marcus freilich nicht dazu zählte- wieder geglättet, wie es ihm schien. Marcus lächelte ein wenig und sah in Richtung des triclinum. Wehe, sie räumten das ganze gute Essen schon ab, während er sich hier unterhielt! Mit einem wehmütigen Lächeln- ob dieser Gefahr- wandte er sich an Epicharis und schnitt ein gänzlich anderes Sujet an.
„Wenn ich vielleicht eine eher persönlichere Frage stellen dürfte? Wie ist es für eine Tochter, wenn sein Vater in der legio dient? Ich meine, nun…ich frage das nicht ganz ohne Hintergedanken. Ich habe ebenfalls eine Tochter und ich habe das Gefühl, sie scheint darunter zu leiden. Ich meine…verzeih, aber wie war es für Dich?“
Seine Augenbrauen wölbten sich ein wenig nach oben, fragend und mit der Hoffnung eine erträgliche Antwort zu erhalten. Um das Befinden seines Sohnes machte sich Marcus weitaus weniger Gedanken, er war ein Junge und mußte nun mal lernen, daß das Leben nicht nur aus Annehmlichkeiten und Leichtigkeit bestand, daß Widrigkeiten einen Jungen nur noch mehr formen würde- so weit die Theorie, Marcus hatte bis ins hohe Alter nur die genussvollen Seiten des Lebens erfahren. Wenn er die Erfahrung, keinen Vater zu haben, genauso teilte, vielleicht noch viel schmerzhafter, da seiner schon vor seiner Geburt verstorben war. Aber um seine sensible Tochter sorgte sich Marcus sehr viel mehr, besonders natürlich in jenen Tagen.