Beiträge von Marcus Flavius Aristides

    Es war Marcus als ob er den feinen Geruch nach gebratenem Fleisch in seiner Nase erhaschen konnte, doch noch sah er nichts von dem vorzüglichen Wohlgeruch. Auch Marcus ließ beiläufig seinen Blick durch den Raum schweifen, es verwunderte ihn nicht sonderlich, daß er kaum einen Mann im Raum zuordnen konnte, geschweige denn irgendwelche begleitenden Ehefrauen davon. Das schienen keine Römer zu sein, die die Dekadenz und den Luxus des gehobenen Badeortes Baiae zu schätzen wusste, denn dann würde Marcus- sofern jene Männer bedeutend war- sie auch kennen. Seine Mutter pflegte stets wichtige Persönlichkeiten zu einem Gastmahl zu laden. Manche der Gäste waren in Baiae Marcus angenehm, gar unterhaltsam, gewesen, andere- leider die Meisten- ödeten ihn oftmals nur an. Gebildet? Marcus warf Epicharis einen flüchtigen Blick zu. Schade, dachte er sich insgeheim. Nicht, daß Marcus gewitzte und kluge Frauen nicht zu schätzen wusste, doch wahrhaft gebildete Frauen, die nicht zu seiner Familie gehörten, vermochten es durchaus ihn einzuschüchtern. Er hatte stets bei ihnen das Gefühl gleich ziehen zu müssen- natürlich ohne Erfolg. Vielleicht hätte er sich in seiner Jugend doch mehr Mühe geben sollen, doch es gab so vieles im Leben, was sich sehr viel mehr lohnte.


    „Unverdünnt…oho, Du fängst, wie ich sehe, schon mit dem ungezügelten Teil des Festes an. Ob das in diesem Kreise die anderen Anwesenden nicht schockieren wird? Aber mir dünkt, Du scheinst mir ein wahrer Hedemo…Hego…ach, egal, ein wahrer Lebemann zu sein.“


    Zwar ärgerte sich Marcus einen Bruchteil, daß ihm das Wort Hedonist- er hatte es doch gerade bei den Saturnalia von seinem Sklaven gelernt-nicht einfiel, um es passend in ein Gespräch einzustreuen. Aber trotzdem lachte er ungezwungen, inzwischen besserer Laune, und wohlklingend. Immer noch lächelnd hob er den Becher.


    „Auf die Frauen, ein Segen der Götter. Wir brauchen Sie, wie der Verdurstende das Wasser. Und trotzdem vermögen sie uns in die schlimmsten Qualen zu versetzen und sind gar manches Mal mehr ein Fluch. Doch wer wollte ohne sie leben?“


    Um einem knurrenden Magen vorzubeugen, widmete sich Marcus erneut dem Essen, ließ sich einen vollen Teller mit der Vorspeise reichen und beäugte die Sesamgewürzten Köstlichkeiten. Der Seitenblick von Corvinus entging ihm damit völlig, wenngleich er ihm noch zuhörte. Als die Sprache auf das gymnasion kam, hob er den Blick von den Speisen und zuckte lächelnd mit der Schulter.


    „Nun, ein gymnasion mag schön und nett sein, aber in der legio habe ich, bei den Göttern, jeden Tag mehr als genug Kämpfen und Leibesübungen. Aber das mit dem Amphitheater klingt mir doch sehr viel versprechend. Was ist denn schon eine Stadt ohne ordentliche Gladiatorenwettkämpfe. Sehr schön!“


    Marcus lächelte, erinnerte er sich doch in jenem Augenblick an die Verwunderung der schönen Lucilla als er ihr von der Ödniss in Mantua berichtete. Das Lächeln wich einem ernsteren Gesichtsausdruck. Marcus presste die Lippen aufeinander und ließ den Teller sinken. Herrje, warum dachte er bloß immer noch an sie? Ein Abend, ein einziger Abend und sie war davon entschwunden wie ein schöner Traum. Es war langsam mal an der Zeit, sie zu vergessen. Schnell aß Marcus weiter, etwas Gutes zu verspeisen half ihm oft über die Widrigkeiten des Lebens hinweg.


    „In der Tat, früher habe ich mit Leidenschaft gejagt. Gleichwohl bin ich in letzter Zeit nicht oft dazu gekommen, aber wenn sich die Gelegenheit bietet, würde ich das gerne wieder tun. Aber Eber wird es doch sicherlich hier geben. Die Eberjagd ist sehr aufregend.“


    Marcus Augen fingen begeistert an zu glänzen, neben Gladiatorenkämpfe, Musik und Frauen war die Jagd ein Lieblingsthema von ihm. Darüber konnte man sich schließlich auch Stunde um Stunde austauschen. Marcus stellte den Teller zur Seite, um bei seinen nächsten Worten bedeutend gestikulieren zu können.


    „Der Wald, die Stille, nur der Speer in der Hand. Der Eber nähert sich mit der schweren Wucht seines Körper, doch man sieht ihn nicht. Plötzlich bricht er durch das Untergeholz, einem Ungeheuer gleichend. Und das ist der Moment, wo alles um einen Mann bedeutungslos wird. So klare Momente im Geist, so ein intensives Lebensgefühl verspürt man nur in den wenigen Minuten des Kampfes mit dem Tier. Oh, und ein Eber ist wahrlich ein harter Brocken, kann einem Mann mit seinen Hauern leicht den Bauch aufspießen. Hah, aber wenn man den dann erlegt hat. Was für ein Hochgefühl, durchaus vergleichbar, wenn man eine Frau geritt…Du weißt sicherlich schon, was ich meine. Also, hast Du nicht Lust auf eine Solchige? Ähm, eine Jagd natürlich...“

    Lange peinliche Versehen oder Faux Pas als unangenehm zu empfinden lag einfach nicht in Marcus Natur. Zwar nahm er es mit leichtem Bedauern hin, daß sein dilettantischer Überspielungsversuch nicht geglückt war, aber als sonderlich schlimm erachtete er dies auch nicht. Die zunehmende Anzahl der kulinarischen Attraktionen fiel ihm positiv auf, sein Lächeln verbreiterte sich zu einem erfreuteren Strahlen. Dementsprechend jovial wirkte, als er es sich auf der Kline noch bequemer machte und sich neuen Falerner eingießen ließ.


    „Flavius Aristides war mein Name.“


    Unschlüssig sah Marcus von dem Hartkäse mit und ohne Sesam hin und her, konnte sich nicht entscheiden und wählte stattdessen von dem Zucchinigericht. Wenngleich seine kulinarische Verpflegung in letzter Zeit wegen seiner Beförderung schlagartig besser geworden ist, konnte er solche Speisen seit seiner Zeit in der legio sehr viel besser genießen. Ein: „Hmm…köstlich!“ entfuhr dezent seinen Lippen. Erst als er heruntergeschluckt hatte, konnte er sich wieder dem Gespräch widmen.


    „Aber das ist erfreulich, daß es mit dem Gespräch geklappt hat. Der praefectus ist auch ein sehr guter Offizier und ein sehr gebildeter Mann!“


    Zumindest nahm Marcus das an. Wer so viele Schriftrollen besaß, der würde sie mit Sicherheit auch gelesen haben. Während Marcus ein wenig mehr von dem Tintenfisch zu sich nahm, kam ihm der Gedanke, daß sein Vorgesetzter vielleicht auch nur, um zu beeindrucken, so viele Schriftrollen besaß. Marcus zuckte unschlüssig mit der Schulter. Selbst wenn er es nicht wirklich wußte, würde er nicht auf den Gedanken kommen, seine Aussage zu relativieren. Denn Marcus hatte gegenüber einigen der Offiziere in der legio mehr Loyalität als gegenüber anderen. Natürlich war die Treue zu den Anführern von Zeiten der legio IX noch am Größten, vom Legat bis hin zu Plautius und Avitus. Marcus folgte Corvinus Blick zum Gastgeber und der jungen Epicharis, deutete den Blick auf die Frau falsch und schmunzelte in sich hinein.


    „Eine schöne Frau, die junge Claudia Epicharis, nicht wahr? Kennst Du die Familie schon länger?“


    In gewisser Weise war Marcus, was Tratsch und Klatsch anging, durchaus interessiert. Besonders an solchen Abenden, wo er nicht lange über legio oder gar Politik sprechen wollte. Aber bei der Erwähnung von Epicharis kam er noch auf einen anderen Gedanken.


    „Du bist doch duumvir der Stadt, Aurelius Corvinus. Ist das noch so? Aber vielleicht kannst Du mir ein paar hilfreiche Anregungen geben. Was bietet die Stadt für Annehmlichkeiten? Gibt es hier ab und an Gladiatorenkämpfe oder Rennen? Und wie sieht es mit der Jagd aus, gibt es hier gutes Wild zum erbeuten? Bären, Eber oder Hirsche?“


    Vielleicht konnte Marcus sich die nächsten Monate mehr versüßen, als centurio hatte man schließlich größere Freiheiten, und somit seine Zeit mit einigen angenehmen Tätigkeiten neben der legio füllen.

    Einlässlich betrachtete Marcus die junge Frau vor ihm. Daß sie kaum älter als seine eigene Tochter sein konnte, kam ihm nicht in den Sinn. Viel mehr ihre schönen braunen Augen, ihre vollen weichen Lippen und ihr reiner, weißer Teint stachen eindrücklich in seine eigenen Augen. Einnehmend und begehrenswert machte Epicharis auch das schelmische Schmunzeln, doch Marcus hatte aus seiner Leidensgeschichte von vor weniger als zwei Dekaden gelernt. Niemals, niemals sich an eine Patrizierin heran machen, wenn sie nicht schon verheiratet war. Sollte sie schwanger werden, konnte man es immer noch ihrem Mann anhängen und war jegliche Verantwortung die Frau selber heiraten zu müssen entledigt.


    “Ich bin schon seit einigen Monaten hier in Mantua stationiert, werte Claudia. Und einer der wenigen unterhaltsamen und angenehmen Seiten habe ich durchaus kennen lernen dürfen…die Thermen zum Beispiel!“


    Das war natürlich auch glatt gelogen. Marcus wusste noch nicht mal, ob es in diesem Ort überhaupt Thermen gab, aber es konnte nicht anders sein. In welcher römischen Siedlung gab es keine Thermen? Aber eigentlich dachte er mehr an das nette kleine Lupanar. Aber das war sicherlich kein Thema für eine Patrizierin. Marcus, immer noch unwillig an der ganzen Veranstaltung heute Abend teilnehmen zu müssen, taute bei dem Lächeln von Epicharis sichtlich auf. Seine hochmütige Miene wollte sich schon lösen, ein gutmütiges Lächeln wollte dieses ersetzen, doch die Umstände entzogen ihm die junge Frau. Er neigte höflich den Kopf.


    “Aber natürlich, werte Claudia! Einer so bezaubernden Frau, verzeiht man doch alles.“


    Ohne weiteren Gedanken sah er ihr noch hinterher, warf Hannibal endlich den prüfenden Blick zu. Warum stand dieser nur so dicht hinter ihm? Warum zog er so eine Schnute? Hatte Marcus sich gar wieder blamiert wegen etwas? Fragend wanderten Marcus Augenbrauen nach oben, doch da er kaum erwartete seinem Sklaven hier eine Antwort entlocken zu können, sah sich Marcus suchend um. Ein freudiges Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Das Essen kam herein. Erfreut schlenderte Marcus auf eine Kline zu, nahm Platz und tunkte seine Hände in eine Wasserschüssel, ehe er nach einer Kostprobe griff- von der sepia. Genüßlich verspeiste er diese, als ihm mal ein bekanntes Gesicht- niemand aus der legio- auffiel. Höflich nickte er Aurelius Corvinus zu.


    „Salve…Aurelius…Corvi…“


    Hannibal war Marcus da auch keine Hilfe. Marcus suchte hektisch nach dessem Cognomen, er fiel ihm nicht ein. Irgendwas mit dem Raben. Herrje. Hustend, als ob er sich verschluckt hätte, versuchte er sein mangelndes Wissen zu tarnen.


    „Salve, werter Aurelius! [Noch mal gerettet!] War das Gespräch beim praefectus wegen dem Amphitheater fruchtend?“

    Eine Ratte huschte an der Wand vorbei, schnüffelte ungeniert an einer der Kisten. Appius starrte auf die Ratte, halb erschrocken, dann doch mehr entsetzt. Eine Ratte vor seinen Augen, das war der Gipfel des Chaos und der Verwahrlosung. Entschlossen packte er einen alten vitis, der noch auf dem Tisch stand und trat auf die Ratte zu, holte aus und erschlug das arme Vieh mit einem Hieb. Kalt und ohne eine Miene zu verziehen, sah er auf das tote Tier herunter, zog den vitis wieder hoch und dann passierte etwas unglaubliches- ein hauchfeines Lächeln verzog seine Lippen. Es sah schon unheimlich auf seinen Gesichtszügen aus.


    „So, das wäre auch erledigt. Ungeziefer, alles Ungeziefer. Zu Deinem Vorgänger? Centurio Grisus Catus war der ehemalige centurio. Er ist vor drei Wochen gestorben. Wer Dein Stellvertreter ist, kann ich Dir auch nicht sagen.“


    Das Lächeln war wieder weg, nur die tote Ratte war das letzte Zeugnis für Appius Gefühlsausbruch.


    „Dann viel Erfolg, centurio, bei der Sortierung dieser verlotterten Bande. So etwas darf es in der prima nicht geben. Wir sind schließlich die beste Truppe des Imperiums. Vale!“


    Appius salutierte, Octavius war nun mal im Rang über ihm- und marschierte stramm- den blutigen alten vitis zurücklassend- aus der habitatio.

    „Aha…ah, gute Wahl, centurio…ja, und immer das Feinste, wie ich sehe. Das zeugt davon, wie sehr Du die Ausrüstung zu schätzen weißt! Gut, ja ja, ein Legionär sollte immer sein gladius scharf halten. Besonders im verruchten Haus des praefectus…haha!“


    Titus Crassus lachte ausgiebig über seinen mageren Witz. Hinter seinem Rücken rollte Appius nicht sonderlich verstohlen mit seinen Augen. Vage meinte sich Appius daran zu erinnern, daß es einer jener Witze war, warum die Beiden vor vielen, vielen Jahren aneinander geraten waren. Die Tränen stiegen dem dicken Titus in die Augen, sein Lachen schien nicht versiegen zu wollen und immer mal wieder schlug er sich glucksend auf seine Wampe, so dass sie ständig erbebte. Nach einigen Herzschlägen hatte sich Titus schließlich berappelt und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.


    „Gut, gut, dann hast Du alles? Damit ist meine Augabe getan und ’nen schönen Tag noch, centurio! Viel Erfolg hier in der legio prima! Lucius? Haste meinen Witz gehört…?“


    Titus Crassus watschelte wieder leise lachend nach hinten, wo er seinem Untergebenen brühwarm den Witz erzählte. Schwer seufzend über diese niveaulose Manier wandte sich Appius derweil an Octavius Sura.


    „Ich führe Dich zu deiner Zenturie, Octavius. Dort kannst Du auch Deine habitatio beziehen und deinen optio zu Dir rufen.“


    Gesagt, getan. Springen wir doch einfach aus dem Verwaltungstrakt und hinüber zu einem der vielen Zenturienhäuser. Denn den Raum werden die Beiden wohl unbeschadet verlassen haben.

    Ungesehen und durch eine leere Mannschaftsunterkunft- sie war sehr, sehr unordentlich und bedurfte wahrlich einer strengen Hand- hatte Appius in kerzengerader Haltung Octavius hindurch gelotst und anschließend in die äußerst geräumige centuriounterkunft geführt. Pikiert rümpfte Appius die Nase. Erst das völlige Chaos in der Unterkunft und anschließend die alten Sachen des verstorbenen centurio Grisus- er war an einem Hähnchenknochen erstickt- hatten ihn fast aus dem Konzept gebracht. Was für eine Schlamperei. Sobald der Kapitän das Schiff verlassen hatte, tanzten die Ratten auf dem Deck. Appius rieb sich- Zeichen seiner Indisposition- den Nasenrücken und klackte mit der tabula gegen seinen metallenen Gürtel.


    „Hier sind wir, centurio! Deine Zenturie, deine Unterkunft und die Hinterbliebenschaft Deines Vorgängers. Vergiß nicht den Eid auf dem Fahnenplatz zu schwören. Ansonsten übergebe ich Dir hiermit Deine neue Truppe. Gibt es etwas, was Du noch benötigst?“


    Appius Augen ruhten mit einem kühlen und distanzierten Blick auf dem Neuen der legio prima.





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    Ob die Gastgeber später auch Musikanten auftreten ließen. Das würde Marcus in der Tat für diese Festivität entschädigen. Die tubaklänge in der legio oder das Gegröle der Männer war bei weitem nicht als Musik zu bezeichnen und tat oftmals in Marcus musikempfindlichen Ohren aufs äußerste weh. Man konnte Marcus einen mangelnden gebildeten Geist, eine zu hedonistischen Lebensweise und einen Hang zur Völlerei nachsagen, aber die Musik liebt er abgöttisch. Als er nach dem Becher Falerner griff, lächelte er der Sklavin noch mal freundlich zu, wandte sich wieder um und setzte seine patrizische Miene auf, die er für den Rahmen als angemessen empfand. Andeutungsweise nickte Marcus bei Epicharis Frage.


    „In der Tat, ich diene auch in der legio prima, wie Dein Vater, werte Claudia!“


    Rang schien heute keine Bedeutung zu haben, für den tribunus, nur sein patrizischer Name, also nannte ihn Marcus der claudischen Schönheit vor sich nicht. Er nippte am Wein, empfand den Tropfen als einen hervorragenden Jahrgang. Aber noch beherrschte er sich, denn auch da wusste er sich zu zügeln, damit er nicht gleich allzu peinlich am Anfang einer Festivität auffiel. Sollten Frauen, Eheweib und Trinkschwache bei so einem Gelage später entschwunden sein, konnte man sich immer noch dem Wein mehr hingeben.


    „Dann lebst Du ebenfalls hier in Mantua? Ist der Ort Dir nicht vielleicht etwas zu ruhig, wenn man es mit Rom vergleicht?“


    Marcus, Dir fiel auch schon mal besseres ein!, schollt sich Marcus selber. Aber da es auf solchen Feierlichkeiten meist um sinnlose und belanglose Konversation ging, verzieh sich Marcus schnell die einfaltslose Fragerei. Noch ein Schlückchen Wein zu sich genommen und die Welt sah schon viel rosiger aus.

    Aus unerfindlichem Grund hatte Marcus das Gefühl, daß sein Sklave ihm schon fast auf den Hacken stand, um ihn zu kontrollieren. Doch da er mitten im Gespräch war, fand er keine Zeit Hannibal prüfend zu mustern. Außerdem stand er vielleicht nur so nahe hinter ihm, um weitere Namen in sein Ohr flüstern zu können. Die Andeutung ganz im Namen der Claudia-Töchter war Marcus etwas zu schleierhaft. Feierten vielleicht alle zusammen ihren Geburtstag heute? Vielleicht würde- wenn die Elite eingeladen war- noch der ein oder andere seiner Familie erscheinen. Vielleicht auch Gracchus, immerhin der Magister der Salier, der ihm vom Exorzismus mehr berichten konnte. Marcus wandte sich Epicharis zu als diese ihm vorgestellt wurde und hatte das bestimmte Gefühl: eine gewisse Kühle schlug ihm entgegen. Eine schöne Frau, das fiel ihm sofort auf. Aber mit der typischen patrizischen Unnahbarkeit, mit der Marcus wenig anfangen konnte. So rang er sich ein höfliches Lächeln ab.


    „Salve, werte Claudia. Es ist mir eine Freude, Dich kennen zu lernen!“


    Höfliche Floskeln, die an einem solchen Abend wohl immer ausgetauscht wurden. So etwas war Marcus schon vor langer Zeit in Fleisch und Blut übergegangen. Immer mehr Gäste trudelten ein und wollten von den Gastgebern begrüßt werden. Dabei fiel ihm auch der junge Mann auf, den er doch schon einmal am Tor kennen gelernt hatte. Das war nun schon eine Weile her und nur eine sehr flüchtige Begegnung gewesen. Aurelius! Das wusste Marcus noch. Und irgendetwas mit einem Raben? Marcus fiel es nicht ein, nur daß dieser bei der Stadt wohl arbeitet. Marcus wandte sich wieder an Vesuvianus.


    „Ich möchte Dich nicht von der Begrüßung Deiner Gäste abhalten.“


    Marcus neigte höflich den Kopf und gesellte sich zu den anderen Gästen. Seine Kehle war schon ganz trocken und so war es eine Fügung der Götter, oder einfach nur eine wohl geplante Organisation des Festes, daß die junge Sklavin auf ihn zutrat. Marcus lächelte die hübsche Sklavin, Aintzane, freundlich an und zwinkerte ihr- unauffällig- zu.


    „Fruchtsaft? Nein, aus dem Alter bin ich schon lange heraus. Aber Falerner wäre mir sehr recht. Ich danke Dir!“

    Leise klackten die Steine gegeneinander als Marcus über einen strahlend weißen Kiesweg des Gartens schritt. Der Wind spielte mit dem Saum seiner paenula, die aus dicken und dunkelgrünen Fasern gewebt worden war. Kleine Wellen kräuselten sich auf dem Zierfischteich, munter schwammen die Fische im fahlen Licht der Sonne hin und her. Einige Blätter vom nahen Baum schwammen braun und tot auf der Oberfläche des glitzernden Wassers. Sinnierend die Reflexionen betrachtend blieb Marcus vor dem Zierfischteich stehen und sah unverwandt auf die Fische, schien sie um die Einfachheit ihres Lebens zu beneiden. Schwimmen, fressen, schwimmen. Schliefen Fische eigentlich jemals? Nachdenklich fuhr sich Marcus mit seiner Hand über das Kinn. Die übliche tiefe und Gallenverseuchte Melancholie nach einem durchzechten Nacht hatte ihn im festen Würgegriff. Die Welt- trotz der schwachen Versuche der wenigen Sonnenstrahlen- nun die Welt war einfach schlecht. Nur wenig Muse war ihm noch vergönnt, schon morgen würde er weiterreiten müssen, zurück zur legio.


    Gedanken verloren bückte sich Marcus und griff nach einem weißen Stein. Glatt und makellos lag er in seiner Hand, gaukelte ihm eine zarte und weiche Oberfläche vor. Samtig, das Wort kam ihm in den Geist. Samtig wie die Haut einer Frau und innen so hart wie ein Mann? Marcus grinste, fand den Vergleich selber eher absurd und warf den Stein in den Teich. Erschrocken stoben die Fische auseinander, Wellen schwappten auf der Wasseroberfläche und langsam beruhigte sich das Wasser wieder. Der Stein versank im Wasser, war von oben gut zu sichten. Auf eine gewisse Weise hatte ihn das Gespräch mit Manius am heutigen Mittag aufgemuntert, setzte Marcus doch seine ganze Hoffnung in seinen Vetter was das Lösen des Fluches anging. "Früher oder später musst du dich deiner Pflicht stellen, Marcus!“ Wie ein schwerer Stein wogen die Worte in seinem Inneren. Es war sicherlich nicht etwas, was er nicht schon vorher von seiner Mutter gehört hatte. Aber langsam reifte in ihm die Erkenntnis, daß die Zeit der Leichtigkeit und das Fehlen der Verantwortung dahin sein würden. Auch würde er sich wohl dazu durchringen müssen, früher oder später mit Felix darüber zu sprechen. Lieber später!


    Gerade als er nach einem weiteren Stein griff, ließ ihn eine Stimme aufhorchen. Seine Hand schloß sich fest um den kleinen weißen Stein und er presste seine Kiefer wütend aufeinander. Seine Nasenflügel bebten und er sog die Luft tief ein. Langsam wandte er sich um, sah in den hinteren Teil des Gartens, woher die Stimme vernehmlich zu hören war. Der Kies knirschte unter seinen calcei als er darauf zuging, einen Rosenbusch zur Seite strich und über das Wintergras lief. Seine lange tunica streifte an einem Zweig des dornigen Gewächses vorbei, der Duft der Pinie stieg ihm würzig in die Nase. Schon gestern hatte er seinen Zorn nur mühsam gezügelt, als der Germane auf dem Fest aufgetaucht war. Eisig schweigend musterte er Rutger, dessen Aufmerksamkeit wohl von den Zweigen und gänzlich anderen Dingen gefangen war. Was er sang, versand Marcus nicht, aber es interessierte ihn auch nicht. Marcus sagte kein Wort, sein Blick fiel auf einen Pinienzweig neben seinem Fuß. Mit zusammengepressten Lippen setzte er den Fuß zur Seite und ließ laut und vernehmlich den Ast unter seinem Fuß zerbrechen.

    Zwischen Tür und Angel hatte sein kleiner Sohn Marcus erwischt. Irritiert blieb Marcus stehen und wandte sich um. So schnell wie sein Sohnemann sprach, so wenig verstand Marcus, was Serenus von ihm wollte. Mitglied in einem Rennstall? Bedenklich wog Marcus seinen Kopf hin und her und hielt sich schnell am Türrahmen fest, damit der Wein ihn nicht auf den Boden zog. Blinzelnd sah er auf die Buchstaben, sie verschwommen vor seinen Augen ein wenig. Abgesehen davon, daß er selbst im nüchternen Zustand kaum des Griechischen mächtig war, so kam ihm das Geschreibsel angetrunken noch sehr viel ominöser vor.


    “Hmmm…also…na ja…also gut, was soll’s! Du willst sicherlich auch mal die großen Rennwagen bestaunen…gut. Aber mach mir ja keinen Unsinn und geh nie ohne Sklaven dort hin, verstanden? Und dann hurtig ins Bett heute Nacht.“


    Marcus nahm den Griffel und sah suchend, wo er denn am Besten seinen Namen setzen konnte. Daß sein Sohn das Bedürfnis nach Mitgliedschaft in einem Rennstall hatte, konnte Marcus durchaus nachvollziehen. Zwar war Marcus Faible früher eher die Gladiatoren gewesen und er wollte damals unbedingt Gladiator werden, aber der kleine Rennwagen bewies ihm, wo Serenus Interesse mehr lag, nämlich bei den aurigae. Schwungvoll begann er mit seinem seinem M und kritzelte nachlässig noch den Rest seines Namens hinter her. Er gab Serenus den Griffel zurück und wuschelte ihm lächelnd durch die Haare.


    „Dann husch ins Bett, mein Junge. Wir sehen uns morgen…“


    Und nun brach Marcus wirklich auf, die Nacht war nicht mehr ganz jung und galt ausgenutzt zu werden.

    „Herrje, laß das!“


    Marcus raunte die Worte verärgert als er durch die Gänge der villa auf das triclinum schritt, während Hannibal wohl eine unnütze Falte hinten glatt streichen wollte. Kopfschüttelnd seufzte Marcus, wie sehr erinnerte ihn das an das Verhalten seiner Mutter, wenn ein wichtiger gesellschaftlicher Anlaß anstand. Marcus warf Hannibal einen erstaunten Blick zu. War das hier vielleicht wichtig? Ein Verdacht keimte in Marcus auf. Vielleicht steckte seine Mutter hinter dieser ganzen Sache, ihr Arm reichte immerhin weiter als Mantua. Vor dem Eingang zum triclinum blieb Marcus kurzzeitig stehen.


    „Dann spiel' mal heute den nomenclator, Hannibal! Ich habe keine Lust auf Herumraten.“


    Hoch erhobenen Hauptes betrat Marcus das triclinum. Seine Hände hielt er hinter der dunkelblauen, sorgfältig gefalteten toga verschränkt, deren Falten locker über eine weiße, knöchellange tunica fiel. Die Ränder der blauen toga waren mit silbernem Bortenbesatz bestickt, dazu trug er schwarze calcei patricii, die von einem elfenbeinernen Halbmond verziert wurden. Interessiert begutachtete er die anwesende Gesellschaft und ging forschen Schrittes tiefer in den Raum hinein. Nur der anwesende legatus verlieh der Fassade seiner hochmütige, patrizische Miene einige Risse. Herrje, was nun? Sollte er salutieren? Oder besser doch nicht? In der toga war es auch schlecht mit dem Salutieren, darum sah Marcus erst mal in eine andere Richtung, denn es schien der legatus noch genug beschäftigt zu sein. Mit einem jovialen Lächeln trat Marcus auf Tiberius Durus und Purgitius Macer hinzu, hörte ein leises Raunen an seinem Ohr und nickte zufrieden.


    „Salve, aedilis Tiberius. Salve, curator Purgitius!“


    Da Hannibal wohl den anwesenden Didier nicht einordnen konnte, ignorierte Marcus diesen vorerst. Dennoch mußte sich Marcus doch wohl erneut der Entscheidung der richtigen Begrüßung seines legatus stellen. Mit einem höflichen und durchaus ehrerbietigen Neigen seines Hauptes grüßte er den Legat nachdem der Gastgeber ihn grüßen konnte, wobei seine Augen kurzzeitig eine bezaubernde Erscheinung streifte, doch davon ließ er sich nur kurzzeitig ablenken.


    “Salve, legatus!“

    Auch Vesuvianus grüßte er mit einer leichten Kopfbewegung.


    „Salve, tribunus! Ich möchte mich für die freundliche Einladung bedanken. Gibt es einen Anlass zu dieser Feierlichkeit, wenn ich fragen darf?“

    Endlich war er von seinem Pferd heruntergestiegen, ärgerlich seufzend sah er auf die toga herunter. Ohne Hannibals Hilfe war es reichlich schwer die Falten wieder in die passende Ordnung zu bringen. Zuerst den sinus zurecht gerückt, dann den umbo wieder über den balteus geschoben. Zwar war es bei manch einem schon üblich den umbo nicht mehr offen zu tragen, aber Marcus kam nun mal aus einem alten Haus und schon während der Zeit der flavischen Kaiser wurde die toga so gefaltet, daran würde sich auch die nächste Mode nichts ändern. Gemächlichen Schrittes näherte sich Marcus dem Eingang und trat zu Hannibal und der jungen Frau am Eingang hinzu. Er nickte ihr wohlwollend zu und löste seine lacerna, welchige noch über der toga hing, reichte sie der Frau und trat in die villa hinein- im Schlepptau seinen Sklaven.

    Das Klappern der Hufen war schon einige hundert Herzschläge vorher zu erahnen. Die Hufeisen der Pferde schlugen vernehmlich auf den Pflastersteinen der Wege. Langsam näherten sich zwei Rösser der villa Claudia, mit zwei Reitern, beides Männer. Der erste Mann ritt auf einem dunklen, fast schwarzen Pferd, eine Stute mit einem dunkelbraunen Bauch und einem schwarzen Rücken. Gelassen, wenngleich mit einem Stirnrunzeln lenkte er das Pferd an einer Reihe von Bäumen vorbei, deren schwarze Äste sich kahl und düster zu dem Wolken verhangenen Himmel streckten. Grummelnd sah der Reiter zu seinem Begleiter, irgendwie gefiel dem ersten Reiter wohl dessen Gesichtsausdruck nicht.


    „Also ich weiß nicht, was das soll, Hannibal! Warum ist es denn so wichtig, ob wir zu so einer Festivität gehen oder nicht?“


    Leise schnaubend deutete Marcus in die Richtung, die die Beiden einschlugen.


    „Da beehrt mich der Herr mal mit seiner Anwesenheit, nachdem ich es schon vor langer Zeit aufgegeben habe und was passiert? Du drängst mich zu einer Patrizierfestivität. Etwas Öderes kann ich mir schwer vorstellen, verknöcherte Patrizier mit einem Haufen von alten Senatoren gemischt, die sich den ganzen Tag über Politik und Krieg, den die Meisten nie selber erlebt haben, unterhalten. Und wenn es ganz schlimm wird, dann kommt noch die Philosophie oder Juristerei hinzu…ja ja, ich weiß, das würde Dir durchaus gefallen- MIR aber nicht!“


    Marcus schüttelte noch mal leise vor sich hinraunend den Kopf, ließ seinen Begleiter jedoch gar nicht erst zu Wort kommen. Denn noch hatte Marcus einiges zu sagen.


    „Außerdem gibt es hier ein ganz schnuckeliges kleines Lupanar. Das mußt Du Dir unbedingt anschauen. Oh, ich sag’ Dir, da ist eine lupa, die ist einfach grandios und so schwarz wie die Nacht…ja, gut nicht die Art von Frauen, die Du magst, aber es gibt immerhin auch noch andere schöne Frauen dort. Komm, laß' uns doch lieber dorthin gehen.“


    In dem Moment bogen die Beiden um die nächste Straßenbiegung und waren schon in Sichtweite der villa Claudia. Vage konnte Marcus dort schon eine andere Reisegesellschaft erblicken und war sich sicher, auch sie waren bereits gesehen worden. Seufzend zuckte Marcus mit der Schulter, jetzt noch abzubiegen wäre in der Tat wohl sehr unhöflich. Also fügte er sich dem Schicksal- man konnte später schließlich noch den anderen Plan verfolgen- und ritt weiter auf den Eingang zu. Vielleicht gab es köstliches zum Verspeisen und dem war Marcus niemals abgeneigt. Seine Laune hob sich merklich mit dieser Aussicht und er zügelte sein Pferd und stützte sich mit beiden Händen auf der vorderen Kante seines Sattels ab.


    “Walte Deines Amtes, Hannibal, und melde mich wenigstens an der porta, während ich mich mit dieser elenden toga aus dem Sattel quäle.“


    Mit seiner rechten Hand deutete Marcus auf die porta. Erst dann sah er auf die Falten seiner dunkelblauen toga hinab und schüttelte den Kopf. Das mit dem Reiten war eine unausgegorene Idee gewesen, aber zum Laufen war es ihm vom Kastell einfach zu weit gewesen. Seufzend sammelte er alle Falten und versuchte- ohne die toga durcheinander zubringen- von seinem Roß zu steigen.



    [SIZE=7]einen ins auge springenden fehler ausgemerzt...[/SIZE]

    Früh am Morgen, es war kurz nach der rosigen Morgendämmerung, brachte ein junger Botensklave das Pergament vorbei, was in einer hellen ledernen Hülle hineingerollt war. Ein rotes Wachssiegel mit dem flavischen Wappen prangte auf dem weißen Lammleder.


    "Eine Botschaft für den Hausherren und Praefectus Praetorio!"


    Gruß, Heil und die gebührende Achtung eines treuen Patriziers, o Praefectus Praetorio!


    Seit deinem altruistischen Angebot meine Familie betreffend ist einige Zeit verstrichen, welche ich auf die umfassende Prüfung und die Reflektion eben jenes verwandte. Dennoch kann ich die dir bereits bekannte Entscheidung nur noch einmal bekräftigen, dass eine solche Verbindung weder adäquat noch zweckmäßig wäre. Da dies einen entgültigen Entschluss darstellt, ersuche ich dich darum, jenen zu akzeptieren. Weitere Anfragen sind zwecklos.


    Vale,
    Marcus Flavius Aristides

    Mit angewidertem Gesichtsausdruck schob Marcus den Becher mit Essigwasser zur Seite. Den würde er bestimmt nicht runterkippen. Das Einzige, was gegen einen morgendlichen Kater wirklich zu helfen vermochte, war ein tiefer Schluck kaum verdünnten Wein. Es gab noch ein anderes Mittelchen, was der Koch in Baiae, ein alter griechischer Sklave und Säufer- dafür jedoch hochbegnadet, was das Kochen anging- hervorzuzaubern vermochte. Es schmeckte zwar widerlich und ekelhaft, aber es half…nach einer Weile.


    „Essigwasser, bei Mars, das krieg ich oft genug in der legio. Das muß hier nicht auch noch sein.“


    Kopfschüttelnd seufzte Marcus und sah wieder vor sich hin, hob nur resigniert die Augenbrauen bei Gracchus Verwunderung. Marcus zuckte mit der Schulter und lachte freudlos. Erfolgreich in der Ehe? Was hatte nur Gracchus für Vorstellungen?


    "Ach, Manius, die Ehe war eine Katastrophe. Die Talfahrten und das Schlittern durch tartarusähnliche Momente häuften sich von Woche zu Woche. Ich glaube, Frauen sind lieblich und freundlich so lange man sie nicht geheiratet hat. Danach werden sie zu garstigen Biestern, entpuppen sich als schlimme Harpyien. Denkst Du, ich möchte das noch einmal mitmachen? Aber ich glaube, hoffe und bete inständig, daß meine Mutter nicht noch mal auf den Gedanken kommen könnte, daß ich heiraten soll. [Wie Marcus doch in dieser Hinsicht vergeblich hoffte! Dennoch ahnt er nichts von dem ominösen Brief!] Aber sie wird mit Lucius sicherlich zufrieden sein, er macht sich und wird bestimmt eines Tages eine große Laufbahn hinter sich bringen…“


    Im Gegensatz zu ihm. Marcus war, ob seiner Zukunft doch selber eher pessimistischer als er zuzugeben bereit war. Ihm fehlte einfach der Funke Ehrgeiz, den wohl die Meisten in der Familie zueigen hatten. Und daß er keinen Patron hatte, war wohl ein Ausdruck jener Unwilligkeit.

    “Felix…? Ich hab ihn nicht gefragt. Weißt Du, bei meinem Vater wäre das was anderes. Von ihm könnte ich natürlich der Klient sein, das gehört sich schließlich auch so. Aber bei meinem Bruder, den ich kaum kenne? Also, ich weiß nicht wirklich…aber nun ja, das hat noch ein wenig Zeit. Schließlich stehen die nächsten Wahlen, die in Frage kommen könnten, erst in einiger Zeit an. Wir werden sehen…!“


    Marcus Resignation und Frustration, die sich durch seine hängenden Schultern bemerkbar machten, nebst seinem trüben Gesichtsausdruck, verschwanden mit einem Mal. Er lächelte auf und versuchte sich nochmalig Gracchus bei der legio vorzustellen. Fast wie ein Junge gluckste er auf, lächelte breiter und unterdrückte nur mit Mühe ein Lachen. Aber er rief sich sofortig zur Ordnung, Gracchus würde jene Aufgabe mit Sicherheit genauso bravourös meistern, wie alles, was er anpackte. Gracchus war schließlich ein kluger Kopf und mit Geist konnte man so manche andere Schwäche gut überdecken. So lehrte ihn das Mal einer seiner Hauslehrer, der den ersten Kaiser, Octavian, stets anführte bei seiner Argumentation.


    „Mein geschätzter Vetter, die Erfahrung ist mit Sicherheit löblich. Nur laß' Dich nicht von der ruppigen Art der Soldaten entmutigen und sei gewiss, ein Flavier kann sich auch dort gut behaupten. Wir haben es schließlich immer wieder bewiesen. Und was die Moral angeht: Gutes Essen, keine Schinder, nicht zu lockere Zügel und einen starken Anführer, das ist schon das Wichtigste für eine gute Moral, nebst dem Zusammenhalt der Truppe. Aber das wirst Du schon noch alles herausfinden. Ich wünsch Dir allemal viel Erfolg dabei und auch bei Deiner nächsten Amtszeit, Manius.“


    Marcus brauchte unbedingt Wein. Starken Wein, denn die Kopfschmerzen wurden gerade, im Angesicht des stärker werdenden Sonnenlichtes, auch intensiver.


    „Gut, dann lege ich das mit meiner Tochter vertrauensvoll in Deine Hände und nehme jetzt mal ein warmes Bad! Wir sehen uns sicherlich noch…“


    Marcus stand auf und rückte den Stuhl wieder zurück, lächelte noch mal jovial und wandte sich um, verließ wieder den Raum. Ehe er am morgigen Tag Rom wieder verließ, würde er noch ein unangenehmes Gespräch führen müßen. Es sei denn er drückte sich doch noch darum und ließ einfach alles seinem natürlichen Lauf.

    Mit einem Schmunzeln betrachtete Marcus seinen Vetter, unterdrückte ein Hochwandern seiner Augenbraue. Die anderen männlichen Flavier, mal von seinem quietschfidelen Sohn abgesehen, schienen wohl zu müde oder zu unlustig zu sein in die Stadt zu eilen. Marcus zuckte mit der Schulter und leerte seinen Becher in einem einzigen Zug. Mit einem Winken deutete er einem der Freien heranzunahen und ihm eine Wasserschüssel zu reichen. Sorgfältig wusch sich Marcus seine klebrigen und fettigen Hände in dem kühlen Naß, die er dann an einem Tuch abtrocknete.


    „Wohl denn, dann brechen wir nun auf, zumindest mein Sklave und ich…doch möchte ich den Abend gerne noch mit ein paar Versen beenden, was vielleicht auch noch zu dem Fest passen mag!“


    Marcus holte Luft und entsann sich schnell an das Gedicht, was er mal aufgeschnappt hatte. Daß es ebenfalls von Catull stammte, ja, das ging ihm selbst beim Zitieren nicht auf.


    „In der lustigen Zeit zum Saturnalsfest,
    Wenn der Becher zum Würfeln herrscht, erlaubt ihr,
    Hoff’ ich, Römer mit Hüten, dass ich Verse
    Dichten darf, welche nicht gerade ernst sind.
    Wohl, ihr lächelt: Es ist erlaubt; ich wag’ es!
    Geh von dannen, du leichenblasse Sorge!
    Jetzo reden wir, was uns in den Sinn kommt, ohne Grübeln und langes Stirnrunzeln….“


    Grübelnd kratzte sich Marcus am Kinn. Eben hatte er doch noch gewusst wie es weiterging, jetzt waren die Zeilen ihm wieder im Geiste und seiner Zunge ebenso entglitten, seufzend, grinsend und mit einem Schulterzucken gab er schnell auf.


    “Und so weiter und so fort. Lucius, geh nicht zu spät schlafen. Gute Nacht und ein frohes Fest noch allerseits!“


    Beschwingt und froher Laune machte sich Marcus mit seinem Sklaven- und jedem sonst, der wollte- davon, es war schließlich nur einmal im Jahr die Saturnalia und die Feste in der Stadt umso bunter und feuchtfröhlicher. Das wollte Marcus mit Sicherheit nicht verpassen.

    Freude, Erstaunen, und auch Stolz machte sich in Marcus breit als er von der Beförderung erfahren hatte. centurio, richtiger centurio. Strahlend sah Marcus auf die Meldung, las es noch und noch mal, nicht, daß er sich beim Namen irrte und am Schluß war doch jemand völlig anderes gemeint. Obwohl es nicht allzu viele Flavier in der legio prima gab. centurio…Marcus lächelte selig und sank erstmal auf seine Pritsche herunter. centurio!


    centurio…!“


    Hatte er das gerade laut ausgesprochen? Egal! Frohen Mutes griff Marcus nach seinen Sachen und fing an alles zusammen zu packen. Schließlich würde er endlich eine eigene Unterkunft erhalten. centurio! Fröhlich vor sich hinpfeifend dachte Marcus über die goldenen Zeiten nach, die ihm entgegen winkten. centurio! Hah, herrlich! Das mußte er gleich seiner Mutter schreiben und Milo und Gracchus und…! Ja, seinen Kindern auch? Sein Sohn hielt ihn schließlich jetzt schon fast für den legatus der legio. Nein, besser keine Illusionen zerstören, das kam schon früh genug. Stück für Stück packte Marcus alles in den rauen Sack, den er vor langer Zeit noch in Germania erhalten hatte. Ein ziemlich altes Stück war es, hatte schon viel mitgemacht und er würde jetzt bessere Zeiten, und nicht mehr unter einer Pritsche zusammengeknäuelt, entgegensehen. Wie Marcus selber, nicht, daß er sich unter die Pritsche gelegt hätte, aber schon oben drauf war es nicht wirklich komfortabel.


    Mit einem Ruck zog er den Sack zusammen, nickte dem ein oder anderen Kameraden seiner Zenturie zu, verabschiedete sich von seinen Lagergenossen, die das Leid hatten, sein Geschnarche auszuhalten oder umgekehrt und marschierte zum Ausgang. Dort wandte er sich noch mal um und sah zu der Unterkunft der Zenturie, in der er so viele Nächte verbracht hatte. Kamen sentimentale und nostalgische Gefühle in ihm hoch? Nicht im Mindesten. Mit einem strahlenden Lächeln ließ er das hinter sich und machte sich auf zu seiner neuen Unterkunft in der Zenturie, der er nun vorstand. Was für ein herrlicher Tag!

    Stets bauet Gellius, legt bald die Schwellen besser,
    Macht an den Türen was und kaufet neue Schlösser,


    Stetig dröhnte das Pochen von der kleinen Truppe von centurio Bruseus über den Platz, dazu dröhnte tief und sinnig die Stimme des centurio und paßte jede Pause des Hämmerns für weitere schief gesungene Verse ab.


    Hängt bald die Fenster aus und hängt sie anders an…hey, Du…genau Du, nimm mal den Hammer dort und die Nägel und schlag hinten ein paar weitere Bretter rein, sonst sitzen wir noch bis zu den nächsten Saturnalia hier…gut, so, braver Junge…
    Nimmt dies, nimmt jenes vor, damit er bauen kann,
    damit begehrt ein Freund, daß er ihm Geld vertraue,
    Freund Gellius dies Wort nur sagen kann: „Ich baue!


    Herrisch und mit seiner schon rot angelaufenen dicken Nase winkte der centurio mit seinem Hammer zu Marcus und schickte den verdutzten Hammerunlustigen, die Leitertruppe hatte bis jetzt nur untätig herumgestanden, zu einer hölzernen Kiste. Mehr mürrisch, denn willig nahm sich Marcus einen Hammer und besah sich die Nägel. Ein oder drei Nägel in der Hand griff Marcus nach einem Brett und trat zu der Plattform, die von dem Bautrupp im Entstehen war. Mit skeptischem Gesichtsausdruck besah sich Marcus erstmal die Arbeit der Anderen. Also gut, Nagel auf das Holz halten und den Hammerkopf draufhauen. Das kann ja nicht sonderlich schwer sein. Also machte sich Marcus ans Werk, runter in den Staub, ein Brett ergriffen, richtig hingelegt. Der Nagel wurde vorsichtig auf das Holz gestellt…ah, falsch herum. Angestrengt biß sich Marcus auf die Unterlippe und sah auf den Nagelkopf herunter, Hammer geschwungen und runter mit ihm.


    “Au, verflucht, bei Mars heiligem A…au…!“


    Der ordentliche Schwung, den der Hammer hatte, tat höllisch an seinem Daumen weh, heftig einatmend hielt Marcus seine Hand und presste seine Lippen fest aufeinander. Einige der Nachbarsoldaten sahen auf, grinsten breit oder lachten auch über Marcus Ungeschicklichkeit. centurio Bruseus schüttelte resigniert seufzend den Kopf.


    “Komm mal her, Bursche. Kannst mir ja wenigstens die Nägel reichen, wenn’s schon nicht zu mehr reicht. Brav ist’s!“


    Dermaßen Perplex als Bursche benannt zu werden, trottete Marcus folgsam herüber und reichte den ersten Nagel weiter, erst dort begann ihm das mit dem Bursche aufzugehen. Doch mit einem Schulterzucken nahm er das hin und reichte einen Nagel nach dem Anderen an, die eine Holzebene wuchs stetig.

    Sinnierend betrachtete Marcus einen feinen Sonnenstrahl, der durch einen Fensterladen hineinfiel und feine Staubkörnchen durch die Luft tanzen ließ. Aber vielleicht sah es auch nur so aus, als ob Marcus sinnierend seinen Blick darauf richtete, eigentlich kämpfte er auch mit einer gewissen Müdigkeit, die er der letzten Nacht verdankte und dem späten Ausflug in die Stadt, er war nun mal nicht mehr der Jüngste und das frühe Aufstehen in der legio hatten ihn durchaus in seinen Lebensgewohnheiten verändert, weswegen er auch heute schon frühzeitig wieder auf den Beinen gewesen war. Es würde wohl eine Weile außerhalb der legio dauern, bis er sich wieder von dem ungesunden Frühaufstehrhythmus entfernen konnte. Marcus fuhr sich mit der Zunge über seine trockenen Lippen, auch seine Kehle fühlte sich schon wieder ganz ausgedörrt an.


    “Du hast nicht ein bisschen Wein hier? Hach…ach…die Frauen. Schämen? Ehe?“


    Marcus riß sich von seinem trüben Anstarren des Sonnenscheins los und sah verwundert zu Gracchus. Bei allen guten Göttern, wie kam Gracchus nur darauf, daß er wieder eine Ehe anstreben könnte? Eine hatte ihm vollkommen gereicht. Frauen waren zwar bezaubernde Wesen, man umgab sich gerne mit ihnen und in Maßen waren sie einfach eine Glückserfüllende Gesellschaft, doch wenn man sie erst mal geheiratet hatte, ja da zeigten sie dann ihr wahres Gesicht. Mit einem Schaudern erinnerte sich Marcus an seine verstorbene Frau und entsann sich an ihre schlimmen Streitgespräche, die meist darin endeten, daß sie mit Vasen nach ihm warf oder sein Gesicht mit ihren scharfen Fingernägeln zerkratzen wollte. Kopfschüttelnd und mit einer wegwerfenden Geste lehnte sich Marcus zurück.


    „Heiraten? Bei den Göttern, nein, außerdem ist sie schon verlo…ach, lassen wir das mal lieber! Weißt Du, Manius, im Grunde bin ich fest davon überzeugt, daß ein Mann nicht dazu geschaffen ist, ein Weib zu ehelichen. Nein, nein, das geht gewissermaßen gegen unser Naturell!“


    Daß sich Aquilius versetzen ließ, verwunderte Marcus nicht, war jener doch genauso umtriebig wie Marcus selber. Auch Marcus spielte in letzter Zeit immer wieder mit dem Gedanken, ob er sich nicht von der legio prima versetzen lassen sollte. Nach Ägypten wäre natürlich wundervoll. Und daß sich Gracchus um den Fluch kümmern wollte, das beruhigte Marcus ungemein. Gracchus war ein brillanter Geist, ihm würde mit Sicherheit schon etwas Passendes einfallen. Langsam nickte Marcus auf den Ratschlag seines Vetters, irgendwie erstaunte ihn die Antwort nicht sonderlich. Nur den Optimismus von Gracchus, bezüglich seines Bruders Felix und dessen Engagement für ihn teilte Marcus im Grunde nicht. Marcus stützte sich wieder auf seinem Kinn ab und sah durch Gracchus hindurch. Felix, sein eigener Bruder, und er hatte nie bis jetzt mehr als ein paar Worte alleine mit ihm gewechselt. Marcus zuckte mit der Schulter.


    „Hmm…Senat?“


    Ein Haufen alter verknöcherter Männer, die sich darum stritten, wie die Getreideflotte geleitet werden sollte und wie hoch die Gehsteige am Rande der römischen Straßen waren, ein solchiges Bild vom Senat hatte Marcus vor Augen. Langeweile, pure Ödnis und langatmige Reden würden ihn dort erwarten. Marcus sah nicht sehr begeistert aus, nickte aber Schicksalsergeben. So etwas würde seine Mutter ihm auch wohl raten.


    “Hmm…ich hab kein Patron und die Klienten, die mir meine Mutter zuschustern wollte, hatte ich auch keine Muse aufzunehmen. Im Moment bringt es einem Mann Klient von mir zu sein auch nicht sonderlich viel, außer mein Name. Und man weiß ja, heutzutage zählt auch das nicht mehr sonderlich großartig. Na ja, aber Du magst schon recht haben. Sag mal, Gracchus, strebst Du ein Tribunenamt an?“


    Marcus sah Gracchus fragend an und versuchte sich vorzustellen, wie sich Gracchus als Soldat machen würde. Es gelang ihm nicht so recht, immer wieder drängten sich die Priestergewandung und eine Schriftrolle in Gracchus’ Hand in Marcus’ Geist.