Genauso wie sie von seinen Händen, seiner Nähe gefangen war, so war sie es doch auch in einem Zwiespalt zwischen ratio und sensus, der sich immer in seiner Nähe entspann und inzwischen von einer tiefen Schlucht der vollkommenen Unsicherheit gestaltet wurde. Ihr Verstand hatte ihr schon tausend Mal gesagt, dass es sinnlos war, ihn zu begehren, sich mit jeder Faser ihres Körpers aufs Neue nach ihm zu verzehren, wann immer sie ihn durch Zufall in der curia Italica sah oder anderswo, ihr Gefühl allerdings verlangte nach seiner Nähe, war zutiefst verletzt darüber, dass er seinen Abstand genauso wahrte wie sie den ihren, dass im täglichen Leben so wenig darüber zu erahnen war, wie er sich fühlen mochte, wie ihre Maske es zeigen konnte und durfte. Dass all diese Befürchtungen und Ängste ausgesprochen irrational waren, bewies sein Handeln, und so überrascht sie darüber gewesen war, dass er sich ihr einfach näherte, so zufrieden machte es sie gleichzeitig und erfüllte ihr Bewusstsein mit einer kleinen, nagenden Hoffnung.
So brachte sie nur ein recht unartikuliertes Geräusch hervor, zumindest den Anstand besaß sie, eine Art Protest zu erheben, aber ihr Körper sprach eine gan andere Sprache, sie hätte auch gegen seine Hände ankämpfen können oder den Kopf wegzudrehen versuchen, doch sie tat es nicht, neigte ihn sogar noch ein wenig, um den Mund etwas weiter öffnen zu können, dann umspielte ihre Zunge die seine, versuchte für einige Momente lang die Oberhand zu behalten - und ihr Verstand enthielt sich jeglichen Kommentars darüber, dass das, was sie taten, verboten war und in Ewigkeit verboten sein würde. Sie wusste nur noch, dass etwas geschah, das sie sich lange gewünscht hatte und endlich geschah, schmeckte ihn mit allen Sinnen und wusste, dass dieses Falsche gleichzeitig auf eine seltsame Weise richtig war und immer richtig bleiben würde.
Ihr Atem verschnellerte sich merklich bei seinem wilden Kuss, und für einige Momente lang schien es ihr, als hätte sie nie etwas anderes getan als dies. Es war fast wie in ihrem Traum, und doch viel besser, viel realer, als sie es sich jemals hätte ausmalen können. Mars und Venus ... ein leises Seufzen entrang sich ihrer Kehle, als sie die Lippen seinen entzog und heftig einatmete, die Wangen gerötet unter dem Ansturm der Gefühle. "Wie lange habe ich mir das gewünscht," flüsterte sie leise, kaum hörbar.