Liber I
I. Wie launisch ist doch das Meer - so singen es uns die Dichter, vom legendären Zorn des Neptun berichten sie uns, und doch scheint es, als sei das Unternehmen jenes sagenhaften Feldzugs geradewegs durch eben jene Laune begünstigt worden: Die Schiffe, welche den langen Weg von Italia angetreten hatten, um gen Osten zu segeln, mit vielen Hoffnungen und Träumen an Bord, verkörpert durch die vorzüglichen Männer, die als Soldaten und Offiziere die Werte unseres Reiches hochhalten, reisten ohne von Stürmen oder Unwettern gehindert zu werden. Stolze Schiffe waren es, wie die "Saltatrix de Ravennae" oder die "Accipiter", die jenen Männern Raum gaben, die unseren Feldzug noch entscheidend prägen würden, ohne Ahnung ob ihrer freilich erst in der Zukunft erfolgenden Taten, ohne Zorn und ohne krankhaften Eifer. Nartürlich war die Seefahrt nicht eines jeden Mannes Freude, und so mancher musste den morgendlichen puls auch gleich den Fischen füttern, doch reagieren die stärksten Männer auf die See sehr unterschiedlich, und nicht jedem liegt der Wellengang gleichermaßen - in sofern ist dies kaum als wahrhaftige Schande zu betrachten.
II. Gerade die lange Zeit der Überfahrt wurde in der legio auf das interessanteste genutzt - immerhin lernt man recht früh, sich mit Gegebenheiten abzufinden, und aus den Möglichkeiten das Beste herauszuholen. So schärft die legio die Sinne eines jeden Mannes und sorgt dafür, dass Knaben endgültig den Schritt zur Mannwerdung tun, wie sie es vor den Augen der Welt unlängst hinter sich gebracht haben. Der Befehl des centurio Flavius Aristides führte dazu, dass der junge probatus Decimus Serapio den Mast der "Saltatrix de Ravennae" erklomm, und um ein Haar wohl auf ewig dort oben geblieben wäre - indes, in jedem Mann steckt ein mutiger Held, und so gelang es diesem jungen Manne, sich nach der Weisung eines Matrosen am Achterstag wieder hinab zu lassen. Sich in einem Augenblick der Schwäche zu ergeben, ist wohl für einen jeden Menschen verständlich, und sehr viel entscheidender ist es, diese Schwäche zu überwinden. Dass dieses Potential vorhanden ist, hatte jener junge probatus bewiesen, und empfing darob auch den gerechten Lohn in Form eines Übungskampfes mit seinem centurio.
III. Um den Soldaten während der Untätigkeit eine weitere Möglichkeit zu geben, sich gewinnbringend zu betätigen, wurde auf die Empfehlung des praefectus castrorum Matinius Plautius erin Spiel eingeführt, das den eigentümlichen Namen 'Rumpelstumpf' trägt - beim Rumpelstumpf handelt es sich um ein einigermaßen gerundetes Stück Holz mit dem Durchmesser von zwei bis drei Handbreit, mit etwa einem Schritt Höhe, welches eingefettet wird und dadurch ausgesprochen schwer zu greifen sein soll, wie man mir berichtete. Im Großen und Ganzen erstreckte sich dieses Spiel darauf, dass zwei Mannschaften versuchten, den Rumpelstumpf zu einem Signalmann zu bringen, um einen Punkt zu erzielen, die Mannschaft mit den meisten Punkten war die siegreiche.
IV. Ob sich dieser Sport jemals in Roma durchsetzen würde, erscheint mir zweifelhaft, immerhin ist es recht unwahrscheinlich, dass dabei jemand zu Tode kommt, und die meisten Spiele profitieren doch von jenem Hauch der Lebensgefahr, in welcher die Teilnehmer beständig schweben. Es wurde von den Legionären begeistert gespielt, versprach es doch Abwechslung, und wenn man bedenkt, dass die Legionäre auf dem Schiff der ersten Centurie der ersten Kohorte der legio I. Traiana Pia Fidelis zur Abwechslung von ihrem tribunus laticlavius Tiberius Vitamalacus auf die Ruderbänke geschickt wurden, erscheint es mir nicht erstaunlich, dass man ein Spiel wie Rumpelstumpf dem Ruderdienst vorzieht.
V. Das Flaggschiff der Flotte, auf welchem unser hochgeschätzter imperator Lucius Ulpius Iulianus weilte, hatte derartige Abwechslung nicht aufzuweisen, doch befanden sich dort auch deutlich mehr Mitglieder des Hofstaats, welche selbst auf der Reise mit den notwendigen Verwaltungsaufgaben des Reiches beschäftigt waren, sodass es gar nicht notwendig wurde, eine Beschäftigung zu suchen, die unpraktischen Müßiggang verhindern würde. Was mochte unser imperator wohl gedacht haben, auf jener langen Reise über das mare internum? Mag er wohl Zweifel verspürt haben, Gedanken an einen Misserfolg gehegt? Doch glaube ich nicht, dass dies in seinen Sinn kam, vielmehr erscheint es mir wahrscheinlicher, dass er auch in diesen Stunden auf See damit beschäftigt war, sein Reich zu ordnen und sich Gedanken darum zu machen, die Dinge zu verbessern, die vorhanden waren, und zu planen, was noch kommen würde.
VI. Als Antiochia in Sicht kam, brach an Bord aller Schiffe eine gewisse Geschäftigkeit aus - Dinge mussten zusammengepackt, Waren zum Ausladen vorbereitet werden, und all jene, die es sich während der Fahrt in den mächtigen Schiffsbäuchen bequem gemacht hatten, mussten die scheinbare Sicherheit ihrer hölzernen Heimstatt aufgeben, um sich der Realität zu stellen, die geduldig auf einen jeden Teilnehmer wartete: Der Kriegszug gegen die Parther war in greifbare Nähe gerückt, und unter dem günstigen Vorzeichen einer weitgehend ereignislos verlaufenen Reise gingen die Legionäre und Offiziere an Land. Meine eigene Reise gestaltete sich indes als ausgesprochen unangenehm, verursacht mir die Reise auf einem Schiff leider eine ziemlich merkliche Übelkeit, sodass ich nicht böse darum war, mein Quartier nicht oft verlassen zu müssen - allein die Werke der Großen konnten meine Gedanken ablenken, und wohl fasste ich schon damals den Entschluss, mich selbst in ungleich weniger ausdrucksstarker Weise der Schriftstellerei zu widmen. Ich möchte darob dem geneigten Leser - oder auch der geneigten Leserin - die Einzelheiten über meine leidvolle Schiffsreise und deren Details ersparen, als Antiochia gemeldet wurde, schien mir eine Last von den Schultern genommen, und ich sah dem Landgang mit wiedererwachtem frohem Mute entgegen.