Für einige Momente dankte sie insgeheim ihrem verstorbenen Gemahl, dass er sich überhaupt für Wagenrennen interessiert hatte - und darüber bisweilen gesprochen hatte, sodass der Name hängen geblieben war, doch gleichzeitig wandte sie den Blick wieder von Valerius Victor ab. Dass der Versammlungsraum sich mit Leichtigkeit mit der Pracht verschiedener Häuser reicherer Familien in Rom messen konnte, nahm sie erst nur sehr verzögert zur Kenntnis, dennoch verfehlte es nicht eine gewisse respektgebietende Wirkung. Die Veneta musste entweder über reiche Gönner verfügen oder derzeitig erfolgreiche Fahrer besitzen - anders war die Pracht der Möblierung kaum zu erklären. Dass sie durch einen puren Zufall auf gleich zwei Anhänger dieser Factio getroffen waren, schien gleichermaßen überraschend wie verwirrend, aber manches Mal waren Zufälle ein weit besserer Weg, sich selbst seiner Ziele und Wünsche bewusst zu werden denn reine Berechnung und Planung.
"Ich danke Dir," sagte sie leise, als der Septemvir ihr den Wasserbecher übergab, und die kurze Berührung beider Finger ließ sie innerlich fast zusammenzucken. Wie töricht, sagte sie sich fast sofort selbst, versuche Dich auf das zu konzentrieren, was er sagt, nicht was Du Dir vielleicht erträumst. Sie überließ Constantius das Gespräch, zumindest für den Augenblick, und trat etwas näher an die Wandmalerei heran, um sie genauer zu betrachten und dabei ihre Gedanken zu ordnen. Es schien von der Hand eines geschickten Malers gefertigt, die Pferde wirkten lebensecht, selbst die jubelnden Zuschaueri m Hintergrund hatte man nicht vergessen - wie es wohl sein mochte, von der Kaiserloge aus ein wirkliches Rennen zu beobachten? Aber auch dieser Gedanke konnte sie kaum ablenken, während ihr Blick immer wieder zu ihrem Bruder, dann zu ihrem Gastgeber schweifte. Hätten in diesem Augenblick Engelchen und Teufelchen - oder höchstwahrscheinlich Cupido und sein böser Zwilling aus dem Hades - existiert, hätte sich ihre Unterhaltung wohl folgendermaßen angehört:
Jetzt starr' doch nicht wieder so in die Richtung dieses Mannes, Du wirkst bald wie eine Hafenhure aus Ostia! - Wenn er mich aber interessiert? Schauen wird ja wohl noch erlaubt sein. - Und dann stürzt Du Dich die nächste Treppe herunter, damit er Dich rettet? Du bist doch keine Sergia Messalina! - Nein, aber er kann doch ruhig sehen, dass er mich nicht unberührt lässt. - Der ist bestimmt sowieso verheiratet, schlag es Dir aus dem Kopf! - Hat das jemals irgendwen gehindert? - Ja, mich. Ausserdem haben wir in der nächsten Zeit ohnehin viel mehr damit zu tun, eine passende Frau für Constantius zu finden! - Und wir dürfen nicht glücklich sein? - Macht Dich eine aussichtlose Schwärmerei glücklich?
Bevor die inneren Stimmen jedoch zu laut werden konnten, wandte sie den Blick eilig von der Malerei ab und nahm einen Schluck Wasser aus ihrem Becher.