So sehr ihm auch bei dem Gedanken unwohl war mit Victor über seine Schwester zu sprechen, so war es nicht Erleichterung, die er empfand, als seinem Vorschlag das Siegel der Undurchführbarkeit aufgeprägt wurde. Es vielmehr eine Bestürztheit über die Erkenntnis, dass er Helena wohl ihren Schmerz nicht ersparen konnte. Einen Schmerz, den er selbst erst seit kurzer Zeit einzuschätzen vermochte. Ein Schmerz, der vielleicht tiefer reichte, als das es ein Schwerthieb jemals vermögen würde. Jedenfalls war es die Annahme des jungen Iuliers, dass ihre Gefühle für Victor, den seinen für Samira in nichts nachstanden.
Gegen jeden Feind gegen jede Bedrohung war er bereit Helena zu verteidigen, doch diesem Gegner musste er sich bereits geschlagen geben bevor er auch nur einen Fuß auf das Schlachtfeld gesetzt hatte. Oder doch nicht? Sollte er wenigstens einen Schritt wagen?
Helenas Wort ließen seinen Blick gen Himmel schweifen.
„Ja es ist wundervoll in Rom zu sein. In dieser Stadt wandelt sich alles und jeder. Sowohl zum Guten als auch zum Schlechten. Wir können wohl nur unsere Kraft darauf verwenden die Wagschale zum Guten zu neigen.“
Er legte behutsam seine Hand auf die Ihre, die an seiner Taille ruhte, und beließ seinen anderen Arm um sie gelegt.
„Aber ich bin mir sicher, dass wir gemeinsam die Kraft haben die Wagschale jederzeit wieder in die richtige Richtung zu neigen.“
Nach einer andächtigen Stille, löste er seine Hand von der ihren und ergriff einen kleinen unscheinbaren Beutel, der an seinem Waffengurt hing. Es war ein Beutel, obwohl so unscheinbar und klein, der Helena vielleicht bekannt vorkam. Denn dieser Beutel war stets ein treuer Begleiter des Iuliers gewesen. An dem Tag als sich die Geschwister wieder sahen trug er ihn und heute trug er ihn noch immer. Umständlich öffnete er die Verschnürung des ledernen Behältnisse und zog etwas noch unscheinbareres hervor. Zunächst offenbarte sich nur ein einfache, in die Jahre gekommene Lederschnur dem warmen Licht des Nachmittags. Ihre Enden waren mit einem einfachen Knoten zu einer Kette vereint worden. Ein Knoten, der auch heute noch so aussah, als hätten Kinderhände voller Eifer und mit wenig Erfahrung diesen geschaffen.
Etwas später, als die lederne Kette den Beutel fast vollkommen verlassen hatte, war der Blick frei auf einen kleinen Anhänger aus Holz. Auch wenn die Schnitzarbeit grob und einfach war, so konnte man durchaus die Form einer Taube erkennen, die ihre Flügel ausbreitete. Sicherlich war es keine meisterliche Arbeit. Nicht für einen geübten Handwerker. Doch für einen 11 jährigen Jungen, der Tag und Nacht in Eile daran gearbeitet hatte, war es ein Meisterstück gewesen. Der Anhänger drehte sich mehrmals um die eigene Achse, als sich die Kordel spannte und ihre Verdrillung aufhob. Auf der Rückseite der Flügel, obwohl das Holz inzwischen viele Jahre gealtert war, ließen sich ein eingeritztes H und ein C erkennen.
Verlegenheit ergriff die Stimme des kräftigen, muskulösen Miles. Ergriff die Stimem des jüngeren Bruders.
„Ich wollte dir damals noch etwas mitgeben. Doch habe ich es erst in der Nacht deiner Abreise vollendet. Aus irgendeinem Grund konnte ich es all die Jahre nicht fortwerfen. Es hat mir eigentlich immer Glück gebracht. Ich wusste nie, ob ich es dir vielleicht noch einmal schenken sollte. Immerhin bin ich heute kein junger Bursche mehr und du hast mehr als eine merkwürdige Schnitzerei von mir damals erhalten.“
Dann legte er die Kette trotz seiner Worte in ihre Hand.
„Auch wenn sie kein Meisterwerk ist, so ist sie immerhin der Beweis dafür, dass ich dich niemals vergessen habe oder vergessen werde. Egal was Rom für uns noch bereit hält. Wie es die Dinge wandeln wird. Vielleicht zeigt sie dir an schweren Tagen, das manche Dinge sich nie wandeln werden.“
Er lächelte sie zaghaft an. Fühlte die Verlegenheit in sich aufsteigen, die die Röte in seine Wangen trieb.