Während der Sekretär Durus' den Brief der Epulonen verlas, rutschten meine Brauen stetig weiter hinauf, und als sie schlussendlich am Hochpunkt des Möglichen angelangt waren, stand auf meinem Gesicht nicht nur Verwunderung, sondern gleichsam Unverständnis. Eine Frau unter den Siebenmännern! Ja sollte das Gremium denn fortan Siebenleute heißen? Ich schüttelte den Kopf. Als einstiges Mitglied eben dieses Kollegs konnte ich mir kaum vorstellen, dass eine Frau in dessen Reihen gut aufgehoben war, geschweige denn etwas bewirken konnten. Und selbstredend stach besonders eine der Unterschriften dort besonders heraus. Sie stand recht weit oben, und der Mann, der sich dahinter verbarg, wurde zusätzlich noch im Brief selbst genannt: Flavius Piso. Es war mir unverständlich, wie ein Flavier, ein Mann eines ehrbaren Geschlechtes, für solch einen Vorschlag mit verantwortlich zeichnen, ja gar eine tragende Rolle darin einnehmen konnte! Zu meiner Schande ruhte ein recht anklagender Blick auf Flavius Gracchus, der soeben zu sprechen ansetzte, und als ich mir meines Starrens gewahr wurde, taxierte ich rasch die anderen pontifices, um eine neutrale Mimik aufzusetzen.
Gracchus' Worte waren indes ganz jene, die ich auch von ihm erwartet hätte, was mich in Bezug auf seinen tadeligen Verwandten durchaus etwas besänftigte, obschon es mich sehr wunderte, dass er den flavischen Jungspund nicht an die Kandare nahm. Während Gracchus von den Aufgaben und Kompetenzen einer Frau sprach - denen ich nur zustimmen konnte - überlegte ich mir, dass ich im Anschluss wohl ein kurzes Gespräch mit ihm beginnen sollte, in desen Verlauf ich meine Bedenken ob der Zurechnungsfähigkeit des Flavius Piso möglichst wohlwollend zum Ausdruck bringen wollte. Im Anschluss an Gracchus' durchaus gelungene Darlegung hörte man im Saal die ein oder andere Zustimmung, sah hier und dort nickende oder abschätzige Mienen, bis Durus das Wort ergriff und sich zunächst neutral gab, ehe er in die Kerbe des Piso schlug - wenn auch vorsichtig. Einige Kollegen blickten den Tiberier nun nachdenklich an, vermutlich überlegten sie, ob sie es sich leisten konnten oder sollten, gegen ihn zu votieren, sollte es zu einer Abstimmung kommen. Denn immerhin war er der vom Kaiser ernannte Stellvertreter.
"Die Kulte, von denen du sprichst, Tiberius, die Vestalinnen, die Sybillen, der Kult der Magna Mater, der Dienst in den zahlreichen Tempeln - genügen sie nicht, den Frauen einen Platz zu bieten, an dem sie sich entfalten können? Ich möchte daran erinnern, dass die Frauen eine wichtige Stütze unserer Gesellschaft sind, denn ohne sie wären auch die Kollegien nicht gefüllt, die Bänke des Senats verwaist. Sollten sie sich nicht lieber darauf konzentrieren, diese Pflicht zu erfüllen, wie wir Männer uns darauf fokussieren sollten, die unseren zu erfüllen?" fragte ich in die Runde.
"Willst du damit an der Integrität der Vestalinnen selbst zweifeln, Aurelius?" empörte sich der flamen Quirinalis und lehnte sich vor. Ich unterdrückte ein Seufzen. "Selbstverständlich will ich das nicht. Es ist gut, dass den Frauen ein Platz zugestanden wird, der ihnen Ansehen und Würden bringt. Was wäre Rom ohne die vestalischen Jungfrauen? Doch waren ihre Kulte bisher von den unseren getrennt. Stellt euch doch einmal vor, was passieren mag, wenn Männer und Frauen gemeinsam entscheiden sollen. Streit und Neid wären vorprogrammiert, ganz abgesehen davon, dass ihnen die nötigen Kompetenzen fehlen, wie Flavius Gracchus soeben angemerkt hat." Ich nickte beim Sprechen kurz in dessen Richtung.
"Oder gar noch schlimmer: Die Entscheidungsträger würden durch die Präsenz von Frauen abgelenkt, gar durch ihre Reize in eine Richtung gedrängt! Nein, verehrte Kollegen. Das kann nicht in unserem Ermessen liegen. Frauen als Tempeldienerinnen, Frauen in den Kulten, die ihnen obliegen, ja. Doch Frauen als Teil eines Kollegiums? Nein. ich unterstützte daher den Antrag des Flavius Gracchus." Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass das überhaupt funktionieren würde. Eine Frau unter den septemviri! Was käme als nächstes? Eine regina sacrorum? Vielleicht konnte man eine Frau als pontifex minor einsetzen, doch auch hier wäre ich vorsichtig.