Beiträge von Marcus Aurelius Corvinus

    Mit meiner Frage hatte ich nicht gemeint, ob sie mit mir auf den Markt gehen wollte, sondern lediglich ihre Frage wiederholt. Immerhin hatte sie mich gefragt, was denn mit mir sei. Ich schmunzelte kurz und betrachtete dann meine Frau, wie sie schnurstracks ihr Kleid überzog und nach einem flüchtigen Kuss fort war. Ganz so recht wusste ich nicht, was ich davon halten sollte. Es kam mir wie eine Flucht vor, einerseits, andererseits hatte sie gewzinkert und gelächelt. Und als sie fort war, ließ sie mich nicht nur mit den Resten eines guten Frühstückszurück, sondern auch mit meinen Gedanken und Überlegungen.



    ~ finis ~

    Nach meiner erfolgten Aufforderung - vielleicht war sie zu leise gewesen - betrat also Ursus den Raum. Ich deutete auf den Stuhl, auf dem Ursus schon das ein oder andere Mal gesessen hatte. Früher, als er meinen Rat noch gesucht und meist angenommen hatte, war unser Verhältnis besser gewesen. Er war wenig aufmüpfig gewesen. Ich seufzte leise und beschloss, nicht daran zu denken, sondern im Jetzt zu leben und das Beste daraus zu machen. "Setz dich doch", lud ich ein und machte es mir selbst etwas bequemer, indem ich mich ein wenig zurücklehnte und dann wartete.

    Vescularius Salinator stimmte also für den Octavius als principis? Ich runzelte die Stirn und überlegte. Entweder war dies eine gewitzte Taktik, um seine Gegner zu verwirren und dazu zu bringen, den Octavier aus dem Weg zu wählen - oder aber nicht, und der Stadtpräfekt wollte den Mann wirklich auf diesem Posten wissen. Vielleicht hatte er den Octavier gekauft. Alles in allem eine verzwickte Situation, bei der eine einzelne Stimme das Zünglein an der Waage sein mochte. Ich seufzte. Und stimmte dann ab.


    Quintus Claudius Lepidus: decemvir litibus iucandis
    Faustus Octavius Macer: quaestor principis

    Der Flavius reichte mir eine Wachstafel. Ich nahm sie entgegen, klappte sie auf und studierte kurz die dort aufgeführten Titel. Im Großen und Ganzen entsprachen die meisten Namen und Titel jenen, die Flavius Piso bereits bei seinem Besuch vor ein paar Tagen vorgelegt hatte. Lediglich die Zahlen hinter den Büchern hatten sich verändert. Ein weiterer Buchtitel stand ebenfalls dort nun, und auf diesen ging der Flavier auch gleich ein. Ich hob den Blick wieder und sah ihn an, während er berichtete. Dann klappte ich die Tafel zusammen und reichte sie einfach weiter nach rechts, einem Sklaven an, der sie sogleich nahm und mir damit die Gelegenheit gab, die Abschrift entgegenzunehmen. Ich überflog einige Zeilen, runzelte die Stirn und schüttelte dann den Kopf. "Es mag kein Wunder sein, dass der Kaiser krank ist, wenn er dies hier liest", sagte ich sarkastisch, ließ die Papyri zusammenschnappen und reichte sie Piso zurück. "Das muss mit verbrannt werden." Es hatten sich bereits einige Schaulustige versammelt. Vielleicht hofften auch ein paar Leute, eines der verbotenen Bücher in die Finger zu bekommen. "Ja, fangt an, tresvir capitalis Flavius", erwiderte ich förmlich. "Die auf dieser Liste verzeichneten Bücher sich schändliches Frevlerwerk. Sie sollen fortan keinem Unschuldigen mehr in die Hände fallen können", erklärte ich die Bücher für gesetzeswidrig, um dem Protokoll genüge zu tun.

    "Das denke ich auch", stimmte ich Lupus zu und nickte. Nicht umsonst hatte ich dieses politische Lehrjahr vorgeschlagen. Vermutlich würde auch er oder Gracchus die Verhandlungen wegen der Hochzeit führen, überlegte ich, denn wer sonst sollte das übernehmen? Hätte ich in jenem Moment den Namen des Vaters der zukünftigen Braut mit Flavius Piso in Zusammenhang gebracht, wäre mir wohl ein gemarterter Seufzer über die Lippen gekommen. So aber, unwissend wie ich war, gab ich mich der Illusion hin, dass alles schnell und reibungslos über die Bühne gehen mochte. "Ich kenne ihn, ja. Er ist ein Senatskollege, und meine Frau ist mit ihm verwandt. Wir hatten bis dato noch nicht allzu viel miteinander zu tun, und er war bis vor ein paar Monaten dem Tod wohl auch näher als dem Leben. Aber er scheint sich erholt zu haben. Und die Flavier sind eine angesehene Familie. Ich würde vorschlagen, wir suchen Furianus recht bald auf - oder möchtest du dich selbst darum bemühen?" fragte ich meinen jüngeren Verwandten. Es mochte sein, dass er sich auf eigene Faust bewerben und die Sache mit der Ehe ansprechen wollte. Ich würde ihm nicht im Wege stehen, wenn das der Fall war, auch wenn es vermutlich leichter war, wenn ein bekanntes Gesicht aus dem Senat für seinen jüngeren Verwandten warb.


    Ich kannte seinen Vater in der Tat, zumindest vom Hörensagen, und eben das, was ich gehört hatte, war alles andere als rühmlich gewesen. So nickte ich nur und wölbte eine Braue der Stirn entgegen. "Hm. Unpräzise trifft es wohl", bemerkte ich. Ein Räuspern später fuhr ich fort. "Du solltest das Lehrjahr absolvieren. Gerade in der letzten Zeit legt man im Senat großen Wert auf politische Vorkenntnisse, und damit meine ich nicht solche, die man beim Studium erwirbt." Ich sah Lupus vielsagend an. "Dich weiterzubilden, ist auch eine gute Idee, Sextus. Die schola bietet viele Kurse an, ich unterstütze dich da gern finanziell", bot ich an. "Dich weiterzubilden, schließt allerdings Engagement im cultus deorum nicht aus. Ich selbst bin pontifex, du kannst dir also denken, dass ich es mehr als gutheißen würde, wenn du dich ebenfalls verstärkt den Göttern widmest." Dass ich es gern sah, wenn man sich auch im Götterkult engagierte, war jedem aus der Familie bewusst. Auch, wenn bisher nicht eben viele diesen Weg eingeschlagen hatten. "Ah", machte ich dann und nickte verständig. Lupus mochte meine kurze Grimasse wohl gesehen haben. "Im Grunde steht dir diese Wahl frei. Ich möchte dir jedoch raten, nicht die collinischen Salier zu wählen, da es in dieser Gemeinschaft offen zur Schau getragene Anfeindungen gegen unsere Familie gab und gibt. Ob du dich letztenendes für die Arvalbruderschaft oder die palatinischen Salier entscheidest, liegt in deinem eigenen Ermessen. Die Mehrheit von uns schwingt das Tanzbein." Ich schmunzelte, amüsiert über meine eigene Formulierung.

    Ich musterte den Flavier einen Moment und überlegte. Offenbar versuchte er, den Zwischenfall zu überspielen. Eines musste man ihm lassen: Er hatte offensichtlich Nerven. Andererseits blieb ihm wohl in dieser Situation auch gar nichts anderes übrig. Ich nickte nur. Der sechste Tag vor den Mailkalenden. Gut, das würde machbar sein. Sofern ich den Termin nicht vergaß. Ich musste ihn unbedingt einem meiner scribae mitteilen, damit er mich erinnern konnte. Der Flavier sprach mir ein bisschen zu abgehackt, die Pausen zwischen den Informationen zogen sich. "Der sechste Tag vor den Maikalenden, am späten Nachmittag auf dem forum Nervae", sagte ich. "Ich werde da sein." Obwohl ich angesichts der Umstände rein gar kein Interesse an einem weiteren Zusammentreffen mit Flavius Piso hatte. Doch wir waren beide professionell, und nachdem ihm hoffentlich klar war, dass er Finger und Augen von meiner Nichte zu lassen hatte, würde es wohl keine Probleme diesbezüglich mehr geben. Was nicht hieß, dass mir das Bild aus dem Kopf ging, welches die beiden vor Minuten noch abgegeben hatten. Ich fühlte mich wie ein Baum, der harzte. Langsam blutete es aus mir heraus, klebrig und beständig. Ich musste darüber mit Prisca reden. Und sollte sich herausstellen, dass der Flavius sie gezwungen hatte, würde ich mit der ganzen Prätorianergarde auf dem forum Nervae auflaufen, und nicht nur mit calatores und Schreibern.


    "Gibt es sonst noch etwas?" fragte ich ihn abweisend - das konnte ich nicht unterdrücken. Mir sträubte sich das Haar, wenn ich an ihn und Prisca dachte. Sofern der Flavius nun nicht noch etwas vorbringen wollte, würde ihn auf ein Wink hin ein SKlave zur Tür begleiten - oder ihm zumindest folgen, damit er auf dem Weg nicht erneut ungebeten herumschnüffelte. Oder gar in Priscas Gemach landete. Ich betrachtete ihn mit unverhohlenem Misstrauen. Sollte er ruhig merken, dass ich enttäuscht und wütend war!

    Das Verhältnis zwischen Ursus und mir als unbelastet zu bezeichnen, wäre wohl die Übertreibung des Jahres gewesen. Vielmehr war es eine Art Umgehen miteinander, ohne einander nahe zu kommen. Wann immer mein Neffe und ich uns unterhalten hatten während der letzten Wochen, waren es Dinge wie das Wetter oder bevorstehende Feierlichkeiten gewesen. Und während der Zeit, in der ich des Öfteren die cena hatte ausfallen lassen, waren wir uns so gut wie gar nicht begegnet.


    Umso erstaunter war ich, als es eines Abends klopfte, und nach dem obligatorischen Hereinbitten der Kopf meines Neffen zwischen Rahmen und Tür auftauchte. Ich hatte eben die Abrechnungen für die Gladiatorenschulen gesichtet und mich gewundert, wie ein Haufen Peregriner eine solche Summe in zehn Tagen verdienen mochte. Als ich Ursus jedoch sah, raschelte ich ein letztes Mal mit den Papyri und legte sie dann ordentlich auf eine Seite der Schreibtisches. Fragend - und nicht zuletzt mit einer gehörigen Portion gut verborgenen Argwohns - sah ich ihm entgegen. "Titus", grüßte ich überrascht.

    Ich unterdrückte ein Gähnen. Flavius Furianus sah gelangweilt aus, und ich konnte das zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Man sollte in der Tat allmählich zur Abstimmung schreiten, denn dass einige Positionen stets heiß umstritten waren, war an der Tagesordnung nach den Wahlen. Ich selbst sah keinen Bedarf für einen Privinzialquästor. Und je mehr Männer Vescularius hier vor Ort das Leben erschwerten, desto besser war das sicherlich.

    Und eben jener kam kurz darauf in Sicht. Ich wirkte vermutlich ein wenig gehetzt, was nicht zuletzt daran lag, dass ich um ein Haar diesen Termin versäumt hatte und obendrein noch aufgehalten worden war. Mit der Sänfte war kein Weiterkommen mehr möglich gewesen - ich hatte festgesteckt -, und so war ich kurzerhand ausgestiegen und hatte den Rest des Weges zu Fuß zurückgelegt. Bald würde man bereits aus Entfernung die Rauchsäule sehen, die sich gegen den blauen Himmel abzeichnete, und das Knistern und Prasseln der Flammen hören können. Flavius Piso dann hineinzustoßen, mochte zwar eine nette Fantasie sein, doch bedauerlicherweise zu viel Aufsehen erregen.


    "Salvete", grüßte ich also höflich, statt dem vigintivir einen gezielten Ruck angedeihen zu lassen, und lächelte dabei kurz in die Runde. Macer war ebenfalls anwesend, dazu noch einige weitere bekannte Gesichter aus aktueller Politik und Senat. "Ich hoffe, ich bin nicht zu spät."

    Seuthos
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    Zugegeben, mit seinen Muskeln und dem wuchtigen Schild sah dieser Ursus wirklich beeindruckend aus. Er dagegen, gekleidet in den Ledenschurz und seinen breiten Gürtel, stand dem ein wenig nach. Statt einer breiten Brust konnte er mit strammen Waden und einem kräftigen Bizeps aufwarten. Sein Netz hatte er am Vorabend eigens noch einmal auf Fehler kontrolliert, die Spitzen des tridens geschärft und poliert. Natürlich wollte man einander keine ernsthaften Verletzungen beibringen, immerhin wollte man das Geld noch ausgeben können, dass man mit einem guten Kampf hier erwirtschaftete. Seuthos war verheiratet und hatte außerdem sechs kleine Mäuler zu stopfen. Eine böse Verletzung tog einen langen Ausfall nach sich und brachte das Überleben seiner Familie in Gefahr.


    Doch keine dieser Gedanken kreisten in seinem Kopf, wenn er in der Arena stand. Um ihn herum viele hundert Römer, die gebannt darauf warteten, wer den ersten Schritt machte. Für gewöhnlich war er es. Der andere war zu ungelenk. Seuthos setzte die Füße seitlich über Kreuz und schlich beinahe zur Seite, geschmeidig wie eine Katze. Das Netz in der einen, den Dreizack in der anderen Hand, einen schmalen, langen pugio hinten am Gürtel. Sie taxierten einander, schätzten Können und Geschick des jeweils anderen ein. Seuthos hatte den Bären am gestrigen Tag mit Absicht das ein oder andere Mal verfehlt sich träger gegeben, als er eigentlich war. Das war üblich in ihrem Geschäft. Vielleicht konnte er den secutor überraschen. Er sprang vor und schlug mit dem Dreizack nach dem linken Oberschenkel des anderen, dann sprang er zurück, ehe ein Konter kam. Wieder tänzelte Seuthos um Ursus herum. Er wartete. Passte eine Gelegenheit ab. Und warf dann aus dem Handgelenk das Netz in Richtung Kopf Ursus', des Bären.

    Zitat

    Original von Manius Flavius Gracchus
    Er indessen beugte sich ein wenig näher zu Aurelius Corvinus und sprach leise, so dass die Claudia es noch nicht würde hören können.
    "Meines Ermessens nach verlief die Opferung makellos, so dass nichts dagegen spri'ht, sie als Prüfungserfolg anzuerkennen. Es sei denn, du hättest einen Missgriff bemerkt, welcher mir entgangen ist?"


    Nachdem die Claudia eine angemessene Weile die vitalia des Tieres betrachet hatte, rief sie die litatio aus. Es verwunderte mich nicht, dass das Opfer angenommen wurde. Während die Claudia sich nun um die Verarbeitung des Tieres mühte, blieb genügend Zeit, um ungehört den Verlauf des Opfers zu diskutieren. Es blieb nichts anderes, als Flavius Gracchus beizupflichten. "Gegenteilig fiel mir nur die Präzision und Sicherheit auf, mit der das Opfer vollzogen wurde", erwiderte ich dem Verwandten meiner Frau. "Sie wird eine gute Vestalin sein." Das glaubte ich in diesem Moment tatsächlich. Und mir fiel ein, dass sie als Claudia mit Gracchus' Frau, die ebenfalls eine Claudia aus dem patrizischen Zweige war, gewiss verwandt sein musste. Ich wollte eben die entsprechende Frage stellen, als die Claudia bereits die Treppe hinabstieg, und so schwieg ich. Es sollte später niemand von Korruption reden können, denn dafür war das Opfer zu perfekt verlaufen. "Flavius Gracchus und ich sind uns einig", sagte ich nach einem kurzen Seitenblick auf diesen zu Claudia Romana. "Wir gratulieren dir zu deiner durchaus gelungenen Vorführung deiner Fertigkeiten."

    Ich betrachtete Avianus. Der Hass, den er den Mördern seines Vaters entgegen brachte, war mir niemals so stark aufgefallen wie in diesem Moment. Da war etwas Neues in Avianus' Blick, etwas, das einer Entschlossnheit ähnelte, die ich selbst auch kannte. Was ich empfand, und das Avianus dieses Empfinden womöglich teilen mochte, wenngleich auch in anderer Weise, brachte mich näher an ihn heran. Ich fühlte mich verbundener. Mein Blick ruhte nachdenklich auf ihm. Schließlich zuckten meine Mundwinkel, ich hob die Rechte und legte sie auf mein Herz. "per Iovem lapidem, und ich werde dir helfen, wenn es so weit ist", erwiderte ich. Avianus würde wissen, wie ernst es mir damit war, denn niemand schwor auf Iuppiter den Stein, wenn es ihm nicht ernst war. Dann ließ ich die Hand zurück auf die Lehne sinken. "Brauchst du einen Fürsprecher wegen des Senatssitzes?" fragte ich ihn.

    Der Flavius sagte....nichts. Nichts! Nur, dass er mir nicht drohen wollte, was sicherlich eine weise Erkenntnis war, angesichts der Tatsache, dass kurz davor war, ihn sozusagen ungespitzt in den politischen Boden Roms rammen zu rammen, angesichts seiner Tätlichkeiten. Nein, dieser Flavius war nicht gut für Prisca. Nicht gut genug. Er stand da wie ein begossener Hund, mit hängenen Schultern und gleichgültigem Blick. Gut, das war in diesem Moment wohl auch besser für ihn, denn indem er meiner Wut keine neue Nahrung gab, beruhigte ich mich allmählich.


    Die Schriftrolle schnappte ich ihm unwirsch aus der Hand, überflog die Liste der dort verzeichneten bedenklichen Schriften an Ort und Stelle. Bei den weniger bedeutenden Titel sah ich wieder auf. "Mir ist neulich eine weitere Schrift untergekommen", sagte ich. "Utopische Ulpianie. Von einem Hortalus Macer. Das muss unbedingt noch zugefügt werden." Ich rollte die Liste wieder zusammen und ließ die Hand sinken, mit der ich sie hielt. "Du wirst mit deinen Kollegen die Durchführung der Verbrennung übernehmen", sagte ich. Dies war mehr eine Feststellung als eine Frage, immerhin waren die IIIviri für die Durchführung und die Überwachung der Bücherverbrennung verantwortlich. "Ich gehe davon aus, dass ihr bereits mit dem Zusammentragen der Schriften begonnen habt? Und gibt es bereits einen Termin?"

    Prisca war eine Stütze. Sie war meine Stütze. Und wenn die Welt um mich einbrechen würde, ich wusste, dass ich mch auf sie verlassen konnte, wenn auch auf niemand anderen. Ich seufzte tief und auf gewisse Weise beruhigt. Prisca mochte nichts von ihren wahren Gedanken zu der ganzen Angelegenheit sagen - es fiel mir nicht auf. Ich gab mich einfach ihrer Fürsorge hin, und das tat unglaublich gut. Ich hoffte, dass sie sich zumindest ähnlich fühlte. In dieser Situation war es mir so klar wie nie zuvor, dass ich sie liebte. Wenn Prisca etwas zustieße... Ich würde nicht wieder herauskommen aus dem tiefen, dunklen Loch, in das mich das stoßen würde.


    Ihre Worte entlockten mir ein halbherziges Schmunzeln. Immerhin. Wenigstens war ich ein guter Onkel, wenn auch sonst alles zweifelhaft sein mochte, was ich tat oder nicht tat. Ich erwiderte nichts. Ihre Worte dämpften das Chaos in mir, ich wurde ruhiger. Wenn es doch nur mit Celerina ähnlich wäre. Was würde ich dafür geben, einen Hauch dieses Friedens zu empfinden, bei ihr. Stattdessen waren meine Sinne geschärft wie mein Geist, wenn ich mit ihr zusammen war, denn ich durfte keine unbedachte Bemerkung machen. Priscas Bemerkung, auch wenn sie ernst gemeint und meiner inneren Ruhe dienlich war, zeigte mir doch, dass auch sie mir nicht helfen konnte. Es war eine Entscheidung, die ich ganz allein zu treffen und zu tragen hatte - eine von vielen. Ich schwieg, hing diesen Gedanken nach, gebettet an ihre Brust.


    Irgendwann löste ich mich von ihr. Der Moment der Schwäche war vorüber. Ich hatte mich nun wieder im Griff. "Danke, Prisca. Ich...bin immer für dich da." Die Worte waren einfach, sagten jedoch viel mehr aus. Mit immer meinte ich immer, jedwede Lebenslage, jede Situation. Sie würde sich immer auf mich verlassen können. "Ich... Ich sollte jetzt gehen. Denke ich." Obwohl ich genau genommen gar nicht wollte.

    Verärgert runzelte ich die Stirn, als Pegasus ungeduldig wurde und mich anfuhr. Was glaubte er eigentlich, wer er war? Seine Aggressivität fand in der meinen einen guten Nährboden. Allein deswegen mochte ich bereits glauben, dass wir vom gleichen Blute waren. Zornig presste ich die Kiefer aufeinander. Dass Prisca den Raum betrat, obwohl ich sie auf später vertröstet hatte, ging im ersten Moment an mir vorüber. "Denkst du, einem von uns fällt es leicht, dich in der Schwebe zu wissen? Wäre es dir lieber, mit Freuden aufgenommen zu werden, um dann umso härter zurückgewiesen zu werden, sollte sich herausstellen, dass deine Geschichte sich nicht bewahrheitet? Und selbst wenn - du wärest der uneheliche Sohn meines Bruders, was denkst du, wie sich dieser Umstand in der Öffentlichkeit auswirken wird - auf dich, auf uns alle?" konterte ich scharf und fixierte ihn dabei mit dem Blick. So oder so, die Angelegenheit um sein plötzliches Auftauchen war delikat, und weder für ihn noch für uns einfach zu behandeln. Ich wollte eben noch etwas weiteres anfügen, als ich nun doch Prisca gewahr wurde. Meine Verärgerung richtete sich nun auch gegen sie, was sie gewiss an dem Stirnrunzeln ablesen konnte.


    Sie reichte Pegasus ziemlich unwirsch ein Dokument. "Prisca", sagte ich. "Das ist kein guter Zeitpunkt. Ich hatte dich doch gebeten..." Ich verstummte, als ich merkte, dass sie keinem von uns in die Augen sah. War sie verlegen? Ich runzelte die Stirn erneut und sah zu Pegasus, dessen Ausdruck Fassungslosigkeit widerspiegelte. Prisca wollte nun offensichtlich wieder gehen. Ich hob die Hand. "Warte", sagte ich schlicht, aber streng. Dann nahm ich das Dokument, riss es Pegasus fast schon unwirsch aus der Hand. Ich fragte mich, was das alles zu bedeuten hatte. Es wurde mir klarer, als ich Zeile um Zeile las.


    Schließlich ließ ich das Schriftstück sinken. Es war die Schrift meines Bruders, ich erkannte sie wieder. Dazu das Siegel. Keiner hätte diesen Beweis fälschen können, nicht einmal ein Aurelier. Marius Iustus wäre, ging man von seiner Schrift aus, ein Mediziner werden können, und er hatte eine eigentümliche Art gehabt, das große T zu schreiben. Skeptisch sah ich Pegasus an, dann Prisca - vorwurfsvoll. "Nun", sagte ich steif. "Das dürfte einiges hinfällig machen." Und das war vorerst alles, was ich sagte. Ich konnte Prisca nicht rügen, nicht fragen, warum sie nicht eher diesen Brief vorgelegt hatte, um Pegasus' Abstammung zu verifizieren, seine Geschichte zu bestätigen. Ich konnte auch meinem Neffen nicht um den Hals fallen und ihn herzlich in der Familie willkommen heißen. Denn ich war einfach nur perplex. Ich musste aufstehen, einige Schritte gehen, nachdenken. Der Brief lag auf dem Tisch. Dann sah ich Pegasus an. "Ich erkenne dich als mein Neffe an. Verhalte dich entsprechend." Angesichts der Situation war ich ernst, und vielleicht weniger herzlich, als Pegasus es verdient hatte. "Ich hoffe, du verstehst meine Beweggründe. Ich konnte dich nicht einfach aufnehmen, ohne zu wissen.... Mein Neffe." Ich gluckste verwundert, dann wandte ich mich Prisca zu. "Danke. Nur warum kommst du erst jetzt? Du hättest deinem...deinem Bruder einiges an Ärger ersparen können." Und mir auch.

    Davon besessen? Nun übertrieb Celerina aber. Oder nicht? Ich beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken, und fragte mich stattdessen, ob Celerinas Blick wegen des Apfelstücks oder wegen meines Rückzugs derart sehnend dreinsah. Dennoch, ich ließ die Hände, wo sie waren, und seufzte leise, dann machte ich große Augen, als ich Celerina ansah. "Mit mir?" wiederholte ich. Sie wollte mir etwas vom Markt mitbringen. Ich runzelte die Stirn und hob ergeben die Schultern. "Wie du möchtest. Wenn du etwas Nettes findest... Und ja, Brix hat in etwa meine Statur." Er mochte mir vergeben, dass ich diese Vermutung bestätigte. Ihm stand so gewiss eine lange Tortur bevor, weil Celerina ihn von einem Geschäft zum anderen schleifen mochte. "Trieze ihn nicht so sehr", gemahnte ich sie noch und schmunzelte kurz. Vor meinem geistigen Auge zog eine wahre Sklavenhorde, bepackt mit allerlei Stoffen, Paketen und Päckchen, hinter Celerina her, die Brix wie eine übergroße Puppe behandelte und von einer tunica in die nächste steckte. Diesen Gedanken verstrieb ich mit einem weiteren Apfelstückchen.

    Gewiss war es schön dort. Mir war es bisher allerdings nicht vergönnt, diese Schönheit mit eigenen Augen zu sehen. Ich ging auch davon aus, dass es wohl niemals soweit sein würde. Eine Reise nach Asia, nur zum Vergnügen, dauerte viel zu lange. Die Iunia riss mich von diesen Gedanken fort, als sie die Pflege der Pflanzen ansprach. Augenblicklich dachte ich an Siv, und ein Schatten huschte über mein Gesicht. "Das erledigen die Sklaven", erwiderte ich etwas knapp, weil sie meinen wunden Punkt angesprochen hatte. Den wundesten derzeit - nicht nur für mich, auch für die Pflanzen. Noch war kein annähernd adäquater Ersatz für Siv gefunden worden.


    "Davon habe ich gehört. Offensichtlich dachten alle, auch der Kaiser, dass Ägyptens Schönheit das Letzte wäre, was er sehen würde. Und dieses Jahr kandidiert er zum consul." Ich schmunzelte kurz. Das war natürlich auch eine Möglichkeit, geltende Verbote zu umgehen. Vielleicht wäre es eine Option für das Alter, überlegte ich. Aber vermutlich würde ich es ohnehin nicht übers Herz bringen, unseren Kaiser offensichtlich zu hintergehen, nicht einmal bei einer vergleichsweise nichtigen Kleinigkeit. Ich reichte der Iunia die Urkunde. "Ich wünsche viel Erfolg mit diesem Betrieb", sagte ich und runzelte hernach irritiert die Stirn, als sie von einem befreundeten Maler sprach, der ein Bild des Paneion malen könnte - für mich. Augenblicklich fragte ich mich, was die Iunierin dazu bewog, mir ein Gemälde schenken zu wollen. Doch vom Schenken hatte sie nicht gesprochen, wie mir nach kurzem resümieren auffiel. Ich überlegte. "Hmm." Hier im Raum wäre noch Platz für ein Bild. Ich musterte die junge Frau vor mir, während ich nachdachte und schließlich nickte. "Ja, warum eigentlich nicht? Wenn es dort wirklich so schön ist, wie du sagst..." entgegnete ich schließlich langsam. "Selbstverständlich zahle ich dafür", stellte ich gleich klar. Es wäre mir wohl unangenehm, wenn sie mir etwas schenkte.

    Ich nickte bestätigend. Die letzten Artikel des Catonius Aquila hatte ich vor diesem Gespräch überflogen, um eben nicht in die Lage zu kommen, Unwissenheit eingestehen zu müssen. "Wären sie kaiserfeindlich, hatte ich sie selbstverständlich nicht publizieren lassen, Prudentius", erinnerte ich meinen Gast allerdings freundlich daran, dass ich als auctor zur Rechenschaft gezogen werden würde für jeden Artikel, der negativ auffiel oder gar gegen den Kaiser hetzte. "Ich habe mir Abschriften von den Artikeln des letzten Jahres machen lassen. Wenn überhaupt, lässt sich nur eine positive Tendenz herauslesen. Der Catonier bemüht sich um eine neutral-kritische Formulierung. Ich habe sie hier, wenn du sie haben möchtest?"

    Ich erwiderte nichts, das würde zu nichts führen. Darüber hinaus wiederholte ich mich nicht gern. Und es sprach für Lupus, dass er so reagierte. Er mochte zumindest die gesellschaftlichen Finessen erlernt haben, wenn auch schon wenig Politisches in der Heimat. "Sehr gut", erwiderte ich auf seine Bemerkung hin, dass bereits alles versorgt war. Anschließend machte ich eine großzügige Handbewegung. "Nicht der Rede wert." Ich konnte jemandem aus der Familie ohnehin nicht einen Platz im Hause verweigern, davon einmal abgesehen, dass ich es auch nicht wollte. Gerade jungen, ehrgeizigen Nachwuchs konnten wir gut brauchen, ebenso gut wie jede andere Familie mit. Bei diesen Gedanken fühlte ich mich regelrecht alt, schnell ließ ich sie daher fallen und schätzte, wie alt Lupus wohl sein mochte. Zwanzig, fünfundzwanzig vielleicht. Bezüglich des Platzes an sich musste allerdings bald etwas in Angriff genommen werden. Das Haus platzte aus allen nähten, und wenn Lupus geheiratet und sich endlich auch Avianus nach einer passenden Frau umgesehen hatte, würden wir tatsächlich ein Problem bekommen. Eines, dem man vorbeugen konnte.


    Was genau den jungen Mann an meiner Frage amüsierte, wurde mir nicht ganz klar. Ich ging nicht darauf ein, sondern konzentrierte mich eher auf die Worte, die - alles in allem - doch recht wenig ergiebig waren. "Hm. Dann ist, denke ich, ein baldiger Besuch im Hause Flavia vonnöten. Vermutlich wäre es ein kluger Schachzug, würdest du dich Flavius Furianus für ein tirocinium fori unterstellen, sofern er Bedarf hat. Wovon ich ausgehe, immerhin wurde er jüngst zum consul gewählt. Du könntest deine Fähigkeiten und deinen Ehrgeiz damit unter Beweis stellen und zugleich Interesse an interfamiliären Beziehungen zeigen", schlug ich vor. Verkehrt war diese Idee wohl nicht, immerhin hatten die letzten Wahlen erst gezeigt, dass man im Senat dieser Tage sehr viel Wert darauf legte, angemessen in die Politik instruiert worden zu sein. "Hat dein Vater diesbezüglich etwas geäußert?"