Die Versuchung hatte obsiegt, ehe Siv noch etwas erwidern konnte. Ich hatte die Augen geschlossen und hockte einem Schluck Wasser gleich neben der Tür auf dem Boden, an die Wand gelehnt und mit wirren Gedanken im Schädel. Bona Dea, ich war so müde, so unendlich müde, was dieses mentale Tauziehen mit mir selbst anbelangte! Und doch konnte ich nicht die Ruhe finden, die ich so dringend gebraucht hätte. Wenn ich Gelegenheit zum Schlafen hatte, lag ich wach bis mitten in der Nacht oder wachte noch vor dem Morgengrauen auf. Mich in meinem Arbeitszimmer zu verkriechen, bedeutete die einzig adäquate Ablenkung für mich, sah man von den Gelegenheiten ab, bei denen ich mich mit freiem Kopf in der Öffentlichkeit blicken lassen oder im Senat sitzen musste. Und selbst dann fiel es mir schwer, mich nur auf diese Sache zu konzentrieren und nicht meine heimische Situation, zwischen selbst platzierten Stühlen sitzen zu müssen, zu verfluchen. Oh sicherlich, ich hatte darüber nachgedacht, Celerina in Kenntnis zu setzen. Es wäre vermutlich das kleinere Übel, ihr gegenüber zuzugeben, dass Siv mehr als meine Leibsklavin für mich gewesen war. Und noch immer war. Doch kreisten die Gedanken sogleich um die damit verbundenen Verschiebungen der Zukunftsbahnen: Für mich, wenn Celerina sich aus verletztem Stolz heraus scheiden lassen wollte, und für die Familie, was die politischen Konsequenzen aus dieser möglichen Scheidung heraus bedeuteten. Ich saß sozusagen in der Zwickmühle, und die beiden einzig richtigen Entscheidungen konnte ich nicht guten Gewissens treffen, ohne mich schlecht zu fühlen: Siv abzuweisen und fortzuschicken - oder Celerina so bewusst zu hintergehen, dass ich die Konsequenz einer Scheidung mehr als nur bewusst verdient hätte. Vielleicht hatte ich mit ihr als Ehefrau eine schlechte Wahl getroffen, vielleicht hätte eine andere darüber hinweggesehen, doch war ich mir sicher, dass Celerina ihre ganz eigene Meinung dazu hatte. Und wie die mit aller unerschütterlichen Härte aussah, hatte sie mir bereits mit ihrem plötzlichen Aufbruch nach Ostia verraten.
Dass Siv das Packen veranlassen wollte, dachte ich zunächst daran, ihr zu widersprechen. Ich hatte bereits dafür gesorgt, dass sich jemand darum kümmern würde. Siv würde dies selbst merken, also sagte ich nichts und dachte stattdessen darüber nach, wie seltsam sie klang. Aber das lag wohl nur am Wein, dem ich in letzter Zeit wissend viel zu oft fröhnte. Doch die dumpfe Betäubung in sich verschlungener Gedanken erschien mir weitaus angenehmer als direkt und mit vollem Bewusstsein über die Misere nachdenken zu müssen, in die ich mich verfrachtet hatte.
Plötzlich kniete sie dann neben ihm und hielt mir ihre Hand vors Gesicht. Als ich Schritte gehört hatte, hatte ich schweren Herzens die Lider gehoben und sah erst zu ihrem Gesicht hin und dann, als die Hand in den Vordergrund rückte, diese an. Erneut rang ich mit mir. Ich ahnte, wohin das führen mochte. Doch wenn sie jetzt bei mir lag, würde das alles nur noch komplizierter werden, für sie, für mich, für alle, die auch nur einen Teil der Konsequenzen tragen mochten. Ich hob matt die Hand und schob ihre beiseite. "Nein", sagte ich und ließ sie dann, angestrengt blinzelnd, wieder fallen.