Beiträge von Marcus Aurelius Corvinus

    Ich sah Panthea an und zweifelte an ihrer ernsten Absicht, mich verstehen zu wollen. Dann seufzte ich tief und winkte ab. "Ach, das ist nicht so wichtig. Merk dir einfach, dass unter einen echten Brief auch ein Siegel gehört von demjenigen, der ihn schicken will", fasste ich dann zusammen und sah durchaus etwas bedauernd drein. Vielleicht lag es auch daran, dass sie ein Mädchen war, noch dazu ein griechisches. Wer wusste das schon. Woran ich nicht dachte, war dass die Kleine vielleicht nicht locker lassen würde, nun, da ich von einem - fiktiven! - Geheimnis begonnen hatte und nicht weitererzählte.


    Soso, die Mutter Pantheas war also müde. Dann war niemand da, der auf das Mädchen aufpasste? Ich runzelte die Stirn. "Warst du schon im Garten?" fragte ich sie alarmiert. Vor meinem geistigen Auge war schon alles zertrampelt, kurz und klein gehackt und vollkommen verloren. Mit tief gerunzelter Stirn sah ich Panthea an und wartete auf Antwort. "Ehm. Nein, habe ich nicht. Was spielt sie denn?" ging ich dann auf ihre Frage ein und wunderte mich, warum diese Frau nachts Musik machte und tags schlief.

    Die Versuchung hatte obsiegt, ehe Siv noch etwas erwidern konnte. Ich hatte die Augen geschlossen und hockte einem Schluck Wasser gleich neben der Tür auf dem Boden, an die Wand gelehnt und mit wirren Gedanken im Schädel. Bona Dea, ich war so müde, so unendlich müde, was dieses mentale Tauziehen mit mir selbst anbelangte! Und doch konnte ich nicht die Ruhe finden, die ich so dringend gebraucht hätte. Wenn ich Gelegenheit zum Schlafen hatte, lag ich wach bis mitten in der Nacht oder wachte noch vor dem Morgengrauen auf. Mich in meinem Arbeitszimmer zu verkriechen, bedeutete die einzig adäquate Ablenkung für mich, sah man von den Gelegenheiten ab, bei denen ich mich mit freiem Kopf in der Öffentlichkeit blicken lassen oder im Senat sitzen musste. Und selbst dann fiel es mir schwer, mich nur auf diese Sache zu konzentrieren und nicht meine heimische Situation, zwischen selbst platzierten Stühlen sitzen zu müssen, zu verfluchen. Oh sicherlich, ich hatte darüber nachgedacht, Celerina in Kenntnis zu setzen. Es wäre vermutlich das kleinere Übel, ihr gegenüber zuzugeben, dass Siv mehr als meine Leibsklavin für mich gewesen war. Und noch immer war. Doch kreisten die Gedanken sogleich um die damit verbundenen Verschiebungen der Zukunftsbahnen: Für mich, wenn Celerina sich aus verletztem Stolz heraus scheiden lassen wollte, und für die Familie, was die politischen Konsequenzen aus dieser möglichen Scheidung heraus bedeuteten. Ich saß sozusagen in der Zwickmühle, und die beiden einzig richtigen Entscheidungen konnte ich nicht guten Gewissens treffen, ohne mich schlecht zu fühlen: Siv abzuweisen und fortzuschicken - oder Celerina so bewusst zu hintergehen, dass ich die Konsequenz einer Scheidung mehr als nur bewusst verdient hätte. Vielleicht hatte ich mit ihr als Ehefrau eine schlechte Wahl getroffen, vielleicht hätte eine andere darüber hinweggesehen, doch war ich mir sicher, dass Celerina ihre ganz eigene Meinung dazu hatte. Und wie die mit aller unerschütterlichen Härte aussah, hatte sie mir bereits mit ihrem plötzlichen Aufbruch nach Ostia verraten.


    Dass Siv das Packen veranlassen wollte, dachte ich zunächst daran, ihr zu widersprechen. Ich hatte bereits dafür gesorgt, dass sich jemand darum kümmern würde. Siv würde dies selbst merken, also sagte ich nichts und dachte stattdessen darüber nach, wie seltsam sie klang. Aber das lag wohl nur am Wein, dem ich in letzter Zeit wissend viel zu oft fröhnte. Doch die dumpfe Betäubung in sich verschlungener Gedanken erschien mir weitaus angenehmer als direkt und mit vollem Bewusstsein über die Misere nachdenken zu müssen, in die ich mich verfrachtet hatte.


    Plötzlich kniete sie dann neben ihm und hielt mir ihre Hand vors Gesicht. Als ich Schritte gehört hatte, hatte ich schweren Herzens die Lider gehoben und sah erst zu ihrem Gesicht hin und dann, als die Hand in den Vordergrund rückte, diese an. Erneut rang ich mit mir. Ich ahnte, wohin das führen mochte. Doch wenn sie jetzt bei mir lag, würde das alles nur noch komplizierter werden, für sie, für mich, für alle, die auch nur einen Teil der Konsequenzen tragen mochten. Ich hob matt die Hand und schob ihre beiseite. "Nein", sagte ich und ließ sie dann, angestrengt blinzelnd, wieder fallen.

    Ich warf ihr einen ratlosen Blick zu. "Vielleicht, weil jemand will, dass..." begann ich und hielt dann in einem verwirrten Schulterzucken inne. Diese Kleine war aber auch eine harte Nuss! "Sieh mal, wenn du einen Brief bekommst, wo drinnen steht, dass Gaius morgen nicht mit dir spielen kann und du das glaubst und traurig bist deswegen, der Brief aber eigentlich gar nicht von Gaius kommt, sondern von jemandem, der eifersüchtig ist, weil er nicht mitspielen darf udn der deswegen so tut als sei er Gaius - dann ist das doch gemein, nicht? Und die Siegel helfen einem dabei, zu erkennen, dass der Brief auch wirklich von Gaius kommt. Und ganz nebenbei kann man daran auch erkennen, wenn jemand den Brief schon geöffnet hat, bevor er dir zugestellt wird. Falls ein Geheimnis drin stand." Ich lächelte schief und kratzte mich dann über dem rechten Ohr. Das war mein letzter Versuch. Ansonsten, beschloss ich, war das Mädchen einfach zu klein, um diesen Sachverhalt begreifen zu können.


    Bei ihrer nächsten Bemerkung musste ich kurz lachen. "Tja, jetzt vielleicht nicht mehr. Als ich klein war, vielleicht schon. Ich weiß nicht, warum meine Eltern mich so genannt haben", erwiderte ich und zuckte erst mit den Schultern, dann mit dem Kopf zurück, als Panthea mir nun direkt demonstrierte, wie alt sie war. Drei also, fast vier. Erneut lächelte ich schief. Kein Wunder, dass sie mich zuvor nicht verstanden hatte, sie war noch viel zu klein für solche Dinge! "Ah, das ist ein netter Name", fiel mir dazu ein. Selbstredend hatte ich zuvor schon ans Pantheon gedacht. Da fiel mir auf, dass sie meine Frage gar nicht beantwortet hatte, die wichtigste der drei. "Und? Weiß deine Mutter, dass du hier bist?"

    In meinem jetzigen Zustand bekam ich nicht mehr alles mit, was vor sich ging, aber dennoch genug, wie ich fand. Ich realisierte, dass Siv leicht angesäuert war, doch im nächsten Moment war der Ausdruck schon wieder verschwunden, abgelöst von Überraschung, die kurz darauf ebenfalls getilgt war. Ihre Gedankengänge konnte ich nur erahnen, doch dafür war meine Verfassung ohnehin nicht mehr geeignet, also sah ich sie nur an und sann ergebnislos darüber nach, was sie wohl denken mochte.


    "Übermorgen", entgegnete ich auf ihre Frage, irritiert, dass sie sie so unbeteiligt vorgebracht hatte. Dann sprach sie das Bett an, und nun war ich es, der die Augen schloss. Was sollte ich im Bett, an Schlaf war nicht zu denken. Und wenn ich doch einschlief, dann nur, weil der Wein seinen Tribut forderte, nicht etwa, weil meine Gedanken zur Ruhe gekommen waren. Ich seufzte tief. "Vielleicht... Hast du recht." Mit großer Anstrengung sah ich sie wieder an. Melancholie durchflutete meine Adern, waberte glühend durch sie hindurch. Ich blinzelte und ließ dann den Kopf hängen, indem das Kinn auf die Brust sank. Die Versuchung, erneut die Augen zu schließen, wurde immer größer.

    Ich sah das Mädchen ein wenig unglücklich an. Nch einfacher konnte ich das nun beim besten Willen nicht erklären! Die Brauen rückten enger zusammen, als ich mich doch tatsächlich dabei ertappte, wie ich nach einer besseren Erklärung suchte. "Das Bild auf dem Siegel ist wie eine Unterschrift. Und weil es allein nicht ausreicht, unterschreibe ich noch einmal zusätzlich. Damit keiner denkt, dass jemand so tut, als sei er ich. Und dann vielleicht Briefe verschickt, die gar nicht stimmen", mühte ich mich, in der Hoffnung, dass sie es nun verstanden hatte. Während ich erklärte, sah sie mich äußerst kritisch an. Flüchtig wandte auch ich den Blick hinunter, um zu sehen, ob meine tunica einen Fleck hatte, doch da war nichts.


    "Corvinus", verbesserte ich automatisch, als sie mich Corvus nannte. "Das bedeutet 'kleiner Rabe'." Ich lächelte sie an - irgendwie war sie doch ganz goldig mit ihrer Fragerei und ihren wuscheligen Locken - und beschloss, in die Offensive zu gehen. "Bedeutet denn Panthea etwas? Und wie alt bist du eigentlich?" Erneut ein Schielen in Richtung Tür. Noch hatte ich die Hoffnung ja nicht aufgegeben. "Weiß deine Mutter, dass du hier bist?" vergewisserte ich mich.

    Der Sklave reichte Balbus einen Becher mulsum, und ich nippte an meinem. "Ich muss gestehen, dass ich schon überrascht über das Anliegen deines Tribuns war", begann ich dann direkt mit dem Gespräch, weswegen Balbus sicherlich hauptsächlich hergekommen war. "Das liegt aber wohl daran, dass meine bisherigen Zusammenstöße mit den Prätorianern eher negative Erlebnisse waren denn positiv geprägt. Die Freundlichkeit deines Antoniers war eine ganz neue Erfahrung für mich", gestand ich, während zwei Sklaven bereits die Vorspeise herein brachten - die obligatorischen verschieden gefüllten Eier. Sie begannen, jedem von uns einen Teller nach seinen Wünschen zu füllen.

    "Weil", begann ich automatisch und runzelte dann verwirrt die Stirn. Ich redete mit einem kleinen Mädchen über die Notwendigeit des Siegelvorgangs? "Nun, das Emblem auf dem Siegelring ist jenes meiner Familie, und diese Art von wichtiger Korrespondenz erfordert ein Siegel, um es offiziell zu machen und...." Die Runzeln auf meiner Stirn wurden tiefer. Wie alt war das Kind, vier Jahre, fünf? Drei? Ich blinzelte irritiert und erklärte es dann anders. "Wenn ich mein Siegel nicht darauf setze, dann denkt der Empfänger vielleicht, der Brief sei gar nicht von mir. Verstehst du?" fragte ich sie leicht ratlos. Das vage Gefühl von Hilflosigkeit überkam mich, hielt an, während sie sich vorstellte, und verstärkte sich, als sie um den Schreibtisch herum kam und dabei auf dem Boden landete.


    Unterdessen hatte ich den Scherenstuhl ein wenig zurückgeschoben und mich ihr entgegen gedreht. Warum kam sie denn nun hierher? Schnell hatte sie sich wieder aufgerappelt. Verwundert sah ich sie an. "Panthea also. Es freut mich, deine Bekanntschaft zu machen", erwiderte ich höflich und blinzelte dann. "Ich?" Ich wandte den Blick kurz zur Tür, um zu überprüfen, ob mich jemand erretten würde, doch da war niemand in Sicht. Und es würde auch eine ganze Weile niemand herkommen. Also wandte ich mich wieder der Kleinen zu, um ihre Frage zu beantworten. "Ich bin Marcus Aurelius Corvinus", sagte ich und ließ vorsichtshalber jegliche weitere Information weg, da ich glaubte, dass das Kind mit diesen Begriffen und Umschreibungen ohnehin nicht viel würde anfangen können.

    Sehr gut also, na, dann war ja alles wunderbar! Ich lächelte, auch wenn es nicht recht die Augen erreichte, und wandte mich der scheidenden Sonne zu, damit sie es nicht bemerkte. Celerina lehnte sich an mich. Eigentlich war daran nichts Besonderes, und doch schnürte sich mir beinahe augenblicklich die Kehle enger. Es fühlte sich so falsch an, und doch war es richtig. Richtiger als andere Dinge, zumindest. Ich musste mich überwinden. Es gab keine andere Lösung für dieses Dilemma. Ich wusste das inzwischen, immerhin hatte ich lange genug Zeit gehabt, um mir dessen bewusst zu werden. Und dennoch haderte ich mit mir. Wie gern hätte ich mich aus meinem eigenen Körper zurückgezogen, um dieser Nacht nicht beiwohnen zu müssen!


    Ich schloss die Augen, als die Sonne hinter dem fernen Horizont verschwand. Celerina war nicht hässlich. Sie verlangte auch nichts, das unmöglich gewesen wäre. Und ich war mir der Pflichten und Obligenheiten schließlich auch bewusst gewesen, als ich sie geheiratet hatte. Celerina erhob sich plötzlich, und ich taxierte aus den Augenwinkeln heraus den Weinkrug, der neben einer niedrig brennenden Öllampe stand. Ich würde mir in dieser Nacht, in diesen Tagen fernab von Rom, Mühe geben, ein gute Ehemann zu sein. Ganz gleich, was es mich kosten mochte. Celerina war meine Frau, und sie hatte meinen Respekt und mein Vertrauen verdient, so wie sie mich damit bedachte. Einen Becher Wein nur noch, dann würde ich ihr folgen. Doch sie beugte sich plötzlich zu mir hin und küsste mich. Erneut schloss ich die Augen. Ließ die Gedanken schweifen. Und erwiderte den Kuss. Obwohl sich alles in mir sträubte, stand ich dann doch auf, verzichtete auf den Wein, und hob, ohne den Kuss zu unterbrechen, meine Frau auf die Arme, um sie hinein und zum Bett zu bringen, um dort, nach langer Zeit, endlich wieder meiner Pflicht nachzukommen.


    Als der Morgen graute, lag ich wach auf der Seite und sah hinaus. Schlieren von rötlichgrauem Licht durchzogen die Schwärze. Erste Vögel sangen, und hinter mir waren Celerinas gleichmäßige Atemzüge zu hören. Wir hatten in dieser Nacht mehrere Male miteinander geschlafen. Ich fühlte mich ausgelaugt und leer, auch wenn das vermutlich nicht nur davon kam. Währenddessen war mir stets bewusst gewesen, dass ich vielleicht gerade meinen Erben zeugte. Von der Entspannung, die mich zumindest für die kleinen Moment überrollt hatte, war da nicht allzu viel geblieben. Ich hoffte, dass zumindest sie nun glücklich war. Ich plante gedanklich bereits den nächsten Schritt zur Vervollkommnung dieses Aufenthalts. Träge bewegten sich die halb durchsichtigen Vorhänge vor dem Fenster im Wind. Eben ging die Sonne auf. Ein neuer Tag begann.

    Zitat

    Original von Marcus Aurelius Corvinus
    "Herr, wir müssen-" Ich hob die Hand mit dem Senatorenring daran. "Scht. Es genügt, wenn wir ein wenig später kommen", erwiderte ich, und der Sklave schwieg.


    "Nun können wir gehen", sagte ich zu dem Sklaven, der eben das Wort ergriffen hatte. Ich hatte tatsächlich kurz mit dem Gedanken gespielt, mitzubieten. Die Sklavin hatte mich doch sehr an Siv erinnert. Doch dreißig aurei für eine Sklavin, die weder etwas Besonderes konnte noch sonderlich folgsam schien, war mir zu viel gewesen.


    Im Vorübergehen erhaschte ich einen Blick auf die neue Herrin der Sklavin - und erkannte sie. Das war Germanica Calvena, und - täuschte ich mich, oder sprach sie da fließend Germanisch? Mit erstaunt erhobenen Augenbrauen nickte ich ihr zu und ging ich meiner Wege. Dass jemand, der eigentlich so kultiviert war wie die Germanicer, in aller Öffentlichkeit die Sprache eines Barbarenvolkes in Fehde mit den Römern sprach, mutete seltsam an. Ich selbst hatte zwar einige Worte von Siv gelernt, doch selbstverständlich nie in der Öffentlichkeit angewandt. Nach wenigen Schritten hatten wir die Menschentraube hinter und gelassen.

    Als das nächste Siegel getrocknet war, legte ich auch dieses Dokument zur Seite und zog das nächste heran. Wachs tropfte zäh auf den Papyrus. Ich senkte die Hand und drückte den Siegelring hinein und - erschreckte mich so sehr, dass ich zurückzuckte und dabei mit dem Ring das Wachs auf einem digitus des Briefes verschmierte. Mit Wachsresten an Fingern und in den Intarsien des Ringes, mit erhobener Hand und klopfendem Herzen starrte ich die zwei kleinen Kinderhände und das wuschelige Gesicht an, das von der Nase aufwärts direkt vor meinem Schreibtisch zu sehen war. Ein Kind. In meinem Arbeitsraum. Kaum groß genug, um über die wuchtige Platte zu schauen. Eins und eins waren schnell zusammengezählt, diese Kleine musste die Tochter von Ursus' Gast sein.


    Ich hob mir die Hand entgegen und versuchte, das nun kalte Wachs abwesend aus Ring und von den Fingern zu pulen, sah dabei das kleine Mädchen an. "Siegel setzen", sagte ich einen Moment, nachdem sie ihre Frage gestellt hatte. "Du hast mich ganz schön erschreckt. Wer bist denn du?" fragte ich sie dann und zog den Ring vom Finger. An weiteres Siegeln war erst einmal nicht zu denken, zunächst müsste der Ring gereinigt werden. Und das Dokument musste neu aufgesetzt werden, denn so konnte man es kaum in den Versand geben. Was ich vom plötzlichen Auftauchen des Mädchens halten sollte, war mir selbst noch nicht ganz so klar. Einerseits war es ungehörig, sich so anzuschleichen, andererseits schien sie noch nicht so alt zu sein. Dafür allein hier herumzustromern. Die Götter allein wussten, was sie bereits alles angestellt, umgeworfen und kaputt gemacht hatte. Ich legte die Hände auf dem Schreibtisch zusammen und sah die Kleine fragend an. Ganz niedlich schaute sie ja schon aus, doch ich wusste, dass das - gerade bei kleinen Kindern - alles nur Tarnung sein konnte.

    Daher lief der Hase. Ich hatte so etwas schon befürchtet. Gracchus bewies sich dennoch als geschickter Redner, der erst lobend und schmeichelnd, dann kritisch vorging. "Wir sind uns dieser Problematik durchaus bewusst. Allerdings möchte ich, auch wenn es kein Geheimnis ist, in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hinweisen, dass meine Familie den collinischen Saliern seit den überaus dreisten Geschehnissen um Fabius Antistes nicht unbedingt positiv gegenüber steht. Und selbst wenn, so dürften wir kaum darauf hoffen, dort aufgenommen zu werden, da besagter Fabius dort mit von Münzen gestärktem Rücken magister ist." Ich war deutlich verärgert, als ich den Namen dieses verleumderischen, bestechlichen Ketzers in den Mund nahm. "Sicherlich gibt es noch die Möglichkeit, bei den Arvalbrüdern um Aufnahme zu bitten, was ich ebenfalls als sinnvoll und ehrenhaft erachtet hätte. Meine Verwandten haben ihre Wahl jedoch selbst getroffen und, wie ich finde, gut begründet." Vermutlich konnten sie auch nur besser tanzen als singen.

    "Danke. Du kannst jetzt gehen." Pyrrus klaubte seine Wachstafeln und die Dokumente zusammen und machte sich auf, um die Abschriften zu erstellen und sie anschließend zur Poststelle zu schaffen. Er war schwer beladen und öffnete die Tür zum Hinausgehen mit dem Ellbogen. Ich unterschrieb bereits einen Arbeitsvertrag und beachtete den scriba nicht weiter. Als er hinaus gegangen war, versuchte er, die Tür mit dem Fuß zu schließen, was nur insofern gelang, dass das Holz sich dicht an den Rahmen legte, nicht aber vollständig schloss. Die wür war damit angelehnt.


    Ich bemerkte es jedenfalls nicht. Kaum hatte die Unterschrift ihren Platz gefunden, streute ich Sand auf die feuchte Tinte und erwärmte das Siegelwachs über der Flamme einer Öllampe. Neben mir lag bereits ein ansehnlicher Stapel von Dokumenten, denen noch das Siegel fehlte. Als das Wachs warm genug war, tropfte ich einige Tropfen der zähen Flüssigkeit auf den Papyrus. Anschließend drückte ich den Ring an meiner Rechten hinein und wartete einen Moment. Auf diese Art und Weise schaffte ich drei weitere Dokumente, die ich nach der Fertigstellung auf die andere Seite legte.

    Während ich so dasaß und draußen im Gang hastige Schritte vernahm, gab ich mir Mühe, an gar nichts zu denken. Was allerdings kläglich scheiterte. Recht bald nach meiner unkonventionellen Bestellung trat jemand ein, tauschte den leeren Krug gegen einen vollen aus und verschwand dann wieder. Ich starrte das tönerne Gefäß an und rührte mich doch nicht. Der Weg zum Tisch schien mir zu mühselig, ich wollte nicht aufstehen, sondern lieber bis in alle Ewigkeit hier sitzen bleiben. Nun ja, zumindest bis es hell wurde oder ich einschlafen würde.


    Oder bis die Tür zu Sivs Kammer aufging. Ich drehte langsam meinen Kopf, fühlte mich ob ihrer Gestalt augenblicklich um Jahre zurückversetzt. Silbriges Licht umfloss ihre Gestalt und ließ die schattenhaften Konturen leuchten. Ich wandte den Blick ab. Dann richtete sie das Wort an mich, und ich wandte mich ihr wieder zu. Was stimmte? Welche Kammer? Meine Gedanken flossen zäh wie Sirup dahin, und die Stille breitete sich zwischen uns aus wie eine massive Mauer, während ich versuchte, einen Sinn in ihre Worte zu bringen. Bis es mir siedend heiß einfiel, was sie meinte. "Du biss keine Sklavin mehr. Du bekommss ein..andres Zimmer." Meine Zunge war schwer, als ich das sagte und mich bemühte, möglichst tonlos zu klingen. Es fiel mir nicht ganz so leicht wie im nüchternen Zustand, was mich bereits wieder ungemein ärgerte. Mit gerunzelter Stirn strengte ich mich an, unbefangen zu wirken. Und dann fiel mir ein, dass ich Siv nun sagen konnte, dass ich bald abreisen würde. "Ich fahre mit..Celerina weg", sagte ich schleppend und blinzelte sie angestrengt an. Die Beine hatte ich inzwischen ausgestreckt, die Arme hingen leblos vor mir und ruhten auf den Oberschenkeln. Den Hinerkopf hatte ich an die Wand gelehnt, und so sah ich Siv auch an.

    "Wir sind Vettern zweiten Grades", fügte ich, zu Gracchus gewandt, der Erklärung Imbrex' hinzu. Mehr gab es dazu eigentlich auch nicht zu sagen. Orest und Cotta und Imbrex waren meine Vettern zweiten Grades, Ursus mein Neffe und damit der Vetter dritten Grades der beiden Anwärter. Avianus war ebenfalls mein Neffe. Ob Gracchus wohl dachte, wir wollten die palatinischen Salier invadieren? Dasselbe könnte man in Kürze auch im Senat behaupten. Ursus und ich saßen dort bereits, Avianus würde in Bälde folgen, Orest nach seiner Quästur ebenfalls. Und Imbrex bewarb sich für ein Vigintivirat...

    Ah je, plötzlich wurde Piso klebrig wie eine in Honig eingelegte Dattel. Ich überging die Speichelleckerei. Ich war noch nie jemand gewesen, der sich davon besänftigen oder gar beeindrucken ließ. Und außerdem war die Priscasache viel interessanter als der Spitzname der Blümchen.


    Sein Glück war, dass er nicht lange herumdruckste, ehe er mit der Sprache herausrückte. In Gedanken hatte ich schon das Schlimmste vor mir gesehen: Einen Flavius, der meine Prisca versehendlich in einen Brunnen schubste, nur um zu sehen, wie sie in feuchter Kleidung aussah. Einen Flavius, der betrunken einen Krug Wein über meiner Nichte verteilte. Einen Flavius, der...Prisca nur angerempelt hatte. Versehendlich, wie es sehr oft passierte, gerade auf den Märkten. Meine Züge entspannten sich wieder. Wohl, weil ich auch nicht wusste, dass Piso sie derbst beschimpft hatte, sonst wäre er wohl postwendend aus dem Haus geflogen. So aber... "Hm, nun gut. Dann war es zwar aufmerksam von dir, den Schaden wiedergutmachen zu wollen, aber doch recht unnötig. Prisca ist sehr wohl im Stande, selbst für ihre Garderobe zu sorgen." Nicht, dass da noch ein Zweifel aufkam, die Aurelier mochten sich keine Kleider für ihre Frauen mehr leisten können. Die Entschuldigung hörte ich mit Genugtuung, überging sie jedoch. "Ich komme gern für den Schaden auf. Du hast dich bei ihr gewiss angemessen entschuldigt." Das war ein Angebot wie ein Hinweis. Nahm Piso es an, war er schlau und abgebrühter als ich dachte, nahm er es nicht an, wusste ich, wo der Hase lief. Allerdings musste man ihm schon lassen, dass er Mumm in den Knochen hatte. Nicht lange herumzudrucksen und sich dann direkt zu entschuldigen, war schon eine honorable Leistung. Ich fand, dass er Rückgrat besaß. Eine Eigenschaft, die ich mir für Priscas Ehemann wünschen würde. Sofern er auch alles andere hatte, von dem ich fand, dass sie es verdient hatte. Wie beispielsweise Ehrlichkeit. Loyalität, Weisheit, dignitas, gravitas. Gespür fürs Wesentliche. Romantik, Weltoffenheit. mentale Stärke, Treue. Ein wenig Liebe. Respekt, Fürsorge, Vertrauen. Finanzielle Mittel, einen Namen, einen Ruf, einen Senatorenring, eine gute Familie,...

    Ich musste grinsen, während Orestes die bestimmende Art seiner Mutter ganz nett karikierte. "Na, wenigstens hat sie bewiesen, dass sie auch diplomatisch sein kann", hielt ich ihr zugute und schmunzelte nur noch. "Falls du Überzeugungshilfe brauchen solltest, helfe ich dir gern. Wobei du bei den Blümchen vielleicht eher Prisca oder Celerina bitten solltest, falls es nötig ist. Solche Dinge machen Frauen lieber unter sich aus."


    Ich überlegte kurz. "Hm, nein, mir fällt nichts ein. Das heißt, doch: Habt ihr zwei euch eigentlich schon Gedanken über den Hochzeitstermin gemacht?" Das war eine wichtige Sache, und je früher man davon wusste, desto besser konnte man planen. Oder, in unserem Falle, planen lassen.

    "Hm?" machte ich, ohne damit ausdrücken zu wollen, dass ich die Frage nicht verstanden hatte. Ich sprach im Anschluss auch gleich weiter. "Ja, Celerina ist meine Frau. Ah, das zielte eben auf mich ab? Entschuldigt, das habe ich wohl falsch aufgefasst. Also, ich bin Marcus Corvinus. Ich habe gar nicht daran gedacht, dass es schon so lange her ist, dass ihr mich nicht erkennt", sagte ich und lachte kurz. "Naja. Jetzt, wo es heraus ist, kann ich euch auch verraten, dass ich euch noch nicht auseinanderhalten kann, aber das hört ihr sicherlich oft. Zum Glück für mich hat Narcissa mir verraten, wer wer ist." Ich schmunzelte und trank wieder einen Schluck Wein. "Also: Celerina ist meine Frau, Prisca meine Nichte. Wenn euch etwas unklar ist, fragt ruhig nach."

    [Blockierte Grafik: http://img158.imageshack.us/img158/4099/pyrrusqa0.jpg%20| Livius Pyrrus


    Pyrrus konnte sehen, wie wenig es dem Jungspund behagte, dass Pyrrus mehr wusste als er. Zumindest glaubte er das. Von Natur aus wenig sensibel und eher mit der Haudrauf-Taktik denn mit Diplomatie gesegnet, grinste er den Aurelius an. "Livius Pyrrus", korrigierte er ihn selbstredend augenblicklich und neunmalklug, als Imbrex ihn mit seiner Profession ansprach und nicht mit dem Namen. Na toll, dachte er sich. Dann würde er hier lange rumreden und der andre saß nur da und hörte zu. Was tat man nicht alles für sein Geld. Pyrrus seufzte. "Na schön", kommentierte er, als gehe er damit einen Kompromiss ein, der ihm eigentlich nicht recht passte. "Wer in Rom das Sagen hat, das ist einfach. Der Kaiser ist seit einer Ewigkeit in Misenum, angeblich wohl wegen der Luft und weil die Ärzte ihm das geraten haben. Der praefectus urbi heißt Vescularius Salinator, und der hat hier gerade das Sagen. Manche behaupten, dass er das sogar hätte, wenn der Kaiser wieder zurückkäme." Pyrrus nickte gewichtig. "Diese Stellung macht den Vescularius natürlich zu einem gefährlichen Mann mit Einfluss. Aber der einflussreichste ist er nicht. Ich würde meinen, dass das nach wir vor Aelius Quarto ist, der Bruder des Kaisers. Und da wären wir dann eigentlich auch schon beim Senator Nummer eins. Quarto hat viele Klienten und viel Einfluss. Keiner weiß, wie er zum Präfekten steht, aber erst neulich hat er sich wohl im Senat ganz offen gegen ihn gewandt." Pyrrus stoppte hier und griff beherzt zu einem der Becher, um sich ungebeten Wein einzuschenken.