Augenscheinlich war die Flavia mit mehr ambitionierten cursus honorum Willigen gesegnet als meine eigene Familie dies von sich behaupten konnte. Wie praktisch, dass wir uns ergänzen konnten.
Nur war es äußerst schade, dass Gracchus' Bruder keinerlei Interesse daran zeigte, zu heiraten. Das machte es nicht leichter für mich, der ich bereits über den Schatten gesprungen war, den das Patrizierdasein auf uns warf. Keines meiner Mündel sollte sich später begeistert von dieser Entscheidung zeigen, so schwer sie mir selbst auch gefallen war. Es war stets mühselig, für etwas einzustehen, dass man selbst nicht unbedingt guthieß, doch wenn es die einzig richtige Möglichkeit darstellte...
"Ich würde in dieser Angelegenheit zunächst gern Rücksprache mit den Damen halten. Es wird gerade Prisca nicht leicht fallen, Caius' plötzliches Untertauchen zu verarbeiten. Sie hing an ihm", erklärte ich Gracchus. Vielleicht würde er verstehen, dass ich nur das Beste für meine Schutzbefohlenen und zumindest in einem Gespräch suggerieren wollte, dass sie eine Art Entscheidungsrecht hatten, was die Wahl ihres Zukünftigen betraf. "Dennoch danke ich dir zunächst für die Verknüpfungspunkte unserer beider Familien, die du in Aussicht stellst. Es wäre mir Freude wie Ehre gleichermaßen, könnten wir das Netz fester weben, das uns verbindet. Wie alt ist dein Neffe, wenn ich fragen darf?"
Gracchus erhob sich inzwischen und schenkte uns beiden hellroten Wein ein. Angesichts der Tageszeit war das vollkommen ausreichend. Ich nahm das fein gearbeitete Trinkgefäß an mich und betrachtete die feinen Ziselierungen darauf einen Augenblick. Gewiss bezogen die Flavier ihre Glaswaren auch aus Ägypten. Ich kannte keinen Glasbläser in Rom, der seine Kunst nicht in der südlichsten Provinz erlernt hatte, doch die wirklich perfekten Arbeiten stammten aus Alexandrien selbst. Ich dankte Gracchus und nahm einen Schluck, dann platzierte ich das Glas auf dem Schreibtisch vor mir. "Und dies dürfte eine überaus schwierige Angelegenheit sein, wie mir scheint. Erlaube mir die Frage, ob sich der pontifex maximus bei jeder contio aufs neue eher verhalten gibt", stellte ich eine indirekte Frage als Antwort auf die Angelegenheiten Fabius Antistes umrankend. Gerade bei den Flaviern schien ich eher richtig adressiert, was kritische Worte den Kaiser betreffend anbelangte, als bei den Tiberiern, und doch hatte ich bei Gracchus weitaus größere Probleme, meine Meinung zu sagen, als bei Durus. "Oder waren es lediglich die Themen, die ich mitbrachte, welche ihn langweilten?"
Ich griff nach meinem Glas, mehr, um meinen Händen etwas zu tun zu geben, denn aus Durst. Langsam drehte ich das Gefäß mit dem herben, hellroten Wein darin, bis plötzlich Gracchus mit einer Neuigkeit heraus rückte, die dazu fuhrte, dass ich ob der abrupten Einstellung der Bewegung beinahe die Rebensaft-Wasser-Mischung auf meine toga schwappen ließ. Ich war überrascht - das war ich wirklich - und sah Gracchus dementsprechend an. Man wollte mich im collegium pontificium sitzen haben? Nicht, dass ich nicht gehofft hätte, irgendwann einmal in die Reihen der höchsten Priester aufgenommen zu werden. Doch so plötzlich? Ich war erst einmal sprachlos, und ich hatte genügend damit zu tun, meine Überraschung soweit niederzuringen, dass ich Gracchus nicht allzu entgeistert anstarrte. "Das...kommt überraschend", sagte ich schließlich, und eine Vermutung keimte in mir auf. "Habe ich dir die Fürsprache zu verdanken?" wollte ich wissen. Letztendlich würde dies bedeuten, dass ich in Gracchus' Schuld stehen würde, ganz gleich, wie sehr er seine Beteiligung an dieser Sache auch vielleicht herunterzuspielen versuchte.
Bei der Erklärung bezüglich seines vermeintlichen Fauxpas nickte ich nur. Für mich war es weder eine Option gewesen, ihn vorzuführen noch ihm Kleingeistigkeit vorzuwerfen. Genau genommen hatte ich keinen Gedanken daran verschwendet, dass Gracchus mutwillig die Information den geschiedenen Opferkönig betreffend ignoriert haben mochte. Schließlich war mir bekannt gewesen, dass ihn diese sonderbare Krankheit fest in ihrem Griff gehabt hatte. Ich winkte daher ab und sagte die Wahrheit. "Es wird dir niemand zum Vorwurf machen, dass du mit den Gedanken an gänzlich anderer Stelle warst. Jeder hätte in der gleichen Situation andere Prioritäten gehabt. Ich kann nachvollziehen, wie es gewesen sein muss, auch wenn ich es nicht nachempfinden kann." Und Gracchus trug eine Narbe dieser ominösen Krankheit immer noch mit sich herum, zwar nicht offensichtlich, doch deutlich hörbar, sobald er sprach. Für einen orator ein schlimmer Kratzer auf der dem Senat zugewandten Oberfläche. Bisher hatte Gracchus sich unbeeindruckt davon gezeigt, doch tief im Inneren mussten ihn diese verschluckten Buchstaben zermürben. Ich nahm noch einen Schluck Wein und betrachtete mein Gegenüber. "Wie geht es deinem Sohn? Ich hoffe sehr, dass ich nächstes Jahr um diese Zeit einen ebenso stolzen Blick haben werde, sobald mich jemand auf meinen Erben anspricht", fragte ich dann und schob sogleich den zweiten Satz nach, nicht ohne vage zu schmunzeln.