Ich hätte so manchen Sesterzen dafür geopfert herauszufinden, was sie dachte - nicht nur um der Neugierde willen, sondern auch, um sie ein wenig besser zu verstehen. Wir kannten uns schließlich noch nicht lange, und ich konnte bei vielem nur vermuten. Dass sie meinen Vorschlag wohlwollend angehört hatte, die außergewöhnlichen Umstände dabei in Kauf nahm, ohne zu klagen oder sich auf Moralbegriffe zu berufen, die längst schon in Rom keinen wirklichen Bestand mehr hatten, war überraschend gewesen, aber auch erfreulich, und ich konnte letztendlich nur hoffen, in ihr eine unkonventionelle Frau gefunden zu haben, die ihre Freude daran fand, das Leben zu genießen.
Oder aber sie war von ihrer Mutter und ihrem familiären Umfeld einfach nur sehr gut darauf vorbereitet worden, einem möglichen patrizischen Ehemann eine Ehe möglichst schmackhaft zu machen. Aber warum war ich so misstrauisch? Hatte nicht ihre bisherige, so offene und freundliche Art viele Fragen einfach schon im Keim erstickt? Durfte ich überhaupt an ihr Zweifeln oder musste ich es nicht sogar, um vor einem möglichen Fehler zurückzuschrecken? Die Tatsache, dass es hier nicht um eine Ehe zwischen zwei Menschen allein ging, war für mich eher unangenehm als hilfreich, die stetige Familienpolitik auch mit bedenken zu müssen, freute mich nicht unbedingt.
Aber sie wirkte nicht wie ein hinterlistiger Mensch, oder aber ich irrte mich derartig, dass ich mich auf meine Instinkte am besten gar nicht mehr verlassen sollte - ein Irrtum jedoch würde sicherlich, sollte es ihn geben, erst mit der Zeit offenkundig werden. So oder so, wie auch immer ich es zu drehen und wenden versuchte, es war und blieb nicht leicht. So blieb mir nur die reine Spekulation, gemischt mit Hoffnungen, mit Wünschen für die kommenden Jahre, und dem Wissen, dass sie mich ebenso wohl durch ihren Instinkt würde einschätzen müssen wie ich sie. Überhaupt fiel es mir schwer, so weit voraus zu blicken, wie sich unsere eheliche Gemeinschaft eventuell entwickeln konnte. Es gab so viele irgendwie abschreckende Beispiele gruseligen Zusammenlebens, dass ich eigentlich vor dem Gedanken schon hätte fliehen sollen - aber ich tat es nicht, ich hoffte immernoch, der eine dumme Kerl zu sein, der vielleicht ein bisschen Glück bei der Sache finden würde. Und sie? Was erhoffte sie sich, verborgen hinter wohlgesetzten Worten und einem sanften, verheißungsvollen Lächeln?
"Reichtum, eine villa, Schmuck, Ämter ...all das sind Güter, die man haben kann, aber auch schnell wieder verlieren. Ein falsches Wort, eine missratene Spekulation ... mir wäre es wichtiger, mein Leben nicht allein auf diese Dinge bauen zu müssen. Ein Mensch, der durch alle Widrigkeiten und Höhen im Leben mit mir geht, ist sicherlich ein größerer Gewinn als eine Kammer voll Denaren."
Als sie jedoch begann, über ihre Eltern und die letzten Entscheidungen ihrer Mutter zu sprechen, gar berührt davon Tränen trocknen musste, fiel es mir schwer, nicht einfach zu ihr herüber zu gehen und den Arm um sie zu legen - Frauen mit Tränen in den Augen hatten stets diese unselige Wirkung auf mich, und dieses Mal musste ich mich irgendwie bezähmen, gegen den Drang ankämpfen, so gut es eben ging. Es musste bei tröstenden Worten bleiben, einem mitfühlenden Blick, ich war mir immernoch nicht sicher darüber, wie sie plötzliche Nähe aufnahm, die man auch falsch interpretieren könnte, und gerade mit ihr durfte es keine Fehler geben.
"Sie hat eine Entscheidung getroffen, die sehr mutig war - und ich denke, Du solltest diese Entscheidung Deiner Mutter als einen Beweis ihrer Liebe zu Dir sehen, als nichts sonst. Einem Menschen, für den man vieles empfindet, die letzten Wochen der siechenden Krankheit und des Todes zu ersparen, wohl wissend, wie einsam man dabei sein muss, ist ein gewaltiges Geschenk. So kannst Du sie immer als lächelnde, gesunde Frau in Deiner Erinnerung bewahren, ohne Leid, ohne Traurigkeit. Ein größeres Geschenk kann man wohl niemandem sonst machen." Ich streckte meine Hand aus, berührte die ihre sanft und drückte sie - ganz konnte ich es dann doch nicht lassen - um sie dann anzulächeln.
"Also mache Dir nicht zuviele Gedanken, und ruiniert hast Du diesen Tag sicherlich auch nicht. Was nützt es denn, wenn wir einander nicht auch in solchen Dingen ein wenig kennenlernen? Letztendlich ist es eine wichtige Entscheidung, ob und wen man heiratet, und zu jedem Menschen gehören auch traurige Dinge mit dazu," erwiederte ich dann auf ihre Zweifel und sah sie direkt an. Konnte es eine passendere Frau geben? Teilte sie wirklich meine Hoffnungen? Mochten die Götter diese stille Frage doch mit einem ja beantworten, ich wäre mit vielen anderen Dingen zufrieden gewesen, die vielleicht weniger vorteilhaft sein mochten.
Und dass sie sich selbst schon überlegt hatte, womit sie ihre Stunden füllen wollte, erleichterte mich - was man mir wohl auch ansehen konnte.
"Nun, ich fände es gewiss eine gute Entscheidung, würde sich meine Gemahlin ebenso im cultus deorum engagieren, wie ich es bereits tue - und das würde ich unterstützen, soweit es mir möglich ist. Es gbt zu wenige Priesterinnen, die gerne ihren Dienst verrichten, der Nachwuchs ist geringer geworden in den letzten Jahren - ich bin mir sicher, einer Aurelia würden sich viele Türen wie von selbst öffnen, wenn Du diesen Wunsch äußerst. Auch Marcus sollte nichts dagegen haben, das kann ich mir nicht vorstellen, was man gegen solches einzuwenden haben könnte." Ich sah sie offen an, und wieder berührten meine Finger die ihren, von ihr angezogen, als seien wir zwei gegensätzliche Pole, die einander einfach anziehen mussten.