Beiträge von Caius Flavius Aquilius

    Ich hielt ihn, auch wenn ich ahnte, dass meine Worte niemals würden jenes Problem lösen können, mit dem er sich konfrontiert sah - dieses Leben einer Liebe, die man nur verstecken durfte, die niemand ahnen, niemand sehen durfte. Irgendwann würde er daran zerbrechen, manchmal glaubte ich ihn fast als zu feinsinnigen Mann zu sehen, dessen innere, sensible Natur ihn dieser Welt nicht ausliefern durfte. Aber was konnte ich für ihn mehr tun als zu versuchen, seine Sorgen zu zerstreuen, ihm einige Stunden des süßen Vergessens zu schenken, und vor allem ihm einen Grund zu geben, das Leben dennoch irgendwie schön zu finden. Sein Körper war so warm, so vertraut, und meinetwegen hätte es jetzt ewig dauern können, bis er mir wieder entrissen würde durch die Zwänge des Ablaufs täglicher Pflichten -hätte nicht einfach die Welt daraus bestehen können, dass wir einander hielten, miteinander Freude an einfachen Dingen empfanden wie zu früheren Zeiten? Aber Achaia war so weit fort, und mit ihm auch die Zeit der Unbeschwertheit und der Unschuld, in der wir vielleicht geahnt hatten, was uns verband, es aber niemals gewagt hätten, es auch auszusprechen oder auszuleben.


    "Was danach kommt, Manius," sagte ich, nachdem er eine halbe Ewigkeit später das Wort wieder ergriffen hatte, "ist die Zukunft, und es wird eine Zukunft sein, in der wir uns Stütze und Halt sein werden. Wenn ich nur Dich haben kann, dann kann es in der Zukunft nichts geben, das mich ängstigt oder wünschen lässt, sie könnte sich in eine bestimmte Richtung entwickeln. Schimpfe mich ruhig einen Narren, Manius, aber ich weigere mich zu glauben, dass eine Liebe wie die unsere existiert, um uns beständig unglücklich zu machen. Etwas Gutes wird die Zukunft mit sich bringen, da bin ich mir ganz sicher." Es schien, als sei wieder eine vage Distanz zwischen uns eingetreten, jener Augenblick, an dem sich unsere Wege für einige Stunden, Tage trennen würden, um danach wieder zusammenzufinden. Letztlich hätten wir einander wohl auch ohne Worte verstanden, dennoch sprach ich sie.
    "Ich lasse Dich jetzt allein, denn ich habe noch zu tun an diesem Abend - wenn Du ... noch einmal sprechen möchtest, dann weisst Du, wo Du mich findest ..." Auch für anderes als Sprechen, aber irgendwie war ich mir recht sicher, dass ihm danach heute nicht mehr der Sinn stehen würde. An manchen Tagen war dies passend, an anderen eben weniger.


    So zog ich ihn noch einmal enger an mich und berührte dann mit den Lippen seine Stirn - kein aufdringlicher Kuss, keiner, der um Leidenschaft gebuhlt hätte, aber doch eine fühlbare Bekundung meiner Zuneigung - dann wandte ich mich ab und zur Türe, um seinen privaten Raum zu verlassen, jene Sphäre seines Selbst von meiner Anwesenheit bereinigend.

    Ich hatte das Gespräch der beiden eine Weile verfolgt und schließlich fiel mir der Grund des Verständigungsproblem auch wie Schuppen von den Augen: Raetia war keine Stadt, sondern die Region Raetia - der Name war mir zwar vage bekannt vorgekommen, aber nicht übermäßig vertraut, es hatte eine Weile gedauert, bis der Sesterz gefallen war. Leise lachte ich auf und erhob mich, während ich auf die beiden wieder zuging.
    "Ich glaube, ich weiss, warum ihr beiden andere Sprachen sprecht - ich glaubte auch ursprünglich, dieses Raetia sei eine Stadt aus Britannia, die ich einfach nicht kenne, aber ich habe mich an etwas anderes erinnert - eine Region in Germania, die man Raetia nennt, und Menosgada ist eine der dortigen Städte. So kommt die junge Dame hier zwar aus dem Norden, von Rom aus gesehen, ist aber viel weiter südlich als Du aufgewachsen, Bridhe, noch auf dem Festland - wenn man von Rom aus die Alpen überquert und dann Richtung Norden weiterreist, sollte man auf Raetia treffen. Kein Wunder, dass ihr euch nicht verstehen könnt, wenn Bridhe so spricht wie in ihrer Heimat, es ist ein ganz anderes Volk," sagte ich schmunzelnd und überreichte Fhina sowohl den Brief als auch das kleine Säckchen mit den duftenden Oliven darin, bevor ich aus meinem Beutel einige Münzen an Bridhe weitergab, wenn sie schon in die Stadt ging, sollte sie sich auch ein Getränk oder Obst unterwegs leisten können.

    Nachdem ich die beiden Frauen beschäftigt wusste, beschäftigte ich auch mich selbst - ich setzte mich an das kleine Tischchen und begann, den Brief zu verfassen, den die Sklavin des Aelius Callidus ihrem Herrn bringen sollte. Es sollte eine angemessene Erwiederung für seinen Scherz sein und ein wenig gute Stimmung vor dem angepeilten Essen verbreiten - nicht zuletzt, weil der Aelier nun durch seine Nähe zum künftigen Kaiserhaus ein wichtiger Mann geworden war.


    C' FLAVIUS AQUILIUS C. AELIO CALLIDO SUO


    Dem Catullus gleich erhoffe ich mir, Marcus, Deine Anwesenheit zur cena dennoch, auch wenn ich das duftende Öl bereits in Händen halte und darob keiner Gesellschaft mehr bedürfte. So mögen Dir die Oliven, die ich mittels eines hübschen Lächelns zu Dir übersende, den Weg leichter machen, auf dass fröhliches Gelächter und eifrige Gespräche bald unseren Abend verschönern werden.


    Vale,
    C' Flavius Aquilius


    Vom amüsanten Ton der Versteigerung ausgehend, hoffte ich, er würde mir den Scherz nicht übelnehmen und dennoch erscheinen - zudem waren es ausgesprochen gute Oliven, die ich gerne aß, sie trafen vielleicht auch seinen Geschmack. Und während die beiden jungen Frauen noch erste Annäherungsversuche linguistischer Art vornahmen, verschloss ich die Schriftrolle und gab mich einer dezenten Vorfreude hin. Es würde sicherlich ein interessanter Abend werden.

    Wieder glitt ein Blick meinerseits auf die verlockenden Austern - letztendlich mochte ich Austern, aber ... nein, heute mal nicht. "Nimm sie ruhig, ich möchte keine," sagte ich und umschiffte vorrausschauend eine der übelsten Klippen der flavischen Abendgestaltung.
    "Bei Vitruv sollte man aber auch bedenken, dass es für ihn wichtiger war, einen generellen Abriss über die Architektur und alle ihr artverwandten technae zu liefern denn wirklich allzu historisch zu agieren. Letztendlich wäre das bei einem Schreibstil wie dem seinen auch nicht unbedingt zu empfehlen, für historische Betrachtungen gibt es bessere Autoren. Hast Du senator Germanicus Avarus schon einmal deswegen angesprochen? Er ist, wenn ich nicht irre, der Beauftragte der Schola für alle Architekturbelange, falls es also irgendwelche Aufzeichnungen zur regia gibt, sollte er das wissen." Noch ein Schluck Wein folgte den Eiern, dann schöpfte ich mir einige Garnelen in meine Schale und probierte die erste. Annehmbar, aber jene, die ich als Kind im Hafen von Tarraconensis gegessen hatte, waren besser gewesen, garniert mit dem Geschmack des Abenteuers und einer Freiheit, die man als Erwachsener allzu früh verlor.

    "Ja, wir haben hier alles getan, was zu tun war. Überlassen wir die gierige Menge ihrem Blutrausch, zuhause gibt es wenigstens einen Falerner, der die Kopfschmerzen am nächsten Morgen rechtfertigt," gab ich ihm zurück und wandte mich ab, mit einer Hand die Falten der toga glatt ziehend, die gar nicht in Unordnung gewesen waren. Dennoch, das vage Bedürfnis, mich irgendwo festzuhalten, blieb, und ich konnte es auch bei dem Rückweg durch das Innere der dem amphitheatrum angeschlossenen Gebäude nicht abschütteln ... ein kurzer Blick meinerseits ging zu Lucanus, mich vergewissernd, dass er wirklich mitkam. Auch mein Neffe wirkte mitgenommen und auf eine neuartige Weise etwas distanziert, aber ich schrieb dies dem Geschehen zu und nichts sonst, während wir den Ort des Massakers verließen und der villa Flavia zustrebten, zudem einem guten Becher Wein.

    "Mhm," machte ich nur auf seine Bemerkung über dias harte Mannsein. Konnte man denn überhaupt ein steinharter Kerl sein, wenn man gemütlich in einem Becker voller heißem Wasser dümpelte? Was uns Römer von den anderen Völkern grundlegend unterschied, war unter anderem auch unsere Badekultur, und auf diese konnten wir wirklich stolz sein. Keine stinkenden Bürger, keine Läuse, keine ekelhaften Krankheiten, die sich vor allem durch schmutzige Haut übertrugen, das war schon ein gewaltiger Schritt nach vorn auf der Reise in Richtung Kultur. Ohne Badehäuser wären wir kaum so aufrecht und stolz, sondern müssten uns dauernd irgendwo kratzen und Statuen unserer berühmtesten Männer sähen wohl auch kaum wirklich beeindruckend aus. In sofern würde ich diejenigen wohl nie verstehen, die sich stets nur im eigenen Badebecken verkrochen, um bloß niemanden zu treffen - gerade Gespräche beim Baden konnten doch den Tag deutlich erhellen.


    "Danke nicht mir, Ursus, danke der Erfindung des Badehauses. Manchmal scheint mir, dass die meisten Streitigkeiten und Schwierigkeiten ein wenig Abstand brauchen, und die allgemeine Lösung, die uns noch übrig geblieben wäre - uns in einer Taverne ordentlich einen Rausch anzutrinken - würde es wohl kaum besser machen. Aber an einem solchen Ort, an dem man sich wieder wie ein Mensch fühlen darf und an dem einem so viele Probleme fern sind, erscheinen so manche Sachen weit weniger gravierend," antwortete ich ihm und schmunzelte. Er war wirklich ein netter Kerl, warum also hatte er mit Corvinus Streit, der auch ein intelligenter und verträglicher Mann war? Wahrscheinlich eine dieser alten Familiensachen, die man als Außenstehender niemals richtig verstehen konnte. "Und, was wirst Du die nächsten Tage vor der Amtsbewerbung machen? Ausser eine toga candidata erwerben, natürlich .."

    Ihr Latein war wirklich ziemlich grausig, aber das war ich ja inzwischen gewöhnt - Bridhes erste Sprachversuche hatten sich ähnlich angehört und auch Severus' früherer Akzent war nicht unbedingt das Angenehmste zum Anhören gewesen. Aber das konnte sich ja noch ändern.
    "Bridhe, gut, dass Du gleich gekommen bist. Diese junge Frau hier ist eine Sklavin aus dem Haushalt des Aelius Callidus und stammt ebenfalls aus dem Norden, genauer gesagt aus Raetia, Britannia. Ich möchte, dass Du sie in die Stadt zurück begleitest, nimm Dir zur Not noch einen Leibwächter mit, wenn es länger dauern sollte, vielleicht könnt ihr ein bisschen Interessantes aus dem Norden austauschen, sie ist noch nicht lange in Rom und Du kannst ihr sicher das ein oder andere berichten."


    Dass Fhina gerade der Markt aufgefallen war, erstaunte mich nicht - Roms Märkte waren riesig und man hätte dort wirklich fast alles kaufen können, wenn man es nur haben wollte und über das nötige Geld verfügte. Gerade für Menschen aus kleinen Dörfern durfte das recht überwältigend sein, aber so war es auch geplant - Roms Pracht war nicht nur eine Zurschaustellung unseres Besitzes, sie war auch bewusst darauf angelegt, Besucher und Barbaren zu blenden. Phoebus kam kurz hinter Bridhe wieder in das atrium zurück und brachte sowohl die geforderten, eingewickelten Oliven wie auch mein Schreibzeug, das er für mich auf dem Tischchen ablegte, ich rückte mir selbst einen Stuhl dazu, immerhin wollte die Antwort verfasst werden. "Ich schreibe eben einige Zeilen an Aelius Callidus, vielleicht unterhaltet ihr beiden euch solange?"

    Ein Sklave der villa Flavia brachte im Lauf des Tages eine gerollte Schriftrolle vorbei, die an den senator Purgitius Macer adressiert war.


    SPURIUS PURGITIUS MACER
    CASA PURGITIA - ROMA


    Salve, patronus,


    ich würde Dich gerne in den nächsten Tagen zwecks eines Gesprächs über eine Senatseingabe aufsuchen und wäre erfreut, könntest Du mir einen Dir angemessen erscheinenden Termin in den Abendstunden nennen.


    Vale,
    C' Flavius Aquilius

    "Nein, will ich nicht," sagte ich und seufzte gleichermaßen. Diese Schwindelei war mir tatsächlich nicht besonders angenehm, letztendlich war und blieb es eine Lüge, denn sie war nicht dreissig und würde schätzungsweise noch mindestens zehn Jahre lang nicht dreissig sein. An den Tatsachen ließ sich nicht rütteln, sie war jung, sie sah zum Anbeißen aus und ihre Haut war nun einmal so glatt und rein wie die einer jungen Frau - wann immer eine Frau hätte wünschen können, älter auszusehen, dies war eine der wenigen Gelegenheiten, wie auch kindliche lupae oftmals zu wünschen begannen, für älter und damit auch für erwachsener gehalten zu werden. "Letztendlich ist diese Lüge nicht der Weg, der mir gefallen kann, um Dir Deine Freiheit zu geben, aber schätzungsweise der einzige, um es zu bewerkstelligen, ohne dass Du tatsächlich so lange warten musst und das Kind als Sklave auf die Welt kommt." Ich drehte den Kopf wieder in ihre Richtung und betrachtete ihr von der Erregung vage gerötetes Gesicht, um dann etwas gequält zu lächeln. Jener Morgen, an dem sie versucht hatte mich zu täuschen, kehrte in der Erinnerung ausgesprochen deutlich zurück, auch die Ohrfeige, die sie von mir dafür bekommen hatte.


    "Ich werde Lügen nie zu schätzen wissen, Bridhe, und ich bin froh, dass Du es überhaupt ansprichst. Jeder andere hätte sich auf die Freiheit gefreut und nichts gesagt, Du aber ... ich habe mich nicht getäuscht in dem, was ich damals auf dem Sklavenmarkt zu erkennen hoffte, einen Menschen mit einer aufrechten Einstellung zur Welt. Diese Scharade gefällt mir nicht, wahrhaftig nicht, und ich hoffe, ich finde einen Weg, bei dem man darauf verzichten kann - ich habe in Rom noch keinen Sklaven freigelassen, vielleicht verzichten sie auf die persönliche Begutachtung, wie es in meiner Heimat üblich wäre, dann ist das alles ohnehin unnötig. Aber wenn es sein muss, Bridhe, dann werde ich lügen, weil es einem sinnvollen Zweck dient. Weil es Dir und dem Kind ein besseres Leben ermöglichen wird. Und nur deswegen." Einen anderen Grund hätte ich auch nicht akzeptiert. In meinem Haushalt wurde nicht gelogen, wenn es nicht unbedingt sein musste, wenn ein Leben davon abhing, war das ein wichtiger Grund.

    Je länger das widerwärtige Schauspiel dauerte, desto unruhiger wurde ich innerlich. Sollte ich nicht doch lieber dem Bogenschützen Bescheid geben, der sich um eine schnelle Lösung des Problems Finn Kylian bemühen würde? Aber Mann und Löwe waren so sehr ineinander verkeilt, dass es unmöglich war, in Ruhe zu zielen und man hatte mir sehr deutlich gemacht, dass der Löwe später noch gebraucht wurde und er möglichst unbeschädigt aus der Sache hervorgehen sollte - und der Verurteilte wehrte sich nach Kräften, um es dem Löwen nicht zu leicht zu machen. Ich hasste die Arena, das Gebrüll der Massen, dieses blutgeifernde Wesen des römischen Volkes, welches mir meine Mitmenschen viel mehr als Tiere erscheinen ließ denn die Wesen, die unten im Sand mit dem zum Tode verurteilten Mann kämpften, denn ihre Blutgier war künstlich angestachelt worden, die Blutgier des Menschen allerdings lag in dessen Seele. Als der Löwe jaulend zurückwich und die anderen Tiere die Gelegenheit kommen sahen, sich über den geschwächten Mann herzumachen, zuckte ich unwillkürlich zusammen, denn nicht nur mir, sondern auch der johlenden Menge war klar, dass es hier nun auf das Ende zuging.


    Es schien mir fast, als könnte ich die Knochen knacken hören, als einer der Löwen auf das rechte Bein des Finn Kylian biss, und ab da musste man davon ausgehen, dass er tot war, denn er schrie nicht, und sein Körper verschwand alsbald unter den sehnigen Leibern der Raubkatzen, während nur einige Schlieren dunkles Blut im Sand davon kündeten, dass hier ein Körper herumgeschleift wurde. Wie die brüllende und pfeifende Menge durch ihre schiere Lärmgewalt nutzten die Löwen in der Arena durch ihre physische Kraft jede gebotene Nische, um sich aus den Fesseln ihrer Existenz wenigstens für einige Augenblicke zu befreien - ein Arm des leblosen Körpers, der heute morgen noch ein Mensch gewesen war, ragte für einige Momente lang aus dem Löwenknäul hervor, dann kamen die Wärter endlich mit Spießen, um die Tiere voran zu treiben, deren blutige Schnauzen entsetzlich trieften. Was von Finn Kylian übrig geblieben war, wurde mit einer Decke bedeckt und zur Seite geschleppt, um später verbrannt zu werden, wie es üblich war - die Asche dieses Mannes würde niemand einfordern, er ging alleine ohne die Hilfe seiner Ahnen in die Unterwelt.


    Dann endlich konnte ich beiseite treten und Platz für einen meiner Amtskollegen machen, der weitere Urteile verlesen und weiteren Menschen den Tod bringen würde. Langsam wandte ich mich um, das Gesicht zur Maske erstarrt, um zum ersten Mal bewusst die Anwesenheit meines Neffen wahrzunehmen, der bleich wie eine Statue hinter mir gestanden hatte. "Komm, Lucanus, gehen wir nach Hause und trinken was," sagte ich mit brüchiger Stimme, mich mühsam zusammen nehmend. Mir war nach einem veritablen Vollrausch, nach einem Eimer, in den ich meinen ganzen Abscheu vor der blutgierigen Masse auskotzen konnte, nach einfach einem anderen Leben.

    Mein Hunger trieb mich schließlich dazu, mir einige glücklicherweise garum-lose Eier nacheinander in stetiger Reihenfolge einzuverleiben, und ich bedauerte es nicht, dass bei diesem familiären Zusammensein Felix nicht anwesend sein konnte, er hatte mir schon einmal enorm den Appetit damit verdorben, als er seine Eierhälften vor dem Verspeisen in garum ertränkt hatte. Glücklicherweise schien sich diese abartige Vorliebe nicht durchgesetzt zu haben und ich konnte ungehindert von unappetitlichen Vorgängen das leise Gurgeln meines Magens besänftigen, der sich an seine letzte Mahlzeit vorgeblich nicht einmal erinnern konnte. Die Tatsache, erst einmal an das Verspeisen der Eier gefesselt zu sein, ließ mir auch nach und nach weitere Informationen über Flavia Celerina zukommen, ohne dass ich danach fragen musste - sie war offensichtlich Lucanus' Schwester, also hatte ich zum Großneffen nun auch unverhofft eine Großnichte hinzu bekommen, die ich nie zuvor getroffen und von deren Existenz ich auch nichts geahnt hatte. Ich war zwar auch in Tarraco aufgewachsen, aber wie ich sie einschätzte, waren wir knapp zehn Jahre auseinander und so war sie wohl erst für die Familie interessant geworden, als ich längst die Reise nach Achaia angetreten hatte und außer Landes gewesen war.


    Und vielleicht würde die Anwesenheit von Celerina auch Antonias Leben ein wenig aufhellen - Frauen sprachen nun einmal gerne über Frauenthemen, da konnte ein Mann kaum oder gar keinen passenden Ersatz bieten. Zumindest schienen sie sich bisher zu verstehen, was in meinen Augen ein gutes Zeichen war.
    "Wie bist Du ausgerechnet auf die regia gekommen, Lucanus? Hat das vielleicht eine Vorgeschichte? Ich meine, man bewegt sich durchaus durch die regia, ohne eine besondere Lust auf Forschungen zu bekommen, und so muss ich gestehen, dass mich Dein gewähltes Themengebiet etwas erstaunt." Noch ein Ei fiel meinen Zähnen zum Opfer, irgendwie konnte ich mich heute nicht zu den Austern überwinden, zumindest nicht in der Anwesenheit meines Vetters und Geliebten - jetzt Austern zu schlürfen wäre für ihn wohl zur Tortur geworden.

    Wir hatten getanzt, der traditionelle Dreischritt hatte die Kräfte ordentlich gefordert, wie es jedes Mal der Fall war, selbst, dass es noch recht kühl gewesen war, als wir losgezogen waren, hatte nichts geholfen, die übliche Schweißexplosion auf der Haut in irgendeiner Form zu mindern. Während sich die anwesenden Bürger nach dem Schauspiel meiner Salierbrüder nun auf das wohlverdiente Opfer freuten, waren wir vornehmlich damit beschäftigt, wieder Atem zu schöpfen und zu uns zu kommen, denn auch für einen trainierten Mann im besten Alter war es ausgesprochen anstrengend, mit einem schweren Schild und einem Speer in der Hand gerüstet durch die Straßen Roms zu tanzen und dabei zu singen. Ich spürte den Schweiß über meine Stirn herabrinnen, und während sich mein Atem langsam wieder auf ein normales Niveau zurück entwickelte, beobachtete ich das Geschehen auf dem comitium, froh darum, die Prozedur hinter mir zu haben.


    Als ich noch kein Magistrat gewesen war, hatte ich die Pflicht als Salier mit mehr Freude erfüllt, aber da waren meine Nächte auch nicht so kurz und die Tage längst nicht mit so vielen Pflichten angefüllt gewesen. Wenn man ausschlafen konnte, war man deutlich besser auf schweißtreibende Tänze vorbereitet. Zumindest war ich nun hellwach, in den Muskeln konnte ich das Blut kreisen fühlen und konnte nicht abstreiten, dass die Tortur, so anstrengend sie auch gewesen sein mochte, irgendwie gut getan hatte - ab und an auch körperlich die eigenen Grenzen zu erreichen, wenn man wochenlang vor allem geistige Arbeit geleistet hatte, war eine willkommene Abwechslung. Ich wandte den Blick zu den anderen salii palatini und suchte den meines Vetters Manius, um ihm kurz zuzunicken - mehr durfte es in der Öffentlichkeit nicht sein, aber es zeigte ihm doch, dass ich an ihn dachte.

    Callidus schien mit ihr einen guten Fang gemacht zu haben - diese junge Frau wirkte freundlich und wenig aufsässig, und als sie mir mit diesem schwärmerischen Unterton von ihrer Heimat berichtete, erinnerte mich dies an genau eben jenen Ton, den auch Bridhe benutzte, wenn sie mir von ihrem Zuhause erzählte. Vielleicht würde es beiden Frauen guttun, einige Erinnerungen austauschen zu können, immerhin stammten sie beide aus dem Norden? Bestimmt gab es Gemeinsamkeiten, wenn man schon aus dieser nassen Gegend herkam - dass die beiden sehr unterschiedlichen Stämmen angehören mussten, weil Bridhe von einer anderen Insel war als Fhina, daran dachte ich gerade gar nicht, für jemanden, der Britannia noch nie bereist hatte, war dies alles derselbe Moloch an Unbekanntem.


    "Ich habe auch eine Sklavin aus dem Norden, sie heißt Bridhe und hatte zu Anfang viele Schwierigkeiten mit der lateinischen Sprache - vielleicht versteht ihr euch beide ja, und ihr könnt einander helfen, euch zurecht zu finden," sagte ich also und klatschte abermals in die Hände, was einen weiteren Sklaven unseres Haushalts herbeirief, einen schmalen, hochgewachsenen Achaier, dessen Hakennase auch wirklich das Bemerkenswerteste an ihm war. "Hol Bridhe her, sie dürfte gerade in meinen Räumen sein," befahl ich ihm und mit einem schnellen Nicken machte er sich davon. Ja, es schien mir wie eine gute Idee, auch über die Sklaven heraus eine gewisse Verbindung zum Haushalt des Aelius Callidus zu knüpfen, wenn sich die beiden verstanden, würde ich den neuesten Klatsch der Aelier sicherlich deutlich leichter erfahren als auf dem forum. "Was gefällt Dir denn bisher am Besten an Rom?"