Beiträge von Caius Flavius Aquilius

    Langsam nickte ich zu ihren Worten - letztendlich war es nachvollziehbar, dass sie umso mehr nun die Freiheit wollte, da sie wusste, sie würde ein Kind haben. Laut dem Gesetz nach wäre es ein römischer Bürger, wenn ich sie freiließ, und dieses Recht gab diesem Kind bedeutende Vorteile gegenüber dem Leben als Sklave. Ja, wahrscheinlich hätte ich mich selbst ebenso in diesem Weg versucht, wäre ich an ihrer Stelle gewesen. Allerdings würde es schwer sein für eine schwangere Frau, innerhalb so kurzer Zeit genug Geld zu verdienen, um sich die Freiheit zu erkaufen. "Nun, wenn Du eine Freigelassene wärest, würde das Kind das römische Bürgerrecht erhalten - ich nehme an, darauf willst Du hinaus. Nur zu verständlich ..." sagte ich langsam, meine Gedanken noch einmal ausgesprochen wiederholend, aber ich kam mir dabei vor wie ein Idiot. War sie von mir schwanger? Oder von Severus? Kam noch jemand sonst in Frage? Genau wie bei Orestillas Schwangerschaft brauchte ich eine Weile, um all dies überhaupt zu realisieren. Dass es möglich war. Dass es vielleicht mein Kind war, das jetzt in ihr heranwuchs. Aber, wenn ich jetzt fragte, gab ich dann nicht auch zuviel in ihre Hände, wenn ich ihr verriet, dass mir dies nicht egal war? Dass mir nicht egal war, von wem dieses Kind war? Ich wusste nicht, wie man auf so etwas richtig reagierte, letztendlich war noch nie eine Sklavin von mir schwanger gewesen, oder hatte es mir nie gesagt.


    "Was meinst Du, wer ist der Vater?" brachte ich die Frage dann doch heraus, flehend, fordernd, unsicher und streng zugleich, im vollkommenen Zwiespalt dessen, was ich gerade empfand. Empfand ich überhaupt etwas in diesem Moment, durfte ich etwas empfinden? Vielleicht war es von Severus und sie würde mir erzählen, es wäre mein Kind, es war einfach alles möglich. "Und ...wie lange weisst Du es schon? Das ist ...einfach ...sehr überraschend für mich." Wünschte ich mir ein weiteres Kind? Vielleicht eine Schwester für meinen kleinen Sohn, der in Ostia aufwuchs? Oder noch ein Sohn? Ich wusste nicht, was ich empfand, ob ich empfand, ich starrte sie ebenso an wie sie mich anblickte, ohne zu wissen, ob sich jetzt die Erde unter mir auftun würde oder nicht.

    Mars schien heute wirklich außerordentlich schlecht gelaunt, und irgendwie verlor ich langsam jede gute Hoffnung, heute noch nach Hause zu kommen. Letztendlich kam ein Aufgeben nicht in Frage, und so musste eben so lange geopfert werden, bis das gewünschte Ergebnis in Form eines angenommenen Opfers da war. Gracchus würde mir wohl kaum glauben, wenn ich ihm erzählte, was heute geschehen war, ein solches Opfer hatte es schon lange nicht mehr gegeben. Wenigstens hatte ich Lucanus als meinen Zeugen, sodass es nicht ganz seltsam klingen würde. Ich blickte mich in der eifrig schnatternden Menge um und räusperte mich, um dann ein extralautes "FAVETE LINGUIS!" herauszubringen, das die ärgsten Klatschbasen hoffentlich auch weiterhin davon abhalten würde, mit der Nachbarin über den dicken Hintern der Römerin schräg vorne links zu plaudern. Als es stiller geworden war, wandte ich mich dem festgezurrten Widder zu, dessen Augen sich panisch rollten - dass dieses Tier eindeutig nicht geschlachtet werden wollte, war klar, es roch auch zu sehr nach Blut, dass ein anderer Ausgang der Unternehmung hätte noch in Betracht kommen können. Während des Händewaschens und dem anschließenden Abtrocken mit dem malluium latium kreisten meine Gedanken um das Gebet, das noch folgen würde, und ich hatte langsam wirklich Schwierigkeiten, das passende zu finden, damit die Worte nicht abgestanden klangen.


    Langsam und sorgfältig bestrich ich den Rücken des Tiers mit der mola salsa - langsam kam ich mir wirklich vor, als sei ich in einer sich stets wiederholenden Schleife der Wahrnehmung meiner Realität gefangen - und räusperte mich abermals, damit die vielen Umstehenden auch gut hören konnten, was ich zu sagen hatte. "Hiermit weihe ich Dir, O Mars, diesen Widder, auf dass Du dieses Opfer annimmst und den Worten des Spurius Purgitius Macer Gehör schenkst!" So weit, so gut, ab jetzt konnte es nur noch abwärts gehen. Was würden wir tun, wenn das Opfer wieder nicht angenommen werden würde? Aber diese Gedanken musste ich aus meinem Kopf vertreiben, als könnte Mars meine Unsicherheit spüren, ich versuchte zuversichtlicher zu wirken, als ich mich letztendlich fühlte. Langsam reichte ich meinem patronus das Opfermesser, auf dass er das Tier, wie es das Ritual verlangte, damit symbolisch entkleiden konnte ... und weiter ging das von der Menge eifrig beäugte Schauspiel. Wahrscheinlich schlossen weiter hinten stehende Mitbürger inzwischen schon Wetten ab, zutrauen würde ich es meinen Mitbürgern allemal.

    "Nun, wenn ich bedenke, wie sehr sich mein persönlicher Horizont durch die Reise nach Achaia erweitert hat, würde ich doch sagen, dass der Gewinn die Risiken überwiegt," gab ich ihm zu bedenken und streckte mich dann im Gehen. "Letztendlich nützt es einem jungen Mann nichts, wenn er allein Rom kennt und dann als Magistrat auch mit fremdländischen Bürgern umgehen können muss. Normalerweise bringen Reisen auch einen klareren Blick auf die heimischen Verhältnisse mit sich, man beginnt zu vergleichen und bildet einen eigenen Geschmack deutlicher heraus. Vielleicht kann ein Sohn hier leichter Kontakte knüpfen, wenn er Dich bei Deinen Geschäften begleitet, aber Du solltest auch bedenken, wieviele Gelegenheiten, Neues kennenzulernen Du ihm dadurch nimmst. Rom mag die wichtigste Stadt des Imperiums sein, doch in den Köpfen der meisten Römer existieren eine Menge Mauern und noch mehr Beschränktheit, und gerade das sollte man einem jungen Menschen doch auch anders zeigen können."


    Also in das tepidarium zuerst? Warum nicht - ich bog in den richtigen Gang ein und steuerte das neu gewählte Ziel an, nicht unfroh darüber, erst einmal eine Runde entspannen zu können. "Na, angestrengt haben wir uns auch genug, und der Tag davor war lang, also warum nicht ein wenig entspannen - spätestens nach dem Abschrecken im kalten Wasser bist du dann für die cena wieder wach genug." Ich konnte nicht anders, bei seinem Vergleich musste ich unweigerlich an gekochte Eier denken, die man später ins kalte Wasser fallen ließ, damit sie leichter zu schälen waren. Einmal gekochter Patrizier mit Salz sozusagen.

    "Ich denke, Du hast eine gute Wahl getroffen, warum also sollte ich mein Angebot bereuen? Ich würde es vielmehr bereuen, würdest Du Dir irgendwelchen billigen Tand kaufen, den man an jeder Bürgersfrau gleichsam sehen kann," gab ich trocken zurück und fügte mich in die Rolle des duldsamen Einkaufsbegleiters, der soeben ein Armband zu einem Preis erworben hatte, für den man wohl auch einen Klientelstaat aus Africa hätte erwerben können. Vor meiner nächsten so unschuldig geäußerten Zusage eines Einkaufs würde ich mich wohl eher bewusstlos schlagen lassen, denn schätzungsweise würde ich mir derlei nicht allzu oft leisten können, ohne meinen Landbesitz verkaufen zu müssen. Indes, sie schien sich zu freuen, das Armband stand ihr und so konnte ich diesem ganzen Einkauf wenigstens noch abgewinnen, dass er ihre Laune ganz offensichtlich gehoben und sie abgelenkt hatte von all jenen Dingen, die ihr tagtäglich das Leben schwer machten. "Sie behält es gleich an," sagte ich in Richtung des Händlers, der sein zutiefst erfreutes Grinsen nun wahrlich nicht mehr verbergen konnte. Ja, heute hatte ich meine gute Tat eindeutig schon getan, während mich mein Kontostand sicherlich verfluchen würde, sobald den Sesterzen auffiel, wieviele ihrer Brüder und Schwestern plötzlich fehlten.
    "Ich hoffe doch, Du wirst es auch tragen," meinte ich in Richtung meiner liebreizenden und jetzt wirklich funkelnden Begleiterin und schenkte ihr ein Lächeln, das zwischen erfreut und gequält mit leiser Tendenz zum letzteren schwankte.

    Langsam strich ich ihm mit einer Hand über sein Haar, diese dichten und weichen Strähnen, die ich so gern berührte, wenn wir beieinander waren, schienen sie mir doch so ungleich edler als mein oftmals gern struppig werdendes blondes Haar, das unter der Sonne zu leicht ausbleichte und darob rauh wurde. In jedem Zoll seiner Größe war er ungleich mehr Patrizier, als ich es jemals sein würde, und auch, wenn ihm so vieles als falsch und Trug vorkommen mochte, das er lebte, ich wusste doch, dass die meinige Lüge größer war, auch wenn ich sie besser versteckte.
    "Du hast vielleicht Fehler gemacht, Manius, bist in die falsche Richtung gegangen, hast Dich dem falschen Weg verschrieben, aber das kommt doch vor. Habe nicht auch ich mein ererbtes Vermögen verprasst, ohne ein Ziel haben zu wollen? Schlimmer noch, ich sehe es auch heute längst nicht so klar vor mir, wie ich es andere glauben zu machen versuche, und verfolge dennoch diesen wie für so viele andere vorgezeichneten Weg. Ach Manius, denkst Du denn, irgendeiner in unserer Lage könnte tun, wonach ihm verlangt? Ich denke, die wenigsten können es, wollen es noch, da sie sich längst daran gewöhnt haben, der Meinung anderer zu entsprechen. Es ist nichts verwerfliches daran, im Irrtum zu sein ... auch wenn ich nicht weiss, ob Dich dieser neue Weg glücklicher machen wird."


    Immer hatte er die Sicherheit seiner Existenz gehabt, immer auch die Zustimmung und den Beifall seiner Umgebung für seine Handlungen. Wie würde er reagieren, wenn dies ausblieb? Ich konnte mir Manius schwer als einen Rebellen vorstellen, der gänzlich vom ausgetretenen Pfad der Erwartungen anderer abwich. Dafür waren wir alle zu sehr an das Echo der Umgebung gewöhnt, als Patrizier wuchs man mit diesem Maßstab auf und hatte nur zwei Möglichkeiten - entweder sich radikal zu lösen oder eben es zu akzeptieren.
    "Mit Antonia hast Du eine besondere Frau an Deiner Seite, und dass sie bei Dir bleiben will, obwohl Du ihr vielleicht niemals das Kind schenken kannst, das sie sich wünscht, beweist einmal mehr, wie besonders sie ist. Die wenigsten Frauen würden dies tun, wenn doch die Möglichkeit einer Scheidung einen eventuell anderen Mann einbringen würde, und ich glaube auch nicht, dass sie sich mit Sklaven trösten würde, oder mit irgendwelchen Liebhabern. Sie ist tugendsam, und in jedem kleinsten Teil ihrer Selbst eine Patrizierin, für sie gibt es diese Alternativen nicht. Welchen Mann sollte sie schon wählen, der neben Dir bestehen könnte, mein Manius?" Für mich würde es einen solchen Menschen wohl niemals geben, nicht einmal, sollten wir voneinander getrennt werden, uns niemals wieder nahe sein dürfen. Manche Entscheidungen traf man für sein Leben, oder besser, das Leben traf sie für einen.


    "Ich weiss auch nicht ... was zu tun ist, Manius," sagte ich schließlich auf seinen Vorschlag der wahllosen Begattung irgendwelcher Frauen. "Du weisst, ich habe mir nie Kinder gewünscht, und Du weisst auch, wieso. Letztendlich ... ich bin mir sicher, dass sich auch Antonia nach der Umarmung eines Mannes sehnt, vielleicht gar nach der ihres Mannes - und sollte sie auf Dich zukommen, dann darfst Du sie nicht abweisen. Vielleicht solltest Du erst einmal herausfinden, ob es für sie wirklich eine solche Plage wäre, sich mit Dir zu vereinen, und ... dann wäre es vielleicht ... eine Erleichterung für sie, von Dir in dieser Weise wertgeschätzt zu werden, auch wenn kein Kind dabei entstehen kann." Nun wieder zur Ruhe gekommen, betrachtete ich ihn schweigend und nachdenklich. Was war wichtiger zu sehen? Das Glück meines Vetters, den ich liebte, dem ich von Herzen wünschte, er könnte endlich Vater werden, oder das Glück Antonias, die nun einmal mit einem Mann vermählt war, der wohl keine Kinder zeugen konnte und dennoch an ihm festhielt? Durfte ein Glück eines Menschen wichtiger sein als das eines anderen? Eine der Fragen, die wir in Achaia mit einem guten Becher Wein stundenlang hätten erörtern können, aber hier war es real, war es ein Thema, das wirklich existierte und eine Antwort, wenn nicht gar eine Lösung verlangte.

    So schüchtern, ja, fast unsicher hatte ich Bridhe schon lange nicht mehr erlebt - sie, die mich mit ihren Temperamentsausbrüchen mehr als einmal überrascht, wenn nicht gar amüsiert hatte, schien seit ihrem Gang ins Wasser gedämpft, still zu sein, in sich gekehrt, und auch am heutigen Abend wirkte sie zwar wach, aber längst nicht so lebendig und strahlend, wie sie es sein konnte. Gemächlich schob ich die Schriftrolle beiseite, in der ich gerade gelesen hatte, und lauschte dem, was sie mir in einzelnen Bruchstücken nach und nach sagte. Offensichtlich bedeutete ihr viel, was sie mich zu bitten versuchte, und ich hob schließlich meine Brauen, als der leise geflüsterte Nachsatz eine Erinnerung in mir aufkommen ließ. Schwanger? Bridhe war schwanger? Das hieß, dass ich wohl ebenso in Frage kommen konnte wie auch Severus - und jeder andere Mann, den sie in der letzten Zeit mit ihrer Gunst bedacht hatte, falls es solche derzeit gab. Schwanger. Von allen Dingen, die ich erwartet hatte, war dies wahrlich das Letzte - wie bitter war doch diese Ironie. Während Gracchus ob seiner Kinderlosigkeit verzweifelte, schien mein Samen keinerlei Schwierigkeiten zu haben, sich zu entfalten, beziehungsweise, es bestand durchaus die Möglichkeit dessen. Ich musste blinzeln, und blickte sie erst einmal eine ganze Weile lang stumm an, musste mir die Worte zurechtsuchen, die ich sprechen würde, falls ich heute irgendwann noch etwas sagen würde können.


    "Äh ..." war das erste, das ich nach dieser langen Pause überhaupt herausbrachte, um dann etwas mehr Schwung zu holen. "Also grundsätzlich sehe ich da kein Problem, wenn es angesehene Häuser sind, Bridhe, und ich will Bescheid wissen, wohin Du gehst - alleine wirst Du nicht in fremde Haushalte gehen, ich denke, Micipsa könnte Dich begleiten, seine Statur dürfte so manchen vorwitzigen Verrückten abschrecken. Ansonsten weisst Du, dass alles, was Du verdienst, auch in meinen Besitz übergeht, wie Du mir gehörst? Ich werde dies also in Verwahrung für Dich nehmen ..." Ein Gedanke blitzte auf und verlangte nach Beachtung. "Du willst dieses Geld sicher nicht ohne Grund verdienen, denn ein Kind würde in diesem Haushalt jederzeit versorgt werden ... lass mich raten, Du willst Dich irgendwann freikaufen?" Damit war es heraus, und noch konnte ich alles andere irgendwie zurückdrängen, für einen Augenblick die Frage nach dem Kind beiseite schieben, das meines sein konnte. Bei Mars, konnte es wahr sein?

    Es war ein Einspruch, und ich hätte mich wohl auch gewundert, wenn er nicht gekommen wäre - aber ich konnte dazu nichts anderes tun als den Kopf zu schütteln. In seinem Alter hätte ich wohl auch zu kämpfen versucht, versucht, Einspruch zu erheben, irgend etwas zu tun, um dieses krude Urteil zumindest anzufechten und mich sicherlich auch mit Vergnügen bis auf die Knochen deswegen blamiert, aber die vergangenen Jahre hatten mich anderes gelehrt. Vor allem auch, dass bestimmte Dinge nicht zu ändern waren.
    "Willkommen in der Wirklichkeit, Neffe. Sie tut einem leider nur selten den Gefallen, so auszusehen, wie man sie gerne hätte oder wie sie aussehen sollte - und man muss dennoch damit leben."


    Vielleicht hätte ein anderer, besserer Mann als ich anders entschieden, versucht, für diesen Kylian noch etwas zu tun, aber ich entsann mich sehr deutlich des Gefühls, das mich bei ihm im Kerker beschlichen hatte, jener Kälte, dieser unguten Vorahnung, und tief in meinem Herzen konnte ich das krude Urteil nachempfinden. Wenn es nur einem der Richter ebenso gegangen war wie mir mit diesem Kerl, dann war es nachvollziehbar, dass man ihn lieber tot sah. Und so begannen wir uns um die Vorbereitung der Hinrichtung in einem der nahen Amphitheater zu kümmern, wie es mir aufgetragen worden war...

    Für eine Hinrichtung war der Tag im Grunde zu schön. Es hatte in der vorherigen Nacht nicht geregnet, und zum angesetzten Termin der Hinrichtung war die Luft kühl und klar, fast zu kalt, um sie angenehm einzuatmen, aber die wärmenden Strahlen der Sonne an freien Plätzen vermochte obdachlose Herumtreiber zu versöhnen. Die Ränge waren noch nicht so weit gefüllt, wie es dem Anlass entsprach - aber ich hatte das Gefühl, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis auch der letzte müßige Stadtrömer von der anstehenden Hinrichtung erfahren hatte und sich einfand, nicht zuletzt, weil es einige Tage keine Spiele gegeben hatte und die geifernde Menge allzu bereit war, dem Tod eines Mitmenschen zuzusehen, auch wenn dieses Ende grausam und unmenschlich ablaufen würde.


    Vielleicht waren Hinrichtungen gerade deswegen so beliebt, wer wusste das schon? Das kleine amphitheatrum, welches ich gewählt hatte, war weder bedeutend noch fanden hier die großen Veranstaltungen statt, aber man konnte schließlich für einen einfachen Verbrecher, der noch nicht einmal jemanden getötet hatte, nicht das amphitheatrum Neronis reservieren. Letztendlich war und blieb dieses Ereignis nur eines von vielen, es war nicht die einzige Hinrichtung heute, aber die erste, und nach dem geplanten Tod des Finn Kylian würden noch einige andere folgen - Verbrechen begangen wurden immer, egal, ob der Kaiser nun tot war oder nicht, das Leben ging weiter, musste weiter gehen.


    Nicht, dass es mir gefiel, bei dieser Angelegenheit eine treibende Kraft zu sein. Nicht, dass mir bei der Verurteilung nicht auch Zweifel gekommen wären. Aber es war so in Rom, das Spiel ging weiter, es ging voran, und man selbst trieb entweder mit oder wurde entzweigerissen im sinnlosen Bemühen, etwas ändern zu wollen, das nicht zu ändern war - vor allem nicht, wenn es um einen Mann ging, der einen solchen Ruf mitbrachte wie Finn Kylian, dessen Worte so eindringlich und erschreckend gewesen waren. Er musste verrückt sein, oder zumindest so hasserfüllt, dass er solche Worte hervorquetschen konnte, und beides war nicht gerade die beste Voraussetzung für ein friedliches Weiterleben in Coexistenz. Einige weitere Menschen schoben sich herein und füllten die unteren Ränge, einige hatten ein Fladenbrot dabei und kauten ihr Frühstück, andere schwatzten mit ihrem Nachbarn, Dritte wetteten, wenn man ihre Handbewegungen bedachte - ich blieb auf meiner kleinen Empore stehen und beobachtete die Menge schweigend, wie es einem Amtsträger zukam. Als sich im Rund eine der beiden Holztüren öffnete und zwei Männer der cohortes urbanae den Gefangenen hereinführten - es kam mir eher wie ein hereinschleifen vor - wurden die Anwesenden langsam aufmerksam für das Geschehen im Sandrund und starrten neugierig nach vorn.


    Auch ich blickte auf den Verurteilten, der zumindest ein wenig sauberer war als bei unserer letzten Begegnung, zu gut war es ihm allerdings im carcer nicht ergangen, man hatte sich nur darum gekümmert, dass er erkennbar war und aufrecht stehen konnte, für mehr reichte die zärtliche Fürsorge unserer Aufsichtsbehörten bei Menschen, die eigentlich schon tot waren, nicht. Ich atmete tief ein und ließ dem Mann noch einige Momente der Stille, in denen er vielleicht einen Blick für das Wetter haben würde, oder die Tatsache bedenken, dass er von seinem Tod nicht mehr allzu weit entfernt sein würde - begeistert sahen seine Bewacher nicht aus, und wenn sie ihn in Gefangenschaft schon kennengelernt hatten, war es nicht erstaunlich, dass sie bald froh sein würden, ihn loszuwerden. Da war er also, Finn Kylian, und mit ihm eine ganze Menge an namenlosen Römern, die auf seinen Tod warteten.

    Wie gesagt - ich bewege mich da im hypothetischen Bereich, habe versucht, die Gedankenkonstrukte 'Sklavenspieler entscheidet selbst, mit wem er/sie spielt nach Versteigerung' weiterzuführen, mehr nicht. Natürlich ist niemand gezwungen, 12000 Sz für einen Sklaven zu zahlen, die letzten Versteigerungen sind auch deutlich niedrigpreisiger ausgefallen glücklicherweise, solche Summen können sich auch die wenigsten Leute heute noch leisten (oder wollen es).
    Missbrauch wäre allerdings möglich (wohlgemerkt, es muss nicht der Fall sein), wenn Sklavenspieler grundsätzlich selbst entscheiden dürften, wo sie mit einer SklavenID nach der Versteigerung spielen wollen. Es gibt hier im IR durchaus Vorurteile gegen bestimmte Spieler, und sollte zufällig ein Sklave in den Haushalt eines Spielers versteigert werden, dessen Spiel ihm/ihr nicht gefällt, ist das nicht der beste Start für ein Zusammenspiel, ich denke, sowas ist eher von vornherein zum Scheitern verurteilt, da der Abbau von Meinungen oder Vorurteilen nie leicht ist. Gesetzt diesen Falls hat der Besitzerspieler den Sklaven im guten Glauben ersteigert, einen Spielepartner zu gewinnen, der davon vielleicht nicht begeistert ist - und sich, weil er es kann, einen neuen Herrn sucht ...


    Vielleicht ist das weit hergeholt, aber durchaus möglich, man muss ja nicht jeden mögen bzw mit jedem spielen, allerdings ist das bei einer Versteigerung die einzige Situation, die ich mir ausser Amtsgeschäften hier im IR vorstellen kann, wo Spieler 'zwangsweise' interagieren müssten, zumindest für eine gewisse Zeit.
    Es ist also nicht immer ausschließlich das 'Problem' des Besitzers, wieviel er investiert - es gab durchaus auch schon die Fälle, in denen Sklavenspieler schnell inaktiv wurden, weil ihnen der Herr nicht gefallen hat, der sie ersteigerte - allerdings stelle ich mir da immer die Frage, wieso man sich dann nicht von vornherein für die SklavenID den Herrn sucht, den man haben will und sich gar nicht versteigern lässt, sondern gleich in den Haushalt gelangt, den man gerne hätte.
    Die ganze Fragestellung halte ich jedenfalls für sehr diffizil, es bleibt nach wie vor die Frage, wessen Recht mehr wiegt - im Augenblick scheint es das des Besitzers zu sein, da er nichts tun muss, um einen Sklaven zu halten, während der Sklave nichts tun kann, um von einem Besitzer loszukommen, den er nicht mehr haben will bzw. mit dem er nicht zurechtkommt aus welchen Gründen auch immer.

    Er blickte mich scharf von der Seite an, wahrscheinlich sah ich genauso müde aus, wie ich mich derzeit fühlte - und so zwang ich eine Art Lächeln auf meine Lippen und etwas Wachheit in meinen blick, so gut ich es eben an einem Tag vermochte, der gleich mit einer solchen Botschaft aufzuwarten hatte. Konnte man Urteilsschriften mit der Begründung 'grober Unfug' zurückschicken? Allerdings war mir recht klar, dass dies eine utopische Hoffnung war, und je mehr sich Lucanus ärgerte, desto mehr tat es mir leid, dass es an diesem Urteil nichts mehr zu ändern gab.
    "Der einzige, der ihn vielleicht noch begnadigen könnte, ist der Kaiser - und der ist bekanntlich tot. Nein, Lucanus, finde Dich damit ab, dass Recht selten etwas mit richtig oder Gerechtigkeit zu tun hat. Man wollte diesen Mann verurteilen, man hat ihn verurteilt, und wenn sich während des Prozesses kein hochrangiger Mann gefunden hat, der sich auf seine Seite zu stellen imstande war, dann gibt es für diesen Mann keinen Ausweg mehr als den Tod. Glaube mir, wenn sie ihn wirklich nach dem falschen Paragraphen verurteilt haben und niemand Einspruch erhoben hat, gibt es auch keinen Ausweg mehr - solche Urteile kommen immer mal wieder vor."


    Ich blickte abermals auf das Edikt herunter und schüttelte dann den Kopf. "Ja, die Sache stinkt, wie so vieles in Rom, und es stinkt mir noch mehr, dass ich diesen Blödsinn mitmachen muss - aber es gibt meines Erachtens nach keinen Weg daran vorbei, auch wenn wir das noch so gerne würden. Man will diesen Mann tot sehen und schätzungsweise hat er sich Feinde gemacht, die schlichtweg am längeren Hebel sitzen als er ... Du hast ihn doch gesehen, diesen Kylian. Kam er Dir vor wie ein normaler Mensch? Mir nicht - und würde er jetzt in irgendeiner Form davon kommen, hast Du keine Gewähr, dass er es nicht noch einmal tut und dann vielleicht eine Frau aus unserer Familie erwischt." Damit war für mich jedenfalls das letzte Wort gesprochen, auch wenn mir die Sache nicht behagte - zu prominente Namen waren die der Richter, zu unbedeutend im Grunde der Gefangene. Ich würde diese Angelegenheit im Auge behalten müssen. "Kümmern wir uns um die Modalitäten, das Volk soll seine Hinrichtung bekommen."

    "Du weisst nie, wann Du einem Mann wiederbegegnest, den Du beleidigt hast, im normalen Fall meistens dann, wenn Du selbst ein Problem hast und er Dir an die Knie treten kann - und glaube mir, die meisten Menschen tun es dann auch, um Dich fallen zu sehen," sagte ich recht trocken, denn die Zeit, in der ich mir noch Illusionen über den menschlichen Geist gemacht hatte, war längst vorüber. "Man weiss nie, wie empfindlich ein Mann ist, und gerade jene, die sich am härtesten aufspielen, sind oftmals die verletzlichsten innerlich. In sofern ist es gesünder, alle einigermaßen höflich zu behandeln, man weiss wie bei der Büchse der Pandora leider nie so genau, was alles drin steckt, und mit etwas Pech kommt dann etwas richtig unangenehmes heraus." Als der Gefangene weiter sprach, richtete ich den Blick wieder auf ihn und lauschte seinen wirr klingenden Worten schweigend, die Stirn gerunzelt. So elend er aussah, so verwildert, so wenig menschlich er im Augenblick wirkte, seine Worte jedoch klangen seltsam klar, seltsam eindeutig, als seien sie ein Vorbote von Schlimmerem, von Dingen, die wir uns nicht ausmalen wollten, dass sie kommen würden.


    Den kalten Schauer unterdrückend, den ich fühlte, räusperte ich mich schließlich und wandte mich wieder an Lucanus. "Ich denke, hier gibt es für uns nicht mehr viel zu sehen, und die Liste sollte reichen, unseren Ausflug hier zu einem sinnvollen Unternehmen zu machen. Lass uns weitergehen." Ich fühlte mich elend, ohne genau zu wissen, warum, normalerweise konnten mich irgendwelche Voraussagen oder das dumme Geschwätz von Möchtegernwahrsagern nicht beeindrucken, aber diese Worte ... sie erweckten einfach nur den Wunsch, weit weg zu kommen, diesen Verrückten hinter mir zu lassen wie Schmutz, den man in einem heißen Bad von sich abzuwaschen imstande war.

    Ich denke, warum sich viele Leute für eine Sklaven-ID beim Einstieg oder als Zweit-Id entscheiden, liegt an der klar umrissenen Rolle - denn was ein Sklave ist und wie die Grenzen seiner Welt gesteckt sind, ist relativ einfach zu imaginieren, die Welt eines peregrinus, sein fehlendes Bürgerrecht, seine dennoch mögliche Verkörperung etc. sind da schon deutlich Vorwissensbehafteter, man muss sich mehr mit der Materie beschäftigen, mehr einlesen. Was nicht bedeuten soll, dass Sklaven-ID-Spieler faul wären, denn wenn ich die Aktivität vieler bedenke, ist es offenkundig, dass dies nicht der Fall sein kann - man kann sich zumeist jedenfalls einen Sklavencharakter mit allen Vor- und Nachteilen leichter und klarer vorstellen als einen peregrinus. Soviel zum Thema 'wieso nicht einen unabhängigeren peregrinus anstatt eines Sklaven' - letztendlich spielen wir die römische Welt so nach, wie wir sie wahrnehmen, wie wir sie kennen, und die wenigsten Spieler hier studieren Geschichte mit Schwerpunkt altes Rom, sodass Dinge wie ein Klientelvwerhältnis, das essentieller Bestandteil des kulturellen und öffentlichen Lebens der damaligen Zeit war, gerne unter den Tisch fallen - schlichtweg weil das 'Gefühl' dafür fehlt, weil wir uns das im Vergleich mit der heutigen Zeit, mit anderen Kulturen, nur schwer als Vorteilbehaftetes Verhältnis vorstellen können, auf das ein Klient auch stolz sein kann - um nur ein Beispiel zu nennen.


    Was das Sklavenproblem angeht - ich sehe es zwiespältig. Letztendlich sollte man als Spieler selbst entscheiden können, was man mit seiner ID macht und von wem man spielerisch abhängig ist, denn die ID ist das Produkt der Vorstellung des jeweiligen Spielers, er (oder sie) ist derjenige, der diesem Produkt durch seine Darstellung Leben einhaucht. Fehlt der Spieler, ist die ID nichtexistent. Die letzte Entscheidung sollte meines Erachtens nach der Spieler haben, niemand sonst, auch nicht der 'Herr' der SklavenID. Denn wenn man langfristig nicht mit dem anderen Spieler zurechtkommt - und das kann aus vielen Gründen geschehen - wird aus dem Spielspaß, der ja eigentlich Ziel dieser Veranstaltung ist, schnell Frust. Allerdings ist dabei auch zu bedenken, dass nicht jeder Streit zwischen Sklavenspieler und Besitzerspieler gleich bedeutet, dass man getrennte Wege gehen müsste, letztendlich sollte man immer zuerst versuchen, sich zu arrangieren, bevor man sich 'trennt', wie bei jeder guten 'Beziehung' gehören zum Gelingen zwei Menschen, nicht allein einer, und wie bei jeder verkorksten Beziehung ist am Misslingen nicht nur einer alleine ausschließlich schuld. Und wenn nach dem Versuch des Zusammenraufens immernoch nichts läuft, dann sollte es imho möglich sein, sich umzuorientieren, ohne dass zuviel böses Blut entsteht. Manchmal ist eine 'Trennung' besser als andauernd bohrender und schwelender Ärger.


    Die Frage ist allerdings, wo endet die persönliche Freiheit, wo beginnt der Missbrauch. Bezahlt ein Besitzerspieler bei einer Versteigerung einen großen Preis für einen Sklaven simon, und ein solcher Wert von bis zu 12000 Sz will auch 'erarbeitet' werden, und der Sklavenspieler ist von Anfang an aus irgendeinem Grund unzufrieden mit seinem neuen Herrn, orientiert sich sehr schnell um und verlässt diesen, wie bekommt dieser Herr sein Geld wieder? Bekommt er es überhaupt wieder, kann er Einspruch erheben, ohne dass ihm der schwarze Peter des 'fiesen Herrn' zugeschoben wird? Auch solche Fragen sollte man sich bei diesem Thema stellen, denn auf beiden Seiten besteht Missbrauchspotential - die Frage ist, wie wird die Freiheit des Spielers dagegen gesetzt. Im Augenblick scheint es so zu sein, dass man ausser 'friss oder lass sterben' nicht viele Möglichkeiten hat - ich habe vor etwa eineinhalb Jahren auch eine SklavenID aufgegeben, weil auf Dauer die Interaktion mit dem Sklavenbesitzer gegen Null ging und es sich nicht änderte - was ich heute noch bedaure, aber letztlich froh bin, den Schritt getan zu haben. Letztendlich will man auch eine SklavenID spielen, mit demjenigen interagieren, der den Charakter besitzt - das ist, denke ich, mit 'Verpflichtung' zur Interaktion gemeint, Ioshua, und nicht 'bespaße andere bis du umfällst'.


    Wo beginnen also die Rechte des Sklavenspielers, wo die Verpflichtungen beider Seiten? Ein Herr, der sich für teures Geld einen Sklaven kauft (gehen wir mal von einem ersteigerten Sklaven aus), möchte dafür auch als Gegenleistung Spiel sehen - sonst hätte er den Sklaven nicht kaufen müssen, reine Prestigekäufe haben nunmal den Nachteil, dass sie sich schnell in Luft auflösen, wie schon bemerkt, denn das haben wir alle denke ich oft genug in der Vergangenheit beobachtet, um sich das nicht zu wünschen. Der Sklavenspieler möchte im Regelfall auch mit dem Besitzer und seinem Haushalt interagieren, kleine Aufgaben bekommen, die zu erfüllen sind, einen festen 'Job' im Haushalt etc. - so etwas sollte wohl im Idealfall zu Beginn des Besitzverhältnisses geklärt werden, damit beide Seiten zufrieden sind. Man kann nicht immer für einen Sklaven so sorgen, wie man sollte - ich habe es selbst gemerkt, mal ein Jahr kein Internet zu haben wirkt sich nicht gerade positiv auf alle an dem eigenen Charakter gebundenen Charaktere aus - aber man sollte es doch versuchen und sich bemühen, soweit es geht, ohne dass man sich gegenseitig an die Gurgel geht.
    Für mich ist eine 'ich behalte Dich und wenn Dir das nicht passt, dann töte die ID halt' -Einstellung eines Besitzers schlichtweg inakzeptabel.

    "Wenn die Richter nach Blut und einem Schauspiel gieren, dann können wir nichts mehr daran ändern, ich muss mich nur um eine Vollstreckung kümmern," antwortete ich sinnierend und atmete tief ein. Das war nun wirklich nicht die Art von Urteil, auf die man als tresvir capitalis lauerte, und es war auch eher unüblich, dass ein Mann, der nicht gemordet hatte, sondern dies nur geplant hatte, den Tieren vorgeworfen wurde - wahrscheinlich war die entführte Frau hübsch oder mit einem der Richter verwandt, und es war deswegen ein so harsches Urteil geworden.
    "Die Löwen sind recht kräftig, wenn ich sie recht in Erinnerung habe, sie werden kurzen Prozess mit diesem Verrückten machen - das ist die einzige menschenwürdige Abmilderung, die wir in einem solchen Fall hinbekommen können, ohne uns komplett lächerlich zu machen. Letztendlich scheint mir hier eher ein Gefühl nach Rache befriedigt zu werden denn nach Gerechtigkeit, aber es liegt nicht an uns, das zu beurteilen. Wir sind nur diejenigen, die sich darum kümmern, dem Willen der Richter und des Volks zu entsprechen und das römische Volk ist immer für derlei Hatzen zu haben."

    Ich nickte dem neu eingetretenen Mann freundlich zu - noch ein Octavier, langsam kam ich mir vor, als würde ich an jeder Ecke auf einen treffen, ob ich das nun wollte oder nicht. Octavius Detritus hatte seine Verwandten wirklich strategisch günstig platziert, soweit musste man diesem Mann, auch wenn man sonst nicht viel positives von ihm sagen konnte, wirklich zu seiner Voraussicht gratulieren.
    "Ich bin erfreut, dich kennenzulernen, praefectus - und dieses kleine Gipfeltreffen wird sicherlich seinem Zweck dienlich sein, es geschieht selten genug, dass man sich so passend trifft, wenn es um wichtige Themen geht. Wie es früher üblich war, möchte ich als einer der tresviri capitalis die Brandwachen auf eigene Kosten verstärken und den patroullierenden Männern eigene an die Seite stellen - letztendlich kann so bei einem Brand schneller gelöscht werden, wenn zwei oder vier Hände mehr nach Eimern greifen können, ohne dass gleich eine mittelgroße Panik mit einhergeht, die wenigsten Bürger behalten bei einem Brand einen kühlen Kopf und stehen mehr im Weg als dass sie wirklich helfen könnten." Die Worte sacken lassend, sah ich beide Männer erwartungsvoll an - ob sie nun meiner Meinung waren oder nicht, gegen zusätzliche Brandwachen gab es im Grunde wenig zu sagen.

    Es war wie so oft ein langer Tag gewesen, einer jener Tage, die mir vieles abverlangten und an deren Ende ich eigentlich froh war, wenn ich in Ruhe noch ein wenig im Arbeitszimmer lesen konnte - aber an diesem Abend schien mir nicht beschieden, was ich mir gewünscht hatte - Zeit zum Ausruhen - und es klopfte, riss mich aus meinen Gedanken zu einer der Schriften des Tullius Cicero, und lenkte meine Aufmerksamkeit folglich in Richtung der Türe, als diese sich öffnete und Bridhe eintrat. In jenem Moment zwang ich mir eine Miene aufs Gesicht, die imstande war, meine Müdigkeit wenigstens halbwegs zu verbergen, aber ich machte mir keine allzu großen Hoffnungen, es sei ihr gänzlich entgangen, dafür lebten wir nun schon lange genug recht nahe beieinander, und sie hatte mich in vielen verschiedenen Stimmungen bislang erlebt, auch in jener, in der ich von der Welt nicht mehr viel wissen wollte.
    "Guten Abend, Bridhe," sagte ich dennoch in einem einigermaßen freundlichen Ton, versuchte mich sogar an einem kleinen Lächeln, während ich mich in meinem Stuhl zurücklehnte und ihr entgegen blickte. Wenigstens sah sie nicht mehr ganz so freudlos und trostlos aus wie an jenem Tag, an dem sie sich versucht hatte das Leben zu nehmen - und so hob ich erwartungsvoll meine Brauen. "Gibt es irgend etwas?" Wahrscheinlich wollte sie mich ohnehin nur daran erinnern, dass es für mich Zeit wurde, schlafen zu gehen, auch das gehörte zu ihren täglichen Aufgaben als meine Leibsklavin.

    Da die Grippe erstmal wieder zurückgekehrt ist, können Antworten dauern - ich hoffe, ihr könnt mir das nachsehen, momentan bekomme ich kaum mehr hin als mich zur Arbeit zu schleppen und abends auf dem Sofa rumzulungern -.-

    Der Morgen hatte unangenehm begonnen und wahrscheinlich würde der Tag genau so weitergehen - meine clientes hatten mich länger als gedacht aufgehalten, und als ich die morgendliche salutatio endlich hatte abschließen können, hatte ich eine deutliche Verspätung im Gepäck, und nicht die beste Laune. Natürlich war es meine Aufgabe, mich um die Belange jener zu kümmern, die mich um ihren Schutz baten - aber es war weder praktisch noch hilfreich, während der Bekleidung eines Atmes zu lange von der notwendigen Anwesenheit im officium abgehalten zu werden. Als ich den Raum endlich betrat, befand sich bereits Lucanus dort - und er hatte ein Schriftstück in der Hand, das selbst aus der Entfernung geradezu nach offiziellem Problemfall stank.


    "Salve, Lucanus," grüßte ich meinen Neffen, schritt herein, warf die Tür hinter mir zu und ging sogleich auf ihn zu, um einen Blick auf das Pergament zu werfen - eine Verurteilung, von genau jenem Gefangenen, den wir bereits im Kerker besucht hatten. "Ad bestias, na das wird ja ein ganz besonderes Vergnügen," bemerkte ich trocken und schüttelte den Kopf. "Barbarisch, aber was will man machen. Sie haben gerade recht kräftige Löwen im circus maximus, das sollten wir ausnutzen, die Leute sind geradezu verrückt nach Löwen."

    Im Grunde kann man ohnehin davon ausgehen, dass überall dort, wo Juden unterwegs sind (und das dürfte in Alexandria dank der Verkehrswege Richtung heiliges Land sehr wohl der Fall sein), auch das Christentum eine gewisse Verbreitung mit sich bringt, selbst wenn die tatsächlichen Gläubigen eine Minderheit darstellen sollten. Und nachdem im IR- Rom oft genug bereits Christen gespielt wurden, sehe ich persönlich keinen Grund, warum Du nicht auch in Alexandria Christen spielen können solltest ;)

    Es mochte wohl eine Weile gedauert haben, in der meiner bis dahin unbekannten Besucherin nicht viel anderes übrig blieb als zu warten - ich war gerade erst zuhause eingetroffen und hatte mich gerade entkleiden lassen, um die unbequeme toga loszuwerden, um die man als amtierender Magistrat nicht herum kam. Bis ich dann wieder ansehnlich genug war (zumindest wieder herzeigbar, denn ich war müde, der Tag war lang gewesen und am liebsten hätte ich heute gar niemanden mehr empfangen, der nicht zum Haushalt der Flavier gehörte) und eine frische tunica trug, dauerte es etwas, aber zu guter Letzt war ich dann doch auf dem Weg ins atrium. Glücklicherweise war der Sklave klug genug gewesen, sie nicht ins Arbeitszimmer zu führen, denn da stapelten sich die Dokumente wüst auf meinem Schreibtisch - und so traf ich die junge Sklavin am repräsentabelsten Ort der villa an, wo sie augenscheinlich geduldig wartete.
    "Salve!" begrüßte ich sie denn auch freundlich und mit den letzten Resten an Selbstbeherrschung, die meine Müdigkeit zu verbergen wusste. "Ich bin Flavius Aquilius und man hat mir gemeldet, Du hättest etwas, das Du mir übergeben willst?"

    Langsam erhoben sich die Worte meines Geliebten, und sie prasselten erst eine Weile auf mich ein, bis mir ihr Sinn klar wurde, bis ich überhaupt in jenem Rausch der Selbstanklage und Selbstbeschuldigung merkte, dass er mir anscheinend weder etwas vorwarf noch überhaupt meinen Vorschlag ernsthaft in Betracht zu ziehen schien, für ihn den Leihvater zu spielen. Sollte ich mich davon nun zurückgewiesen fühlen? Ein gewisser Teil in mir war davon verletzt, keine Frage. Letztendlich war ich zu einem Opfer bereit gewesen, einem Leiden auf Raten, denn letztendlich hätte ich einem Kind beim Aufwachsen zugesehen, das die Frucht meiner Lenden gewesen wäre, und doch in allem sein Sohn - oder seine Tochter. War er sich dessen bewusst, wie sehr ich in diesem Augenblicken bereit gewesen war, mein Glück hinter das seine zu stellen? Aber gleichzeitig ahnte ich auch, dass er sich dessen wahrscheinlich klarer war als ich es jemals hätte sein können. Gracchus' Intellekt war immer der geradlinigere und deswegen auch in vielem schärfere gewesen, ich bevorzugte andere Wege als den allzu direkten.
    "Siehst Du Dich wirklich so? Als jemanden, der vor allem eine Lüge gelebt hat? Ich denke nicht, dass es das ist, und dass es das jemals sein wird."


    Ich erwiederte seinen Blick, konnte gar nicht anders als ihn anzublicken, dieses Starren zu erwiedern, diesen forschenden Blick, der bis auf den Grund der Seele zu dringen vermochte und mich als einen Menschen zurückließ, der seinem Geliebten weniger als nichts verbergen konnte. Vor ihm würde ich innerlich stets nackt sein, und er würde wohl immer der einzige Mensch sein und bleiben, vor dem ich mich nicht mit wohlgesetzten Worten oder einem Scherz verbergen konnte. Bei so vielen anderen klappte das hervorragend - aber nicht bei ihm.
    "Du warst bisher stets der einzige unserer verkorksten Familie, auf den wirklich Verlass war, der die Werte unserer Ahnen in einer bewundernswerten Weise hochgehalten hat, auch wenn es ihm noch so schwer fiel - bitte, Manius, tue mir den einen Gefallen, und sei es nur dem Leben zuliebe, das Dich bislang makellos über alle anderen erhoben hat: Wenn Du Dich auch dafür entscheiden magst, mein Angebot abzulehnen, dann schweige darüber, und lass der Welt nicht den Triumph darin, dich besiegt zu haben mit dem Fehlen eines Kindes. Es ist eine Sache, kein Kind zu haben - aber eine ganz andere, in aller Öffentlichkeit zu erklären, woran es liegt. Die Götter zürnen Rom derzeit, und wer weiss, ob es nicht daran liegt, dass sich Dein Wunsch nicht erfüllt, Manius."


    Als er sich an mich drückte, legte ich schließlich schweigend die Arme um ihn, den Kopf übervoll mit Gedanken. Wie sollte es jetzt weitergehen? Es wäre eine Schande, würde er ewig ohne Kinder bleiben, nicht, weil die Öffentlichkeit längst darauf lauerte, Antonia schwanger zu sehen, sondern weil es mir schien, dass kein Mensch vorzüglicher war als mein Vetter, und dieses Erbe nicht weitergegeben zu sehen war schmerzlich.
    "Du willst nicht wissen, wie oft ich neulich ein Opfer an Mars wiederholen musste, so sehr liegt Rom im Dunkel der Verzweiflung. Hast Du jemals daran gedacht, dass es am Zorn der Götter allgemein liegen könnte, dass diese Sklavin nicht empfing? Hast Du in den letzten Wochen überhaupt bei Deiner Frau gelegen? Denn wenn es an der Sklavin liegt, oder an der Götter Zorn, dann ist noch nichts verloren, dann sind für Dich noch alle Möglichkeiten offen. Letztendlich ist die Aussage, dass die Kinderlosigkeit an Dir liegt, eine sehr absolute - und sollte es dann doch klappen, dann werden die Spekulationen Dir jede Freude verderben." Behutsam legte ich meine Rechte auf seine Schulter, berührte ihn wie er mich berührt hatte, und blickte ihn dann nur an. Sein Schwert ... ja, das würde ich wohl immer sein. Und immer versuchen, den Schmerz fernzuhalten, der ihn berühren mochte.