Im Grunde war dieser Ausflug schon durch seine Existenz ein Schlag ins Gesicht aller traditionsbewussten Römer - dass ich sie überhaupt fern ihres Zuhauses hatte entführen dürfen, war ein großes Zugeständnis, nicht zuletzt, weil ihr tutor mich nur allzu gut kannte. Warum also hatte Marcus dem zugestimmt? Denn dass er auf irgendeine Weise seine Zustimmung zu diesem Ausflug gegeben haben musste, lag klar auf der Hand. Prisca hätte sicherlich nicht gegen seinen erklärten Willen gehandelt, so gut glaubte ich sie inzwischen zu kennen. Aber vielleicht war es auch nur der gutgemeinte Wunsch meines Freundes gewesen, uns ein Kennenlernen zu gestatten, dass anders ablaufen würde als die üblichen Gelegenheiten, bei denen man von geifernden matronae und sonstigen Verwandten eifrig beäugt werden würde. Sie schien in dieser Umgebung, auch wenn sie sicherlich nicht dem entsprach, was sie gewohnt sein mochte, aufzuleben, spielte mit einem Lächeln, einem Augenaufschlag, ließ mich zu jeder Zeit glauben, ja, sogar wissen, dass sie sich darüber bewusst war, wieso wir hier waren, wieviel sich an diesem einen Tag wahrscheinlich entscheiden würde.
Mit einigermaßen ruhiger Hand schenkte ich ihr zuerst Wein, dann Wasser in den Becher, um ihr diesen dann zu überreichen - mir selbst machte ich eine ähnliche Mischung, wenngleich ich mir etwas mehr Wein zugedachte.
Gemächlich streckte ich mich dann auf meiner Kline aus (auch wenn ich mich gerne neben sie gelegt hätte, es wäre überaus beengt, überaus reizvoll und überaus dämlich gewesen, hätte ich dies getan) und behielt ihr schönes Gesicht im Blick. Für einen kurzen Moment musste ich an eine besondere Nacht in einem fremden Garten denken, in dem eine ebenso dunkle Schönheit meine Sinne verwirrt hatte, aber dies war doch etwas ganz anderes, und Prisca ließ sich ebensowenig mit Callista vergleichen wie umgekehrt, dafür waren beide Frauen viel zu verschieden und einzigartig. "Würde ich Dir von all meinen bisherigen Ausflügen berichten, würden wir wohl in ein oder zwei Wochen immernoch hier sein, und Dein Onkel hätte sicherlich schon die cohortes urbanae vorbeigeschickt, weil man Dich sehnlichst vermissen würde - ein andermal berichte ich Dir gerne, doch fürchte ich, würde es den heutigen Rahmen bei weitem sprengen." Ich tat einfach so, als hätten sich ihre Worte auf das Thema Ausflug ganz generell bezogen, und nicht auf die Tatsache eines Ausflugs mit Frauen speziell, denn diese Art Ausflug würde ich ganz sicher nicht offen legen. Einer Frau über eine andere zu berichten war weder höflich noch klug - und letztendlich sollte es hier um Prisca, nicht um meine Abenteuer der Vergangenheit gehen.
"Ich freue mich, wenn Du diese Stunden genießt, die in ihrer Seltenheit nun doch einzigartig sind - meine Mutter hätte dies meiner Schwester sicherlich nicht gestattet zu tun, fürchtete sie doch kaum etwas mehr als das Geschwätz der Leute. Umso mehr freut es mich, dass Du dem direkt ins Auge blickst, denn wenn man sich von dem Gerede anderer allzu sehr beeindrucken lässt, verliert man sich selbst schneller als bei allem anderen." Ich nahm einen Schluck meines Wein-Wasser-Gemischs und erwiederte ihren Blick ohne Scheu und auch ohne nennenswerte Zurückhaltung. "Letztendlich hat jeder Mensch die Entscheidung selbst zu treffen, ob er leben möchte oder eine Rolle spielen, meine Entscheidung ist ... schon einige Jahre alt, und ich stoße immer mehr an die Grenzen derselben. Wahrscheinlich ist es nicht einmal möglich, dauernd zu leben, ab und an muss man Komödien spielen, um die eigenen Ziele nicht zu offen darzulegen, um sich nicht zu viele Schwachstellen zu gestatten. Aber grundsätzlich würde ich das Leben einer bloßen Rolle vorziehen, wie Du es wohl auch zu tun scheinst, wenn ich Deine Worte richtig deute." Wieder ließ ich eine kleine Pause einkehren, in der ich meine Gedanken sammelte, die mir ob der Brisanz des Gesprächs wieder und wieder fortzugleiten drohten.
"Ich will ganz offen zu Dir sein, Prisca, denn was Du bisher gesagt hast, lässt mich hoffen, eine kluge Frau mit Dir kennengelernt zu haben, die jene Tändelei vielleicht als Unterhaltung schätzt, aber doch im Herzen nach Tatsachen strebt, auf die man bauen kann: Für mich ist es an der Zeit, mich zu verheiraten, und nachdem ich mir in aller Ruhe diverse Möglichkeiten überlegt habe, ist meine Wahl auf Dich gefallen. Es klingt nun sicherlich nüchtern und wenig romantisch, und bei den Göttern, ich hätte mir gewünscht, es Dir in süßerer Weise vermitteln zu können - doch ernsthafte Dinge sollte man ernsthaft besprechen, um ihnen angemessen Respekt zu zollen. Du sprachst von Vertrauen, auf dem ein gemeinsames Leben gründen sollte, und darin stimme ich mit Dir überein. Auf wen sollte sich ein Mann verlassen können, wenn nicht auf seine Gemahlin? Auf wen sollte eine Frau vertrauen können, wenn nicht auf ihren eigenen Gemahl? Es gibt wenig, was einem in der heutigen Zeit einfach zufällt, und eine gute Ehe zu führen ist denke ich vielmehr ein Produkt gegenseitiger Achtung und des Vertrauens als eine reine Liebesentscheidung - wenn sich die Liebe einstellt, wenn man miteinander zurecht kommt, ist das natürlich umso schöner." Wieder holte ich Luft und das Gefühl, mich irgendwie hemmungslos in meinen Gedanken verirrt zu haben, kehrte mit aller Macht zurück. "Eine Entscheidung kann und werde ich Dir sicherlich nicht heute abverlangen, aber ich hoffe doch sehr, dass Du Dir diesen Gedanken wenigstens durch den Kopf gehen lässt und ihn mit Achtung bedenkst."