Beiträge von Caius Flavius Aquilius

    Im Grunde war dieser Ausflug schon durch seine Existenz ein Schlag ins Gesicht aller traditionsbewussten Römer - dass ich sie überhaupt fern ihres Zuhauses hatte entführen dürfen, war ein großes Zugeständnis, nicht zuletzt, weil ihr tutor mich nur allzu gut kannte. Warum also hatte Marcus dem zugestimmt? Denn dass er auf irgendeine Weise seine Zustimmung zu diesem Ausflug gegeben haben musste, lag klar auf der Hand. Prisca hätte sicherlich nicht gegen seinen erklärten Willen gehandelt, so gut glaubte ich sie inzwischen zu kennen. Aber vielleicht war es auch nur der gutgemeinte Wunsch meines Freundes gewesen, uns ein Kennenlernen zu gestatten, dass anders ablaufen würde als die üblichen Gelegenheiten, bei denen man von geifernden matronae und sonstigen Verwandten eifrig beäugt werden würde. Sie schien in dieser Umgebung, auch wenn sie sicherlich nicht dem entsprach, was sie gewohnt sein mochte, aufzuleben, spielte mit einem Lächeln, einem Augenaufschlag, ließ mich zu jeder Zeit glauben, ja, sogar wissen, dass sie sich darüber bewusst war, wieso wir hier waren, wieviel sich an diesem einen Tag wahrscheinlich entscheiden würde.
    Mit einigermaßen ruhiger Hand schenkte ich ihr zuerst Wein, dann Wasser in den Becher, um ihr diesen dann zu überreichen - mir selbst machte ich eine ähnliche Mischung, wenngleich ich mir etwas mehr Wein zugedachte.


    Gemächlich streckte ich mich dann auf meiner Kline aus (auch wenn ich mich gerne neben sie gelegt hätte, es wäre überaus beengt, überaus reizvoll und überaus dämlich gewesen, hätte ich dies getan) und behielt ihr schönes Gesicht im Blick. Für einen kurzen Moment musste ich an eine besondere Nacht in einem fremden Garten denken, in dem eine ebenso dunkle Schönheit meine Sinne verwirrt hatte, aber dies war doch etwas ganz anderes, und Prisca ließ sich ebensowenig mit Callista vergleichen wie umgekehrt, dafür waren beide Frauen viel zu verschieden und einzigartig. "Würde ich Dir von all meinen bisherigen Ausflügen berichten, würden wir wohl in ein oder zwei Wochen immernoch hier sein, und Dein Onkel hätte sicherlich schon die cohortes urbanae vorbeigeschickt, weil man Dich sehnlichst vermissen würde - ein andermal berichte ich Dir gerne, doch fürchte ich, würde es den heutigen Rahmen bei weitem sprengen." Ich tat einfach so, als hätten sich ihre Worte auf das Thema Ausflug ganz generell bezogen, und nicht auf die Tatsache eines Ausflugs mit Frauen speziell, denn diese Art Ausflug würde ich ganz sicher nicht offen legen. Einer Frau über eine andere zu berichten war weder höflich noch klug - und letztendlich sollte es hier um Prisca, nicht um meine Abenteuer der Vergangenheit gehen.


    "Ich freue mich, wenn Du diese Stunden genießt, die in ihrer Seltenheit nun doch einzigartig sind - meine Mutter hätte dies meiner Schwester sicherlich nicht gestattet zu tun, fürchtete sie doch kaum etwas mehr als das Geschwätz der Leute. Umso mehr freut es mich, dass Du dem direkt ins Auge blickst, denn wenn man sich von dem Gerede anderer allzu sehr beeindrucken lässt, verliert man sich selbst schneller als bei allem anderen." Ich nahm einen Schluck meines Wein-Wasser-Gemischs und erwiederte ihren Blick ohne Scheu und auch ohne nennenswerte Zurückhaltung. "Letztendlich hat jeder Mensch die Entscheidung selbst zu treffen, ob er leben möchte oder eine Rolle spielen, meine Entscheidung ist ... schon einige Jahre alt, und ich stoße immer mehr an die Grenzen derselben. Wahrscheinlich ist es nicht einmal möglich, dauernd zu leben, ab und an muss man Komödien spielen, um die eigenen Ziele nicht zu offen darzulegen, um sich nicht zu viele Schwachstellen zu gestatten. Aber grundsätzlich würde ich das Leben einer bloßen Rolle vorziehen, wie Du es wohl auch zu tun scheinst, wenn ich Deine Worte richtig deute." Wieder ließ ich eine kleine Pause einkehren, in der ich meine Gedanken sammelte, die mir ob der Brisanz des Gesprächs wieder und wieder fortzugleiten drohten.


    "Ich will ganz offen zu Dir sein, Prisca, denn was Du bisher gesagt hast, lässt mich hoffen, eine kluge Frau mit Dir kennengelernt zu haben, die jene Tändelei vielleicht als Unterhaltung schätzt, aber doch im Herzen nach Tatsachen strebt, auf die man bauen kann: Für mich ist es an der Zeit, mich zu verheiraten, und nachdem ich mir in aller Ruhe diverse Möglichkeiten überlegt habe, ist meine Wahl auf Dich gefallen. Es klingt nun sicherlich nüchtern und wenig romantisch, und bei den Göttern, ich hätte mir gewünscht, es Dir in süßerer Weise vermitteln zu können - doch ernsthafte Dinge sollte man ernsthaft besprechen, um ihnen angemessen Respekt zu zollen. Du sprachst von Vertrauen, auf dem ein gemeinsames Leben gründen sollte, und darin stimme ich mit Dir überein. Auf wen sollte sich ein Mann verlassen können, wenn nicht auf seine Gemahlin? Auf wen sollte eine Frau vertrauen können, wenn nicht auf ihren eigenen Gemahl? Es gibt wenig, was einem in der heutigen Zeit einfach zufällt, und eine gute Ehe zu führen ist denke ich vielmehr ein Produkt gegenseitiger Achtung und des Vertrauens als eine reine Liebesentscheidung - wenn sich die Liebe einstellt, wenn man miteinander zurecht kommt, ist das natürlich umso schöner." Wieder holte ich Luft und das Gefühl, mich irgendwie hemmungslos in meinen Gedanken verirrt zu haben, kehrte mit aller Macht zurück. "Eine Entscheidung kann und werde ich Dir sicherlich nicht heute abverlangen, aber ich hoffe doch sehr, dass Du Dir diesen Gedanken wenigstens durch den Kopf gehen lässt und ihn mit Achtung bedenkst."

    Irrte ich mich oder hatte ich für einige Zeit ihre Aufmerksamkeit in einer Weise gefesselt, die einer wohlerzogenen jungen Dame eigentlich fern liegen sollte? Es war schmeichelhaft, auch wenn ich mir dessen nicht sicher war, und durchaus froh war, als ich meine tunica am Leib hatte - nicht dass mir etwaige Blicke unangenehm gewesen wären, ich war nicht als prüder, unerfahrener Mann aufgewachsen, nein, ich schätzte solche Blicke von einer Frau einfach zu sehr, und angesichts der Tatsache, dass wir in diesem Zelt fast alleine waren, versuchte ich den Gedanken daran einfach irgendwie zu verdrängen. Die Lust auf diese Frau durfte einfach nicht die Oberhand gewinnen, wenigstens einmal in meinem Leben musste ich fähig sein, mich zusammenzureißen, meine Wünsche zurückzustellen, um einem Weg zu folgen, der wichtiger war als es jede kurzfristige Befriedigung sein konnte.


    "Nun, bei etwas besserem Wetter können wir gern noch einmal um die Wette schwimmen, wenn Dich die Aussicht auf einen Preis so sehr verlockt," gab ich ihr in einem lockeren, scherzhaften Ton zurück und schmunzelte dabei. "Allerdings, ich würde fast vermuten, dass ich derjenige sein werde, der seinen Preis einfordern darf, ich hatte Dich recht schnell eingeholt, wenn Du Dich erinnerst." Ich hatte neckend gesprochen und hoffte, sie würde meine Worte nicht sofort als den Versuch eines eitlen Mannes interpretieren, auf ihre Kosten glänzen zu wollen - nein, mir war vielmehr daran gelegen, die möglichen Fallstricke einer zu groß werdenden Nähe zu vermeiden. Nachdem die beiden Sklavinnen uns verlassen hatten, machte ich eine einladende Geste zu den beiden Einpersonenklinen hin - Mehrpersonenklinen wären dann ob der sich ergebenden Möglichkeiten weitaus weniger schicklich gewesen, auch diese Klippe hatte ich bereits im Vorfeld umschiffen lassen.


    So ergriff ich ihre Hand und führte sie die wenigen Schritte zu jenem kleinen Tisch, auf dem bereits ein Korb mit geschnittenem Fladenbrot wartete, ebenso eine Schale mit Oliven, eine mit gezuckertem Obst und ein Krug mit Wein, dazu zwei Becher - das eigentliche Frühstück würde noch serviert werden, dies war nur eine kleine Aufwärmung. "Du hast es eben getan," erwiederte ich auf ihre Dankesworte und lächelte, wartete ab, bis sie sich auf die eine Kline gelegt hatte, bevor ich es ihr auf der anderen gleichtat. "Dein erfreutes Lächeln hat mir bereits genügt, und letztendlich, was wäre das Leben schon wert, wenn man bei all dem, was einem die Pflicht abverlangt, nicht ab und an auch die Freiheit besitzt, einem Menschen, an dem einem etwas liegt, eine kleine Freude bereiten zu können? Als ich Dich zum ersten Mal sah, dachte ich mir, dass Du es verdienst, geschmückt und honoriert zu werden, und wenn Roms Männerwelt dumm genug ist, Dir diese Aufmerksamkeiten nicht zukommen zu lassen - nun, gegen umso weniger aufdringliche Verehrer muss ich mich mit einem Brief oder einem Geschenk zur Wehr setzen." Leicht zwinkerte ich ihr zu und lehnte mich auf das gepolsterte Kopfteil der Kline. "Darf ich Dir etwas Wein einschenken?" Auch dafür brauchte es meiner Ansicht nach keines Sklaven, bei derlei Gesprächen störten sie dann doch eher.


    Und da war es wieder, dieses atemberaubende Lächeln, das ihr Gesicht vollkommen zum Leuchten bringen konnte, ein Ausdruck tiefempfundener Freude, der zugleich auch Sonne in mein Herz einkehren ließ. Es war dieses Lächeln, das sie mir nahe gebracht hatte, mir den Wunsch hatte erwachsen lassen, sie im Laufe deses Tages zu fragen ... warum nicht jetzt sich langsam auf dieses Thema hinzutasten?
    "Gehe ich recht in der Annahme, dass Du bisher noch nicht viele Ausflüge dieser Art unternommen hast? Das heisst, mit einem Dir eigentlich noch fremden Mann aus einer anderen gens als derer, in welche Du geboren wurdest - letztendlich werden sich in Rom die matronae sicherlich die Münder zerreissen, sollte unser Ausflug ins Gespräch der Allgemeinheit kommen. Mich kümmert dies wenig, denn letztendlich, kennen diese Frauen Dich oder mich? Wissen sie, dass wir hier friedlich ein Gespräch führen, an dem nichts Anstößiges ist? Sie beleidigen im Grunde mit ihren Vermutungen nur den Geist dieser kleinen Unternehmen, die, wie ich ehrlich zugeben muss, doch mit einem gewissen Hintergedanken begonnen wurde."


    Eine Pause ließ ich entstehen, und während die Worte sackten, beobachtete ich sie genau, wenn auch lächelnd. "Nun denke nicht, ich wollte Dir einen sittenlosen Antrag machen, auch wenn Deine Schönheit jeden Mann, der nicht vollkommen blind ist, in eine ebensolche Versuchung führen könnte - vielmehr war es mein Wunsch, eine Frau ein wenig kennenzulernen, deren Lächeln mich schon betört hat, als wir uns das erste Mal sahen, und dies in einer Umgebung, die uns nicht zwingt, die gesellschaftliche Komödie mitzuspielen, die uns unser Stand so oft aufzwingt."

    Seine Worte kamen wie aus einer anderen Welt mit Wucht über mich. Und wieder war er es, der mich beschämte, der mich von seiner wahren Größe einmal mehr überzeugte, und gegen den ich mich klein und unbedeutend, ja nicht einmal ausreichend fühlte. Hatte ich seine Liebe überhaupt verdient? Er, der sich für so fehlerbehaftet hielt, war bereit, seine Schande aller Welt zu offenbaren, nur um mir keinen Dienst abzuverlangen, der mich etwas kosten könnte, vielleicht Schmerz bereiten. Wäre ich bereit gewesen, mich so zu entblößen? Allein die Tatsache, dass ich in meinen Gedanken zögerte, dass ich mich nicht freimütig sofort auf eine solche Gelegenheit gestürzt hätte zu verzichten, ließ es mir klarer sehen, wie es war: Ich war seiner nicht wert, war es wohl nie gewesen. Unsere Liebe war auf Sand gebaut und nicht auf dem sicheren Felsen, den ich dort immer erhofft hatte, ohne genau nachzusehen - und ich war der Sand im Getriebe dieses Räderwerks, nicht er. Irgendwann würde diese wohlgeformte und vollendet gefügte Maschine, dieses Zeugnis wunderbarer Baukunst unserer Empfindungen zu stocken beginnen, und es wäre meine Schuld, nicht die seine. Hatte ich noch das Recht, zu zögern? Dieses Recht hatte ich verwirkt, ein für allemal.


    "Manius, nun fasse Dich erst einmal. Ich werde keinesfalls zulassen, dass Du Dich auf diese Weise vor irgendwem entblößt, eher nähme ich die größte Schande der Welt auf meine Schultern, als dass ich Dich im Stich ließe in dieser Stunde der Not. Du wünscht Dir schon lange eine Familie, die durch einen Erben abgerundet wird, und ich werde Dir helfen, diesen Wunsch zu erfüllen. Wenn es nur das ist, dann gebe ich Dir gern jede Hilfe, die ich zu geben vermag!" Meine Stimme erklang mit Nachdruck, vielleicht auch etwas heftiger, als ich es gewollt hatte, der Moment des Zögerns war vorüber, ein für allemal, ich hatte mich entschieden. Abgewandt hatte er sich, und das konnte ich nicht mehr ertragen, ich musste sein Gesicht sehen, seine Augen, ich musste sehen, wie er auf mich reagierte, ob er mir diesen Moment der Schwäche übelnahm. Bis ins tiefste Mark hatte er sich mir offenbart, und ich hatte nicht sofort zugestimmt - was war ich für ein Schwert meinem Schild, wenn ich zauderte!
    Ich trat an seine Seite, berührte seinen Arm und versuchte, ihn zu mir zu drehen, endlich sein Gesicht zu sehen, dieses so vertraute Gesicht, dessen Linien, dessen Form ich auch im Dunklen hätte erkennen, selbst als Blinder vollkommen vorhersagen hätte können, so sehr stand es vor meinen Augen, wann immer ich allein mit meinen Gedanken war.


    "Erinnerst Du Dich, was ich Dir einst schwor, mein Manius? Dass ich Dein Schwert sein würde, wenn Du mir der Schild bist? In den letzten Wochen hat allein Deine Gegenwart mir die Verzweiflung ferngehalten, diese Sucht nach der Nähe anderer, die mir doch niemals diese Erfüllung geben konnte, die ich spüre, wenn Du bei mir bist. Morgens wache ich auf und weiss, es wird ein guter Tag, denn Du bist irgendwo in der Nähe, auch wenn wir uns nicht sehen ... Manius, Du hast mich von einem Wanderer zu einem sesshaften Mann gemacht, und ich verdanke Dir mehr als jedem anderen Menschen auf dieser Welt. Wenn Du Dir diese eine Sache wünscht, zu Deinem und Antonias Glück, so stehe ich bereit, Dir diesen Wunsch zu erfüllen, wann immer Du es willst. Wenn es Dir ... leichter fällt ... dann ... liege zuerst ich bei ihr - oder Du zuerst - und in derselben Nacht der andere. Dann ist es allein den Göttern überlassen, welcher Same sich entwickelt, woraus das Leben entsteht, und es wird immer Dein Kind sein, und mein ... Neffe, dem ich zur Seite stehen werde, wie ich es auch bei Dir tue." Mein Blick suchte den seinen, aufrichtig, offen, ich verhehlte nichts von dem, was ich empfand - und vor allem war ich von dem Wunsch erfüllt, ihm zu beweisen, dass ich ihn liebte. Ihn allein.

    Mit einem Mal fröstelte ich. Gracchus' karge Inneneinrichtung war mir nie unangenehm aufgefallen, letztlich waren die klaren, schlichten Linien, dieser Mangel an allzu vielen persönlichen Gegenständen, die stetige, verlässliche Ordnung ein direkter Spiegel seiner Persönlichkeit, mein Geliebter mochte seine Welt einfach lieber geordnet und mit jedem Stück und jedem Ding am richtigen Platz. Aber jetzt, da ich umso mehr und umso deutlicher vor Augen geführt bekommen hatte, wie leer es sich zwischen all dieser sauberen, distanzierten Ordnung anfühlen musste zu leben, konnte ich mich eines Gefühls innerlich aufsteigender Kälte nicht erwehren. War das eine Welt, die er mir zu verbergen gesucht hatte, diese wirklich tiefe Verzweiflung über seine Kinderlosigkeit? Was musste es für ihn bedeutet haben, wochenlang jede Nacht bei dieser Sklavin zu liegen? Ihm, der doch die Festigkeit eines männlichen Körpers der sanften Weichheit einer Frau bei weitem vorzog. Und jedes Mal eine vergebliche Hoffnung, das Ausbleiben der erhofften, Klarheit schaffenden Schwangerschaft. Dass er bereits mit Antonia gesprochen hatte deswegen offenbarte das ganze Ausmaß seiner Verzweiflung, ich wusste nicht, ob ich meinerseits damit hätte so bewusst umgehen können.


    Unsere Blicke trafen sich endlich, und ich konnte meine Vermutungen im Glanz der seinen bestätigt sehen, in jenem unruhigen Flackern, in dieser aufrechten Begegnung mit dem Unausweichlichen. Gab es in unserer ganzen verlotterten Sippe einen Mann, der stärker gewesen wäre als er? Mehr denn je schien mir mein ewig an sich und seinen Qualitäten zweifelnder Manius als der sichere Hafen nach einer stürmischen Fahrt auf einem ungewissen Lebensmeer. Was musste ihn dieses Gespräch mit Antonia gekostet haben, die für ihn stets die unerreichbare, perfekte Frau gewesen war? Wie musste sie sich bei diesem Geständnis gefühlt haben, die doch ganz ebenso Manius für einen perfekten Mann gehalten hatte? Es waren seltsame Spiele, welche die Götter mit uns trieben, und für einige, sich wie eine Ewigkeit hinziehende Momente schwieg ich voller Gedanken.
    "Sie ist eine besondere Frau, Manius, das habe ich Dir immer gesagt. Wahrscheinlich erkennt man den wahren Menschen immer erst in Momenten der Not, der Qual, des Schmerzes, in allen anderen kann man sich zu leicht hinter dem verstecken, was einem anerzogen ist." Wenigstens schien die Krise diese beiden so ungleichen und doch sehr ähnlichen Eheleute nicht ganz auseinander gebracht zu haben - und das gönnte ich beiden, dass sie wieder besser miteinander zurecht kamen. Durfte ich mich da dann überhaupt dazwischen drängen, selbst wenn beide es wollten?


    "Ihr habt euch also für mich entschieden." Es war die logische Schlussfolgerung - Furianus hätte ich selbst niemals gefragt, weil ich ihm gerade einmal so weit traute, wie man ihn hätte werfen können, und da ich mich weigerte, ihn auch nur zu berühren, würde es nie ein allzu weiter Wurf werden - und Aristides war verlobt, würde bald mit seiner neuen Frau eigene Kinder zeugen, da blieb nur ich. Wie absurd der Gedanke doch war! Nie hatte ich über Kinder nachgedacht, war Vater geworden, ohne mich meiner Herkunft zu erinnern und er, der nichts mehr verdient gehabt hätte als einen Erben, er musste sich mühen und demütigen, um diesen zu bekommen. Plötzlich konnte ich nicht mehr anders, ich musste mich von ihm abwenden, schritt zu jenem kargen kleinen Tischchen, das wohlweislich einen Krug Wein bereithielt, und Becher, um mir einen einzuschenken, dann trank ich wie ein Verdurstender, ohne auf die Qualität zu achten, einfach nur, um den Kopf wieder halbwegs klar zu bekommen. Selbst der Wein bot mir in diesem Moment keine Hilfe, er schmeckte seltsam schal und bitter auf meiner Zunge, auch wenn ich mir fast sicher war, mir das nur einzubilden.
    "Manius ... ich ... ich muss gestehen, das ... nunja, das überrascht mich ein wenig. Versteh mich nicht falsch, ich ... ich werde Dir immer helfen, wenn Du Hilfe brauchst, also auch in dieser Sache. Aber ..." Ich schloss die Augen und atmete tief und mühsam ein. "Aber man wird nicht jeden Tag gefragt, ob man Vater des Erben des Menschen werden will, den man liebt. Es ist... wie eine dieser absurden griechischen Komödien, man weiss nicht so recht, ob man lachen oder weinen soll."

    Auch von der Seite der einsamen in-die-Ferne-Briefeschreiber alles Liebe und Gute zu Deinem besonderen Tag. Mögen Dir Freunde, Geschenke und sonstige angenehme Überraschungen diesen Tag versüßen, auf dass sich weitere wunderbare Wochen und Jahre den bisherigen beigesellen.


    *überreicht mit einem charmanten Lächeln eine Geburtstagstorte in Form einer Pyramide mit Kerzchen obendrauf* :]

    Die Welt wich abermals zurück, machte einer langsam zu mir gleitenden, sanften Mattigkeit Platz, in der ich zu fühlen begann, wie mir die Zeit entglitt. Der Tag war lang gewesen, und in so mancher, endlos lang scheinenden Akte hatte ich als einzigen Trost das Wiedersehen mit Callista gehabt, an dem ich mich festgehalten hatte, man musste sich bisweilen mit solchen Bildern in der Pflicht selbst vorantreiben. Nur noch ein Absatz, eine Aktennotiz, eine weitere Akte, eine weitere Stunde, und dann endlich war man frei zu tun, wonach einem der Sinn stand. Wie lange hatte ich auf diesen Moment gewartet, geharrt, gehofft, mir selbst verboten, allzu früh zu ihr zu eilen, um sie nicht glauben zu lassen, sie hätte mich mit ihrem Zauber allzu leicht untwerworfen.
    Frauen waren grausam, wenn man ihnen Macht über einen gab, und noch grausamer waren sie, wenn sie wussten, dass sie einen eingefangen hatten - wenngleich ich zumindest noch einen halbwegs klaren Kopf behalten hatte, was sie anbelangte, zusammen hätten wir
    sicherlich einige Wochen gelebt wie die Kaiser, und uns dann zu hassen begonnen. Mein Blick blieb unwillkürlich an ihren schimmernden Lippen hängen. Meine schöne Callista. Was für eine Verschwendung, sie in den Norden zu verbannen, zu irgendwelchen ungeschlachten Britanniern, die sie nicht zu würdigen wissen würden - oder aber sie würde sich den ein oder anderen Stammeskrieger für ihre einsamen Stunden verführen und die ganze Rauhheit unserer nördlichsten provincia kosten.


    "Ich bin mir fast sicher, dass jenes Wild, das Du in Britannia zu erlegen trachtest, zu Deinen Füßen endet, Callista mea, und sein Blut für Dich vergießen wird, wie es Dir gefällt," meinte ich in einem sanften, aber doch amüsierten Ton. Der Gedanke, sie in den behaarten Armen eines blau und grün bemalten Piktenkriegers zu sehen, dieser maximale Kontrast zwischen Kultur und Wildheit, ließ mein Herz wieder schneller schlagen. Es wäre zumindest ein interessantes Bild, sie diese Wildheit zähmen sehen zu lassen, auf ihm reitend wie man ein Wildpferd einreitet, auf dass es treuer als ein domestiziertes werden würde. Zweifellos würde sie Britannia zähmen, wenn sie es nur wollte, und ihren Gemahl mit dazu. Was für ein
    bemitleidenswerter Kerl dieser Mann doch war, sie war ihm schon von Geburt an aus haushoch überlegen gewesen und als Frau herangewachsen, mit all jenen Waffen ausgestattet, bei denen ein Mann früher oder später kapitulieren musste. Die meisten endeten dann doch unter dem Pantoffel ihrer Frau. Wobei sicherlich sehr viele Männer gerne unte Callistas Pantoffel gelandet wären, wenn sie es sich hätten auswählen können, bis zu jenem unweigerlich nahenden Augenblick, in dem man begann, sie zu langweilen. Wer die Ansprüche einer solchen Frau nicht erfüllen konnte, wurde sicherlich recht bald aussortiert, ausgetauscht, gegen das lohnendere Objekt der Begierde, um wieder einen neuen Reigen zu beginnen, bis auch die Neuerwerbung langweilte.


    Ja, Illusionen machte ich mir über Callista nicht. Vielleicht lag ich mit meinen Überlegungen falsch, vielleicht irrte ich mich auch deutlich, ich hätte es ihr und mir gewünscht, aber ich hatte schon zu viele Frauen kennengelernt, zu viele Seufzer gehört, zu viel hinter einem Lächeln verstecktes Machtausüben, um mich allzu lange einer süßen Illusion hinzugeben. Hörte sie mir überhaupt zu? Sie wirkte so abwesend, mit diesen großen, dunklen Augen, in denen sich die Nacht gefangen zu haben schien, seelenvolle, tiefe Augen, aber doch undurchdringlich, ihr Blick behielt ihre Geheimnisse für sich, und je tiefer man zu forschen versuchte, desto mehr konnte man sich in einem Nichts verlieren, wenn sie es wollte.
    Caius. Oh Caius. Mein Name klang so weich, so verführerisch, wenn sie ihn sprach, als könnte sie in mir deutlich mehr entdecken, als ich tatsächlich war. Träumte sie sich meine Person zurecht? Oder sah sie klar vor sich, wer ich war? Ihre Lippen verrieten nichts davon, noch weniger ihre eleganten, grazilen Bewegungen, die eine träge Lässigkeit verströmten, als wälze sich gerade eine Raubkatze, gesättigt nach einem guten Mahl, auf ihrem Lager. Sicher, sie nah mein Angebot der Hilfe an, ihre Lippen fühlten sich weich auf den meinen an, verlockend weich, ein warmer, zarter Kuss war es, der nach so viel mehr schmeckte - aber meinte sie das auch ernst? Sicher war ich mir nicht, sie schien mir eher eine Frau zu sein, die sich, wenn es nötig war, selbst half.


    Als sie sich einem neuen Vergnügen zuwandte, erstreckte sich die Farbvielfalt ihres Daseins in einem Moment ungleich um sehr viel mehr - die Perlen des Mondes. Natürlich. Warum hatte ich diesen abwesenden Blick nicht schon längst erkannt, dieses Überbleibsel derer, die dem Tag in die süße Umnachtung entflohen, welche allein die Perlen zu schenken vermochten? Ich hatte das Offensichtliche nicht erkannt, und wunderte mich nun meiner Blindheit, ohne sie es sehen zu lassen. Nur kurz war mein Lächeln, dann räkelte ich mich gemächlich auf ihrem halb zerstörten Bett.
    "Es ist eine Weile her, dass ich dies tat - in Achaia, bisweilen, in jenen langen Abenden voller Genüssen, voller Diskussionen und philosphischer Wettstreite, mit einer reizvollen Frau im Arm und einem guten Wein im Becher - aber hier in Rom hatte ich nicht die Gelegenheit dazu. Willst Du gar das Spiel, das wir beide so sehr beherrschen, erneut spielen, Dich auf der Woge weißen Mondlichtes mit einer Perle auf der Zunge davontragen lassen, bis Du Dich ganz in diesem Augenblick verlierst?" Ich hatte durchaus gewollt den ductus eines Verseschmieders angewandt, als wollte ich ein Gedicht zum Besten geben, aber es ohne Reim, ohne direkten Zusammenhang gelassen, nur einen ersten Schritt in die Welt der Phantasie getan. Warum nicht diesen letzten Tag, an dem ich sie bei mir haben würde, damit abrunden? Es würde die Erinnerung ungleich farbenprächtiger machen.


    Langsam streckte ich die Hand aus, als sie zu mir zurückkehrte, und zog sie zu mir herab, nicht drängend, aber doch verdeutlichend, dass ich sie mir lieber nah als fern hatte, mein Körper war so angenehm belebt durch das jüngst vergangene Erlebnis, dass es geradewegs in meinem Blut zu pulsieren schien. Die Lippen vorwölbend, stahl ich ihr einen langsamen, langen Kuss, der mich die Süße ihres Mundes erneut schmecken ließ, und mit diesem Geschmack kehrte auch das Verlangen zurück, welches wir aneinander wohl eine lange Zeit nicht mehr würden stillen können.
    Hätte ich sie vielleicht doch ... nein, es war besser so. In einigem zu ähnlich, in anderem ... sehr weit voneinander entfernt. Stattdessen ließ ich meinen Blick lieber über ihren schlanken Leib gleiten, die weichen Formen, die aber nicht plump oder zu schlaff waren wie die vieler Frauen unserer Schicht, die nicht auf sich selbst zu achten gewöhnt waren. Zwiefellos hatte Callista Selbstdisziplin schon sehr früh gelernt, und wenn sie diesen Perlen fröhnte, dann musste sie dies auch, um sich nicht darin zu verlieren.
    "Dürstet es Dich nach einer Reise in die Ferne der Vorstellungskraft?"

    Es zuckte verdächtig in meinen Mundwinkeln und während des kleinen Disputs zwischen Lucanus und dem sichtlich genervten Mann der cohortes urbanae musste ich mich ziemlich zurückhalten, um nicht in Lachen auszubrechen. Dieser ganze, widerliche Ort reizte meine Makaberes schätzenden Sinne, und die Diskussion um eine dumme Liste fügte dem noch einen weiteren Punkt Absurdität hinzu. Da kauerte ein anscheinend ziemlich verrückter Kerl in einer dreckigen, elenden Zelle, würde demnächst wohl wegen eines versuchten Mordes sterben, und angesichts dessen stritt man um eine Liste, die vorhanden war ... nein, das Leben spielte einem seltsame Stücke, und ich konnte mich nur immer wieder fühlen, als sei ich auf der falschen Bühne gelandet. Als der Offizier gegangen war, hob ich nur langsam eine Augenbraue an, während ich zu Lucanus blickte, und schüttelte dann mit recht unbeugsamer Miene - er konnte nicht ahnen, wieviel Beherrschung mich diese kostete! - leicht den Kopf.


    "Du hast Humor, Neffe, aber ich fürchte, an die meisten Menschen ist dieser reichlich verschwendet - und ich befürchte ebenso, Du hast Dir einen Menschen zum Feind gemacht, ohne Not dabei zu haben. Irgendwann wird er Dir wieder begegnen, und wenn Du Pech hast, in einer Situation, in der Dich weder Amt noch Freunde schützen, und dann wird er dies auszunutzen wissen, dass Du ihm heute entgegen getreten bist. Sei in Zukunft vorsichtiger, wenn Du mit Männern sprichst, die eventuell irgendwann den Sprung vom Gemeinen zum Offizier schaffen, ein wenig Nachsicht kostet wenig, einen Feind später beseitigen zu müssen ist meistens recht umständlich und teuer," sagte ich gelassen und atmete nicht alltzu tief ein - es stank wirklich zum Göttererbarmen. Was mich allerdings neugierig gemacht hatte, war die Tatsache, dass man diesen Mann als Mörder angeklagt hatte, ohne dass er anscheinend einer war. Die Akten zu diesem Fall würde ich mir beschaffen lassen.
    "Kylian, warum hast Du diese Frau zu töten versucht?" fragte ich den Gefangenen und blickte ins Halbdunkel.

    Der Widder wurde auch prompt unruhig, als die Witterung des geflossenen Bluts in seine Nase drängte - selbst ich roch das Blut nunmehr unangenehm stark, und ich war den Geruch von den Opfern her gewöhnt - und die Sklaven des Händlers hatten sichtliche Mühe, das Tier in Richtung des Altars zu zerren, wobei die umstehenden Gaffer natürlich nicht unbedingt hilfreich waren, denn sie standen schlichtweg immer genau dort, wo sie im Weg waren. Einige Tempelsklaven mussten die Sklaven des Händlers bei der Auslieferung unterstützen, und bis der Widder endlich sicher angekettet war, verging doch einiges an Zeit, bei der es nicht nur einmal so aussah, als würde das Tier, welches zusehends unwilliger wurde, über den Menschen triumphieren. Aber ich konnte es dem Widder nicht verdenken, ich hatte angesichts der bisherigen katastrophalen Opfer auch langsam aber sicher einen gewaltigen Unwillen im Bauch.


    Rom war gottlos geworden, und nun mussten wir bezahlen, genauso wie die virgo vestalis maxima hatte bezahlen müssen. Sollten denn stets nur wir Flavier Opfer bringen müssen zum Wohle Roms? Die Lippen aufeinandergepresst, verfolgte ich den Fortlauf der Anstrengungen, den Widder zumindest halbwegs zu schmücken - da er den Kopf unwillig hin und her warf, wurde es aus dem Kopfschmuck nichts, aber zumindest sein Rücken erhielt einiges an Zierrat in Blütenform.


    "Derselbe Ablauf noch einmal?" fragte ich, mich versichernd, in die Richtung meines patronus - er musste sich langsam auch dumm vorkommen, ausgerechnet beim ersten Opfer mit mir, seinem Klienten, so aufzulaufen, ich hätte es durchaus verstehen können, hätte er nach einem anderen Priester verlangt, auch wenn ich nicht schuld am Ergebnis war. Dennoch, andererseits, ich hatte, wenn ich den Ablauf rekapitulierte, alles richtig gemacht, und ich war mir sicher, der Fehler hatte nicht im Ablauf des Opfers gelegen, auch nicht in der mangelnden Gesundheit unserer Opfertiere, denn wir hatten sie sorgsam geprüft. Vorher probehalber aufschneiden ging nun einmal nicht.

    Der letzte Sprung war der entscheidende - diesmal durfte es keinen Fehler geben. Wie immer bei solchen Wettbewerben gab es auch Teilnehmer, die sich keineswegs mit Ruhm bekleckerten - einer der Männer, die nach Modestus gesprungen waren, legte einen sauberen Unfall hin, die anderen hielten sich wacker. Überhaupt war es das schlimmste beim springen, sich auf die Nase zu legen, ohne es zu wollen, aber es passierte eben doch immer wieder. Caecilius Crassus' Sprung sah gut aus, richtig weit in den Sand hinein, und ich wusste, ich würde mich anstrengen müssen, um weiter zu kommen. Ein Sklave rechte die Spuren des Prätorianerpräfekten aus dem Sand weg, und ich trat an den Startpunkt, blickte ruhig geradeaus und atmete aus, blendete das Geschrei der Zuschauer aus, konzentrierte mich allein auf die kalte, klare Luft, atmete ein, und lief los, Schritt für Schritt mit Schwung, mit Schnelligkeit und dann - der Sprung!


    Für einen Moment glaubte ich, ich hätte die Absprunglinie übertreten, aber dann spürte ich mich im Sand aufkommen, den Ruf des Sklaven, der den Sprung wertete, und rappelte mich auf, klopfte Sand von den Schenkeln. Nein, ich wollte die Weite nicht wissen, als ich beiseite trat und mich streckte - es sollte eine Überraschung bleiben, bis der Wettbewerb vorüber war. Als das Geschrei der Zuschauer in mein Bewusstsein zurückkehrte, traf mich die Wucht des Lärms wie ein Schlag, und ich musste einige Male blinzeln, blickte dann zur Tribüne hinüber, zu den vielen unbekannten Menschen, die uns eifrig bejubelten ...

    "Seltsam, nicht wahr? Die Perspektiven verschieben sich unmerklich, bis einem das Besondere plötzlich alltäglich erscheint. Ich denke, die Kunst des Lebens ist es, sich in all der Gewöhnung und Gewohnheit dennoch den Blick für das Besondere zu erhalten, das mal eine besonders schöne Frau, mal ein kostbares Schmuckstück, mal kunstvolle Verse, mal einfach nur ein Sonnenaufgang sein kann - letztendlich findet sich etwas Besonderes überall, in jedem Moment kann man darauf stoßen, wenn man nur willens ist, es auch zu entdecken und offen dafür zu bleiben. Zu viele sind von all ihren Genüssen so sinnessatt, dass sie nicht mehr fähig sind, mehr als das Gewöhnliche zu erkennen, und dann brauchen sie immer schnellere, immer kräftigere Reize, bis irgendwann alles farblos und öde ist. Eine Krankheit, der gerade unser Stand sehr schnell anheim fällt, da wir uns so viele Dinge so leicht beschaffen können, von denen andere ihr Leben lang träumen müssen, ohne es jemals zu erreichen. Spätestens wenn ich einen dicken senator zetern höre, warum es denn keine Nachtigallenzungen mehr gäbe auf irgendeinem Bankett, stelle ich mir regelmäßig die Frage, warum es der Mensch ist, der über die Natur gebietet, und womit er sich dieses Recht erwirbt." Nach so vielen tiefsinnigen Gedanken kehrte eine Pause ein, die von den munter vor uns dahinstrebenden Menschen mit Worten und Lachen, lauten Rufen und Anpreisungen teurerer Waren gefüllt wurde.


    "Letztlich ist es doch gut, dass Du Dich an Deine Herkunft so deutlich erinnerst, Lucanus - denn sie wird Dir immer helfen, die Menschen anderer Orte und Länder klarer zu beurteilen, sie wird Dir immer ein Maß zur Seite stellen, das in dieser maßlosen Stadt nur schwer erworben werden kann. Und du hast den meisten Patriziern eines voraus, Du vermagst auch zu erahnen, wie einfache Menschen leben, was sie sich wünschen, und worum sie sich sorgen. Wer dieses Leben nicht kennt, kann auch schlecht für jene sorgen, mit denen einen so wenig verbindet." Hispania hatte ich als junger Mann nicht schnell genug verlassen können, und jetzt, mit einigen Jahren mehr, schien es mir, als gäbe es dort weit mehr erstrebenswertes als es in Rom jemals geben würde - es war doch seltsam, wie sich manche Dinge ändern konnten, vor allem, wenn man danach nicht suchte. Manches geschah einfach. Dann musste ich spontan auflachen - Aristides, ein würdevoller Patrizier?


    Es gab keinen Menschen, auf den diese Beschreibung weniger zutreffend gewesen wäre, aber Aristides, der Freund der Feiern, der Freund der Frauen, der Mann, auf dem man sich bei den dämlichsten Streichen verlassen konnte - oh ja, das traf ihn schon eher. Wie sehr ich meinen unbändigen Vetter doch vermisste!
    "Ah, Du wirst ihn sicher kennenlernen, der Parther, der Aristides zu Boden bringt, muss erst geboren werden." Schmunzelnd ließ ich meinen Blick in die Ferne schweifen, dann fasste ich einen Entschluss. "Lass uns nach den Saturnalien ein Pferd für Dich suchen, dann sollte es auch in der Stadt ruhiger sein und wir finden ein passendes Tier leichter. Was für Tiere hast Du denn bisher geritten?"

    "Ah, kein Wunder ... beim Tod des eigenen Vaters wird alles sehr viel komplizierter. Als der meine starb, musste ich so vieles regeln, dass mir der Gedanke an jegliche Erbschaft ziemlich verleidet wurde, und auch er hinterließ keinerlei Planungen für Heiraten oder ähnliches - wahrscheinlich ist es ohnehin besser, man wählt wenigstens ein bisschen nach den eigenen Vorlieben, und nicht allein nach dem Willen der Eltern. Wenn man bedenkt, welche Werte manchmal bei den eigenen Eltern als wichtig erachtet werden, dann steht doch meist eine sehr solide, aber gänzlich langweilige Ehe ins Haus," bekannte ich freimütig und erhob mich, als er mit seinem Werk fertig geworden war. "Dann lass uns ein bisschen schwimmen - zuerst ins tepidarium? Oder wir gehen zuerst eine Runde schwitzen, um den Rest Öl loszuwerden, und dann ins frigidarium? Mir soll es gleich sein, im Grunde leiden an uns öligen Ringern doch nur alle anderen." Ich grinste übermütig und mit diesem Grinsen kehrte für mich auch die vorherige, leichte Stimmung wieder ein, die mich wahrlich entspannt hatte. Manchmal bedurfte es nur eines ruhigen Abends, eines angenehmen Begleiters und die Welt sah schon wieder ein wenig freundlicher aus als sonst.

    "Wenn er mit Frauen irgendwelche Probleme haben sollte, so hat er sie mir bisher jedenfalls noch nicht genannt oder davon erzählt, er behält seine Angelegenheiten gern für sich und ich frage ihn nicht danach. Manchmal ist auch Schweigen recht angenehm, wenn keine Ansprüche gestellt werden, wenn man weiss, es ist kein bösartiges oder verletztes Schweigen," meinte ich und atmete tief durch. Mit wem konnte man schon ernsthaft schweigen, ohne sich etwas vergeben zu müssen? Straton war als Kind aufgeschlossener gewesen, aber mit den Jahren hatte er sich zu einem ernsten Mann entwickelt, der mir nicht nur einmal die Frage überließ, warum er sich so selbst geformt hatte. Aber dieses Rätsel meines vilicus würde ich ein andermal lösen, nicht jedenfalls, solange mein Freund hier war und ich Zeit mit ihm verbringen konnte. "Seit Valerius' Tod waren die septemviri ohnehin nur ein Schatten ihrer Selbst, und so kann es nur gut sein, dass Du dort eine angemessene Position gefunden hast, die Deiner würdig ist. Ich denke, sie haben die bestmögliche Entscheidung getroffen, die sie hätten treffen können - und so wirst Du auch gleichzeitig in Rom festgehalten und ich muss nicht immer Briefe nach Germania schicken, in sofern hat es nur Vorteile."


    Eine Weile lang lauschte ich unserem Atem und dem leisen Zwitschern der Vögel im hortus, die mir so unendlich weit entfernt schienen, so gänzlich aus einer anderen Welt stammend, dass es exotisch, ja gar anregend war, ihnen bei der Balz oder ihren täglichen Gesprächen zuzuhören. Worüber ein Vogel wohl nachdachte? Sicherlich mussten sich Vögel nicht mit enttäuschten Gefühlen, mit Einsamkeit, mit all unseren Sorgen herumschlagen.
    "Auf Deine Gefahr hin, Marcus," sagte ich zum acta-Thema, ".. ich werde sicherlich nicht freundlich schreiben, gibt es doch in Rom so wenig, über das man sich freuen kann, und über das ich mich jemals freuen werde. Es ist einfach eine schmutzige, verhurte Stadt, und dass sie so glorifiziert wird, werde ich nie verstehen." Die ersten Ideen hatte ich seltsamerweise bereits, und schätzungsweise würden sie einen anderen Ton in die bisher doch eher plätschernde Berichterstattung bringen. Sich in aller Öffentlichkeit Luft machen zu dürfen hatte durchaus etwas Anziehendes bei sich. Als sich Corvinus erhob, tat ich es ihm gleich und schmunzelte auf seine Frage hin schief. "Kannst Du. Zur Not kostet es eben noch einen Tisch, aber ich denke, das Schlimmste ist Überstanden. Vae amates - wehe den Liebenden, man hat doch nur Verdruss damit."

    Warum war er zusammengezuckt? Meine Gedanken kreisten um jene so willkürliche Reaktion meines Vetters und Geliebten, die mir doch so fremd war, lag doch darin stets auch ein Hauch der Ablehnung, der beginnenden Distanz - so hatte er noch nie auf mich reagiert, ausser es hatten sich Sorgen am Horizont abgezeichnet, und ich ahnte, dass die Kinderlosigkeit ihn weitaus mehr bedrückte, als sie mich beschäftigt hätte. Für Gracchus war es einfach viel wichtiger, dass alles so funktionierte, wie es funktionieren sollte - von uns beiden war er immer derjenige gewesen, der mehr am korrekten Lebensweg eines Patriziers gehangen hatte und hängen würde - ich fügte mich dem äußeren Wunsch nur, weil es mir sinnvoller erschien als dauernde Opposition, um mein Ziel zu erreichen.
    "Wir sind immernoch Flavier, auch wenn wir keine Kaiser mehr stellen, unser Blut ist alt und von edler Natur. Ich bin mir sicher, würdest Du rufen, gäbe es einige, die diesem Ruf folgen würden, ist doch Dein Ansehen in der Öffentlichkeit makellos, dein Weg in den Senat erfolgte früh und Du gibst zu allen prächtigen Hoffnungen Anlass. Welcher junge Mann sollte dieses Angebot nicht zu schätzen wissen? Ein Octavian erkannte seine Chance und nutzte sie, und ich denke doch, dass Du ruhigeren Blutes bist als Caesar es jemals war, und von ebenso kluger Natur."


    Dennoch, es würden sich nicht viele finden lassen, soviel war sicher - die meisten Männer wollten alles alleine erreichen, und wenn man ehrlich war, dann war dies ein Weg, den wir beide wohl auch eher beschreiten würden denn die Adoption in eine blutsfremde Familie. Hätte es irgendein gutes Argument gegeben, mit dem ich ihm hätte widersprechen können, ich hätte es mit Freuden getan, aber es wollte sich keines finden lassen, das mich und ihn hätte beruhigen können.
    "Ich weiß," gab ich schließlich zu und atmete tief durch. Ich hätte nicht anders entschieden, auch wenn ich das Blut der Flavier eins ums andere Mal verdammte, über unsere Makel und Unpässlichkeiten fluchte, uns für zu hochfahrend hielt, um überhaupt einen Weg finden zu können, weniger zu werden, als wir waren, es gab keinen Weg hinab für einen Flavier, immer nur hinauf. Es war unser Schicksal, zu den Sternen streben zu müssen, um uns nicht zu verleugnen.
    "Aber wie sollte sie ... wenn es nun einmal .. nicht ... [SIZE=7]geht[/SIZE] ..." Während ich sprach, die Ungeheuerlichkeit seiner Worte in mein Herz einsickerte und mir den Atem nahm, eröffnete sich mir das ganze weite Feld der unendlichen Möglichkeiten, die er vielleicht ins Auge gefasst haben mochte. Ein flavisches Kind, gezeugt von einem der unsrigen, der Same gelegt in Antonias Schoß, und geboren als Gracchus' Kind, als Erben seiner Linie, ohne jemals zu erfahren, wer der Vater gewesen war.


    Immer hatten wir uns verstanden. Immer im Gleichklang geliebt. Immer einander die Hand gereicht, was immer es auch gewesen war, das geschehen war, letztendlich waren wir dem doch gemeinsam begegnet, soweit es möglich gewesen war. Es stand für mich außer Frage, dass ich ihn auch in dieser schweren Stunde unterstützen würde, musste, nicht nur als Vetter, als Freund, als Vertrauten. Wie sehr hing sein inneres Glück doch davon ab, ein Kind zu haben, wenigstens vor der Welt als richtiger Römer zu gelten, der Haushalt, Weib, Landbesitz und Erben vorzuweisen hatte.
    "Es müsste einer von uns sein ... pater semper incertas," sagte ich schließlich ruhig, gelassen fast, denn auch wenn ein anderer Mensch von einer solchen Idee wohl abgestoßen gewesen wäre, ich dachte in solchen Dingen pragmatischer. "Aristides hat seine Fruchtbarkeit bewiesen, auch wenn ich fürchte, das Blut der Mutter hatte einen schlechten Einfluss, was Du diesmal nicht befürchten müsstest. Furianus würde ich diesen Triumph allerdings nicht gönnen, er würde dies Wissen gegen Dich verwenden, sobald er das kann, ohne sich selbst zu schaden, Lucanus ist zu jung, und ..." Und dann blieb noch ich. Langsam wandte ich mich ihm zu, suchte in seiner Haltung zu erkennen, ob er wirklich mich gemeint hatte. Ob er diesen Wunsch wirklich in sich trug. "... und dann wäre da noch ich."

    Die kleine Sklavin im Inneren ging Prisca zweifelsohne zur Hand, wie ich durch ihre Stimme mit einem recht befehlsgewohnten Klang vernahm, während ich mir draußen die Wartezeit mit müßigen Gedanken und Betrachtungen vertrieb - bis sie mich schließlich doch erhörte. "Oh nein, ich habe es gerade so noch überleben können," sagte ich scherzhaft und überspielte mein Frösteln mit einem leichten Schmunzeln. Sogleich reichte das schmale Mädchen auch mir eine Decke, als ich in das Zelt eingetreten war, doch ein Handzeichen meinerseits ließ sie von mir dann auch gleich wieder zurücktreten, denn abtrocknen wollte ich mich selbst.
    Es gab andere Dinge, die man Sklaven erledigen lassen konnte, und diese einfachen Handgriffe angereicht zu bekommen erfüllte mich stets mit dem Gefühl, ich sei in einer unangenehmen Weise unselbständig und nicht fähig, solcherlei selbst zu erledigen - man konnte es auch damit übertreiben. Manche meiner Standesgenossen ließen sich von Sklaven selbst noch die Sandalen zuschnüren, und das war nun wirklich etwas, das mir eisige Schauer den Rücken herunterlaufen ließ, wann immer ich es sah. Dankbar für die weiche Wärme der Decke überlegte ich, wie ich mein klatschnasses Lendentuch loswerden konnte, ohne dass Prisca es sehen würde - nicht, dass es mich gestört hätte, aber ich war mir doch fast sicher, dass sie es stören würde.


    "Würde es Dir etwas ausmachen, Dich kurz umzuwenden? Außer, Du findest Vergnügen daran, einem Mann dabei zuzusehen, wie er sich aus seinem Lendentuch quält, um ein anderes anzulegen," führte ich unsere Unterhaltung einfach so locker fort, als seien wir Verwandte und schon von Kindesbeinen auf daran gewöhnt, einander im wechselnden Bekleidungszustand zu sehen und doch nicht wahrzunehmen. Das dünne Sklavenmädchen, dessen Namen ich nicht einmal wusste, reichte mir, nachdem sich Prisca zumindest so weit umgedreht hatte, dass ich ihr glauben konnte, sie wolle die Schicklichkeit wahren, ein trockenes und angewärmtes Lendentuch - was für eine unerwartete Wonne nach dem eisigen Bad! - und ich schlüpfte eilig in dieses, bevor ich noch die tunica überstreifte, die ich schon beim Ritt hierher getragen hatte. Immerhin war es eine Landpartie, und man musste keineswegs dauernd die Kleidung wechseln, das ging mir ohnehin bei den meisten patrizischen Ausflügen enorm auf die Nerven. Man kam sich dann doch meist eher vor wie ein Vorführsklave eines reichen Tuch- und Bekleidungshändlers denn wie ein erwachsener Mann. Endlich angekleidet, wollte ich gerade wieder etwas zu Prisca sagen, als sich der Zelteingang abermals öffnete und sich jene kleine Sklavin hereinschob, die gerade im Meer gelandet war - hatte Straton sich nicht um ein Feuer für sie gekümmert? Oder war sie einfach von sich aus hergekommen?


    Die Inneneinrichtung jedenfalls ließ recht klar werden, dass das Zelt nicht für den Aufenthalt der Sklaven gedacht war, und im Grunde war das Zelt auch nicht dafür dimensioniert gewesen - ich runzelte die Stirn, die Kleine hatte nicht einmal die Höflichkeit besessen, sich in irgendeiner Form anzukündigen, und das war etwas, was für meine Begriffe zu weit ging, selbst von einer Sklavin, die sich eben versucht hatte, für ihre Herrin einzusetzen. Gewisse grundlegende Richtlinien der Höflichkeit mussten eingehalten werden, und das machte ich im folgenden auch deutlich - jener Sklavin, die eben noch Prisca bedient hatte, bedeutete ich mit einem Nicken, hinauszugehen, und Tilla mitzunehmen (ich ahnte ja nicht, dass diese mangels sprachlicher Fähigkeit nicht auf sich aufmerksam hatte machen können), sodass diese Tilla kurzerhand am Arm berührte und mit einem leisen Flüstern noch unterstrich, dass sie mitkommen sollte: "Das hier ist kein Ort für uns!" Zumindest ein Punkt bei der ganzen Sache war beruhigend - dass nicht nur meine Sklavenschaft bisweilen aufmüpfig und unangemessen reagierte, sondern dass dies auch in anderen Haushalten zu passieren schien und folglich nicht alleine an meiner Unfähigkeit liegen konnte, allzu streng zu sein, um Zucht und Ordnung zu halten - letztendlich waren diese jungen Sklavinnen ohnehin halbe Kinder.


    Entschuldigend blickte ich zu Prisca, hoffend, der Zwischenfall hätte ihr nicht die Laune verdorben, und meinte dann: "Was denkst Du, wollen wir uns ein kleines Frühstück genehmigen? Die rechte Zeit wäre es jetzt auf jeden Fall dafür, und ich muss gestehen, unser kleiner Ausflug ins Meer hat mir doch einen gewissen Hunger aufkommen lassen."
    Nicht nur nach Speisen allein stand mir der Sinn, bot sie doch mit dem kunstvoll hochgesteckten Haar, ohne die viele Schminke, die bei Frauen unserer Herkunft üblich war, einen reizvollen, sinnlichen Anblick, der mir durch die intime Nähe im Zelt noch ein wenig atemberaubender schien als noch zuvor, da ich sie auf meinen Armen getragen, vor mir im Sattel gehalten hatte. Auch wenn wir uns jetzt nicht berührten, es hätte in jedem Augenblick so weit seion können, und die Tatsache, dass viele ablenkende Gerüche fehlten, ich mich so einzig und alleine auf den ihren konzentrieren konnte, machte mir die Sache nicht gerade leichter.
    Iuppiter, lass mich standhaft bleiben, flehte ich im Stillen und versteckte meinen Genuss hinter einem gleichbleibend warmherzigen, aber doch gemäßigten Lächeln. Dass es so schwer werden würde, hatte ich mir wahrlich nicht ausgemalt. Und schätzungsweise war Iuppiter für eine solche Bitte auch nicht der richtige Adressat.

    Diese blöden Widder und ihre noch blöderen Händler begannen ganz empfindlich an meinem ohnehin bereits angekratzten Nervenkostüm zu zerren. Es konnte doch nicht sein, dass wir hier kein ansehnliches Opfertier mehr finden konnten - die etwas klein wirkende Tiergestalt, vor der mein patronus nun stehengeblieben war, war nicht im mindesten dazu angetan, meine Begeisterung hervorzurufen, und die frechen Worte des Händlers taten ihr übriges, meine Laune noch ein Stückchen weiter in den Keller sacken zu lassen. Im Grunde hatte ich nicht erwartet, dass Purgitius Macer mein Angebot annehmen würde, aber ein bisschen fuchste es mich doch, so rundweg abgelehnt worden zu sein - nun, damit musste man eben leben, auch wenn es einem nicht so gut gefiel.


    "Nun, nachdem das Tier geopfert werden soll, zum Wohle der Götter und auch zu dem Deinen," damit blickte ich den Händler genauso wütend an, wie ich gerade war, was mitsamt meiner blutverschmierten Kleidung ganz sicher einen interessanten Effekt verursachte, "ist es wohl unwahrscheinlich, dass er noch wachsen wird, und deswegen werden wir ihn für 90 Sesterzen nehmen, allerhöchstens ... und für die nächsten Opfer merke ich mir Deinen Namen." Einige Aufträge konnten da durchaus mit herausspringen, es war zumindest ein Angebot, über das man nachdenken sollte, und man konnte es hinter der Stirn des Händlers förmlich arbeiten sehen. Während dieser überlegte, wandte ich mich zu Lucanus. "Nun, vor einem großen Opfer ist das sicher bedenkenswert, aber zum einen hoffe ich doch, dass wir heute nicht noch ein halbes Dutzend Tiere opfern müssen, sondern nur noch eins, zum anderen .. der Tempel hat für derlei Tiere keine Stallkapazitäten, und die Tiere dann unterstellen zu lassen, bis wir sie brauchen, verschlingt sicher einen guten Teil des Rabatts. Aber vor dem nächsten Staatsopfer ist der Gedanke sicherlich wert, ihn zu berücksichtigen."

    Sie schien dieses wilde-Tiere-Thema nicht mehr loslassen zu wollen, und irgendwie amüsierte mich das. War sie mir nicht auf der Meditrinalia als die bravere und beherrschtere der beiden Aurelierinnen erschienen, hatte ich ihr nicht auch deswegen Prisca vorgezogen? Natürlich war ich mit meiner Wahl zufrieden, aber ich hatte doch anscheinend einen wesentlichen Punkt ihres Charakters in all meinem Wunsch, an diesem Abend irgendwie gesellschaftlich etwas herzumachen und nicht wie sonst mit ein paar Bechern Wein in einer stillen Ecke zu verschwinden, übersehen - nun, wären wir erst einmal verwandt, wäre dies sicherlich ein Umstand, der sich als weiterführend interessant erweisen würde. Frauen hatten einen ganz besonderen, eigenen Humor, der mir oft lieber war als der der meisten Männer, wo Männer gern laut und zotig wurden, waren die meisten Frauen hintergründig und intelligent.
    "Bleibt nicht ein wildes Tier doch letztendlich stets ein wildes Tier? Du magst ihm vielleicht einige Dinge abgewöhnen, und es ab und an einfangen, aber letztendlich kannst Du das Wesen doch nicht grundlegend ändern, ohne es zu brechen - und das wäre, gerade wenn man Wildheit zu schätzen weiss und danach im Besonderen sucht, doch traurig zuletzt und wenig erstrebenswert, findest Du nicht?"


    Ich ließ die beiden reden, im Grunde hatte ich mein Werk bereits getan, sie unterhielten sich freimütig, sie hatten sich kennengelernt, fanden sich nicht abstoßend, wenn ich beider Mimik und Gestik betrachtete, und so mochten die Dinge ihren Lauf nehmen, wie sie es seit jeher getan hatten, um aus Mann und Frau ein Paar werden zu lassen. Natürlich war dies noch ein sehr früher Gedanke, der sicherlich nicht allzu schnell laut ausgeformt werden sollte, aber wenn sie sich mochten, würde sehr vieles deutlich leichter sein und sich leichter ergeben. Gerade meinem Neffen wünschte ich jenes Glück, das weder Gracchus noch ich jemals haben würden, und in solchen Momenten wie diesen, in denen ich die leichte Tändelei zweier noch junger, vom Leben noch nicht schwer gezeichneter Menschen beobachten konnte, fühlte ich mich seltsam gealtert. Manches hätte sich einfach nicht ereignen dürfen ... mein Blick schweifte von beiden ab, und während ich ihnen folgte, verloren sich meine Gedanken ein wenig. Auch wenn Lucanus noch ein bisschen ... salopp ... daherredete, schien es ihr doch zu gefallen, und so beschloss ich, mich alsbald davonzumachen, wühlte in einer Falte meiner toga nach dem Goldbeutel und zählte in einen kleinen Ersatzbeutel ein paar Sesterzen ab, die Lucanus sicherlich brauchen würde können, um seiner Begleiterin Erfrischungen zu kaufen.


    "Ich hoffe, ihr beiden könnt mich nun entschuldigen - mir ist eingefallen, dass ich noch beim praetor vorbeischauen muss, und das sollte möglichst bald geschehen. Nimm dies," damit drückte ich das Beutelchen Lucanus in seine Hand, "..und mach Dir einen schönen Tag, den hast Du Dir redlich verdient. Ich hoffe allerdings, dass ich in der Zukunft noch ein andermal und dann ausführlicher die Gelegenheit erhalten werde, Deine Gesellschaft zu genießen, Aurelia Helena - verwirre mir meinen Neffen nicht zu sehr, den Rückweg sollte er heute schon noch zur villa Flavia finden, und gerade bei Deinem strahlenden Lächeln befürchte ich doch, dass er eher mit verwirrten Sinnen an der nächsten Wand landen wird." Ich zwinkerte ihr vergnügter zu, als ich mich gerade fühlte, nickte den beiden noch einmal zu, ohne in irgendeiner Weise dazu bewegt werden zu können, den Beutel zurückzunehmen, sollte Lucanus das versuchen, und tauchte in die Menge ein, um darin alsbald zu verschwinden, nicht ohne mich durch einen letzten Blick dessen zu versichern, dass sie einander noch gewogen schienen.

    Ich reichte meinem Begleiter den Schaber und blieb entspannt stehen, damit ihm sein Werk leichter fallen würde - letztendlich waren wir uns doch trotz allem noch fremd, auch wenn wir uns wohl sympathisch waren, und ich hatte es nicht eilig, ihm die Schattenseiten meiner Persönlichkeit allzu deutlich zu präsentieren.
    "Nun, ich muss Dir widersprechen - eine gute Heirat kann man nicht früh genug zu planen beginnen, letztlich geht es vor allem um politische Verbindungen der Familien, nicht unbedingt allein um jene beiden, die vereint werden - und wenn man nicht bedächtig und klug agiert, bringt man Unglück über beide Seiten, die Familie und die Ehepartner. Lucanus ist noch jung, ja, und sieht vieles noch mit unschuldigen Augen - ich sähe ihn lieber jetzt vermählt und froh um die einfache Freude der Ehe, als älter, unvermählt und von dieser Stadt verdorben durch die vielfachen Genüsse, die Rom bietet und die einen Menschen allzu leicht vergessen lassen können, wer er ist und wem er Respekt und Achtung schuldet."


    Gemütlich betrachtete ich die Mosaikfresken der Wände, während Ursus mit dem Schaber zu Werke ging, die Gedanken verloren sich etwas dabei, und ich musste unwillkürlich überlegen, ob ich unverdorben genug für eine glückliche Ehe war. Wahrscheinlich gab es in ganz Rom keinen Menschen, der sich so wenig eignete, um eine Frau glücklich zu machen, und ob dieses bitteren Gedankens musste ich den Atem einige Momente lang anhalten, um nicht zu seufzen und mich dann zu verraten.
    "Nun, erwarte nicht zuviel, sie ist immerhin keine Göttin - aber doch eine reizvolle junge Frau. Ich bin gespannt, ob sie Dir gefällt. Im Grunde kann ich kaum glauben, dass es für Dich noch keine ernsthafte Suche nach einer Gemahlin gab, bei uns ist das schon lange genug Thema, einer meiner Vettern ist bereits verlobt, ein anderer vermählt ..."