Beiträge von Caius Flavius Aquilius

    In ihren Augen stand der Abgrund so offensichtlich, dass ich bis ins tiefste Innere erschrak - denn sie spiegelte mich, spiegelte einen Menschen, der nicht von Verboten gehemmt war, der sich nicht selbst einschränkte, um das Düstere in sich selbst zu verstecken, der ungehemmt alles aus sich herausließ, was ihn bewegte, ärgerte ... sie liebte hemmungslos und leidenschaftlich, ich hatte es am eigenen Leib erfahren, wie fordernd und zugleich hoffend sie sein konnte. Ein kleiner Teil von mir sah in ihr auch die Art Mensch, die ich hätte werden können, hätte ich nur einige wenige Schritte anders vorgenommen, als ich sie getan hatte. Ein kleiner Teil von mir entdeckte in ihr etwas zutiefst vertrautes und zugleich zutiefst erschreckendes. Dunkel spiegelte sich ihr Hass in ihren Augen, ihre Verzweiflung, ihre Wut, aber auch die Hilflosigkeit, vor ein Problem gestellt zu sein, das sie nicht lösen konnte, deswegen dieser Ausbruch, das zerstörte Zimmer. Ich sah nicht allein ihr cubiculum in diesem Augenblick. Ich sah auch das meinige, welches ich vollkommen verwüstet hatte, vor einigen langen Jahren. Vor der Zeit des Vergessens, vor alledem, was sich ereignet und mich geformt hatte wie nichts sonst. Ich sah einen Menschen, der sich nicht anders zu helfen wusste, als zu zerstören, aus einer bitteren Einsamkeit heraus, die nicht zu lindern war.
    Sie liebt jemanden. Abgrundtief. Und es ist eine verbotene Liebe. Es musste so sein, denn nichts bewegte die Menschen so sehr wie die Liebe, nichts brachte sie so sehr an ihre eigenen Abgründe, ließ sie eigene Grenzen überschreiten.


    Ich hielt sie, und es dauerte lange, bis ich ein Wort fand, das ich hätte sprechen können. Wir sind uns so ähnlich, Callista. Du bist nur einen Schritt weiter gegangen als ich. Mich hat jemand gerettet. Er hat mich gerettet. Will dich denn niemand zurückhalten?
    "Warum will man Dich wegschicken? Ist es Dein Vater? Was geschieht, Callista mea? Ist etwas ... wegen ...?" War sie etwa schwanger und ihr Vater hatte davon erfahren? Dass er noch lebte, wusste ich, er war einer meiner Salier. Sie stand ganz sicher unter seiner patria potestas. Vielleicht hatte er auch eine neue Ehe arrangiert, die sie nicht haben wollte ... dann glitt sie aus meinen Armen, der Schlange zu, und wieder war ich nur ohnmächtiger Zuschauer. Wie sicher sie mit diesem Tier umging, sie wusste zweifellos, was sie tat, das verriet der sichere Griff unter den Kopf der Schlange. Sie hatte keinen Moment gezögert, das giftige Tier zu berühren, sie hatte keine Angst. Es musste ihre Schlange sein, und dass ein Sklave tot auf dem Boden lag, war dann auch ihr Werk. Schlangen krochen nicht einfach so durch zerstörte Räume. Sie hassten Erschütterungen und verkrochen sich dann, wenn die Erde bebte, auch das hatte ich vor langer Zeit gelernt. Oft genug hatte ich meine Mutter wegen ihrer übertriebenen Sorge verlacht, aber jetzt ... jetzt war dieses Wissen aus den Tiefen meines Gedächtnisses unerwartet hilfreich.


    Ich blickte mich nach dem Schlangenkorb um und entdeckte ihn auch, hob ihn vom Boden auf, samt dem geflochtenen Deckel und trat an ihre Seite, hielt ihr jenen auffordernd und geöffnet hin. "Ich denke, es ist besser, Du legst sie jetzt weg, bevor ein weiterer Sklave unnütz stirbt. Und dann erklärst Du mir, warum es hier so aussieht und was eigentlich passiert ist." Den Blick wandte ich zu jenen, die noch immer mit Schmuck und anderen Besitztümern der Callista im Raum herumstanden, jetzt vage entspannter, da die Schlange keine Gefahr mehr schien - aber noch immer argwöhnisch, denn die eigentliche Schlange würde für sie immer gefährlich bleiben.
    "Steht nicht herum wie die Ölgötzen! Bringt den da weg, es sieht hier aus wie auf dem Schlachtfeld!" herrschte ich die Sklaven an und deutete auf den Toten. Es war zwecklos, daran einen weiteren Gedanken zu verlieren, sie würde den Verlust seinem Besitzer erklären müssen, nicht ich ... mir war es wichtiger, zu wissen, ob ich mich getäuscht hatte. Ob sie war, was ich in ihr zu sehen glaubte. Ich hatte nicht einmal Angst. Vor einem Spiegelbild meiner Selbst hatte ich schon lange keine Furcht mehr, auch nicht vor einem dunklen Spiegelbild. Diese Zeit war lange vorbei.

    "Es wird außerhalb dieses Raumes wohl niemals möglich sein, dass ein Mensch so ist, wie er ist. Auch ich trage eine Maske, ein jeder trägt eine Maske, die das Innerste verbirgt, denn man kann es für gewöhnlich nur den allerwenigsten Menschen zeigen, und noch weniger Menschen anvertrauen," sagte ich langsam und streckte eine Hand zu ihr aus, nach ihren Händen greifend, um sie behutsam zu halten. "Was immer Du für mich empfindest, Bridhe, ich fühle mich dadurch geehrt. Es ist ganz sicher ein Geschenk, das ich nicht missachten werde, wenn ich es schon nicht so teilen kann, dass Du damit glücklich wirst. Und es gibt noch einen Menschen, für den Du empfindest, und der für Dich empfindet. Ich wünsche Dir, dass er vermag, was ich Dir nicht geben kann." Severus war bisher nicht Teil unseres Abends gewesen, aber das machte ihn keinesfalls nichtexistent. Sie hatte mir einmal gesagt, was sie für ihn empfand, und ich konnte kaum glauben, dass dies nicht mehr vorhanden war - wahrscheinlich verstanden sie sich gerade einfach nicht gut, und deswegen war sie zu mir gekommen ... nein, ich hatte Severus nicht vergessen, und ich würde es auch nicht.


    "Ich habe niemals vergessen, dass Du ein Mensch bist, dass Du empfindest ... nur ... Dein Bedürfnis nach Schönheit war mir nicht so sehr bewusst. Du sagtest mir, dass Du Musik magst - wenn Du es möchtest, werde ich einen Lehrer finden, der Dich mit den Instrumenten vertraut macht, die es gibt, und sicher findet sich auch eines, das Dir liegt. Schönheit liegt in so vielen Dingen, da hast Du ganz Recht, und ich sehe nicht, warum Du daran keinen Anteil haben solltest," überlegte ich laut und richtete mich dann auf, rutschte auf dem Bett zu ihr (den Schmerz in meinem Rücken ignorierend, der sich jetzt wieder meldete, da die leidenschaftlichen höhenflüge ihn nicht mehr unterdrückten) und blieb an ihrer Seite sitzen, um ihren Kopf in meine Hände zu nehmen - und während sie mich anblickte, küsste ich behutsam jene Reste ihrer Tränen weg, die sich dort noch befinden mochten.

    "Manchmal muss man wohl etwas wagen, um Erfolg zu haben, sei es im Kauf eines Tiers, das alle anderen für wild und unbezähmbar halten, sei es im Wagnis eines politischen Winkelzugs - ich glaube nicht, dass unsere Imperium so groß geworden wäre, hätte niemals jemand etwas gewagt, obwohl andere sagten, dass es Irrsinn wäre. Es geht natürlich auch gern einmal etwas schief, aber das ist doch nur zu normal. Man kann nicht immer gewinnen, aber man sollte es doch immer versuchen," gab ich zu ihren Worten über meinen Lapsus zurück und lächelte etwas. Sie schien meinen riesenhaften Hengst zu mögen, und das gefiel mir, zu viele Frauen fürchteten sich vor Pferden, und machten es somit unmöglich, sich ab und an auch einfach ohne allzuviel Umstände fortzustehlen, wenn einem danach war.
    Ihre Haltung konnte nicht bequem sein, zumindest stellte ich es mir ausgesprochen unbequem vor, quer auf dem Rücken eines Pferdes zu sitzen, auch wenn es so einen breiten Rücken hatte wie mein Lapsus - aber sie ertrug es klaglos, und vor allem mit einem Lächeln, das mich schwindeln machte. Die Wärme ihres Körpers an dem meinen zu spüren, ihren Arm um meine Tallie, und gleichsam zu wissen, dass sie ihre Haltung bewahrte, allein das erschien mir schon als ein besonderes Geschenk. Sie schien den starken Willen der Aurelier zu besitzen, und gerade dies hatte ich nicht zu hoffen gewagt.


    Den Rückweg würden wir anders nehmen, entschied ich und machte mir darüber einen geistigen Vermerk. Es würde nicht schwer sein, eine Sänfte zu organisieren, und wahrscheinlich würde uns dadurch noch etwas mehr Zeit geschenkt - ich wollte sie schließlich nicht martern. "Ich quäle Dich nicht, Aurelia Prisca, zumindest versuche ich nicht, es zu tun, denn dafür schätze ich Dein offenes Lächeln viel zu sehr - es soll beileibe nicht zu einem gequälten Lächeln werden. Verzeih mir, dass es so viele Ideen sind, mit denen ich Dich überflute, doch war ich mir unsicher, was Du schätzen würdest - und da habe ich lieber zuviel Auswahl, unter der wir etwas passendes finden können, als zuwenig, und eine enttäuschte Begleiterin." An einem Tag hätten wir dies alles ohnehin nicht geschafft, und an einen zweiten zu denken, sie über Nacht ihrer Familie fernzuhalten, daran war nicht zu denken, so gut ich auch mit Corvinus befreundet war, er würde sich nicht freuen, wenn ich sein Vertrauen zu sehr strapazierte. Nein, eine Rückkehr mitten in der Nacht wäre so viel realistischer ... es würde einfach aussehen, als hätten wir versucht, pünktlich zu sein, und niemand konnte Einspruch erheben. Gesetzt den Fall, wir würden uns heute gut verstehen, schließlich konnte ich dies nicht planen, auf alles andere war ich vorbereitet.


    Eine Weile schwieg ich, denn nun kam uns eine Masse an Menschen entgegen und ich hatte einiges zu tun, Lapsus sicher durch diese zu steuern, ohne dass wir zu sehr aufgehalten wurden, dann aber hatten wir jene hinter uns gebracht, die ebenfalls neugierig meinem Tier und der schönen Prisca hinterherblickten - und so kam ich erst zu einer neuerlichen Antwort, als wir eine der größeren Straßen erreicht hatten, die zu Roms Stadttoren führte.
    "Eine Bootsfahrt und ein Bad im Meer - ja, das klingt nach einem guten Anfang. Danach können wir uns stärken und in Ruhe überlegen, wie der Tag weitergehen soll, einverstanden? Zur Zeit der Mittagshitze wird es ohnehin besser sein, ein wenig zu ruhen, und danach bleibt immerhin noch ein halber Tag übrig ..." Ich wandte den Kopf zu ihr und betrachtete ihr feingeschnittenes, edles Gesicht. War sie sich überhaupt darüber bewusst, wie anziehend sie wirkte, diese Mischung aus Intellekt, Schönheit und Unschuld? Es wunderte mich, dass nicht noch mehr Bewerber vor Corvinus' Tür standen und um ihre Hand baten, oder hatte er sie gar abgewiesen, um mich, seinen Freund, der Familie zu verbinden? Das Thema 'mögliche Ehe' brannte mir auf der Zunge, aber ich durfte es nicht überstürzen. In einem jedenfalls war ich mir jetzt schon sicher: Dass es mit ihr nicht langweilig werden würde.

    Das Geschwätz verstummte, sei es, weil ich die Menge so zornig angesehen hatte, sei es, weil sie das Gebet nicht verpassen wollten - wenn ein Senator ein blutiges Opfer darbrachte, was nicht allzu häufig geschah, war damit immer ein besonderer Umstand verbunden, und die Neugierde der Menge war geweckt - sei es, dass sie sehr genau wussten, dass der Zorn des Opferherrn sie treffen würde, wenn sie nicht schwiegen und damit das Opfer unmöglich machten - es war mir ganz gleich, Hauptsache, sie waren ruhig. Nichts war schlimmer als eine durch eine stetig brabbelnde Geräuschkulisse abgelenkt zu werden, ich hatte das immer schon gehasst.
    Mit dem nötigen Ernst ließ ich mir nach der rituellen Handwaschung und der Trockung unserer Hände durch das malluium latum einen Krug Wein reichen - natürlich hätte es für die Weihung auch mola salsa geben können, aber ich bevorzugte den Wein, da Mars Wein schätzungsweise lieber mochte als diese ekelhafte Salzlakedinkelschrotpampe, zumindest schätzte ich meinen Gott so ein - und es ging heute darum, Mars zu gefallen. Es war zudem ein sehr guter Wein, ein teurer Falerner, aber nicht ich musste das Opfer zahlen, sondern mein patronus, und ich war mir sicher, in seinem Sinne gehandelt zu haben.


    Langsam goss ich den Wein über das zottelige Haupt des Widders, der mir kauend entgegenblickte, irgendwer musste ihn gefüttert haben, um ihn ruhig zu stellen, dann über den Rücken und sprach dabei die Weiheformel:
    "Mit diesem Wein aus roten Reben weihe ich Dir, O Mars, diesen Widder, auf dass Du dieses Opfer annimmst und den Worten des Spurius Purgitius Macer Gehör schenkst!" Einige der Leute in der Menge, die zwar gesehen hatten, dass ein Senator opferte, aber nicht, welcher, murmelten leise vor sich hin, wohl eine nur zu verständliche Reaktion auf die Befriedigung des Triebes der Neugierde, welcher jeden Menschen bewegte. Ich trat, nachdem der letzte Tropfen Wein vergossen war, an die Seite des Senators und reichte ihm mein Opfermesser - er als Opferherr hatte nun die Aufgabe, das Tier rituell zu entkleiden.

    Großzügig nannte er mich, ich hätte fast vor Bitterkeit gelacht. Letztendlich war er der letzte einigermaßen enge Verwandte, der mir aus dem hispanischen Zweig der Familie geblieben war, und ich war heilfroh, dass er anscheinend nicht unter Messalinas Einfluss gelitten hatte, dass er normaler schien als die meisten meiner anderen Verwandten und ich selbst. Lucanus schien die Dunkelheit der Flavier nicht anzuhaften, und wenn es eines gab, was mich dessen froh machte, dann war es wohl dies.
    "Gehen wir zum Markt, das hier wird ja ohnehin noch eine Weile dauern - und ich esse nicht gern im officium, es stinkt sonst den ganzen Tag darin nach Essen." Was mit auch ein Grund war, warum so viele langjährige Beamte unglaublich schnell ansetzten. Der Geruch nach frischem Essen war nun einmal verlockend, und wenn er sich in einem Raum nachhaltig hielt, dann konnte das nur zum Nachteil des im Raum befindlichen Mitarbeiters sein. Straton blickte nicht gerade erfreut zu mir, immerhin würde die ganze Arbeit nun an ihm hängen bleiben, während wir etwas aßen, aber ich beruhigte mein Gewissen durch den Gedanken, dass ich ihm etwas mitbringen würde und erhob mich. "Brauchst Du noch irgendwelches Schreibzeug? Das können wir dann ja auch gleich einkaufen, wenn wir ohnehin auf die Märkte gehen."

    Sie hat es ernst gemeint. Es war eine erschreckende Erkenntnis, aber gleichzeitig auch eine, die mich hilflos machte. Ich kannte Liebe nur als etwas, das man sich vielleicht erhoffte, vielleicht erträumte, ab und an einen winzigen Beweis dessen, was sein könnte, flüchtig in den Händen hielt, um zusehen zu müssen, wie er verging - nicht in der gelebten Leidenschaft, und auch nicht verbunden mit dem Wunsch nach Zärtlichkeit. Als sie zu weinen begann, erschütterte sie mich damit mehr, als es jedes zornige Wort hätte tun können, und letztendlich war es schrecklich genug, dass ich ihr den Trost niemals würde geben können, den sie sich erhoffte. Weil es auch für mich keinen Trost gab.
    "Bridhe ... nun weine doch nicht ..." Meinen Worten musste die Hilflosigkeit anzuhören gewesen sein, und vorsichtig berührte ich ihren Arm, als könnte sie einem Traumgespinst gleich zerbersten. "Wäre es Dir lieber, ich hätte gelogen? Dir ein Gefühl vorgeheuchelt, das ich nicht so teilen kann? Ich mag Dich, Bridhe, und ich werde tun, was ich kann, um Dir ein Freund zu sein, soweit es mir möglich ist. Dein Leben muss nicht schrecklich sein." Dieses schiefe Lächeln unter Tränen war es, das mich mehr als alles andere anrührte, denn es schien mir, als spiegelte es in seiner Hoffnungslosigkeit all jene Momente, in denen ich verzweifelt gewesen war.


    "Denkst Du, ich verbiete Dir dieses balneum, weil es mir so viel Spaß macht? Dies ist eine der Regeln dieses Hauses, und auch wenn ich zur Familie der Flavier gehöre, es ist nicht mein Heim, und ich bin nur ein geduldeter Gast, weil es für den Sohn des Hausherrn keine Möglichkeit gibt, mich aus dem Haus zu jagen, ohne dass es für ihn peinlich enden würde. Diese Regeln sind es, die ein jeder hier befolgen muss, auch ich, auch mein Haushalt, und damit auch Du, wenn Du nicht willst, dass etwas geschieht, wovor ich Dich nicht werde schützen können. Es gibt schönere Orte als diesen einen Raum, und wenn Du sie sehen willst, dann nehme ich Dich mit in die Stadt, und zeige sie Dir. Die Thermen beispielsweise, die Basilica Iulia. Es gibt noch so vieles, das Du nicht kennst, und bei dem weit weniger die Gefahr besteht, dass ein missgünstiger Verwandter, der meinen Familienzweig nicht leiden kann, aus irgendeinem Grunde seine Laune an Dir auszulassen gedenkt," sagte ich ernst und blickte in ihr vom Weinen verquollenes Gesicht, ohne den Blick abzuwenden. "Ich werde Dich nicht zurückhalten, wenn Du gehen möchtest, aber ich würde mir wünschen, Du bliebest. Es gibt wohl einige Dinge, die ich Dir erklären muss, warum hier vieles so ist, wie es ist ... und ..." Ich atmete leicht ein. "... es wäre schöner, wenn Du bliebest."

    Zitat

    Original von Marcus Aelius Callidus


    "Es wird mir wie immer ein Vergnügen sein, den allzu Maßlosen ein bisschen Gold aus der Tasche zu ziehen und mitzusteigern, wenn ich mir denke, dass sie es übertreiben," gestand ich schmunzelnd meinen Spaß an der ganzen Sache. Nicht, weil es mir unbedingt immer darum ging, einen Sklaven zu ersteigern - aber die stille Wut eines feisten alten Mannes, der sich eine junge Gespielin kaufen wollte und mehr dafür bezahlen musste, als er geplant hatte, war immer wieder amüsant.
    Was er mir allerdings von seinem eigenen Lebensweg berichtete, klang nach einer interessanten Geschichte - war er nicht auch comes Italia gewesen?


    Ich versuchte mir Fakten in Erinnerung zu rufen, die schon eine Weile alt waren, jetzt hätte ich Felix' nomenclator wirklich brauchen können, der sich an solche Dinge stets erinnert hatte.
    "Ich denke, langfristig wäre der cursus honorum für Dich eine gute Wahl. Rom braucht Senatoren, die ihren Kopf zu gebrauchen wissen, es gibt zu viele eitle Schwätzer in diesem Gremium, und auf lange Sicht bedarf es eines frischen Windes, der nicht vergisst, dass die einfachen Menschen auch leben wollen, und es am Senat sein sollte, dies zu gewährleisten. Dem Kaiser nahe zu sein ist eine Sache, sein Vertrauen wird Dir sicherlich auch als Senator zugute kommen können."

    Nichts konnte diesen perfekten Moment der Stille zerstören ... oder doch? Ja, doch. Hatte sie das gerade wirklich gesagt oder gaukelten mir das meine entspannten Sinne einfach nur vor? Ich liebe Dich. Bisher waren dies Worte gewesen, die ich selten gehört hatte, und nur sehr wenige Male gesprochen, immer nur zu einem Menschen. Orestilla hatte es gesagt, als ich noch glaubte, ihr Mann zu sein in der Fischerhütte. Auriana Livia hatte es gesagt, als sie mir alle Spielarten der körperlichen Lust beigebracht hatte und dabei gemerkt, dass sie und ihren Gemahl nicht mehr viel verband. Gracchus hatte es gesagt, nur sehr wenige Male, und jedes Mal gefürchtet, die Rache Iuppiters würde ihn treffen, wenn er es sich eingestehen würde. Du liebst doch Severus, hätte ich sagen sollen. Oder lügen: Ich liebe Dich auch. Aber es war der einzige Satz, den von mir niemals ein Mensch vernehmen würde, wenn es nicht unbedingt richtig war. Man konnte vieles vortäuschen, heucheln, die gesellschaftliche Maske aufsetzen und hoffen, dass der Tanz weiterginge. Aber Liebe ... Liebe war genau wie die Ehe etwas, worüber ich nicht scherzte. Niemals scherzen würde. So streichelte ich nur ihren Arm, ihre Wange mit meinen Fingern und schwieg, denn es gab nichts, was ich hätte erwiedern können, und was ihren Worten angemessen gewesen wäre, wenn sie wirklich aus einer Empfindung heraus geäussert worden waren.


    Liebe ist doch letztendlich nur grausam. Ja, mich hatte sie eher gestraft, und seitdem lauschte ich ihr nicht mehr so aufmerksam. "Die Delphine?" Es klang verblüfft, der Gedankensprung war so weit, dass ich dem nicht ganz folgen konnte - und dann begriff ich. Die Sache mit dem balneum. Natürlich, das musste ihr noch im Kopf herumspuken.
    "Es ist ein Ort für meine Familie, Bridhe, und jeder meiner Verwandten wird Dich grausam strafen, wenn er Dich dort vorfindet, ohne dass Du dorthin gerufen wurdest - halte das im Gedächtnis, wenn Du wieder daran denkst, das balneum aufzusuchen, wenn ich nicht bei Dir bin. Ich nehme Dich gerne mit, aber ansonsten muss Dir in Deinem eigenen Interesse das balneum der Sklaven ausreichen."
    Ich hätte es auch anders erklären können ... dass dies ein Refugium war, bei dem man versuchte, mit den eigenen Gedanken allein zu sein, fernab der Welt. Aber ich fürchtete, dass diese Erklärung ihr eher Öl ins eigene Feuer gegossen hätte, also blieb ich bei den Tatsachen, auch wenn sie schmerzhaft waren.

    Vieles hatte ich erwartet, an diesem Abend zu Gesicht zu bekommen. Eine Lasterhöhle, in der ich sie mit einem Gespielen oder einer Gespielin vorfinden würde, schon in tiefster Glut vereint. Ein Studierzimmer, in welchem sie ihre Kenntnis der Literatur vertiefte, nebenher einen ausgezeichneten Falerner feinsinnig verkostend. Einen Wohnraum, gut gefüllt mit edelsten Erzeugnissen wahrhaft kundiger Hände, wohlgestalte Statuen, güldene Verzierungen an den Wänden, jenen Geschmack atmend, den sie zweifelsohne besaß - aber von alledem war nichts zu erkennen, ich betrat ein Schlachtfeld, und es war das Letzte, was zu sehen ich jemals erwartet hätte. Alles schien derangiert, auf dem Boden lagen Scherben, der Raum schien in wüster Unordnung, wie nach einem erbitterten Kampf und ... es lag tatsächlich ein Nubier auf dem Marmor, das Gesicht so gräßlich verzerrt, der Körper so unnatürlich verdreht, dass ich nach einem Blick wusste, dass er tot war. Genauer gesagt, ich hatte es schon vorher gewusst. Manche Arten von Schreien vergaß man niemals, und dass dies ein Todesschrei gewesen war, wusste ich genauso, ebenso sicher, wie meine Erinnerung an jenen Tag bestand, an dem ich zum ersten Mal einen solchen Schrei vernommen hatte, die Nebel des Vergessens hatten mir dies niemals genommen.


    Dass dieses Bündel Mensch, welches vor meinen Füßen auf dem Boden zu liegen kam, meine stolze und schöne Callista sein sollte, kam mir erst nach einigen Momenten der Stille in den Sinn. Die Karten waren neu gemischt, das Rad der Fortuna hatte sich gedreht - das schien auch jenen Kerlen zu dämmern, die im Raume standen und ihren Blick zu mir gewandt hatten - wie lange auch immer jemand in Rom weilen mochte, den Anblick einer toga praetexta war auch Sklaven und peregrini wohlvertraut. Wer Hand an einen Magistraten legte, hatte meist nicht mehr viel zu lachen. Ein leises Wimmern erklang schräg hinter mir, der Sklavenjunge, der mich geführt hatte, deutete verängstigt auf den Frisiertisch an der Wand, unter dem sich bei näherem Hinsehen etwas zu bewegen schien. Hatte sie hier etwa Schlangen im Zimmer? Vor allem, warum war hier eine Schlange? Hatte man versucht, sie zu ermorden? Inmitten des Heims ihrer gens? Aber wie Mörder sahen diese Kerle nicht aus, wahrscheinlich Sklaven - sie wirkten schlichtweg nicht schuldbewusst genug. Selbstbewusstsein entwickelte ihresgleichen nur auf Weisung und mit der Rückendeckung eines derjenigen, die etwas zu sagen hatten. Ich neigte mich langsam herab, den Blick noch immer auf den fernen Frisiertisch gerichtet, um Callistas Arm zu berühren.


    Nahm sie mich überhaupt wahr? "Hol einen langen Stock mit einer gegabelten Spitze," wies ich den vor Angst zitternden Sklavenjungen hinter mir an, und er verschwand eilends - die Schlange musste eingefangen werden, bevor sie noch mehr Schaden anrichten konnte. Es war vielleicht ein Zeichen einer gewissen paranoiden Grundhaltung dem Leben gegenüber, aber als Patrizier lernte man so einiges über Gifte, auch über Gegengifte, und wie man sich gegen Giftverursacher wehrte - ich wusste, wie man Schlangen fing und ich würde nicht dumm genug sein, sie selbst anzufassen. "Callista ... Callista mea," sagte ich leise, drängend. Hörte sie mich? War sie fähig zu erkennen, wer ich war? Meine Finger umfassten ihren Arm, nicht fest, aber eine merkliche Geste, um sie aus diesen Delirium des Zitterns zu reißen - dass es helle Wut war, wusste ich schließlich nicht. Durch meine Ankunft waren jedenfalls die Sklaven aufgehalten worden, die ihre Sachen heraustragen sollten - Kunststück, ich stand in der Tür und Callista kauerte noch immer vor mir. Wo war ich denn da hineingeraten?

    Sie war also doch zugegen, erfreulich - das ersparte mir das abermalige Wiederkehren an einem anderen Tag, und im Grunde wartete ich auch nicht unbedingt gerne, wenn ich etwas wollte. Ich war zu Geduld fähig, aber eben nicht immer und nicht an jedem Tag gleichermaßen. Zudem hatte ich sie jetzt doch eine erklekliche Weile nicht wiedergesehen und nachdem sie mich dann doch immer wieder in meine Gedanken geleitet hatte, was selten genug geschah, dachte ich mir, es wäre Zeit, die Erinnerung zu vertiefen. Die beiden Sklaven blieben mit dem Tragestuhl zurück, ebenso Straton - ich würde ihn kaum brauchen in Callistas Gegenwart, sodass ich dem jungen Sklaven wohlgemut und gutgelaunt ins Innere der villa folgte - ohne zu ahnen, was sich meinen Blicken dort darbieten würde...

    "Salve! Mein dominus, Caius Flavius Aquilius, amtierender tresvir capitales, wünscht die domina Claudia Callista zu sprechen," leierte mein treuer Straton sein Sprüchlein herunter, während ich gemächlich lauschte und noch nicht wirklich Anstalten machte, mich zu erheben, vielleicht war sie ja gar nicht zugegen, und ich hatte mich umsonst bemüht - warum also aufstehen, bevor ich wusste, ob sie anwesend war.
    Allenfalls ein metallisches Scheppern, das anscheinend aus dem Inneren der villa zu kommen schien, unterbrach meine Gedanken - die Claudier mussten wirklich ausgewählt ungeschickte Sklaven ihr eigen nennen.

    Bei seiner schlagfertigen Begrüßung musste ich lachen, und schüttelte den Kopf. "Keine Sorge, ich bin kein Idiot, der das Erbe seiner Ahnen auf einen zu hohen Preis für einen Sklaven herauswirft - meine Sesterzen sind alle selbst verdient. Aber eine interessante Anschaffung wäre er zweifelsohne allemal. Eine gute Haltung, ein ruhiger Blick, ich wundere mich wirklich, dass bisher so zögerlich agiert wurde," meinte ich dann schmunzelnd und blieb neben Aelius Callidus stehen, auch meinen Blick wieder nach vorn wendend. Wahrscheinlich würde demnächst der obligatorische Octavier oder Prudentier mit dem dicken Geldsäckel erscheinen und für einen völlig überzogenen Preis mit diesem Sklaven abziehen - es war schließlich immer wieder in der Vergangenheit passiert. In letzter Zeit hatte einer sogar zwölftausend Sesterzen für eine Sklavin bezahlt, was mir, bei aller Liebe, dann doch ein bisschen zu überzogen war. Ganz so nötig hatte ich es nicht, mit Reichtum zu protzen, um solche Preise zu bezahlen. Man wurde nicht wohlhabend, wenn man sein Geld sinnlos rauswarf.


    Als mir Aelius Callidus gratulierte, lächelte ich merklich. "Ich danke Dir - ohne das Vertrauen des Kaisers wäre mir dieser Weg niemals möglich gewesen, und wahrscheinlich hat auch dies die Senatoren überzeugt, mich zu benennen. Bis vor einem Jahr hätte ich nicht gedacht, dass dies möglich sein würde - und jetzt, nunja, es ist alles anders." Und es fühlte sich gut an. Aber das sagte ich jetzt nicht zu laut, wahrscheinlich hielt er mich noch für einen aufgeregten Knaben, der sich über so viel Lob freute. Nein, dignitas, gravitas und dergleichen mehr waren jetzt ein Gebot der Stunde.
    "Bedenkt man die letzten Preise von Sklaven, dann können wir in den letzten Augenblicken noch mit einer heißen Preisschlacht rechnen. Auch wenn mir zwölftausend oder etwas in dieser Region dann doch als etwas übertrieben vorkommt - meist dann noch für frisch gefangene Sklaven."

    "Wenn sie beide eine glückliche Ehe geführt haben, die durch einen wohlgeratenen Sohn ergänzt wurde, so haben sie bedeutend mehr erlangt als so viele aus unserem Stand, Lucanus," sagte ich mit einem gewissen Anflug von Wehmut in meiner Stimme - dass die Ehe meiner Eltern ein reines Greuel gewesen war, hatte ihm seine Mutter sicher irgendwann einmal unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut. Es war ein gut gehütetes Geheimnis gewesen, im Grunde hatte es wohl jeder in Tarraco gewusst, was sich so bei der gens Flavia zuhause zutrug. Oder aber es war der immer wieder erfolgende Nachkauf von neuem Geschirr gewesen, der die Gerüchteküche lebendig hielt, so genau wollte ich mich daran auch nicht erinnern.


    "Am besten, Du lässt Dir eine Tierfigur meißeln, irgend etwas kleines, nettes, nicht zu leichtes - bestimmt lernst Du später eine Frau kennen, die sich darüber freut, und so ist dann nichts verschwendet. Wir sehen, was er kann und Du hast für die Zukunft geplant," meinte ich schließlich mit dem Anflug eines Grinsens. Zehn Jahre der Leidenschaft mit Frauen machten jeden Mann irgendwann zu einem Pragmatiker. "Transportieren lassen wir per Schiff, das geht schneller und vor allem ist es der sicherere Weg, spätestens im Frühjahr, wenn die Winterstürme abgeflaut sind, sollte uns das viel Zeit und Sorge ersparen."
    Da mein Magen leise knurrte, war der nächste Schritt ein recht einfacher. "Ich würde sagen, wir besorgen uns was zu essen und halten das Ohr an der Straße. Ein Magistrat muss gesehen werden, damit man ihn ernst nimmt, und wir werden uns zeigen. Je öfter man auch Dich sieht, desto einfacher wird es Dir später fallen, den Einstieg zu schaffen."

    Der späte Nachmittag neigte sich bereits dem Abend zu, als ich, nach unzähligen Schlachten gegen Akten aus dem Schrank meines officiums doch etwas geschafft mich gen der villa Claudia tragen ließ. Ich hatte mir nicht einmal eine Sänfte kommen lassen, nur einen Tragestuhl, weil ich die Gerüche der Stadt am heutigen Tag als angenehme Abwechslung zu dem irgendwann doch stickig werdenden Arbeitsraum der Basilica Ulpia empfand, es geschah ohnehin selten genug, dass ich an Rom etwas angenehmes sehen konnte. So waren es auch nur zwei Tragesklaven und Straton, die mich hier begleiteten, auf diesen kleinen Feldzug, um dem restlichen Tag noch einen Lichtblick zu entlocken. Ich hatte damit gewartet, Callista wiederzusehen. Diesmal wollte ich nicht als der Marspriester auftauchen, der ein Spiel mitspielte, diesmal wollte ich mich vorteilhafter präsentieren, als gewählter magistratus in Amtstracht. Als jemand, der mehr war als nur ein Freund eines angenehmen Spiels.
    Mein Sklave tat mir den Gefallen und trat zur porta der villa Claudia, um dort zu klopfen, während ich zurückgelehnt wartete, dass sich dort etwas tat.

    Mein neues Amt erforderte es auch, dass ich mir ein Bild Roms machte - und wo ging es am Besten als auf den Märkten? Nach einem ausgiebigen Rundgang, auf dem ich nicht nur einige meiner Klienten aufgegabelt hatte, sondern auch von so manchem Mann zur gewonnenen Wahl beglückwünscht wurde, den ich noch nie zuvor in meinem Leben gesehen hatte, was ich denjenigen natürlich nicht merken ließ, sondern mich interessiert-aufmerksam erkundigte, ob es irgendwelche Vorkommnisse der letzten Zeit gegeben hätte, auf die sich das Augenmerk zu richten lohnte (die meisten Menschen wurden gern um ihre Meinung gefragt), erreichte ich auch den Sklavenmarkt. Es war nicht ganz so voll wie sonst, und ich erinnerte mich noch, wie ich das letzte Mal hier etwas gekauft hatte - heute schien der Platz vor dem größten Podium allerdings von Müßiggängern bevölkert, die ein bisschen geizig mit ihren Geboten schienen. Der stattliche Kerl auf dem Podium, schwarz wie die Nacht, gab sicherlich einen vortrefflichen Leibwächter ab, und trotzdem schien ihn bisher keiner wirklich haben zu wollen - ich hatte schon ganz andere Preise gehört.


    Als ich das erste in meinen Augen passende Gebot vernahm, blickte ich in die Richtung, aus der es gekommen war, und nickte dem Aelier durchaus erfreut zu - unser letztes Gespräch war angenehm verlaufen und ich hatte es noch nicht vergessen. "1200 Sesterzen!" erhob ich gut vernehmlich meine Stimme und grinste, um mich dann durch die Menge, die mir angesichts der toga praetexta, die ich trug, nicht unwillig Platz machte - Magistrat zu sein hatte Vorteile, zweifelsohne. "Salve, Aelius Callidus .. mir scheint, heute ist Schnäppchentag, oder der richtige Jagdinstinkt hat sich noch nicht eingestellt," begann ich gutgelaunt das Gespräch, ohne zu ahnen, dass ein gutes Stück weiter vorn mein Neffe gerade mit einer Halbwüchsigen schäkerte.

    Hatte er denn gedacht, ich wollte für eine tote Verwandte nur das Mindeste bezahlen? Letztendlich war sie ein Teil unserer Familie gewesen, und nach Messalinas Verrat hatten die hispanischen Flavier vieles zu erleiden gehabt. Zweifelsohne hatte auch seine Mutter die Auswirkungen des Misstrauens gespürt, mit dem ich die letzten Jahre meiner Jugend über hatte aufwachsen müssen, und umso besser erschien sie mir, dass sie es geschafft hatte, einen sorglosen jungen Mann heranzuziehen, der anscheinend auch noch einen angenehmen Charakter besaß.


    Als er mir das Portraitbildnis überreichte, nahm ich es vorsichtig entgegen und ließ den Anblick auf mich wirken. Große, seelenvolle Augen, ausdrucksstarke Brauen, ein schmales, ebenmäßiges Gesicht - wenn er auch nur ein wenig ihr nachgeriet, würde er spätestens in fünf oder zehn Jahren bei der römischen Frauenwelt einen ähnlichen Erfolg haben wie ich, wenn nicht größeren.
    "Sie war eine sehr schöne Frau, Deine mater - und dieses Antlitz verdient es, der Nachwelt überliefert zu werden. Dein Ansinnen, es einmeißeln zu lassen, werde ich nur zu gern unterstützen." Eine stolze Frau, eine, auf die mein Neffe sicherlich sehr geachtet hatte, als er dies noch vermochte, ja, solche Augen konnten einem Mann wirklich viele schlaflose Stunden bescheren.

    Die Freuden geteilter Leidenschaft waren für mich stets zweiteilig gewesen - jene Freude, die ich selbst empfand, wenn ich die Höhen der Erlösung erklomm, war schon fast selbstverständlich, ich kannte sie wie einen guten alten Freund, mit dem man ab und an ordentlich zechte und sich gut amüsierte, um dann auf ein baldiges Wiedersehen zu hoffen - jene Freude aber, die entstand, wenn ich fühlte, wie eine Frau in meinen Armen erzitterte, ich hören konnte, wie ihre Gefühle sie überwältigten und seufzen ließen, jene kehliger werdenden Laute, je intensiver die Vereinigung wurde, je heftiger der Ansturm der Lust in ihrem Leib, gerade diese Freude war immer wieder neu, eine geheimnisvolle Fremde, die sich mir stets mit einem anderen Gesicht präsentierte, das ich mit Geduld und Zärtlichkeit, aber bisweilen auch schmerzhafter Lust hervorzulocken versuchte. Meine Finger umfassten ihre Brust zuerst sanft, dann hatte ich die Knospe gefunden, welche nun Teil unseres Spiels werden sollte - intensivere Bewegungen verknüpfte ich mit einem leichten Zusammendrücken dieser sensiblen Erhebung, um ihre Empfindungen dabei noch ein bisschen mehr zu vertiefen - und ihr Echo tief in ihrem Schoß zu erspüren ließ auch mich schneller werden, mehr nach jenem glühend intensiven Gipfel streben, den ich mir nun doch eine ganze Weile verkneifen hatte müssen.


    Bona Dena! dachte ich überrascht, wie fest sie mich umschloss, und dann erreichte auch ich den Punkt, an dem es kein Zurück mehr gab - ein heftiges Knarzen begleitete meine letzten Bewegungen, und dann konnte auch ich befreit und erlöst aufkeuchen, mein Herz raste geradezu, und die süße Mattigkeit der Erlösung pulsierte schubweise durch mein Innerstes, ich umfing sie, hielt sie, drängte mich an Bridhes schönen Körper, um sie nicht mehr loszulassen in diesem Augenblick, als könnte dies die Vereinigung noch köstlicher machen, das Gefühl einer stillen Übereinstimmung verlängern bis in eine ferne Unendlichkeit. Dann erschlaffte mein Leib, und ich sackte etwas zurück, meine Umarmung lockerte sich, aber ich ließ sie noch nicht los, sondern atmete still vor mich hin, die Augen genießend geschlossen. Diese Momente der Stille waren es, die ich daran fast am meisten genoss, das wissen um gemeinsam geteilte Leidenschaft, um eine Erfüllung, die man sich gegenseitig geschenkt hatte ... in solchen Momenten war meine eigentlich zerbrochene und zerborstene Welt in Ordnung. Langsam wandte ich den Kopf zu ihr, und wieder fanden meine Lippen ihr zerwühltes Haar, ich küsste sie sanft und lächelte dabei, aber noch war mir nicht danach, etwas zu sagen.

    Hätte Gracchus nicht auf einem Ortswechsel bestanden, ich hätte mich dessen sicher nicht erinnert - im Grunde wäre es mir herzlich egal gewesen, auch wenn es eine wahrhaftige Gefahr bedeutete, doch verblasste sie unter der allgegenwärtigen, überwältigenden Gewissheit, dass wir etwas taten, das wir uns beide schon eine halbe Ewigkeit ersehnt hatten, das unsere Gedanken oft genug erfüllt hatte und was sich mein Herz mehr als alles andere in dieser Welt ersehnt hatte. Ich hätte auf meinen Wahlsieg verzichten können, auf eine bald zu schließende und sicherlich prestigeträchtige Ehe, auf mein Vermögen, all jene Frauen, die bisher mein Bett geteilt hatten und irgendwann auch wieder teilen würden, aber der einzige Mensch, auf den ich niemals verzichten konnte und wollte, war nun einmal er, und er schien mir plötzlich so nahe zu sein. Dennoch, ich folgte seinem Wunsch, nicht zuletzt wegen des Gedankens, dass eine verschlossene Tür zu seinem oder meinem cubiculum sicher nicht einfach so von irgendwem sonst würde geöffnet werden - glücklicherweise begegneten wir auf dem Weg dorthin niemandem, denn ich war mir sicher, dass man mir mein Glück auf viele Schritt Entfernung ansehen musste.


    Für die Umgebung hatte ich heute keinen Blick, und ich registrierte auch erst, dass dies sein Raum war, als mir die Kargheit dessen bewusst wurde - und mein cubiculum wirkte, egal wie oft Bridhe auch dort aufräumen mochte, durch meinen stetigen Einfluss irgendwie unordentlich - heute allerdings hätte es meinetwegen auch ein bis auf ein Bett leerer Raum getan, es hätte mich nicht gestört. Ich hatte alles, was ich mir gewünscht hatte, und sein zärtlicher wie leidenschaftlicher Blick ließ mich hoffen, dass wir uns eine ganz besondere Nacht schenken würden. Seinen Kuss erwiederte ich, den Mund öffnend, denn ich wollte ihn ganz schmecken, mir ganz vereinnahmen, jedes Quentchen seines Geschmacks wollte ich erkunden, so lange schon hatte ich mir das immer wieder vorgestellt, und jetzt geschah es tatsächlich. Seine Finger, die sich über meinen Leib tasteten, jagten mir heiße und kaltprickelnde Schauder über die Haut, und ich stellte fest, dass ich aufgeregter war als jemals zuvor mit einer Frau, denn dies war neu, neu in dem Sinne, dass ich noch niemals bei einem Menschen gelegen hatte, den ich liebte.


    Ich wollte es nicht falsch machen ... meine Finger fuhren leicht durch sein Haar, zerwühlten es, und mit einer Hand zog ich ihn eng zu mir heran, um zu fühlen, ob ihm dieser Kuss gleichsam durch Mark und Bein ging, ob er dabei bebte wie ich es tat. Jetzt gab es kein Zurück mehr, kein Zaudern, keine Schwüre, keine Entschuldigungen oder Ausflüchte, jetzt war ich sein, und er der meinige. Seinen Rücken mit der Hand entlang fahrend, tastete ich mich hinunter bis zu jener köstlich gespannten rückwärtigen Partie, die sich in meine Handfläche schmiegte und verriet, dass er weit weniger außer Form war, als er immer behauptete, ein Mann, der sich gehen ließ, hatte kein so gut geformtes Gesäß. Genießend hielt ich ihn so, streichelte mit den Fingern über diese so neue, unbekannte Stelle, und für den Moment war ich mir nicht ganz schlüssig, wie es weitergehen sollte - es war einfach so überwältigend, dass es überhaupt passierte, dass mir geistig gesehen einfach der Plan fehlte, nach dem ich vorgehen konnte ...

    Ich trat etwas näher und las mir den vorgeschlagenen Text durch, um dann beifällig zu nicken - er hatte an alle wichtigen Informationen gedacht und es würde sicherlich ein guter Stein werden. Vielleicht etwas schmucklos, ein bisschen sehr schlicht. Man sollte nicht denken, die Flavier könnten sich keine üppigeren Verzierungen leisten.
    "Hatte Deine Mutter nicht irgendwelche Lieblingsblumen? Lieblingstiere? Irgend etwas, was sie wirklich gern mochte? Ich denke, gerade eine Frau, die sich bei solchen Widrigkeiten noch gut um Dein Wohl und Dein Fortkommen gekümmert hat, verdient ein etwas üppigeres Monument. Ich kannte sie nicht, aber meinst Du nicht, es wäre ein bisschen ... hübscher ... mit einer Verzierung unter dem Giebeldach?"


    Eigentlich wäre auch ein stehendes Abbild seiner Mutter mit stola und palla angemessen, aber ich wollte der Sache erst einmal vorfühlen, bevor ich am Ende in ein Fettnäpfchen trat. Es war wirklich schwierig, für Verwandte zu entscheiden, die man nicht kannte. Im Grunde war das etwas, was mir bei den italischen Flaviern dauernd passierte, dass es nun auch bei den hispanischen der Fall war, war irgendwie deplorabel. Kurz muste ich schmunzeln bei dem Gedanken, wer dieses Wort benutzte, und gern benutzte - was er wohl sagen würde, wenn er mich nun sehen würde, inmitten meines neuen officiums, angetan mit den Insignien meines neuen Amtes? Ach Gracchus, dachte ich still und schon sah der Tag etwas heller und freundlicher aus.

    Ich führte meinen patronus ruhigen Schritts die Stufen zum Tempel hinauf, und nahe beim Eingang waren jene Becken aufgebaut, bei denen jeder für die nötige rituelle Reinheit vor einem wichtigen Opfer sorgen konnte - es verstand sich von selbst, dass ich nicht extra erwähnte, dass er beim Kontakt mit Geburt, Tod oder einer jüngst gelebten sexuellen Erfahrung nicht teilnehmen würde dürfen, doch ging ich davon aus, dass ein Mann mit Erfahrung in der Opferpraxis dies wusste und nicht gekommen war, ohne sich seiner Eignung zu vergewissern.


    So blieb ich etwas abseits stehen, ließ ihm Zeit, das schlichte Reinigungsritual zu vollziehen, das ihn für das Opfer vorbereiten würde, und sammelte sowohl einige Worte als auch einige Gedanken. Da es kein großes Opfer sein würde, kein Staatsopfer, verzichteten wir auf das Voropfer im Inneren des Tempels, was ganz gut war, sonst hätten wir ewig gebraucht, denn auch heute war der Tempel des Mars sehr gut besucht. Und mir widerstrebte es eigentlich, einfache Bürger wegzuscheuchen, nur damit ein Senator opfern konnte - man hätte ihm sicherlich Platz gemacht, aber die feine Art war es nicht.


    Sobald mein patronus mir bekundete, die Reinigung vollzogen zu haben, ging ich mit ihm zurück auf den Vorplatz des Tempels, und das hohe Aufkommen an Tempeldienern samit einem geschmückten Widder und meinem Neffen, der nicht wie der ärmste Schlucker Roms aussah, hatte dazu geführt, dass die schwatzenden Menschen, die zuvor stehen geblieben waren, um ein bisschen zu gaffen, noch mehr geworden waren. Einer der schlacksigen camilli reichte mir das Wasserbecken, und ich nahm mit der rechten Hand einige Male etwas davon auf und besprengte uns Teilnehmende mit ruhiger Geste, die rituelle Reinigung vollendend. Alles war bereit, und die camilli führten den Widder nun zu den in den Boden eingelassenen Halteringen, an denen er festgebunden wurde - ein scheuendes Opfertier war ein sehr schlechtes Omen, und ich hatte auch darauf nicht unbedingt Lust. So blickte ich streng in die gaffende, neugierige Menge und hob mit der traditionellen Formel an, die jedes Opfer einleitete und den Zuschauern bedeutete, jetzt ihr Geschwätz über den dicken Hintern der Nachbarin zu beenden:
    "FAVETE LINGUIS!"