Beiträge von Caius Flavius Aquilius

    "Hrmpfl!" war mein wenig kreativer Beitrag zu der Tatsache, dass mir soeben meine Sklavin meine Lektüre aus der Hand genommen, mir ihre Lippen auf die meinen gelegt und mich ansonsten in einen Schwitzkasten genommen hatte, mit dem ich in keinster Weise gerechnet hatte. Nicht, dass ich etwas gegen aktive Frauen hatte. Sicher nicht, wurde das Spiel zwischen Mann und Frau dadurch erst wirklich interessant. Aber im Augenblick fühlte ich mich ein bisschen wie unter eine Sänfte gekommen. Mit großen Augen blickte ich sie an, spürte ihren nackten Leib auf dem meinen (meine tunica lag mal wieder in irgendeiner Ecke des Raums) und ihre erstaunlich kräftigen Schenkel, die mich hielten. Und nun?


    Allerdings konnte ich diese Frage erst einmal nicht laut stellen, denn dafür waren mir ihre Lippen im Weg. Zumindest hatte sie genug damit zu tun, meinen Körper zu umschlingen und meinen Kopf zu halten, sodass ich meine Hände nun frei hatte - und beide legte ich nun auf ihre Tallie, um sie ein bisschen von mir wegzuschieben, zumindest so weit, dass ich auch wieder meine eigenen Lippen benutzen konnte.
    "Bridhe!" brachte ich dann doch hervor, auch wenn ich befürchten musste, sie würde sich bei nächster Gelegenheit in meine Lippen verbeißen. "Ist es das, was ich denke, das es ist? Oder was wird das hier?" Von wegen keusche Geliebte des Severus. Momentan wirkte hier nur einer keusch und sittsam, und das war ich.

    "Hmm Pompeji ist im Winter nicht mehr ganz so reizvoll, aber die Küste ist generell keine schlechte Idee. Ich dachte da an einen Ausflug von zwei, drei Tagen, sonst lohnt es sich nicht - und wenn wir schon ausreiten, dann doch bitte nicht in der unmittelbaren Nähe von Rom, wo man an jeder Ecke auf Bekannte oder Klienten stößt, das muss nun wirklich nicht sein. Ich möchte einfach einmal für einige Stunden all dies hinter mir lassen können, und ... Du weisst ja, was ich meine ... einfach mal wieder ich selbst sein. Hier in Rom wird das in dieser Form niemals möglich sein, vielleicht noch hinter verschlossener Tür, aber sicher nicht außerhalb der heimischen villa. Sollen wir noch jemanden von Deiner Familie mitnehmen? Von der meinigen ... hm, vielleicht meinen Großneffen, aber ich denke, es ist kein Muss - je mehr andere Augen dabei sind, desto eher sind wir nicht mehr wir selbst," überlegte ich laut vor mich hin und erhob mich schließlich, als er es auch tat - es gab wirklich keinen Grund mehr, noch länger zwischen den Holzsplittern zu sitzen. Das Aufräumen würde ich später Straton übertragen, denn die anderen Sklaven im Haushalt mussten das nicht unbedingt erfahren. Im Nachhinein war mir mein Zerstörungstrieb doch etwas unangenehm. Es erinnerte mich an einen Tag, an dem ich die Einrichtung meines cubiculums zerlegt hatte, im Zorn und in ohnmächtiger Wut über ein Gespräch mit Gracchus.


    So streckte ich mich gemächlich auf der cline aus, nachdem ich einige der darauf liegenden Holzspiltter mit der Hand weggewischt hatte, und atmete tief durch. Was er mir da über Prisca erzählte, machte mir nicht gerade allzu viel Mut, aber nun, sie würde in einer luxuriösen villa wohnen, und ich würde hoffentlich auch im Amt Einfluss gewinnen und mir einen Namen machen, der mir bessere Einkünfte erlaubte. So schlecht sah die Zukunft nicht aus, wenn sie nicht vollkommen überzogene Ansprüche hätte.
    "Sobald ich weiss, ob sie mit der ganzen Sache einverstanden ist, werde ich Dir wegen einer cena Bescheid geben. Es soll einfach passen, verstehst Du? Ich habe in meinem Leben noch nicht so sehr viel wirklich richtig gemacht, noch nicht vieles wirklich rund gemacht - und wenigstens meine Ehe soll angenehm beginnen, so angenehm wie möglich für sie, und ich hoffe, dann wird es auch angenehm für mich. Es klingt wahrscheinlich ziemlich albern, aber ich möchte dieser Frau morgens ins Gesicht blicken können, wenn wir beieinander gelegen haben, und mich nicht wie ein Fremder fühlen, der besser im eigenen Gemach genächtigt hätte. Eine solche Ehe ist nicht allzu viel wert, wenn man sich nicht wenigstens ein bisschen gegenseitig zu schätzen weiß."


    Prisca. Ein sonniges Lächeln. Würde das genügen, um mich zu halten? Würde es genügen, um uns beiden ein glücklicheres Leben zu gestalten? Ich wusste es nicht, und die Zeit würde es zeigen müssen.
    "Du meinst wirklich, ich würde mich vor diesem Ausflüg drücken? Du fliegst gleich in den nächsten Brunnen, amicus meus, wenn Du weiterhin so frech bist," gab ich seine Stichelei ungerührt zurück, und musste wider Willen grinsen. "Wann passt es Dir? Ich muss ein bisschen mit meiner Amtsübernahme planen, wenn es denn so wird, wie es soll - ansonsten nehmen wir uns einen mehrtägigen Feiertag dafür her." Mehrere Tage ausser Haus ... es hatte wirklich etwas reizvolles an sich, und mir begann der Gedanke wirklich zu gefallen. Es wäre auf jeden Fall eine schöne Abwechslung, und die Sklaven konnten die Zeit auch nutzen, um ein bisschen zu entspannen - letztlich hielt ich nicht viel davon, andere Menschen dauernd zu schinden, es erwuchs daraus nie etwas Gutes. Zumindest nicht im privaten, engsten Kreis des Haushalts. Und ... ein Gespräch mit Gracchus würde ich führen müssen. Es ging letztlich kein Weg mehr daran vorbei, dass wir einige Dinge klärten. Auch, weil ich wissen wollte, woran ich war bei ihm. Was überhaupt noch war.

    Die Tür schwang kurz nach einem Klopfen auf und ich blickte überrascht dorthin - zum einen, weil ich es gar nicht schätzte, wenn jemand unaufgefordert in meinen privaten Raum eintrat, zum anderen, weil ich nicht wirklich noch mit Besuch gerechnet hatte. Aber es war kein Besuch, es war Bridhe, und das mit einem Gesichtsausdruck, der wenig mit der vorherigen Furcht gemein zu haben schien. Letztendlich war mir zumindest eines wieder einmal klar vor Augen geführt worden: Dass Frauen, im speziellen Bridhe, absolut seltsame Wesen waren. Und dass ich Frauen, im speziellen Bridhe, wahrscheinlich nie verstehen würde. Langsam ließ ich die Schriftrolle mit meiner Lektüre sinken - vale, o Catullus! - und blickte ihr konsterniert entgegen, eine Braue leicht dabei erhoben.


    Was sollte das denn werden? Nun, wahrscheinlich wollte sie ihrer Pflicht nachkommen, in meinem Bett zu liegen, wenn ich zuhause war, und so nahm ich es eben hin. Nach einem Gespräch war mir momentan ohnehin nicht, und ich wollte auch einfach nicht darüber nachdenken, was sie dazu bewogen haben könnte, jetzt doch bei mir zu nächtigen, auch wenn ich ihr erlaubt hatte, meinem Bett derzeit fern zu bleiben. Vielleicht hatte sie auch Streit mit Severus gehabt. Was mich angesichts ihres Charakters und seines Charakters nicht unbedingt erstaunte. Wie aufsässig mochten wohl Kinder der beiden werden? Auch das wollte ich mir eigentlich nicht vorstellen. So wandte ich den Blick wieder auf meinen Catull, in der Hoffnung, wenigstens eine Lektüre zur Entspannung meiner Sinne würde mir heute noch möglich sein. Wenn so das Eheleben war, dann musste ich mir das noch einmal gut überlegen!

    Ich ging durch die Korridore der villa zurück in Richtung meines cubiculums, und ließ die zurückstürmenden Gedanken auf mich einprasseln wie einen kalten Winterregen. Jetzt fühlte ich die Müdigkeit auch in den Knochen, die letzten Nächte waren ausgesprochen kurz und ausgesprochen elend gewesen, und ich merkte sie in meinem Inneren deutlich. Zuviel wein, zuviele Gedanken, zuviel Schmerz. Manchmal kam es mir vor, als wollte es alles einfach nicht enden. Die wenigen Dinge, die mir wirklich Freude bereiteten, konnte ich an einer Hand abzählen, und die wenigen Menschen, die es taten, auch. Vielleicht hätte ich doch in jener Fischerhütte bleiben sollen, mit der Illusion eines einfachen Lebens um mich herum, mit einer Frau, die mich liebte und meinem Sohn. Meinem Sohn.


    Ich würde ihn besuchen gehen, in den nächsten Tagen, und auch nach seiner Mutter sehen. Letztlich war er mein Kind, und ich hatte eine Pflicht diesem Sproß meiner Lenden gegenüber - und war seine Mutter zufrieden, dann würde es mein Sohn auch sein, so klein wie er noch war. Etwas beruhigter bog ich in meinen Schlafraum ein und trat an den Schriftrollenhalter rechts neben der Tür, um mir die passende Lektüre herauszusuchen, schlafen konnte ich jetzt ja doch noch nicht - es war ein Kompendium der Gedichte Catulls, das mir in die Hände gefallen war, und ich wertete es als ein gutes Omen für den nächsten Tag. Catulls beißender Witz hatte mich oft genug abgelenkt, es würde auch diesmal gelingen.


    Furi, villula vostra non ad Austri
    flatus opposita est neque ad avoni
    nec saevi Borae aut Apheliotae
    verum ad milia quindecim et ducentos.
    o ventum horribilem atque pestilentem!
    *


    Ich konnte nicht anders, für einen Moment musste ich, im Bett sitzend, das Laken um mich drapiert, die Lampe entzündet und flackernde Schatten- und Lichtreflexe im Raum werfend, bei diesen Worten schmunzeln.


    [SIZE=7]*Furius, euer Landhäuschen ist unbelästigt vom Wehen des Süd- und des Westwinds, des grimmigen Nord- und Ostwinds. Aber es ist mit fünfzhentausendzweihundert belastet. O schrecklicher und verderblicher Wind! (Catull, Carmina, 26)[/SIZE]

    Hell wie der strahlende Morgen. So wirkte sie auf mich, und das war es auch, was mich für sie mehr als jedes Wort eingenommen hatte. Dies war auch etwas, was ich nur schwer überhaupt in Worte würde fassen können - eine innere Wärme, die ich bei ihr zu erkennen glaubte, eine Freude am Leben, an der Existenz, die mir schon früh verloren gegangen war und die mich zu einem Suchenden, einem Getriebenen gemacht hatte. Eine Wärme, die vielleicht auch mich irgendwann einschließen würde. So wie sie gerade lächelte, erschien mir das als gar nicht so unwahrscheinlich. Auch wenn es eine vermessene Hoffnung war, eine Hoffnung, die mir nicht einmal zustand, denn so nahe waren wir uns bisher nicht gekommen, und ich wusste nicht, was mir dieser Tag heute bringen würde. Zum ersten Mal seit langer Zeit war ich in der Gegenwart einer Frau ... nervös. Es hing einfach zuviel von allem ab, wie ich mich geben würde, und gerade jetzt merkte ich, dass ihr Lächeln ein Echo hinterließ, tief im hintersten Winkel meines Seins. Dieses ausgesprochen exquisite, sanfte Erröten hatte ich schon zu lange nicht mehr gesehen, eine Verlegenheit, die den meisten Frauen dieser Tage fremd war.


    "Ist es nicht Sinn der Götter, sich bisweilen verborgen zu halten, und uns Menschen damit anzuleiten, in ihrem Sinne zu handeln, aber nicht sklavisch abhängig von ihrem Erscheinen? An mir läge es, Dir beständig die schönsten Blüten auf dem reinweißen Altar aus Marmor zu opfern, Deine Sinne mit den exotischsten Düften zu reizen, sie mit dem Weihrauch aus dem fernen Tylus zu umschmeicheln, auf dass Du mir eines Tages ein einziges Lächeln schenktest, das mich belohnen würde tausendfach ..." führte ich den Gedanken vergnügt aus und hoffte, es würde meine Unsicherheit überspielen. Bei Mars, wie konnte es sein, das diese junge Frau, dieses Mädchen, das gerade erst ihre Reife erlangt hatte, mir zusetzen konnte, mehr als es die erfahrensten Frauen bisher vermocht hatten?
    Ihr Lächeln verhieß mir mehr, als ich vielleicht vermuten durfte, und so blieb ich einfach stehen, blickte sie lächelnd an und nahm erfreut zur Kenntnis, dass sie die Sänfte stehen lassen wollte. Hätte sie diese gewählt, hätten wir wohl eine halbe Ewigkeit gebraucht, und auch wenn es schicklicher gewesen wäre, es wäre sicher auch viel langatmiger gewesen.


    "Nun, wenn es Dir nichts ausmacht, dann biete ich Dir natürlich gern den Platz auf dem Rücken meines Pferdes - schätzungsweise wird es bequemer sein, Du sitzt vor anstatt hinter mir, aber diese Entscheidung überlasse ich gerne Dir. Das Pferd jedenfalls ist groß genug, dass Du nicht herabrutschen kannst, manchmal glaube ich, man könnte auf seinem Rücken auch bequem ein Schläfchen halten," erklärte ich die Vorzüge meines liebsten Transportmittels, auf dessen Rücken auch schon Aurelius Corvinus hinter mir Platz gefunden hatte, zu einem Ausflug, der eine halbe Ewigkeit zurücklag.
    "Möchtest Du noch etwas frühstücken, Aurelia Prisca? Ansonsten würde ich vorschlagen, dass wir uns ansonsten auf den Weg machen, wir haben noch eine gewisse Strecke vor uns, und je früher wir dort sind, desto mehr wirst Du von diesem Tag haben." Endlich, die altbekannte Ruhe kehrte zurück und wieder blitzte der Schalk in meinen Augen auf, als ich ihr die bevorstehenden Stunden wie eine Besonderheit auf dem Markt anpries. Letztlich wusste ich zumindest schon, dass mir diese Stunden besonders sein würden, vor allem, wenn sie so reizend lächelte wie eben schon.

    Während sie mich mit kreisenden und recht sorgfältigen Bewegungen ihrer Hände einölte, schloß ich meine Augen und schwieg. Ich gehörte nicht zu den Menschen, die viel sprechen mussten, wenn der tonsor zugegen war oder sie massiert wurden, und nach so vielen Gedanken, die in meinem Kopf noch pulsierten, war ich auch nicht unbedingt willens, viel zu sprechen. Der angenehme Geruch füllte sehr bald meine Nase, und während ich langsam ein- und ausamtete, beruhigte ich mich auch langsam wieder. Bridhe war klug genug, mich nicht anzusprechen, und das war zumeist der beste Weg, mit meinem Zorn umzugehen, wenn er denn aufflackerte. Sie tat ihr Werk gründlich, und der Geruch nach Wein, und auch der nach dieser unwichtigen, längst aus meinem Gedächtnis geschlüpften lupa wurde mit dem Moschus passend überdeckt. Als ich zu ihr blickte, war sie gerade dabei, meine Schenkel einzuölen, ebenso sorgfältig wie zuvor meinen Oberkörper - und in ihrem Gesicht war deutlich zu lesen, was sie im Augenblick empfand. Furcht.


    War es schon so weit gekommen? War das ein Blick, den ich auf Dauer sehen wollte? Als sie ihr Werk vollendet hatte, nickte ich ihr nur zu, schritt zu der Bank, auf der meine tunica lagerte, streifte sie nachlässig über und wandte mich wieder zu ihr, wie sie dort stand, nackt, in den Augen flackernde Sorge. Schließlich neigte ich mich herab und nahm ihre tunica auf, drückte sie ihr in die Hand und drehte mich zur Türe, um diese zu öffnen und hindurchzuschreiten - es war spät, ich war müde, und mit einem Mal fühlte ich mich alt, diesem Leben nicht mehr wirklich zugehörig. Was suchte ich eigentlich?

    Ich rieb mir selbst mit dem Tuch noch eine ganz spezielle Stelle trocken, an die ich keinen Sklaven bisher gelassen hatte, allerhöchstens zärtliche Männer- und Frauenhände während des Liebesspiels, und blieb abwartend stehen, während Bridhe sich das Wasser vom Leib trocknete. Ihre Bewegungen kündeten von einer gewissen Eile, wohl war ihr kalt gewesen, aber letztendlich sah man ihr noch kein Zittern an und die Luft speziell im balneum war durch das warme Wasser auch aufgeheizt, ich fand es jedenfalls nicht unangenehm kühl. Als sie sich jedoch nach ihrer Kleidung bückte, sagte ich nur knapp und kühl: "Nein."


    Sie sollte sich nicht ankleiden, noch nicht - diese Erleichterung sollte sie noch nicht haben, denn Kleidung bedeutete nicht nur eine gewisse Distanz, sondern auch Schutz, selbst wenn er nur ein gedachter Schutz war, und im Augenblick war mir nicht danach, ihr irgend etwas zuzugestehen, was sie sich angenehmer fühlen ließ.
    Ich ging in den Vorraum, der durch die Tür verschlossen war und glücklicherweise dieselbe Wärme in sich trug wie der Raum mit dem Badebecken, und öffnete dort das kleine Schränkchen, in dem die Öle gelagert waren, um eines mit einem etwas herberen Moschusduft herauszusuchen, das ich ihr auch gleich in die Hand drückte, mich dann abwartend hinstellte und darauf wartete, dass sie mit ihrer Arbeit beginnen würde.

    Lucanus sah bei der Aussicht auf ein blutiges Opfer nicht so begeistert aus, wie ich mir das erhofft hatte, aber da würde mein Neffe nun durch müssen, auch das gehörte schließlich zu meinem Alltag, auch wenn es nicht so oft der Fall war, dass ich ein Tier opfern musste, es war zumindest eine Möglichkeit, die stets bestand.
    "Ich weiss, es ist müßig, über etwas nachzusinnen, das wir nicht mit Sicherheit wissen, doch ich muss zugeben, dass mich der Tod der virgo vestalis maxima sehr erschüttert hat, gerade in einer Zeit, in welcher der Imperator im fernen Parthia weilt und diese Angelegenheit nicht selbst in die Hand nehmen kann. So wird es beim Senat bleiben, über all dies zu entscheiden, und uns sind bis dahin die Hände gebunden. Im Grunde ist sie keine Flavia mehr, aber ... ihr Blut wandelt sich nicht durch den Weg als Vestalin, und unsere Gedanken gelten ihr zu dieser Zeit besonders."
    Zu Lucanus' Verhalten meinem patronus gegenüber nickte ich beifällig, auch wenn er aus der bittersten Provinz in Hispania stammte, höflich war er, wenn es sein musste, und mehr hatte ich auch nicht erwartet. Er würde seinen Weg schon machen, egal wohin er ihn führen mochte, dessen war ich mir sicher.


    Nachdem Purgitius Macer glücklicherweise auf einen Haruspex verzichtete - es machte letztlich doch alles nur komplizierter, wenn man einen beiziehen musste, vor allem ließen sich die meisten doch sehr bitten - klatschte ich in beide Hände, was einen der camilli herbeirief, dem ich in knappen Worten mitteilte, was zu geschehen hatte - der Hauptaltar vor dem Tempel, welcher für die blutigen Opfer bestimmt war, musste gesäubert werden, sicher war sicher, und Blumenschmuck für das Opfertier musste ebenso besorgt werden. Während der Knabe davonstob, schritt ich auf den Widder zu und beäugte ihn von allen Seiten aus kritisch, ob Wuchs und Gestalt irgendeinen Makel aufwiesen - bei solchen Opfern konnte man nicht vorsichtig genug sein. Aber ich konnte nichts nachteiliges entdecken, der Senator hatte sein Opfertier gut ausgewählt, und so gab ich schließlich mein Einverständnis.


    "Möchtest Du den Opferformeln ein eigenes Gebet selbst hinzufügen oder soll ich Mars allgemein um Milde bitten?" fragte ich gen Macer, während die Sklaven den Widder in Richtung des Altars führten, an dem sich nun doch einige neugierige Bürger versammelten. Ein blutiges Opfer außer der Reihe passierte nicht so häufig, und angesichts der letzten Ereignisse in Rom wurde da natürlich ein Zusammenhang vermutet."Was die Eingeweideschau angeht, kann ich Dich beruhigen - ich habe inzwischen einiges an Übung darin, und ich denke, dass sich in diesen Zeiten die Zeichen der Götter sehr eindeutig gestalten werden." Alles andere hätte meinen Glauben an die großen Zusammenhänge der Welt auch ziemlich erschüttert.

    Die Landpartie. Sie schien eine halbe Ewigkeit weg zu sein, und gerade das machte den Gedanken daran irgendwie schön und reizvoll. Auch wenn der Reiz von damals, der immer zwischen uns geschwebt hatte, im Augenblick erloschen war, es war ein schöner Tag gewesen, der mir gutgetan hatte - und solche Tage waren in der letzten Zeit ausgesprochen selten gewesen. Sollte ich es wagen, mit Corvinus erneut auf einen solchen Ausflug zu gehen? Letztendlich war ich, wer ich war, und früher hatte er mich gereizt. Konnte ich es wagen, unsere sich entwickelnde Freundschaft auf diese Weise aufs Spiel zu setzen? Aber andererseits - was wäre das für eine Freundschaft, wenn wir nicht einmal miteinander ausreiten gehen konnten, ohne dass ich mir selbst misstraute?
    "Warum nicht - ich hatte meinen Sklaven ohnehin vor einiger Zeit einen Ausflug versprochen. Nimm Du doch auch Deinen Haushalt mit - ich denke, ab und an muss man seinen Sklaven auch ein bisschen Freizeit gönnen, damit sie an den anderen Tagen umso williger ihren Aufgaben nachkommen. Hast Du ein bestimmtes Ziel im Auge?"


    Eines wurde mir jedenfalls klar - ich würde wohl um ein Versprechen nicht herum kommen, und wenn mich erst einmal ein Wort band, dann konnte ich mich nicht einfach davonstehlen aus dem Leben, ohne als Eidbrüchiger von den Göttern verlacht zu werden. Aber wollte ich denn noch sterben? Im Grunde war ich mir dessen noch immer nicht so sicher, wie ich es eigentlich hätte sein sollen. Auch wenn mich Tiberius Vitamalacus damals davon überzeugt hatte, wie ehrlos ein solcher Tod war, die grundlegende Situation hatte sich nicht geändert. Ich liebte noch immer einen Menschen, den ich nicht lieben durfte, und inzwischen hatte sich zu diesem Verbot durch unsere Sitten auch noch ein Schwur gesellt.
    "Ich verspreche es," sagte ich schließlich tonlos, und die Worte fielen mir schwer. Irgendwann würde ich zwischen dem Gerüst meiner Versprechen zerbrechen, irgendwann würde diese Last zu groß werden, und ich wagte es nicht, mir vorzustellen, welche Art von Mensch dann aus mir werden würde. Der heutige Tag hatte mir etwas vor Augen gefürt, dem ich mich lange gegenüber verschlossen hatte, aber die Wahrheit ließ sich eben niemals auf lange Sicht verstecken.


    "Ich hoffe, ich kann ihr ein guter Ehemann sein, Marcus, und wenn ich daran zweifle, dann nicht wegen ihren Eigenschaften, sondern wegen der meinen. Mein Wort hast Du, dass ich mich sehr darum bemühen werde, sie glücklich zu machen, aus dieser Verbindung mehr zu machen als nur einer Vereinbarung zwischen zwei alten gentes, die ihre Bande dadurch aufzufrischen versuchen." Wobei mir die Götter hoffentlich auch zur Seite stehen würden. Denn ich hegt die stille Befürchtung, ich könnte ihr nicht genug sein, und alles, was ich ihr bieten konnte, unter dem gewohnten Luxus ihres Heimathauses verblassen - Prisca war mir bisher wie eine besonders teure, besonders exqusite Blüte erschienen, die nicht an jedem Ort gedeihen würde. "Ich habe sie auf einen Ausflug ans Meer eingeladen, um sie ein bisschen besser kennenzulernen, und sie hat mir diesen zugesagt - vielleicht ist das der Grund ihrer momentanen Freude? Bevor ich Dich offiziell um ihre Hand bitte, möchte ich mir sicher sein, dass auch sie in dieser Verbindung keine lästige und unangenehme Pflicht sieht. Dass sie sich mit dem Gedanken anfreunden kann, meine Frau zu werden - sie soll nicht das Gefühl bekommen, wir würden über ihr Wohl bestimmen wie über den Einkauf einer teuren Ware."


    Was er über seine Gefühle und Aurelia Deandra sagte, ließ mich indes nachdenklich werden. So etwas würde es bei mir nicht geben - wenn ich mich einmal entschieden hatte, dann wurde auch geheiratet, wie man es der Frau gelobt hatte, alles andere war nur würdelos und schmerzhaft.
    "Auch außer Dir weiss niemand, wem meine Gefühle gelten, Marcus, und ich werde es wohl auch keinem anderen Menschen jemals mitteilen ... letzten Endes bleibt bei all dem Schmerz wohl die Erkenntnis übrig, dass unsere Freundschaft so einiges übersteht, und wir sie beständig prüfen. Und den Wein bringe ich mit, mein Weingut stellt inzwischen einen recht guten Wein her - wäre doch gelacht, wenn der nicht mit dem Falerner mithalten könnte." Jetzt schmunzelte ich doch auch, und es tat nicht mehr so sehr weh wie noch vor wenigen Augenblicken. Auch wenn die Kenntnis meines Geheimnisses mich verwundbarer machte, ich hatte doch die stille Hoffnung, es sei bei ihm gut aufgehoben. Wem hätte ich sonst vertrauen können?

    Wenigstens das schien sie verstanden zu haben - ich hatte ja schon bei einigem befürchtet, dass sie es niemals verinnerlichen würde, und gerade Grenzen übertrat sie gerne. Sie bewegte sich flink, und ich ließ mich noch einige Momente lang im Wasser treiben, bis ich mir sicher war, allen Gestank und Geschmack von der lupa abgewaschen zu haben. Es würde wohl immer ein Fluch der Flavier sein, sich nicht mit einfachen Dingen zufrieden geben zu können, und so erging es mir auch mit den Menschen um mich herum. Die meisten langweilten mich zu schnell, und waren auch nicht fähig, mein Interesse irgendwann zu wecken.


    Als ich Bridhe dann am Beckenrand stehen sah, der schlanke Leib noch mit feinsten Wasserperlen bedeckt, kehrte eine gewisse Zufriedenheit zurück. Sie war schön, und ich ließ mir Zeit, sie zu betrachten, nackt, vom Wasser umspielt. Warum hatte ich sie das letzte Mal gehen lassen? Aber es war wohl besser so gewesen ... innerlich seufzte ich, vertrieb den kurz aufgeblitzten Gedanken und ging aus dem Becken heraus, wischte das Wasser nachlässig mit den Händen von meinem Leib und wartete darauf, dass sie mich abtrocknete. Auch jetzt noch, das stellte ich eher beiläufig fest, sah man noch einige jener Markierungen, die mir Callistas Fingernägel zugefügt hatten ... eine angenehme Erinnerung, wirklich.

    Es sah ganz so aus, als sollten wir heute davonkommen - als mich der Hausherr aufforderte, mich anzukleiden, tat ich dies recht eilig, nicht ohne mich so zu stellen, dass dieser gaffende junge Mann mit der Fackel durch meinen sich bewegenden Körper daran gehindert wurde, Callista allzu dreist anzustaren. Nicht dass es mich groß gestört hätte, würde ich so angeblickt werden, aber bei ihr war ich mir da nicht ganz so sicher, so manche Patrizierin war, was Körperlichkeiten anging, einfach zimperlich gestrickt. Anderen Menschen als einem Liebhaber begegnete so manche Frau ausgesprochen zugeknöpft und zurückhaltend.
    Mir blieb jedoch auch nicht viel anderes übrig, als die vollendete Schauspielkunst meiner nächtlichen Gefährtin zu bewundern, die ausgesprochen gekonnt eine geschändete und erschrockene Frau mimte. Hätte ich sie so gesehen, ohne zu wissen, dass es alles nur Spiel war, hätte ich wohl kaum vermutet, dass sie spielte, sondern hätte mich bemüht, ihr hilfreich zur Seite zu stehen - wahrlich, diese Claudierin war mit allen Wassern gewaschen, mehr noch, eine Frau nach meinem Geschmack. Ich konnte mir nicht vorstellen, mich mit ihr jemals zu langweilen.


    Als sie mir zuwisperte, ich möge sie auffangen, tat ich natürlich nichts lieber als das - wie leicht sie doch war, ich stellte es erneut mit einiger Verwunderung fest. Wahrscheinlich tat sie dasselbe wie die meisten Frauen und achtete sehr auf ihr Gewicht, aß nur mäßig oder trieb ausgleichenden Sport, wer wusste das schon. Ich würde sie jedenfalls deswegen niemals befragen, wollten doch Frauen zumeist eher hören, dass man sie schön fand, und nicht verraten, wie es zu jenem Zustand kam. "Es war wohl doch zuviel für sie," sagte ich in einem Ton zum Herrn dieses Anwesens, der gleichzeitig milde Besorgnis wie auch Höflichkeit enthielt. Ihr feuchtes Gewand hielt ich so, dass es ihren Leib einigermaßen zu bedecken wusste, ahnte ich doch auch nichts von ihren Gedankenflügen, die aus einem eher unscheinbaren jungen Mann einen furchterregenden Gnom gemacht hatten.
    "Sie hat ein so sanftes, zartes Gemüt." Ganz sicher nicht! Aber das wusste dieser Mann ja nicht. Und, wie ich zugeben musste, es war die perfekte Ohnmacht, kein Mensch mochte vermuten, dass dies nur gespielt war, ich hätte es ja auch nicht. Während ich dem Hausherrn samt meiner süßen Last durch das eindrucksvolle Haus folgte, atmete ich verstohlen ihren Duft ein, spürte genüsslich ihre Nähe in meinen Armen. Hatte sie sich da etwa gar an mich geschmiegt? Ich war mir nicht sicher, hoffte es einfach.


    Benohé, ihrer Herrin getreuer Schatten, und der Rest von Callistas Sklavenmenge waren alle beisammen, und so blieb es mir nur, nachdem ich sehr wohl registriert hatte, dass wir hier nichti m Haus eines unbedeutenden Mannes gestrandet gewesen schienen, den Schein zu wahren und möglichst gut aus der ganzen Sache herauszukommen.
    "Ich werde den Dienst nicht vergessen, den mir Dein Haus erwiesen hat," sagte ich ruhig und blickte den Apicius direkt an. "Auch wenn es zugegeben ungewöhnliche Umstände waren, die sich hoffentlich nicht wiederholen werden -" in drohendem Ton sprach ich das in Richtung der Sklaven, von denen einige der Bewaffneten dann doch betreten zu Boden blickten, sicher war sicher, man konnte nie wissen, was man falsch gemacht hatte, auch wenn man eigentlich nichts falsch gemacht hatte, " - hoffe ich doch, dass Dir dieser Zwischenfall als nicht zu unangenehm im Gedächtnis bleiben wird und wir Dich nicht zu sehr Deiner kostbaren Nachruhe beraubt haben. Auch im Namen meiner Verlobten will ich Dir für Deine Großzügigkeit danken."


    Dass er uns diese Geschichte nicht glaubte, war nicht erstaunlich, musste man unsere Lustlaute doch auch weiter entfernt gehört haben, aber er gestattete es mir, mein Gesicht zu wahren, und das würde ich nicht vergessen. In Rom schien es dann doch den ein oder anderen Ehrenmann noch zu geben, und gleich morgen würde ich einen Sklaven herschicken, der herausfinden sollte, wem mein Dank zu gelten hatte. Vielleicht auch ein kleines Dankopfer an Mars, denn dr Hausherr schien meinem Gott ebenso geneigt, was die Statue im atrium bewies. Ich neigte höflich den Kopf zu Apicius, bevor ich in die dunkle Nacht hinaus schritt, gefolgt von Benohé, zurück zu unserer glücklosen Eskorte, die sich reichlich Mühe gab, wenigstens jetzt irgendwie effizient auszusehen, aber welche Chance hatten sie schon gegen zwei unternehmungslustige Patrizier gehabt? Im Grunde gar keine. Mit weit ausgreifenden Schritten trug ich Callista voran, in den Schutz der Mauerecke, um dann dort zu ihr herunterzublicken.
    "Ich hätte nicht geglaubt, dass dieser Abend noch amüsanter werden könnte, aber Du hast es mir soeben bewiesen - was für eine Schauspielerin Du bist! In Zukunft werde ich wohl keiner Frau mehr trauen können," scherzte ich und betrachtete lange ihr schönes, reizvolles Gesicht.

    Ich hatte mich unwillkürlich aus dem Wasser erhoben, so sehr hatte sie mich erschreckt - und das offenbarte nun auch, dass mein Kopf im Verlust sämtlicher angenehmer Erregung weitaus schneller reagiert hatte als mein Körper, was wohl auch einen Teil ihres erschrockenen Blicks mit erklärte. Aber jetzt hatte sie es schon entdeckt und ich hatte keinen wirklichen Grund mehr, mich wieder zu setzen. Die Lust dazu war mir ohnehin gerade gründlich vergangen.
    "Dieser Ort ist nicht für Sklaven bestimmt, und solltest Du das vergessen haben, sei Dir eines ganz klar gesagt: Wirst Du hier drin nochmals erwischt, ohne dass Dich ein Mitglied der flavischen Familie hierher eingeladen hat, setzt es Stockhiebe, haben wir uns darin verstanden?"


    Es war der denkbar schlechteste Zeitpunkt, sie bei einer Übertretung de Hausregeln zu erwischen, und der Alkohol machte es mir auch deutlich leichter, die Wut zu zeigen, die in mir empor gekocht war ob ihres Verhaltens. Ich wollte es mir gar nicht ausmalen, wieviele Sklaven sich des Nachts hier hinein schlichen, wenn wir schliefen, und verbotenen Freuden fröhnten! Das galt es abzustellen, und ich machte mir den innerlichen Vermerk, Sciurus und Straton gleichermaßen diese Anweisung zu erteilen. "Aber wenn du schon hier bist, kannst Du mich gleich einölen," sagte ich dann etwas gemäßigter, die Lust war ohnehin so weit abgeflaut, dass es sich jetzt nicht mehr lohnte, zu meinen Gedanken zurückzukehren. Lieber wäre mir die wahre Callista gewesen, aber das lag nicht im Bereich des Möglichen. Sklaven! Nicht einmal erfreuen konnte man sich in Ruhe mehr.

    Phantasien waren doch etwas wunderbares. Ich nutzte meine Imagination nicht allzu oft, zumindest nicht in dieser intensiven Weise, um ein wenig Erleichterung damit zu begleiten, aber in dieser Nacht war mir die Erinnerung an Callista so stark zurückgekehrt, dass ich es in jeder nur erdenklichen Weise auskosten wollte, wenn ich sie schon nicht hier haben konnte. Während meine Hand Rhytmus und Kraft gekonnt, weil geübt, variierte, glitt mein Blick in der Erinnerung noch einmal über Callistas Leib, sah ihre Bewegungen, dieses fordernde, hungrige, leidenschaftliche Lächeln, das gleichsam einladend wie herausfordernd wirkte, und ...


    P L A T S C H !


    Ich riss die Augen auf, ließ los und war zu allererst zu Tode erschrocken. Kein Hinweis darauf, dass ich nicht allein gewesen war, ich hatte schlichtweg so sehr meinen eigenen Phantasien gefröhnt, dass ich schlichtweg nicht gemerkt hatte, dass noch jemand den Raum betreten hatte. Während die entstandene Welle über mich hinweg schwappte und außerhalb des Beckens den Boden überflutete, atmete ich japsend tief durch - und traute dann meinen Augen nicht. Es war Bridhe, und nicht nur, dass dieser Raum den Sklaven nur zustand, wenn man sie dazu rief, es war auch noch mitten in der Nacht und sie hatte wohl gedacht, es heimlich tun zu können. Sie sah mindestens so nass aus wie und und gewiss genauso erschrocken - aber angesichts der jäh abgerissenen, angenehmen Phantasie regte sich vor allem eines in mir: Wut! "Was genau machst Du hier, Bridhe?!"

    Ich kannte den Weg im Schlaf. So tief verinnerlicht hatte ich die Schritte zu Gracchus' cubiculum, ich hätte sie auch mit geschlossenen Augen gehen können, ohne die Türe zu verfehlen, an der ich immer wieder vorbei gegangen war, ohne anzuklopfen, ohne nach Aufmerksamkeit zu verlangen, auch wenn sich in mir alles danach sehnte. Dies war mein Teil der Bürde unserer Liebe, und ich schleppte ihn schon lange genug mit mir herum, ohne darüber zu sprechen, ich würde es nicht ändern. Und in sein persönliches Reich einzutreten hatte ich bisher nur auf Aufforderung gewagt, wieder einmal umschloss mich die karge Einrichtung im gleichen Maße wie die überbordende Präsenz des Menschen, dem all meine Liebe galt. Ich htäte allein schon diesen Raum atmen, trinken wollen, mich an der Atmosphäre still delektieren, um dann mit reichem Herzen wieder von dannen zu schleichen - aber er war nun hier, wir waren beisammen, mit einem treuen Wächter vor der Türe, der ahnen, wenn nicht wissen musste, was unausgesprochen zwischen Gracchus und mir lauerte. So leicht, so nahe war die Versuchung, der Wunsch, alle Eide Eid sein zu lassen, alle Schwüre zu vergessen, alles in den Wind zu werfen, was uns bisher gehindert hatte ...


    Das leise Raunen seiner Stimme erschütterte mein Innerstes wie ein Donnerschlag, und dann, sein Kuss - sanfte Lippen, behutsam und zärtlich, trotz des vielen Weins, den er getrunken hatte, diese innige Bitte, die ich niemals, in keinem Leben, verneint hätte, entsprach sie doch auch meiner einsam gehegten Sehnsucht. Sein Geschmack war fast zuviel für meine überspannten Sinne, und bevor ich noch nachfassen konnte, den endlichen Moment unendlich machen, löste er sich schon von mir, ließ die vollkommene Qualität dieses Kusses in meinem Innersten kristallisieren, auf dass sie ewig bestehen möge - er sank auf sein Bett, und als ich bemerkte, dass es ihm schwer fiel, sich um seine Kleidung zu kümmern, neigte ich mich etwas vor, umfasste seine Beine und begann, seine Sandalen zu lösen, um sie anschließend ordentlich vor das Bett zu stellen, als hätte er dies selbst getan. Dann zog ich das Laken unter seinem Leib hervor, drehte ihn sehr vorsichtig so, dass er sich bequem ausstrecken konnte und deckte ihn schließlich zu, noch über ihn geneigt stehen bleibend, um ihn, dieses geliebte Gesicht, entspannt im Fluss bacchantischer Seligkeit, zu verinnerlichen, denn ich wusste sehr wohl, wie selten ich ihn so sehen würde.


    Gab es denn bei der Götter Willen kein gutes Ende für uns? Und doch, auch wenn mich alles danach trieb, ich strich nur behutsam und liebevoll sein Haar aus der Stirn, berührte die hohe Stirn mit den feinen Linien darin mit den Lippen, um mich dann auf seine Bettkante zu setzen, ihn still betrachtend. "Ruhe wohl, mein Manius, nichts wird Deinen Schlaf heute nacht stören ... ich bin bei Dir." Seine Hand in meine Hände nehmend, verharrte ich, atmete stumm sein Odeur, ließ mich in die düsteren und helleren Schatten des Raumes gleiten, auf einer stillen Wacht, die mir kein Mensch auf dieser Welt nehmen konnte. Was immer Sciurus wohl zu hören erwartete, es blieb still im Inneren des Raums, und auch still in meinem Herzen, hatte ich doch ein ganz besonderes Geschenk erhalten - einige Stunden der Wacht mit dem Menschen, den es für mich auf dieser Welt nur einmal gab. Und er schlief ruhig, entspannt, die Lippen gewölbt, als müsste er im Traume nur lächeln ...

    Wieder waren wir hier, und wieder war es ein Anlass, der die Herzen traurig werden ließ - nur, dass es diesmal nicht ein ausgestoßener und vergessener Nachkomme der gens Flavia war, der zu Grabe getragen wurde, sondern eine strahlende junge Frau, deren Leib auf See verschollen war. Jener Frau, die Gracchus allen anderen voraus fast vergöttert hatte, und auch ich hatte ihren Reiz auf jener Feier gespürt, bei der sich Aristides mit Claudia Epicharis verlobt hatte. Nun war Leontia tot, und würde nie wieder in Ohnmacht - und damit meine Arme - fallen. Es war ein so endgültiger Weg, und ich wollte weder sprechen noch etwas singen, nur mit meinen Gedanken allein sein. Auch ich hatte eine Gabe für sie mitgebracht, die sie eine Liebhaberin der schönen Künste gewesen war, eine Abschrift der 'Metamorphosen' Ovids mochte sie in die Ewigkeit geleiten, um sie dort zu erfreuen, wohin wir nicht gelangen konnten.


    Und was für ein Werk, um einen Wandel, eine Veränderung mitzutragen! Manchmal konnte man sich nur wundern, wie aktuell bisweilen solcherlei Dinge waren und wieviel man doch daraus schöpfen konnte. Der Regen klatschte auf mein Haupt, und ich fühlte, wie die Nässe durch meine Kleidung drang, aber es war mir gleich, ob ich frieren würde, denn mein Herz war lägst kalt geworden an diesem Tag. Nach Lucullus legte ich meine Gabe nieder und verabschiedete mich stumm von jener Frau, die ich niemals wirklich hatte kennenlernen können. Mochten die Ewigen ihr Strahlen nun genießen, ich war mir fast sicher, dass sie Leontia deswegen der Welt genommen hatten. Still trat ich an Gracchus' Seite und blieb dort stehen, auch wenn wir uns nicht berührten, er sollte wissen, dass er hier nicht alleine war und nicht alleine sein würde.

    Es war ein Abend - oder besser, eine späte Nacht - nach jenem Eklat, der zu so heftigen Worten zwischen mir und Aurelius Corvinus geführt hatte, zudem zu einem zerstörten Möbelstück in der kleinen Laube im Garten - und ungleich mehr sinnlosen wie schmerzvollen Gedanken. Oft genug hatte es funktioniert, dass ich mir mit Alkohol und einer geschmeidigen lupa unter meinem Leib den Schmerz aus dem Körper und dem Kopf hatte treiben können, aber in dieser Nacht war es mir nicht gelungen, die Ruhe zu finden, derer ich bedurfte. Sicher, mein Körper war nun auf angenehme Weise ermattet, aber in jenem Augenblick, in dem die dunkelhäutige Schöne unter mir vor Lust geseufzt und gestöhnt und ich selbst meine Befriedigung erhalten hatte, war alles wieder zurückgekehrt, unaufschiebbar, unvergesslich. Wahrscheinlich würde es immer so bleiben, und ein Teil von mir hatte sich mit diesem Gedanken abgefunden - der andere Teil in meinem Inneren jedoch rebellierte und weigerte sich, dieses Schicksal zu akzeptieren, das so unausweichlich schien.


    Als ich, irgendwann spätnachts, nach Alkohol und dem Duft der lupa stinkend, in die villa Flavia zurückgeschlichen war, hatte ich dem ianitor aufgetragen, er möge einen Sklaven schicken, mir ein Bad zu richten, denn so wollte ich nicht schlafen gehen, ein vager Ekel vor meinem Zustand war mir zurückgeblieben. Ekel, weil ich normalerweise auf lupae verzichtete, ich mochte sie nicht, diese kunstvoll stöhnenden Lusttäuscherinnen, und ich würde sie wohl nie wirklich mögen. Aber ab und an war die Not tiefsitzender als der Ekel, und so hatte ich mir wenigstens eine Frau ausgesucht, die meinem Geschmack entsprach und die anscheinend die Lust auch empfunden hatte, die ich versucht hatte, ihr zu bereiten. Wenigstens hatte mich so niemand gesehen, und als mir gemeldet wurde, dass mein Bad bereit sei, ging ich ohne Verzögerung in den jetzt matt hell erleuchteten Raum und schickte den Sklaven weg, der alles vorbereitet hatte. Jetzt wollte ich allein sein mit meinen fruchtlosen Gedanken, die mich ohnehin wieder überfallen würden, wenn ich in meinem cubiculum im Bett lag, und in dieser Nacht war es wohl auch besser, dass ich Bridhe zuvor genauso wie in der letzten gesagt hatte, sie möge nicht auf mich warten. Ich zweifelte nicht daran, dass sie die Gelegenheit nutzen würde, die Nacht bei ihrem Liebsten zu verbringen, selten genug verzichtete ich auf ihre Wärme zwischen meinen Laken.


    Ich glitt, nachdem ich mich entkleidet hatte, in das warme Wasser und lehnte mich sogleich an den Beckenrand, die Arme hinter den Kopf verschränkend, um dann sinnierend die Mosaiken zu betrachten, die mir immer schon gefallen hatten. Wie wäre es wohl, ein Delphin zu sein, ein Tänzer der Meere, sorglos dahin gleiten zu können, unbehelligt von allen Sorgen des Lebens, ein Gespiele und Kind der Götter, die sich an dieser Lebenslust ebenso erfreuen konnten. Wie viel lieber ließ ich die Gedanken schweifen. Zu einem Blick aus dunklen Augen, einem schmalen Körper, fast hager, und jenen lustvollen Lauten, die über ihre Lippen geglitten waren, als wir unserer Leidenschaft gefolgt waren. An manchen Stunden verfolgte mich diese Erinnerung wahrhaftig, aber es war keine schlechte Erinnerung. Sie hatte mich für wenige Stunden aus der Verzweiflung gerissen, und genossen hatten wir es beide. Was sie doch für eine Schauspielerin gewesen war, in jenem Moment, als man uns überrascht hatte - der bühnenreife Ohnmachtsanfall, all ihre verzückte Freude an den schönen Dingen, an diesem verzauberten Ort. Für einen Moment schmeckte ich sie wieder auf meinen Lippen, und ich fühlte, dass die Erinnerung an sie auch meine Lebensgeister weckte .. genüsslich seufzend ließ ich meine Gedanken an jene Nacht zurückkehren, und begann, mir selbst ein wenig Freude zu schenken ...

    Während mein (Groß-) Neffe sich alle Mühe gab, mir nicht nur ein Kotelett, sondern gleich einen ganzen Stier ans Ohr zu reden, übte ich mich in römischer Gelassenheit und ließ einen Großteil der auf mich einprasselnden Worte erst einmal abprallen, sondern sorgte dafür, dass er mir in Richtung des Tempels folgte - immerhin würde es heute sicherlich viel zu tun geben, auch angesichts der Tragödien, die sich derzeit in Rom ereigneten.
    "Wir gehen zum Tempel, wo ich meinen Pflichten nachkommen muss," erklärte ich meinem wissbegierigen Verwandten. "Und wir werden sehen, was es zu tun gibt, schätzungsweise ein paar Opfer und so mancher Bürger, der neben dem Opfer auch einen guten Rat braucht ... [SIZE=7]Deinen Entwurf möchte ich gerne sehen,[/SIZE] [SIZE=5]wenn wir heute abend zurück sind, in Ordnung?"[/SIZE]