So jung, so eifrig. So vom Leben und den Lügen Roms noch unbeleckt, fast als sei er der Venus gleich aus dem Schaum entstiegen, wenngleich es ein hispanischer Schaum war, den es nun abzuwaschen galt, wollte er nicht im orcus enden. Diese Jungenhaftigkeit galt es zu bewahren, solange es nur möglich war, zumindest nahm ich es mir vor, ihn nicht zu überfordern oder zuviel zu verlangen. Noch hatte er alle Zeit der Welt, noch mochte er auch alle Wege ausprobieren, die ihm offenstanden - und einem Flavier standen sehr viele Wege offen.
"Du könntest eine Weile lang mein scriba personalis sein, bis Du Dich für etwas anderes entschieden hast, was hältst Du davon? Ich werde Dir 50 Sesterzen die Woche für Deine Hilfe geben, ein bisschen Geld in der Tasche ist sicherlich nicht verkehrt in einer Stadt, in der es fast alles gibt." Und er würde auch mit den Briefen lernen, die täglich über meinen Schreibtisch flatterten und mich so unendlich langweilten, sein Latein aufzubessern, zumindest stand dies zu hoffen. Der Umgang mit einer bestimmten Form der Literatur gab immer eine Hilfe. Noch immer betrachtete ich ihn, und die Erinnerung an jenhe Zeit in meiner Jugend kehrte fast übermächtig zurück. Es war damals einfach ein anderes Leben gewesen, ohne Pflichten, ohne Sorgen, ohne den Zwang, von dem ich mich damals erst kurz davor befreit hatte. Und heute ... sah alles anders aus.
Beiträge von Caius Flavius Aquilius
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Bona dea. Diese beiden Menschen, durch die ehelichen Schwüre aneinander gebunden, litten an fast derselben Sache, unfähig, es einander zu sagen oder einander in irgendeiner Form nahe zu kommen, nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Und beide vertrauten mir genug, um mir ihre wechselseitigen Sorgen zu eröffnen, das Unvermögen, sich vor dem Partner wertvoll und besonders zu fühlen, die Furcht davor, dem jeweils anderen unwert und primitiv zu erscheinen. Wäre es nicht eine so unglaublich verzwickte Situation zweier Menschen, die ich beide aus sehr unterschiedlichen Gründen schätzte, ich hätte ob der Ironie dieser Gefühlsregungen beiderseits gelacht, so etwas hätte sich wohl nicht einmal ein Ovidius Naso ausgedacht, auch wenn er wirklich ein sehr findiger und kreativer Kopf gewesen sein musste.
"Ähm ... also das mit dem drängen würde sie wohl eher negativ auffassen, keine Frau wird gern gedrängelt, etwas zu tun. Eher würde ich ihr die Anerkennung aussprechen, die sie für ihre geschickte Verwaltung Deiner Finanzen verdient. Ganz offensichtlich tut sie bereits etwas, um Dir zu zeigen, dass sie an einer ehelichen Gemeinschaft und einem gemeinsamen Erfolg im Leben interessiert ist - nur die wenigsten Menschen tun dies plakativ und sprechen stundenlange Liebesschwüre. Sie scheint mir eher jemand zu sein, der im Stillen wirkt und dann hofft, dass es registriert wird. Warum lässt Du sie nicht für euch beide einen Ausflug auswählen, etwas, bei dem ihr euch abseits der Augen der Öffentlichkeit einmal unterhalten könnt, bei dem niemand sonst stört? Und wenn das finanzielle das einzige ist, worüber Dir mit ihr zu sprechen einfällt, dann tu es. Frag sie um ihre Meinung zu diesem und jenem Geschäft, diskutiere Karrierepläne mit ihr. Sie ist klug und vor allem, sie ist eine Claudia."Ich holte ein wenig Schwung für den nächsten Gedankenstrang. "Letztendlich wird ihr ein Leben nicht fremd sein, bei dem die Frau ihren Gemahl in allem unterstützt, denn das ist nun einmal der Weg fast jeder Patrizierin. Sie wird wissen, worauf es bei einem Fest ankommt, das Dich bekannter machen soll. Sie wird wissen, wie man mit anderen Frauen umgeht, deren Männer wichtige Positionen bekleiden - sie kann wahrhaftig eine Stütze für Dich sein und ich denke, dass sie das auch würde." Und nun, ein Schluck Wein für den letzten Anlauf auf den eigentlichen Gedanken hin: "Im Grunde hegt sie ähnliche Befürchtungen wie Du. Dass sie nicht perfekt genug für Dich ist. Dass Du sie verabscheust. Dass Du sie vielleicht sogar hasst, weil sie noch nicht schwanger bist. Glaubst Du denn, Du bist der einzige Ehemann der Welt, der Schwierigkeiten mit seiner Frau hat, vor allem bei solch einer Konstellation? Charakterlich einfach zu handhaben sind weder die Claudier noch die Flavier." Das Geständnis meines Vetters war gleichsam erschreckend wie doch auch mein Mitfühlen erregend, denn letztendlich war er derjenige von uns beiden, den das Schicksal wohl schlimmer geschlagen hatte - er bevorzugte Männer und konnte mit Frauen nicht viel anfangen, und gleichwohl war er mit einer Frau vermählt, die sicherlich sehr zur Leidenschaft fähig war und die wohl nur darauf hoffte, er würde sie entzünden.
"Es ist nun einmal, wie es ist, ihr seid Mann und Frau, Manius ... und wenn Dich dieses Arrangement so sehr dauert, wenn es wirklich keinen anderen Weg für euch beide gibt als nur miteinander zu leiden, dann solltet ihr vielleicht irgendwann auch erwägen, getrennte Wege zu gehen. Es kann doch nicht sein, dass zwei besondere Menschen aneinander nichts zu finden wissen als nur Leid, und dieser Zustand eine Ewigkeit anhält. Besuchst Du sie überhaupt noch nachts?" Ich kam mir vor wie ein Idiot, der dem Menschen einen guten Ratschlag anbot, den ich liebte, um eine Frau glücklich zu machen, die ich schätzte und begehrte - und eine solche Ehe würde mir vielleicht auch bevorstehen, wenn ich mir nicht irgendwie etwas einfallen ließ, um meine zukünftige Frau glücklich zu machen. War es das, was mein Vater damit gemeint hatte, als er mir einmal gesagt hatte, dass in einer Ehe kein Weg ohne Steine sei und meistens mehr Steine vorhanden wären als Weg? Aber an die wirklich unglückliche Ehe meiner Eltern wollte ich jetzt nicht unbedingt denken.
Dann doch lieber träumen ..."Diese sonnigen Tage werde ich niemals vergessen, Manius, als wir noch glaubten, die Welt sei durch die Kraft unserer Wünsche und Vorstellungen veränderbar. Das stundenlange Diskutieren, die vielen Gespräche, unsere Spaziergänge durch Athen, um das Leben dort kennenzulernen - es ist eine Erinnerung, die mir kostbar ist, und doch, wir sind nun hier, im weit weniger strahlenden Rom, und ein jeder von uns hat Erfahrungen gemacht, die uns verändert haben. Vielleicht ist es unser größtes Geschenk, dass wir uns aus dieser Zeit die Nähe zueinander bewahrt haben. Auch heute begleitet uns noch diese Zeit der Sonne, und wann immer ich Dich sehe, sehe ich auch einen jungen Manius, der noch ungleich mehr Träume mit sich herumschleppte. Als meine Erinnerung zurückkehrte nach diesem einfachen Leben als Fischer, war es nicht das Wissen um meinen Platz in dieser Welt, das mich zurückkehren ließ, es war das Wissen darum, wo ich mein Herz wiederfinden würde, und es war stets bei Dir." Ich lächelte ihn warm an, als ich ihm dieses Geständnis gemacht hatte, und es fühlte sich einfach richtig an. Es tat gut, es ihm sagen zu können, wenigstens einmal nicht alles in mir verschlossen zu halten, was mich bewegte. "Du wärst ein Fisch, den ich freilassen würde, auf dass er leben kann, auch wenn ich Dich damit verlieren würde, Manius, und im Bürgerkrieg wärst Du mein Schild, wie ich Dein Schwert wäre. Du kannst nicht schwach sein, wenn ich bei Dir bin, und ebenso kann ich nicht schwach sein, wenn ich Dich nahe wähne."
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Ich nickte zufrieden, meine Botschaft war wohl nicht auf taube Ohren gestoßen, und er schien auch mit dem nötigen Ernst und Eifer an die Sache heranzugehen. Und auch wenn er wohl nicht wirklich ausgebildet war, so schien er doch über den Willen zu verfügen, etwas zu tun, und das war bei den meisten Dingen fast wichtiger als das Wissen allein.
"Du wirst es mir vergelten, Lucanus, und zwar durch ein angemessenes Auftreten und beständigen Eifer darin, die gens Flavia nicht zu beschämen, sondern die Familie passend zu repräsentieren. Hier in Rom werden viele Augen auf Dir liegen, die nur auf einen kleinen Fehler lauern, und ich denke, Du wirst Deinen Weg machen, auch wenn es viele Neider geben dürfte."
Ich öffnete eine der Schreibtischschubladen und schob ihm einen Beutel mit klimperndem Inhalt darin zu, mich dann in meinem Stuhl zurücklehnend, während mein Blick auf ihm ruhen blieb."Das heißt, Dir fehlt die richtige Ausbildung in alle Richtungen .. nun, wenn es Dein Wille ist, Dich zu beweisen, dann kann diesem Zustand abgeholfen werden. Dass Du Dir aus eigenem Antrieb gleich einen Weg zur Verbesserung Deiner Aussprache gesucht hast, spricht für Dich. Hattest Du dadurch irgendwelche Kosten? Wenn ja, lass es mich wissen, dann erhältst Du das auch von mir. Ansonsten kann ich Dir anbieten, mich auf meiner täglichen Pflicht in Zukunft eine Weile lang zu begleiten - zum einen in den Tempel, zum anderen, sollte ich in das Amt eines vigintivir gewählt werden, was ich doch stark hoffe, auch dorthin. Einen genaueren Einblick in die Materie wirst Du kaum ansonsten erhalten." Ich behielt ihn im Blick, seine Reaktion gespannt abwartend - dies war ein Angebot, das man nicht oft erhielt, vor allem nicht, vielleicht einen Magistraten zu begleiten.
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Zitat
Original von Marcus Aelius Callidus
Auf sein Klopfen hin ertönte aus dem Inneren des raumes eine Stimme.
> Bitte, tritt ein! <
Es war der procurator a libellis, der den Flavier dort willkommen hieß, nachdem Aquilius eingetreten war.
> Flavius Aquilius, ich grüße dich. Ich sehe, du bist meiner Bitte sehr schnell nachgekommen, mich hier aufzusuchen. <Ich stand dem Amtsträger direkt gegenüber, das verriet mir seine Haltung, die von einer ruhigen Art geprägt war, und antwortete auf seine Begrüßung mit einem leichten Lächeln: "Salve, Aelius Callidus. Es geschieht nicht allzu oft, an den palatium gerufen zu werden, und neben einer gewissen Neugierde trieb mich natürlich auch die Hoffnung auf etwas Positives hierher."
Wahrscheinlich ging es fast jedem Besucher in diesem Officium so, und ich bildete da keine allzu große Ausnahme. "Zudem - Dein Schreiben enthebt mich einer grässlichen Mittagspause mit meinem collegi und deren wortreichen Schilderungen irgendwelcher absolderlicher Krankheiten, Du siehst, ich wäre zur Not auch hierher gerannt." -
"Für Hispania ist eine lebendige Eiche sicherlich eine schöne Idee - aber Bäume können gefällt werden, wenn wir nicht mehr da sind, und ich würde sie gerne, wie es angemesen ist, mit einem entsprechenden Gedenkstein verewigen. Das soll Deine erste Aufgabe hier in Rom sein - finde einen Steinmetz, der gute Arbeit leisten wird, überlege Dir, was auf ihrem Stein stehen soll und wie er aussehen soll. Ich werde die Kosten tragen, wenn dieser Handwerker nicht zu wuchern anfängt, denn es liegt nun bei uns, den hispanischen Zweig der Flavier am Leben zu erhalten, und damit auch die memoriae aller, die ihm angehört haben."
Ich hatte ernst und bestimmt gesprochen, neben dem Weg in den cursus honorum war dies ein weiterer, wichtiger Punkt, der auf meiner geheimen, inneren Liste gelandet war. Es gab viele gute, strebsame Mitglieder des hispanischen Flavierzweigs, und diese sollten nicht vergessen werden im Schatten der wenigen, die Entsetzliches getan hatten."Was das Opfer angeht, werde ich Dir gerne helfen, auch zum Gedenken an Deine Mutter, die, wie es mir scheint, einen günstigen Einfluss auf Deine Entwicklung genommen hat, nachdem mein Neffe gestorben ist. Du kannst mich morgen in den Tempel begleiten und wir werden die nötigen Opfergaben gemeinsam aussuchen, was hältst Du davon? Dann brauchst Du eine neue toga - ohne wirst Du nicht vor einen Altar treten - und ein paar anständige Kleidungsstücke, die Rom angemessen sind ..." Kurz überlegte ich, um dann zu schmunzeln. "Meine Sklavin Bridhe wird am besten mit Dir einkaufen gehen, sie macht das bestimmt gern, ich kenne keine Frau, die nicht gern einkaufen gehen würde."
Eine Aufgabe wollte er haben, eine Aufgabe auf Dauer ... nun, ich würde sicherlich eine finden. "Was interessiert Dich? Hast Du schon irgendeine Form der Ausbildung genossen - abseits des Cursus in der hiesigen Schola? Bestimmt hast Du Dir irgendwann einmal überlegt, in welche Richtung Du gerne gehen würdest, und wenn es in meiner Macht steht, Dich zu unterstützen, werde ich dies gerne tun. Letztendlich sind wir beide Teil derselben Familie, und mein Bruder hätte sicher gewollt, dass ich mich seines Enkels annehme." -
Salve miteinander!
Eine Frage, die sich mir seit einiger Zeit immer wieder gestellt hat, ist die Tatsache, die sich bietet, wenn man in den cultus deorum blickt. Es gibt momentan einen aktiven sacerdos, zwei aktive pontifex' und einen septemvir. Und das wars.
Insgesamt haben derzeit 14 Charaktere die Probatio rerum sacrarum I, die 'Zugangsvoraussetzung' für das Spiel als sacerdos für irgendeine Gottheit, die man sich frei, je nach Geschlecht des Charakters, wählen kann. Aber warum haben diese Charaktere die probatio und nutzen sie nicht? Der CD braucht Nachwuchs, jetzt mehr denn jemals zuvor - aber anscheinend ist das Spiel eines Priesters oder einer Priesterin irgendwie abschreckend.
Gibt es einen speziellen Grund dafür? Ich würde es einfach gern wissen, und auch, wie der CD überhaupt gesehen wird. Letztendlich kann ein Priestercharakter viel Spaß machen - sonst würde ich keinen solchen spielen - und man lässt sich so einige Möglichkeiten entgehen.Aquilius
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Ich hob etwas die Schultern, dann musste ich doch schmunzeln. "Du scheust Dich nicht, einem anderen Deine Ansichten zu sagen, das ist eine gute, wenngleich nicht immer nützliche Eigenschaft ... was das Tribunat angeht, nun, es nicht zu müssen bedeutet ja nicht, dass es einen nicht auch herausfordern könnte. Den meisten Mitgliedern meiner Familie ist das Militär eher fremd, und vielleicht reizt es mich gerade deswegen herauszufinden, ob ich dafür tauge oder nicht. Nicht zuletzt sollte ein Marspriester das Leben der Soldaten einmal geteilt haben, es ist sozusagen auch eine Verpflichtung, die ich mir darin selbst auferlege.
Seine zweite Frage allerdings ließ mich kurz stutzen, die Stirn runzeln, bevor ich ihn mir dann genauer ansah. Immerhin war er mit Corvinus verwandt, sie lebten im selben Haus, ein wenig sollte er seinen Onkel dann schon kennengelernt haben.
"Nun ... er war mir stets ein verlässlicher, treuer Freund, auf den ich mich in der Not würde stützen können, so ich ihn darob fragen würde. Warum fragst Du nach seinem Charakter? Er sollte Dir doch bekannt sein aus eurer häuslichen Gewohnheit." Es musste richtigen Ärger zwischen ihm und Corvinus gegeben haben, wenn er mich schon solche Dinge fragte. -
"Es gab in der Acta in der Vergangenheit schon extra geführte Gespräche, die dann wörtlich übertragen wurden, vielleicht finde ich einen der Subauctoren, der bereit wäre, dies mit mir zu machen - angesichts einer möglichen Kandidatur und dem jüngst vergangenen Armilustrium gibt es sicher vieles, was man mich außerdem fragen könnte," überlegte ich in der Sache weiter und nickte dann.
"Ja, ich denke, so werde ich es machen. Es ist eine Schande, wie der Tempel in der Vergangenheit vernachlässigt wurde, und daran sollte sich wirklich bald etwas ändern. Vielleicht ist mir deswegen diese Bausicherheitsdiskussion so im Gedächtnis geblieben, weil ich eigentlich fast jeden Tag die Risse in der Wand sehe und über die Sanierung nachdenken muss." Wieder fand ein Schluck Wein den Weg durch meine Kehle, und ich betrachtete meinen Gesprächspartner sinnierend, während ich schluckte.
"Wahrscheinlich wird eine ideelle Förderung weit mehr vonnöten sein als eine finanzielle, der cultus deorum ist zumindest in Rom recht gut gestellt, wie ich hörte. Aber offizielle Förderer sind leider doch sehr rar, genau wie der Nachwuchs." -
"Warum sollte ich über dieses einzige, tiefste, schmerzvollste Moment meines Lebens sprechen, Marcus? Warum es ausbreiten, wenn sich doch nichts an dem ändert, was ist? Ich hatte gedacht, dieses Gefühl .." Ich sprach das letzte Wort fast verabscheuend aus, denn in so manchem Augenblick war es mir, als gäbe es diese Liebe nur, auf dass ich leiden müsste. "... irgendwann verblassen würde. Mit den Jahren geringer werden, weniger wichtig, weniger bestimmend, dass es mir irgendwann gelingen würde, wieder für einen anderen Menschen offen zu sein, egal ob Mann oder Frau. Aber es ist nie geschehen. Ich sehe ihn und seine Frau, unterhalte mich mit ihm, wir scherzen zusammen, trinken unseren Wein gemeinsam und doch - alles, was mehr wäre als diese harmlosen Dinge, all das ist verboten. Er ist mein Vetter, wie Du schon richtig festgestellt hast." Jetzt war es leichter, die ganze Sache logisch anzugehen, und mit einem Handrücken wischte ich mir über die Augen, als könnte es die vergossenen Tränen irgendwie negieren, diesen Augenblick der Schwäche auslöschen.
"Dafür darf es keine Möglichkeiten geben, Marcus, Du kennst die Strafen für Inzest, und der sich entwickelnde Skandal würde ihn stürzen ... gäbe es überhaupt Hoffnung." Ich durfte ihm nicht sagen, dass Gracchus ähnlich empfand wie ich, denn auch wenn Marcus mein Freund war, meine Geheimnisse kannte, so wusste ich doch nicht, wie nahe sich mein Vetter und mein Freund wirklich standen, und allein der Gedanke daran war schon unerträglich. Einen anderen Mann in seiner Nähe würde ich niemals dulden können, auch und schon gar nicht Marcus.
"Helfen kannst Du mir nicht dabei, denn gäbe es eine Hilfe für diesen Zustand, hätte ich sie mir längst gesucht, längst versucht, etwas an dem zu ändern, was ist. Ich kann es nur akzeptieren, wie es ist, und hoffen, dass meine Gedanken, meine Empfindungen nicht zu oft in eine Richtung driften, in die sie nicht gehen dürfen." Nach einer kurzen, sinnierenden Pause fügte ich leise, den Kiopf zu ihm gewandt, an: "Aber ich danke Dir dafür, dass Du es überhaupt in Erwägung ziehst, nach all dem, dessen ich Dich geziehen habe. Ich ... ich kann selbst nicht so recht ...verstehen, was mit mir los war. Ich ..." Leicht schüttelte ich den Kopf, einerseits über meine Ratlosigkeit, andererseits über mein Verhalten."Ich war noch nie so ... mörderisch wütend. Und das wegen einer einzigen Szene, die nicht einmal war .. was ich dachte." Hoffte ich. Hoffentlich war es wirklich nur ehrliche Anteilnahme gewesen, der Versuch, den Untröstlichen zu trösten. Über mehr wollte ich nicht nachdenken, auch nicht darüber, was Gracchus dabei wohl empfunden hatte. "Allerdings, was den Tod angeht, kann doch niemand leugnen, dass die Flavia derzeit ihm sehr nahe wandelt. Wie hoch steigen doch manche unter uns, vorzüglich in ihren Gaben, ihrem Tun, um dann zu fallen und in Dunkelheit zu vergehen. Es ist das unselige Blut, das einen Domitius groß gemacht hat, und dann in Zorn und Wut vergehen ließ, wir tragen es alle in uns, diese dunkle Blut, diese Raserei, diese Neigung zum Dunklen, jeder auf seine eigene Art. Bis heute dachte ich, ich wäre davon in weitem verschont geblieben, aber nun weiss ich es besser." Ich, ein Teil seiner Familie? Das hatte mir noch kein Mensch jemals gesagt, mein Vater hatte mir eher in seinem Zorn entgegen geschleudert, er bereue es, dass ich ein Teil der Familie sei. "Ich bitte Dich um Verzeihung, Marcus, auch wenn ich weiss, dass es wohl kein Verzeihen gibt für die Worte, die ich Dir entgegen warf. Ich war .. nicht bei mir selbst, ich weiss nicht einmal, ob ich es jetzt wirklich bin."
Ich lehnte still den Kopf an seinen, und so saßen wir da, auf den Holzsplittern auf dem Boden der Laube, in den Garten mit jenen alten Bäumen blickend, deren Äste sich im Wind wiegten. Wieviel hatten sie wohl schon gesehen, gehört, beobachten können? Hatten sich an diesem Ort noch andere Tragödien ereignet? Oder hatte ich ihn nun mit meinem Schmerz entweiht, eine kleine Liebeslaube, die einst einem anderen Zweck gedient haben mochte?
"Manchmal ist es, als würde ich innerlich entzwei brechen ... und es ändert sich nicht, nichts daran ändert sich. Das ist vielleicht das Schlimmste von allem, es nicht vergessen zu können, immer weiter zu hoffen, und doch zu wissen, wie sinnlos es ist." -
Ich blieb einfach sitzen, während mir das Holz in die bloßen Knie und Schienbeine schnitt, wo es gesplittert war, aber ich konnte dies nicht einmal mehr spüren. In meinem Körper war einfach nichts mehr, kein Gefühl, kein Zorn, kein Funke dessen, was einen Menschen wohl lebendig machte, übrig geblieben war nur die Leere, war der Gedanke an den Tod, der uns Flaviern immer wieder nahe kam. War es das, warum unsere Familie so strahlend emporsteigen konnte, um dann umso tiefer zu fallen? Einen Fluch trug ein jeder mit sich herum, der unser Blut in den Adern führte, und dieser Fluch war es, der uns irgendwann in den Dreck zwang. Selbst Arrecina, die liebe, kleine Arrecina - oder Leontia, schön und talentiert. Auch sie waren gefallen, in den Staub die Sterne.
Die Worte glitten über meinen Körper, der sich seltsam nackt und schutzlos präsentierte, obwohl ich eigentlich korrekt bekleidet war - vielleicht war es die Haltung, diese kompromisslose Hoffnungslosigkeit in meinem Inneren, die mich dies glauben ließ, und sein Nachfragen prasselte auf mich hernieder wie ein kühler Winterregen auf das nackte Land, wenn es nicht bestellt wurde. Doch weder die Betonung, noch den Sinn konnte ich direkt aus jenem Gesprochenen extrahieren, vorerst waren es nur Worte.Nicht einmal Bridhes Niesen hörte ich wirklich - was sicherlich ihr Glück war und ihr nun noch ein wenig weiteres Lauschen ermöglichte, ohne dass ich davon auch nur ein Quentchen ahnte - meine Welt war einzig und allein darauf beschränlt, auf den mit Splittern übersäten Boden zu starren und zu hoffen, ich würde einfach nur umfallen, mein Herz aufhören zu schlagen. Einfach zu hoffen, es wäre bald vorüber. Vielleicht hätte ich doch springen sollen. Dann umfassten mein Gesicht seine Hände, er zwang mich, hinaufzublicken, und verschwommen erschien mir sein Gesicht vor Augen, ohne dass ich ihn wirklich erkannte, sah ich doch in eine Ferne, die in meinem tiefsten Inneren lag und dort heraus auch nicht genommen werden konnte. "Er war es stets, und immer nur er," flüsterte ich kaum hörbar, noch immer tonlos, so leise, dass er mir sehr gut würde zuhören müssen, um die Worte zu verstehen. "Du hast mich irgendwann einmal gefragt, warum es damals ... dabei blieb. Ich konnte nicht. Man kann nichts verschenken, das man nicht mehr besitzt, und ... er besaß mein Herz seit dem ersten Tag." Ich blinzelte leicht, und dieses Mal rannen einige stille Tränen meine Wangen herab, ohne dass ich mich dafür schämen konnte. Es war im Grunde egal geworden, jetzt, da auch noch dieses letzte Bisschen meines Inneren offen zutage lag.
"Ich weiss nichts mehr, Marcus, nichts mehr, was ihn angeht," wieder nur leise geflüsterte Worte, wenngleich eine angestrengte Lauscherin sie vielleicht noch vernehmen konnte. "Als ich euch sah ... egal was da nun ist ... konnte ich .. konnte ich nicht mehr. Es ist wohl .. eine verbotene Leidenschaft, etwas, das sich niemals entfalten wird. Nicht entfalten darf. Jeder Mensch darf ihn offener anblicken als ich es jemals dürfte. Jeder Mensch ihm näher sein. Es ... ich könnte ihn sogar ..verstehen, hätte er Dich gewählt."
Die bitteren Worte schmeckten auf vertraute Weise gleichsam schmerzvoll und doch süß, endlich war ich wenigstens von dieser Last befreit, einmal hatte ich es ausgesprochen, und niemals wieder würde ich es aussprechen müssen. Letztendlich hatte ich mich in Marcus' Hand gegeben, bei dem ich nicht mehr wusste, was er war, wieviel er mir noch sein konnte, und was Gracchus vielleicht doch zu ihm hinzog. Das Bild blieb mir noch lebendig und wach vor Augen, diese eine, vertraute Geste, die ich ihm nicht hatte schenken dürfen, und immer würde ich nur der Beobachter bleiben. "Ich glaube nicht einmal mehr an mich selbst, Marcus, wie kann ich da noch irgendwem glauben ... Ovidius Naso hatte doch immer Recht, die Liebe schenkt einem nichts als Leid." -
Es war das erste Mal, dass ich den Senat von innen sah, mit eigenen Augen konnte ich die Ränge betrachten, auf denen ältere und jüngere Männer saßen, in der traditionellen Kleidung jener herausragenden Diener des Volkes unseres Imperiums. Oft hatte ich mich in meiner Phantasie hierher begeben, auf den literarischen Spuren des unsterblichen Tullius Cicero wandelnd, eintauchend in die Schriften der Annalisten, welche sich getreulich bemühten, den Werdegang unserer Politik zu beschreiben, beginnend in der Zeit der Republik bis hin zum heutigen Tag. Wünschte sich nicht jeder römische Junge irgendwann einmal, hier zu stehen, vor den Augen jener, deren Entscheidungen das ganze Reich zu beeinflussen imstande waren? Im Grunde verirrten sich meine Gedanken vor allem aus einem Grund in solch weitschweifige Überlegungen - um der offensichtlichen Nervosität nicht zu viel Raum zuzubilligen, die mich fest im Griff hielt. Das war etwas ganz anderes als ein öffentliches Opfer, und wenn bei einem Opfer die Gefahr immer bestand, durch einen falschen Handgriff den Zorn der angerufenen Gottheit auf uns hernieder zu beschwören, so war doch eine Blamage mitten unter den patres conscripti ebensowenig erstrebenswert. Ein Tier zu töten konnte man üben, eine Rede hundertmal vorher aufsagen, damit man sie korrekt aussprechen konnte, ebenso - aber es änderte nichts an der Situation, vor der man dann stand: Viele neugierige Augen, von denen so manches Augenpaar vielleicht auch darauf hoffte, einen durch eine geschickt gestellte Frage in die Defensive zu zwingen.
Auf meine äußere Erscheinung hatte ich wie stets viel Wert gelegt - die toga candida war blütenweiß und von meinen Sklaven seit dem Einkauf ausgesprochen vorsichtig behandelt worden, damit sich darauf nicht ein Stäubchen würde finden lassen, die Falten waren straff und eher elegant als zu voluminös drapiert, mein Haar frisch geschnitten - kurz und gut, hätte irgendwann heute ein Statuenbildner eine Modellvorlage gesucht, wäre ich sicher nicht die schlechteste Wahl gewesen. Vorausgesetzt, der Statuenbildner hätte mein vages Zittern bereitwillig übersehen. Wenigstens das hatte sich inzwischen gelegt, und während ich auf die Aufforderung vortrat, in die Mitte des Runds, um von allen Anwesenden gut gesehen zu werden, atmete ich ein paar Mal tief durch. Im Grunde war es wirklich fast wie bei einem Opfer - mit dem Unterschied, dass ich die Stelle des Lamms einnahm, das zur sprichwörtlichen Schlachtbank geführt wurde, respektive, freiwillig hinging. Die Schultern straffend, hob ich zu sprechen an:
"Werte patres conscripti, ich trete als ein Mann vor euch, der zwar aus einer alten und angesehenen Familie stammt, und doch nicht mit den stolzen Ahnen aufwarten kann, die beispielsweise die Senatoren Flavius Felix oder Flavius Gracchus nennen könnten. Meinem Vater Aulus Flavius Atticus war leider eine politische Karriere nicht vergönnt, doch sorgte er für meine rhetorische Ausbildung, die ich in Athen, der Wiege der gepflegten Redekunst auch erhielt. Nach Beendigung meiner Studien wandte ich mich gen Rom, um als sacerdos dem Ruf des Mars zu folgen, dem ich bis zum heutigen Tage diente und weiter dienen werde. Einige der euren habe ich sehr wohl bei den Feiertagen erblickt, die wir gemeinsam begangen haben, um dem Geiste Roms und den Göttern zu dienen, und gemeinsam haben wir unseren Bund mit den Göttern wie jedes Jahr durch Opfer und Feste erneuert, wie es nicht nur unsere Pflicht, sondern unser Vorrecht als Römer ist.
Doch nicht nur Opfer und die Betreuung der Menschen, die jetzt in den Kriegszeiten die Hilfe des Mars in besonderer Weise suchen, waren hierbei meine Aufgaben als sacerdos publicus, sondern auch die Ausbildung junger discipuli, auf dass die Reihen des cultus deorum auch weiterhin mit Leben erfüllt bleiben. Vor kurzem erhielt ich die Ehre, als magister der salii palatini gewählt zu werden, ein Posten, den ich seitdem mit Stolz auf unsere ehrwürdigen Traditionen ausfüllen darf. Doch die größte Ehre wurde mir durch den Willen des Imperators selbst zuteil, indem er mich in den ordo senatorius erhob und mir diese Kandidatur ermöglichte, obwohl in meiner Ahnenreihe sich kein Mann derartig bisher ausgezeichnet hatte. Es ist mein Wunsch, einen Beitrag zum Fortkommen Roms zu leisten, den ich glaube erbringen zu können, und dieser Beitrag soll, wenn es eurem Willen entspricht, meine ganze Aufmerksamkeit erhalten, wie es für jedes Amt vonnöten ist."
Spätestens jetzt mochte wohl der ein oder andere gelangweilt dreinblicken, denn im Grunde waren wohl diese Vorstellungen der eigenen Wünsche und Herkunft bei fast jedem Kandidaten gleich und gleichsam anödend. Also beschloss ich, den Abschluss kurz zu halten und fügte nach einer Atempause ruhig geworden an:
"Würde diese Kandidatur allein nach meinem Willen verlaufen, würde ich mir das Amt eines tresvir capitalis zuordnen, da ich darin die größtmögliche Herausforderung und Möglichkeit sehe, meine bisherige Tätigkeit zu verfeinern und mein Wissen über die Vorgänge im Inneren des Imperiums zu erweitern. In keinem der anderen Ämter dürfte der Einblick in die kriminaltechnischen Belange Roms genauer möglich sein, von der iuristischen Grundlage an ausgehend bis hin zum tatsächlichen Kontakt mit den beschuldigten Personen. Dem Imperium zu dienen verstehe ich auch darin, einen Dienst zu leisten, der vielleicht nicht unbedingt bequem von einem Schreibtisch aus zu führen ist und von einem Mann eine hohe moralische Integrität verlangt, ebenso eine geschulte Menschenkenntnis. Doch da dies hier keine Wunschveranstaltung ist und die Entscheidung über meine spätere Tätigkeit in euren Händen liegt, will ich diesen Gedanken hiermit abschließen und euch Raum für eure Fragen geben."
Damit hob ich den Blick zu den Rängen und sah den Fragen, den Senatoren und schätzungsweise so einigen neugierigen Blicken entgegen. -
Sein Wort das ausstehende Opfer betreffend klang aufrichtig und ernst, und ich akzeptierte diese Ankündigung mit einem leichten Nicken. Mehr zu zweifeln hätte auch bereits an seiner Ehre gekratzt, und das war nichts, was ich einem eigentlich fremden Patrizier antun wollte. Es gab schon zu viele bittere Dinge in der jüngsten Vergangenheit, dem wollte ich nicht auch noch einen Streit mit einem Fremden hinzufügen.
"Manchmal ist der Willen, etwas zu schaffen, bedeutsamer und wichtiger als das Wissen, wie es zu erreichen ist. Es gibt doch so viele Beamte dieses Staates, die zwar so einiges zu tun imstande wären, aber doch keinen Finger rühren, um irgend etwas zu verbessern. Das ist für meinen Geschmack verschwendetes Wissen, da wäre mir jemand lieber, der vielleicht noch nicht die Erfahrung aufweisen kann, aber den Willen hat, etwas zu erreichen."
Dass Ursus ebenso ein Tribunat angeplant hatte, ließ mich kurz schmunzeln - er schien zumindest nicht zu den Faulenzern der patrizischen Schicht zu gehören, das empfand ich als einen guten Ansatz, um auch in der Politik den richtigen Weg zu gehen."Er ist Dein Onkel?" Ein bisschen überrascht blickte ich ihn nun doch an - die beiden waren recht jung, und diese Art der Familienkonstellation war dann doch etwas eigenartig. Mich trennte wenigstens von meinem Großneffen mindestens eine Dekade Jahre. "Nun, wie gut kennen wir uns ... wir sind gut befreundet, würde ich sagen, und kennen uns schon hmm ...einige Jahre. Wiedergesehen haben wir uns allerdings erst, als er vom Militärtribunat zurückkehrte. Warum fragst Du?"
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Ich hörte dem Wortschwall zu, den er auf mich einprasseln ließ, und darin fand ich ein wenig meines Bruders, denn auch seine Art war es oft gewesen, einem viele Details auf einmal um die Ohren zu hauen - und das mochte sich auf seinen Sohn und dann den Enkel vererbt haben. Seltsam, wie die Zeit doch manchmal spielte, nun hatte ich schon mehr als dreißig Sommer gesehen und doch meinen Großneffen nie kennengelernt.
"Konntest Du Deine Mutter angemessen beerdigen? Wenn nicht, werde ich das veranlassen, es geziehmt sich nicht für eine Frau aus der Familie, kein richtiges Begräbnis gehabt zu haben, keinen Grabstein - keine Statue, die an sie erinnert. Mit Deinem Platz bei der Familie hatte sie allerdings Recht. Hier in Roma wirst Du alle Möglichkeiten haben, die Du in Hispania schätzungsweise niemals haben wirst - und sollte es Dein Wunsch sein, die Rhetorik in Achaia, genauer gesagt in Athen, der Wiege der Redekunst, zu studieren, sag es mir nur, und ich werde einen Weg finden, Dir dies zu ermöglichen."Er war noch so jung - in diesem Augenblick spürte ich die Last der vergangenen Jahre deutlicher denn je. Auch ich hatte einmal mit solchen wachen Augen in die Zukunft geblickt, und was war davon schon geblieben?
"Da Du der Enkel meines Bruders bist und es ansonsten auch keine anderen hispanischen Flavier hier in Rom gibt, werde ich Dir zur Seite stehen, wo ich es nur kann, und ich würde Dir empfehlen, dass Du Dir alsbald einen passenden Ort suchst, an dem Du Deine Ergebenheit dem Imperium gegenüber beweisen kannst. Dass Du die Hinlänglichkeit Deiner Aussprache korrigieren möchtest, spricht für Dich, und es ist auch unerlässlich, dass Du daran arbeitest, bevor Du hier in die Öffentlichkeit trittst - Rom unterscheidet sich sehr von Hispania, und wenige der Dinge, die hier anders sind, würde ich positiv sehen. Gibt es denn etwas, wofür Du Dich besonders interessierst? Das Militär vielleicht? Der cultus deorum? Die Politik gar?" -
"Es gibt kein ihr .." Jetzt hatte ich gebrüllt, sicher weithin durch den Garten hörbar, auch für irgendwelche versprengten Sklaven, die sich mit der Aufgabe herumschlagen durften, Felix' wuchernden Garten zu bändigen. An jedem anderen Tag hätte ich meine Stimme gemäßigt, den Zorn gebändigt, der in mir pulsierte, aber heute war mir das nicht mehr möglich, verkauft, verraten. Und abermals verraten und verkauft. Hatte Gracchus ihm denn gar nichts von mir erzählt? War ich ihm so wenig wichtig gewesen, dass er nicht einmal seinem neuen Geliebten gegenüber irgend etwas gesagt hatte, nicht auch nur ein einziges Wort? Ich wusste ja, dass er den Namen der Familie um jeden Preis rein halten wollte, vielleicht hatte er mich sogar schützen wollen, aber dieses verletzte und überraschte Gesicht meines ehemaligen Freundes gab mir einfach den Rest. Es war der letzte Hieb einer zerstörerischen Schlägeserie, und dieser letzte Hieb durchtrennte den schützenden Maskenschild endgültig, den ich so oft zwischen mich und den Rest der Welt erhob.
"Du kannst Dir nicht vorstellen, wie es ist ... ein Leben lang zu hoffen. Zu ersehnen. Immer genau zu wissen, ich müsste nur eine Hand ausstrecken, um diese Haut zu berühren. Nur einen Schritt tun zu müssen, um nur einen einzigen Kuss zu erspüren. Nur einen einzigen Schwur zu brechen, um endlich alles so sagen zu können, wie man es fühlt ..." meine Stimme brach vor Anstrengung, die tausendfachen Dinge in Worte zu fassen, die ich sagen wollte und doch nicht konnte, das ganze Elend der verstrichenen Jahre zum Ausdruck zu bringen, dieses ewige Schwanken zwischen Selbstbeherrschung und enttäuschter und immer wieder enttäuschter Hoffnung, die einem nur das Herz weiter zerreissen konnte. "Hast Du nicht Deandra? Sagtest Du nicht, ihr liebtet euch? Warum hast Du es nicht dabei belassen, Marcus, ich frage es Dich! Warum musstest Du mir das wenige nehmen, worauf ich hoffen konnte? Ich wünschte, ich wäre tot! Wie konntest Du ihn nur in der Öffentlichkeit so berühren? Wie konntest Du nur?! Willst Du euch beide bloßstellen, das Verbotene in die Öffentlichkeit tragen, damit es jeder sieht?"
Ich hatte mich ruckartig von der cline erhoben, war einige Schritte durch die Laube gegangen, die für mich jetzt jegliche Ruhe eingebüßt hatte, die ich mir dort erhofft hatte. In einem zwischen Schmerz und Leid knirschenden Stöhnen griff ich nach dem kleinen Tischchen, das dort unschuldig und zierlich in der Ecke stand, und schleuderte es gegen eine der freien Säulen der Laube, wo es zersplitterte und krachend zerstört wurde, die Holzfetzen prasselten um uns herum zu Boden und ich atmete tief durch, blieb mit heftig klopfendem Herzen stehen, auf die Trümmer starrend, die so gut versinnbildlichten, wie ich mich gerade fühlte. "Du solltest gut überlegen, ob Du Deine Verwandte an die Flavia verheiraten willst, denn alles, was wir haben, was uns bleibt, ist der verdammte Tod!" Dieser Schrei gellte nun wirklich über den einst friedlichen hortus, und es war auch der Moment, in dem ich auf meine Knie sank, auf einige der Holztrümmer herab, und nur noch sitzen blieb, als sei sämtliches Leben aus mir gewichen.
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Ich konnte nicht einmal mehr sprechen, selbst dazu fehlte mir die innere Kraft. Leblos saß ich da, auf dieser cline, an jenem Ort, an dem ich mich wenigstens für einige Stunden hatte vor der Welt sicher gewähnt, die nun in der Gestalt meines einstigen Freundes wieder über mich hereingebrochen war. Wie sehr wünschte ich, Severus hätte gerade mal wieder jemanden entführt, auf dass ich diesem Moment hätte entfliegen können, fort reiten, und dann niemals wieder zurückkehren. Nicht einmal Bridhe mit ihrer oft vorlauten, vorwitzigen Art tappte durch den Garten, laut nach mir rufend, oder irgend etwas, das die Stille zerreissen, das Verstreichen der Augenblicke weniger zäh und quälend machen würde. Meinetwegen hätte die ganze verfluchte villa einstürzen können, in der alle Bewohner doch nur unglücklich wurden, es hätte mich aus diesem Moment gerettet, vor Corvinus und seiner falschen Freundlichkeit und der Lust, mich und ihn zu entleiben, damit es vorüber war. Gracchus wäre frei dann, könnte endlich leben, vergessen, mich vergessen, und ich wäre gestorben, indem ich wüsste, dass er niemals wieder von Corvinus berührt würde.
"Du kannst mir nicht helfen," würgte ich mühsam hervor und musste den Drang unterdrücken, ihn mit meinem Fuß wegzustoßen, dieser Hand zu entkommen, die mir klebriger und widerlicher schien als eine Qualle frisch aus dem Meer auf der nackten Haut. "Und es gibt auch nichts mehr herauszufinden, denn wo es nichts mehr gibt, gibt es auch nichts zu finden," fügte ich an, die Stimme monoton geblieben, doch mit einer Andeutung der Qual, die mich jedes Wort kostete. "Was willst Du, Marcus? Willst Du Dich an dem weiden, was Du siehst? Reicht es nicht, dass es alle Welt sehen konnte? Musst Du mich nun auch noch ... besuchen .. und mir vorführen, wie gut es Dir dabei geht? Geh, und komm nicht wieder, ich will Dich nicht mehr sehen!"
Die letzten Worte hatte ich ihm nur noch entgegen gezischt, ohnmächtig vor Wut starrte ich ihn an, denn auslachen würde ich mich nicht lassen, so tief war ich noch nicht gesunken, wenigstens diesen letzten, kleinen Rest meiner verloren gegangenen Würde raffte ich zitternd an mich und presste ihn im Geiste an meine Brust. "Hast Du mir nicht genommen, was ich ... geliebt habe ... den einzigen Menschen, der es für mich auf dieser verdammten Welt wert war ... und es mir und Rom gleichermaßen auch noch vorführen müssen? Es reicht, Marcus, es reicht! Ich kann nicht mehr, und ich will auch nicht mehr." -
Er hakte nach. Natürlich. Denn sonst wäre das falsche Spiel herausgekommen, das er trieb. Er musste sich als der gute Freund erweisen, derjenige, der sich Gedanken über mich machte, um dann unschuldig und arglos zu wirken, wenn irgendwann einmal etwas von seiner Liebe zu Gracchus herauskommen würde. Wahrscheinlich, um mich am Ende noch als Leumundszeugen aufbieten zu können, sollte sein Ruf unter diesem desaströsen Verhältnis leiden. Meine Finger streckten sich, ballten sich zur Faust, die Fingerknöchel wurden weiß und zeichneten sich gegen meine braune Haut überdeutlich ab - am liebsten hätte ich ihm die Faust in sein falsches Gesicht gerammt, dieses verdammte heuchlerische Getue aus ihm herausprügeln, damit er mich niemals wieder anlügen würde!
Wenig gab es, was ich wirklich hasste, was mich an einem Menschen abgrundtief abstieß, und eins der wenigen Dinge war Unehrlichkeit, war das falsche Lächeln, während die Lüge ausgesprochen wurde und der Lügner noch glaubte, damit durchkommen zu können. Hatte ich mich denn so sehr in ihm getäuscht?"Warum sollte ich glauben, dass Du es gewesen wärst?" Das war doch wohl der größte Blödsinn, den ich jemals gehört hatte. "Es gibt doch keinen Grund dafür. Und die Menge hätte wohl jeden, der irgendwo im Verdacht stünde, ihr dies angetan zu haben, bereits zerfetzt und durch die Stadt geschleift." Ja, in Fetzen, blutend ... das Bild vor meinen Augen schien mir einen Moment lang unglaublich verlockend, ihn einfach nur auf dem Boden zu sehen, Genugtuung für meinen Schmerz erhalten zu haben, triumphierend über ihm zu stehen - und gleichzeitig mischte sich dieses Bild mit dem der Leiche Agrippinas, das Gesicht im Todesschmerz verzerrt, ihr Körper blutig, die dunkelrote Lache auf dem hellen Marmorboden der Tempelstufen ... nein. Ich kniff die Augen zusammen, atmete schwer und schwerer, nicht einmal dazu war ich fähig, diesen Mann tot sehen zu wollen, ich konnte es nicht. Wahrscheinlich geschah mir das alles Recht. Wer schwach war, konnte sich auch nicht anmaßen, einen Menschen wie Gracchus halten zu dürfen, er hatte anderes verdient. Einen stärkeren Mann. Der Wind fuhr mir eisig durch das Haar, ließ die Bäume um uns herum rauschen, als flüsterten sie ein Todeslied.
"Wenigstens konntest Du Gracchus beistehen," sagte ich tonlos, und das Messer meiner eigenen Worte fuhr bei diesen Worten umso tiefer in meine Eingeweide, als müsste ich mir durch eigene Hand all diesen Schmerz irgendwie herausbrechen, damit es enden würde, egal, wie es dann endete. Gracchus. Mein Manius. Ich war zu schwach gewesen, das musste es sein. Vielleicht hätte ich ihn irgendwann verführen sollen, entgegen seiner Worte, entgegen seiner Taten, und seinen Willen brechen durch den meinen, durch diese nie endende Sehnsucht, die uns beide verkrüppelt hatte. Selbst jetzt, da ich wusste, was sie nun teilten, konnte ich nichts anderes tun als seinen Namen zu nennen, wie ein Verlorener.
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"Für den Moment nicht, danke," sagte ich und hob nur eine Braue an, als er mir das Thema der culina unterzujubeln versuchte. Straton und seine ewige Mäkelei am Essen, das musste doch jetzt nicht auch noch sein. "Darüber sprechen wir später, ich habe noch zu tun," gab ich ihm unmissverständlich zu verstehen, dass das Thema gerade nicht wirklich beliebt war und wandte mich dann meinen Schriftrollen zu - einen Brief für diesen heutigen Tag hatte ich fertiggestellt, ein Haufen anderer wartete noch und würde mir die Zeit bis zum Eintreffen meines schätzungsweise Großneffen vertreiben. Und hoffentlich befand sich irgendwo unter dem ganzen Papierkram auch meine Aufzeichnung unseres Familienstammbaums, zumindest hatte ich ihn dort das letzte Mal irgendwo entdeckt. Und während die Tür hinter Straton zuklappte, hatte ich mich schon wieder in die Schreibarbeit vertieft, und die Zeit verging von neuem ...
Erst als es an der Tür klopfte und mein wiederentdeckter Verwandter, der bewies, dass ich nicht der letzte lebende hispanische Flavier war, vor mir stand, konnte ich von dem ganzen nervigen Papierkram mit einer guten Entschuldigung lassen. Er sah gut aus, jung, schlank, gut gewachsen, wie man es sich eigentlich nur wünschen konnte für einen patrizischen Nachkommen, und doch war er schätzungsweise hier, um das zu bekommen, was alle Patrizier dringender brauchten als alles andere - Geld, Unterstützung, Hilfe bei seinem Weg.
"Salve, Lucanus," sagte ich also und erhob mich, die Arme einladend ausbreitend, wie man das eben als Großonkel so machte, wenn ein junger Verwandter vor einem stand. "Und erst einmal willkommen in Roma, in dieser villa und .. nun, beim Rest der Familie. Komm, setz Dich zu mir, und wir unterhalten uns ein bisschen über Dich." Vor allem wollte ich wissen, was er von mir wollte. Im Grunde war ich dann doch der letzte Verwandte, den er direkt bitten konnte, und ab diesem Moment war ich wohl oder übel für ihn verantwortlich. Damit deutete ich auf einen Stuhl in der Nähe meines Schreibtischs und schritt zu dem meinen nach einem kurzen Schulterklopfen für meinen Großneffen zurück. "Sage mir, was führt Dich nach Rom? Hispania ist doch um so vieles schöner." -
Bridhes Kommen und Gehen entglitt meiner Aufmerksamkeit fast vollständig, genauso wie die Umgebung zusehends um mich herum verblasste und die Welt sich auf nur einen einzigen Dreh- und Angelpunkt fokussierte: Corvinus. Er musste gekommen sein, meiner auch noch zu spotten, genau deswegen saß er nun hier und bohrte einmal mehr in meiner Wunde, dieser Wunde, die ich schon ohne seine Boshaftigkeit alleine kaum ertragen konnte. Immer hatte ich darunter gelitten, dem einzigen Menschen, dem meine Liebe galt, nicht nah sein zu können, und dass er nun Gracchus dauernd erwähnte, sogar gesondert zu betonen schien, ließ mich fast atemlos zurück, in einer Welt, die nur noch von Dornen und Spitzen angefüllt war. "Es geht mir gut," sagte ich mechanisch, ohne darüber nachgedacht zu haben, auch wenn dies offensichtlich eine Lüge war. Was sollte man auch sonst sagen? Du hast mich betrogen, belogen, und ich verabscheue Dich! Auch wenn meine Lippen sich nicht bewegten, meine Augen mussten mich verraten, und so wandte ich den Blick ab, einen Schluck Wein aus dem Becher nehmend, der für mich bereitstand. Selbst der Wein schmeckte sauer und bitter, genau, wie ich mich fühlte. "Wie es Gracchus geht, weiss ich nicht, das weisst Du sicherlich besser als ich, wir haben uns seit gestern nicht gesehen."
Wie konnte er es auch nur wagen, mich das zu fragen? Spott, dein Name ist Aurelius! Die Weide bewegte ihre Zweige, unbeeindruckt von all den unausgesprochenen Dingen, die förmlich in der Luft knisterten, unbeeindruckt von dem Leid, das ich mit aller Gewalt unterdrückt hielt, um mich nicht zu sehr zu offenbaren.
"Der Mord an der virgo vestalis maxima ist das entsetzlichste Verbrechen der letzten Monate hier in Rom, und ich befürchte das Schlimmste für das Imperium, vor allem für den Krieg in Parthia," sagte ich nach einer Weile mühsam, um überhaupt ein Gespräch in Gang zu halten. Ich wollte nichts von Agrippina hören, deren schönes Gesicht im Tod so abscheulich verzerrt gewesen war, befleckt vom dunklen Blut, das den Tempel und ihren reinen Körper gleichermaßen befleckt hatte, wie auch der Verrat meines Freundes und meines Geliebten diese Welt befleckt hatte, in der ich bisher wie ein dummes Kind gelebt hatte. Ein blindes, dummes Kind. Im Augenblick war ich nichts weiter als eine Puppe, ein Schauspieler im endlosen Drama des Lebens, der mit dem Menschen unter der Maske nicht mehr viel zu tun hatte. -
Es gab Dinge, die ich wirklich hasste - und diese lästige Angewohnheit Stratons, sich so leise wie eine Katze zu bewegen, gehörte eindeutig dazu. Schon als Kind war er ein Meister darin gewesen, unangenehmen Aufgaben durch Nichtanwesenheit auszuweichen, und den Ärger für geklaute Naschereien hatte die meiste Zeit ich eingesteckt. Allerdings, auch das musste man bedenken, war diese Fähigkeit zumeist recht nützlich, wenn es darum ging, Informationen beschafft zu bekommen. Dass er mich allerdings beim Schreiben erschreckte, vor allem bei diesem speziellen Brief, war dann doch enervierend und so runzelte ich missgestimmt die Stirn, als er mich ansprach.
"Dann bring ihn zu mir, sobald Du ihn siehst," traf ich meine Anweisungen und überlegte insgeheim, welcher meiner vielen Verwandten Lucanus wohl war. Gesehen hatte ich ihn bestimmt noch nicht, aus meiner eigenen Familie ... moment ... da war doch ein Sohn gewesen, der bei seiner Mutter aufgewachsen war, nach dem Tod des Vaters, mein eigener Vater hatte sich bemüht, den Unterhalt aufrecht zu erhalten ... ich würde in den Stammbaum schauen müssen, bevor ich mit Lucanus sprach, die eigenen Verwandten nicht zu kennen war immer wieder peinlich. Den Brief, welchen ich vor mir auf dem Schreibtisch liegen gehabt hatte, rollte ich gemächlich zusammen, versiegelte ihn und reichte ihn gen Straton.
"Bringe dies zur villa Aurelia, ein anderer Sklave wird Dir sicher den Weg weisen können, und überreiche dies der Aurelia Prisca nur persönlich. Es ist wichtig, dass nur sie diesen Brief liest." -
"Für manche Wahrheiten gibt es keine Worte, Bridhe, und für diese ist es wohl besser, wenn niemals wieder darüber gesprochen wird," sagte ich langsam, ohne sie anzublicken, um dann den Kopf zu schütteln. Ich konnte mich nicht erleichtern, nicht hier, nicht bei ihr, bei keinem Menschen mehr, denn der Mensch, bei dem ich geglaubt hatte, viele Sorgen lassen zu können, war mir mit einem Mal unendlich fremd und fern geworden. Meine Hand in ihren warmen Fingern kam mir eiskalt vor, und ich zog sie langsam zurück, damit sie das Zittern nicht bemerkte, das mir durch den Arm glitt. Es war besser so, diese letzte Schwäche für mich zu behalten, bis es mir irgendwann nicht mehr weh tun würde. Irgendwann, wann immer dies auch sein mochte.
"Bring mir noch frischen Wein und einen zweiten Becher - und dann kannst Du ... kannst Du Dir für heute frei nehmen," antwortete ich ihr fast mechanisch, denn Corvinus war hier, und ich was immer gesprochen werden würde, es würde mich bloßstellen und schmerzen, das sollte sie nicht hören, wenigstens mein eigener Haushalt sollte den Respekt vor mir nicht verlieren, wenn es schon mein Geliebter und mein einstmals bester Freund getan hatten. So blickte ich zu Corvinus und gleichzeitig durch ihn hindurch, denn im Grunde war er als der Mann, den ich einmal gekannt zu haben geglaubt hatte, nicht mehr vorhanden.