Beiträge von Caius Flavius Aquilius

    Das Seufzen verriet mir alles, jede Nuance seines still gehegten Leides ob dieser wenig befriedigenden Ehe. Sicher, in einer Hinsicht würde sie für ihn wohl niemals wirklich befriedigend sein - lieben würde er Antonia wohl nicht mit seinem Herzen, denn dieses lag bei mir wie das meine bei ihm. Mit diesem Erbe würde ich in meine Ehe gehen müssen, auch wenn es mir wahrscheinlich leichter fallen würde, mit meiner Frau zusammen zu leben - den Umgang mit Frauen schätzte ich eindeutig mehr als er es jemals tun würde. Dennoch erschien es mir geradezu grotesk, dass beide voneinander dasselbe dachten - nur eben mit vertauschten Rollen. Beide hielten sich für unzulänglich, für nicht ausreichend, und beide litten unter der Kälte ihrer Beziehung.
    "Du hast eine Frau für Dich gewählt, die intelligent ist, was in unseren Kreisen meist eher ein Hindernis denn ein Vorteil ist, Manius. So viele sind damit zufrieden, sich mit Kleidung und Haushalt zu beschäftigen, aber ich denke doch, sie ist es nicht. Jeder Mensch sehnt sich doch insgeheim nach einer gewissen Anerkennung, nach jenen Dingen, von denen er weiss, dass er sie gut kann und dabei Zufriedenheit empfindet, wenn er sich dem widmen kann. Vielleicht ist nicht das eigentliche Problem, dass ihr nebeneinander her lebt, Manius, sondern, dass ihr niemals versucht habt, wirklich gemeinsam zu leben. Sie schätzt die Mathematik, und ich bin mir sicher, würdest Du ihr eure haushaltliche Buchführung überlassen, würde es sie erfreuen. Du regelst derzeit alles, nicht wahr? Lass sie doch ihre Stelle wirklich einnehmen, die der matrona im Haushalt. Diejenige, die Dir den Rücken freihält, damit Du mit Deinen Ämtern der Familie Ehre machen kannst. Bisher scheint sie sich zu langweilen, und wie alle Frauen ist sie zu stolz, um etwas zu bitten ... versuche, ihr in diesem Punkt Vertrauen zu zeigen, sie hätte nichts davon, würde sie Dich betrügen. Einen besseren vilicus als eine gut rechnende Ehefrau gibt es nicht."


    Dann lächelte ich leicht zu ihm und legte den Kopf schief: "Wer sagt Dir denn, dass sie Deinen Nöten kalt gegenüber stünde? Frauen reden für ihr Leben gern, und auch wenn Dich das Thema absolut nicht interessiert, tu so, als wäre es zumindest grundlegend von Wichtigkeit. Im Grunde unterscheidet sich das alles nicht wesentlich von einer Versammlung der Salier, nur ist es dann nicht der Iulier, der stundenlang über irgendein Thema spricht, sondern die Frau, die Dein Leben teilen sollte. Eines habe ich zumindest in den letzten Jahren gelernt - egal, wie schlecht Du Dich selbst fühlen magst, wenn Du einer Frau ein Lächeln und Aufmerksamkeit schenkst, wird sie es Dir lohnen. Jede Frau fühlt sich gern einzigartig und wichtig. Hast Du Dich nie gefragt, warum es mir gelingt, in so viele Schlafzimmer einzutreten? Ein gutes Aussehen haben auch andere, und es gibt sicherlich stärkere oder soldatischer wirkende Männer als mich. Aber ich höre ihnen zu, und das ist etwas, was die wenigsten tun. Jeder Mensch äußert gern seine Meinung zu wichtigen Themen, warum also nicht auch Antonia?" Am Ende würde ich ihn noch zu einem 'wie verstehe ich Frauen richtig' Kurs an der Schola zwingen müssen, falls es so etwas überhaupt gab.


    Als er jedoch seine Wünsche für meine Ehe aussprach, schüttelte ich den Kopf, wieder lächelnd, wenngleich ein gewisser Hauch Wehmut darin lag. "Manius, vielleicht werde ich sie schätzen, sympathisch finden, vielleicht sogar sehr mögen. Aber lieben ... dieses einzige, große Gefühl, das alles umfasst und selbst in der tiefsten Hoffnungslosigkeit weiterexistiert ... lieben werde ich immer nur einen Menschen, und ich denke, diesen Menschen kennst Du. Es dauert mich, eine Frau zu einer solchen Ehe bewegen zu müssen, aber es bleibt mir kaum eine andere Wahl, ich bin im passenden Alter, und unverheiratet zu bleiben würde nur Fragen aufwerfen, die ich nicht beantworten will." Aurelia Prisca - vielleicht würde sie mich eines Tages für dieses Wissen hassen. Vielleicht liebte sie selbst einen anderen, vielleicht würde sie mich niemals schätzen, ich wusste es nicht. Die Zeit würde es alles zeigen müssen. Selbst meinen ersten Sohn konnte mir meine künftige Ehefrau nicht mehr gebären, war er doch längst am Leben.
    "Caius ..." murmelte ich, den Blick auf ihn gerichtet, denn die Betonung seiner Worte schwang noch im Raum nach. "Caius Flavius Aquilius? Ich weiss nicht, ob meinem Sohn dieser Name jemals Glück bringen wird, Manius, und ich fürchte den Zorn der Götter, so ich fehlgehen sollte, auch für ihn. Caius mag er heißen, aber es wird ein anderes cognomen sein müssen."


    Sinnierend lehnte ich mich zurück, schmeckte dem Echo des Weins auf meiner Zunge nach, während ich ihm lauschte, meine Gedanken in seinen Worten treiben ließ. "Die Bürgerkriege hatten auch ein Gutes - es hat sich vieles bewegt. Gute Männer zeigten ihre Stärken, schwache Männer wurden entlarvt. Der Frieden ist zweifelsohne erstrebenswert, aber ich fürchte doch, dass er uns in einer trügerischen Sicherheit wiegt. Man kann sich leicht im Frieden verstecken, seine Schwächen verhehlen, und dennoch zu höchsten Ehren steigen, und dies ist etwas, das mich stets nachdenklich wird bleiben lassen. Schau Dir unseren Senat nur an, fett und faul sind viele geworden in der langen Zeit des Friedens. Was den Thron angeht - wir Flavier tragen das Blut dreier Kaiser in uns, und das sollten wir niemals vergessen. Die Macht an sich würde ich mir nicht ersehnen, aber doch die Möglichkeit, Dinge zu bewegen, zu verändern, Entwicklungen zu beginnen ..." Die Worte mündeten in ein amüsiertes Lächeln, ich wäre wohl der schlechteste Kaiser seit Caligula - aber ein nettes Gedankenspiel war es doch.

    Mars war mir immer ein Freund gewesen, und auch wenn ich ihn in der Regel nur in wirklich wichtigen Momenten behelligt hatte, wusste ich doch um diese tröstliche Gewissheit, dass ich prinzipiell immer kommen durfte, wenn Not am Mann war. Der Soldat, der in der Feldschlacht Mars anrief, um sein Leben zu retten - oder ehrenhaft zu sterben - konnte schließlich auch nicht einen Beutel Kuchen mit sich herumschleppen und erst einmal Weihrauch verbrennen, bevor er zu beten begann.
    "Du solltest allerdings das Opfer dann auch mit Gaben wiederholen, um Deinen Respekt zu beweisen. Den Göttern steht dies zu, und auch wenn Du vielleicht jetzt aus irgendeinem Grund nichts zu opfern bei Dir haben solltest, denke daran, dann Deine Gaben vorzubringen, sobald Du genügend Geld bei Dir hast." In einigen Dingen erinnerte er mich an mich selbst - wahrscheinlich hatte er sein Erbe nicht in Achaia verprasst und dann erst einmal sehen müssen, wo er blieb, aber ich hatte bisher seinen Namen auch nicht im Zusammenhang mit viel Besitz vernommen, letztendlich blieb ohnehin alles in der Familie.


    "Nun, ich muss gestehen, ich mag die Abwechslung sehr - als Priester hat man diese bereits durch die vielen verschiedenen Menschen, die den Tempel besuchen, aber letztendlich gleichen sich die Dinge, die man tut, doch sehr - man hilft bei Opfern, bietet ein Ohr an, wenn jemand Sorgen hat und dergleichen mehr. Von der Tätigkeit als tresvir capitalis verspreche ich mir einen Einblick in ein ganz anderes Gebiet - und im Anschluss daran denke ich an ein Militärtribunat." Ich sprach so sicher und bestimmt, als würde ich eine Niederlage gar nicht erwarten - auch wenn es in mir anders aussah, er war immerhin ein Konkurrent und vor einem solchen wollte ich nicht unsicher auftreten.
    "Als decemvir litibus iucandis wirst Du allerdings in große Fußstapfen treten müssen, ich hoffe, Du bist Dir dessen bewusst, dass ein gewisser Erwartungsdruck herrschen wird. Mein Vetter Gracchus wurde für seine Arbeit als decemvir vom Senat ausgezeichnet, und ich denke, dass dies auch Deinem Vetter bevorsteht." Schließlich standen wir am Durchgang zum Altarraum und konnten dort nun hineinblicken - es war gut voll, und er würde wohl warten müssen, bevor er zu seinem Gebet kam.

    "Vielleicht würde es auch dem personell angeschlagenen cultus deorum helfen, wenn er wieder ein bisschen mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geriete und man beginnt, sich darüber Gedanken zu machen," überlegte ich laut und nickte sinnierend zu seinen Worten. "Was Ostia angeht, kann ich derzeit nur von Hörensagen sprechen, unter Priestern kursieren natürlich die ein oder anderen Erzählungen, und auch solche Dinge kommen bisweilen zur Sprache. Ich müsste mich also erst genauer kundig machen, bevor ich über Ostia auch berichte - nichts ist schlimmer, als sich mit mangelnden Informationen über ein Thema in die Nesseln zu setzen, wenn es dann auch noch in der Acta publiziert wird." Darauf, dass dann das halbe Imperium über den schlecht informierten Marspriester lachte, konnte ich wahrlich verzichten, vor allem derzeit. Es würde einer politischen Karriere sicherlich nicht gerade zuträglich sein, wenn ich offen zeigte, dass ich nicht recherchieren konnte. "Ich hatte ohnehin daran gedacht, eine Berichterstattung voranzutreiben, die ein bisschen aus dem Leben und dem Alltag der Priester berichtet - vielleicht würde auch das den Nachwuchs etwas animieren, sich für die Tätigkeit eines Priesters zu interessieren. Wärst Du denn prinzipiell einverstanden damit, als einer der Förderer des Projekts aufzutreten? Mit Dir und Senator Germanicus als geistiges Aushängeschild werden vielleicht doch noch Architekten animiert."

    Zitat

    Original von Narrator Italiae
    Er lächelte etwas und begann sein Gehirn etwas anzustrengen.


    "Es gibt einige verschiedene Gründe. Die meisten glichen sich darin Roma zu helfen, etwas zu verändern auch wenn die Beweggründe andere waren. Oder man möchte erneut kandidieren, da das Amt einem gefallen hat...es gab zahlreiche. Dies ist eine kleine Auswahl für dein Interesse zusammengestellt."


    Eine detailierte Auflistung der Grüünde wollte er natürlich nicht abgeben. Dies war sicher zu verstehen.


    "Ich danke Dir ... wenn man das erste Mal kandidiert, ist dies alles noch recht geheimnisvoll und neuartig," erwiederte ich und schmunzelte etwas. "Dann habe Dank für Deine Zeit und Geduld, Consul, ich will Dich jetzt nicht weiter aufhalten." Schätzungsweise lagerten die nächsten Verrückten schon vor seiner Haustür, die Politik schien wieder anziehend geworden zu sein, ohne dass man die Schwankungen in der Menge der Kandidaten wirklich hätte erklären können. Mal waren es eben viele, und mal wenige. So wartete ich noch kurz ab, ob er noch etwas anfügen wollte, und erhob mich dann, um mich von seinem Sklaven hinaus geleiten zu lassen.

    Das Pferdle und Äffle waren vor vielen Jahren (ich weiss nicht, ob es heute noch so ist) sozusagen die Mainzelmännchen des SDR, heute SWR, und kamen immer als Lückenfüller mit kleinen Sketchen zwischen der Werbung. Und der 'Bananeblues' ist einfach ein Song, den die Sprecher der beiden Figuren aufnahmen.

    "Dann findet sich hoffentlich jemand innerhalb deiner Familie, der Dir zuzuhören bereit ist," sagte ich freundlich und hoffte es wirklich für ihn. Die Götter wussten, ich kannte das Gefühl, niemanden zu haben, dem ich meine Sorgen anvertrauen konnte, weil ich fürchtete, dass meine geheimsten Gedanken missbraucht würden. "Und es kommt nicht unbedingt darauf an, dass Du viel Kuchen mitbringst, den teuersten Wein und einen Berg Opferkekse. Wenn Dich Deine Schritte zu Mars geführt haben, wird das auch einen Grund haben. Er wird Dir auch zuhören, wenn Du nichts mitbringst, und Deine Bitte um Hilfe aufrecht und ehrlich ist. Ich bin auch schon mittellos vor Ihm gestanden, in einer Stunde des Schmerzes, und Er hat mich nicht abgewiesen." Wir bogen in den nächsten Korridor, und ein leises, hörbares Stimmengewirr verriet, dass wir uns dem Altarraum näherten, der ohne Zweifel von Betenden und Bittstellern gut angefüllt war.


    "Ganz egal ist es mir nicht, ich würde gerne als tresvir capitalis Rom dienen - es klingt für mich noch am herausforderndsten von allen möglichen Positionen, und es wäre eine Veränderung zu meiner bisherigen Tätigkeit als Priester. Welches Amt bevorzugst Du denn, Aurelius Ursus?" Ich gab die Frage gleich zurück, und hielt mich nicht zu lange bei der Antwort auf, ganz, wie es beim rhetorischen Schlagabtausch gefordert war. Zweifelsohne hatte der junge Aurelier auch eine entsprechende Ausbildung genossen.

    Während unsere Schritte an der Tempelwand widerhallten, hatte ich Gelegenheit, ihn etwas näher zu betrachten, und jetzt wurde mir zumindest am Schwung seiner Lippen auch die aurelische Familienähnlichkeit offenkundig. Was er sagte, war indes überraschend, demonstrierten doch auch die Aurelier eine ziemlich starke Bindung nach außen hin, wie die meisten Patrizierfamilien, dass er überhaupt zugab, dass es einen Streit gegeben hatte, war schon ein Hinweis auf etwas sehr schwerwiegendes. Kein Wunder, dass er mich nicht ins Vertrauen ziehen wollte.


    "Ich bin nicht hier als der Privatmann Flavius Aquilius, ich bin hier vor allem ein Priester des Mars, und meine persönlichen Interessen haben hinter allem anderen zu stehen, Aurelius Ursus," sagte ich nach einer Weile des Überlegens sinnierend. "Aber ich kann verstehen, warum Du Deine Gedanken für Dich behalten willst, wahrscheinlich würde es mir nicht anders ergehen. Aber wenn Du es möchtest, kann ich Dir einen meiner collegi empfehlen, denn dass Du mit etwas haderst, ist sehr wohl zu merken, und solche Schwierigkeiten lösen sich nicht, indem man sie länger und länger mit sich herumschleppt." Kurz hoben sich meine Mundwinkel, denn letztendlich befolgte ich meinen eigenen Ratschlag nur höchst selten, und dann auch nur, wenn ich musste. "Letztendlich kommt für jeden Mann in einem Amt irgendwann der Tag, an dem er sich zwischen seiner Pflicht und seinen persönlichen Dingen entscheiden muss, und wie ich höre, wirst Du diese Erfahrung sehr bald wohl auch tun müssen."

    Wie peinlich! Dieser Mann wusste meinen Namen, aber mir fiel seiner nicht mehr ein. Aurelius ..was auch immer. Verdammt. Cotta kannte ich. Corvinus .... auch. Und wie hatte der dritte geheißen? Irgendein Tier war es. Lupus? Aquilius ganz sicher nicht. Ich zermarterte mir das Hirn nach seinem Namen, aber mein Gedächtnis ließ mich, zuverlässig wie immer, absolut im Stich. Also lächelte ich verbindlich und suchte seine Befürchtungen zu zerstreuen.
    "Du bist nicht der erste, der sich in diesen Gängen verirrt. Ich selbst habe an meinem ersten Tag hier nur sehr mühsam den richtigen Raum gefunden, in sofern mach Dir nicht zuviele Gedanken darüber. Komm mit mir, ich führe Dich in Richtung des Altarraums," damit deutete ich einladend den Korridor entlang, dabei sinnierend, wie er denn nun heißen möge. Columbus? Nein, kein Vogel. Irgendein anderes Tier war es gewesen.


    Er wirkte etwas verstört, oder war das einfach nur eine Täuschung meiner Sinne? Letztlich hatte ich ihn bisher nur einmal auf dem Fest gesehen und ansonsten nicht. Und er hatte selbst gesagt, dass er in Gedanken sei.
    "Wenn ich Dir in irgend etwas helfen kann, lass es mich ruhig wissen. Manchmal hilft es, Dinge auszusprechen, wenn man sie klarer sehen will, und ich habe bisher oft die Erfahrung gemacht, dass man sich selbst schnell mit den Gedanken im Kreis dreht, wenn man versucht, einer Sache alleine auf den Grund zu gehen. Auch dafür sind wir Priester hier, Aurelius ... Ursus." Der Bär wars, ich war mir sicher. Der schnelle Gedankenblitz war gerade noch rechtzeitig gekommen.

    "Es ist nichts," sagte ich auf Bridhes Worte, als sie von einer Verletzung sprach. Die eigentliche Wunde liegt viel tiefer, viel tiefer. Gracchus und Corvinus. Ich konnte einfach an nichts anderes mehr denken und wehrte mich auch nicht, als sie meine Hand in die ihre nahm, ihre Finger die schmerzenden Stellen berührten, die ein dumpfes Echo in meinem Arm hinterließen. Aber ich zuckte nicht einmal, als sei alles in mir taub und leer geworden. "Es tut nicht weh, Bridhe. Du siehst, alles ist in Ordnung." Wieder gelang es mir nicht, das übliche, von meinen Gedanken ablenkende Lächeln zu fabrizieren, selbst dieses Lächeln, das man wie eine Maske tragen konnte, war am gestrigen Abend zerbrochen. Wie ein Techtelmechtel sah das hier nicht wirklich aus, und als mein Blick der Bewegung von Bridhes Fingern folgte, sah ich auf meine Hand herab, genauso starr und unbewegt wie zuvor auf die Weide, ohne wirklich zu erkennen, was ich sah.


    Dann erklang diese Stimme, die meine Welt zerstört hatte, und ich konnte nicht anders, ich zuckte zusammen und mein Blick raste zu Corvinus. Wieso war er hier? Was wollte er denn noch, hatte er mir nicht alles genommen, was ich jemals geglaubt hatte zu besitzen? Das einzige, was wirklich etwas bedeutet hatte für mich, hatte er sich doch längst gesichert. Wollte er sich an meinem Leid weiden, zusehen, wie ich mit diesem Schmerz zu leben versuchte? Wieso hatte man ihn hierher gelassen, an diesen letzten, einsamen Ort meiner Zuflucht, der nun gar nicht mehr einsam war? Warum jetzt, warum er? Die Fragen rasten durch meinen Kopf. Gracchus und Corvinus. Gracchus und Corvinus. Die cline bewegte sich, als er sich setzte und ich musste mich sehr bezähmen, nicht aufzuspringen und mich aus seiner Nähe zu bringen.
    "Salve, Corvinus ... was führt Dich denn hierher?" Meine Stimme funktionierte noch, auch wenn mein Kopf über die Worte nicht nachgedacht hatte. Wenigstens war Bridhe da. Wenigstens war ich nicht allein mit ihm.

    Ich drückte die schmerzende Hand an die Säule, den Kopf dagegen lehnend, und es bedurfte einiger Augenblicke Zeit, bis mein Kopf überhaupt bemerkte, dass dort jemand war, dass mich dieser jemand angesprochen hatte und dass dieser jemand Bridhe war. In einem zum Scheitern verurteilten Versuch, wieder etwas Haltung zurück zu gewinnen, richtete ich mich auf, doch es konnte nichts in meiner Statur darüber hinwegtäuschen, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.


    "Nein, Bridhe, Du kannst mir nicht helfen," sagte ich tonlos, fast ohne jegliche Modulation, auch wenn ich mir, als der Satz heraus war, fast auf die Zunge hätte beißen wollen ob der fehlenden Verschleierung meines Zustandes. Im Augenblick kann mir niemand helfen, dachte ich stumm und wandte den Blick wieder der Weide zu. Die Lippen aufeinander pressend, starrte ich auf den Baum, dessen Zweige sich im Wind wogten, als sei nichts geschehen, als wäre die Welt noch in Ordnung, auch wenn sie für mich in tausend Scherben lag. "Ich brauche Dich jetzt nicht, Du kannst ruhig wieder gehen." Es wäre besser, Du würdest gehen. Lass mich allein. Die Gedanken pulsierten in meinem Kopf, nahmen an Stärke und Intensität zu. Gracchus und Corvinus. Gracchus und Corvinus.


    Etwas hatte der ianitor schon geblinzelt, als der gehorsame Sklave des Corvinus ein zweites Mal sein Anliegen vorbrachte - im Grunde war seine ruppige Begrüßung genauso abgelaufen wie immer, schon fast automatisch, weil die meisten Leute an der porta zuviel redeten und er keine Lust hatte, sich das alles anzuhören. Als das Zauberwort 'Flavius Aquilius' fiel und sich der Sinn des Geschwafels immernoch nicht geändert hatte, verfiel der ianitor in eine seiner gnädigeren Phasen und nickte die beiden freundlicherweise durch.
    "He, Straton!" rief er einem vorbei kommenden Sklaven zu, der gerade einen Abakus mit sich herum trug. "Besuch für dominus Aquilius!"


    Er schien meinen Grund zu billigen, zumindest sah er weder entsetzt noch verachtend aus - und den Teil mit dem schwarzen Schaf der Familie musste ich ja nicht unbedingt vor einem Fremden breittreten. "Wenn ich fragen darf - welche Gründe hat man Dir denn sonst noch so genannt? Es ist ein rein persönliches Interesse." Natürlich hatte ich auch versucht, auf die Länge seiner Liste zu schielen. Wer hätte das denn nicht - nur leider hielt er sie zu schräg, um mir überhaupt einen Einblick zu gewähren.


    Acanthus war es, wie so einige der anderen Sklaven insgeheim vermuteten, wohl recht, wenn er überhaupt keine Besucher hineinlassen musste in das hohe Haus der gens Flavia. Das Gesicht des einen Besuchers jedenfalls kannte er, und es schien auch zu jemandem zu gehören, der in gewissem Maße wichtig war.
    "Salve! Was willst Du?" bellte der ianitor in gewohnt abweisendem Ton nach draußen, der bisher Hausierer und Bettler recht zuverlässig ferngehalten hatte.

    Ganz fernab von Bridhes Kontemplation, die ich weder bemerkt, noch in meinem Schmerz sonstwie wahrgenommen hatte, führte ich dieselbe stumme Konversation mit mir selbst, die ich bereits schon am vorherigen Abend geführt hatte und die um immer dasselbe Thema kreiste, aus dem sie sich nicht befreien konnte, geschweige denn eine Antwort finden. Dass ich meinen Tempeldienst ganz unfein geschwänzt hatte, mochte man mit mit der Ausrede durchgehen lassen, ich müsste meine Kandidatur vorbereiten, und ich fühlte mich auch derzeitig nicht fähig, auch nur einen Moment lang den Sorgen anderer zu lauschen, ohne wie ein Verrückter zu brüllen und meine toga zu zerfetzen.
    Es war lange her, dass ich mich so ohnmächtig, so hilflos und zugleich so verloren gefühlt hatte wie an diesem Tag, und alles zusammen machte diese Stunden nicht gerade lebenswert. Warum ich mich erhob, in einer schnellen Bewegung, und mit der geballten Faust gegen eine der Holzsäulen donnerte, auf denen das Dach der Laube ruhte, wusste ich nicht, aber für einen Moment gab mir der heftige Schmerz in meiner Hand, der unweigerlich auf den lauten Hieb samt wackelnder Laube folgte, ein gewisses Maß an Linderung meiner inneren Pein. Das darauf folgende, aus tiefstem Herzen kommende Seufzen würde ja niemand hören ...

    Manchmal hatte es seine Vorteile, wenn man sich in der Gegend ein wenig umsah, in der man wohnte. In Hispania hatte mir das eine recht genaue Kenntnis aller freundlichen Nachbarshausfrauen eingebracht, die gern bereit waren, einem Jungen und seinem Spielgefährten (der zufällig auch sein Sklave war) ein bisschen Naschwerk zuzustecken. Hier in Rom hatte es mich im weitläufigen hortus der villa Flavia an einen Ort geführt, an dem wohl Flavius Felix, mein rühriger Vetter, bisweilig einige ruhige Stunden genossen hatte. Die kleine Laube mit efeuumrankten Stützssäulen für das Dach befand sich gut versteckt hinter einer Weide, deren Äste schon so lang gewachsen waren, dass sie den Boden fast berührten. Es sah so friedlich aus, wenn durch einen lauen Wind etwas Bewegung in dieses Meer aus Blättern kam, ein vages Rauschen zu vernehmen war, welches das An- und Abschwellen der Meereswogen so treffend imitierte. Die Laube war verlassen gewesen, einige Schriftrollen mit Aufzeichnungen Ciceros hatte ich unter der kleinen, gepolsterten Sitzbank gefunden, die sich hier ebenso befand wie ein kleiner Beistelltisch, wohl ein geeigneter Ort, um ab und an Getränke darauf zu deponieren, oder vielleicht auch einen Teller mit Häppchen.


    Man konnte meinen, an diesen Ort käme niemand sonst, verzaubernde Stille, die das Leid der Welt für einige Momente lang auszuschließen imstande war. Selbst eine Kline befand sich hier, ausreichend für zwei Personen, einige weiche Kissen lagen darauf, und der Schnitt der die Laube umgebende Hecke wies darauf hin, dass hier zwar regelmäßig gearbeitet, aber ansonsten alles andere getrost vernachlässigt wurde. Vielleicht der beste Ort für mich, mit all den Dingen herzukommen, die mich belasteten, mit all dem Schmerz allein zu sein, über den ich mit niemandem sprechen konnte.
    Das einzige Zugeständnis an meinen persönlichen Geschmack war eine Statuette des Mars, die seit meiner stillen Inbesitznahme dieses Refugiums auf dem Beistelltisch zu finden war und mir half, meine Gedanken zu fokussieren. Noch immer fühlte ich mich müde, leer und kalt, obwohl es eigentlich recht warm war, bedachte man die Jahreszeit. Das Wetter war wirklich nichts, worüber ich hätte klagen können, und doch wirkte auch der strahlende Sonnenschein dieses Tages trübe und grau auf mich.


    Auch wenn ich es versuchte, ich bekam dieses Bild nicht aus dem Kopf, dieses Bild, das sich in mein Innerstes eingebrannt hatte wie mit einem Brandeisen gesetzt: Manius auf den Stufen des Vestatempels, während Corvinus bei ihm stand, eine Hand auf der Manius', sich gegenseitig Trost und Halt spendend. Gracchus und Corvinus. Gracchus und Corvinus. Jeder Herzschlag sprudelte die beiden Namen durch meine Adern, hinterließ eine brennende Spur des Leids in meinem Inneren. War das die vielgerühmte Liebe? Sie hatte mir nur immer Leid gebracht, immer nur eine Sehnsucht, die mir nicht erfüllt wurde. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte mich nie an Flavius Aquilius, den Patrizier erinnert. Caius der Fischer hatte glücklicher gelebt, einfacher gelebt, er hätte eine Familie gehabt, eine Frau, einen Sohn. Und weglaufen konnte ich jetzt nicht mehr, nicht mit der Aussicht auf eine politische Karriere, auf eine Hochzeit, auf all die Dinge, die mein Vater niemals zu seinem Vorteil hatte wenden können. Der Schaden für die Familie wäre noch viel größer, würde ich nun den einfacheren Weg gehen. Aber es half alles nichts: Der jetztige Weg schmerzte, als wollte ich mich in zwei Teile zerreißen, der bittere Klumpen in meinem Hals wollte und wollte nicht herunterrutschen.


    So saß ich auf der Kline, starrte auf die sich bewegenden Zweige der Weide und ließ die Zeit vergehen, denn die Welt stand ohnehin für mich still. Gracchus und Corvinus, Gracchus und Corvinus. Niemals hätte ich gedacht, dass es so enden würde. Niemals. Und ich wusste nicht einmal zu sagen, welcher Verrat sich schlimmer und bitterer anfühlte, der meines Manius oder der meines einstmals besten Freundes. Einen Kuss hatte ich mit Marcus getauscht, und viele Gedanken, aber nicht mehr, ich hatte auch nicht mehr gekonnt, war die Nähe Manius' in meinem Herzen doch stets übermächtig gewesen. Und nun? Mich floh er, und trug seine Liebe an einen anderen Ort, der ebenso verboten wie verpönt war.
    Stumm blieb ich, und keins der Worte, die sich an die Oberfläche drängten, konnte ich aussprechen, fürchtete ich doch, es würde dieses Mal mehr Konsequenzen haben als nur zerstörte Möbel. Dieses Mal war auch in mir alles zerstört.


    Sim-Off:

    Wer will, der kann :]

    Mir gefiel der kaiserliche Palast. Nicht zuletzt wegen des Gedankens, dass einst meine Familie durch diese Hallen gewandelt war, und dass es vielleicht irgendwann wieder der Fall sein würde. Nein, dieser Ort verströmte ein ganz besonderes Odeur, und feine Sinne vermochten sich diesem Echo sehr wohl hinzugeben. Die meisten Beamten vermochten es zudem, auch wenn sie der geringsten Tätigkeit überhaupt nachgingen, dabei wichtig und bedeutsam zu wirken - eine amüsante Tatsache, wenn man bedachte, dass sich die Macht wie schon zu früheren Zeiten auf sehr wenige Menschen wirklich verteilte.


    Aber es genügte, einen winzigen Teil des Glanzes kaiserlicher Gegenwart auf sich zu tragen, um zumindest dieses Gefühl heraufzubeschwören ... ich hatte das officium gefunden, und blieb davor einen Moment lang stehen. Dieser Brief konnte nur bedeuten, dass mein Patron tätig geworden war, und dass sein Einfluss ausreichend gewesen war, um mir zu ermöglichen, was ich mir gewünscht hatte ... wenn dies tatsächlich der Fall war, würde ich mich rechanvieren müssen. So hob ich einfach nur die Hand und klopfte an die Türe an, sodass man es innen hören musste.

    Die Haut meines Arms prickelte leicht, als sie ihre Hand darauf ablegte, und mit einem Mal war jener verbotene, gestohlene Nachmittag im hortus der villa Flavia wieder präsent, den ich mir in den letzten Tagen als Erinnerung immer wieder verboten hatte. Wussten diese Frauen eigentlich, was sie einem Mann mit auch nur einer einzigen Berührung antun konnten? Oder war sie sich dessen sehr wohl bewusst, und sie genoss die Folgen? Ich wusste es nicht, und ich konnte es mir auch nicht unbedingt bei ihr vorstellen, diese tiefe Berechnung, aber dass ihre Hand auf meinem Arm ein angenehmes Gefühl war, konnte ich nicht abstreiten.
    "Ich quäle mich nicht damit, es ärgert mich schlichtweg, Antonia. Sprich nur irgendeinen meiner Verwandten auf die hispanischen Flavier an, und seine Reaktion wird Dir schnell verraten, was ich meine, und was es daran abzustellen gilt." Dann allerdings kehrte der Händler zurück und es begann der bislang unangenehmste Sermon, den man wohl über eine blütenweiße toga halten konnte - es war langweilig, die togen sahen für mein Auge ohnehin alle gleich aus, eben weiß, und ansonsten hätte ich weder den Unterschied zwischen Stoff mit dieser und Stoff mit jener Faser zu sagen gewusst, geschweige denn erkannt.


    "Es reicht," sagte ich mit einem Mal und der Händler hielt inne, wohl, weil er das nicht allzu oft hörte, oder, weil er wusste, dass spätestens ab diesen Worten die Zahlungsbereitschaft der männlichen Kundschaft ins Bodenlose zurücksackte. "Fertige mir eine toga candidata mit diesem Stoff nach meinen Maßen an, und damit sollte es gut sein." Ich deutete wahllos auf eine der dargereichten togen und entnahm dem zufriedenen Lächeln des Händlers, dass es ganz offensichtlich nicht der billigste Stoff war, wie hätte es auch anders sein können.
    "Und jetzt zeige uns meinetwegen die restlichen Stoffe, nicht wahr, Antonia? Weiße togen haben wir nun wirklich genug gesehen," sagte ich bestimmend und der Händler fügte sich, zum ohnehin stattlichen Geschäft würde nun wohl ein weiteres hinzukommen. "Willst Du Dir auch einen Stoff aussuchen, wenn wir schonmal da sind? Die haben hier sicher auch Stoffe für Damen."