Ich hörte ihm zu, wie ich wahrscheinlich noch niemandem bisher in meinem ganzen recht durchwachsenen und verkorksten Leben zugehört hatte. Nicht, weil ich mir davon einen Vorteil versprach, sondern weil sich zum ersten Mal ein Abgrund auftat, der sehr vieles von dem erklärte, was die Art meines Vetters anbelangte, einige Fragen beantwortete, die ich mir oft gestellt, aber nie eine Antwort darauf erhalten hatte. Wahrscheinlich hätte ich über sein Geständnis erschrocken sein sollen, vielleicht sogar empört, aber ich konnte tief in mir nichts derartiges feststellen. Er war und blieb mein Vetter, mein Vertrauter, der Gefährte so mancher Stunde, die ausser uns nur die wenigsten Menschen in diesem ganzen römischen Imperium wohl zu verstehen gewuss hätten. Und gleichzeitig verzweifelte ich fast an dem Gefühl, ihn trösten zu wollen und doch nur irgendwelche lauen, bedeutungslosen Worte anbieten zu können, die nicht im mindesten das spiegeln würden, was ich eigentlich sagen wollte.
So hielt ich ihn einfach nur im Arm, ohnmächtig, ihn vor seinen scheußlichen Erinnerungen, diesem furchtbaren Ende seiner ersten Liebe zu beschützen, und strich mit der freien Hand langsam über sein kurzes Haar, als könnte diese Geste irgend etwas an seinem Leid ändern, wohl befürchtend, dass es nur eine Geste war und bleiben würde, egal, wieviel ich damit auszudrücken versuchte. So konnte ich auch erst nach einer Weile wirklich auf seine Worte antworten, es fiel mir schwer, nicht gleich alles zu sagen, was mir auf der Zunge lag und mit seiner Gegenwart mehr zu tun hatte als mit seiner Vergangenheit.
"Glaubst Du denn, irgendeiner in dieser Familie sei frei von Fehlern oder von Problemen? Schau sie dir nur an, die Flavier, die stolzen Söhne und Abkömmlinge einer verlorenen Kaiserdynastie. Schau hinter aller Fassaden und Du wirst erkennen, dass ein jeder irgendeinen Schatten mit sich herumschleppt. Aber die wenigsten haben aus dem, was ihnen widerfahren ist, etwas gelernt, haben sich nicht geändert - das ist es, was ich Furianus vorwerfe. Er ist kein junger Bursche mehr, er war Aedil, trägt den Namen unserer Familie weit ins Imperium hinaus, und noch immer scheint er nichts dazugelernt zu haben. Du hast Fehler gemacht, Manius, jeder hier hat irgendwann Fehler gemacht, dumme Fehler, schreckliche Fehler, aber die meisten haben daraus ihre Lehre gezogen. Heute scheinst Du mir kein hirnloser Verschwender, heute legst Du für die Familie, für Dich selbst Ehre ein - und Du hast Deinen Eid an Iuppiter pflichtbewusst erfüllt. Zeigt das nicht, dass Du Dich geändert hast? Glaube mir, es gibt nichts an Dir, was ich verurteilen könnte oder wollte, denn dann müsste ich auch auf mich mit dem Finger zeigen, mich einen heillosen Verschwender und Mörder heißen."
In manchem waren wir uns erschreckend ähnlich, mit dem großen Unterschied, dass ich mich noch immer irgendwie durchmogelte und er es geschafft zu haben schien, seinen Weg auf andere Richtungen hin zu lenken. "Dass Sciurus so schrecklich sein Leben lassen musste, Manius, das ist furchtbar, es ist grausam und unmenschlich, aber die Entscheidung, wie er stirbt, dass er sterben musste, das war nicht die Deine. Geld und Schulden kann man auch anders eintreiben als durch die Ermordung jener, die ein Schuldner liebt und denen er zugetan war - diese Entscheidung liegt bei jenen allein, die ihn töteten. Du magst dumm gehandelt haben, viele Fehler gemacht haben, aber Du bist kein Mörder - und wenn es einen einzigen Trost an der Sache geben kann, dann den, dass Sciurus sicher jederzeit sein Leben mit Freuden gegeben hätte, um Dich zu retten. Vielleicht ist genau das geschehen. Vielleicht beobachtet Dich sein Geist noch immer, und sein Blick ruht mit Wohlwollen auf dem Mann, der nun Quaestor ist und der es zu etwas gebracht hat, ohne sich auf den Sockel der eigenen Unfehlbarkeit zu heben, der seine eigenen Fehler erkannt hat und daraus lernen konnte ..." Sachte griff ich die Hand meines Vetters und drückte sie, seinen Blick erwiedernd. "Es ist geschehen, was geschehen ist, und wir können es nicht mehr ändern, so gerne wir das vielleicht würden. Und du hast ihn nie vergessen ... welcher Mensch kann das schon von sich behaupten, über den Tod hinaus noch so betrauert und geliebt zu werden?"