Beiträge von Caius Flavius Aquilius

    Dass sie mir gleich bei den Sandalen zur Hand ging, erstaunte mich, aber ich versuchte, diese Überraschung so gut wie möglich zu verbergen. Entweder sie war wirklich sehr gut trainiert worden, oder aber auf eine Weise gebrochen, die eine harte Hand in ihrer Vergangenheit vermuten ließ. Dennoch, wie ein willenloses Spielzeug hatte sie bisher nicht auf mich gewirkt, aber man konnte schließlich nie wissen. Ich wartete, bis auch meine zweite Sandale auf dem Boden gelandet war, zog mir dann kurzerhand die Tunika über den Kopf und gab sie ihr, damit sie diese zusammenlegen konnte - ausziehen konnte ich mich noch immer selbst, dazu brauchte ich wahrlich keinen Sklaven, auch wenn andere Römer es zu genießen schienen, sich auch dabei bedienen zu lassen.


    "Es ist entspannend," meinte ich und zuckte dann die Schultern. "Letztendlich ist es der praktischste Weg, gleichzeitig sauber zu werden und ein wenig Ruhe in die alltäglichen Pflichten einkehren zu lassen. Badest Du denn gerne, Camryn?" Meine Finger lösten die Knoten meines Lendentuches, das ich kurzerhand über einen der Hocker an der Seite warf, bevor ich mich umwandte und langsam in das Becken zu steigen begann. Der angenehme Teil - dass sie sich entkleiden musste, um zu mir ins Becken zu kommen - sollte für mich gut zu sehen sein, einen gewissen Spaß an der Sache wollte ich schließlich auch haben.

    Als ich meinen Kopf wieder erhob und aus dem Fenster hinaus blickte, war es dunkel geworden. Der Schreibarbeit war es also gelungen, mich über einige Stunden hinweg zu führen, ohne dass ich das Verstreichen der Zeit gemerkt hätte. Dennoch fühlte ich mich weder beruhigt noch ruhiger, der schale Nachgeschmack des Gesprächs mit meinem widerspenstigen Neubesitz hatte sich nicht gelegt. Auch nicht das Wissen, dass es eine schwere Zeit mit ihm werden würde, einen so aufsässigen Sklaven hatte ich sehr lange nicht besessen. Während im anderen Teil der Villa sich die Sklaven für das Abendessen rüsteten, klappte ich meine Wachstafeln zu, schob den Griffel beiseite und erhob mich, um einen kurzen Abstecher in mein cubiculum zu machen und dort etwas zu holen, von dem ich mich weder in Athen noch hier in Rom getrennt hatte. Einem freien Mann stand immer eine Waffe zu, und in den Provinzen war ich nie ohne mein gladius gereist, es war sicherer so. Einer einst flüchtigen Laune meines Vaters folgend, hatte ich auch einige Stunden der Unterweisung mit der Waffe einst erhalten, aber sehr vieles vergessen, und den Ruf zur Legion hatte ich nie so gespürt, wie ihn wohl Aristides vernommen haben musste.


    Dennoch, als ich mit dem gladius in der Lederscheide in beiden Händen durch die Villa Flavia Felix schritt, gingen mir die Sklaven, die mir entgegen kamen, aus dem Weg. Vielleicht lag es auch an meiner bitterernsten Miene, ich weiss es nicht, und im Grunde war es mir ziemlich egal. Ich betrat den Hof, an dem bei Tags die Pferde geschrubbt wurden oder ihnen ein wenig Auslauf gegönnt wurde, fand ihn still und leer vor, dass sich dort tatsächlich jemand befand, bemerkte ich nicht, denn ich konzentrierte mich alleine auf die Ecke des Hofes, in der ich meine Waffe zog und begann, die Übungsschwünge zu machen, die man mich einst gelehrt hatte. Eine Waffe in der Hand zu halten, tat seltsam gut und ich konnte in diesem Moment jeden Mann verstehen, der mit Waffen übte. Es war einfach etwas ganz anderes als zu ringen, es kostete Kraft, denn ein gladius hatte ein bestimmtes Gewicht, es strengte sofort an. Ich hätte mich wohl aufwärmen sollen, aber innerlich gesehen war ich warm genug, geradezu heiss - und ich folgte den eingeübten Abläufen aus meiner Übung. Schritt, Schwung, Hieb, Schritt zurück, Schritt, Schwung, Hieb ... die Monotonie der Übung begann, Leben in meine vom Schreiben steif gewordenen Muskeln zu pumpen, und als ich mir vorstellte, ich könnte hier Rutger fachgerecht zerteilen, wie es einem aufsässigen Sklaven zukam, fühlte ich mich zumindest für den Moment ein wenig besser.

    "Öhm," sagte der Sklave und linste eilig meine Richtung, während ich auf und ab ging, um mich nach meinem aufsässigen Egientum umzusehen, bevor er schnell nickte. "Die waren beide hier, heute morgen, oder so. Ich war gerade dabei, das Futter für die Tiere auszugeben." Schnelle Schritte trugen mich neben meinen Vetter, und ich nahm den recht schmächtigen Stallsklaven in meinen Blick. Die schlechte Laune ballte sich klumpenförmig in meinem Magen zusammen, am liebsten hätte ich ihn wohl in diesem Moment sogleich geohrfeigt, aber es war sinnvoller, sich das noch etwas aufzusparen.


    "Wohin ist Arrecina gegangen, nachdem sie hier war? Und wohin ist Rutger gegangen?" stellte ich die Frage, die uns beiden so sehr auf der Zunge brannte, während der Sklave ein wenig in sich zusammen zu sacken schien. "Ähm naja, sie sind auf den Hof hinaus und ... na ja, seitdem fehlt Phaidra auch," stammelte der Knecht und blickte sich zu beiden Seiten um, als fürchte er, Rutger könnte aus einer Box herausspringen und ihn zu Boden prügeln, weil er ihn verraten hatte. "Kann Arrecina reiten?" wandte ich mich an meinen Vetter, aber mein Zähneknirschen angesichts dieser Eröffnung war kaum zu überhören. Für mich lag das, was sich abgezeichnet hatte, ziemlich klar auf der Hand. Arrecina war es jederzeit zuzutrauen, dass sie einen Sklaven auf ihren Ausritt mitnahm, selbst wenn es sich nur um einen blutrünstigen, römerhassenden Germanen handelte.

    Zumindest diese Lektion hatte er gelernt, gut für ihn. Ich kommentierte seine Worte nicht, ließ ihn einfach gehen - was ebenso gut für ihn gewesen wäre, denn in diesem Augenblick hätte es mir wirklich Vergnügen bereitet, ihm sein Gesicht mit einer neuen Gerte blutig zu schlagen. Dafür, dass er es wagte, sich so aufzuführen, dafür, dass er überhaupt widersprach ... an Mut schien es ihm nicht zu mangeln und an Dummheit ebensowenig. Sachte schüttelte ich den Kopf, bevor ich mich wieder hinter meinen Schreibtisch setzte, das Chaos auf dem Boden nicht weiter beachtend. Vorerst würde er meinetwegen weiter im Stall den Mist schaufeln dürfen, er hatte mehr als deutlich gemacht, nicht lernen zu wollen, also würde er nicht lernen. Meine Entscheidung, ihm nicht weiter zu trauen, als ich spucken konnte, hatte ich in diesem Moment vorerst gefasst und es würde an ihm liegen, sich dieses Vertrauen selbst zu verdienen.


    Langsam klappte ich die Wachstafel wieder auf und versuchte mich mit tiefem, regelmäßigem Atmen wieder zu beruhigen. Wahrscheinlich stimmte es wirklich, diese Germanen waren Wilde, unfähig zu erkennen, wo sie wirklich standen - was mochte Aristides nur bewogen haben, mir dieses mordlüsterne Etwas zu schicken? Irgendein alter Groll? Dennoch, es fiel mir schwer, mich auf meine Schreibarbeit zu konzentrieren, nicht zuletzt, weil es einfach nichts weiter war als eine große Enttäuschung. Manchmal hätte ich mir einen Gefährten wirklich gewünscht, aber in ihm schien ich diesen nicht finden zu können, zumindest jetzt nicht. So blieb ich in meinem Arbeitstimmer sitzen und verbrachte eine ganze Zeit damit, die Wand anzublicken und meine Gedanken schweifen zu lassen, in die Vergangenheit, in der so manches deutlich sonniger gewesen war.

    Ich blickte der Wachstafel nach, die sich in kleinen Stücken auf dem Boden verteilte, ließ ihn brüllen, ohne eine Regung zu zeigen, denn diese Art Ausbruch hatte mein Vater früher öfter einmal gezeigt, in sofern hatte ich Übung, sowohl Lautstärke als auch Inhalt seiner Worte an mir abprallen zu lassen. Stattdessen erhob ich mich, trat zum Wandschrank und öffnete die hölzernen Türen geruhsam, nahm die Reitgerte hervor, die eigentlich für Nefertiri und unsere gemeinsamen genüsslichen Spiele gedacht war, schloss die Türen des Schrankes wieder mit dem dafür vorgesehenen Schlüssen und wandte mich ihm zu, das Gesicht eine stoische Maske. Nun machte alles, was ich im Haus meines Vaters mühsam eingeprügelt bekommen hatte, wenigstens endlich Sinn.
    "Du hast Dir also den schweren Weg ausgesucht, was ich wirklich bedaure. Es wird Zeit, dass Du einen wichtigen Grundsatz unserer Ordnung endlich verstehst: Wo Dein Platz ist. Du sprichst wie der Herr, der Du nicht bist. Gewöhn es Dir ein für allemal ab." Damit hob ich die Hand und versetzte ihm mit eben jener Gerte zwei heftige Hiebe, geradewegs ins Gesicht.


    "Jede Aufsässigkeit bringt Dich einen Schritt näher zur Knochemühle, an die ich Dich verkaufen werde, wenn Du mir weiterhin in dieser Form gegenübertrittst, jedes freche Wort bringt Dich Deinem vorzeitigen Tode näher. Es ist nicht mein Wunsch, ein Leben zu verschwenden, diese Entscheidung liegt ganz alleine bei Dir." Meine Augen blitzten nun eisig, meinen Zorn hielt ich noch so weit zurück, wie er mir nützen würde - eine Blöße hatte ich mir vor diesem Sklaven nicht vor zu geben. Gleichzeitig machte ich mich darauf gefasst, dass er mich körperlich angreifen würde, wohl wissend, dass hier im Haushalt der ein oder andere zur Hilfe kommen würde, wäre es notwendig - und das wäre dann sein Todesurteil.

    Ich erhob mich, nickte ihr zu und setzte mich in Bewegung. "Komm mit, es ist nicht weit," sagte ich und schritt ihr voran am impluvium des atriums vorbei, in Richtung des Korridors, der tiefer in die Villa Flavia elix führte. Es war ein großes Gebäude, und ich kannte noch immer nicht alle Räume dieses Hauses, aber wozu auch? Zur Not ließ man sich eben führen, und wenn die Sklaven wussten, was alles zu putzen war, reichte dies auf jeden Fall aus. Aber zu einigen Räumen hätte ich wohl auch noch volltrunken gefunden - zum Bad, zu meinem Schlafzimmer, zu meinem Arbeitszimmer und nicht zu vergessen das triclinium, sehr viel mehr war auch eigentlich nicht wichtig. Ich führte sie durch die prächtigen Teile des Hauses, aber sie war die verschwenderische Art, mit der man hier selbst die Korridore eingerichtet hatte, sicher auch von der Villa Aurelia gewöhnt.


    Als wir den Baderaum betraten, war dieser leer, aber am hellichten Tag war dies auch nicht wirklich überraschend, die meisten Familienmitglieder arbeiteten tagsüber und kamen erst abends wieder. Wie alle Patrizier führte auch meine Familie ein aufwendiges Leben, was sich selbst in diesem prachtvoll verzierten Raum offenbarte, der mit Marmor an Wänden und am Fußboden gestaltet worden war, Fensteröffnungen ließen zudem Licht durch diesen Raum fluten, erhellten ihn so zusätzlich, dass man beim ersten Schritt hinein durchaus geblendet sein konnte. Ein großes Badebecken, in dem ganztägig warmes Wasser eingeleitet wurde, glänzte durch im Mosaikboden eingelassene Wassertiermotive, die eine Illusion lebendiger Unterwasserwelt schufen, die mir immer schon gefallen hatte. Wenigstens hier konnte man Roms Moloch einmal vergessen. "Du wirst mit mir baden," sagte ich schlicht, trat zu einem der aus dunklem Holz geschnitzten Hocker, die an den Wänden für die Gäste bereitstanden, um dort zu beginnen, meine Sandalen aufzuschnüren.

    Beifällig nickte ich zu Vesuvianus' Worten, als er seine Villa in Mantua anbot, ein bisschen aus Rom herauszukommen konnte uns allen schließlich nicht schaden - und ab und an die claudische Gastfreundschaft ein wenig zu genießen schon gar nicht. Immerhin pflegten die Claudier einen mindestens so aufwendigen Lebensstil wie die Flavier, das sprach für reichliche Abendessen und hoffentlich auch neben dem Tanzen vorhandene Unterhaltung.


    Als Aristides mir etwas zuflüsterte, nickte ich ihm zu und gab leise zurück: "Natürlich, wir sprechen darüber, sobald das hier vorbei ist." Da mir keine weiteren Fragen einfielen - solche Sachen dämmerten mir meist ohnehin eher erst nach der Versammlung eines solchen Gremiums, ich ahnte das Übel bereits herannahen - schüttelte ich auf Gracchus' Frage nur den Kopf und blickte ihn aufmerksam an.

    Ein leichtes Schmunzeln hob meine Mundwinkel, und unwillkürlich kehrten die Erinnerungen an den süßen Geschmack der Trauben, aber auch seine Lippen allzu schnell zurück. Corvinus' Jugend, seine eifrige Art, sich diesen Genüssen ganz und gar hinzugeben, die wir beide so dringend hatten haben wollen, all das formte in meinem Hinterkopf eine ganze Reihe ausgesprochen bewegter und bewegender Bilder. "Eine gemeinsam geteilte, ausgesprochen angenehme Mahlzeit meinte er," erklärte ich und ließ im Unklaren, wie angenehm diese Mahlzeit doch gewesen war, es hätte wohl nicht viel gefehlt und wir wären schon im Triclinium seines Elternhauses übereinander hergefallen.


    Schmunzelnd betrachtete ich sie und auch ihren leicht verwirrt wirkenden Gesichtsaudruck, oder konnte sie mit dem Scherz einfach nur nichts anfangen? Wer wusste schon, wieviel ihr ihr Herr über unser beider Verbindung zu erzählen gewusst hatte?
    "Wann hattest Du Dein letztes Bad, Camryn? Mir ist gerade nach ein wenig Entspannung und ich denke, Du könntest mich dorthin begleiten." Man mochte es kaum glauben, aber in diesem Moment dachte ich wirklich nur daran, wie praktisch es sein würde, von ihr genüsslich den Rücken geschrubbt zu bekommen. Es gab kaum etwas, das ich beim Baden angenehmer fand als eine meinen Rücken schrubbende Bürste.

    Wenigstens hielt mein Sklave diesmal an sich und gab nicht wieder irgendeinen peinlichen römerfeindlichen Spruch zum Besten - aber welcher Mann wäre bei Medeas Lächeln nicht betört gewesen? Ich fühlte diesen altvertrauten Reiz wieder zurückkehren, dem ich mich irgendwann hatte verschließen müssen, um nicht für sie mein letztes Geld verjubeln zu müssen - anscheinend hatte sie andere gefunden, die ihr das süße Leben nun finanzierten. Aber waren nicht gerade dazu die Frauen geschaffen worden, dass Männer einen guten Grund hatten, sich zu vollkommenen Narren zu machen und ihre letzte Tunika zu versetzen, um ein schönes Geschenk zu machen?


    "Sein Name ist Rutger und er soll mir in dieser wundervollen, aber zumeist ein wenig gefährlichen Stadt den Rücken freihalten. Wie gut er darin ist, hast du ja eben gesehen." Dass er mein Sklave war, würde sie ohnehin noch früh genug erfahren, es gab keinen Grund, seinen Stand in alle Welt hinauszuposaunen, wusste ich doch, wie empfindlich der Germane mit dieser Sache war. Dennoch, dass mein Atem unwillkürlich schneller wurde, als ein wenig mehr ihrer Haut zu sehen war, ließ sich nicht verhindern, mein Körper reagierte noch immer sofort auf sie, schien diesem Bann der rotgelockten Haare nach wie vor unterworfen, ihrem Lächeln ohnehin. Warum waren Frauen nur solche Verlockungen? Es war weder gerecht noch in irgendeiner Weise nett.


    Ich ließ mich mit einem innerlichen Seufzen auf der Kline neben ihr nieder, nachdem ich einige Fruchtstückchen davon fortgewischt hatte, und wandte den Blick wieder zu ihr. Was hätte ich darum gegeben, mit diesem dämlichen braunen Lappen den Platz tauschen zu können, als er über ihren Schenkel strich ... "Ich hätte nicht gedacht, Dich hier in Rom anzutreffen, sind doch die Freuden Athens so vielfältig und deutlich amüsanter als die in dieser immer gleich bleibenden, verrohten Stadt. Sage mir, was hat Dich hierher gelockt, Medea?"

    Ich hasste Hochzeiten. Nicht nur, weil man meist dazu gezwungen war, einen ganzen Tag lang mit Verwandten gemeinsam zu feiern, nein, auch die Verwandten des anderen Ehepartners liefen vollständig auf und machten ein unerträgliche Ereignis noch furchtbarer. Einen besseren Anlass, angefüllt mit langweiligen Nichtigkeiten, gutgemeinten Lügen und wohldosierter Heuchelei konnte man sich in Rom nicht vorstellen, allenfalls vielleicht die Reden der Kandidaten für die jeweiligen Ämter im cursus honorum, die natürlich alle ehrenhaft und treudumm dem Reich dienen wollten, den persönlichen Vorteil hohen Ansehens und der Macht vergessend, der ihnen dadurch erwuchs. Mit der flavischen Kavalkade angekommen, ließ ich Aristides und Milo den Vortritt, ich wusste ohnehin nicht recht, was ich Gracchus zu seiner Hochzeit positives sagen sollte, ahnte ich doch, dass er mit weit weniger wirklicher Freude an diese Sache heranging, als sein Gesicht es nach außen hin spiegelte.


    So trieb ich mich eine Weile am Eingang herum, beobachtete die anderen anwesenden Gäste, nickte hier und da grüßend, bevor ich mich in die Reihe der Gratulanten schob, um das Notwendige hinter mich zu bringen und dann möglichst bald viel Wein zu trinken, um den Tag bei einigermaßen geistiger Gesundheit zu überstehen. Hinter Avarus und Durus stehend, wartete ich also auf meine Chance, dem Brautpaar nahe zu kommen, um mein Sprüchlein herunterzuleihern - und überlegte noch einige Momente lang, ob ich wirklich Gracchus den Vorschlag machen sollte, der mir seit einiger Zeit im Kopf herumging. Es war eine gewagte Idee, zugegeben, aber ...

    "Auflachen?" Meine Gesichtsmuskeln verzogen sich zu einer Art Grinsen, das ich sofort bereute, meldeten sie doch von allen möglichen Ecken Schmerzen, die ich nicht erwartet hätte. "Ich versichere Dir, momentan schütte ich mich innerlich vor Lachen aus, aber irgendwie scheint es nicht ganz heraus kommen zu wollen." Es tat gut, ihn mir nahe zu wissen, es war sehr tröstlich, dass die alte Nähe zwischen uns selbst bei solchen Anlässen bestand und er trotz seiner Pflichten als Opferpriester noch Zeit und Muße fand, sich um mich zu kümmern. Wenigstens einem einzigen Menschen in Rom schien ich nicht egal zu sein, und das war mehr, als die meisten überhaupt von sich behaupten konnten.


    "Ein guter Plan ... aber lasse Dich nicht vom Feiern abhalten, versprich mir das. Ich möchte nicht schuld daran sein, dass Dir dieses Fest verdorben wird. Mit ein bisschen Schlaf wird alles wieder in Ordnung kommen, hoffe ich," fügte ich nach einer Weile an und schloss dann die Augen zur Hälfte. Wie anstrengend es mit einem überall schmerzenden Körper doch war, sich nur ein klein wenig zu unterhalten, diese Art der Mattigkeit hatte ich sehr lange nicht mehr gespürt und besaß im Moment keine weitere Lust darauf, die Erfahrung zu wiederholen.

    Warum starrte mich Milo gerade so an? Ich schluckte mein Stück Fleisch herunter und warf ab und an einen Blick zu ihm. Er aß so langsam und in sich gekehrt, als sei das Essen für ihn deutlich wichtiger als die sich darum rankenden Gespräche. Dass er jetzt schon zum Wein griff, ließ nur einen Schluss offen: Reichlich mit Garum versetzte Nahrung, denn das salzige Zeug trieb einem den Durst brutal in die Glieder, und das mit einer Vehemenz, dass man fast keuchen und spucken musste. Garantiert war Milo schuld daran, dass auch alle anderen Anwesenden unter der viel zu hohen Garumkonzentration bei allen möglichen Sachen zu leiden hatten, und Felix ließ es ihm durchgehen, weil er sein Sohn war. Diese himmelhochschreiende Ungerechtigkeit ließ mich kurz empört den Atem einziehen, als der nächste Sklave irgendwelche unter einer reichlichen Garum-Menge unerkennbaren Fleischstücke auf einem Teller herumreichte, und ich beschloss, mit Milo im Anschluss dieses Essens ein ernstes Wörtchen zu sprechen.

    "Was weiss ich, ein paarmal ordentlich vertrimmen und dann laufen lassen, stattdessen schickst Du ihn mit dem widerlichsten Kerl von einem Sklavenhändler her, den ich jemals gesehen habe," brummelte ich vor mich hin, den Gedanken daran, wie dieser ekelhafte Sklavenverkäufer sein Ende gefunden hatte, eiligst beiseite schiebend. Als wir den Hof erreicht hatten und Marcus von Arrecinas Flucht erzählte, schnaubte ich nur. Das sah diesem kleinen Biest ähnlich, dass es die beschauliche Ruhe des flavischen Landgutes flüchtete, um in das wesentlich spannendere Rom zu kommen und die gesamte Familie zu terrorisieren, wie es nur ging. Ihr Götter, manches Mal vermutete ich schon, dass uns Flaviern die Neigung zu rebellischem Verhalten von den Ahnen mitgegeben war, und als Tochter des Aristides musste diese Neigung in ihr noch deutlicher ausgeprägt sein als bei jedem anderen.


    "Zumindest hat sie es recht geschickt angestellt, das muss man ihr lassen," meinte ich trocken und blickte mich im Stall um, ob ich Rutger dort irgendwo entdecken konnte. Zuerst natürlich in der Box meines eigenen Pferdes, dann klapperte ich die anderen an - natürlich kein Rutger, es war sowas von klar gewesen. Der würde sich heute auch seine erste Tracht Prügel fangen, soviel war sicher. Langsam wurde ich richtig sauer. Der Sklave trollte sich aus seiner Ecke in Richtung meines Vetters und glotzte ihn fragend an. "Ja, Herr?" fragte er, während ich durch die Boxreihen schritt und hinter die Heuballen schielte, in der Hoffnung, Rutger in flagranti mit irgendeiner Sklavin im Heu zu erwischen, was es mir noch spaßiger gemacht hätte, ihn herunterzuputzen.

    "Es liegt derselbe Schatten auf uns allen, Arrecina, unser Blut bringt die Fähigkeit zu großem mit sich, aber auch dazu, von weit oben tief abzustürzen. Schau Dir unsere kaiserlichen Vorfahren an und Du weisst, was ich damit meine. Man muss seine Leidenschaften zu beherrschen lernen, oder sie beherrschen einen selbst," antwortete ich und blickte nach wie vor hinaus. Es war eine Wahrheit, die ich irgendwann über unsere Familie erkannt hatte. Keiner der Flavier war ein normaler Mensch, jeder trug irgendwo ein Stück Düsternis mit sich, die ihn vernichten konnte, wenn er ihr nachgab - und ich hatte meiner Dunkelheit oft nachgegeben, vielleicht zu oft. Vielleicht war es Zeit, wenigstens einmal mir selbst Einhalt zu gebieten, einmal nicht diesem ewigen Drang nachzugeben, zu nehmen und gleichzeitig das Feuer weiterzugeben, das in mir brannte und immer brennen würde, bis es mich aufzehren würde. Irgendwann würde es alle verbrennen, die mir nahe waren, zumindest fürchtete ich das bisweilen, wenn ich in einer stillen Stunde des Nachts wach lag.


    "Ich weiss das sehr wohl, aber ich weiss auch, dass diese Mittelchen bei einer jungen Frau dazu führen können, dass sie niemals Kinder bekommen kann. Willst Du dieses Risiko wirklich eingehen, Arrecina?" Wenngleich ich einen entscheidenden Gedanken dabei unterdrücken musste, gab es doch mehr als eine Möglichkeit, beim Liebesspiel zu verhindern, dass der Samen dort floss, wo man ihn nicht haben wollte - mein Körper allerdings hatte schon direkt geahnt, wohin meine Ideen driften würden, und reagierte entsprechend. Es gab Momente, da fühlte ich mich durch meine eigene Männlichkeit geradezu verraten und verkauft - meine Tunika bildete mal wieder ein ausgesprochen verräterisches Zelt und untergrub jegliche Argumentation auf weite Sicht erfolgreich.


    "Vielleicht wäre es fast besser, Du würdest nicht warten, mein Täubchen, sondern Deine Lust auf einen Mann richten, der sie Dir auch erfüllen kann. Rom ist voll von Männern, die einem einzigen Lächeln von Dir eine halbe Welt zu Füßen legen würden, und den größten Palast noch mit dazu," sagte ich leise, nun müde geworden, dauernd neue Ausflüchte finden zu müssen, die ich nur halbherzig vortrug. Es war der personifizierte Zwiespalt, in dem ich hier steckte, und ich hasste mich dafür, dass ich es überhaupt hatte so weit kommen lassen. Konnte sie nicht irgendeine nicht verwandte Frau sein, der ich beiwohnen durfte, ohne ewige Schande auf uns beide zu ziehen, sondern nur den Vorwurf des stuprum oder ähnliches? Doch gleichzeitig wusste ich auch, dass dann dieser prickelnde Atem der nahen Gefahr nicht existent wäre, der dies zu einem besonderen Moment machte. Welcher Mann hätte nicht so manches dafür gegeben, diese Worte von ihr zu hören? Sich begehrt zu wissen, so sehr begehrt, dass die Blutsbande nicht mehr wichtig waren? "Ich denke, unser Gespräch wird uns nicht weiterbringen, Arrecina, und ich möchte nun baden gehen."

    Die übliche nichtssagende Antwort, die man eben von Sklaven erhielt. Wieso hatte ich eigentlich etwas anderes erwartet? Aber ich nickte, als hätte sie gerade eine philosophische Wahrheit verkündet, und lehnte mich ein wenig zurück, ihr mit dem Blick folgend.
    "Ich halte auch große Stücke auf Deinen Herrn," erwiederte ich gelassen und streckte die Beine ein wenig aus, betrachtete den Fall ihres Haars über die Schulter und fühlte ein Echo dessen, was mich stets allzu leicht brennen ließ, in meinem Inneren zurückkehren. Wie es wohl wäre, dieses so abweisende Gesicht in ein hingebungsvolles, leidenschaftliches Stöhnen zu drängen? Ich hatte es mir wohl noch nie leicht gemacht und es forderte mich immer deutlich mehr heraus, eine Frau oder einen Mann erst erobern zu müssen, bevor ich meinen Gewinn erhielt, als alles von vornherein zugeworfen zu bekommen. Gleichzeitig schmeichelten mich ihre Worte natürlich ein wenig. "Was hat er Dir denn von mir erzählt?"

    "Landpartie. Eine Reise auf das Land hinaus, zum Zweck, sich zu entspannen, ein bisschen frische Luft zu bekommen und dem Moloch Rom zu entkommen, zumindest für ein paar Stunden oder Tage, je nachdem." Ich lehnte mich sinnierend in meinem Stuhl zurück und betrachtete meine Neuerwerbung nachdenklich. Die Gedanken dieses Mannes würden mir wohl immer ein Rätsel bleiben, selbst jetzt, in der kultivierten und durch und durch römischen Umgebung meines Arbeitszimmers, das wie kaum ein anderer Raum verriet, was das Reich neben den Legionen wirklich groß gemacht hatte. Er wirkte wie ein fremdes Objekt aus einer Welt, in der alles einfacher und schlichter war, das Leben, die Leidenschaften, aber auch die Sehnsüchte und Wünsche der Menschen. Wahrscheinlich malte er sich nachts auf seinem Lager aus, wie er mich töten sollte und meinen Vetter Aristides mit dazu, und gleichzeitig sollte er lesen und schreiben lernen. Es war so absurd, eine amüsante kleine Melodie im großen Allklang des Lebens.


    "Regeln. In diesem Haushalt wohnen mehrere Familienmitglieder und noch mehr Sklaven, und wenn das alles funktionieren soll, müssen sich alle an bestimmte Regeln halten, ob Sklaven oder Bürger des Reiches. Im Augenblick bist Du mein Eigentum, und alles, was Du tust, wird auf mich zurückfallen - was bedeutet, wenn Du Familienmitglieder beleidigst, verletzt oder tötest, wird es auf mich zurückfallen, und dann auf Dich, weil ich Dich strafen muss. Gib mir keinen Grund dazu, und Du wirst hier ein ruhiges Leben haben. Jede Handlung wider meine Familie werde ich sanktionieren, verhältst Du Dich wohl, wird Dir eine angemessene Belohnung zuteil - nach diesem Prinzip funktioniert das Zusammenleben hier. Es ist Deine Entscheidung, wie weit Du Dich unterordnest, und was Dir daraus erwächst, Rutger Thidriksson. Ich habe nicht vor, Dich zu demütigen, ausser Du blamierst mich öffentlich und vor anderen. Ich werde nicht zulassen, dass Du meinem Namen oder meinem Ansehen schadest, und glaube mir, ich bin weder geduldig noch über Gebühr nachsichtig mit jemandem, der meine Wrte nicht befolgt. Das römische Gesetz lässt einem Mann immer die Freiheit, einen Sklaven wieder aus seinem Stand zu befreien - und wenn Du Dich bewährst, werde ich Dir dieses sicher nicht auf ewig vorenthalten."

    Ich hörte ihm zu, wie ich wahrscheinlich noch niemandem bisher in meinem ganzen recht durchwachsenen und verkorksten Leben zugehört hatte. Nicht, weil ich mir davon einen Vorteil versprach, sondern weil sich zum ersten Mal ein Abgrund auftat, der sehr vieles von dem erklärte, was die Art meines Vetters anbelangte, einige Fragen beantwortete, die ich mir oft gestellt, aber nie eine Antwort darauf erhalten hatte. Wahrscheinlich hätte ich über sein Geständnis erschrocken sein sollen, vielleicht sogar empört, aber ich konnte tief in mir nichts derartiges feststellen. Er war und blieb mein Vetter, mein Vertrauter, der Gefährte so mancher Stunde, die ausser uns nur die wenigsten Menschen in diesem ganzen römischen Imperium wohl zu verstehen gewuss hätten. Und gleichzeitig verzweifelte ich fast an dem Gefühl, ihn trösten zu wollen und doch nur irgendwelche lauen, bedeutungslosen Worte anbieten zu können, die nicht im mindesten das spiegeln würden, was ich eigentlich sagen wollte.


    So hielt ich ihn einfach nur im Arm, ohnmächtig, ihn vor seinen scheußlichen Erinnerungen, diesem furchtbaren Ende seiner ersten Liebe zu beschützen, und strich mit der freien Hand langsam über sein kurzes Haar, als könnte diese Geste irgend etwas an seinem Leid ändern, wohl befürchtend, dass es nur eine Geste war und bleiben würde, egal, wieviel ich damit auszudrücken versuchte. So konnte ich auch erst nach einer Weile wirklich auf seine Worte antworten, es fiel mir schwer, nicht gleich alles zu sagen, was mir auf der Zunge lag und mit seiner Gegenwart mehr zu tun hatte als mit seiner Vergangenheit.
    "Glaubst Du denn, irgendeiner in dieser Familie sei frei von Fehlern oder von Problemen? Schau sie dir nur an, die Flavier, die stolzen Söhne und Abkömmlinge einer verlorenen Kaiserdynastie. Schau hinter aller Fassaden und Du wirst erkennen, dass ein jeder irgendeinen Schatten mit sich herumschleppt. Aber die wenigsten haben aus dem, was ihnen widerfahren ist, etwas gelernt, haben sich nicht geändert - das ist es, was ich Furianus vorwerfe. Er ist kein junger Bursche mehr, er war Aedil, trägt den Namen unserer Familie weit ins Imperium hinaus, und noch immer scheint er nichts dazugelernt zu haben. Du hast Fehler gemacht, Manius, jeder hier hat irgendwann Fehler gemacht, dumme Fehler, schreckliche Fehler, aber die meisten haben daraus ihre Lehre gezogen. Heute scheinst Du mir kein hirnloser Verschwender, heute legst Du für die Familie, für Dich selbst Ehre ein - und Du hast Deinen Eid an Iuppiter pflichtbewusst erfüllt. Zeigt das nicht, dass Du Dich geändert hast? Glaube mir, es gibt nichts an Dir, was ich verurteilen könnte oder wollte, denn dann müsste ich auch auf mich mit dem Finger zeigen, mich einen heillosen Verschwender und Mörder heißen."


    In manchem waren wir uns erschreckend ähnlich, mit dem großen Unterschied, dass ich mich noch immer irgendwie durchmogelte und er es geschafft zu haben schien, seinen Weg auf andere Richtungen hin zu lenken. "Dass Sciurus so schrecklich sein Leben lassen musste, Manius, das ist furchtbar, es ist grausam und unmenschlich, aber die Entscheidung, wie er stirbt, dass er sterben musste, das war nicht die Deine. Geld und Schulden kann man auch anders eintreiben als durch die Ermordung jener, die ein Schuldner liebt und denen er zugetan war - diese Entscheidung liegt bei jenen allein, die ihn töteten. Du magst dumm gehandelt haben, viele Fehler gemacht haben, aber Du bist kein Mörder - und wenn es einen einzigen Trost an der Sache geben kann, dann den, dass Sciurus sicher jederzeit sein Leben mit Freuden gegeben hätte, um Dich zu retten. Vielleicht ist genau das geschehen. Vielleicht beobachtet Dich sein Geist noch immer, und sein Blick ruht mit Wohlwollen auf dem Mann, der nun Quaestor ist und der es zu etwas gebracht hat, ohne sich auf den Sockel der eigenen Unfehlbarkeit zu heben, der seine eigenen Fehler erkannt hat und daraus lernen konnte ..." Sachte griff ich die Hand meines Vetters und drückte sie, seinen Blick erwiedernd. "Es ist geschehen, was geschehen ist, und wir können es nicht mehr ändern, so gerne wir das vielleicht würden. Und du hast ihn nie vergessen ... welcher Mensch kann das schon von sich behaupten, über den Tod hinaus noch so betrauert und geliebt zu werden?"

    "Danke, aber das wäre es dann ... einen ruhigen Tag wünsche ich Dir noch. Vale," sagte ich zu ihm, nickte ihm nochmals zu und wandte mich um, diesen Raum zu verlassen und diesen Odem der staubigen Briefe und trockenen Papyri wieder mit einem guten Schwung frischer Luft abzustreifen. Das nächste Mal würde ich einen Sklaven schicken, soviel war sicher ...

    "Nur, dass der Brief am besten persönlich übergeben wird, aber angesichts der Schutzhülle sollte er ohnehin nicht einem jeden in die Hände fallen," entgegnete ich, schnürte meinen Goldbeutel zu und hängte ihn wieder an meinen Gürtel, bevor ich dem Mann zunickte. "Gibt es von Deiner Seite aus noch etwas abzuklären?"


    Sim-Off:

    [SIZE=7]Es ist überwiesen und Du hast eine PN ^^[/SIZE]

    Ich deutete nur kurz auf die Adresse des Wachstäfelchens, dann schmunzelte ich. "Eine sehr zeitnahe Zustellung sollte nicht allzu schwer sein, immerhin geht dieser Brief nicht nach Syria oder an eine sonstige Ecke des Imperiums. Also ein Eilbrief." Sogleich begann ich, in meiner Geldbörse zu kramen und stapelte ihm schließlich die Münzen auf den Tisch, zwanzig Sesterzen, keine mehr, keine weniger. Wenn man sich überlegte, dass davon eine Familie mehrere Tage lang satt werden konnte, war es schon eine ausgesprochen interessante Relation.