Ich nickte dem diensthabenden Tabellarius - oder was auch immer der Kerl mit dem riesigen Stapel Papyri vor sich auf dem Tisch sein mochte, eigentlich war es mir auch egal - höflich zu, schloß die Tür hinter mir und trat näher.
"Ich habe einen Brief, der an eine bestimmte Adresse zugestellt werden sollte..." Ich legte ihm die Lederhülle mit meiner Schriftrolle darin auf den Schreibtisch, dazu ein Wachstäfelchen, auf dem ich sauber die Adresse aufgeschrieben hatte. "Ist dies möglichst zeitnah in der Zustellung möglich?"
Beiträge von Caius Flavius Aquilius
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Das war es also. Liebe, und eine verzweifelte Form derer noch mit dazu. In diesem Augenblick fühlte ich mich ihm näher als zuvor, denn wer, der es nicht auch selbst erlebt hatte, hätte ihn nicht verstanden? Der erste Mann, der meine Sinne erregt und hatte brennen lassen, war nicht nur mein Geliebter gewesen, ich hatte ihn ebenso verzweifelt geliebt wie wohl Gracchus seinen ersten Sciurus geliebt hatte, so lange musste diese Liebe noch dauern, dass er auch den zweiten Sklaven, der sein Bett und sein Leben teilte, nach diesem benannt hatte. Jetzt endlich verstand ich, wenngleich ich mir sicher war, noch nicht alle Variablen dieser Tragödie sicher erfasst zu haben. Langsam löste ich meine Hand, erhob mich ein klein wenig und zog meinen Stuhl neben den seinen, um dann den Arm langsam um seine Schultern zu legen. Viel tun konnte ich für ihn in diesem Augenblick nicht, aber vielleicht tröstete ihn ein wenig der Nähe, das manifestierte Gefühl des Beistandes, denn ich war mir seltsam sicher, dass ihm diesen sonst keiner geben würde - oder konnte?
"Willst Du mir erzählen, wie es so weit gekommen ist? Manchmal hilft vielleicht auch eine andere Sicht der Dinge, um etwas anders zu beleuchten, etwas zu erkennen, das man selbst nicht sehen konnte - ich ... hatte er Dich ... beleidigt? Belogen ...? Betrogen?" Irgendeinen Grund musste es doch dafür geben, es fiel mir unglaublich schwer, mir meinem Vetter als einen grundlosen Mörder vorzustellen. Was hätte er gesagt, hätte er gewusst, was in meinem Arbeitszimmer vor wenigen Tagen erst geschehen war? Hätte er mich mit Abscheu betrachtet? Ich sah das Gesicht des Sklavenhändlers vor mir, dieses hilflose Röcheln, welches er vor seinem Tod durch die Kette ausgestoßen hatte, und fühlte meine eigenen Schatten mit einer Macht herannahen, die mich hilflos zurückließ. Waren denn wir beide dazu verdammt, Leben zu nehmen, waren wir uns darin so ähnlich wie ... Brüder?
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Mit einer sorgsam gerollten und gebundenen Schriftrolle in lederner Hülle hatte ich mich auf dem Weg zum officium des Cursus Publicus Italia gemacht, sämtliche andere Verlockungen der Innenstadt Roms einstweilen meidend. Ich hatte auf die nervtötende Toga verzichtet, ausserdem wollte ich danach zum Tempel, da würde ich sie nicht zwingend brauchen. So schritt ich an der um diese Zeit schon anwesenden Menschenmenge vorbei, sie kaum beachtend, um mein Ziel anzusteuern, was schließlich in einem einzigen Geräusch gipfelte:
Ich klopfte an der Tür des officiums an und betrat den Raum, mich dort umblickend.
"Salve!" -
Ich hatte mich über meinen eigenen Teil der Familie so in Rage geredet, dass mir sein Gesichtsausdruck eine ganze Weile lang entgangen war. Über Messalina und den Rest meiner nichtsnutzigen Verwandtschaft hätte ich mich wahrscheinlich stundenlang aufregen können und die Gelegenheit war leider zu günstig gewesen - hätte ich geahnt, welche Gedanken er dabei wälzte, hätte ich meine Worte sicherlich anders gewählt, doch nun war es passiert. Überrascht blickte ich ihn an, als er so leidenschaftlich über Schuld und Reue sprach, dass so viel Kummer und Schmerz in seiner Stimme lagen, wie ich es von ihm gar nicht gewöhnt war.
Er wirkte oft so distanziert, fast kühl, in den meisten Momenten beherrscht, als sei er der Älteste von uns allen, obwohl ich älter war als er, dass mich diese Worte mehr aus der Bahn warfen als alles, was meine Verwandtschaft bisher jemals getan hatte oder hätte tun können. Mein Erstaunen mochte man mir ansehen können, aber gleichzeitig bestürzte mich sein Gesicht, der leise, kaum hörbare Klang seiner Stimme bis ins tiefste Innere und ich kämpfte gegen den plötzlich aufgekommenen Drang an, ihn in meine Arme zu ziehen und ihn gegen den Rest der Welt zu verteidigen, der ihm Leid bereitet hatte. Es geschah zugegebenermaßen nicht oft, dass ich für einen Menschen mehr empfand als eine wohlwollende Sympathie oder eine gewisse Begierde, aber in diesem Augenblick hätte er mich um alles bitten können, ich hätte es wohl getan.
"Manius, was ist mit Dir? Du weisst, dass ich Dich niemals richten würde, egal, was Du tust. Furianus' Handeln erzürnt mich, weil er es besser wissen müsste und dennoch auf diese Weise handelt - glaubst Du wirklich, dass ihr euch in diesem Punkt so sehr gleicht?" Jetzt tat ich es doch, ich legte meine Hand auf seine Schulter, zuerst nur leicht, jederzeit bereit, sie wieder wegzunehmen, falls er sich dagegen wehren würde. "Manius," diesmal flüsterte ich, ebenso leise wie er. "Wenn Du ... Sorgen hast ... irgendeine Not ... dann sage es mir. Du bist nicht alleine, hörst Du? Ich bin für Dich da."
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"Ach ja, im Stall, wer hat ihn denn da wieder hingeschickt! Immer wenn man diese verdammten Sklaven braucht, sind sie nicht da, wo sie hin sollen," grollte ich vor mich hin, während ich überlegte, wo sich Arrecina befinden konnte. Sie hatte sich doch hoffentlich nicht irgendeinen der armen Haussklaven geschnappt und auf eine Kline gedrückt - oder noch schlimmer, sie war durch den Hintereingang der Villa, an dem sich immer die Bettler, Lieferanten und Sklaven herumdrückten, in die Stadt entwischt und sich dort irgendeinen feschen Soldaten aufgegabelt, um mit diesem in einem Gasthaus ihre Jungfräulichkeit zu verlieren.
Wahre Horrorszenarien entspannten sich vor meiner in diese Richtung sicherlich nicht einfallslosen Vorstellungskraft, seit ihrem gänzlich unfamiliären, sondern ausgesprochen brünstigen Besuch in meinem cubiculum hatte ich hin- und her überlegt, was ich tun sollte und war ihr kurzerhand erst einmal aus dem Weg gegangen. Glücklicherweise gab es im Tempel genug zu tun, um mich auch bis in die Nacht hinein beschäftigt zu halten, und so war ich die Woche über meist sehr spät erst in der Villa eingetroffen, zu spät, um ihr zu begegnen, denn junge Römerinnen gehörten früh ins Bett. Dass ich Aristides davon kein Sterbenswort sagen konnte, verstand sich von selbst, und ich bedauerte es gleichzeitig, ihm meine Befürchtungen nicht mitteilen zu können.
"Lass uns erst im Hof nachsehen, vielleicht strolcht sie nur im Sklavenbereich herum oder ist durch die Nebenpforte rausgerannt - Du weisst doch, wie uns das damals magisch angezogen hat, und wenn sie auch nur ein bisschen Deine Tochter ist, dann dürfte es ihr nicht viel anders gehen. Und ich kann im Stall gleich nachsehen, wo Rutger steckt, dieser germanische Nichtsnutz ...gib es zu, irgendwas trägst Du mir nach, dass Du mir den geschickt hast," brummte ich und setzte mich schon in Bewegung, den ianitor mit einem lässigen Kopfnicken entlassend. Während wir die Villa durchquerten und an Säulen, Türen, Mosaiken und Wandbildern vorbei gingen, warf ich ihm einen prüfenden Blick zu. "Was ist denn eigentlich los? Du schnaubst wie ein Stier, dem man die brünstige Kuh vorenthalten hat."
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Sie klang enttäuscht, vielleicht sogar patzig, aber es war im Augenblick besser als dieses hungrige, kehlige Gurren, diesem furchtbaren und gleichzeitig allzu verlockenden Klang tief aus ihrer Kehle heraus, ein Laut, der mich bei Frauen im Allgemeinen sehr schnell zum Wahnsinn zu treiben imstande war. Ich konnte und durfte ihr jetzt nicht nachgeben, auch wenn ich ahnte, dass dieses Spiel längst nicht beendet war, es wäre wohl für uns beide besser, sie würde ihre Lust auf einen anderen richten, der sie auch befriedigen durfte, ohne sich auf ewig zu verdammen. Dass der Gedanke, irgendein anderer könnte sie anfassen, sie an den Stellen berühren, die ich mir nicht minder wünschte, kein angenehmer war, würde sie hoffentlich nie erfahren, nicht, solange ich noch irgendwo einen Funken Stolz im Leib besaß. Irgendwelche plebejischen Bewerber würden sicherlich mit vereinter flavischer gravitas zu verscheuchen sein und die meisten anderen Patrizier waren ohnehin zu blutleer, um sich ernsthaft zu bemühen ... dieser Schierlingsbecher würde uns hoffentlich noch lange erspart bleiben.
Ich rührte mich wohlweislich nicht vom Fleck und blickte weiterhin hinaus, während ich ihr antwortete. "Du wünscht Dir etwas, das ich Dir nicht erfüllen darf, mein Täubchen, denn es brächte Schande nicht nur über mich, würde es entdeckt. Wissen die Götter, ich habe in meinem Leben schon vieles getan, worauf ich nicht unbedingt stolz bin, und jeden Tag kommt irgend etwas dazu, aber ich möchte Dein Leben nicht mit diesem Schatten versehen, wenn ich es nicht irgendwie verhindern kann. Denkst Du denn an die möglichen Folgen, Lieblingsnichte? Du könntest schwanger werden, wenn wir beieinander liegen, es könnte jemand entdecken, und wo es Sklaven gibt, wird immer mehr getratscht, als guttut - was wäre dann? Du wärst auf ewig entehrt und das, das wünsche ich Dir nicht. Bin es wirklich ich, den Du willst oder ist es nur das Sehnen deines zur Frau werdenden Leibes, das sich zufällig auf mich richtete, weil Du mich kennst, weil Du mir vertraust und hoffst, ich könnte Dir die Welt da draußen auf eine Weise zeigen, die Dich nicht verletzt?"
Ich atmete tief ein, klangen die Worte doch nun heftiger, als ich sie hatte sagen wollen, ich hatte mich in Rage geredet, die rechte Hand an der Wand zur Faust geballt. Mühsam entspannte ich mich wieder, nun zu Bden blickend. "Ich würde lügen, würde ich leugnen, dass Du mir gefällst, Arrecina, und das wird wohl immer so sein. Aber zwischen dem, was man begehrt, und dem, was man sich dann wirklich nimmt, ist oft ein Unterschied ... das ist weder der richtige Ort, noch die richtige Zeit noch bin ich der richtige Mann dafür." Es musste höhnisch klingen, aber ich wusste es nicht anders zu sagen. Mein Körper schrie danach, sie auf mein Bett zu zerren und mir zu nehmen, was sie mir so bereitwillig anbot, aber sie musste verstehen, dass das alles nicht so leicht war, wie sie es sich vielleicht vorstellte.
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Ich hielt ihn in meinem Blick, die Stirn ein wenig gerunzelt dabei, aber das Überraschende geschah wirklich: Zum ersten Mal gab er seine Miene des Misstrauens auf und schien sich für ein Thema zu erwärmen, das nicht mit 'Römer töten' oder 'Römer verabscheuen' zu tun hatte. Das Meer schien ihm zu gefallen und vielleicht würde sich da die Gelegenheit bieten, ihn ein klein wenig besser kennenzulernen und herauszufinden, ob er sich für meine Zwecke eignete - ob er das war und werden konnte, was mir derzeitig in meinem Leben fehlte. Aber es musste eines nach dem anderen geschehen, auch wenn es mir wenig lag, Geduld zu haben, es würde sich hoffentlich irgendwann als gerechtfertigt erweisen.
"Wir werden nach Ostia reiten - ein Pferd für Dich finden wir hier sicher - und dort den Hafen ansehen, er wird nicht umsonst einer der größten der Welt genannt. Und natürlich das Meer, vielleicht findet sich auch ein Fischer, der uns mit hinaus nimmt. Ich habe mir sagen lassen, dass die Landschaft dort sehr reizvoll sein soll und man eine gute Landpartie machen kann."Rutger mit dem stilus in de Hand sah wirklich eigentümlich aus, eigentlich konnte man erwarten, dass der Griffel in seinen kräftigen Fingern sofort zerbrechen würde, aber noch hatte ich die Hoffnung, dass er nicht alles verweigern würde, was die römische Zivilisation zu bieten hatte. Vor allem von den Lippen meiner kleinen Nefertiri, von denen die meisten Männer sehr viel akzeptieren würden, da war ich mir ziemlich sicher. Es ging mir schließlich nicht anders. "Heute werden wir gemeinsam auf das Forum gehen und ich zeige Dir den Weg zum templum martialis, in dem ich arbeite - damit Du ihn Dir einprägen kannst und in Zukunft selbst findest. Und wir werden über die Verhaltensregeln in diesem Haushalt sprechen, die Cena Liber hat mir gezeigt, dass es da noch Nachholbedarf gibt."
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Ich halte Mommsen für lesenswert - zum einen, weil es das erste wirklich vieles umfassende 'Standardwerk' zur römischen Geschichte seiner Zeit war, weil Mommsen imho durchaus methodisch und klar gearbeitet hat - und nicht zuletzt, weil es einem zeigt, wie man zu seiner Zeit an Geschichte noch herangegangen ist. Wenn Du also ein 'Stück Geschichte über Geschichte' lesen möchtest, den ersten wirklichen Standpunkt, den man zu den Römern weitläufig einnehmen konnte, erfahren möchtest, lies es. Aber vergiss dabei nicht, dass der Informationsstandpunkt von Mommsen dem heutigen um eineinhalb Jahrhunderte hinterherhinkt - und man nicht alles, was er schrieb, als absolute Tatsachen wahrnehmen sollte.
Als Einblick in die Geschichtsforschung der damaligen Zeit ein guter Ansatz, als Einblick in frühere Betrachtungsweisen der Römer ebenso, aber wie es immer ist, es ist keine Meinung, die man als vollkommen richtig und die einzig Wahre sehen darf. -
Ich hörte den Stoff ihrer viel zu durchsichtigen Tunika hinter mir rascheln und wünschte mich für einige Momente lang weit fort, meinetwegen sogar nach Germania im Winter. Zumindest hätte mich dieses Volk dort mit seinen rauhen Sitten sicherlich abgekühlt und die schmutzigen, filzhaarigen Frauen erst Recht. Der Gedanke jedenfalls an die Germaninnen, die ich bisher gesehen hatte, reichte vorerst aus, um das allzu fordernd gewordene Prickeln meiner Lenden erst einmal zum verstummen zu bringen, und ich atmete tief durch, als ich einen gewissen Rückgang feststellen konnte. Doch mein Durchatmen war nur von sehr kurzer Dauer, erinnerte mich doch ihre Hand, die über meinen Rücken strich, allzu schnell wieder an ihre Anwesenheit, die Nähe ihres verlockenden, jungen Körpers. Wieso nur war mir die Parallele zu Aurelius Corvinus nun so gegenwärtig? Auch er hatte die Biegsamkeit langsam sich zum Erwachsensein hin neigender Jugend besessen, auch seine Lippen waren süß und verlockend gewesen wie ein Naschwerk, dem man unrettbar verfallen musste, wenn man es erst einmal gekostet hatte.
Wenigstens kannte sie ein Einsehen, berührte mich nur kurz auf meiner Rückseite und blieb dann neben mir stehen. Wie konnte sie sich meiner Lust so sicher sein? Eine so junge Frau, die kaum bisher so viel Erfahrung hatte sammeln können, die sich aber benahm, als hätte sie schon unzählige Männer zwischen ihren Schenkeln sich winden lassen, wie konnte das sein? Oder war das ihr flavisches Erbe, das uns alle unseren Lüsten unterwarf, die einen mehr, die anderen weniger? Ich blieb stehen, nicht stocksteif, aber beherrscht genug, um sie nicht von mir aus zu berühren. "Arrecina, ich denke, dass es jetzt langsam Zeit für Deine Lektionen ist," sagte ich so beherrscht und doch gleichzeitig fest genug, um meiner Stimme einen autoritären Klang zu verleihen. "Ich denke nicht, dass Du Dir hier in Rom Müßiggang erlauben solltest, das bist Du Deinen Ahnen, aber auch Deinem Vater schuldig, Du willst ihm sicher keine Schande bereiten - oder seinen Ärger verursachen." Sie musste ihren Vater schon einmal aus lauter Wut explodieren gesehen haben, dessen war ich mir ziemlich sicher - und es konnte nicht schaden, ihre Lust mit diesem Gedanken ein wenig abzukühlen, wenn es schon nicht half, meine abebben zu lassen.
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Still betrachtete ich meine Neuerwerbung, auch das kurze Aufleuchten seiner Augen war mir nicht entgangen, zumindest glaubte ich ein solches erblickt zu haben. Ich zweifelte nicht daran, dass er längst nicht davon überzeugt war, mit seinem Leben hier zufrieden zu sein, ich an seiner Stelle wäre dies wohl auch nicht, aber es gab nun einmal keine Wahl mehr. Entweder er ordnete sich unter oder aber er würde untergehen. "Nefertiri wird Dich das Lesen und Schreiben lehren, sie ist in diesen Dingen sehr geschickt," sagte ich und schob ihm eine leere Wachstafel und einen stilus zu. "Das ist Dein Schreibmaterial, pass darauf gut auf - ich schätze es nicht, wenn man mit wichtigen Dingen nachlässig umgeht." Auch wenn der Gedanke, ihn schreiben zu sehen, mit dem recht kleinen stilus in der Hand anstatt irgendwelcher brutaler und bluttriefender Waffen fast etwas groteskes hatte.
"Wie ich mir das vorstelle? Nun, Du wirst mein Leben teilen, Rutger, so ist es zumindest gedacht. Gehe ich zum Tempel, begleitest Du mich, gehe ich in Rom irgendwohin, werde ich Dich mit mir nehmen, Du wirst, wenn ich erkenne, dass Du neben dem Willen dazu auch mein Vertrauen in Dich gewachsen sein sollte, mein Helfer, Begleiter und Vertrauter sein ... wohlgemerkt, sollte ich in Dir etwas finden, das mich glauben lässt, dass Du diese Position auch so ausfüllen kannst, wie ich mir das vorstelle." Ich ließ eine Pause entstehen und fügte dann an: "Einen halben Tagesritt etwa - der Hafen von Ostia ist nicht zu weit von hier entfernt. Dorthin wollte ich in der nächsten Zeit eigentlich einen Ausflug mit Dir machen."
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Schweigend lauschte ich seinen Worten, und auch wenn alles wohlüberlegt klang, so blieb bei mir nicht das Gefühl aus, dass er irgend etwas vor mir verbarg oder schlichtweg zu unterdrücken versuchte. Hatte mein Vetter irgendwelche Sorgen? Im Augenblick lief es doch gut für ihn, zuerst die gewonnene Kandidatur, dann die anstehende Hochzeit - sicher, er wusste mit Frauen wenig anzufangen, aber er wäre sicher nicht der erste römische Ehemann, der seine Frau nicht aufsuchte und würde nicht der letzte sein, der sich woanders seine Vergnügungen holte. Und irgendwann würde sich seine Frau einen Liebhaber suchen, wenn sie den Unwillen ihres Mannes erkannt hatte und klug war, und die geborenen Kinder wären ehelich - so oder so ähnlich war es schon bei so vielen gelaufen, und ich sah das alles wohl zu trocken, wenn ich mir darüber im Grunde wenige Gedanken machte. Das einzige, was mich bedrückte, war die trübe Stimmung meines Vetters.
"Ich werde Furianus' Nachlässigkeiten sicherlich keinem Außenstehenden unter die Nase reiben, dessen kannst Du Dir sicher sein, Manius," sagte ich ruhig, seinen Namen ein wenig weicher aussprechend als sonst. "Und im Vertuschen idiotischer Aktionen haben wir Flavier inzwischen wohl genug Übung, wenn ich unsere jüngere Vergangenheit bedenke, ein bisschen mehr Training werden wir verschmerzen können - doch den Ärger über all dieses Ungemach wirst Du mir sicher niemals, auch nicht mit solch klugen Überlegungen, austreiben können. Es ärgert mich einfach, dass er wie ein Bauer handelt und ungefähr soviel Weitsicht zeigt wie ein Opferstier." Ich hielt inne, blickte zu ihm und runzelte nun die Stirn, so deutlich hatte ich nicht erwartet, Kummer zu erblicken.
"Manius, Dich bedrückt doch etwas .. und das ist sicher nicht Furianus. Was ist denn los mit Dir ...? Kann ich Dir vielleicht irgendwie helfen? Du weisst, ich würde alles für Dich tun." -
Der warnende Blick Gracchus' war mir nicht entgangen und innerlich seufzte ich leise. Er würde es wahrscheinlich nie gänzlich nachvollziehen können, wie vorsichtig man letztendlich als hispanischer Flavier innerhalb dieser Familie vorzugehen gezwungen war. Der Schatten von Messalinas Dummheit schwebte noch immer allzu dunkel über meinem Familienzweig und ich konnte und wollte das Risiko nicht eingehen, dass irgendwann Felix genau diesen Schatten auf mich zurückgeworfen sehen würde ... aber anscheinend bewertete er all dies ein wenig anders.
"Wenn es nach mir allein ginge, wäre ich sofort bereit, Dein Patronat anzunehmen, Felix, glaube nicht, ich begegnete Dir mit Misstrauen. Doch bleibt mir stets die Erinnerung an die recht unrühmliche Vergangenheit meines Familienzweiges, sodass ich Dir die Gelegenheit bieten wollte, Dich davon zu überzeugen, dass mich nichts mit den Schandtaten der Ausgestoßenen verbindet. Wenn Dir dies allerdings zweitrangig ist, so bin ich mit Freuden der Deine." -
"Nein, habe ich nicht. Hast Du zufällig meinen Sklaven gesehen? Rutger?" knurrte ich zurück. Heute schien der Tag der schlechten Laune zu sein, mein Vetter und ich besaßen heute eine nicht zu unterschätzende Familienähnlichkeit. Erst nach einigen Momenten registrierte ich, dass es um Arrecina ging. Noch immer fiel es mir nach ihrem Besuch in meinem cubiculum schwer, die Tatsache, dass sie Aristides' Tochter und damit unantastbar war, und die Tatsache, dass sie sich mir fast brünstig an den Hals geworfen hatte, miteinander in Verbindung zu bringen. Manchmal könnte man auch fast glauben, sie bestünde aus zwei Personen, dem unschuldigen, etwas albernen Kind, und der fordernden, leidenschaftlichen Frau - aber diesem Gedanken weiter nachzuhängen hatte ich gerade weder die Muße noch die Stimmung.
"Seit wann ist Arrecina denn verschwunden?" erkundigte ich mich und maß meinen Vetter mit einem überlegenden Blick. Abgesehen davon, dass sie als Flavierin stets ein Händchen für Schwierigkeiten haben würde, machte ich mir um ihr Verschwinden einstweilen weniger Gedanken, wahrscheinlich erkundete sie gerade auf eigene Faust Rom, in diesem Punkt fiel der Apfel nicht weit vom Stamm - Marcus' Hang dazu, Vorschriften mit Füßen zu treten war ebenso wie meine Veranlagung dazu legendär. Obwohl ... wenn er meinen Sklaven auslieh, vielleicht glaubte seine Tochter, dies auch tun zu können. "Vielleicht sind sie ja gemeinsam unterwegs, es wäre nicht das erste Mal, dass mein Sklave ohne mich zu fragen ausgeborgt wird..."
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Der Tag war nicht dazu angetan, meine eh schon miese Laune zu verbessern. Irgendwie war ich auf der falschen Sandale aufgestanden, eine Nacht voller verworrener und seltsamer Träume hatte mich schweißnass erwachen lassen, womit ich auch Nefertiri erschreckt hatte, die nicht minder unruhig geschlafen zu haben schien, und als ich viel zu früh aus dem Bett gestiegen war, war ich auch noch an meiner Toga auf dem Boden hängen geblieben und der Länge nach auf dem Fußboden gelandet - seitdem hatte sich dieser Tag als stetige Abfolge enervierender Kleinigkeiten entwickelt, von den viel zu reichlich mit Garum bedachten Eiern zum Frühstück über das zu heiße Badewasser danach, über einen Stapel schlampig geführter Rechnungen meines ererbten Weinguts in Hispania - kurz und gut, heute schienen die Götter dazu angetan, mir die Laune zu verderben, und das mit erschreckender Effizienz.
Und wenn man ihn einmal brauchte, war natürlich auch mein Sklave nicht zu finden, selbst als ich Nefertiri ausschickte, ihn zu suchen, kam sie ohne Rutger und mit etwas Unruhe im Blick zurück. "Das kann doch nicht wahr sein, wo ist denn dieser elende bucco von einem Germanen!" tobte ich durch mein Arbeitszimmer, eine Wachstafel landete an der Wand, rutschte auf den Boden herunter und zerbrach, was Nefertiri eilig zu einem Rückzug veranlasste - schnaufend und sichtlich schlecht gelaunt machte ich mich also selbst auf die Suche nach meinem widerspenstigen Eigentum ohne Manieren und Anstand. Wehe ihm, wenn ich ihn finden sollte, dies wäre nicht mit Worten zu bereinigen! Ich durchstreifte zuerst den Wohnbereich der Villa Flavia Felix, in der Hoffnung, irgendein Familienmitglied hätte ihn requiriert, das ich dann auch noch hätte anbrüllen können ...
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"Die gefährlichste Waffe ist immer die, die man nicht sieht, Rutger, und mein Volk ist ausgesprochen geschickt darin, sich solcher Waffen zu bedienen. Wer sagt Dir, dass die Lippen, die Dich küssen, nicht vergiftet sind, dass in Deinem Essen nicht eine langsam wirkende Essenz ist, die Dich zuerst schwach macht und dann entkräftet, um Dich dann zu töten? Du befindest Dich im Haushalt einer hoch stehenden Familie, und je höher man hier steht, desto größer werden die Gefahren, denen man sich aussetzt, jeden Tag." Fast ein wenig müde lächelte ich bei diesen Worten, war dies doch etwas, was ich schon als Kind hatte lernen müssen, und erst in meiner Jugend verstanden hatte - auch das war ein Grund gewesen, Rom hinter mir zu lassen und nach Athen zu flüchten, als mein Vater mir eine Ausbildungsmöglichkeit arrangiert hatte. Und nun stand dieser Halbwilde im Glauben seiner naiven Überlegenheit vor mir und glaubte, seine germanischen Wälder seien gefährlicher als Rom ... ein Trugschluß, dem auch schon Caesar unterlegen war.
"Nun, ich kann keinen Sklaven gebrauchen, der nicht zumindest fähig ist, Worte auf lateinisch zu lesen - man wird versuchen, Dich zu täuschen, und je mehr Du weisst, desto eher bist Du in der Lage, Schwindeleien und Betrüger zu entlarven. Wissen ist immer Macht. Je mehr Wissen, desto mehr wirst Du verstehen. Die Dinge, die Dir Deine Eltern oder Großeltern mündlich überliefern können, sind immer von begrenzter Menge - das Wissen hunderter, tausender guter und kluger Männer, gesammelt in Büchern, Schriftrollen, Wachstafeln, das ist es, was Rom groß machte und groß erhalten wird. Weil wir bereit sind zu lernen, zu beobachten und zu verbessern. Einen Gegner auf dem Schlachtfeld erschlägst Du auch nicht, indem Du wild mit der Waffe fuchtelnd auf ihn zurennst und nach ihm schlägst - erst wenn Du ihn studierst und seine Schwächen und Stärken erkennst, tötest Du kraftsparend." Seine Worte über die Folgen des Lesens entlockten mir ein amüsiertes Heben der Mundwinkel. "Wenn man mit ausreichend Licht liest, nicht."
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Ich bitte mein Weingut von Villa Rustica Messalinae in Villa Rustica Flavia umzubenennen. Danke im voraus
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"Ich fürchte, Dein Talent zum töten meiner Mitbürger werde ich nicht allzu oft gebrauchen," sagte ich nach einer Weile des sinnierens und schmunzelte dünn. Er hatte zumindest eine Art von Humor, wie es schien, also war nicht alles verloren. "Ger und Frame sind in dieser Stadt nicht üblich, und das Sax erst recht nicht - in Rom ist es verboten, Waffen zu führen, dieses Recht kommt allein den Stadteinheiten zu, die hier für Ordnung sorgen müssen. Hast Du verstanden? Solltest Du jemals eine Waffe tragen und damit erwischt werden, wirst Du ohne viel Federlesens getötet, da Du kein Bürger, sondern Sklave bist. Was bedeutet, Du wirst Dich im waffenlosen Kampf üben, und zwar gemeinsam mit mir ... es kann nicht schaden, wenn wir beide uns auf den Straßen verteidigen können und daran gewöhnt sind, gemeinsam zu kämpfen. Rom ist gefährlich, deutlich gefährlicher als jeder Eurer Wälder, auch wenn dies für Dich wenig glaubhaft klingen mag. Der Tod kommt hier sehr schnell und an jeder Ecke - und man sieht ihn selten kommen."
Mein rechter Zeigefinger fuhr langsam an der Wachstafel entlang, tippte einige Male dagegen, während ich nachdachte. "Was das ausreiten anbelangt, und die Stallarbeit .. ich denke, da wirst Du in Zukunft nicht mehr allzu viel Zeit verbringen, ausser bei meinem eigenen Pferd. Du bist zu besserem bestimmt, als den Mist der Tiere wegzuschippen, die meiner Verwandtschaft gehören." Ich legte den Kopf etwas schief und betrachtete meinen Besitz sinnierend. "Ich bin Priester, Rutger, Priester des römischen Kriegsgottes Mars, und mein Segen ist es, der die Götter mit der Welt und jenen, die ihnen dienen, verbindet. Ich vollziehe die blutigen und unblutigen Opfer, die dafür sorgen, dass Mars unseren Soldaten, aber auch allen anderen Bittstellern gewogen ist. Wenn ich nicht irre, steht in Deinem Land Odin für die Schlachten, aber auch die Weisheit ..." Ich hob meine Wachstafel an. "Wissen erlangt man auch, indem man die Worte liest, die uns die Ahnen hinterlassen haben ... und vielleicht wird irgendwann daraus Weisheit."
Ich atmete leise ein. "Kannst Du lesen oder schreiben? Damit meine ich: die lateinische Sprache." -
Ich trat sinnierend an den Sklavenstand heran und betrachtete den angebotenen jungen Mann. Noch ein dritter Sklave, hm. Ein Gegengewicht zu Nefertiri und Rutger wäre dieser Kerl sicher nicht verkehrt, aber angesichts der leeren Kassen im Augenblick war das ein Spiel mit dem Feuer. Obwohl, Gracchus ...
"Ich biete Dir dreihundert Sesterzen für ihn!" rief ich laut aus und nahm somit das Erstgebot in Anspruch. -
Ich hob etwas meine Brauen an, wollte mein Verwandter nun wirklich das Geschäftliche inmitten eines Abendessens klären? Das war dann doch etwas würdelos, aber ich verbarg meinen Unmut darüber mit der Übung vieler Jahre, denn die Ansichten meines Vaters und die meinen hatten sich auch oft grundlegend unterschieden. Mit dem geringen Vorteil, dass ich nun am Leben war und er nicht - so löste man heutzutage am schnellsten irgendwelche Konflikte.
Da mir Felix aber lebendig deutlich mehr von Nutzen sein würde als tot, schob ich diesen Gedanken energisch beiseite - ausserdem gehörte er zur Familie. Man musste sich den Ärger ja nicht unbedingt noch mehr ins Haus holen, als er durch Furianus schon hinein gezerrt wurde. Ein wenig streckte ich mich aus und angelte mir einige Fleischhappen von jenem Teller, den ein Sklave herumreichte und blickte wieder in die Richtung des Flavius Felix, insgeheim hoffend, das Fleisch noch würzfrei vorzufinden. Irgendwann würde ich diese dusseligen Sklaven auspeitschen lassen, die an alles und jedes Garum dranpackten.
"Nun, wir haben uns viele Jahre lang nicht gesehen, und wenn ich mich recht entsinne, war ich bei unserem letzten Aufeinandertreffen noch ein Junge ohne allzu viel Sinn für das Bedeutsame - es wäre mir lieber gewesen, wir könnten einander noch ein wenig mehr kennenlernen, bevor wir eine so bedeutsame Beziehung eingehen wie die des patronus und des cliens."
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Gemächlich legte ich meinen Brief auf die Schreibtischplatte ab und blickte zu meinem Sklaven auf und nahm fast sofort das ihn umgebende Odeur wahr. In den Stall also hatte man ihn gesteckt, und da er heute deutlich weniger aufsässig wirkte als zuvor, schien es ihm gar nicht so schlecht zu gefallen. Umso besser, irgendwann würde er sich mit dem Leben hier abfinden müssen, ob es ihm gefiel oder nicht.
"Rutger, ich habe Dir nun einige Tage Zeit gelassen, Dich hier im Haus einzugewöhnen, da Dir das Leben römischer Familien noch fremd gewesen sein dürfte, und soweit ich gehört habe, scheinst Du bisher auch einigermaßen mit allem zurecht zu kommen."Sanft klappte ich die beiden Wachstafeln zu, in denen ich gerade gelesen hatte und lehnte mich ein wenig in meinem Stuhl zurück, während mein Blick über seine Gestalt glitt. Er hatte in den letzten Tagen wieder an Gewicht gutgemacht und er wirkte auch, als hätte er zumindest ein wenig Ruhe gefunden - oder täuschte ich mich und wünschte mir zuviel?
"Es wird Zeit, dass wir uns um Deine zukünftigen Pflichten in diesem Haushalt kümmern und Dir eine Aufgabe verschaffen, die Dir liegt. Setz Dich zu mir, Rutger, und erzähle mir etwas von Dir. Von deinem bisherigen Leben, den Dingen, die Du getan hast, einmal abgesehen davon, uns Römer zu hassen und zu töten, und auch von den Dingen, die Du zu tun vermagst, für die Du ein Talent zu haben glaubst."