Wie trotzig mein kleines Täubchen werden konnte, wenn sie sofort nicht erhielt, was sie begehrte. Zweifellos, bei ihrer Großmutter hatte sie es gut gehabt, wahrscheinlich war sie dort auch ein klein wenig zuviel verhätschelt worden, wenn ich mir nun ihre Worte richtig interpretierte. Und sie schien recht leicht beleidigt zu sein, wenn man ihr klar vor Augen führte, wie ihre Art auch wirken konnte. Der alte, flavische Stolz - wahrscheinlich würden wir irgendwann genau daran krepieren und an den Waffen jener verrecken, denen es nicht mehr gefiel, von einer Familie so behandelt zu werden, als seien alle anderen deutlich weniger wert als sie es tatsächlich waren. Schon immer hatte ich von meinem Vater gelernt und gehört, dass ein Flavier mehr wert war als alle anderen, und man schien diese Werte auch heute noch zu vermitteln. Vielleicht war es gerade dieses Eingeständnis derselben Fehler, derselben Macken, die uns so verband, über das Blut hinaus. Der Hauch der Dunkelheit berührte jeden und ließ ihn nicht mehr los.
"Wie stark ich bin, mein Täubchen, ist denke ich nicht Teil unserer Unterhaltung. Du weisst selbst sehr gut, wie unmöglich Dein Wunsch zu erfüllen ist, und was uns drohen würde, würde ich Dir diesen Wunsch erfüllen. Egal, wieviel es mich kostet, standhaft zu bleiben," entgegnete ich ihr und wandte den Kopf langsam in ihre Richtung um, betrachtete sie für einige Momente lang schweigend. Kein Zweifel, sie wäre eine süße Frucht, die zu kosten mich nicht nur meine Ehre, sondern auch meine Seele kosten konnte. Genauso, wie ich gleichzeitig wusste, dass ich sie niemals ganz besitzen würde, egal wie ich mich zu handeln entschied.
"Ich habe Dir in keinem Wort unterstellt, in die Stadt hinauszugehen, um Dich einem jeden anzubieten, Arrecina, und wenn Du meinen Worten genau zugehört hättest, dann hättest Du diesen Vorwurf darin auch nicht vernommen. Ist es nicht so, dass Du mit Deinem eigenen Handeln vielleicht noch nicht im Reinen bist, dass Du diesen Vorwurf so schnell hinter einer simplen Feststellung vermutest? Die Tochter des Flavius Aristides wäre eine gute, eine begehrte Partie, vor allem, wenn sie leidenschaftlich, heißblütig und schön ist. Mach Dir nichts vor, es wird bald viele Bewerber geben, wenn sie erst erkannt haben, was für eine schöne Tochter mein Vetter hat." Nun schmunzelte ich, Arrecina als verletzte Unschuld zu sehen hatte irgendwie etwas Niedliches an sich. Dass eine junge Frau gleichzeitig so lose in ihren Sitten sein konnte und doch noch unschuldig, war eigentlich kaum zu glauben.
"Nun geh schon, ich will mir das Wasser nicht hierher tragen lassen müssen," fügte ich schließlich noch in einem etwas versöhnlicheren Ton an und registrierte beruhigt, dass sich sämtliche Gedanken an irgendeine Form von Beischlaf irgendwo verloren hatten. Jetzt waren wir wieder Onkel und Nichte und ich hatte zumindest für mich wieder einen gewissen Abstand zwischen uns beide gebracht. "Wir werden dieses Gespräch an anderer Stelle fortführen, aber glaube nicht, dass sich mein Standpunkt wesentlich ändern wird."