Beiträge von Caius Flavius Aquilius

    Mir war klar, ich würde wohl keine andere Antwort zu hören bekommen als gerade diese, und ich war mir nicht sicher, ob mich das enttäuschen sollte oder nicht. Wahrscheinlich würde er sich willig meinen Händen darbieten, aber ich würde nie erfahren, was hinter seiner Maske sich abspielte, was er dachte, hoffte, wünschte - vielleicht ersehnte. Das, was mich eigentlich an anderen Menschen interessierte, faszinierte, immer wieder lockte, sie zu ergründen und zu testen, das enthielt er mir vor - und trotz dieser unmöglichen Lage, dieser absurden Situation, war ich in gewisser Weise neugierig. Wieder berührte die feuchte Kühle meine Haut und ein klein wenig entspannte sich mein malträtierter Leib unter dieser behutsamen Reinigung. Seine bedachten Gesten ließen zumindest einiges hoffen.


    "Ich verstehe," sagte ich und öffnete die Augen nun, um sein Gesicht zu betrachten, die helle, weich wirkende Haut, das leicht gelockte, hellblonde Haar - ja, ich konnte durchaus verstehen, dass diese exotische Erscheinung die Sinne meines Vetters reizte. "Dann werde ich Deine Anwesenheit erwarten, sobald Dein Herr Dich entbehren kann und sobald ich wieder genesen bin ... was angesichts Deiner Pflege sicherlich nicht lange dauern kann." Ein Kompliment verriet viel über den Menschen, der es bekam - seine Reaktionen verrieten ihn doch oft und so hatte ich damit auch nur einen Versuch gestartet, ihn ein wenig aus der Reserve zu locken. Stolz schien er zu sein ...

    "Es ist kein Wunder, dass Dein Herr Dich schätzt," erwiederte ich, die Augen nicht weiter öffnend, sondern ich verharrte still in meiner Lage - zu viel mehr wäre ich im Augenblick wohl ohnehin nicht fähig gewesen, zumindest nicht, wenn ich nicht dauernd vor Schmerz keuchend in diesem fremden Haus umherhüpfen wollte. "Loyalität ist eine gute Eigenschaft. Aber ich bin nicht Dein Herr, Dein Herr ist mein Vetter, und er allein hat letztendlich über Dich zu bestimmen." Nun blickte ich ihn doch an, versuchte in seinem mit einem Mal so jung erscheinenden Gesicht ein Zeichen des Verstehens zu entdecken, irgend etwas, das mir helfen würde, ihn ein wenig einzuschätzen.
    "Manche Dinge müssen gern getan werden, um gut getan zu sein." Eine reine Binsenweisheit, aber so empfand ich es, und auch wenn mich dieser junge Mann durchaus verlocken würde - ich ahnte es an seinen geschmeidigen Bewegungen - so war diese Frucht eine verdorbene, wenn ich dauernd das Gefühl haben würde, dass das Naschen ungern gesehen war.

    Ihr Lächeln jagte mir einen süßen Schauer über den Rücken, obwohl ich gerade darauf lag. Wäre ich nicht ihr Onkel gewesen, wäre sie nicht meine Nichte, dann wäre es einfacher, sich in diesem Moment einigen sehr erfreulichen Gedanken hinzugeben, aber ich wusste sehr gut, was sich gehörte und was nicht - zumindest war mir dies vor Jahren von meinem Vater nahe gebracht worden und ich hatte mich zumindest an einige seiner Regeln bisher gehalten. Eine davon lag darin, weder zu junge noch zu nahe verwandte Mädchen in Betracht zu ziehen und auch wenn dieses Mädchen deutlich mehr von einer Frau hatte denn von einer unschuldigen Jungfer, wie sie es hätte sein sollen, war mir der Hauch einer Gefahr klar, die in ihrem Lächeln lag.


    Dass sie sich neben mich setzte, ließ mich ahnen, dass sie genauso gut wie ich wusste, was hier unausgesprochen in der Luft lag, und sich davon nicht beirren ließ. Nahe an meinem Lager musste die Luft noch das Echo der zuvor dort stattgefundenen Leidenschaft in sich tragen, ein Glück, dass sie mich berührte - und an einer Stelle berührte, die mich noch immer schmerzte. Ich gab mir standhaft Mühe, nicht zusammen zu zucken, und es gelang sogar einigermaßen, während ich ein Lächeln auf meine Züge quälte.
    "Ich glaube nicht, dass Du jedes Zeichen dieser brutalen Schläger an mir sehen möchtest, Täubchen," flüsterte ich zu ihr zurück und legte den Kopf etwas zur Seite. "Ich habe mich gewehrt, so gut es ging, aber gegen eine Übermacht ist man alleine fast machtlos. Aber denke nicht zuviel darüber nach, ich habe schließlich selbst Schuld daran, weil ich alleine ausging." Mein Blick folgte ihren Bewegungen, blieb auf ihrem Gesicht liegen, als sich dieser vage Unterton in den Klang ihrer Stimme mischte. "Die Familie wird sich sicher Deiner mit Freuden annehmen, Arrecina. Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen? Vor vier Jahren? Fünf? Ich weiss es nicht mehr .. aber ich finde, es sollte nicht noch einmal so viel Zeit vergehen."

    "In diesem Tempel wird zumindest weder geraubt noch gefrevelt, und jeder Bürger, der sich mit einem Anliegen an Mars oder einen der Priester wendet, erhält Aufmerksamkeit und Unterstützung - das ist etwas, was Mantua, Mogontiacum und andere Städte nicht unbedingt behaupten können," stellte ich mit gerunzelter Stirn fest und blickte mich an den Wänden um. Was hatte dieser Kerl für ein Problem? Eine feuchte Stelle an der Wand war kein Weltuntergang, man würde Handwerker beauftragen und die Sache wäre wieder geregelt. Eine gewisse Nachlässigkeit konnte immer passieren, auch wenn sie nicht passieren sollte. Ich würde nachher dahinter her sein, dass diese Zeichen der Schlamperei verschwinden würden, damit nicht der nächste Besserwisser glauben würde, er könnte sich hier aufführen wie die kaiserliche Tempelprüfungskommission.
    "Aber diesem Zustand wird abgeholfen werden," stellte ich ruhig fest und blickte ihn an, sinnierend, ob ich ihn irgendwo schon vorher gesehen hatte oder nicht.

    Dieser junge Mann machte es mir nicht wirklich leicht, aber ich musste damit wohl irgendwie zurecht kommen. Immerhin war er der Besitz meines vielschichtigen, distinguierten Vetters, da konnte man kaum erwarten, einen einfachen und thumben Charakter vor sich zu haben. Meine Augen schlossen sich wieder ein wenig, und ich genoss das kühle Gefühl auf der Stirn, welches den brennenden Schmerz am Körper zwar nicht vertreiben, aber durchaus lindern konnte. "Entspricht dies auch Deinem Wunsch?" Eine gewisse Unsicherheit bei diesem Gedanken konnte ich nicht leugnen, und ich hoffte, er würde sie nicht gehört haben, denn mit Gewalt etwas zu nehmen, was man mir nicht geben wollte, das lag mir nicht und würde es wohl nie liegen. Seltsam, ausgerechnet in diesem Moment in diesem Raum, der mir so fremd war, solchen Gedanken nachzugehen.

    Im Lupanar, herrjeh. Mein Geschmack bevorzugte Frauen mit einer gewissen Erfahrung, aber so viel Erfahrung? Ich ertappte mich selbst bei dem Gedanken, ob mein jugendlicher Gefährte sich ausmalen konnte, wieviel eine Frau wohl in ihrem Leben hatte über sich ergehen lassen müssen, während sie in einem Lupanar arbeitete. Dafür sah diese Frau eigentlich noch fast zu jung aus, erstaunlich in meinen Augen. Aber was wollte man machen, Corvinus hatte sich diese Frau als Sklavin auserkoren und wohl gedacht, er mache mir damit eine Freude.
    "Bist Du hier, weil Du hier sein möchtest?" Es war eine dämliche Frage, aber ich musste sie stellen, immerhin ... lag unausgesprochen in der Luft, warum Corvinus sie zu mir geschickt haben musste. Wahrscheinlich würde ich nicht die Antwort erhalten, die ich wollte, wenn sie gehorsam war, würde sie wohl lügen, auch wenn ihr Herz anderes dachte.

    Erst als sie die Türe so leise hinter sich schloß, bemerkte ich, dass es keinesfalls Nefertiri war, die sich hier in mein cubiculum bewegt hatte - denn meine süße Ägypterin beherrschte die Kunst des lautlosen Türenschließens in Vollendung - und blickte dann überrascht in das Gesicht meiner Nichte, bevor ich realisierte, dass ich zum einen nackt war und sie zum anderen nicht im Mindesten davon abgestoßen schien. Eindeutig Aristides' Tochter, dachte ich und verkniff mir ein leichtes Schmunzeln. Selbst dieser Stoff ihrer Tunika, der zwar erahnen, aber nichts sehen ließ, passte zu ihr, und ich war mir spätestens, nachdem sie meine Tunika ausser Reichweite gebracht hatte, sicher, dass ich es hier mit einem waschechten flavischen Biest zu tun hatte. Was die Wunden anbelangte, sie würde bei einem genaueren Blick auf meine Gestalt sicher so einiges entdecken können - blaue, blaugrüne und fast olivfarbene Flecken an allen möglichen Stellen, die nun wirklich nicht kleidsam waren - der Angriff war schließlich nicht allzu lange her und ich merkte immernoch an so manchen Bewegungen, wie schmerzhaft er gewesen war.


    "Ach, wir hispanischen Flavier halten einiges aus, also mach Dir keine Gedanken deswegen," entgegnete ich und lächelte zu ihr, den Kopf etwas anhebend. "Zumindest hast Du jetzt ausreichend Gelegenheit, mich zu sehen." Ich zwinkerte ihr kurz zu und zog dann die dünne Leinendecke, die auf meinem Bett zerknittert gelegen hatte, über meine Lendengegend, immerhin war sie meine Nichte und auch wenn der Gedanke verlockend war, mir zu überlegen, was wohl unter dem Stoff ihrer Tunika lag, sie war meine Nichte ...
    "Ich hoffe, Du hast Dich hier ein klein wenig eingelebt. Wirst Du Aristides zu seinem neuen Stationierungsort begleiten?"

    Ich nickte dem bedienenden Sklaven kurz zu, bevor ich meinen Becher entgegen nahm, doch mein Blick blieb auf Crassus gerichtet und maß den Prätorianerpräfekten mit einigem Interesse. "Ich würde sie gern wieder zur Villa Flavia mitnehmen. Es gibt noch einige Verpflichtungen, die sie zu erfüllen hat, und ich bin mir sicher, mein Vetter hat daran nicht mehr gedacht - vor seinem Aufbruch." Ich war verdammt neugierig darauf, was sie sich genau geleistet hatte, aber das würde ich durch eine direkte Frage nicht herausbekommen, fürchtete ich. Einen Prätorianer auszuhorchen war ungefähr genauso knifflig wie eine im Boden vergrabene Muschel auszulutschen.

    Sie zog wieder einmal alle Register, überlegte ich und grinste innerlich. Aber wieso sollte der Germane auch gegen die Reize einer Frau resistent sein, der ich auch nicht hatte widerstehen können? Wenigstens dieses Problem hatte ich vorerst gelöst, und gewaschen würde Rutger deutlich mehr hermachen. "Geht schon, bevor die anderen zurückkehren und wir diesen ganzen Schwachsinn erklären müssen," meine Hände machten eine fortfuchtelnde Bewegung in die Richtung der Beiden und ich zeigte durch meine Haltung an, dass das Thema für mich vorerst erledigt und beide Sklaven entlassen waren. Um Finn würde sich Brutus kümmern, und spätestens nach Mitternacht würden wir die Leichen auch losgeworden sein. Rom war der dreckigste und verlogenste Ort, den ich mir vorstellen konnte, und gerade heute kam mir dieser Umstand sehr entgegen.


    "Achja, Nefertiri, Du gehst morgen eine neue Ausgabe der 'De res publica' von Cicero erstehen, die der alten gleichen sollte, soweit es möglich ist," fügte ich noch an, bevor sie aus der Tür entschwinden konnte - morgen würde ich mich dem Tempeldienst zuwenden müssen und entsprechend weder Zeit noch Lust haben, mich auch noch damit zu beschäftigen. Mein Blick schweifte über den Tintenfleck auf dem Boden, auf dem ein Teil an der Stelle ausgespart war, auf dem die Leiche gelegen hatte - nun, manche Tage fingen seltsam an und gingen noch seltsamer weiter, aber wer war ich, dass ich so etwas in Frage stellte? Ich schüttelte nur vage den Kopf und dankte den Göttern, nicht in wirklich interessanten Zeiten geboren worden zu sein.

    "Ah, sehr gut," sagte ich in Gracchus' Richtung, wohl wissend, dass diese Thematik mit der Hochzeit weit weniger angenehm für ihn sein mochte, als die anderen es vielleicht glauben würden. Dafür kannte ich ihn zu gut, und dafür stand er mir auch zu nahe, dass ich sein leises Unbehagen hätte übersehen können, das er so meisterhaft zu überspielen wusste. Wie mochte es da erst in seinem Inneren aussehen? Es gab in diesem Moment kaum etwas, was mir eingefallen wäre, um ihn zu trösten, denn ich empfand seine Braut weit weniger abschreckend, als sie vielleicht für ihn sein mochte, aber meine Vorlieben waren auch in beide Richtungen gelenkt, nicht nur in eine. Ich beschloss, dass ich ihm nach diesem Abendessen meine Hilfe anbieten würde, wie auch immer sie geartet sein würde, denn von allen hier im Raum stand er mir neben Aristides noch am nähesten.


    Mit einem unwilligen Wink in Richtung der auftragenden Sklaven ließ ich mir einen Teller mit eingelegtem Hühnerfleisch reichen und bediente mich davon großzügig, angesichts des hier im Raum herrschenden Appetits war mir eine Vorratshaltung der Dinge, die ich mochte, als die vorteilhaftere Taktik erschienen. Ausserdem wollt ich nicht wieder irgend etwas erwischen, das im Garum fast ertränkt war.
    "Ich habe mir noch keinen patronus gesucht," sagte ich auf die Frage des Felix und wandte den Blick in seine Richtung. "Und es wäre mir eine Freude, diese Thematik mit Dir in aller Ruhe erörtern zu können." Vor allem nicht beim Abendessen, wenn die halbe Familie dabei saß. Es gab bessere Gelegenheiten.

    Ich fühlte mich - kurz gesagt - ausgesprochen göttlich. Es gab doch nichts angenehmeres, als einen freien Tag zu haben und diesen dann richtig zu genießen. Auf meinem Bett ausgestreckt, ohne jedes Kleidungsstück am Leib, ruhte ich einfach eine Weile, denn meine süßeste Freizeitbeschäftigung und -ablenkung Nefertiri hatte mir diesen Nachmittag zu einer nicht nur schweißtreibenden, sondern auch ausgesprochen befriedigenden Angelegenheit gemacht. Wie ich doch diesen salzigen Geschmack ihrer Lust genoss - dabei konnte man wirklich die ganze Welt vergessen und auch, dass wir uns nicht mehr in Athen, sondern in dieser furchtbaren Stadt befanden, die von ihren Einwohnern als Nabel der Welt gesehen wurde. Wenn die Römer doch nur wüssten, dass sie keinesfalls die einzigen waren, die dies von ihrer Heimatstadt dachten, überlegte ich und kratzte mich genüsslich am Unterarm, ein wenig des Schorfes entfernend, das meine geheilte Wunde dort bedeckt hatte.


    Der Überfall war mir immernoch anzusehen, aber wenn man bei den Freuden der körperlichen Vereinigung vorsichtig zu Werke ging, waren auch geprellte Rippen irgendwie erträglich. Als es an der Tür klopfte, ging ich davon aus, dass es meine süße kleine Gespielin war, und rief ihr nur ein "Komm herein!" zu, ohne mich umzuwenden oder zu bedecken, schließlich wusste sie ja, wie ich aussah. Stattdessen überlegte ich genüsslich, wie es wohl wäre, noch einmal das eben gekostete Vergnügen zu genießen, ihren schlanken Leib auf dem meinen thronen zu sehen, hatte immer wieder etwas besonderes für sich ...

    Während ich meinen neu aufgenommenen Tempeldienst versah - der momentan daraus bestand, die Besucher zu kontrollieren, darauf acht zu geben, dass Opfergaben für den Gott nach einem privaten Opfer von der mensa abgeräumt wurden und niemand zuviel Dreck im Tempel hinterließ, einfach auch Ansprechpartner zu sein, falls jemand Beistand brauchte - bemerkte ich einen sich der Statue nähernden Mann, der sich im Tempel mehrfach umblickte, dann natürlich vor dem ehrfurchtgebietenden Standbild des Mars Ultor, des rächenden Mars, stehen blieb, um auch dieses zu betrachten. Ich beobachtete ihn eine Weile aus der Ferne, die traditionelle Kleidung der Priester angelegt, und gestand ihm so manchen Moment für stille Gedanken zu, bevor ich mich langsam in seine Richtung bewegte und ihn freundlich grüßte:


    "Salve und sei willkommen im Haus des Mars Ultor. Kann ich Dir behilflich sein?" Dass ich dabei aussah wie eine leibhaftige Verkörperung des Kriegsdienstes im eher erfolglosen Fall, damit musste ich leben, die Blessuren des Überfalls auf dem Weg zur Feierlichkeit der Artorier waren eben noch nicht wirklich abgeklungen, eine deutliche Schramme zog sich noch immer über meine Stirn, auch das blaue Auge rechts wollte noch nicht ganz abheilen. Dennoch hielt ich mich so aufrecht, wie es meine geprellten Rippen zuließen.

    "Mein Vetter ist Flavius Furianus - und es handelt sich um eine Sklavin namens Nadia," erwiederte ich ungerührt. Diese Frage hatte ja kommen müssen, wenngleich ich ihm absolut nicht glaubte, dass er die Flavier, die sich in Rom befanden, nicht kannte. Schließlich hatten wir neulich erst unangenehmen Besuch seiner Einheit in der Villa gehabt, und ich war mir absolut sicher, dass ein Prätorianerpräfekt besonders gern irgendwelche Dinge im Auge behielt, die sich um das Ungemach einer Patrizierfamilie drehten. Nicht zuletzt, wenn er selbst ein Plebejer war, die meisten Plebejer hatten einen großen Spaß dabei, sich über Patrizier zu amüsieren.
    "Mein Vetter ist derzeitig leider im kaiserlichen Auftrag in Hispania unterwegs, sodass er sich sicherlich nicht selbst um den Verbleib seine Sklavin kümmern kann - in sofern wunderte es mich schon einige Tage, wo sie abgeblieben ist, denn meines Wissens nach sollte ihr die Freiheit geschenkt werden."

    Der Raum bot ein interessantes Bild - so manches Möbelstück der Villa Flavia mochte deutlich älter sein als die guten Stücke hier im Raum, von ebenso hochwertiger Qualität, aber eben schon etwas länger im Familienbesitz. Zumindest schien er keine Kosten und Mühen gescheut zu haben, sich hier hochklassig einzurichten, das typische Zimmer eines vermögenden Aufsteigers. Sicherlich ein Aspekt, den es sich lohnen würde, im Gedächtnis behalten zu werden, dachte ich bei mir und blickte meinen Gesprächspartner ruhig an.


    "Nun, mir kam zu Ohren, dass eine Sklavin meines Vetters derzeitig ein Teil Deines Haushalts sein soll, entspricht dies den Tatsachen?" vergewisserte ich mich vorsichtshalber, nicht dass Nadia im Fieber geschrieben hatte und ich mich hier bis auf die Knochen blamierte. Es war schon irr genug, dass ich überhaupt hergekommen war, um mich um diese Sache zu kümmern, Furianus würde es mir nicht danken und Nadia ... nun, Nadia würde wohl vor allem hoffen, schnell frei zu kommen, um zu ihrem unbekannten Geliebten zu gelangen.

    Ich verfolgte das abergläubische Gewäsch meines neuen Eigentums mit der Miene konzentrierter Aufmerksamkeit - nicht umsonst übte das römische Reich eine Politik der Duldung lokaler Kulte aus, wenn sich die Bürger der Provinzen auch dem Diktat des römischen Glaubens unterwarfen, und es war sehr lange her, dass ich jemanden auf diese Art und Weise hatte seinen Glauben ausüben sehen. Es wirkte so primitiv und archaisch, als entstamme er wirklich einer ganz anderen Welt, die noch voller seltsamer Geister und boshaften Wesenheiten steckte. Sicherlich, die gab es auch für uns Römer, aber wir hatten es sicherlich nicht nötig, obskure Zeichen in Leichen zu ritzen. Ob er sich wohl überlegt hatte, mit dem Dolch in der Hand zu fliehen? An seiner Stelle hätte ich es wohl, aber angesichts der Tatsache, dass er sich hier in einem gut bewachten Haus befand, war das reiner Selbstmord. Aber vielleicht wollte er lieber sterben als mein Sklave zu sein? Es würde interessant bleiben, dessen war ich mir sicher.


    Brutus lauschte den Vorschlägen meiner Neuerwerbung mit verwirrter Miene und ich war mir sicher, dass er es genau so tun würde, wie ich es haben wollte - beide Leichen irgendwo in der Subura verschwinden zu lassen, und damit hatte es sich dann. Verdorrte Äcker, als ob es die hier geben würde. Dass Nefertiri eintrat und die Aufmerksamkeit durch ihre bloße Anwesenheit auf sich zog, wunderte mich nicht - schließlich war sie mein Schmuckstück, geübt in jenen Künsten, die das Auge fesseln sollten und konnten, und eine ehemalige Tänzerin musste nun einmal wissen, wie man einen eindrucksvollen Auftritt hinlegte, damit sie am Abend mit vollen Taschen nach Hause zurückkehren würde.


    "Nefertiri, Du wirst Dich um das Wohlergehen von Rutger hier kümmern. Er ist mein neuer Sklave und wurde schlecht behandelt. Also wirst Du ihn waschen, seine Wunden verbinden, dafür sorgen, dass er isst und trinkt und einen Schlafplatz erhält, auf dem er sich ausruhen kann. Du wirst ihm den Haushalt hier zeigen, ihn dem Verwalter vorstellen und dafür sorgen, dass er sich hier zurechtfindet." Die dabei unausgesprochenen Worte mochte sie in meinen Augen lesen, dafür kannten wir uns inzwischen gut genug. Ich richtete den Blick wieder auf Rutger und versuchte zu erkennen, wie er auf diese Wendung der Geschichte reagierte.

    Das kühle Wasser ließ augenblicklich ein wenig Kraft in meinen matten Körper zurückkehren. Mir war zwar noch immer ausgesprochen übel und allein der Gedanke an Essen jagte mir einen Schweißausbruch über die Haut, aber das Wasser erfrischte mich sehr. Sciurus ging vorsichtig zu Werke, und auch für diese Vorsicht war ich ihm dankbar, er hielt den Becher so, dass ich nicht zuviel davon in den Mund bekam und mich selbst damit besudeln musste. Als der Becher halb leer war, deutete ich mit einem Nicken an, dass ich genug hatte, und ließ mich mit seiner Hilfe langsam wieder zurücksinken. Endlich hatte dieser dumpfe, widerliche Geschmack in meinem Mund zumindest zu einem großen Teil das Weite gesucht, und ich fühlte mich langsam wieder wie ein Mitglied der menschlichen Gesellschaft, nicht mehr wie ein Bündel Fleisch, das derzeit nur von Schmerzen zusammengehalten wurde.


    "Danke," brachte ich über die Lippen und schloß die Augen wieder zur Hälfte, ebenso dankbar dafür, dass das Licht im Raum nicht zu hell war und ich mich entsprechend ausruhen konnte, ohne geblendet zu werden. Die Fackeln auf dem Weg zu diesem Zimmer hatten mir schon unangenehmes Stechen im Kopf verursacht. "Sciurus," ergriff ich nach einer Weile des stillen Ausruhens das Wort. "Du weißt, dass Dein Herr Dich mir schicken wollte ...?" Es war ein Thema, das mir merkwürdigerweise in diesem Moment vor Augen stand, auch wenn mein Körper sicherlich nicht ansatzweise auf irgendwelche in diese Richtung gearteten Gelüste hätte reagieren können. Aber es war die erste Gelegenheit seit langem, mit ihm zu sprechen, und diese Frage hatte mich schon lange gereizt.

    Nach der Begrüßung setzte ich mich ihm gegenüber, zog die vermaledeite Toga zurecht, die garantiert wieder an den falschen Stellen Falten werfen würde, sobald ich aufstand, die Götter mochten jenen Idioten strafen, der die Togen erfunden hatte! - und lehnte mich in meinem Stuhl ein wenig zurück.
    "Ein gemischter Wein wäre freundlich," erwiederte ich und ließ meinen Blick erst über seinen Schreibtisch, dann die Inneneinrichtung dieses Büros schweifen - die Einrichtung verriet meistens sehr viel über die Person, die sich im Raum befand, und noch mehr darüber, ob man repräsentieren oder wirklich arbeiten wollte. Bei den meisten Arbeitsräumen gab es kein entweder oder.

    Auch ich hatte mir eins der Eier genommen und war kurz davor, es wieder auszuspeien - welcher Idiot von einem Sklaven hatte die Eier denn in Garum ersäuft? Mit Todes- und Würzverachtung würgte ich das gute Stück irgendwie herunter und ließ mir gleich doppelt Wein nachschenken, damit mir das Ei nicht im Schlund stecken bleiben würde. So ließ ich mir eine Schale mit Oliven reichen, zumindest mit denen, die mein Vetter übrig gelassen hatte, und verspeiste einige dieser mitsamt einem Stück Fladenbrot, während ich den Gesprächen lauschte, die um mich herum stattfanden. Das also war meine Familie, zumindest die Zweige der Familie, die sich nicht unmittelbar blamiert hatten wie mein eigener. Mein Blick glitt über die einzelnen Gesichter, ließ sich von den Stimmungen einfangen, die sich hier konzentrierten.


    Aristides, der sichtlich erfreut über den Besuch seiner Tochter schien, die Ähnlichkeit zwischen den beiden wurde immer unverkennbarer. Eine ähnliche Kinnlinie, dieselbe Stellung der Augen, mein Vetter hatte das Glück gehabt, Vater zu werden und gleichzeitig ein Kind damit geschenkt zu erhalten, das wohlgeraten schien. Ich gönnte ihm sein Glück, ausserdem mochte ich die Kleine ja selbst sehr, ihre frische Art brachte etwas Leben in die doch eher unterkühlten Flavier. Gracchus, der sich gerade mit Felix unterhielt, fand danach meine Aufmerksamkeit, und ich betrachtete sein Profil zuerst. Er hatte mir nicht gesagt, dass er kandidieren wollte, und fast war ich deswegen ein wenig verstimmt, hatten wir uns doch in der Vergangenheit alles sagen können. Felix hingegen, der Senator, der mir nicht mehr wirklich bekannte Vetter, schien sich damit zufrieden zu geben, sein Leben zu leben, wie er es wollte - eigentlich beneidenswert. Ob mir auch einmal dieses Glück beschieden sein würde?


    Aber ich sah noch so manchen Tag im Tempel vor mir. Und die beiden Flavier, die ich von allen am wenigsten kannte - Milo, den wiedergefundenen Sohn des Felix, auch hier gab es unverkennbare Familienähnlichkeiten, und Lucullus, den Vetter, den ich als Kind das letzte Mal gesehen hatte. Im Grunde hätten wir Flavier glücklich sein müssen, so viele erwachsene Männer waren gut für die Sicherung der Bedeutsamkeit unserer gens. "Wir sollten uns langsam Gedanken um eine angemessene Hochzeitsfeier für Gracchus machen," warf ich in den Raum. "Dass wir nun so zahlreich in Rom wohnen, sollten wir dazu nutzen, die Bedeutung der Familie ein wenig zu unterstreichen."

    Ich nickte dem ianitor dankend zu, bevor ich den Raum betrat, in dem mich der Hausherr empfangen würde. Meine Bewegungen waren nicht von allzu großer Eile geprägt, gerade genug, um nicht als Müßiggänger zu erscheinen, aber auch nicht zu hastig, um den Eindruck von Nervosität zu vermeiden. So trat ich ein, blickte mich flüchtig im Raum um und richtete dann meinen Blick auf den praefectus praetorio, ihn einer eingehenden Musterung unterziehend.


    "Salve, praefectus! Ich danke Dir, dass Du für mein Anliegen Zeit gefunden hast," sagte ich, die klassische Gesprächseröffnungsvariante wählend, die dem Hausherrn angemessen Respekt zollen sollte. Ruhig blickte ich ihn an und wartete ab, ob er es eilig haben würde oder nicht, den Eindruck der Geschäftigkeit vermittelte mir seine Haltung durchaus.

    Ich folgte dem ianitor in das Innere des Hauses, nicht ohne mich dezent umzublicken - wann besuchte man schon einen Prätorianerpräfekten in seiner wohnlichen Umgebung? Nefertiri würde mich sicher löchern, sobald ich wieder zurück in die Villa Flavia gekommen war.