Beiträge von Caius Flavius Aquilius

    Mein Blick glitt fast gelangweilt über die Reihen der angebotenen Sklaven, als mich ein Ruf von rechts aus meinen Gedanken riss. "Los, greif mich an!" Auf dem Sklavenmarkt vernahm man solches selten genug, und ich blickte fast automatisch zu dem Rufer mit der tadellos soldatischen Haltung. Fast belustigt verfolgte ich, wie einfach der Fremde mit seinem sklavischen Angreifer fertig wurde - ein armer Irrer, der wohl nicht damit gerechnet hatte, auf einen Soldaten zu treffen, denn dass dieser Mann einer sein musste, verriet nicht nur sein Kampfstil, sondern auch sein Auftreten. Wahrscheinlich Offizier, überlegte ich, und dachte darüber nach, ob ich ihn irgendwo her kannte, musste allerdings verneinen. Aber es hätte mich auch schwer gewundert, immerhin war ich noch nicht allzu lange wieder zurück in Rom und die wenigen Männer, mit denen ich bisher längere Gespräche geführt hatte, waren Verwandte oder Bekannte gewesen.


    Dann trat er beiseite und gab den Blick auf eine junge Frau frei, deren stolze Haltung der seinen nicht nachstand - allerdings wirkte sie ein bisschen genervt, vielleicht gar verärgert. Vater und Tochter vielleicht, die einen Sklaven aussuchten? Oder war sie seine Gemahlin? Alt genug mochte sie sein, doch trug sie nicht die Kleidung einer verheirateten Frau. Der Schwung ihrer Lippe hatte etwas Herausforderndes, und so trat ich näher, zum einen die Sklaven betrachtend, zum anderen sie und ihre Begleitung. Wer sie wohl sein mochte? Vielleicht würde ich es herausfinden, zumindest hatte ich heute vielleicht das Glück, nicht sofort als Patrizier erkannt zu werden, hatte ich doch wegen der Hitze auf die Toga verzichtet und trug nur eine einfache, weisse Tunika.

    Warum hatte ich nur Achilleus und Patroklos erwähnt? Ich hätte in diesem Moment gleichzeitig meine Stirn an die Wand schlagen können, um mich für meine Blödheit zu bestrafen, aber ein anderer Teil meines Selbst lechzte nach seiner Nähe, viel mehr, als es sein dürfte. Ich kaute energisch auf meinem Muschelfleisch herum, als müsste ich es zermalmen, und es lenkte mich tatsächlich für einige Momente lang von der allzu verlockenden Vorstellung seines nackten Körpers unter der Tunika ab.
    "Anscheinend eine junge Frau mit vielen Talenten," erwiederte ich und dachte sehr bewusst an Nefertiris üppigen Körper, den stärksten Kontrast zur schlanken Jugend meines Gesprächspartners. "Ich beneide Dich fast darum, sie noch erproben zu können. Ab und an ist der Reiz des Neuen kein unwillkommener Gast, wenn man sich mit einer Frau vergnügt." Dass mich sein Körper nicht minder zu erkunden reizte, verschwieg ich besser, denn es hätte den Moment nur noch schweißtreibender gemacht.


    Anspannung. Ja, das beschrieb den Moment sehr genau. "Ich kann mich im Augenblick nicht entscheiden, was wohl besser wäre - ein Vertagen oder aber eine Verlegung," erwiederte ich und atmete mühsam ein, war mir doch sein Blick tief in das zuckende Fleisch unter meiner Tunika gefahren. "Wahrscheinlich wäre ein Vertagen ... für uns beide ... gesünder." Du flüchtest wie ein Feigling, sagte ich mir gleichzeitig innerlich, aber die andere Alternative dieser Flucht bedeutete, alle Konventionen umzustoßen, ihn an einem ruhigen Ort in meine Arme zu ziehen und ihn mir zu meinem Geliebten zu machen. Meine Zunge glitt befeuchtend über meine Lippen, und ich fühlte mich, als sei mein Hals mit einem Mal einer Wüste gleich ausgetrocknet. Warum nur fiel es mir so schwer, mich in seiner Nähe auch nur ansatzweise zu beherrschen? Hatte ich einfach zu lange bei keinem Mann gelegen, nur bei Frauen? Oder übte dieser junge Aurelier einen besonderen Zauber auf meine Lenden aus, wie es die Satyrn mit ihren Flöten imstande waren zu tun?

    So süss, so unschuldig, und dummerweise in den falschen Mann verliebt. Ich seufzte innerlich, während ich in ihr wohlproportioniertes, zartes Gesicht blickte, meine Augen im Blick der ihren geradezu zu versinken schienen. Langsam hob ich meine Hand und strich ihr jene vorwitzige Strähne aus der Stirn, die dorthin so gern zurückkehrte, als wäre die Zeit im Augenblick nicht dabei zu verstreichen, sondern unendlich vorhanden. Als könnte ich sie mit dieser Geste bei mir halten, barg ich ihre Wange für einen Moment lang in meiner Handfläche und seufzte etwas. Es wäre so leicht, sie noch einmal zu küssen, aber ich wusste, ich würde es mehr genießen, wenn sie es erwiederte, wenn ich ihren biegsamen Körper aus ihrem eigenen Willen an dem meien fühlen konnte. Es war leicht, das Spiel mit Nefertiri auf einer ganz anderen Ebene zu genießen, aber dies hier, dies funktionierte nach einem Regelwerk, das wir uns erst erarbeiteten.


    "Das Leben wird Dir noch viele Wege zur gleichen Zeit anbieten, meine süße Sylphide," raunte ich ihr leise zu und lächelte sie offen an. "Vielleicht führt es Dich eines Tages in mein cubiculum, wenn dies Dein Wille ist, diese Tür wird Dir stets offen stehen, ohne dass Dich die Worte anderer dafür verurteilen sollen, Nadia. Ich habe Zeit, vielleicht mehr Zeit, als ich sollte, aber ich glaube, das Warten könnte sich für Dich und mich lohnen ..." Meine Lippen wölbten sich ein klein wenig bei den letzten Worten, und wieder neigte ich mich vor, meinen Blick von ihr abwendend, um einen kleinen, neckenden Kuss auf ihr Ohrläppchen zu hauchen.

    "Nun, das war zumindest der letzte Stand meiner Informationen, und ich hatte in den nächsten Tagen vor, ihr zu schreiben - wenn Du nun aber nach Hispania reist, wird es leichter sein, sich direkt zu erkundigen und dann herauszufinden, wie ernst es ihr wirklich mit diesem vollkommen idiotischen Einfall ist," entgegnete ich und schüttelte sachte den Kopf. Noch immer konnte ich Calpurnias Handeln nicht verstehen, und wie es mir schien, würde ich es wohl nie nachvollziehen können, ohne sie im Geiste am liebsten über ein Knie zu legen und sie angemessen für diese Dummheit zu bestrafen. Es gab doch gerade genug Patrizier, die sich alle Finger nach einer Flavierin geleckt hätten, warum musste es ausgerechnet ein Plebejer sein, und dazu noch ein Didier? Wenn Frauen einmal von Liebe gelenkt wurden, war dies eine Katastrophe, welche dem Ausbruch des Vesuvs bei Pompeji und Herculaneum gleich kam.

    "Jeden Abend, wenn es Deine Pflichten zulassen," erwiederte ich gelassen und betrachtete Sica sinnierend. Ich hatte mich offenbart, und er hatte nicht anders reagiert als zuvor, es erstaunte mich nicht, dass er sich keinerlei Blöße gab. Wieder ein Zeichen dessen, dass er wusste, wie er seine Macht über die Sklaven in diesem Haushalt erhalten konnte - und zudem die Macht über das Wissen. Ich hatte ihm darob sehr bewusst einen Spielraum offen gelassen, denn wenn es Deine Pflichten zulassen war ein ausgesprochen dehnbarer Begriff. Würde er wirklich daran interessiert sein, mir Wissen weiterzugeben, würde er diesen Auftrag ernst nehmen, wenn nicht, würde ich sehr schnell wissen, woran ich war. Und der Wille zu dienen, nicht nur eine Pflicht zu erfüllen, würde nicht an einem Tag wachsen.
    "Ich werde dieses Wissen nicht unbelohnt lassen," fügte ich in gelassenem Ton an. "Gibt es etwas, dessen Du bedarfst - oder Dir wünscht?"

    Ich blickte von ihm zu ihr und wieder zurück. Was war hier gerade geschehen? Ein vages Echo einer Ahnung hatte auch meine Sinne berührt, aber noch konnte ich es nicht einordnen, weder fassen noch festhalten, aber vielleicht war das auch nicht nötig. Sie schienen sich auf einen Termin für ihre Vermählung geeinigt zu haben, und eigentlich hätte dies ein Moment der Freude sein müssen, für mich war es allerdings eher einer der gelinden Verwirrung. Ich tauchte einen Finger in meinen Becher und sprenkelte einiges des Weins auf den Boden - für Mars, dachte ich dabei, sicher war sicher - bevor ich einen weiteren Schluck daraus nahm und dieses so passend wirkende Paar beobachtete.


    Der Gedanke daran, mir demnächst auch eine Frau suchen zu müssen, drängte sich in diesem Moment geradezu auf, und ich musste zu meinem Leidwesen feststellen, dass ich nicht daran denken wollte. Sie müsste schon einiges von Claudia Antonia haben, von ihrer aufrechten Haltung, von ihrer Art her - aber eine zweite Claudierin zu finden dürfte sehr schwer werden, da machte ich mir keine Illusionen.
    "Seid ihr euch denn schon einig darüber, wen ihr alles zu dieser Feier einladet - nachdem das Datum nun festzustehen scheint?" machte ich das Beste aus diesem Augenblick und versuchte damit auch meine Verwirrung zu überspielen.

    Ich stellte das fast leere Fläschchen mit deutlich mehr Nachdruck beiseite, als nötig gewesen wäre, und doch hatte diese Geste eine befreiende Wirkung für mich. Langsam streckte ich mich und nickte meinem Vetter zu, ohne ihn indes allzu lange anzusehen. Den Anblick seines eingeölten Körpers hatte ich viel zu lange vermissen müssen, um jetzt riskieren zu wollen, darauf zu deutlich zu reagieren.


    "Ja, ich bin bereit. Ich hoffe, Du kannst Dich an den Gedanken gewöhnen, heute eine Menge Staub schlucken zu müssen," erwiederte ich mit einem nicht ganz ehrlichen Grinsen, denn eigentlich widerstrebte es mir, ihn zu Boden zu schicken. Aber dieses wilde Funkeln in seinen Augen, wenn wir miteinander rangen, das wollte ich umso mehr wiedersehen. Wir begaben uns in den Innenhof der Therme, in welchem schon andere Männer dabei waren, ihre Kraft miteinander zu messen - es gab einige auf dem Boden mit Markierungen umgrenzte Bereiche, in denen Paare gegeneinander antreten konnten, und eines jener auserwählten wir uns für unseren Kampf.


    Schließlich standen wir uns gegenüber, hörten das Schnaufen, Keuchen und Lachen der anderen, und mit einem Mal fühlte ich mich, als sei die Zeit in Achaia zurückgekehrt. Für einen Moment roch ich Athens Straßen, und hörte sein unterdrücktes Atmen, wenn es mir gelungen war, ihn in den Schwitzkasten zu nehmen. "Fangen wir es an, knurrte ich, den Gedanken an seine sich nach außen wölbenden Lippen verdrängend, wenn er stöhnte.

    "Salve, Aurelianus Galerianus," erwiederte ich den Gruß des Unbekannten und rückte auf meiner Kline ein bisschen beiseite, um ihm einen Sitzplatz zu schaffen. Den Göttern sei Dank ein weiterer Mann in der vollen Blüte seines Lebens, noch mehr Greise im Collegium hätte ich heute auch nicht ertragen. Es gab also noch Hoffnung, wie mir schien. "Der Sklave mit den Getränken kommt sicher gleich wieder vorbei, möchtest Du Dich solange zu uns setzen - vorausgesetzt, Du hast nichts dagegen, Claudius Vesuvianus."

    "Eine Keltin - ja, diese Keltinnen haben ihre besonderen Reize. Meistens helle, weiche Haut," sann ich über eine ganz bestimmte Keltin nach. Nadia gefiel mir, und ich wusste, dass sie irgendwann mein sein würde, vielleicht nur für eine Nacht, vielleicht für mehr. Wieso auch musste dieses dumme Ding sich so sehr auf ihre Verliebtheit versteifen? Liebe war in den heutigen Zeiten mehr ein Ballast denn eine Hilfe für das tägliche Wohl eines Menschen.
    "Sie hat es mir vor Jahren einmal erklärt, was ihr Name genau bedeutet, aber das ist alles so ägyptischer Firlefanz. Mit Schönheit hatte es etwas zu tun und sie war sehr erpicht darauf, es so genau zu erklären wie möglich - nur ich gestehe, ich habe es inzwischen vergessen. Es muss wohl mit auch daran liegen, dass sie während der Erklärung unter mir lag," gab ich trocken zurück, biß ein weiteres Stück Meeresfrucht ab und kaute es gemütlich. Das war eine rauschende Nacht gewesen, das in meine Lenden zurückkehrende Prickeln bewies es deutlich.


    "Zuerst wollte ich sie nicht als Leibsklavin," überlegte ich und schmunzelte dann. "Sie sollte mich massieren und dergleichen, aber es wurde bald deutlich, dass ihre Talente sich damit nicht erschöpften. Was kann denn Deine Camryn? Einige Keltenfrauen sollen ja auch Waffen führen und furchterregend auf dem Schlachtfeld kämpfen," neckte ich ihn, denn eine solche Frau konnte ich mir kaum in seinen Armen vorstellen. Höchstwahrscheinlich war sie genau das für ihn, was Nefertiri für mich war: Eine höchst probate Ablenkung. Für einen kurzen Moment verirrte sich mein Blick wieder zu seinen so süß schmeckenden Lippen und blieb dort liegen. Nun glänzten sie vom Fett des Fleisches und ich musste meine Gedanken in eine andere Richtung zwingen, um nicht darüber nachzudenken, wie sie wohl nun schmecken würden, wenn ich sie kostete.


    "Die Ilias," sagte ich schnell, um von diesem Thema wegzukommen, das noch immer in meinen Gedanken und Lenden pulsierte. "Wirklich ein herrliches Werk, wenn Du mich fragst. Und wie auf die einzelnen Personen eingegangen wird - manches Mal kann man das Handeln der Helden so gut verstehen, als würde man selbst handeln - man denke nur an Achilleus und Patroklos..." Verdammt. Hatte ich das gerade wirklich gesagt?

    Die Hand auf der Schulter konnte ich noch irgendwie ertragen, eine ganz normale Geste, kein Mensch hätte sich jemals dabei etwas gedacht, wenn ein Mann dem anderen eine Hand auf die Schulter gelegt hätte. Aber die Fingerspitzen, die zufällig meinen Hals entlang glitten, ließen einen heftigen Schlag durch meinen Körper gehen und ich spürte die Reaktion, die ich nicht verhindern konnte: Eine heftige Gänsehaut zog sich trotz des Öls meinen Rücken entlang herunter und ich musste tief durchatmen, um ihn nicht sofort heftig an mich zu ziehen.


    "In Rom," sagte ich und hoffte, dass meine Stimme nicht zu belegt klang bei der Antwort. "In Rom gibt es mehr Möglichkeiten, das ist wahr, und mehr Wege als in der Provinz. Zumindest hat Rom derzeit einen großen Vorteil Athen gegenüber, den man nicht unterschätzen sollte." Ich machte eine Kunstpause, damit das folgende nicht zu schnulzig klingen würde, denn anders wusste ich ihm nicht für seine tröstliche Gegenwart zu danken. "Du lebst hier und unsere Freundschaft lebt hier weiter." Irgendwann würde ich etwas sehr Dummes begehen, das war mir klar, und ich fürchtete diesen Moment ebenso, wie ich ihn herbeisehnte.


    Seine Worte ließen mich lachen. "Das ist mir auch schon aufgefallen und ich denke, wir sollten uns darum bemühen, dieser Entwicklung entgegen zu wirken, um nicht selbst irgendwann dazustehen wie die Wilden aus Germania. Allein dieser Strabo, ich dachte, mich tritt ein Pferd," sagte ich und schüttelte den Kopf, um dann das Ölfläschchen von ihm entgegen zu nehmen und mich selbst dem einölen zu widmen. Tunlichst vermied ich dabei den Blick zu ihm und versuchte, mich auf mich selbst zu konzentrieren, wusste ich doch, dass ich ihn ansonsten nur hungrig angestarrt hätte. So dauerte mein Einölen auch ein gutes Stückchen länger als sonst.

    "Dann werde ich wohl irgendwie damit zurecht kommen müssen," erwiederte ich auf ihre erste Frage und lächelte. "Denkst Du, ich würde mir mit Gewalt nehmen wollen, wonach mir verlangt? Nur ein sehr schwacher Mann würde dies tun und ich habe nicht vor, meine Würde allein schon mit dem Gedanken daran zu verletzen. Und Du hast Besseres verdient als das ..." Freiheit gewann man nicht durch Zwang, auch nicht die Freiheit, zu genießen, was sich einem bot, vielleicht eine der wichtigeren Freiheiten, die sich ein Mensch erarbeiten konnte. So erwiederte ich ihren Blick, wie auch ihr Lächeln, und versuchte das Bild ihres sich unter meinen Händen windenden Leibes irgendwie zu verdrängen. Ich wusste, ich würde es genießen, sie vor Lust zum schreien zu bringen, ihr Stöhnen zu beobachten, wie es über die feuchten Lippen glitt, diese Wangen sich röten zu sehen vor Begierde ... seufzend blinzelte ich diese Gedanken fort, so willkommen sie auch waren. Sie schlichen sich zu geschickt immer wieder in mein Bewusstsein und wollten sich nicht vertreiben lassen.


    "Natürlich kann es das, genau wie die Liebe einen restlos zerstören kann, wenn man nicht darauf achtet, meine süße Sylphide. Alles kann ein Risiko sein, wenn man es zu unmäßig genießt, ein Gefühl genau wie der Wein oder Essen. Aber wenn man vorsichtig damit umgeht, was soll falsch daran sein, ein Geschenk zu teilen, wenn es sich einem bietet? Vita brevis est," fügte ich an und schmunzelte. Das Leben ist kurz. Athen hatte mich gelehrt, so zu leben, zuerst war es nur die Flucht vor dem Willen meines Vaters, dann mein eigener Willen geworden, und ich hatte nicht bereut, was ich tat. Würde mich heute der Blitz treffen und ich in den Orcus herabfahren müssen, so konnte ich auf einige sehr gute und schöne Jahre zurückblicken. Aber vielleicht kamen auch noch einige dieser Art. Ich blickte in ihre Augen und konnte mir das in diesem Augenblick sehr gut vorstellen.

    Ich nickte zu seiner Bemerkung über Sica, dann hoben sich meine Brauen etwas überrascht an. Der Kaiser selbst zollte der Karriere meines Vetters also Aufmerksamkeit, in sofern war es sicher nicht falsch, dass ihm finanziell vorerst die Freiheit blieb, dass er noch keine direkte Konkurrenz aus den Reihen der Familie hatte.
    "Ich gratuliere Dir, werter Vetter - das klingt nach einer ziemlichen Herausforderung, sind die Kastelle in Hispania doch schon etwas älteren Datums, zumindest einige, wenn ich das noch richtig in Erinnerung habe. Auch in den größeren Städten selbst dürfte ein Architectus Provincialis mit sehr viel Freude begrüßt werden."


    Mit einer gewissen Anerkennung nickte ich ihm zu und überlegte, ob er wohl auch das Haus meiner Geburt besuchen würde. Allzu viel dürfte dort nicht mehr los sein, aber man wusste es ja nie. "Solltest Du in Tarraco unterkommen müssen, steht Dir die Benutzung der Villa Flavia Catus selbstverständlich frei. Eine ordnende Hand kann dem dortigen Haushalt nicht schaden, denke ich, und ich war lange nicht dort. Du solltest auch meine Nichte Calpurnia dort antreffen können. Vielleicht kannst Du ihr ins Gewissen reden, auch wenn ich es für ausgesprochen unwahrscheinlich halte, dass es irgend etwas ändern wird - sie ist ziemlich stur und hat sich bedauerlicherweise in den Kopf gesetzt, einen Plebejer in manu zu heiraten." Warum auch immer. Wahrscheinlich war er beim Beischlaf eine Leuchte oder er hatte ihr den Dickkopf so sehr verdreht, dass sie nicht mehr selbst denken konnte oder wollte, ich wusste es nicht. Dass mich dieses Thema ärgerte, war jedoch durchaus zu bemerken.

    Sie tat es. Sie tat es tatsächlich. Wo eine Römerin umständlich um die Sache herumgeredet hätte, um abertausend Ausflüchte vor einer klaren Antwort zu finden, sie sprach es einfach aus, als sei es das Leichteste auf der Welt. Vielleicht war dies der Grund, der ihren Zauber ausmachte, ich konnte es nicht sagen, aber in diesem Moment hätte ich sie am liebsten in meine Arme gerissen und so schnell nicht mehr losgelassen.
    "Ach Nadia," sagte ich lächelnd. Der Zwiespalt einer jungen Frau, die noch glaubte, dass die Liebe alles war, was einem Menschen im Leben Gutes geschehen konnte, wie hätte es auch anders sein können? "Zwischen Lieben und Begehren kann oft ein sehr weiter Unterschied bestehen, und ich bin mir sicher, heute hast Du ihn erlebt. Du liebst einen anderen und ich verzehre mich nicht in meinem Herzen voller Sehnsucht nach Dir. Dass mein Körper nach dem Deinen verlangt, ist etwas anderes als das Verlangen des Herzens."


    Ich ließ eine kleine Pause einkehren und betrachtete sie abermals, diese zartrosa Wangen, diese weichen Lippen, um dann selbst zu lächeln. "Was hier zwischen uns passiert ist - ein süsser, einfacher Kuss, meine kleine Sylphide - wird auch dort bleiben. Bewahr es für Dich, und ich werde das auch tun, denn es hat mit Deiner Liebe nichts zu schaffen. Sieh es als ein Geschenk des Augenblicks ... denn nichts anderes war es."
    Ich griff meinen Becher wieder und nahm den letzten Schluck Wasser daraus, denn jetzt brauchte ich ihn nötig, fühlte ich mich langsam doch wie ein Großvater, der seine weisen Lehren an eine verwirrte Enkelin weitergab. Seltsam, dabei mochten uns nur einige Jahre trennen.

    Ihr Blick verriet sie, und innerlich jubilierte ich stumm. So viel Ablehnung, wie ich vermutet hatte erleben zu müssen, brachte sie mir anscheinend nicht entgegen, und in ihren Augen standen die widerstreitenden Gefühle nur zu deutlich. Ich versuchte, gelassen zu wirken und begegnete ihrem Blick mit dem meinen und natürlich einem Lächeln. Noch immer rührte ich mich nicht, denn es war klüger, auch wenn es schwerfiel. Gelockt hatte ich sie genug an diesem Tag, und mehr gewonnen, als ich zu gewinnen gedacht hatte, man durfte es nicht überstürzen. Ihre Frage ließ mich breiter lächeln, denn eine gebildete Römerin hätte sie wohl nie gestellt. Eine der Frauen meiner Schicht war zumeist zu sehr an die Bewunderung gewöhnt, die man ihr entgegen zu bringen hatte, als dass sie sich darüber groß Gedanken gemacht hätte, viel wichtiger für sie war es, viele Bewunderer zu haben. Nicht so aber dieses britannische, süsse Sklavenmädchen an der Schwelle zur reifenden Frau, welche die Reize von Jugend und Unschuld noch vorzuweisen hatte, ohne sie spielen zu müssen.


    "Weil Du mir gefällst, meine süsse Sylphide," sagte ich sanft und begegnete ihrem Blick noch immer mit dem meinen. Wenn sie sich nur hätte sehen können, dieser Anblick von Unsicherheit, Zerbrechlichkeit, er war unendlich reizvoll. Ein heißer Stich fuhr mir darob in die Lenden und ich bedauerte es nicht, mein Lendentuch an diesem Tag ziemlich eng gebunden zu haben - wohl in weiser Voraussicht dessen, was geschehen konnte. Langsam kannte ich meine Schwächen gut genug, um mit ihnen umzugehen. "Ich wollte wissen, wie Deine Lippen schmecken, Nadia, wie es wäre, Dich zu küssen und mir für einen Moment lang einzubilden, es könnte Dir gefallen ..." Ich dehnte die Worte absichtlich etwas, um ihnen den Anstrich der Unsicherheit zu verleihen, darüber sollte sie jetzt ruhig nachdenken können und dürfen. Ein wenig durfte sie ruhig rätseln, was sich hinter meinem Kuss verbarg.

    Als sie sich löste, blickte ich ihr nach, betrachtete ihren Rücken, ihre unsichere, fast verkrampfte Haltung, und lehnte mich zurück, die Augen halb geschlossen dabei. War es das, was ich gewollt hatte? Einen Kuss, aber auch Ablehnung? Langsam ließ ich meine Zunge über meine Lippen gleiten, den letzten Tropfen ihres Geschmacks aufnehmend, und schwieg. Sie sollte es sein, die das erste Wort sprach, und ich hatte nicht vor, sie mit Gewalt in meine Arme zu zwingen. Wenn sie zu mir kommen würde, sollte sie es selbst wollen, unabhängig von irgendeiner Liebe, von Gefühlsduseleien oder romantischen Avancen, sie sollte es wollen, weil ihr Körper danach verlangte, abermals geküsst zu werden, um sich dann mit dem meinen zu vereinen. Das Prickeln, das bei diesem Kuss durch meinen Leib gelaufen war, bewegte mich noch immer, und ich genoss es, passte es doch perfekt zu diesem schwülen Tag, der einem den Wunsch entstehen ließ, irgendwo im Kühlen zu verbleiben und ansonsten nackt zu sein, diese Nacktheit zu teilen ...


    So betrachtete ich ihre Schultern, die feine Linie ihrer Gestalt, welche durch ihre Tunika noch gerade zu erkennen war, das wohlproportionierte Gesäß, die schlanken Beine und dieses helle, goldgespinstgleiche Haar mit Genuss und Muße. Wenigstens heute schien ich von dem allzu drängenden Bedürfnis, mich meiner Lust erleichtern zu müssen, verschont zu bleiben, wahrscheinlich war die Hitze daran schuld, die mich träge machte. Aber es hatte auch etwas Gutes für sich, so konnte ich genießen, anstatt wie ein Wilder über sie herzufallen und diese süße Ungewissheit zu zerstören, die mir geblieben war. Wie würde sie sich wohl entscheiden, was würde sie tun?

    Geschmeidig glitten meine Hände über den Nacken meines Vetters entlang und verteilten das Öl sorgfältig über die Schultern, dann die Schulterblätter und schließlich, dem Rückgrat folgend, auf den unteren Partien seines Rückens. Ich ließ mir Zeit damit, denn dieses erste Berühren nach so langen Wochen, Monaten, wollte ich genießen können, so gut es ging, auch wenn ich ebenso genau wusste, dass ich damit meine Schwäche eingestand. Die Schwäche, ihn zu begehren, wie ich ihn in Athen begehrt hatte, und nicht hatte aufhören können, an ihn zu denken und ihn zu vermissen.


    "Das ist sehr großzügig von Dir, Gracchus, und ich danke Dir sehr für Dein Vertrauen," erwiederte ich schließlich, obwohl es mir schwer fiel, mir eine genussreiche Nacht mit seinem Sklaven vorzustellen, wenn doch er es war, den ich für mich wollte. Langsam fuhr ich mit den abgespreizten Daumen sein Rückgrat entlang, hinterließ fühlbar ein Zeichen meiner Kraft auf seiner Haut, bevor schließlich sein ganzer Rücken ölig schimmerte. Mir wurde der Mund trocken, als ich die Muskeln meines Vetters unter der Haut spielen sah, und so trat ich schnell zurück, um nicht in Versuchung zu geraten, ihn noch einmal zu berühren. "Athen fehlt mir," sagte ich leise und blickte zu Boden, tief dabei einatmend. "Es schien dort sehr vieles leichter zu sein." Er war der einzige, dem ich das gegenüber eingestehen konnte, weil ich wusste, dass er es verstand.

    "So Sica über die geheimen Leidenschaften der Sklaven ebenso gut Bescheid weiss, solltest Du ihn befragen - auch über das Kommen und Gehen der Sklaven am Tag des Anschlags. Ich denke, allein die Wuchtigkeit der prätorianischen Befragung dürfte so manche Wahrheit verborgen haben, weil die Angst vor den Prätorianern zu bestimmend war," gab ich sinnierend zurück und dachte an den Offizier, dessen Fragen schon für mich enervierend genug gewesen waren. Ein Sklave würde ihm wahrscheinlich nichts verraten haben, das ihm irgendwie genutzt haben mochte, allein schon, um die eigene Haut zu retten.

    Schweigend betrachtete ich meinen Vetter bei seinem Wutausbruch und so sehr mich die Vehemenz seiner Worte auch überraschte, schien er doch wirklich mit dem Herzen beim Dienst an den Göttern zu sein, so anziehend machte ihn seine Wut zugleich. Das lebendige Brennen seiner Augen, als er seine Meinung äusserte, ließ die Erinnerung an scherzhafte, aber auch ernste Streitgespräche wach werden, die sie in Athen geführt hatten. Eine der kostbareren Erinnerungen, denn die sonstige kühl beherrschte Schale seines Vetters aufgesprengt zu sehen kam nicht allzu häufig vor. Mein Blick schweifte zu Claudia Antonia hinüber, denn mich interessierte, wie sie ihren Verlobten während seiner Worte wohl betrachtete, das könnte mir vielleicht einen Aufschluss darüber geben, wie es zwischen diesen beiden stand.


    "Die Legionen scheinen mit ihrem Hauch von Abenteuer und Freiheit einfach anziehender zu sein als die Tatsache, mit Demut und Einsatz zu dienen, werter Vetter, und ich kann es den jungen Männern nicht verdenken, dass sie ausziehen, um den Ruhm zu finden, der ihre Familien unsterblich machen wird. Für die unbedeutenderen gentes ist dies meist der einzige Weg, wirklich beachtet zu werden - aber dass es unter den Patriziern so wenige sacerdotes gibt, ist wahrlich eine Schande. Man könnte meinen, der persönliche Einfluss und die Machterlangung in der Politik seien insgesamt wichtiger geworden als alles andere, doch es wird allzu schnell vergessen, wie eng die Götter und Roms Macht miteinander verwoben sind. Vielleicht sollte es der cultus deorum wirklich genauso machen wie die Legionen ... für neue Mitglieder werben und sich damit in das Gedächtnis der jungen Männer und Frauen bringen."


    Wieder glitt mein Blick zu Antonia hinüber, der ich ein leichtes Lächeln schenkte. "Aber lass uns ein Thema wählen, dass Deiner Dame ebenso gelegen kommt, sonst ereifern wir uns noch stundenlang über etwas, in dem wir im Grunde übereinstimmen, und sie langweilt sich wegen uns," sagte ich und suchte für einen Moment lang ihren Blick.

    "Dann ist aus dieser Richtung zumindest ein Ärger ausgeschlossen," sagte ich nachdenklich und drehte den Becher zwischen meinen Fingern. "Wenn es kein Feind von Dir ist, keiner Deines Vaters, keiner meiner Feinde und keiner des Gracchus - und ich glaube nicht, dass Milo als ehemaliger Scriba personalis sich bereits Feinde gemacht hat - was bleibt dann noch übrig? Aristides weilt in Germania, der Rest der gens lebt weit verstreut."


    Meine Finger tippten langsam den Becher auf und ab und die Suche nach weiteren Möglichkeiten verdrängte sogar das Schweineproblem aus meinem Bewusstsein. "Die einzige Schwachstelle, die mir noch in den Kopf kommt, liegt bei den Sklaven dieses Haushalts. Vielleicht gab es Rivalitäten, Feindschaften, verborgene Liebschaften, wer weiss das schon genau - und irgendein anderer Sklave versucht sich zu rächen?" Aber so wirklich schlüssig klang das auch nicht und ich war nicht zufrieden mit dieser Idee.

    Also war er doch ein Soldat, stellte ich zufrieden fest, ich täuschte mich nicht gern und die Haltung dieses Mannes hatte mich nicht irregeführt. "Dann haben wir etwas gemeinsam," sagte ich zu ihm und erwiederte das Schmunzeln breit. "Freut mich, Dich kennenzulernen, Claudius Vesuvianus, ich hatte schon befürchtet, hier der einzige im nicht ehrwürdigen Alter zu bleiben."


    Er musterte mich ziemlich genau, und für einige Momente lang kam ich mir vor wie ein Soldat beim Appell, auch wenn ich diese Erfahrung nie gemacht hatte. Dennoch mochte er an meiner trainierten Gestalt, die den häufigen Gang zum gymnasion verriet, hoffentlich nicht allzu viel Verwerfliches finden. "Ich bereite mich derzeit auf meine zweite Prüfung zum sacerdos publicus vor," erläuterte ich meinen derzeitigen Stand und setzte mich neben ihn auf die Kline. "Mein Weg wird mich, so mir die Götter gnädig sind, dereinst in die Priesterschaft des Mars führen."