Beiträge von Caius Flavius Aquilius

    Der Wunsch, sie in meine Arme zu ziehen und ihr einen Kuss zu stehlen, war in diesem kurzen Moment, in dem ihre bebenden Lippen den meinen nahe waren, so übermächtig, dass es mir mit einem Male egal wurde, wem sie gehörte und ob sie davon etwas berichten würde. Ob mir am Ende ihr Liebster noch vor der Türe stehen würde, um mich dafür zu beleidigen oder was immer auch passieren mochte - sie war so süß und verlockend, dass ich es einfach tat, mir ihren Mund mit meinen Lippen eroberte. Ihre Lippen schmeckten kühl und feucht zugleich, und dieses zarte Beben ließ mich ungleich mehr nach ihr verlangen. War sie wirklich so unschuldig, wie sie mir oft erschien? Oder verbarg sich in ihrem Inneren eine leidenschaftliche Frau, deren Flamme einfach nur entzündet werden musste?


    Sanft fassten meine Lippen nach den ihren, ertasteten sie genüsslich, denn wahrscheinlich wäre der Moment ebenso schnell vorüber, wie er gekommen war, wenn sie wieder zur Besinnung kommen würde. Und da war er, ihr höchsteigener Geschmack, nachdem ich das Wasser zur Genüge weggeküsst hatte, auf diesem kleinen Mauervorsprung in einer völlig unwichtigen Gasse irgendwo in dieser ewigen, stinkenden, schmutzigen Hure in Rom ...

    Mein Blick schweifte über die Menschenmasse und ich ließ mir damit Zeit, denn dass in dieser Menge für einen Garküchenbetreiber kein Fortkommen sein würde, war offensichtlich, ich würde wohl oder übel mit dem Knurren meines Magens vorlieb nehmen müssen, auch wenn mir das nicht gefiel. Aber ein wahrer Römer musste eben auch ab und an fähig sein, einen rumpelnden, leeren Magen zu ertragen, sagte ich mir und vertrieb mir die Zeit damit, einzelne Gesichter der umher wuselnden Menschen zu betrachten. Ab und an lächelte ich einer jungen Frau eher mechanisch zu, wenn mich ein Blick traf, doch verharrte ich nicht, suchte ich doch weiter nach Bekannten, vielleicht sogar Verwandten, schließlich hatte ich schon beim Fest der Fors Fortuna zufällig Verwandte auf den Straßen getroffen.


    Mein Blick blieb an einem goldgelben Farbbleck hängen, in den sich ein vollendetes Kupferrot mischte, dazu dunkelgrün als Farbe des Kleides - und gekrönt von zarten, hellen Gesichtszügen, die mein Herz unwillkürlich höher schlagen ließen. Eine Schönheit, die sich so sicher in der Menge bewegte, als täte sie jeden Tag nichts anderes, ich blickte ihr einfach hinterher und verfolgte ihre gemessenen Bewegungen mit meinen Augen, soweit ich es vermochte. Sie betrat die Ehrentribüne, wahrscheinlich war sie die Frau eines hohen Amtsträgers oder gar selbst eine Amtsträgerin? Egal was sie war, ihr vollkommenes Aussehen hielt meinen Blick gefangen und für einen Moment lang wünschte ich, sie würde mich auch erblicken, während sie sich umsah, doch wusste ich, wie müßig dieser Wunsch sein musste.


    "Sie kommen!" hörte ich den Ruf der Kinder und wandte mich langsam nach vorn, nicht ohne einen letzten Blick auf sie geworfen zu haben, der mir ihr Bild konservieren sollte, dann wurde ich vom Aufmarsch der Prätorianer abgelenkt und auch von jenem leichten Prickeln im Leib, das mir von einem weiteren ungestillten Bedürfnis kündete.

    Ich erhob mich langsam, den Becher mit der gemischten Zumutung in der Hand, und schlenderte auf den vermeintlichen Soldaten zu, um vor seiner Kline stehen zu bleiben.
    "Salve! Bist Du auch neu in das Collegium berufen worden?" fragte ich ihn und fügte, etwas offener nun, noch an: "Ich bin Caius Flavius Aquilius und dies ist mein erster Abend in der Curia Saliorium ..." Für einen kurzen Moment fühlte ich mich, als würde ich vor einer größeren Menge Menschen stehen und ihnen bekennen, dass ich Patrizier und ein Weingenießer sei, aber der Eindruck verflüchtigte sich glücklicherweise sofort.

    Wenn es um das Zeigen einer unbewegten Miene ging, war Sica nicht zu schlagen, soviel war sicher. Aber alles andere hätte mich auch sehr erstaunt. Er wäre nicht in der Stellung, die er inzwischen einnahm, wenn er schlampig gearbeitet oder sein Herz allzu offen auf der Zunge getragen hätte.
    "Ein Sklave kann immer nur innerhalb des ihm von seinem Herrn gesteckten Rahmen agieren, so ist das Versäumnis in diesem Haushalt letztendlich auch zu bewerten." Ich warf ihm den nächsten Brocken hin, über den er nachdenken sollte und ich fand Gefallen an dem Gedanken, dass er höchstwahrscheinlich auch auf die eigentliche Aussage des Satzes kommen würde.


    "Du wirst mir in Zukunft darüber berichten, wer in diesem Haus ein- und ausgeht, und wer welchen Hausbewohner besucht hat. Ich habe nicht die geringste Lust, irgendwann nach Hause zu kommen und eine wilde Orgie im Lararium auflösen zu müssen, weil irgendein unpassender Freund oder Klient meint, sich hier aufführen zu müssen wie die Wilden aus dem Wald. Und ich möchte wissen, wer hier lebt, wer wieviele Sklaven besitzt und welches ihre Aufgaben sind."

    "Oder aber sie fürchten den Zorn der öffentlichen Meinung, denn was die Verstoßene getan hat, dafür gibt es keinerlei Entschuldigung." Ich folgte nach wie vor der Devise, dass ein Mann machen mochte, was er wollte, solange er es so gestaltete, dass man ihn dabei nicht erwischte - aber Messalinas Vorgehen war unentschuldbar und vor allem ausgesprochen dumm gewesen. Wer hoch strebt, fällt auch tief, und wer sich oben nicht halten konnte, fiel umso schneller und schmerzhafter.
    "Wir sollten diesen Gedanken auf jeden Fall im Auge behalten, während ihres Aufstiegs dürfte es einige gegeben haben, die den Flaviern gegrollt haben. Kannst Du Dich aus Deiner eigenen Karriere an Schwierigkeiten oder Personen erinnern, mit denen Du einen Zusammenstoß hattest?"

    Ein sehr dickes Ferkel. Ich würde das fetteste Ferkel besorgen, das ich finden konnte, für das eigentliche Opfer, und zwei kleinere für die Übung. Genau so würde ich es machen - und dann hoffen, die Tiere hier einigermaßen tot zu bekommen. Bei Hühnern wäre es natürlich leichter gewesen zu üben, aber ein Schwein konnte man dann wenigstens gut für das Abendessen verwenden können, ohne der Küche die Verpflichtung auferlegen zu müssen, halb verkrampfte Hühner rupfen zu dürfen.


    "Gracchus hat sich glücklicherweise schon angemessen verlobt, und Du ebenfalls, ich denke, die Hochzeit wird bald anstehen? Je länger die Verlobungszeit dauert, desto eher könnte ein Schatten auf die Verbindung fallen," sagte ich und dachte dabei auch an die weiblichen Verwandten der Gäste. Ein paar frische, junge Gesichter konnten in der Villa Flavia wirklich nicht schaden.


    "Gracchus? Feinde?" Es klang so absurd, dass man es mir wahrscheinlich sehr gut anhören konnte, für wie abwegig ich das hielt. "Das kann ich mir nun wirklich nicht vorstellen. Wer sollte bitte Gracchus etwas Böses wollen? Nein, da musst Du in eine andere Richtung denken. Vielleicht eine Hinterlassenschaft der Verstoßenen ..." Noch immer weigerte ich mich, Messalinas Namen zu nennen. "... oder irgendeiner ihrer Parteigänger?"

    Ich schob mich unmotiviert durch die Menge und verfluchte die Tatsache, keinen Sklaven mitgenommen zu haben, der mir den Weg bahnen konnte. Auch wenn Nefertiri dafür nicht geeignet gewesen wäre, ich hätte mir wohl einen Mann aus dem Familienhaushalt ausborgen müssen. Irgendwo zwischen meinen Kniekehlen hing mein Magen und ich hielt nach einem Verkäufer ausschau, dem ich ein Stück Fladenbrot abkaufen konnte, hatte ich doch in der letzten Nacht nicht allzu viel geschlafen, sondern vielmehr die Zeit damit verbracht, mich über die Opferrituale wieder kundig zu machen. Es war enervierend, auf wieviele Arten man ein verfluchtes Schwein abstechen konnte, und alle lasen sich unangenehm und blutig. Das würde keine leichte Sache werden, soviel war sicher. Ich ließ mich von der Masse treiben und hoffte, irgendwann einen halbwegs annehmbaren Standplatz zu finden, während ich mich nach bekannten Gesichtern umsah.

    Es sprach für den perversen Humor der Götter, dass ausgerechnet in diesem Moment die sanften Berührungen ihres Arms an dem meinen so heftig brannten, als würde sie mir den Arm abfackeln - nur tausendfach angenehmer. Womit hatte ich das denn nun wieder verdient? Es musste die Strafe für einen uneigennützigen guten Rat gewesen sein, aber ich erduldete sie durchaus mit Genuss.


    "Du hast noch sehr vieles vor Dir, meine süße Nadia, und wenn er Dich wieder zum Lachen gebracht hat, dann bin ich ihm dafür dankbar. Wichtiger jedoch ist, dass Du irgendwann die Kraft zum Lächeln aus Dir selbst gewinnst und niemanden mehr dafür brauchst," ich senkte die Stimme ein wenig und neigte mich zu ihr herüber, um ihr leise die folgenden Worte ins Ohr zu hauchen: ".. denn nur dann bist Du wirklich frei, egal wie Dein Stand auch lauten mag." Meinen Arm jagte eine Gänsehaut empor und ich hoffte, dass ihr das nicht auffallen würde - es verlieh der Szenerie mit dem vertraulichen Thema so einen ausgesprochen intimen Beigeschmack.

    "Du warst Aedil, Furianus, und ich nehme doch stark an, dass Deine Ämterlaufbahn damit nicht enden wird? Solltest Du es bis zum Consul schaffen, wird das Volk von Dir mehr erwarten als nur Spiele - Tempel wollen gestiftet werden, Spenden ausgegeben, öffentliche Opfer inszeniert. Ich halte es für den besseren Plan, sich auf zwei mögliche politische Kandidaten zu konzentrieren und mit dem größtmöglichen Prunk das Volk zu beeindrucken, und nicht bei fünf Männern halbherzig zu arbeiten, würden wir uns alle für die Politik entscheiden. Ich weiss nicht, wie Du das siehst, aber ..." damit nahm ich einen Schluck aus meinem Becher, keinen allzu großen, ich hatte heute noch genug vor mir, um mir keinen Rausch antrinken zu wollen.


    "... aber ich denke, im Augenblick sind die Möglichkeiten gut verteilt. Wer weiss, wofür sich Milo entscheidet, und Aristides wird sicher nicht für alle Ewigkeit bei der Legio bleiben wollen. Ebenso sind sowohl Milo als auch Aristides wie auch ich unverheiratet, und um eine angemessene Frau zu finden, braucht es die Sicherheit eines Vermögens ebenso." Die Frage nach dem Zimmer hatte ich beiseite geschoben, noch war ein weiterer Raum nicht nötig. "Nein, das weiss ich nicht. Aus Athen könnte ich mir keinen Feind denken, der mir schaden wollte, und für die Feinde der Flavier in Rom bin ich noch nicht lange genug hier, um sie zu kennen. Fällt Dir niemand ein, der passen könnte? Ein politischer Gegner vielleicht?"

    Persönlich .. das war noch besser, als ich es vermutet hatte. Es gab an meiner Verwandtschaft und ihrem Verhalten nichts zu beschönigen, aber es gab sehr vieles, das sich in keinem Fall wiederholen durfte. Dass wir Patrizier waren, gab uns viele Freiheiten, aber auch eine fest gesteckte Grenze, innerhalb derer wir uns bewegen mussten, um voran zu kommen.
    "Dann weisst Du auch, welche Art Verhalten in diesem Haus niemals wieder einziehen wird. Ich habe nicht vor, dass irgendwelche unpassenden Freunde meines Vetters weiterhin glauben, unsere Ahnen beleidigen zu können oder dergleichen. Dieses Haus ist sehr weit von einer Ordnung entfernt, die es zu einem repräsentablen Ort machen könnte, und das liegt nicht an den Versäumnissen der Sklaven."

    "Das wird er nicht, so Mars meinem Dienst mit Wohlwollen gegenüber tritt," sagte ich und versuchte so zu klingen, als empfände ich darüber nicht den geringsten Zweifel. Ein Ferkel. Das musste es sein, ein männliches Ferkel, kunstgerecht abgestochen. Wann hatte ich das denn zum letzten Mal gemacht? Es schien mir Jahre her zu sein, und ich seufzte innerlich. Es würde mindestens zwei Ferkel brauchen, an denen ich üben konnte, und ein drittes, um dann wirklich zu opfern. "Gracchus' Weg wird ihn zu Iuppiter führen, dessen bin ich mir sehr sicher, und der meinige führt zu Mars. Zwei Priester in der Familie sollten allen, die den politischen Weg beschreiten, den Rücken stärken können, letztendlich ... gehören wir zu einer Familie."


    Auch wenn Furianus von Plebejern aufgezogen worden war, überlegte ich und entschied mich, seinen Mangel an patrizischer Gelassenheit für's Erste zu übersehen. "Und es hat in der Vergangenheit genug Schmach gegeben, der mit unserem Namen in Verbindung gebracht wurde. Ich halte nichts davon, mit Geld zu planen, das nicht vorhanden ist, Furianus, und sollte sich die Vermögenslage ändern, können wir dieses Gespräch gerne noch einmal führen. Irgendwann werden wir alle Nachkommen haben, und auch für sie muss genügend vorhanden sein, um sie angemessen auszubilden."

    "Sieh Dich im Haus um, Nefertiri," sagte ich und hielt den Blick dabei auf Sica gerichtet, wenngleich ich wartete, bis sie den Raum verlassen hatte, bis ich ihn abermals ansprach. Seine Miene ließ auf einen sehr geübten Mann schließen, und ich war mir sicher, dass er schon lange genug im Haus diente, um sämtliche Schatten- und Lichtseiten des Haushalts zu kennen. Der genau richtige Mann also, um die Dinge zu erfahren, die ich erfahren wollte.
    ´"Sica, ich nehme an, Du weisst, welchem Teil der Familie ich angehöre und was man meiner Familie nachsagt?" Ich hob leicht eine Braue an, aber im Grunde erwartete ich nicht einmal eine eindeutige Antwort.

    Ich nickte dem Sklaven für seine Worte dankend zu und nahm einen Schluck Wein aus dem Becher. Aber eher hätte man das Gemisch als Wasser mit ein paar Spritzern Wein darin bezeichnen sollen, das kam der Konsistenz deutlich näher. Dass ein zweiter Mann in der Blüte seiner Jahre den Raum betreten hatte, entging mir nicht, ebensowenig seine aufrechte Haltung, die den Soldaten verriet. Ich ließ dem Sklaven kurz Zeit, ihn zu begrüßen und setzte mich langsam auf, um ihm zuzunicken und ihm mit erhobenem Becher einen stillen Gruß auszusprechen. Wenn er sein Gespräch beendet hatte, nahm ich mir vor, ihn anzusprechen.

    Langsam folgte ihm mein Blick, entweder war er unruhig oder nervös - ich rührte mich hingegen kein Stück aus meiner entspannten Haltung. Er sollte ruhig merken, dass mich seine Schritte nicht aus der Ruhe brachten, denn eigentlich waren meine Gedanken ganz woanders. Ein Huhn war vielleicht doch nicht die richtige Wahl, wenn, musste es ein Hahn sein. Oder doch lieber ein Schwein, ein Ferkel vielleicht? Aber Ferkel zum üben zu bekommen würde eine teure Sache werden, dennoch, ich konnte mir die Blöße nicht geben, das Tier vielleicht nicht tot zu bekommen. Es musste schnell gehen, und sicher ausgeführt werden.


    "Ich habe die Rhetoren und Philosophen lange genug studiert, um zu wissen, dass ein Leben auf der rostra und in der Politik nichts für mich ist, Vetter Furianus," erwiederte ich schließlich und ließ mir mit der Antwort Zeit. "Es bindet mich kein Gelübde an Mars, aber doch der feste Willen, ihm so gut wie ich es vermag zu dienen und der Familie damit Ehre zu machen."


    Eine kurze Pause später fügte ich an: "Ich denke ohnehin, dass es auf Dauer nicht von Vorteil sein kann, wenn sich zuviele Flavier auf der rostra Konkurrenz machen, nicht zuletzt, weil ein Weg durch den cursus honorum Geld verschlingt, das vielleicht für einen reicht, vielleicht auch für zwei, und für den dritten und vierten wird es bitter. Unserer gens mangelt es nicht an Männern."

    "Ach Nadia," seufzte ich leise, als mir ihr Stimmungsumschwang deutlicher bewusst wurde, und so dirigierte ich sie ein wenig von dem umlagerten Wasserstand weg, hin zu einem Mauervorsprung, wo wir beide nebeneinander Platz fanden, um uns dort ein wenig im Halbschatten niederzulassen. "Setz Dich zu mir," sagte ich und klopfte mit der Hand auf den freien Teil des Simses neben mir, in ihre Richtung blickend, bis sie sich gesetzt hatte. "Und schau mich nicht an, als hätte ich Deine gesamte Welt mit ein paar Worten einstürzen lassen. Es ist sicher nicht falsch zu lieben, meine süße Sylphide, und wenn es Dir ein Lächeln auf die Lippen und ein wenig Sonne ins Herz zaubert, ist es sicher nicht verkehrt. Aber Du solltest es nicht als Deinen Lebenszweck sehen, denn dann stehst Du vor nichts, sollte das Gefühl einmal zerbrechen."
    Ich blickte sie an und fühlte mich deutlich älter als ich war, wie ein Großvater mit der Enkelin auf den Knien, irgendwie eine ziemlich perverse Idee, bedachte man, dass sie nicht allzu viel jünger war als ich und meine Erfahrungen mit der Liebe eher der negativen Seite angehört hatten.


    "Liebe ihn mit allem, was Du hast, Nadia, aber verlasse Dich nicht auf ihn, sondern baue Dir selbst etwas auf. Du wirst eine Aufgabe haben, etwas, worum Du Dich allein kümmerst und die Liebe zu ihm wird ein Teil Deines Lebens sein, aber nicht Dein Lebenszweck ... Du hältst Dir damit einfach eine Hintertür auf, und wenn ihr einmal Streit hast, kannst Du ihm aus dem Weg gehen. Klingt das denn so schlecht? Vertrau ihm Dein Herz an, aber nicht ausschließlich Deine Zukunft. Denn die hast Du als Geschenk von Deinem Herrn erhalten, und damit solltest Du sehr vorsichtig und achtsam umgehen. Ein solches Geschenk erhält man nur ein einziges Mal." Ich sprach ernst, und blickte sie direkt an, in der Hoffnung, es würde diese Angst, die ich in ihren Augen flackern sah, durchdringen können. Wie konnte eine Frau nur so viel Angst haben? Es schien, als würde sie von einer Flamme zur anderen tanzen, nur um sich immer wieder aufs Neue zu verbrennen.

    Ich ließ mich auf einem der gepolsterten Sessel nieder und streckte die Beine aus, mich ein wenig entspannend. Die Prüfung war anstrengend gewesen, aber ich hatte die Fragen meiner Ansicht nach so gut wie möglich beantwortet, nun würde das Ergebnis noch auf sich warten lassen. Die Opferprüfung beschäftigte mich hingegen deutlich mehr, was sollte ich dem Mars darbringen? Ein Stier stand nicht zur Debatte, und ein Schwein ebenso nicht, nicht für eine Opferprüfung, vielleicht ein Huhn. Mit einem Huhn würde ich fertig werden, da war ich mir sicher, ich würde nur üben müssen ... seine Worte ließen mich aus meinen Gedanken emportauchen.


    "Nun, dann lass es uns angehen, werter Vetter," erwiederte ich so höflich wie möglich, aber nicht höflicher als notwendig. "Denn mich erwartet noch eine Menge Vorbereitung für die Opferprüfung, und ich möchte damit lieber früher als später beginnen."

    Ein Sklave der Villa Flavia bringt einen Brief zum Officium des Cursus Publicus und sagt bei der Abgabe, dass dieser Normalbrief mit der vorhandenen Wertkarte der gens Flavia verrechnet werden soll.


    An
    Legionarius M' Flavius Aristides
    Castellum Legio IX. Hispania
    Colonia Claudia Ara Agrippinensium
    Provincia Germania


    Vale, mein guter, alter Freund,


    jetzt hat es Dich also doch zur Legio verschlagen, und ich brauchte eine Weile, um Dich ausfindig zu machen. Ausgerechnet ein Sklave im Haushalt der Flavier in Rom war es, der mir den entscheidenden Hinweis gab, und so bin ich rechtschaffen froh, wieder eine Verbindung zu Dir aufnehmen zu können. Wie weit scheint Athen doch nun entfernt, und je länger ich in meinem Cubiculum in der Villa Flavia herumsitze, desto ferner scheint es mir. Unsere Vettern Furianus und Milo, die Söhne des Secundus Flavius Felix, scheinen mir ein bisschen aus der Art geschlagen, hast Du Furianus einmal kennengelernt?


    Er erinnert mich immer an diesen alten, versoffenen Philosophen auf der agora Athens, den mit dem wirren Bart, voll der guten Lehren und Weisheiten für andere, aber selbst nicht bereit, sich darauf einzulassen. Schiebe ihm dazu noch einen Besenstiel in den Arsch, und Du hast Furianus. Ich glaube nicht, dass ich mit ihm jemals zurecht kommen werde, aber leider ist er der Hausherr und ich muss wohl oder übel mit dem Gedanken leben, dass er die Geschicke des Hauses bestimmt. Das Problem hast Du glücklicherweise in der Legio nicht, und ich hoffe, dass sie nicht allzu sehr auf Dir herumtrampeln, nur weil Du Patrizier bist.


    Ich hoffe wirklich, wir sehen uns mal wieder, die feuchtfröhlichen Nächte, die wir in Athen verbracht haben, fehlen mir nicht minder als die entspannenden Stunden mit Gracchus - wusstest Du, dass er auch in Rom lebt und bereits als Sacerdos den Göttern dient? Vor einigen Jahren hätten wir das alle nicht geglaubt, da war uns die Wahrheit im Wein immer die angenehmere, aber Du wirst lachen, ich habe mich auch für den Dienst an den Göttern, genauer gesagt, im Tempel des Mars, entschieden. Meine erste Prüfung dafür habe ich abgelegt und wehe, Du wünscht mir kein Glück dafür, denn dann reise ich höchstpersönlich nach Germania und trete Dir mit Anlauf in den Arsch. Aber ich kann mir Dein grinsendes Gesicht noch nur zu gut vorstellen.


    Hast Du eine gute Zeit in Germania? In dieses feuchtkalte Land würden mich keine zehn Pferde bringen, und die Frauen dort sind mir viel zu grobknochig und pferdehaft. Wie hältst Du das nur aus, Aristides? Oder schließt Du im entscheidenden Moment einfach die Augen und machst, wonach die Natur verlangt? Zumindest wäre es eine verständliche Reaktion. Rom ist hingegen voll von reizvoll lächelnden Lippen, und wenn es eins gibt, was mich Athen zumindest zeitweise vergessen lässt, ist es dies.


    Nefertiri ist übrigens wohlauf, ich besitze sie noch immer. Wie betrunken wir an dem Tag waren, als ich sie mit Deiner Assistenz kaufte, ich glaube immernoch, sie hat an diesem Tag befürchtet, in ein Lupanar gebracht zu werden und ist mir seitdem dankbar dafür, dass sie nur mit mir den fleischlichen Freuden fröhnen muss. Ich denke mir, solltest Du das nächste Mal in Rom einen Besuch machen, werde ich sie Dir mit Vergnügen ausleihen, sie hat seit damals doch so manches zu meiner stillen Freude dazugelernt, jede in sie investierte Sesterze war sie doppelt und dreifach wert. Aber wenn wir schon bei Sklaven sind: Furianus' Leibsklavin Nadia erzählte mir, Du hättest sie einmal davor bewahrt, dass ihr Gewalt angetan wurde?


    Würdest Du mir mehr davon berichten? Ich will mich in diesem Haushalt und seinen Abgründen möglichst schnell zurechtfinden und ich fürchte, Furianus wird mir darin keine allzu große Hilfe sein, was immer ich ihn fragen werde. Das amüsanteste ist, wie man hier als hispanischer Flavier aufgenommen wird, als sei ich für das dämliche Handeln meiner näheren Verwandtschaft verantwortlich. Wäre Messalina nicht längst tot, würde ich sie wahrscheinlich für ihre Dummheit und Anmaßung eigenhändig erwürgen, das kannst Du mir glauben. Manche Frauen sollten wirklich am heimischen Herd bleiben, um keine Katastrophen hervorzurufen. Nun, es ist Vergangenheit, aber es erzürnt mich doch stets aufs Neue, ich bin fast froh, so lange in Athen geblieben zu sein, um all diese Schande versäumt zu haben. Wenngleich die Prätorianer in der Villa Flavia anscheinend eingezogen sind, am Tag nach meiner Rückkehr standen sie vor der Türe und wollten einen Anschlag untersuchen, in den angeblich ein Mitglied unseres Haushalts verwickelt gewesen sein sollte. O mores, o tempora! Wie Du siehst, ist hier allerhand geschenen und ich hoffe, sehr bald von Dir zu hören, wie es Dir in der Legio bisher ergangen ist.


    Vale bene,
    Dein Aquilius

    Während sich mein Gesprächspartner an das Hühnchen hielt, sprach ich den Meeresfrüchten weiterhin zu, immerhin waren das kleinere Häppchen und ich wurde durch die schiere Masse des Fleisches an einem Hühnerbein nicht allzu sehr entmutigt. Ein Stück Garnele war schneller geschluckt als ein Hühnerbein, also aß ich langsam, wenngleich nicht mehr mit allzu viel Genuss, weiter. Selten hatte ich mich so zwingen müssen, an dem zarten Fleisch der Meeresfrüchte Gefallen zu finden, normalerweise mochte ich sie sehr gerne, aber im Augenblick war mir viel eher nach einer anderen Sorte zartem Fleisch zwischen meinen Zähnen. Mein Blick driftete wieder zu ihm hinüber, und ich beobachtete, wie er sich die Lippen abtupfte, mit einer gemessenen, aber dennoch eleganten Geste. Dass er sich so bewegen konnte, empfand ich in diesem Moment als Strafe der Götter ...


    "Ah, Du hast Dir eine Leibsklavin gekauft? Wo stammt sie denn her? Meine Nefertiri ist Ägypterin und ich hatte bisher noch keinerlei Grund, mich über mangelnde Hingabe an ihren Dienst zu beklagen," sagte ich und dehnte das Wort 'Hingabe' ein wenig aus - er würde sicher verstehen, welche Art des Dienstes sie bei mir verrichtete und ich ahnte, dass seine Sklavin nicht viel anderes an ihm tat. Aber wofür waren sie sonst schon da? Schönheit existierte, um genossen zu werden, nicht um in der culina zu versauern. "Woran liest Du gerade, wenn ich fragen darf?" Die Lektüre eines Mannes sagte schließlich auch immer sehr viel über ihn aus und ich hoffte inständig, er würde mir jetzt nicht Caesars trockenen bellum gallicum nennen oder etwas ähnlich altvorderes.


    "Das Kennenlernen an Weinständen ist also Deine Masche, ja?" neckte ich ihn grinsend und lehnte mich dann etwas entspannter zurück. Dieses dumpfe Gefühl des Drucks in meinen Lenden begann glücklicherweise etwas nachzulassen. "Nun, ich trainiere viel im gymnasion oder auch im Lauf, um meinen Körper wach und stark zu halten. Aber Deine Vorliebe für die Literatur kann ich durchaus teilen und ansonsten ... genieße ich das Leben in all seinen möglichen Facetten, wie sie sich bieten."

    "Ja, natürlich," sagte ich in Richtung des Septemvir. "Du kannst mich jederzeit in der Villa Flavia erreichen ... und ich werde mir über ein angemessenes Opfer Gedanken machen." Schon eilten meine Gedanken mir voraus, und ich war noch im Zweifel, ob ich ein großes, teures Tier opfern sollte oder lieber eines, das ich im Zweifelsfall besser im Griff haben würde, um nichts unwürdiges zu tun oder durch zuviel Hektik die Sache zu verderben. Furianus riss mich allerdings aus meinen Gedanken und ich nickte ihm höflich zu.


    "Natürlich, werter Vetter, worum handelt es sich denn?" Wahrscheinlich wollte er wissen, wieso ich hier eine Prüfung ablegte, aber dazu gab es schließlich nicht viel zu berichten. "Vale bene, Valerius Victor," sagte ich zu dem Septemvir, bevor ich meinem Vetter mit dem katzenhaft schiefen Lächeln auf den Lippen folgte, das nicht minder aufgesetzt war als meines. Der verheissungsvoll begonnene Tag schien eine irgendwie unangenehme Wendung zu erhalten und ich hoffte, er würde es zu seinem und meinem Besten kurz gestalten.

    "Meine süße kleine Nadia," flüsterte ich, denn in diesem Augenblick tat sie mir fast leid, denn sie war dabei, den ältesten aller Fehler zu begehen, die man wohl begehen konnte. "Darf ich Dir einen Rat geben, der Dir vielleicht irgendwann einen Weg eröffnen wird, wenn Du nicht mehr der Liebe, sondern deinem Verstand folgst?" Ach, wenn sie nur gewusst hätte, was die Philosophen über die Liebe sagten, dann hätte sie vielleicht meine Vorbehalte verstanden. Aber ich sah es auch pragmatisch. Ein civis konnte sich einer liberta als Geliebter wohl immer sicher sein, aber eine Ehe, die ihr die Rechte einer Ehefrau zugedenken würde, würde sie niemals führen können, und das musste ihr Geliebter auch wissen. Keine halbwegs anständige gens hätte es zugelassen, die Kinder einer ehemaligen Sklavin als jene zu akzeptieren, die einer freigeborenen Ehefrau gleich kamen. irgendwann würde er wohl heiraten müssen, und da würde sie sicher niemals als Gemahlin in Betracht konnen.


    "Die Liebe ist ein wankelmütiges Gut der Götter, Nadia, und wenn Du ihr folgst, läufst Du oft in die Irre, denn ist die Liebe fort, fehlt Dir auch eine Richtung. Du solltest Dir wirklich überlegen, was Du Dir für Deinen Weg erhoffst, ohne dabei an Deinen Liebsten zu denken, denn sollte er irgendwann einmal fort sein, sei es durch den Dienst in der Legion, Familienangelegenheiten oder seine Pflicht, hast Du nichts mehr." Die eiskalte Wahrheit wollte ich ihr noch nicht um die Ohren knallen, dafür schien mir der Moment zu zerbrechlich, fast ein wenig zu vertraulich, und ich genoss es, in ihrer Gegenwart mein Wasser zu trinken und genau zu ahnen, dass sie mich nicht nur als einen Begleiter sehen musste, sondern vielleicht auch als jemanden, nach dessen Leib der ihre verlangte. Ob sich ihre Wangen ebenso röten würden, wenn sie unter mir seufzte und stöhnte? Dieser kleine, süße Schmollmund, ob er ebenso feucht schimmern würde, wenn sie in meinen Armen lag, anstatt nun aus dem Becher das kühle Wasser zu trinken?
    "Die Liebe ist so flüchtig, meine süße Sylphide, und auch wenn Du mir dafür ganz und gar geschaffen scheinst, sie ist nicht das einzige, was im Leben von Bedeutung ist."