Beiträge von Caius Flavius Aquilius

    Was tat ich hier? Was bei allen Göttern des Hades und Olymps tat ich hier eigentlich? Er war so willig, so bereit, es hätte nur eines Worts bedurft, einer Handlung, vielleicht nur eines beherzten Griffs meiner Hand an den Ort, an dem ich seine Lust am deutlichsten hätte fühlen können und ich war zurückgewichen wie ein feiger Parther, ohne auch noch den Rückwärtsschuss anbringen zu können. Gleichzeitig aber sah ich sein erhitztes Gesicht vor mir, schmeckte seine Zunge, dieses hungrige Verlangen seines Körpers, das sich allzu deutlich manifestiert hatte, und ich wusste, dass ich dieses Bild noch einmal sehen wollte, musste. An einem Ort, an dem keine verfluchten Sklaven stören konnten. Wahrscheinlich würde der Alte nun frohgemut seine Botschaft in die Villa tragen und unser kleines Geheimnis an genau den Stellen ausplaudern, an denen es am allerwenigsten zu suchen hatte, so waren sie nun einmal, diese Sklaven.


    Meine Begierde war bei der unverhofften Störung jäh in sich zusammen gesunken, deutlich schneller, als mir lieb sein konnte, aber mir blieb nicht die Gelegenheit, darüber allzu sehr nachzudenken, mischte sich in diese Stimmung nun doch auch ein dumpfer Schmerz meiner Glieder, die sich nicht hatten in der erhofften Weise entladen dürfen. Etwas schief saß ich nun auf der Kline, ohne mich zu regen, hoffend, dieser gewisse Druck würde langsam nachlassen, wie mich auch die Standhaftigkeit im Stich gelassen hatte, während ich stumm auf die Türe starrte, durch die der Sklave nebst Anhang wieder verschwunden war. Wäre dies im Haushalt der Flavier passiert, hätte sich der Alte nicht nur einen Hieb dafür eingefangen, allein schon, um meinen Missmut zu befriedigen. Wahrscheinlich hätte ich ihn blutig geschlagen, um diesen Moment zu vergessen, in dem er uns angestarrt hatte, als wären wir im Begriff, etwas absolut Widerwärtiges zu tun. Was sollte ich jetzt tun? Ich hatte uns gebremst, im Nachhinein hatte es sich als nicht falsch erwiesen, aber nun herrschte Schweigen zwischen uns, wo kurz zuvor noch heiseres Keuchen die Stille durchbrochen hatte.


    Langsam drehte ich mich auf der Kline in die Richtung Marcus' und betrachtete seinen Rücken, seine ganze Haltung, die nun sehr gut zu verbergen wusste, was wir kurze Zeit zuvor geteilt hatten. Er wirkte stolz, aufrecht, aber was sollte man von einem Patriziersproß auch anderes erwarten? Ich war der Ältere, ich hätte mich entweder mehr beherrschen müssen oder forscher vorgehen, aber was von beidem nun richtiger war, wusste ich nicht mehr. Zum ersten Mal seit meiner Ankunft in Rom fühlte ich mich auf beklemmende Weise nackt, bis auf das Innerste entblößt, und meine Miene verhärtete sich, um dies zu verbergen. Er durfte nicht wissen, was ich mir dachte, er durfte es nicht einmal ahnen. Auch ich hatte meinen Stolz, und dieser verlangte energisch die Wahrung meiner Würde.


    "Ich denke, wir sollten das Essen fortsetzen," hörte ich meine Stimme beherrscht durch den Raum klingen. "Sollte er seine Botschaft irgend jemandem hier mitgeteilt haben, ist das der beste Weg, keinen Anstoß zu erregen." Die einzige Möglichkeit, dieses stille Vergnügen vielleicht zu behalten, ohne von einer geifernden Öffentlichkeit als Knabenliebhaber gedemütigt zu werden, blieb, es auf eine Weise zu gestalten, in der es niemand sehen würde. In diesem Fall auch, keine Sklaven. Die rationale Entscheidung eines Römers, der wusste, wo er stand und was die Menge anrichten konnte, wenn man sie erst einmal losgelassen hatte - ich konnte ihm in diesem Augenblick einfach nicht sagen, dass mich seine stolze Haltung seltsam innig berührte.

    Auch ich hatte mich der Prozession angeschlossen, nicht zuletzt, weil ich mich wieder an das gesellschaftliche Leben in Rom gewöhnen musste, zu dem auch der Besuch der wichtigen Feierlichkeiten gehörte. Aber auch die vielen in meinem Kopf umher irrenden Gedanken, für die ich mir eine gewisse Beruhigung erhoffte, hatten mich diesen Weg wählen lassen, und so folgte ich als einfacher Bürger der Menschenmenge, die sich auf die Führung der Priester verließ. Irgendwo dort vorn war sicher auch mein Vetter Gracchus zu finden, vielleicht würde ich nach dem Abschluss des Opfers das Gespräch mit ihm suchen, wenn es sich ergab. Doch vorerst versuchte ich mich auf die Riten zu konzentrieren, die sich nun abzeichnen würden und wenigstens einen Tag nicht von den Gedanken gequält zu werden, die sich für mich stets mit Rom verbanden.

    Ich nickte meinem Vetter zu, der den Verhörraum verließ, und gönnte mir kurz das Vergnügen, ihn zu betrachten - er wirkte sehr gelassen, sehr ruhig, sodass ich mir keine allzu unangenehme Befragung ausmalte. Immerhin war ich noch nicht allzu lange im Haus, was sollte man da schon groß über die Vorgänge darin wissen? Dann betrat ich den Raum und nickte dem Offizier zu, den ich schon von seiner Ankunft im Haus her kannte.
    "Salvete," sagte ich zu Balbus und nickte sowohl ihm als auch den begleitenden milites ruhig zu. "Ich bin Caius Flavius Aquilius und man sagte mir, ich solle ebenfalls bei dieser Befragung weiterhelfen ..."

    "Böses Blut gibt es immer, wenn sich scheinbar sichere Verhältnisse wandeln," sagte ich nachdenklich und erinnerte mich an den Zank in der Verwandtschaft, ausgelöst durch Flavia Messalina und alle unerfreulichen Ereignisse, die sich mit ihrem Handeln verbunden hatten. Wandel im Lauf der Zeit war nichts Schlechtes, aber wenn sich zuviel auf einmal wandelte und man mit dem Wandel nicht mehr mitkam, dann freute sich keiner darüber. Sollte ich jemals im Hades auf Messalina treffen, würde ich ihr noch zu beweisen wissen, was ich von ihr hielt, und von ihren Taten ebenso ... kurz glommen meine Augen vor Zorn auf, aber da sie neben mir ging, hatte sie es vielleicht nicht bemerkt, es war besser so.


    "Wohin wirst Du denn gehen, wenn Dich nichts mehr in der illa Flavia hält?" fragte ich und schätzte gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit nicht allzu hoch ein, die Wahrheit zu erfahren. So verlegen, fast schuldbewusst, wie sie gerade wirkte, hatte sie sicher einen heimlichen Geliebten, der ihr Unterschlupf gewähren würde, warum sollte ein normaler Mann auch diesem liebreizenden Lächeln und dem Blick voller Unschuld widerstehen können, gepaart mit sonnenhellem weichem Haar? Wieder musste ich ein Seufzen unterdrücken und auch meine nicht ganz schmeichelhaften Gedanken über Furianus' Entscheidung, sie freizulassen.


    Dass er eine so süß und verlockend duftende junge Frau loswerden wollte, war für mich einfach nicht zu begreifen. Ich ließ meine Hand langsam wieder ihren Rücken entlang hoch gleiten, und setzte dieses zarte Streicheln ein wenig fort, sehr wohl führend, dass ihr Leib auf meine Finger reagierte. "Das ist gut, denn ich möchte nicht, dass Du Dich fürchten musst, süsse Nadia ..."

    Der Duft des Öls umschmeichelte meine Nase und ich konnte nicht anders, als der Woge an wiederkehrender Erinnerung hilflos gegenüber zu stehen. Gracchus brachte mir nicht nur die Gegenwart nahe, auch die Momente, die wir gemeinsam zuvor geteilt hatten, und es erschreckte mich, neben einer gewissen, prickelnden Erregung auch eine starke Wehmut zu empfinden. Das Gefühl, etwas verloren zu haben, das mir Rom nicht zurück geben konnte - oder würde.


    "Ich hätte gedacht, dass Dir Dein neuer Sklave vielleicht einige Verrenkungen beigebracht hat, damit Du ohne Hilfe das Öl auf den Rücken bekommst," scherzte ich recht brüsk und überlegte kurz, wie nahe dieser hellblonde junge Mann meinem Vetter wohl stehen mochte. Höchstwahrscheinlich näher als ich, befand ich und gab einen guten Schwung der duftenden Flüssigkeit in seine Hände. Als ich mich umwendete, schloß ich meine Augen. Er war der einzige Mann in Rom, dem ich jemals ohne Misstrauen meine Rückseite zuwenden würde, weil ich wusste, dass ich ihm vertrauen konnte. Vielleicht war es ein sehr blauäugiges Vertrauen, aber es war in Athen gewachsen und ich hoffte, es würde noch existieren.


    Doch als seine Hände meinen Rücken entlang hinab glitten, verloren sich die Gedanken im stillen Genuss seiner Berührung, dieser wissenden, und doch sanften Berührung. Ich hatte es nie vergessen, welches stille Vergnügen es bereiten konnte, den anderen einfach nur zu berühren, und ich atmete tief aus. Nicht schneller als zuvor, aber hörbarer, ein stummes Zeichen für ihn, dass ich zu genießen wusste, wie er mich berührte, mehr wagte ich noch nicht. Ein wenig reckte ich mich unter diesen Händen und umfasste das Ölfläschchen fester, damit es mir nicht entgleiten konnte. "Hast Du in letzter Zeit trainiert?" fragte ich, um nicht zuviel Stille entstehen zu lassen.

    Ich fühlte seine Hand in meinem Haar überdeutlich und gleichzeitig durchpflügte meine Zunge seinen Mundraum, umtanzte die seine, spielte mit ihr dieses alte Spiel des Neckens und Lockens, das nicht mehr viel unserer Empfindungen offen ließ. Er schmeckte so gut nach Jugend, nach Sommer, nach alten Erinnerungen und neu geborenen, dass ich unwillkürlich tief aufstöhnen musste, meine Finger vergruben sich in seinem Haar, als wollte ich ihn jetzt nicht mehr loslassen - und gleichzeitig manifestierte sich ein Gedanke, den ich oft genug zu unterdrücken gelernt hatte, der in Achaia auch vollkommen unnötig gewesen war, hier in Rom aber vielleicht der wichtigste von allen war. Ich zog ihn am Haar von mir weg, und ich rang unwillkürlich nach Atem, als die heiße Gegenwart seiner Zunge der meinen so heftig entzogen wurde, aber noch ein wenig länger und ich hätte es nicht mehr geschafft, ihn überhaupt von mir fern zu halten.


    "Marcus!" keuchte ich unterdrückt, im Klang der Stimme noch immer die Gier nach allem, was er mir geben würde können, nach allem, was ich mir von ihm nehmen wollte, um selbst zu geben, "Marcus..." etwas eindringlicher wiederholte ich das Wort, seinen praenomen, diesen verlockenden Klang, der mit einem Mal für mich deutlich mehr an Tiefe gewonnen hatte als zuvor. Ich würde diesen Namen wahrscheinlich nie wieder lesen können, ohne mich an seine bebenden Lippen, den feuchten Glanz auf seinem Zeigefinger zu erinnern, wahrscheinlich würde mir jedes Mal bei der Erinnerung ein heißer Stich in die Lenden fahren wie gerade jetzt, in dem jede Faser meines Leibes ihn begehrte.


    "Marcus ..." ein drittes Mal klammerte ich mich an diesen Namen, an den Blick zu ihm, meinen schnell gewordenen Atem, dann entließen meine Finger sein Haar und ich murmelte nur, die Stimme rauh und kratzig, fast als sei mir das Sprechen viel zu mühsam geworden: "Du ... wir ... wir sollten ...vielleicht ... nicht gleich wie ...wilde Tiere übereinander herfallen." Ich wölbte meine Lippen kurz nach innen, den Geschmack kostend, der sich nun vereint hatte, aber mein Entschluss stand fest. Noch nicht. Dafür war er mir zu kostbar, um ihn zu pflücken wie eine flüchtige Blüte im Garten und danach fortzuwerfen.

    Flavius Aristides ... mein ferner Vetter, der nun in Germanien bei der Legio sein Glück suchte. Die Welt war bisweilen dann doch sehr klein. Ich hatte eine halbe Ewigkeit nichts mehr von Aristides gehört und nahm mir in diesem Moment vor, ihm zu schreiben und den alten, guten Kontakt, den wir einst gehabt hatten, wieder herzustellen, denn er war ein Meister des Genießens gewesen, ein Freund des Weins und der Feiern. Dass es ausgerechnet Aristides gewesen war, der Nadia gerettet hatte, grenzte schon an Schicksalsspiel, und ich war nicht unfroh darüber, dass es mein Vetter hatte sein dürfen, der bei ihr den Retter hatte spielen können.


    "Was erwartest Du, Nadia? Als liberta kann er Dich nicht im Haus behalten, ohne Dich nahe bei sich zu beschäftigen, und das würde sicher nur Irritationen geben. Als Nichtsklavin, aber auch Nichtbürgerin stehst Du damit zwischen den Welten, und es ist sicher einfacher, wenn Du Dir Dein Leben dann nach eigenem Wunsch gestalten kannst, als wenn Du in der Villa verbleibst, wo Dich alles an den Sklavenstand erinnern wird," sagte ich nachdenklich und betrachtete ihr Profil mit dieser sanft geschwungenen Nase, ihren weich wirkenden Lippen und bedauerte es höchst egoistisch, dass sie freigelassen werden sollte. Für den Moment spielte ich mit dem Gedanken, sie Furianus doch noch abzuschwatzen, aber meine letzten Reserven für sie aufzuwenden, wenn sie doch als liberta nicht unerreichbar sein würde, war eine ausgesprochen verlustreiche Rechnung.


    "Ich denke, er sieht die Sache realistisch, denn mit Deinem neuen Stand nimmst Du in diesem Haushalt einen besonderen Status ein, und das könnte noch sehr viel mehr böses Blut geben als bisher." Ich folgte dem Gedanken noch ein wenig weiter, aber dass sie abermals erschauderte, war mir ein sehr viel willkommenerer Stichpunkt, wieder ein wenig Initiative zu ergreifen. "Fürchte Dich nicht, meine süße Sylphide," raunte ich ihr sanft zu und strich ihr mit einer Hand zart über den Rücken, ohne sie wirklich deutlich zu berühren.

    Ihr Lächeln ließ ihre Augen leuchten, aber mit Rücksicht auf meinen Vetter unterließ ich es vorerst, ihr dieses Kompliment zu machen, man musste es schließlich nicht unbedingt übertreiben. So erwiederte ich nur offen ihr Lächeln und genoss es für eine Weile, sie zu betrachten, wenn sie sprach. Diese vollen Lippen sprachen von vielen möglichen Freuden und nicht zum ersten Mal bereute ich es, nicht ein wenig früher wieder nach Rom gekommen zu sein, um sie kennenzulernen - aber halt, was dachte ich da? Wie stets war es einer schönen Frau möglich, meine Gedanken ad absurdum zu führen, vor allem, weil ich Rom im Grunde meines Herzens absolut verabscheute. Zumindest wurde es so doch deutlich erträglicher.


    Mein Blick glitt zu Gracchus und blieb beifällig auf dem wohlgestalten Antlitz meines Vetters und Vertrauten ruhen.
    "Nun, ich werde wohl die Prüfung zum sacerdos publicus ablegen und dann versuchen, im aktiven Dienst an unseren Göttern meinen Weg weiter zu formen. Es scheint an Ausbildern zu mangeln und so bleibt mir nichts anderes, als damit vorlieb zu nehmen, was zu bekommen ist. Eine Schande, dass der cultus deorum gerade in Rom so brach zu liegen scheint, findet ihr nicht?"

    Die Umgebung begann für mich langsam aber sicher zu verblassen, dafür nahm sein feucht schimmernder Mund viel zu viel Raum in meinem Bewusstsein ein. Sein Finger berührte meine Lippen und ich fühlte mich unter dieser Liebkosung zucken, sowohl in den Lenden als auch am ganzen Leib, wie aufgeladen durch diesen kurzen Kontakt mit seinem Finger. Periklis hieß dieser Bursche also, der ihn in die süßen Freuden der Liebe zwischen Mann und Mann eingeführt hatte, wie glühend beneidete ich diesen unbekannten Achaier in diesem Moment um dieses Geschenk, einen unerfahrenen Mann in diesen Genuss eingeführt zu haben, wie es einst mein Freund Agamenos bei mir getan hatte. Auch das stand mir noch so deutlich vor Augen, als sei es erst gestern gewesen, noch heute fühlte ich seinen süßen Atem über meine Haut streichen wie seine Finger, Agamenos war wirklich ein Könner gewesen, der mich unsicheren Knaben in die höchsten Höhen hatte führen können. Und nun blieb mein Blick auf seinen feucht schimmernden Lippen hängen, hoffend, fürchtend, verlangend zugleich.


    Und dann war es mir gleich, ob vielleicht sein Vater gleich in der Tür stehen würde, ob seine Mutter mich mit einem Besen aus der Villa treiben würde, oder ob mein Name auf ewig entehrt wäre. Das schon in Gracchus' Nähe aufgestaute Verlangen wollte sich entladen und sein bebender Leib war eine einzige Einladung. Hungrig begrub ich seine Lippen unter den meinen, seine Nähe energisch mit diesem Kuss einfordernd, in dem sich mein Mund auf den seinen brannte, als wollte ich ihn nicht mehr loslassen. Ich konnte und wollte nicht mehr warten, dafür hatten wir uns gegenseitig zu sehr gereizt, und so ließ ich meine Zunge die meinen Lippen teilen, tastete mich suchend zu den seinen vor, kurz über seine Unterlippe gleitend, bevor ich mir einen Einlass zu finden versuchte, der meine Zunge in seinen Mund führen würde. Ihn vereinnahmen, ihn zu einem Ort zu machen, an dem mein Willen für diesen Moment dominieren würde - meine Hand streckte sich nach seinem Kopf aus und vergrub sich in seinem kurzen Haar, seinen Kopf in meiner Nähe haltend, damit er mir nicht entkommen würde ... wie ich diesen Aurelier mit einem Mal für mich haben wollte, es war verwirrend und aufpeitschend zugleich.

    Ich fühlte mich, als müsste ich sterben, in genau diesem Augenblick, in dem seine Zunge meine Fingerkuppe benetzte. Sterben vor Verlangen und gleichzeitig vor Hitze, die durch meine Adern flutete und mich zu versengen drohte. Es musste in meinen Augen stehen, dass ich ihn am liebsten an mich gerissen hätte, doch ich umfasste mit einer Hand eilig den Rand die Kline, auf der ich gelegen hatte und hielt mich gerade noch so zurück, auf jenem schmalen Grat zwischen Leidenschaft und Beherrschung tänzelnd, den mir seine Gegenwart auferlegte. Auch ich seufzte nun, ein genießendes, tiefes Seufzen, bevor ich meinen Finger etwas hob, ein gemächliches Spiel mit seiner Zunge beginnend, bevor ich ihm jenen endgültig entzog.


    "Du scheinst mir Achaia auf ebenso besondere Weise kennengelernt zu haben, wie ich es erfuhr, Marcus," raunte ich zu ihm zurück, folgte der Linie seiner Oberlippe mit der Fingerkuppe und neigte schließlich meinen Kopf etwas näher zu dem seinen. Sollte ich es wirklich wagen, diesen letzten Schritt zu gehen? Der Schritt, der wahrscheinlich kein Zurück mehr erlauben würde? Meinem Verlangen nachgeben?
    "Ich frage mich nur, wie sehr Du die Sitten der Achaier verinnerlicht hast, mein werter Freund. Nicht alle der dort bekannten Dinge übt man auch hier in Rom ..." Nur Andeutungen, nur ein vorsichtiges Vortasten. Während sein Körper gierig verlangte und der meine nicht minder nach einer Berührung des seinen gierte, musste der Geist sich versichern, absichern.


    Zu leicht konnte ich dieser Verlockung ansonsten anheim fallen, und vielleicht war dies auch alles nichts als eine geschickte Inszenierung, die Flavier in Misskredit zu bringen? Roms Fänge hielten uns alle, quetschten uns das Leben und die Seele aus, und irgendwann blieben nur leere Hüllen zurück. Langsam hob ich meinen Finger von seinen Lippen und leckte an jener Stelle, die seine Zunge berührt hatte, seinen Geschmack ab.

    "Es ist nicht ganz weg," sagte ich, meinen ursprünglichen Plan weiter verfolgend. Wahrscheinlich würde demnächst der Vater dieses so geschmeidig sich auf seiner Kline räkelnden jungen Manns in der Tür stehen und mich achtkantig aus dem Haus jagen, aber das war mir das Risiko in diesem Augenblick absolut wert. Langsam neigte ich mich zu ihm herüber, einen kurzen Blick auf seinen Körper werfend, wie er sich vor meinen Augen erstreckte, und wieder ließ mir die Mischung aus jugendlicher Unschuld und männlichen Verlangens in seiner Haltung den Atem schwer werden. Und diesmal war es eindeutig, unter seiner Tunika hatte sich etwas erhoben, wie auch unter meiner - ich hatte das Bein etwas beiseite legen müssen und offenbarte mich damit deutlicher als mit jedem Wort, aber ich wollte ihn. Wollte ihn so schmerzhaft, dass ich glaubte, ich müsste unter diesem Verlangen vergehen, das nicht einmal Nefertiri stillen konnte. Sie war eben kein Mann, dort, wo ihr Körper weich und rund war, sehnte ich mich auch oft genug nach männlicher, straffer Muskulatur.


    Ich befeuchtete meinen Zeigefinger mit der Zunge, nachdem ich meinen Becher beiseite gestellt hatte, und fuhr ihm damit leicht über die weiche Haut, entweder wuchs ihm das Barthaar noch nicht besonders kräftig oder er verfügte über einen guten Barbier, doch ließ ich es nicht dabei bewenden. Das imaginäre Spritzerchen Sauce war längst entfernt, doch mein Finger blieb auf seiner Haut liegen, tastete sich langsam die Linie seines Kinns entlang bis hin zur Unterlippe, die er behutsam berührte. Oh, ich wollte diesen Mund am liebsten teilen, ihn für mich vereinnahmen, doch waren es nur meine Augen, die ihren Blick in den seinen bohrten und ihm verrieten, dass mein Hunger ganz anderer Natur war als ausschließlich nach köstlich bereiteten Krustentieren oder ähnlichen Spezereien. "Gut gekochte Speisen haben einen entscheidenden Nachteil," raunte ich ihm zu, während unsere Gesichter sich nahe waren wie nie zuvor. "Sie machen trotz eines gefüllten Magens stets ... Lust ... auf mehr."

    Auch ich nahm nach einem recht nachdenklichen Seitenblick auf Furianus meine Fragentafeln entgegen und nickte Valerius Victor ruhig zu. "Danke." Prüfungsfragen, na wunderbar. So versank ich in Gedanken, um möglichst viel Sinnvolles aus meiner früheren Unterweisung durch die von meinem Vater bestellten Lehrer aus dem Gedächtnis hervor zu kramen und begann zu schreiben.

    Zitat

    Original von Marcus Aurelius Corvinus
    Ich verfolgte die Wagen, oder besser gesagt den Staub, mit stillem Interesse. Die Anhänger der jeweiligen factiones hatten teilweise richtig derbe Sprüche auf Lager, was mich doch etwas amüsierte. Wagenrennen! Wie lange war das letzte her? Ewigkeiten! Ich wollte gerade antworten, als Aquilius und ich aneinanderprallten. Ich grinste. Da war vorerst kein Fortkommen mehr, wir standen dicht an dicht wie Sardinen in der Büchse, wie es sie knapp zweitausend Jahre später in jedem großeren Nahrungsmittelgeschäft zu kaufen geben sollte. Unauffällig ließ ich eine Hand hinter den Flavier wandern und kniff ihm kurz in den knackigen Hintern. Das bekam niemand mit und gerade deswegen musste das auch sein. Dann grinste ich ihn wieder an. Wenigstens musste ich nun nicht mehr schreien, während ich bedauernd erwiderte:
    "Leider nicht. Meine Schwester und ich hatten heute früh eine lange Unterredung miteinander. Scheinbar wurde vergessen, den Wagen anzumelden. Die internen Strukturen der Aurata waren einige Zeit lang unklar. Ich habe zugestimmt, die factio in Italien zu repräsentieren. Sei dir also versichert, dass soetwas nicht noch einmal vorkommen wird."


    Verflucht! Da hatte mir doch tatsächlich jemand ... ich blickte mich eilends um, um den Frevler noch zu erwischen, aber in dieser Menge jemanden zu entdecken, der einem gerade erfolgreich in die Hinterbacke gekniffen hatte, war so gut wie unmöglich. Meine Haltung hatte sich doch merklich verspannt und der Impuls in meiner Rechten, sie geballt diesem Filou ins Gesicht zu rammen, war fast überdeutlich. Also wirklich, und das beim Wagenrennen. Diese proletarische Sportbegeisterung gefiel mir immer weniger, aber einen Vorteil hatte es - ich konnte den Körper des Aureliers nahe an dem meinen fühlen, der Länge nach, als die Menge wieder einmal um uns herum wogte.


    "Nun, dann warte ich gespannt die nächsten Rennen ab, sonst gibt es hier ja überhaupt nichts zu jubeln. Diese Gesänge der einzelnen factiones sind schon ausgesprochen primitiv zum größten Teil. Ich kann mir nicht vorstellen, das mitzumachen ..." Zweifelnd blickte ich in die Richtung der Purpurea-Anhänger und schüttelte den Kopf. Die taten ja schon fast, als befänden sie sich auf einem echten Schlachtfeld, und das nur wegen einigen Karren mit Pferden und Lenkern. Man konnte es schließlich auch übertreiben, befand ich in patrizischer Nonchalance und blickte mit zusammengekniffenen Augen auf die Arena hinab, um mit dem Blick die Aufholjagd des weißen Fahrers auf den Blauen zu verfolgen.

    "Zur Not besuche ich Dich in Mantua ... ich wollte mir diese Stadt ohnehin einmal ansehen," meinte ich mit einem unschuldigen Tonfall und widmete mich dem zweiten Krustentier in ähnlicher Weise wie dem ersten. Wie er mein praenomen ausgesprochen hatte, ließ mir eine Gänsehaut über den Rücken krauchen. Leicht kratzig im Klang, rauchig irgendwie, als sei seine Stimme von mehr als nur Gedanken belegt worden. Ein Tonfall, der mich nur allzu leicht an meine eigene Stimme erinnerte, wenn ich gerade meine Erlöung im Schoß einer willigen Frau gefunden hatte - oder von der Hand eines willigen Mannes. Hätte ich an diesem Morgen nur ein bisschen mehr Entspannung geübt, ich fühlte mich in diesem Moment einfach nur nahe vor einer Explosion, oder zumindest dem Zwang danach, mir diesen jungen Mann mit den Händen festzuhalten und ihm zu zeigen, zu was mich sein Traubensaugen verlockte.


    Langsam leckte ich mir die Sauce der Krustentiere von den Lippen und schwankte zwischen der Überlegung, diese Farce eines Essens weiterzuführen oder einfach in die Offensive zu gehen. Seine Augen offenbarten eine so unterdrückte Gier, dass mir beim Blickkontakt ein scharfes Brennen in die Lendengegend zog und ich einfach nicht weiter essen konnte. Stumm griff ich nach dem Becher Wein und stürzte ihn in wenigen Schlucken herunter, die angenehme Mattigkeit in den Gliedern spürend, die mich immer beschlich, wenn ich die Wirkung des Weins einsetzen fühlte. Viel zu guter Falerner und ein williger junger Mann, es war fast wie in Achaia ...


    "Es schmeckt ausgesprochen gut. Ich hätte bei unserer Begegnung auf dem Markt nicht vermutet, welche Genüsse noch heute auf mich warten würden," entgegnete ich und stellte fest, dass meine Stimme ebenso rauh klang wie die seine. Ach, wer nicht wagt, der nicht gewinnt, dachte ich und deutete auf sein Kinn. "Du hast da etwas kleben, Marcus ..." Natürlich klebte da nichts, aber vielleicht würde dieses kleine Manöver den gewünschten Erfolg bringen und ich mich hilfsbereit anbieten können, den nicht auffindbaren Spritzer Sauce wegzuwischen ... oder zu lecken.

    Ich runzelte etwas die Stirn und lauschte nachdenklich ihren Worten. Sica schien mir bei den Flaviern recht gut installiert zu sein, wenn sein Wille eine solche Konsequenz zur Folge haben konnte - umso mehr galt es, die Tatsachen herauszufinden. Dass er so skrupellos zu sein schien, Nadia für einen Widerspruch eine besondere Behandlung angedeihen zu lassen, war eine recht interessante Information - zumal es sicher auch wichtig sein würde zu erkennen, wem die Loyalität des Sklavenmeisters galt. Dieser Haushalt begann mich wirklich zu interessieren, die Struktur schien doch vielschichtiger als zuerst vermutet. Und wie stets waren Informationen ein Vorteil, den man irgendwann vielleicht würde nutzen können.


    "Es ist aber nicht dazu gekommen, oder?" hakte ich langsam nach, mich auf ihre Worte über den Sklaven beziehend, der ihr wohl im Garten Gewalt hatte antun wollen. "Ansonsten hast Du, sobald Du frei bist, eine ganze Welt an neuen Möglichkeiten vor Dir, Nadia, und die solltest Du, was auch immer in der Vergangenheit gelegen hast, auch nutzen. Wenn Dir dieses Haus kein Glück gebracht hat, wirst Du als liberta sicherlich mehr Glück haben, denn dann bist Du Furianus' Klientin und er hat die Verpflichtung, für Dich gut zu sorgen. Und als Nichtsklavin wärst Du vor jedem Angriff der Sklaven des Haushalts sicher. Was für mich wie eine deutlich bessere Alternative klingt als gerade den Tod ..." Doch auch einen Nachteil barg das ganze Szenario, denn wenn sie nicht mehr in der Villa lebte, würde es schwer werden, sie zu sehen. Am Ende würse sie sich noch irgendeinen Plebejer angeln und seine Geliebte werden, was für ein Abstieg, wenn man bedachte, welche Möglichkeiten ihr noch offen standen.

    "Der Park, richtig ... ich muss mich erst an den Gedanken gewöhnen, einen angenehmen Gesprächspartner kennengelernt zu haben und ihn wahrscheinlich bald wieder missen zu müssen, wegen der elenden Pflicht," erwiederte ich und überlegte mir kurz, wie ich mir einen Park mit ihm in der Mitte vorstellen würde. Einige lauschige, sehr hohe Hecken, viel weiches Gras und einige Weiden mit lang herunterhängenden Ästen, auf dass man viele versteckte Momente genießen konnte, ja, das hätte mir wahrscheinlich gefallen können, dazu einige Mosaike mit eindeutigen Szenen. Aber ich war mir fast sicher, dass eine Stadt wie Mantua lieber etwas repräsentativeres haben wollte als ausgerechnet meine Ideen.


    "Tarraco ist sehr warm, sehr sonnig, zumindest vom Klima her unterscheidet es sich kaum von Rom, aber alles ist sehr viel gemütlicher. Man sagt den Hispaniern nicht umsonst nach, vieles mit Pausen anzugehen und die sind auch notwendig, denn die Tageshitze lässt einem oft genug das Hirn im Schädel erstarren. Dennoch, ich erinnere mich gern an meine Heimatstadt, denn der hintergründige Schmutz Roms existiert dort nicht ..." Kurz verlor ich mich in der Erinnerung und seufzte etwas. "Der Frühling ist eigentlich die schönste Jahreszeit, denn wenn die Blüten ihre Pracht offenbaren, duftet das ganze Land nach neuem Leben. Es hat schon seine Gründe, warum vor allem im Winter die meisten Kinder zur Welt kommen." Diesen Gedanken schloss ich mit einem Zwinkern in seine Richtung ab und überließ ihn seinen Phantasien, dankbar für die Ablenkung durch die Sklavin mit dem Essen.


    Diesmal entgingen mir ihre prallen Hinterbacken keineswegs und ich hätte mir fast gewünscht, sie im Anschluss an dieses Essen ein wenig genießen zu können, um meine Lust aufbequeme Weise loszuwerden. Ich ließ ihr meinen Blick folgen bis ich mir sicher war, dass sie bemerkt hatte, wie ich sie anblickte, und wurde von einem fast verführerischen Lächeln belohnt, doch dann entschwand sie und ließ mich und den Aurelier alleine mit einer ausgesprochen reichlichen Mahlzeit.
    "Hierzu kann man kaum nein sagen," erwiederte ich auf seine Worte und nahm mir eins dieser gebratenen Krustentiere vom Teller, um zart und genüsslich das Fleisch aus der Schale zu saugen, um den salzig-würzigen Geschmack deutlich auf meiner Zunge zu schmecken. Mein Blick driftete zu ihm herüber, zweifellos, er musste mein Schlürfen gehört haben ...

    Noch immer war ich innerlich von dem Gedanken daran schockiert, dass sie ernsthaft tiefere Gefühle für Furianus gehabt hatte oder noch immer hatte, aber so war es eben, Venus verschenkte ihre Gunst wahllos, und zumeist an die, die es am allerwenigsten verdienten. Glücklicherweise hatte sie mich mit ihren Gaben bisher weitgehend verschont und so konnte ich zu der Geschichte Nadias nur ab und an leicht nicken, selbst als ihre Worte eine herausfordernde Qualität erhielten. Es machte mich eher nachdenklich, was sie sagte. Dieser Sica schien ein recht strenges Regiment auszuüben, was bei einem so zusammengewürfelten Haushalt wie dem der Flavier sicher nicht verkehrt war, und dass eine eher empfindsame Frau wie Nadia damit nicht zurecht kam, erstaunte mich auch nicht besonders. Entweder man passte sich an oder man ging unter, wieso sollte diese Regel der römischen Gesellschaft nicht auch bei den Sklaven Anwendung finden? Wenigstens hatte mir Nefertiri dies betreffend nie Schande gemacht.


    "Vielleicht habe ich nicht das Leben eines Sklaven gelebt und nicht erfahren, was Du erfahren hast, meine süße Sylphide," erwiederte ich nach einer Weile des Nachdenkens. "Aber Freiheit ist stets ein sehr relativer Begriff, man muss kein Sklave sein, um nicht über sein eigenes Leben frei bestimmen zu können. Die Frage ist immer, wie weit man sich von dieser Unfreiheit fesseln lässt und wie frei man im Herzen bleibt." Es klang philosophischer, als ich es sagen wollte, aber letztendlich hatte ich es nicht anders erfahren. "Warum hatte dieser Sica versucht, Dich zu würgen? Gab es dafür einen besonderen Grund?" hakte ich nach, den Blick zu ihr wendend, ohne die lästerlichen Worte von eben zu kommentieren. Ich hatte das Gefühl, auf etwas gestoßen zu sein, das vielleicht einige Kreise ziehen würde.

    Diese dreimal verfluchten Trauben. Hatte ich mir eben gewünscht, dass er mehr davon essen sollte? Inzwischen wünschte ich, er würde damit aufhören. Jede dieser süßen Trauben zwischen seinen Lippen verschwinden zu sehen ließ mich wünschen, an der Stelle dieser Trauben zu sein, seine Lippen mich umschließen zu fühlen, diese rosigen, weichen jugendlichen Lippen ... ich blinzelte mehrfach, um die Bilder zu vertreiben und war fast dankbar über das Geschepper in weiter Ferne, denn es lenkte von den Phantasien ab, die nicht sein sollten und durften. Er hatte einen viel zu geschmeidigen Körper, als dass ich die Bilder hätte allzu lang fern halten können, aber zumindest konnte ich dagegen ankämpfen. Oder zumindest so zu tun als ob, um vor dem letzten Rest meines verbliebenen Selbstwertgefühls als starker Mann dazustehen.


    "Hm, die Thermen hier gefallen mir auch. Das ist auch eines der wenigen Dinge, die ich in Athen wirklich vermisst haben, ein solches Zeugnis unserer römischen Kultur gibt es dort in der Form nicht, leider. Und die griechischten Thermen ... nunja, Du sagtest es bereits. Die römischen sind zu bevorzugen." Ich unterdrückte mit aller Gewalt den Gedanken, wie er sich wohl im Schwitzraum machen würde, auf der Haut ein feuchtglänzender Schimmer, die schlanken Glieder lässig ausgestreckt, aber es gelang mir nicht ganz. "Ansonsten ... ich muss gestehen, ich erinnere mich nicht besonders gut an Rom. Tarraco, die Heimatstadt meines Familienzweigs, ist mir besser in Erinnerung als es Rom war, und hier schätze ich eigentlich nur noch den Tempel des Mars wirklich." Der Esquilin. Das klang verlockend und ich nahm mir vor, genau dieses Szenario in den nächsten Tagen einmal zu erproben. "Ich fürchte, ich werde Rom erst wieder neu entdecken müssen," fügte ich an und hob die Schultern etwas. "Die Sklaven hier veranstalten nicht zufällig einen Topfweitwurf?" fragte ich, als ein zweites Mal ein lautes Scheppern erklang.

    Ich war ihm gefolgt, denn er wirkte, als würde er sich hier ganz zuhause fühlen, und wem sollte ich mich sonst anvertrauen, wenn nicht meinem alten Freund und Vetter Gracchus? Für einige Momente lang dachte ich an Athen zurück, das gymnasion, in dem wir gemeinsam unter den Augen athenischer Lehrer trainiert hatten, während andere junge Männer uns beobachtet hatten. In Athen war es normal gewesen, sich gegenseitig anzufeuern, wenn einem der Kampf eines anderen gefiel, hier in Rom wurde auch angefeuert, aber nur, wenn ein Mann auf einen anderen traf und die Menge wusste, dass sie einander Feind waren. Die Wehmut und Erinnerung mischten sich für diesen Gedanken so sehr miteinander, dass mich unvermittelt ein leichtes Schaudern übermannte. Ob Rom wirklich das bieten würde, was ich mir trotz allem erhoffte? Ich hasste diese Stadt in diesem Moment ungleich mehr, aber die Gegenwart meines Vetters milderte diesen Abscheu ab.


    Mein Blick folgte ihm, als er zielsicher nach einem Fläschchen griff, und noch bevor er mir dieses Fläschchen geben konnte, driftete schon die herbe Geruchswolke des Öls zu mir herüber und ließ mich blinzeln, die verbannte Erinnerung einmal mehr beschwörend. Das aromatische Mischöl mit der starken Moschusnote ließ die Bilder Athens so deutlich vor mir aufsteigen, dass mir kurz ein Kloß im Hals saß, bevor ich nickte. "Du erinnerst Dich noch daran," presste ich schließlich mühsam die Worte hervor und atmete ein. "Soll ich Dir beim Einölen helfen, Vetter?" In Athen hatten wir uns immer geholfen, die Frage war allerdings, ob es hier in Rom auch statthaft war ... so vieles schien sich einfach geändert zu haben.