Beiträge von Caius Flavius Aquilius

    "Letztendlich ist es wie bei den Tieren, Marcus," ohne zu merken, dass ich nun seinen Vornamen gebrauchte und nicht den cognomen, führte ich meinen Gedankengang sinnierend fort, nicht ohne mich einige Momente lang von der Erinnerung an Priscas Lächeln treiben zu lassen.
    "Egal, wie gut oder schlecht es um die Familie steht, wenn wir uns nicht darum bemühen, stetig frisches Blut in die Familie zu bringen, degenerieren wir genauso wie die kaiserliche Linie der Iulier und Claudier, und dass mit denen gegen Ende ihrer Herrschaftszeit nicht mehr viel anzufangen war, dürfte auf der Hand liegen." Nicht zuletzt war die Schwäche dieser beiden ehrwürdigen, alten und zutiefst in innere Verschwägerung verstrickten gentes ein Grund gewesen, der es den Flaviern erleichtert hatte, zur höchsten Macht im Reich zu gelangen. "Wenn wir dauernd aus derselben Familie Frauen nehmen,wird es uns irgendwann nicht besser ergehen als ihnen, und dem sollten wir vorzubeugen wissen. Furianus wird eine Tiberierin heiraten, ich eine Aurelierin, wenn alles so läuft, wie es laufen soll - und ihr beiden habt euch Claudierinnen erwählt. Wenn uns die Götter wohlgesonnen sind, werden wir für diese Voraussicht eines Tages den Dank unserer Enkel ernten, die mit wachem Geist und ruhigem Herzen die Geschicke des Reiches mitbestimmen werden." Dann wischte ich dieses zugegebenermaßen ernste Thema mit einem kurzen Wink weg.


    Es war auch ein bisschen zu theoretisch für ein Mittagessen unter eng befreundeten Verwandten, die Zeit, sich Sorgen zu machen, blieb immernoch irgendwann anders. Gerade dass Gracchus sich noch ein Päckchen mehr an Sorgen auflud, wollte ich vermeiden, er nahm ohnehin die meisten Ereignisse viel zu schwer.
    "Warum teilt ihr euch die Verantwortung für das Vermögen nicht einfach? Es umfasst genügend Werte und Immobilien für zwei, und ihr habt dann beide nicht die gesamte Arbeit zu erledigen - stimmt euch über die wichtigsten Punkte ab, die weniger wichtigen liegen in den Händen eines fähigen Verwalters und schon ist die Sache erledigt." Zu Gracchus Worten nickend, als er Stratons Position erwähnte, fügte ich noch hinzu:
    "Er schätzt Ordnung über alles - ein Wunder, dass er in meinem Haushalt noch nicht durchgedreht ist - und wenn es in den Abrechnungen Tücken geben sollte, ist ein zusätzliches Paar Augen sicher nicht verkehrt. Sagt es mir einfach, solltet ihr einen weiteren Rechner brauchen, dann schicke ich ihn zu dem, der ihn benötigt." Wahrscheinlich würde mein Sklave in seiner unnachahmlichen Art wortlos sein Missfallen an der Situation zum Ausdruck bringen, wie ich ihn kannte - aber das war dann schließlich nicht mein Problem.


    Ein gestopftes Ei und ein dazugehöriges Stück Brot gingen den Weg allen Essens und ich musste zugeben, dass diese taverna ihren guten Ruf zu Recht hatte: Die meisten Straßenhändler verkauften unglaublich salzige Eier, bei denen man danach nur noch das Bedürfnis hatte, einen ganzen Brunnen leer zu trinken, diese hier aber schmeckten ausgesprochen köstlich und es war mir sogar möglich, zwei verschiedene Gewürze herauszuschmecken. Vielleicht war ich auch nicht der geeignete Tester für Speisen, denn ich war, was meine Ernährung anging, deutlich anspruchsloser als die meisten anderen reichen Römer, die Zeit als Fischer hatte meine Ansprüche noch weiter herabsinken lassen. Es schmeckte, und das war gut so.
    Mein Blick schweifte über meine Vettern, und ich musste unwillkürlich lächeln:
    "Wir sollten versuchen, uns regelmäßig so zu treffen. Fernab der Pflichten, der villa mit irgendwelchen dort lauernden Problemen ...fernab des Ärgers."

    Ich nickte zufrieden, als er die Leinen durch die dafür vorgesehenen Ringe gezogen und das Tier so angebunden hatte - besser hätte ich es wohl auch nicht gemacht (ich ließ das inzwischen die camilli erledigen, für irgend etwas musste es ja gut sein, dass ich der sacerdos war!).
    "Das auch. Zuerst also überzeugst Du Dich, dass alle Vorbereitungen abgeschlossen sind, das Tier richtig angebunden und geschmückt ist - gerade, wenn Du selbst diesen Teil nicht übernimmst, musst Du die Arbeit der camilli überprüfen, damit nicht irgendein Schlamper das Opfer verdirbt und die ganze Arbeit umsonst ist. Dann besprengst Du die Menge mit Wasser und gebietest ihr, zu schweigen. Das erfolgt durch den Ruf 'favete linguis!' in die Richtung der Zuschauer. Erst dann wäscht Du Dir die Hände und trocknest sie mit dem malluium latum."
    Wenn ich bedachte, wie aufgeregt ich anfangs noch gewesen war, als ich der Menge zugerufen hatte und wie wenig es mich heute noch beeindruckte - es war ein langer Weg gewesen. "Dann kannst Du dazu schreiten, das Tier mit der mola salsa zu bestreichen - sage mir doch, woraus sie besteht, und durch was man sie ersetzen kann. Und dann weisst Du sicher, wie es weitergeht?"

    Irgendwie hatte ich mir fast schon gedacht, dass er seinen Weg in die Kaisernähe suchen würde - aber wer hätte das nicht getan? Es war wirklich unpraktisch, dass der letzte Kaiser ausgerechnet dann gestorben war, als ich begonnen hatte, in sein Gesichtsfeld zu rücken, umso leichter wäre es nun, dasselbe mittels eines Amtes beim neuen Kaiser zu erreichen.
    Andererseits - man war dann ein besserer Kaisersekretär, nicht sehr viel mehr, die wirkliche Arbeit, die einem einen Einblick in das politische Geschehen gestattete, fand woanders statt.
    "Ah, der senator hat Dich auch zum Klienten erwählt," sagte ich in freundlichem Ton, auch wenn mir nicht ganz in den Sinn wollte, was der Annaeer mitbringen konnte, das ihn dafür interessant machte - wahrscheinlich das Familienprestige und der Wille, für den Aufstieg zu arbeiten.
    "Bisher habe ich mir da noch nicht so viele Gedanken gemacht - alle drei Variationen würden mich reizen, und ich denke, ich werde es dem Senat überlassen zu entscheiden, welchen Posten sie am geeignetsten halten. Letztendlich wird jeder das Maß an Erfahrungen erfüllen, das ich mir zu machen erhoffe."

    "Meinen Dank für Deine Zeit, consul," sagte ich ebenso höflich und nickte ihm zu, sicherlich hatte er noch viel zu tun und noch mehr Besucher zu erwarten, gewiss würden der Annaeer und ich nicht die einzigen Bewerber sein, die dieser Tage durch die villa Seppia flanierten. So verabschiedete auch ich mich und ging mit meinem Mitbewerber hinaus - noch länger im atrium herumzulungern wäre auch kaum angebracht gewesen. Als wir wieder auf der Straße angelangt waren, atmete ich tief durch und sah zu Modestus: "Na, die erste Hürde haben wir genommen - ich bin sehr gespannt, ob wir wieder gemeinsam im Amt sein werden. Hast du Dir schon überlegt, welches Quaestorenamt Du zu erreichen versuchst?"

    Nun, zumindest schien sie sich zu amüsieren, auch wenn sie ein bisschen zu sehr der patrizischen Unsitte fröhnte, die einer Frau lautes, offenes Herauslachen verbat. Oder aber ich war tatsächlich nicht so witzig gewesen wie erhofft, was natürlich auch der Fall sein konnte (mir aber auch recht peinlich gewesen wäre, denn es hätte bedeutet, dass ich eindeutig aus der Übung war, eine Frau zum Lachen zu bringen).
    "Monotonie? Du befindest Dich in Rom, werte Nichte, und beklagst Dich über Langeweile? Gerade eine Frau dürfte hier doch alles finden, was ihr Herz begehrt - die neuesten Sandalen, Stoffe, Tuniken, die bestaussehendsten Sklaven, genügend andere Frauen, um sich zu unterhalten, Bibliotheken, Bäder .. und Du liegst hier im Garten herum und delektierst Dich an unseren Schriftrollen? Ah, das ist doch sicher nur ein Scherz und insgeheim hast Du irgendwo den größten Einkauf der Geschichte versteckt ... glaube nicht, ich wüsste nicht, was für einen Narren man an den hiesigen Läden fressen kann." Der Einkauf mit Claudia Antonia war mir einerseits angenehm (es machte Spaß, mit ihr Zeit zu verbringen), andererseits unangenehm (die Rechnung nach dem Spaß war weit weniger amüsant gewesen als der Spaß selbst) in Erinnerung, und ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass es irgendwo eine Frau gab, die nicht gern einkaufte.


    Ein Blick auf ihre Lektüre verriet mir, was sie mir kurz darauf sagte - nunja, die Aeneis, es gab spannenderes und weniger schmalziges, aber es vermochte einem die Zeit zu vertreiben.
    "Du hast, wenn ich nicht irre, auch den Catull mitgenommen," fügte ich an und suchte mir die passende Schriftrolle aus dem kleinen Stapel heraus, der neben ihrer Kline lag. "Genau danach habe ich gesucht. Es gibt nichts schöneres als ein bisschen bissige Poesie an einem freien Tag." Damit klemmte ich mir die Schriftrolle so in den Gürtel, dass sie nicht zerknickt wurde, ich sie aber auch nicht in den Händen behalten musste - wie ich mich kannte, vergaß ich sie dann sowieso wieder irgendwo und ich würde dann nie zu meinem Lesevergnügen kommen.
    "Was beschäftigt Dich denn derzeit, dass Dir die Stunden so heimtückisch entschlüpfen? Bei einem Magistraten würde ich eine solche Klage verstehen, aber ich denke doch, dass Dich hier nicht allzu viele Pflichten binden? Was den Garten angeht, hast Du aber Recht - Felix' Rosenzucht ist wirklich eine ganz besonders vorteilhafte Passion, ich denke auch, dass es keinen anderen Garten in Rom gibt, der diesem hier gleicht."


    Der stechende Blick des flavischen ianitors bohrte sich in sein Gegenüber - schon wieder so eine nordische Eingefangene, dachte er verächtlich, Acanthus teilte durchaus die Meinung der geborenen Sklaven über gefangene Nordländer, die nicht allzu positiv war - dann sah er an ihr vorbei in Richtung der Sänfte. Das aurelische Wappen darauf sah echt aus, auch wenn er die Frau darin nicht kannte - es würde schon seine Richtigkeit haben. Am Ende schickte er noch ein verwöhntes patrizisches Gör weg, weil er zu genau sein wollte, und bekam dann einen Riesenärger ... und dabei wollte er doch nur seine Schriftrolle in Ruhe zu Ende lesen. Acanthus schnippte mit den Fingern und ein junger Sklavenbursche eilte herbei.
    "Deine Herrin ist willkommen," sagte der Grieche im 'mal sehen wie lange noch' Tonfall und gab die Tür in Richtung des atriums frei, und jener Sklavenbursche führte dann kurz darauf auch Minervina in das Innere der villa Flavia.

    Ein leises, höfliches Klopfen heischte um Aufmerksamkeit von der Türe her, und so dem jungen Sklavenburschen geöffnet würde, bekam man folgende Botschaft verkündet:
    "Domina Celerina, eine junge Dame namens Aurelia Minervina ist gekommen, Dich zu besuchen - und sie wartet im atrium auf Dich." Dann - denn Celerinas höfliche und zuvorkommende Art den Sklaven gegenüber war in der villa schnell bekannt geworden - machte er sich auch schon aus dem Staub, bei dem Temperament der jungen Frau konnte man schließlich nie so genau wissen ...

    Ein recht junger Sklavenbursche war es, der die (etwas ältere) Römerin in das flavische atrium führte - welches, wie so viele der Öffentlichkeit zugängliche Räumlichkeiten römischer villen, nicht allein einen funktionalen Zweck hatte, sondern auch dazu diente, einen Besucher in seine Schranken zu verweisen. Gerade der Blick in das lararium, in welchem die Ahnenmasken der gens Flavia gesammelt waren und die auch jene der gewesenen Kaiser Vespasian, Titus und Domitioan beinhalteten, konnte bei den Klienten oder Fremden eine gewisse Ehrfurcht hervorrufen. Hier lebte die Geschichte weiter - und die edlen Möbel, das leise Plätschern eines fernen Brunnens sowie die relative Stille des Hauses mochten ihr übriges dazu tun, ein gereiftes, ehrwürdiges Bild zu malen, das zumindest vordergründig den Eindruck erweckte, hier an einem Ort gelandet zu sein, der in jeder Hinsicht etwas Besonderes war. Reich zu sein - das war in Rom ab einem gewissen Punkt nicht allzu schwer. Die richtigen Vorfahren zu haben allerdings war unbezahlbar.
    "Ich werde die domina holen, wenn Du solange bitte warten würdest?" sagte der junge Bursche freundlich, verneigte sich vor der Aurelierin und hastete davon, um Flavia Celerina zu benachrichtigen, dass sie Besuch hatte.

    Erfreulicherweise stellte sich der Matinier recht geschickt an und die amüsanten Szenarien, die alle mit quiekend wegrennenden Ferkel zu tun hatten, welche sich vor meinem inneren Auge entfaltet hatten, traten nicht ein. Es wäre sicherlich ziemlich lustig geworden, aber einen solchen Beginn der Opferkarriere wünschte ich ihm wahrlich nicht, so war mir das derzeitige Ergebnis lieber.
    "Ja, das ist schon sehr gut so ... schau einmal an die Seiten des Altars, dort sind eiserne Ringe angebracht, an denen Du das Tier anbinden kannst, dann musst Du die Leine nicht selbst halten." Ich zeigte ihm mit einer Geste den entsprechenden Ort - der so angelegt war, dass er den ganzen Tag im Schatten lag und nicht auf den ersten Blick auffiel, was bedeutete, dass man als Zuschauer immernoch die Illusion wahren konnte, dass die Tiere freiwillig dort standen, wenn man nicht zu genau hinsah. "Wenn Du es angebunden hast, machen wir weiter ..denke schon einmal nach, was der nächste Schritt sein könnte."

    "Ich bin wegen der Kandidatur zur quaestur hier," sagte ich mit fester Stimme - so lehrreich das vigintivirat auch gewesen war, nochmal musste das alles nun wirklich nicht sein. Irgendwann wollte ich schließlich auch einmal mehr sein als eins von unzähligen Rädchen im Getriebe des Kaiserreichs. Wobei mir nicht in den Sinn kam, der consul könnte sich nicht an mein Gesicht erinnern - aber welcher aufstrebende Politiker wollte auch daran denken, dass sein Gesicht in einer mehr oder minder anonymen Masse untergegangen war? Einzigartig wollte doch ein jeder sein.
    "Die Voraussetzungen sollten erfüllt sein." Zumindest fiel mir jetzt nichts ein, was ich vergessen haben könnte.

    "Salve, consul Seppius," sagte ich höflich und neigte den Kopf wieder einmal vor ihm (langsam kam ich mir vor, als sei ich in einem sich immer wiederholenden Zirkel der Ereignisse gefangen, denn er sah auch noch fast genau so aus wie damals).
    "Um dem werten Annaeus Modestus," ich machte eine leichte Geste zur Seite, zu meinem Begleiter hin, "nicht zu weit vorzugreifen, Dir aber Zeit zu sparen, muss ich vermelden, dass uns dasselbe Anliegen zu Dir führt - die Anmeldung der erneuten Kandidatur unsrigerseits zum cursus honorum." Dem mochte der Annaeer noch hinzufügen, was es seiner Ansicht nach hinzuzufügen galt, ich wusste schließlich nicht, ob er nicht noch ein anderes Anliegen mit sich zur villa des consuls geschleppt hatte.

    "Mit der Politik ist es doch wie mit allen Vergnügungen, sie kommen einen meistens recht teuer zu stehen," sagte ich mit einem Grinsen in die Richtung des Annaeers. Mir selbst wäre sein Amt wohl zu langweilig gewesen - ich hatte noch nie wirkliches Interesse für Geld und alles damit zusammenhängende aufbringen können, ich hatte es nur stets ganz gekonnt ausgegeben - aber solange er damit zufrieden gewesen war, konnte diese Wahl nicht falsch gewesen sein.
    Als die Sklaven mit ihrem Gespräch fertig waren, wurden wir hineingebeten, und so schritt ich gemeinsam mit Annaeus Modestus ins Innere der villa - dafür waren wir schließlich hier - und wappnete mich innerlich bereits dem, was unvermeidlich kommen würde. Aber wenigstens konnte ich dieses Mal auf eine gute Amtszeit zurückblicken und war nicht mehr ganz ein blutiger Anfänger. Ein halb blutiger Anfänger nun eher. Ob der consul schon anwesend war? Ich sah mich im atrium um, das sich seit dem vorletzten Jahr nicht wesentlich verändert zu haben schien.

    Mein Sklave setzte sich mit dem ianitor des consuls auseinander, während ich ein Stück zurück blieb und auch prompt angesprochen wurde.
    "Mein Herr, Flavius Aquilius, gewesener vigintivir des letzten Jahres, möchte den consul sprechen, wegen einer Kandidatur für das folgende Jahr." Die Sklaven waren unter sich, einer, der sich wiohl dergleichen den ganzen Tag anhören musste, und der meinige, der den ganzen Tag einen der unsrigen ankündigen musste - sie waren Profis auf ihrem Gebiet, und ich wollte sie ungern stören, so wandte ich mich dem Annaeer zu.
    "Salve, Annaeus Modestus! Ja, genau deswegen bin ich hier - wir scheinen wohl beide nicht aus den erschreckenden Erfahrungen unserer ersten Amtszeit gelernt zu haben," sagte ich mit einem leichten Grinsen. Er hatte, wie ich es gehört hatte, im Münzamt gute Arbeit geleistet, und ihn als Kollegen zu bekommen, war sicherlich auch keine schlechte Sache.

    Ich fühlte die Lehne des Stuhls im Rücken, und sie erinnerte mich daran, dass ich die letzten Tage zu krumm und schief auf irgendeinem Stuhl verbracht hatte, um Schriftstücke zu bearbeiten - letztendlich war das nicht unbedingt der beste Weg, sich ein aufrechtes Stehen zu bewahren, vor allem nicht, wenn man so hoch gewachsen war wie ich. Manchmal erschien es mir, als sei der durchschnittliche Römer mindestens einen Kopf kleiner als ich und damit deutlich geeigneter, sich zwischen Tisch und Stuhl zu zwängen, ohne dabei Schmerzen erleiden zu müssen - aber in einer taberna konnte man schließlich auch nicht zu Tisch liegen (es wäre dennoch schöner gewesen). So musste ich mich mit der Aussicht trösten, dass wenigstens Speis und Trank kostenlos sein würden, was heutzutage ja auch nicht mehr selbstverständlich war.
    "Manche Dinge lassen sich wohl niemals ändern - und wenn ein Mensch mit dem glücklich ist, was er hat, und von dem er weiß, dass es ihm gefällt, kann man ihn selten ändern. Oder würdest Du beispielsweise die dunkelhäutigen, üppigen Schönheiten aufgeben, wenn ich Dir nur noch reizvolle, dünne Blondinen präsentiere? Manius erfreut sich eben mehr an geistigen Genüssen ..." Die anderen Genüsse, von denen ich genauso gut wusste, mussten hier schließlich nicht unbedingt auf den Tisch geklopft werden.


    Uns wurde eilfertig Essen gebracht und so verbrachte ich die ersten Augenblicke damit, die angebotenen Oliven einer eindeutigen Musterung geschmacklicher Art zu unterziehen - man musste schließlich sichergehen, und ich war willens, die mir auferlegte Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen, zum Wohl von Volk und Staat von Rom! - während ich den Worten meiner Vettern lauschte, als seien die letzten Jahre gar nicht verstrichen, als wären wir noch immer in Achaia, hätten unser Leben vor uns und keinerlei Sorgen oder Verpflichtungen.
    "So ein Blödsinn," sagte ich schließlich in Marcus' Richtung. "Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich mir so etwas wünsche? Du warst eine halbe Ewigkeit weg und wir sind doch erst wieder komplett, wenn Du auch dabei bist. Außerdem hast Du auch noch deine Heirat vor Dir und Deine Frau wird sich nicht wünschen, Dich wieder fern zu sehen." Eine Olive später fügte ich an: "Sie heißt Prisca, aus dem Geschlecht der Aurelier. Kein allzu altes Blut, aber deswegen auch frei von .. Makeln. Sie lacht viel, das kann unserer doch zumeist eher trübsinnigen Familie nicht schaden, wenn ein bisschen mehr Sonne sich in unsere Ahnenreihe mischt." Zudem war sie intelligent, reizvoll, amüsant, schön ... aber ich schweifte wieder einmal ab.


    "Umh?" gluckste ich auf Marcus' Frage nach dem Falschmachen heraus und verschluckte mich prompt an einer Olive, genauer gesagt, ihrem Kern - unter mehreren röchelnden Hustern wurde ich den ungebetenen Gast schließlich wieder los und starrte ihn erstaunt an. "Was sollst Du denn bitte falsch gemacht haben, hm?" Dass auch Manius eine Seelenqual offenbarte, stürzte mich ungleich mehr in Verwirrung. Warum sprach er denn erst jetzt davon? Hatte es nicht vorher schon genug Gelegenheiten gegeben, bei denen ich ihm beistehen hätte können? Oder war es, weil ich mit dem Vermögen seines Familienzweigs außer in Form von Felix' geplündertem Weinvorrat nichts zu tun hatte? War ich, was dies anging, nicht vertrauenswürdig genug?
    "Ich kann euch auch Straton ausleihen, wenn ein guter Rechner gebraucht werden sollte ... er macht meine Finanzen und schätzungsweise bin ich wegen ihm noch nicht bankrott ..." Aber irgendwie war ich mir fast sicher, dass sie dieses Angebot nicht annehmen würden.

    Ich blickte Bridhe einige Momente lang hinterher - dass sie erleichtert gewesen war, gehen zu dürfen, war für jemanden, der sie ein bisschen kannte, kaum zu übersehen gewesen - um mich dann wieder meinem Kindheitsfreund zuzuwenden, der augenscheinlich auch seine Freude an ihrem gesanglichen Vortrag gefunden hatte.
    "Warum nicht? Ich habe glaube ich noch nie eine Imkerei besucht, und solange wir nicht von den Bienen gestochen werden, ist es sicherlich interessant," erwiderte ich und versuchte mit aller Macht, das in meinem Kopf auftauchende Bild von zwei vor einem riesigen Bienenschwarm flüchtenden Flaviern zu verbannen. Zumindest war das immernoch wahrscheinlicher als zwei beschaulich an Bienenkästen vorbei flanierende Flavier, die sich nebenher noch über die allgemeinen Entwicklungen in der römischen Politik unterhielten.
    "Hmm ... ich muss Dir beizeiten einmal Felix' Weinkeller zeigen, wir dezimieren ihn hier regelmäßig, aber irgendwie scheint sich der Wein immer wieder aufs Neue zu vermehren - da werden wir sicher fündig, wenn Du einen süffigen Falerner willst." Meine Augen blitzten unternehmungslustig, der Gedanke an einen faul verfläzten Nachmittag mit einer Amphore Wein im Gepäch hatte einiges für sich, ich wusste nicht einmal, wann ich den letzten Tag dieser Art verbracht hatte, ohne irgendeinem Zeck zu huldigen. Selbst der Ausflug mit Prisca hatte perfektes Benehmen verlangt und war zumindest in dieser Form nicht entspannend gewesen.

    Fortuna ... was für eine ungewöhnliche Wahl für eine Göttin. Aber da der Fortuna-Kult in Rom selbst recht gut vertreten war, sicherlich keine unmögliche. Dennoch sagte mir ihre Wahl auch, dass ich an sie wohl einen anderen Maßstab würde anlegen müssen als an alle anderen Frauen, mit denen ich bisher zu tun gehabt hatte. Manche waren einfach strukturiert gewesen - manche wünschten sich etwas und bekamen es, oder aber man hatte mit einer empfindlichen Szene zu rechnen. Andere wünschten sich etwas, schafften es aber geschickt, einem diesen Gedanken unterzujubeln, dass man glaubte, es sei ein eigener gewesen und schließlich gab man mit Freuden etwas, das man vielleicht unter anderen Umständen eher mit rationalen Erwägungen angegangen wäre. Manche Frauen schienen mir in einem Mann gar ein probates Mittel zu sehen, sich nicht langweilen zu müssen, Geschenke zu erhalten, umschwärmt zu werden und letztendlich auch körperlich befriedigt, ohne selbst ein Mindestmaß an Interesse am Wohl desjenigen aufbringen zu müssen, der sich für sie krumm legte - aber Prisca schien mir von wohlgefälliger Aufmerksamkeit, ohne gelangweilt zu wirken (die Götter allein mochten wissen, ob sie sich gut mit mir unterhielt, ich konnte dies schließlich nur hoffen), von freundlichem Wesen und intelligenter Natur. Dass sie zudem hübsch und verlockend von Gestalt war, machte die Sache eher schwieriger als leichter.


    "In Rom wird sehr viel Wert auf den Kult der Fortuna gelegt, in sofern ist dies eine Entscheidung, die sicherlich nur zum Besten der Stadt getroffen ist," erwiederte ich nach einer fast ewig erscheinenden Weile, in der auf meiner Hand noch das Echo ihrer Berührung nachprickelte.
    "Auch wenn ich bezweifle, dass die Göttin Dir einen Blick in die Zukunft gestatten wird, dürfte sie doch eine ihrer Dienerinnen wohlwollend begleiten, und was kann man sich schon mehr wünschen als ein wenig Glück bei allen schweren und mühseligen Dingen des Alltags, zudem noch etwas Glück bei den schönen Ereignissen? Im Grunde gibt es kein besseres Argument, als das Interesse eines Mannes noch mehr entflammen zu lassen als es dies schon ist, wenn nicht die Aussicht auf eine von Fortuna gesegnete Frau an seiner Seite," dass ich hier nicht zuletzt auch von mir sprach, würde ihr wahrscheinlich schnell auffallen, und um nicht zu aufdringlich zu wirken, fügte ich schnell an:
    "Dass Du jenen beistehen möchtest, die es vielleicht schlechter getroffen haben, finde ich ein sehr ehrenwertes und unterstützenswertes Ziel, zu wenige junge Frauen heute sind bereit, über ihr eigenes Wohl hinaus zu blicken, Du könntest gewiss der ein oder anderen Patrizierin ein gutes Beispiel geben."


    Ich tröstete mich mit einigen weiteren Oliven, achtete aber peinlich genau darauf, dass sich unsere Hände nicht berührten - dass sie so viel Vergnügen an den Spielen zu finden schien, war etwas erschreckend, denn ich selbst mochte diese nicht unbedingt und sah schon einer ehelichen Zwangsgemeinschaft entgegen, in der ich mir Bücher mitnehmen musste, um nicht vor Langeweile und Überdruß über das öde Abschlachten in der Arena zu vergehen. Aber sollte ich höhere Ränge erreichen, wäre es sicher nicht schlecht, mit einer Frau gesehen zu werden, die an derlei Dingen Spaß hatte ...
    "Die Wagenrennen sind mit noch das spannendste unter all den vielfältigen Möglichkeiten der Arena," sagte ich langsam und machte mich mit dem Gedanken bekannt, dass sie eventuell eine Anhängerin halbnackter Gladiatorenkämpfe war. "Ich spiele mit dem Gedanken, mich einer factio anzuschließen, aber dies wäre nichts, was ich ohne meine Gemahlin tun wollte, letztendlich ist sie doch auch diejenige, die eine solche Leidenschaft würde ertragen müssen, und da sollte man sich zumindest über die Richtung einig sein." Bisher hatte mich noch keine der factiones übermäßig gereizt, vielleicht hatte sie auch einen Favoriten, sodass ich gar nicht in die Verlegenheit einer mühseligen Suche kommen würde.


    Ihr unvermittelt leidenschaftlicher Blick ließ mich zusammenzucken und ich war mir sicher, dass ihre Gedanken sich auch in eine Richtung verirrt hatten, die mir, seit wir uns das erste Mal berührt hatten, nicht fern gewesen war. "Spazierengehen ... ja das klingt gut," antwortete ich auf ihre Frage. Wenn wir noch lange alleine in diesem Zelt bleiben würden, wüsste ich ohnehin nicht mehr, wie ich den Gedanken entkommen sollte, die mich bei ihrem Anblick beschlichen. "Ein paar Schritte werden uns sicherlich zerstreuen." Vor allem mich!
    Damit erhob ich mich und bot ihr den Arm, damit sie sich nicht abstützen musste, wenn sie von der cline aufstand, um sie dann zum Zelteingang zu führen, hinter dem uns eine frische Meeresbrise erwartete, die so nach Salz und Luft schmeckte, dass mir das Herz schneller schlug. Jetzt mit einem Boot hinausfahren, Fische fangen ... das Caius-Selbst, das einmal ein Fischer gewesen war, existierte noch immer und es wollte vor allem in Momenten wie diesen wieder frei leben. Würde ich ihr das jemals erzählen können, ohne fürchten zu müssen, sie hielte mich für weniger als ich es war? Es war nun einmal keine Geschichte, mit der man bei einer wohlerzogenen Patrizierin hausieren ging.

    "Wir werden Zeit genug haben, alles anzusehen, was Du nur sehen möchtest," sagte ich und schmunzelte insgeheim. Sie wäre wohl auch kaum eine richtige Frau gewesen, hätte sie sich nicht an den Dingen erfreuen können, die es dort zu kaufen gab. So entwarf ich mir vor meinem inneren Auge einen kleinen Schlachtplan für den heutigen Tag - ich würde in Ostia zuerst meine Amtsangelegenheiten erledigen, soweit es mir möglich war, und dann nach einem Bummel über den Markt etwas zu Essen kaufen, das wir dann außerhalb der Stadt genießen konnten. Kein anspruchsvolles Programm, aber sicher doch ein sehr angenehmes, wie ich hoffte, und es würde uns beiden eine gewisse Entspannung gestatten.
    "Lass uns ein wenig Pause machen, und langsam könnte ich auch das ein oder andere Frühstück vertragen," sagte ich, als das Gasthaus nicht mehr nur als vager Umriss zu erkennen war, hoffend, sie würde Bescheid sagen, wenn sie nichts zu essen um sich herum ertragen würde (wie es so mancher Schwangeren schließlich häufiger erging). Wir lenkten die Pferde, als wir das weiß verputzte und recht ordentlich wirkende Gebäude erreicht hatten, auf den Hof, wo ein Stallsklave die Zügel der Tiere entgegen nahm und sie zur Tränke führte, während ich Bridhe leicht am Arm berührte und sie, nicht ganz wie ein Gefährte, aber doch wie ein Freund, in das Innere des Gasthofs geleitete.


    Der kleine Raum war schon gut mit Reisenden belegt, aber es gelang uns, einen freien Tisch zu finden, der zudem sauber geschrubbt aussah - die Wände hatten zwar hie und da eine Spinnenwebe in der Ecke, aber ansonsten machte die Räumlichkeit einen sauberen und gepflegten Eindruck, wenngleich natürlich die vielen Gäste einige Spuren hinterlassen hatten. Die Holzmöbel waren abgenutzt, doch noch gut erhalten, und ich war nicht unzufrieden mit der Entscheidung, hier einzukehren, denn die anderen Anwesenden aßen mit gutem Appetit, was mir die Hoffnung auf ein gutes Frühstück erfüllte.
    "Was willst Du essen?" fragte ich und winkte mit einer Hand einen dickbäuchigen Schankkellner heran, dessen grüne tunica schon einige Male zu oft gewaschen worden war und etwas streifig wirkte.
    "Also wir hab'n frisches Brot, Eier, 'n paar Sort'n Obst, wenn'de Milch willst, die hab'n wir auch," zählte der Kellner auch schon eifrig auf und blickte Bridhe erwartungsvoll an.