Mit Einbruch der zehnten Stunde mußten die Vorbereitungen abgeschlossen sein. Meine Hand glitt ein letztes Mal über die Opferteller. Sie waren gereinigt und mit dem heiligen Wasser geweiht worden. Nun standen sie für das Festmahl der Fides bereit. Während wir Opferhelfer uns umzogen, begann man im Tal vor dem kapitolischen Hügel den gedeckten Wagen zu bespannen. Wenig später bestiegen die Flamines das Gespann. Der Flamen Dialis begab sich im Zustand cotidie feriatus (täglich festlich) darauf. In seiner Tracht, der weißen doppelt gefaltete Toga mit Bronzespange und einer weißen Kappe. Während die Pozessionsordnung hergestellt wurde, eilten auch wir, die Opferhelfer hinunter, um als Laufgarde am Zug teilzunehmen.
Alles war vorbereitet. Die Bullen festlich geschmückt mit Blumen und Weidenkränzen. Die Flamines wurden nun durch ein weißes Tuch verdeckt, denn die Prozession würde auch durch Handwerker Viertel ziehen und den Flames war es an diesen wie an allen anderen Feiertagen nicht erlaubt der Arbeit anderer zuzusehen. Nachdem der Zug auch die Blumenmädchen aufgenommen hatte, begann er sich in Bewegung zu setzten. Nymphen stellten ihre Stimmen im Gesang vor, Priester und Opferdiener stimmten ein. Der Wagen wurde durch zwei Knechte gelenkt. Langsam schob sich die Prozession die engen Straßen zum Kapitol hinauf. Mit sanften Händen verstreuten die Mädchen saftig, wohlriechende Blüten vor die Zugtiere auf die Steinplatten der Straße.
Und mit den Windungen der Gasse vermehrte sich auch der Zulauf jener die dem Opfer auf dem kapitolischen Hügel beiwohnen wollten. Als der Wagen abrupt stoppte und an Holzstecken befestigte Tücher den Vorplatz einhüllten. Erst als jener Sichtschutz vollständig war, wurden die Vorhänge des Wagens geöffnet und die Flamines betraten den Opferplatz.
Die Gesänge waren in ein leises Murmeln übergegangen was beim Erheben der rechten Hand des Flamen Dialis verstummte. Sie glitt zurück nach unten und wurde nun durch die sanften Hände seiner Gattin in ein weißes Tuch gehüllt. An seinen Enden war dieses durch zwei Schlaufen nun befestigt und jener Priester erhob die rechte Hand zum Schwur.
So glitt er bis an die Anfänge des Altars und verkündete die Treue des römischen Volkes.
Mit einem Unterbau aus Weidenstecken und fürstlich geschmückter Blumenkränze trug man nun die Figur der Fides an den Opferplatz. Mit eingestimmten Liedern wurde sie empfangen und neben dem Altar abgesetzt. Feinste Düfte erfüllten die Luft, als Weihrauchstäbchen und Duftflakons gefüllt mit edlen Gerüchen aus Myrrhe, Mohn, Lilie, Lorbeer, Rose, Safran, Zyperngras, Minze und Lavendel der Fides dargebracht wurden.
Ich stand nun unweit der Leckerein die Fides heute zum Opfern bekam und die linke Hand des Flamen Dialis führte bei der weiterhin zum Schwur gehaltenen rechten Hand die Bitte vor aufzutafeln. So begann unsere Vorführung und wir trugen Köstlichkeiten auf. Zuerst den obligatorischen Opferkuchen, welcher in vielen Geschmacksrichtungen auf dem Altar präsentiert wurde, dazu edle Trauben, saftiges Obst, herzhafte Oliven, Gebäck und Süßspeisen. Die Worte des Flamen erhellten den Platz, als wir unsere Häupter senkten und das Opfer dargebracht wurde.
„Fides Publica Populi Romani erweise uns die Gunst deiner Aufmerksamkeit, dies ist dein Tag und wir wollen nicht eher ruhen, bis der letzte Erdenbewohner dir die Treue geschworen hat.“
Einige Kopien völkerrechtlicher Verträge wurden dem Altar beigefügt.
„Fides erhöre unsere Worte und steige herab, um mit uns zu speisen. Der Tisch ist gedeckt und wir geben uns in vollster Demut deinem Urteil hin.“
Stark riechender, unverdünnter Wein wurde den Gaben zugefügt. Dann folgte der Tropfen aus einer dunklen Amphore , der sich schwermütig über die Opfergaben verteilte und für ein reibungsloses Opfer sorgen würde.
Mit weiteren Worten an die Fides Publica Populi Romani vollführte der Flamen Dialis das Opfergebet und im Zeichen des linken Handschlages begannen die Murmelgesänge, bis sie zu einem exstatischen Wehen der Worte angeschwollen waren. Nun begann sich die Lunte zu senken und die Opfergaben schwebten im Rauch des Feuers empor. Die Gesänge wurden mit Instrumenten wie Rasseln und Trommeln begleitet. Tänzer führten die Bewegung der Glieder auf und wir Priester murmelten Gebete zu Ehren der Fides.
Als mit einem Schlag Musik und Gesänge verstummten und die Schwurhand des Flamen Dialis nach unten schnellte. Sein Haupt senkte sich vor den verkohlten Resten des Opfermahls und seine leise gesprochenen Gebete wurden im Reigen der Priester Fürsprachen aufgenommen. Erneut steckte man Weihrauchstäbchen an und führte im Anschluss die Gestalt der Fides zurück in ihr Heim. Blumenblüten und feine Gerüche begleiteten jenen Weg. Das Opfer war damit beendet. Die Gebete würden jedoch erst verhallen, wenn das letzten Glimmen des Mahles erloschen war.