Es ist immer wieder interessant, monotheistisch geprägten Menschen bei dem Versuch zuzuschauen, politheistische "Religionen" zu verstehen.
Monotheisten haben immer das "Problem", dass es nur einen Gott gibt. Jeder andere Gott und jede andere Art der Anbetung von Göttern ist ihrem Verständnis nach eine andere Religion.
Deshalb ist der logische Schluss aus der Sicht eines Monotheisten meistens: Griechische Religion und Römische Religion sind etwas anderes.
Ein antiker Polytheist sieht das anders: Die Welt ist bewohnt von einer Unzahl mythischer Wesen, Gestalten und Götter.
Der Polytheist ehrt die Götter (er betet sie grundsätzlich mal nicht an, da er ihnen zwar durch ihre überirdischen Kräfte ausgesetzt, sein eigener Geist ihnen aber ähnlich und in gewissen Sinne ebenbürtig ist!) auf die Art und Weise, wie es in seinen Kulturkreis verlangt wird.
Dann wird ein anderes Volk entdeckt. Durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und/oder die Unterwerfung des anderen Volkes stellt man fest, dass diese andere Götter anbeten. Während ein Monotheist versuchen würde, die Heiden zu bekehren, denkt sich der Polytheist entweder: "Nehmen wir sie in unser Pantheon auf, da ist ja noch genug Platz." oder "Hmm... Eigentlich verhält sich dieser Amon wie unser Zeus/Jupiter etc. Gut, die beten ihn anders an, aber er ist eigentlich derselbe." Oft geschieht beides vermischt und ein wahres Kuddelmuddel entsteht, z.B. "Dieser Gott hat Eigenschaften von Zeus, Apoll und Herakles. Also ist er gleichbedeutend mit Zeus/Apollon/Herakles." oder "Sarapis ist eigentlich ein viel tollerer Zeus als Zeus. Machen wir ihn doch zu unserem Hauptgott!"
Diese Herangehensweise nennt die Altertumswissenschaft interpretatio. Götter werden verglichen, erweitert, getrennt, gesammelt etc. pp. Die gleiche Vorgehensweise betrifft auch den Kontakt mit Monotheisten. Die Juden beteten nach Verständnis der Römer Jupiter an und die Christen Sarapis. Deshalb auch das Unverständnis, warum die Juden ein Problem damit hatten, dass ihr Tempel mit einer Zeusstatue versehen wurde (was eigentlich ein Zeichen guten Willens war, aber dann einen Krieg heraufbeschwor). Ähnliches Missverständnis betrifft die Christen. "Sie verehren Sarapis, aber weigern sich, seinen Sohn, den Kaiser, anzuerkennen und behaupten stattdessen, dass so ein Jesus sein Sohn sein soll. Ergo bezweifeln sie die Legitimität des Kaisers." Das Problem findet sich noch bei Kaiser Konstantin, der den Christengott für eine andere Spielweise von Sol Invictus hielt und die Kirche als dessen Priesterschaft. Dass der Christusgott die anderen Religionen nicht tolerieren konnte und auf kurz oder lang auslöschen musste, konnte er nicht verstehen.
Lange Rede, kurzer Sinn: Den Römern/Griechen/Ägyptern/Persern/Indern/Chinesen/Inka/Maya war/ist es im Grunde genommen sch****egal, welcher Gott wie verehrt wurde. Wer ein anschauliches Beispiel funktionierender Polytheismen haben will, fahre nach Indien oder China und schaue sich einmal da den Gottesdienst an. Die Chinesen z.b. (da kann ich zumindest aus Erfahrung reden) gehen mal zum Taoistischen, mal zum Lama-Buddhistischen, mal zum Konfuzianischen Tempel und reichen den jeweiligen Göttern ihre Opfer da. Auf dem Familienschrein steht neben den Kaisern des Himmels und dem Glücksbuddha zur Sicherheit auch noch eine Mao-Büste. So in ungefähr hat man sich das auch in der antiken Welt vorzustellen.