Beiträge von Quintus Tullius

    Und das Wasser beruhigte sich abermalig, die feinen Ringe glätteten sich, es schien als ob sich nichts zugetragen hätte. Gleichwohl war sich Quintus Tullius dessen nicht sonderlich sicher. Seine Stirn war im Misstrauen und seiner wachsenden Verwirrung mit einigen Runzeln verworfen, ohne den Abschiedsgruss zu erwidern sah er dem blonden Mann hinter her. Prüfend betrachtete er die kupfernen Münzen in seiner Hand, der Kaiser schaute ihm, mit dem scharf abzeichnenden Profil, entgegen, nichts Auffälliges. Mehr mechanisch, denn bewusst wandte sich Tullius dem nächsten Käufer zu.
    Zeitig hatte sich die Dämmerung über die Stadt gelegt, das Leben wurde in den Geschäften lahmer und erstarb stetsfort, langsam und dem trägen dahin fließenden Tiber gleichend und weniger dem schnellen Todeskampf der Schweine in der Fleischerei. Es war vielleicht die Begegnung im Laden am Nachmittag, die Tullius länger als nötig in der Fleischerei hielt. Nachdenklich verrichtete er die anfallende Arbeit, ein Mann nach dem Anderen entschwand aus dem Schlachthof und allweil von einer seltsamen Stille bereitete sich lastend in dem Innenhof aus, nur unterbrochen vom dem Pochen des Hackbeils, den Tullius immer wieder auf einige Knochenreste heruntersausen ließ. Einem dumpfen Echo ähnelnd hallten die Schritte an seine Ohren. „Mach Schluss für heute!“ Tullius löste sich von dem Anblick der vielen kleinen Knochensplitter um seine Hand herum, sie schienen denen von Menschen nicht sehr unähnlich zu sein, und wischte mit einem Stück Leder das Beil sauber. Mit seinem kantigen Kinn deutete der Fleischer auf einige Fleischreste. „Nimm die für Deine hübsche Mutter mit. Sie kann sicherlich noch eine ordentliche Fleischbrühe daraus kochen.“ Ein schmieriges Lächeln breitete sich in dessen Gesicht aus. „Sag ihr auch, dass ich sie nächste Woche mal besuchen komme.“ Tullius, der gerade nach dem Fleisch greifen wollte, erstarrte. Seine Lippen pressten sich zu einer schmalen Linie zusammen.
    “Was hast Du gesagt?“
    Verächtlich schnaubend stemmte der Fleischer seine Fäuste in seine Seite und seine Lippen verzogen sich zu einem höhnischen Lächeln. „Ich seh’ schon, mit Dir ist nichts anzufangen. Nimm das Fleisch und lass Dich morgen hier nicht mehr sehen. Deiner Mutter zuliebe habe ich Dich eingestellt, aber so ein Stück Aas wie Dich kann ich hier nicht gebrauchen. Verschwinde.“ Kopfschüttelnd wandte sich der Fleischer ab. „Da will man was Gutes tun und beständig wird man enttäuscht…“ murmelte er selbstgefällig.
    Ein Röcheln entglitt seiner Kehle, mit aufgerissenen Augen sank er langsam gen Boden und fiel wie ein nasser Sack auf die Schlachtreste des Tages und sein lebloses Gesicht bettete sich auf das verkrustete Blut. Ein Hackbeil steckte in seinem Rücken, Tullius sah kalt auf ihn hinab, seine Nasenflügel bebten und doch war dies die einzige Gefühlswallung, die an ihm zu erkennen war. Die Ladenglocken läuteten hell, Tullius spannte sich an und griff nach dem nächsten Fleischerhacken, schlürfende Schritte näherten sich.
    „Du…!“
    „Du warst spät dran, deswegen wollte ich…Ist er tot?“
    „Ja! Komm, es gilt Spuren zu verwischen. Mir strebt es nicht danach, die Vigilen oder Urbanae an meinen Fersen zu wissen.“
    Sein Amicus verzog das Gesicht unwillig und sah auf den toten Fleischer hinab.

    Hortalus, vielleicht hatte er bereits seine Spur gewittert, wie ein Jagdhund die eines leichten Opfers. Unwillkürlich resümierte Tullius die letzten Momente des Kampfes zwischen dem Trierarchius und ihm. Das tiefe Grollen des Meeres rauschte an seinen Ohren vorbei, das Schwanken der unbändigen Wellen wollte ihn von den Füßen und ihn in die Fluten Neptuns reißen. Als sich das Schwert, hinwieder nur in Gedanken, sich in seine Seite bohrte, war der Schmerz einem Echo gleichend an seinen Rippen zu spüren. Tullius atmete tief ein, unterdrückte den Impuls das Messer in die Kehle des Mannes zu stoßen. Dass Hortalus ihm bereits auf der Spur sein konnte, erschien Tullius wie ein Wunder, wähnte er sich doch in Urbs Aeternae sicherer als in einem Fischerdorf im Süden Italias. Doch sollte der Mann von Hortalus geschickt sein, er würde keinen Schritt aus diesem Laden mehr machen können. Tullius' Mundwinkel zuckte verächtlich.
    „So, mich suchst Du also?“
    Seine Schulter zuckte unter dem stummen Gelächter, was seine Lippen nicht erreichte. Eine Hand griff nach einem blutigroten Fleischstück und sein Messer bohrte sich tief in die Fasern hinein, zerteilte das Fleisch.
    „Vielleicht bist Du immer noch auf der falschen Spur.“
    Tullius legte das Stück Fleisch auf ein grobes Stück Leinen und faltete es zu einem kleinen Ballen. Mit verschlossenem Gesichtausdruck schob Tullius das Bündel zu Sciurus und stützte sich mit seinen Ellbogen auf dem Holz vor sich ab.
    „Das sind 5 Sesterzen für das Fleisch. Entweder Du zahlst und gehst oder Du sagst mir augenblicklich, was Du von mir willst und wer Dich geschickt hat.“
    Gleichwohl Tullius lässig wirkte in seiner Haltung, war er doch zum Äußersten angespannt. Würde nur eine Andeutung zu seinem früheren Leben, zu seinem Piratenleben, kommen, dann wusste er, dass ihn Hortalus entdeckt hatte, wenn auch nur durch einen seiner Mannen. Seine Finger spürten das Messer vertraut an seiner rauen Haut, was er im selbigen Moment in den Mann vor ihn stossen, wenn er das Falsche von sich geben würde.

    Wenn ein Stein in den Fluss fällt, dann erschüttert er die glatte Oberfläche, das Wasser kräuselt sich zu kleinen Ringen und verebbt nach wenigen Atemzügen abermalig, hinterlässt ein makelloses und spiegelglattes Äußeres. Doch derjenige, der den Stein geworfen hatte, wusste, dass tief am Grunde des Flusses jener Stein ruhte. Der Fluss war nicht mehr derselbe, das Leben hatte sich verändert. Nur ein kleiner Stein vermochte dies zu ändern, brachte alles in Bewegung. Und nun war ein Stein gefallen.
    Stetig drangen die Geräusche vom Innenhof des Schlachters bis nach vorne, die sterbenden Laute der Tiere, das Schlagen der Beile, das Murmeln der Männer. Tullius sah auf den Mann vor sich und seine Augenbraue wölbte sich nach oben. Die erste Regung war Tullius nicht entgangen, der Mann schien ihn von irgendwo her zu kennen. In seinen Gedanken suchte Tullius geschwind nach einer Koinzidenz, wo er jenem Manne womöglich schon begegnet war. Auf einem Schiff auf dem hohen Meer konnte es nicht gewesen sein, ebenso wenig in der Subura, jedenfalls so sich Tullius an eine Begegnung entsinnen konnte, aber auch nicht in der Classis. Ingleichen sah Tullius zu dem Fleischermesser, seine Lippen kräuselten sich zu einem feinen Lächeln. Ehe der Mann vor ihm noch auf einen falschen Einfall kam, ergriff Tullius den Griff und ließ jenes scharfe Werkzeug zwischen seinen Fingern spielen.
    Tullius Augen blieben unverwandt auf den blauen Augen des Sklaven vor sich haften, dünkten als ob sie sich einen Weg tief in die Seele des Mannes brennen wollten. Es war schwer zu erfassen, doch etwas an diesem Zusammentreffen missfiel ihm.
    „Dein Herr sucht einen besonderen Fleischer?“
    Ein feiner Schauer zog über seinen Nacken, Tullius hatte stets seinen Instinkten vertraut und das würde er auch hier so handhaben.
    „Dann bist Du im falschen Laden. Dies ist ein konventioneller Fleischer mit Schweine- und Rindfleisch im Angebot. Wenn Deinem Herren nach etwas Exotisches verlangt, such weiter.“
    Schon aus seiner Kindheit war Quintus Tullius mit dem kryptischen Sprachgebrauch mancher Menschen in der Subura vertraut. Tullius beugte sich etwas nach vorne und löste nicht einen Moment seinen Blick von dem Mann.
    „Und wenn Du einen ganz besonderen Fleischer suchst, dann bist Du genauso falsch hier. Denn der Fleischer ist zwar ein Mann, der dem Kaiser etliche Male die anfallenden Abgaben vorenthält, aber zu schlimmeren Freveltaten ist er nicht in der Lage. Ich nehme mal an, dass Du dies genau weißt. Also, was willst Du?“

    Dunkle Ombrage flossen sanft über das Forum Romanum hinweg. Ein Blitz zuckte über den rostfarbenen Himmel, ein Sacerdos hob sein Gesicht dem Äther zugewandt und schauderte fröstelnd, trat alsobald in den Tempel des Divus Iulius zurück, schloss die schweren Tore vor dem Rundaltar. Rhythmisch klackten die genagelten Caligae einer Abteilung der Cohortes als sie den Aktium Bogen durchquerten. An ganz anderer Stelle in der ewigen Stadt wären sie gebraucht worden, in einem Garten, ein dicklicher Mann sah starr gen Himmel, er lag auf dem Rücken und eine Gestalt, mit seinem Hab und Gut, huschte an ihm vorbei, verschwand hinter der Mauer dessen Anwesens. Eine Sklavin entdeckte ihren Herren, schrie laut. Vielleicht würde es ihr letzter Tag sein, denn der Dieb war ebenso ein Leibeigener.
    Das Messer bohrte sich tief in die Kehle, ein menschenähnlicher Laut löste sich von dem Getier und der Fleischer schnitt mit einem Ruck die Kehle des Schweines auf und teilte die Bauchdecke des Tieres. Seine lederne Schürze triefte vom Blut unzähliger Tiere, die er bereits an diesem Tag geschlachtet hatte. Grummelnd stieß er das Messer in einen hölzernen Block und überließ das Zerteilen seinen mehr oder minder willigen Handlangern. „Quintus? Ich hab mir Dir zu sprechen!“
    Tullius glasiger Blick, sein Arm steckte tief im Leib eines Schweines und entriss ihm mit einem Ruck die Gedärme, löste sich. Mit zusammengepressten Lippen warf er die Darmschlingen in das tönerne Becken mit lauwarmen Wasser und folgte dem Schlachter nach vorne. Der blieb dort ruhig stehen und sah, als einziger in der Fleischerei, Tullius unerschrocken entgegen.
    „Lucius hat mir von Deiner Drohung erzählt. Was soll das?“
    Tullius atmete tief ein und aus. Wie sehr er es doch hasste, wie jener Fleischer es wagte mit ihm zu sprechen.
    „Er hat mich genervt. Glück für ihn, dass ich es nur bei einer Drohung belassen habe.“
    Verächtlich schnaubte der Fleischer und musterte Tullius mit seinen verquollenen blassgrünen Augen.
    „Glück für ihn? Pah, eher solltest Du Fortuna danken, Quintus. Spielst Dich auf wie ein kleiner Herrscher hier, dabei bist Du genauso wie alle Anderen ein Nichts aus der Gosse, den ich mit einem Fußtritt wieder dorthin befördern kann. Wäre Deine schöne Mutter nicht, ich hätte Dich auch nicht angestellt. Man sieht Dir doch Deine Faulheit am Leibe an. Noch mal so etwas und ich schmeiß Dich raus, Du siehst dann keine einzige Sesterze, hast Du mich verstanden?“
    Die Glöckchen der Ladentür läuteten silberhell. Der Fleischer deutete auf den Durchgang. „Geh und verkaufe wenigstens etwas Fleisch.“
    Schniefend wandte sich der Fleischer um und drängte sich zwischen den toten Leibern hindurch. Tullius sah ihm mit unverhohlenem Hass hinter her, seine Faust ballte sich zusammen und er hatte nicht übel Lust, das nächste Hackbeil zu ergreifen und dem Mann in den Körper zu stoßen.
    Tullius machte kehrt und sah auf seine blutigen Arme, stieß sie in das Becken mit Wasser, wusch sich grob das Blut von den Händen. Zartrosa schimmerten seine Arme als er die schmale Tür zum Laden durchquerte, seine erdbraune Tunika war mit rostroten Fäden durchwoben und an vielen Stellen mit Blut verklebt. Kühler Miene und völlig desinteressiert auch nur eine Unze Fleisch zu verkaufen, trat er an die hölzerne Ladentheke, stützte dort seine Hand ab und sah den Mann kalt an.
    “Was willst Du?“

    Graubraunes Gewölk streckte sich bleiern und wie eine schwere Decke über den Himmel, färbte die Stadt in ein trübes und rostfarbenes Licht. Die Sonne schien immer wieder gegen die Wolkenschleier ankämpfen zu wollen, obsiegte jedoch nicht. Düster klingelten die Glocken einiger Priester, die Weihrauch schwenkend durch die Strassen zogen, zwischen sich trugen sie wächserne, schwarze Masken, die Etruskisch anmuteten. Eine Gruppe junger Frauen lief die Strasse entlang, gefolgt von einer Heerschar von Sklaven. Ein junger Mann trug ächzend einen Sack auf dem Rücken durch die Strassen, lenkte seine Füße in Richtung der Subura und tauchte in die Gassen des Viertel der Armen und Besitzlosen. Mit seiner Schulter stieß er gegen einen bulligen Mann. „He, pass doch auf!“
    Eingezogenen Kopfes schritt der Mann schneller aus und trat auf einen Laden zu, mit einem Ächzen ließ er den Sack auf den Boden fallen. Das laute und schmerzhafte Quiecken eines Schweines ließ ihn schaudern, nur beiläufig warf er dem Schlachter nebenan einen Blick zu, verschwand dann mit dem Sack im Inneren des Hauses.
    Ein Schwall roten und heißen Blutes ergoss sich zu Tullius Füßen, umspülte seine ledernen Calcei und tränkte die Sohle mit dem metallsüßen Nass. Düster sah Tullius auf das mild schimmernde Blut hinab und biss die Zähne zusammen. Bis zu den Knöcheln im roten Lebenssaft zu stehen war keine neue Erfahrung von ihm, jedoch nie von Schweinen. Mit Wucht ließ er das Schlachterbeil auf das Stück Fleisch hinabsausen und zerhakte die Keule in zwei Anteile, ließ seine Wut über diesen äußerst deplorablen Abstieg an dem noch warmen Schweinefleisch aus. Erneut und abermals schlug er darauf ein, zerlegte es und warf die Fleischbrocken in einen dunkelbraunen, vom Blut verklebten, Korb.
    „Meine Frau sagt mir ständig, dass ich zu etwas Besseren geboren bin. Aber was will man denn schon anderes hier in der Subura finden? Meine Frau kommt aus einer Handwerkerfamilie, weißt Du, und will immer das Beste vom Besten haben. Ständig neue Tunicen, in die Thermen gehen und arbeiten will sie auch nicht. Dabei haben wir…“
    „Halt’s Maul!“Finster wandte sich Quintus Tullius zu seinem Nebenmann um, der die Lende von der fettigen Hautschwarte befreite und dabei auf Tullius einredete. Eisigkalt hatte Tullius seine Augen auf den Mann gerichtet und hielt das Hackbeil fest in seiner Hand.
    „Mich interessiert weder Deine Frau, noch die Umstände Deines wertlosen und unnützen Lebens. Noch ein Wort und ich hack Dir die Hand ab. Dann kannst Du Dich als Bettler verdingen. Verstanden?“
    Erstarrt sah der Mann Tullius an, wurde immer blasser und ließ hastig sein Fleischermesser fallen, verschwand taumelnd zwischen den halben Schweineleibern, die in dem großen Innenhof des Fleischers an eisernen Hacken aufgehängt waren. Nochmals ließ Tullius das Hackbeil auf das Fleisch herunter sausen und stellte sich vor, es wären die elenden Römer der Triere Ulpia.

    Die Nacht hatte ihre breiten Schwingen wie die eines schwarzen Raben über die ewige Stadt gelegt. Die Lichter der vielen, vielen tausend Menschen erstrahlten wie tausend Sterne aus den ausdruckslosen Augenhöhlen der Häuser. Aus dem Dach der Insula stoben einige Fledermäuse, die schon seit Jahren im Gebälk dieses Wohnhauses zu leben pflegten. Ein leichter Regenschauer ergoss sich über die Strassen, rann an der Fassade der Insula herunter und sammelte sich in den Gossen zu schmutzigen kleinen Bächen. Eine dunkle Gestalt huschte die Gasse entlang, ungesehen und unbemerkt. Ein junges Mädchen eilte durch den Innenhof und warf immer wieder ängstliche Blicke über ihren Rücken, in ihren Armen trug sie ein leise wimmerndes Bündel. Aus Furcht vor ihrem Vater würde sie ihr Kind heute Nacht noch aussetzen. Ein alter Mann schlürfte nur wenige Momente nach dem Mädchen denselben Weg, doch er wollte lediglich sich Erleichterung verschaffen.
    Ein Stockwerk weiter oben stöhnte Quintus Tullius leise auf als Laevinia behutsam den geblichrot verfärbten Verband von seiner Verwundung löste. Unzufrieden betrachtete sie sich die schlecht verheilende Wunde. „Verzeihung, werte Dame!“ Dardarshi trat heran und hielt in seiner Hand eine tönerne Schüssel mit einer Kräutertinktur. Tullius hob seinen Arm, damit Dardarshi besser an die Schwertwunde heran kam. Laevinia entfernte sich einige Schritt, strich mit ihren Fingern über den dunklen Holztisch neben den beiden Männern und sah stumm auf Tullius, woher er die Wunden hatte, wagte sie nicht zu fragen.
    „Ich habe mich ein wenig umgehört, Amicus. Aber die Subura ist fest in den Händen einiger Männer und so einer seltsamen Totengräbervereinigung. Man müsste sich erst reinarbeiten und deren Strukturen erfahren. Und das kostet Zeit. Außerdem….es ist….so entwürdigend. Nachdem…“
    Mit einem Blick auf seine Mutter verstummte Tullius abermals und holte tief Luft als der Parther die Wunde zu säubern begann. „Willst Du immer noch eine Bande übernehmen? Das ist doch nichts für uns Beide, mein Freund!“ erwiderte Dardarshi leise und sah konzentriert auf seine Arbeit. Tullius zuckte mit der Schulter und starrt auf die geschlossenen Fenster, eine Fledermaus streifte von außen daran entlang.
    „Entweder das oder wir werden in Rom nicht Fuß fassen können. Sollen wir etwa noch mal zur Classis zurück?“
    Heiser lachte Tullius und zuckte zusammen als der Schmerz durch seinen Körper raste. Was für eine blamable Situation war das doch. Noch vor wenigen Wochen befehligte er ein ganzes Schiff, jetzt konnte er sich nicht mal einen Falerner leisten. Und hier in Rom war es nun mal nicht sehr einfach mit dem Entwenden fremden Eigentums. „Ich….hätte eine Arbeit für Dich, Quintus.“, warf zögernd seine Mutter ein. Tullius sah von dem akribisch geputzten Holzboden auf und seine Augenbraue wölbte sich in die Höhe.
    „Ja?“
    Einen Moment zögerte Laevinia, ehe sie ihm den Vorschlag unterbreitete.
    „Der Schlachter am Ende der Gasse sucht noch einen Helfer…“

    Du singest Thebens Kriege,
    Und jener Trojas Schlachten,
    Ich meine Niederlagen.
    Kein Reiterheer, kein Fußvolk
    Schlägt mich, und keine Flotte.
    Ein andres Heer bekriegt mich-
    Aus jenem Augenpaare.


    Auf düsteren Schwingen schienen die Frauen in letzter Zeit das Pech zu Tullius zu tragen. Als eine leichte Beute erschien ihm die Frau, von dem möglichen Geschmeide unter ihrer Palla wollte Tullius sie befreien, ungeachtet er diese Übeltat auch nicht auf offener Strasse und mitten an Ort und Stelle vollführen wollte, eigentlich hätte er die junge Frau mit einigen galanten Worte, derer er sich noch überlegen wollte, einige Gassen weitergelockt. Jedoch dem sollte nicht so sein, vielleicht wollte Furrina ihm damit beweisen, dass das letzte Opfer schon allzu lange her war. Was für eine ständige Demütigung war sein Los zurzeit. Zeigte Tullius noch der Dame ein wohl gespieltes Lächeln, warf er dem Neuankömmling einen düsteren Blick zu. Kühl und vertraut spürte er seinen scharfen Dolch am Rücken. Eine schnelle Bewegung und er könnte dem Mann den Dolch in den Hals rammen, wie er das mit den Reisenden etliche Male auf fremden Handelschiffen auf offener See getan hatte. Seine Muskeln spannten sich schon an, sein Körper wollte die Tat schnell ausführen. Im selben Augenblick wurde Tullius gewahr, dass sich der Aufwand nicht lohnte, wenn es ihm auch wenigstens einen Moment der Befriedigung gegeben hätte. Der Atemzug verging, Tullius wandte sich zu Deandra, deutete eine Verbeugung an.
    „Da bin ich doch sehr erfreut, dass Du scheinbar doch nicht den rechten Pfad verlassen hast. Denn nur einige Strassen weiter beginnt die Subura. Und wer weiß, was eine Frau wie Dir dort alles passieren könnte?“
    Tullius wußte es ganz genau. Doch er hatte keine Lust noch länger seine Zeit an diesem Ort zu vertun. Und behilflich, wie der Fremde es auszudrücken pflegte, wollte Tullius wahrlich nicht sein.
    „Vale!“
    Beim Abwenden sah Tullius noch mal zu dem anderen Mann, in seinen Augen lag eine stumme und unausgesprochene Drohung: ‚Komm mir noch mal in die Quere und das nächste Mal geht es nicht so friedlich vonstatten.’
    Schlecht gelaunt wanderte Tullius weiter, ignorierte Beide nun, wenngleich er bei jeder falschen Bewegung des ihm Unbekannten sofort reagiert hätte. Seine Augen streiften nochmalig die Tonscherben, Geld für neuen Wein hatte er nicht. Was für ein mieser Abend. Tullius entschwand in der nächsten Gasse.

    Dunkle Wolken schoben sich langsam und träge im kühlen Wind vor den klaren schwarzen Nachthimmel. Nur das Sternenbild Bootes sah noch mit kleinen blinkenden Lichtern auf die römische Stadt hinab. Gierig schienen die Wolken ihre Fühler nach der schmalen Mondsichel auszustrecken, verschlangen den silbrigschimmernden Rand und schluckte das fahle Licht des Mondes. Schritte hallten durch die Strasse, langsam und unstet. Quintus Tullius blieb an einer Häuserecke stehen, hielt in seiner Hand eine Weinamphore fest umschlossen. So hatte er doch den festen Vorsatz gehabt sich heute Nacht zu betrinken und sinnlos auf die dunkle Oberfläche des Tibers zu starren. So lenkte er seine Schritte langsam in Richtung des Flusses und hatte schnell die Subura hinter sich gelassen. Seine Zähne knirschten leise als er sie fest aufeinander presste. Ein Stich raste durch seine Seite und er stöhnte leise auf, hielt sich an der Mauer einer Insula fest. Ein Nachtvogel schrie in der Nähe, Hass keimte in Quintus Tullius auf. Was für ein Abstieg. Vor nicht allzu flüchtiger Zeit war er noch Kapitän eines Schiffes gewesen, seine Kajüte voll mit Kisten von Gold und Silber. Und jetzt hatte er nicht mal eine Handvoll Sesterzen, nur jene, die er vor einigen Tagen, ähnlich einem elenden und dreckigen Strassenräuber, einem italischen Mann abgenommen hatte. Doch was sollte man machen, wenn das Schicksal es so schlecht mit einem Mann meinte?
    „Verflucht sollst Du sein, Lucilla!“, grollte Tullius und starrte auf die dunkle Gasse vor sich.
    Und dann schien die Nacht und die Götter einen Streich mit seinen Augen zu spielen. Vor ihm schritt eine Frau entlang, ihre Palla flatterte federleicht im Wind, ihre dunklen Haare umrahmten ihr Gesicht, was er nicht zu erkennen vermochte. Einer derLemuren gleichend schien Lucilla ihn zu verfolgen. Tullius Faust ballte sich fest um den Hals der Amphore und der Ton brach. Der Wein ergoss sich zu seinen Füßen und die Scherben fielen um ihn herum auf den steinernen Boden. Dieses Mal würde er nicht lange zögern, er würde sie töten. Tullius löste sich aus dem Schatten der Mauer und trat auf die Gasse. Seine Hand griff nach dem Dolch an seinem Gürtel als ihm im letzten Moment sein Irrtum bewusst wurde. Es war nicht Lucilla vor ihm, sondern eine fremde Frau. Alleine, auf den düsteren Strassen Roms und gut gekleidet. Verwundert wölbte sich die Augenbraue von Tullius in die Höhe. Seine, für Reichtum geschulten, Augen wanderten an Deandra hinauf und hinab, erblickten ihre Schuhe und seine Konsternation wuchs, auf seinem Gesicht breitete sich ein wölfisches Lächeln aus.
    “Salve!“
    Wie töricht war eine Frau ihres Standes nachts alleine durch die Strassen zu laufen, das gehörte schon bestraft.
    „Hast Du Dich verirrt, wenn ich fragen darf? Mir dünkt, eine junge Frau sollte doch nicht alleine auf den Strassen herum irren.“

    Roma- DCCCLVII A.U.C. (104 Anno Domini) Der Regen ergoss sich in breiten Strömen auf die Pflastersteine in Rom, sammelte sich zu trüben Bächen und versickerte in den Untiefen der ausgeklügelten Cloaca, um sich in einem großen braunen, morastigen Strom im Tiber zu ergießen. Ein einsamer Wagen polterte früh morgens durch die Strassen, die Regenschlieren wurden von dem Ochsengespann zerrissen und schlossen sich hinter dem Wagen abermals. Zwei Gestalten hockten auf der Laderampe, hatten eine grobe Decke um sich gelegt. Ungleicher konnten die Beiden nicht erscheinen. Einer war klein gewachsen, hatte eine vernarbte Gesichtshälfte, melancholisch vor sich hin starrend, sein Körper wirkte monströs deformiert, der Andere überragte den Ersten um ein gutes Stück, hatte einen dunklen Dreitagebart und einen finsteren Gesichtsausdruck.
    Missgelaunt betrachtete Tullius die Straßenzüge der Subura, die ihm nicht unvertraut waren. Er erkannte jeden Winkel, jede Gasse wieder, die fast sein ganzes Leben geprägt hatte. Der Ochsenkarren hielt, ein dicker Mann drehte sich nach hinten um. „Weiter fahr’ ich nicht hinein, Du da. Den Rest müsst ihr schon laufen!“ Tullius Augen waren düster umschattet, er neigte den Kopf und stieg vom Wagen herunter, sein Amicus folgte ihm.
    Schmerz zuckte über Tullius Gesicht als er sein Bein mit Gewicht belastete, die Stichwunde des Trierarchius brannte immer noch höllisch. Keine Schwäche zeigen. Nicht hier in der Subura, wo die Augen der Bewohner einen Mann von jedem Fenster, jeder Gasse und Straße belauerte.
    „Das wird er mir noch büssen!“
    Das Plätschern des Regens übertönte seine leise daher gesprochenen Worte. Humpelnd und langsam schlug sich Tullius mit seinem parthischen Freund in die nächste Gasse.
    Eine Insula, der Regen legte sich wie ein feiner Dunstschleier auf die roten Schindeln, die ehemals weiße Fassade war schmutziggrau. Eine Tür, eine Hand klopft kräftig dagegen. „Moment!“ Schritte ehe die Tür sich öffnete. Eine Frau, dunkelhaarig und mit seinen Fältchen um ihre Augen, ebenso um ihren Mundwinkel, spähte nach draußen. Überrascht riss sie die Augen auf. „Quintus? Du…lebst noch?“
    Mit einer Hand hielt sich Tullius am Türrahmen abgestützt und sah die Frau, die auf die Fünzig zuging, düster an.
    “Das siehst Du doch. Darf ich reinkommen?“
    Unwillkürlich griff sich die Frau an die Brust, zögerte erst und nickte auf die Letzt. „Natürlich, komm rein.“
    Erst als Tullius in die kleine Insulawohnung hinein getreten war, sah die Frau den Parther und erschrak bei dessen monströsen Erscheinung. Tullius deutete auf seinen Amicus.
    „Das ist Dardarshi, ein Freund von mir. Darshi, das ist Laevinia, meine Mutter!“
    Dardarshi blinzelte ebenso verblüfft ebenso wie Tullius’ Mutter. Doch Dardarshi erinnerte sich schnell an seine Manieren und verbeugte sich vor Laevinia. „Werte Dame, es ist mir eine Freude, eine so wunderschöne Römerin kennen lernen zu dürfen.“ Laevinia nickte schwach und schloss hinter den Beiden die Tür.

    Wie rote Flammen züngelten die letzten Sonnenstrahlen über den Horizont, färbten den Himmel in ein blutigroten Farbton und dann ging die Sonne unter. Nur ein sanftes Glimmen in der Ferne war noch auszumachen, beharrlich fielen die weichen und samtigen Schneeflocken auf das Deck der Harpyia, legten sich zart streichelnd auf Lucillas dunkle Haare und auf Hortalus nach unten gebeugtes Haupt. Nachdenklich betrachtete der Trierarchus die sanft plätschernden Wellen. Seine Hände wurden ohne den Umhang etwas steifer in der Kälte der nahenden Nacht, so steckte er die goldene Opionpfeife langsam in seine Tasche zurück.
    „Vergeltung ist eine andere Form der Gerechtigkeit, die sich nicht mit dem herkömmlichen Maßstab beurteilen lässt. In manchen Situationen ist sie notwendig.“
    Hortalus verstummte und sah auf den königsblauen Nachthimmel, der immer mehr an Schwärze gewann und weitere Sterne offenbart.
    „Aber ich werde Deiner Bitte nachgeben, Decima. Der Meuterer wird erst in Ravenna sterben. In der Stadt wirst Du gewiss einen Sacerdos finden, der Dir behilflich sein wird.“
    Schritte näherten sich von Backbord aus. „Trierarchus? Der Zimmermann kann Meldung machen!“ Hortalus wandte sich vom Anblick des Meeres ab und sah zu dem Soldaten, nickte knapp. „Wir werden um Sicilia herumsegeln und an der Ostküste Italias bis nach Ravenna reisen. Aber wenn Du mich jetzt entschuldigst. Die Pflicht ruft. Solltest Du etwas benötigen, lass es mich wissen. Gute Nacht!“ Das Hinken war weniger zu sehen als er sich entfernte, aber das Opion schlug bereits an, der Schmerz war fast gänzlich entschwunden.


    Eine Nacht, lange Zeit nach diesem Abend. Die Ulpia hatte eine stete und gute Brise in den Segeln gehabt, kein erschreckender Sturm hatte sie in letzter Zeit in Atem gehalten und so war das Schiff um das italische Land herumgesegelt. Monoton, stets im gleichen Rhythmus, versahen die Soldaten ihren Dienst. Der noch junge Mond war bereits untergegangen, deshalb strahlten die Sterne von einem samtschwarzen Himmel, an denen sie erschienen, wie an verschiedener Höhe aufgehängt, mit einem beunruhigend roten Mars dazwischen. Die See strahlte eine eisige Kühle aus. Geisterhaft bewegten sich die bleichen Vordersegel, dazu die regelmäßigen Geräusche des lebendigen Schiffes: das leise Knarren der Blöcke, das Knirschen der belasteten Leinen und arbeitenden Spieren oder Planken, das Zischen, Gurgeln und Rauschen des Wassers. Sonst herrschte völlige Stille auf dem Schiff. Eine Gestalt schälte sich aus der Dunkelheit hinaus, spähte über das Deck und huschte an der Rehling entlang, schwer atmend und mit einem Rasseln bei jedem Atemzug.
    „Macht ein Beiboot klar. Ich bin gleich wieder da!“
    Die anderen Gestalten nickten und griffen nach der Plane eines Beibootes, nur eine Gestalt, eine Kleine, löste sich aus der Gruppe. „Was soll das?“ raunte sie. „Komm nicht auf dumme Gedanken, Quintus. Mit dem Kapitän kannst Du es in dem Zustand nicht aufnehmen. Der bringt Dich um!“ Taumelnd hielt sich Tullius an einem Tau fest.
    „Du hast Recht. Es ist jedoch etwas anderes. Warte hier.“
    Eine Kabinentür öffnet sich, langsam drängt sich Tullius durch die Tür und sog die Luft ein. Wölfisch lächelnd verzogen sich seine Lippen, wenngleich auch im gleichen Moment ein heftiger Schmerz durch seine Seite zog. Lautlos nährte er sich Lucilla und sank neben ihrem Lager auf die Knie, betrachtete aufmerksam ihre Silhouette. Der Dolch glitt zu Lucillas Kehle und verharrte ein wenig über ihrer Haut. Dann presste er seine Hand auf ihren Mund.
    „Still oder ich töte Dich!“ flüsterte er leise.
    Mit einem Seitenblick sah er zu Ambrosius, sollte er sich auf ihn stürzen wäre Lucilla bereits dahingeschieden. Sein Handballen glitt leicht über die Klinge, trotzdem hielt er weiterhin Lucillas Mund verschlossen. Einige Bluttropfen fielen auf Lucillas Wange herunter und benässten sie mit seinem warmen Lebensodem.
    „Du bist der Fluch, Lucilla. Du ganz alleine! Und wie mir scheint, ist unser Schicksal miteinander verbunden, dann soll es wohl so sein.“
    Angst! Er wollte sie mit der Angst und Sorge zurücklassen, die er ebenfalls empfunden hatte, wenngleich er sich das nie eingestehen würde. Raunend begann er zu sprechen, seine Kehle war noch ganz ausgedörrt und so klang seine Stimme heiser und kehlig.
    „Ich, Quintus Tullius, geboren aus dem Schoße einer Römerin rufe Euch, ihr Götter an, besiegelt unser Schicksal. Nona, spinne unsere Fäden beharrlich weiter, Decuma nimm die Fäden und schlinge sie ineinander, auf dass sie nie wieder gelöst werden können. Und Morta, trenne sie erst im Tode wieder auf, doch stirbt Einer, so stirbt auch der Andere. Dea Tacita, ereile den mit Deinem Atem und Deiner rächenden Hand, der es sich getraut sich dem Los des Schicksals entgegen zu stellen. Cacus verfolge den Frevler, der es wagt diesen Spruch zu zerstören. Ihr Götter, nehmt mein Blut als Pfand für mein Leben, was ich mit jedem Tropfen an das Leben von dieser Frau binde!“
    Immer mehr Blutstropfen glitten auf Lucillas Wangen.
    „Ein Laut, wenn ich gehe, und Du stirbst als Erstes. Denn am Kreuz will und werde ich nicht gebunden werden!“
    Seine Hand löste sich, ein kühles Lächeln glitt über seine Lippen und er stand auf, schnell verließ er wieder die Kabine, gab Lucilla keine Gelegenheit sich des Schicksalsspruches zu erwehren. In der Stille der Nacht verschwanden die Piraten, das kleine Beiboot ruderte auf das nahe liegende Land zu. Die ersten Alarmrufe ertönten auf dem Schiff, Tumulte brachen aus, doch die Piraten hatten vorgesorgt und auch die anderen Beiboote gelöst. So waren die Römer gezwungen, diese erst wieder einzufangen. Mittlerweile hatten die Piraten die Flucht ergriffen. Dennoch schickte Horatalus einen Trupp Soldaten hinter her. Die ganze restliche Nacht und die folgenden zwei Tage suchten die Männer nach den Piraten, doch die Erde schien sie verschluckt zu haben. Erst am dritten Tag gab Hortalus auf und setzte Segel, Richtung Ravenna.
    Einige Zeit später, Ravenna. Die Lagunenstadt lag im Glanze der weißen Wintersonne am Rande der Adria. Die Ulpia schiffte in den Hafen der Classis ein, Taue wurden an den Steg geworfen und der Trierarchius trat auf das Deck. Seit der Nacht, als die Piraten flohen, war sein Gesicht stets grimmig. Selbst als er Lucilla zum Abschied zunickte, sie sollte mit einigen Soldaten bis in die Stadt gebracht werden, wo weiter dafür gesorgt wurde, dass sie sicher nach Rom kam. „Es tut mir leid, dass ich versagt habe, Decima. Doch eines Tages, werde ich den Meuterer finden. Das schwöre ich bei allen Göttern! Doch mögen sie Dir eine sichere Reise nach Rom gewähren. Vale, Decima!“ Abrupt wandte sich Hortalus um, man konnte es als brüsk empfinden, aber Hortalus war tief beschämt, beschämt über seine Schande, die Verbrecher entkommen zu lassen.

    Sanft legten sich die weißen Schneeflocken auf den dunklen Mantel des Trierarchius, schmolzen binnen kurzem hinweg und kleine Wassertropfen perlten an dem schwarzen Stoff ab. Ein goldener Equesring blitzte im Schein des farbenprächtigen Sonnenuntergangs auf als Hortalus seine Opionpfeife absetzte und nochmalig einen Schwall von Würzigduftenden Rauch ausstieß. Ruhig und scheinbar abwesend betrachtete er die Facetten von den Tiefpurpur bis zu den Pastellorangen Strahlen der Sonnenscheibe. Seine Zähne klackten leise auf dem Metall der Pfeife, er sog einen Zug tief in seinen Mund hinein, unter seinen Füßen rauschte das Meer, das Holz knarrte leise und stetig trieb das Schiff durch die ruhige See, die sich von ihrer lieblicheren Seite zeigen wollte als noch in der vergangenen Nacht. Schweigend sah er über das Meer und zeigte keine Reaktion, ob er Lucilla Worte vernommen hatte oder etwas darauf erwidern wollte. Schließlich sank doch die Pfeife herunter und seine graublauen Augen richteten sich kühl auf Lucilla. Einige Atemzüge lang musterte der ältliche Mann, dessen Schläfen und Augenbrauen graumeliert waren und sein Gesicht von Falten und dem Alter gezeichnet waren, Lucilla. Erst dann verzogen sich seine Mundwinkel zu einem andeutungsweisen Lächeln. „Es war mir eine innere Genugtuung, diese Meuterer und Mörder endlich zu fassen. Dass Deine Rettung dabei erfolgte, ist eine glückliche Fügung der Götter gewesen, Decima.“
    Kleine Grübchen bildeten sich an seinen Wangen als seine Mundwinkel stärker zuckten, seine Augen wanderten zurück zu dem Farbenmeer und der immer dunkler werdenden See. „Meine Amme pflegte mir stets von allerlei schauerlichen Geschichten zu erzählen. Einst erzählte sie mir von dem Schicksal eines Mannes, der den Tod seines Blutsverwandten nicht zu rächen vermochte. Die Furien ereilten ihn und verhängten die Strafe des Wahnsinns über ihn, verfluchten ihn für seine mangelnde Loyalität gegenüber seiner Familie. Deine Forderung stellt mich vor eine schwierigen Wahl!“
    Er verstummte und sog nochmalig von seiner goldenen Pfeife, spielerisch ließ er den Rauch in kleinen Kringeln aus seinem Mund entweichen und seufzte leise. „Töte ich ihn nicht, so könnten die Furien mich bestrafen. Immerhin ist der Meuterer dort unten der Mörder meines Bruders. Töte ich ihn doch, dann wird Dich ein Fluch ereilen, den Du selbst scheinbar ausgesprochen hast, Decima!“
    Mit einer herrischen Geste winkte er einen Römer heran, der einige Fuß entfernt stand und von der Unterhaltung scheinbar nichts mitbekam. „Setz den Kurs nördlicher, wir wollen doch nicht an die Küste Afrikas stoßen. Und schick mir den Zimmermann nach oben, ich will unverzüglich den Bericht über die Schäden erhalten!“ Der Soldat nickte eifrig, salutierte und warf Lucilla nur einen schnellen neugierigen Blick zu ehe er aus der Sicht verschwand.
    „Wir könnten uns natürlich auch darauf einigen, dass wohl beide schlimme Szenarien niemals eintreffen werden. Kein Fluch würde uns ereilen und wir täten das, was unsere Pflicht als Römer wäre. Die Welt von einem bösen Mann befreien, der Menschen ermordet hat und es weiter tun würde.“
    Mit einem entschlossenen Klacken schlug er die Pfeife gegen die Rehling und leerte das feine silbergoldene Pfeifenköpfchen von den Resten der Hanfopionmischung, die in die See fiel und von ihr verschluckt wurde.
    „Die Meuterer und Piraten werden, sobald wir die italische Küste erreichen, an Land gekreuzigt werden. Und eigentlich hatte ich vor, dem Meuterer und Mörder alle Glieder vorher zertrümmern zu lassen. Als Sühne für seine schrecklichen Taten soll er einen genauso schrecklichen Tod erleben.“
    Das Ziehen an seinem Fuß und das grausame Stechen, was ihn manchmal in wütende Tobsuchtsanfälle trieb, war schon fast verklungen. Eine angenehme Leichtigkeit breitete sich in dem Trierarchius aus und er lächelte nun deutlich milder und seine schmalen Lippen entspannten sich. „Möchtest Du uns bis zum Stützpunkt in Ravenna begleiten oder sollen wir Dich an der süditalischen Küste absetzen, Decima?“
    Eisig wehte der Wind über das Deck, Mit einer Hand löste der Trierarchius die Fibel seines Umhanges und zog ihn von seiner Schulter, darunter kam die eine dunkelblaue, wollene Tunica zum Vorschein. Stumm legte Hortalus Lucilla den warmen und schweren Umhang um die Schultern. Sanft schaukelnd glitt die Ulpia weiter durch die mittlerweile violette See und folgte dem glutroten Sonnenball, der beinahe vom Horizont verschluckt war und nur noch mit einem letzten Blinzeln auf die kleine Triere in der Weite des Mittelmeers hinabspähte. Der erste Stern erschien am Himmel, der Abendstern.

    Den ganzen nächsten Tag über ritt die Ulpia mit, so weit es möglich war, gerafften Segeln den Sturm ab. Immer wieder suchte das Meer die Triere zu packen und in ihre grünschwarze Fluten hinabzuziehen. Abgesehen von einigen Planken und einigen alten Fässern war von dem Piratenschiff und den Ertrunkenen nichts mehr gesehen worden. Mit eiserner Disziplin trieb Cluvius Hortalus seine Soldaten an, wie ein alexandrinische Wundermaschine, wie die des Archimedes, wirkte das Zusammenspiel der Soldaten, die kaum ein Wort über ihre Arbeit zu wechseln brauchten. Lucilla und Ambrosius hatten tief unten im Schiff eine winzige Kabine erhalten, in denen sie sich zurückziehen konnte, wohin die Gefangenen gebracht wurden, wussten nur die Soldaten auf dem Schiff. Erst am späten Nachmittag und zur beginnenden Dämmerung hatte sich der Sturm wieder gelegt, hatte die strapazierte Ulpia aus ihren Fängen entlassen und nun trieb das Schiff auf scheinbar sanften Wellen durch das salzige Nass.
    Weit, weit entfernt schien der gewaltige Sturm über das Land, Afrika zu wüten, und wirbelte solche Staubwolken auf, dass sich die Sonne hinter einem rötlichen Schleier verbarg, die klare Seeluft, vom Unwetter gereinigt, bernsteingelb und die Wellen jadegrün leuchteten. Binnen weniger Minuten würde dieselbe Sonne mit einem glorreichen purpurroten Feuerwerk versinken und die Farbe der See in ein tiefes Violett übergehen. Im Schein der blutroten Sonne fielen sanfte weiße Flocken vom Himmel, Schneeflocken und so sanft wie die Brustfedern einer blütenweißen Taube. Lautlos legten sie sich auf das dunkle Deck der Ulpia und schon nach Minuten war das Schiff mit einem feinen weißen Flaum zugedeckt.
    Unter den Stiefeln des Kapitäns knarrte leise der Schnee als er aus der Tiefe des Schiffes nach oben stieg, er humpelte leicht von dem Kampf voriger Nacht und ging somit langsam auf den Bug des Schiffes zu. Der Schnee lullte alles in eine gespenstische Stille, das Rauschen der Wellen und das Plätschern des Wassers schienen weit weg zu sein. Hortalus stellte sich an die Rehling und zog seinen festen Wollumhang zu Recht, der mit einem dicken Bärenfell gefüttert war. Seine Augen richteten sich auf die glutrote Sonne, deren Strahlen einen schwarzen Horizont erleuchtete.
    Mit zusammengepressten Lippen zog der ältliche Offizier eine feine goldene orientalische Pfeife hervor und einen kleinen schwarzen Lederbeutel. Er spürte wieder das Ziehen in seinen Knochen, das schmerzhafte Pochen an seinem Fuß und seinen Fingerknöcheln, was von der Gicht herrührte. Er seufzte schwer und stopfte langsam die Pfeife, trat zu einem der Wachlampen und zündete sich den ägyptischen Hanf an. Mit halbgeschlossenen Augen sog er an dem Gemisch aus Opion und Hanf, der ihm immer gut in den Stunden des Schmerzes half. Die Kälte um ihn herum nahm er schon nach einigen Minuten nicht mehr wahr, seine Gedanken kreisten um das Schicksal der Gefangenen und um die Frau, die jetzt unten in seiner Kabine untergebracht war. Muse sich mit ihr auseinander zu setzen hatte Hortalus noch nicht gehabt, wenngleich sie keine Gefangene an Bord war und somit die Kabine jederzeit verlassen konnte, war sie ihm noch nicht unter die Augen getreten. Der Hanf glühte rot und knisternd auf als er noch mal tief von der Pfeife sog und mit einem leisen Hauchen den Rauch aus seiner Nase und seinem Mund steigen ließ.
    Tief unten im Bauche des Schiffes wälzte sich unruhig und fiebernd ein verletzter Piratenkapitän auf nassem Stroh hin und her, die Ketten an seinen Füßen und um seine Hände spürte er kaum, war sein Geist doch von den Qualen der Wunden gefangen. Immer wieder stöhnte er leise und raunte ohne Zusammenhang Namen und Worte vor sich hin. Den Sturm hatte Tullius immer wieder in Fieberschüben, Schüttelfrostanfällen und kurzen Momenten des Bewusstseins erlebt. Ein leises Schluchzen an seiner Seite brachte ihn in dem Moment des farbenprächtigen Sonnenuntergangs wieder in die Wirklichkeit zurück. Mit einem schmerzhaften Keuchen riss er die Augen auf und sah sich im Halbdunkel um, dass nur von einer alten Messingöllampe durchbrochen wurde. Irritiert sah er sich um und zu Dardarshi, der genauso gefesselt, leise weinte.
    „Wir kommen schon weg, Darshi!“
    Kaum hörbar und krächzend raunte Tullius die Worte. Seine Augen glänzten vom Fieber und wieder erbebte er in der Kälte des nassen Strohs.
    „Ich bring ihn um…ich bring ihn um, Darshi. Er…wird kein einziges Mal die Peitsche heben können!“
    Erschöpft von den wenigen Worten sank Tullius wieder in sich zusammen. Dardarshi hob trübe den Blick und sah auf den ehemaligen Piratenkapitän herunter. „Peitsche? Ach, Amicus, Cluvius Calvaster hast Du schon getötet. Wir sind bei seinem Bruder…“ Doch Tullius hörte ihn bereits nicht mehr, erneut hatte ihn das Fieber aus der Welt entrissen.

    Um eine weitere Oktave höher pfiff der tobende Wind über die beiden Schiffe, die sich, zwei trägen Walen gleichend, durch das stürmische Meer schoben. Mit aller Gewalt schien Neptun seine Fühler nach den Männern auszustrecken, suchte mit jedem Wellenkamm die Schiff in seine Arme schließen und in die Tiefen, die Abgründe der See, reißen zu wollen. Ein brechender Wellenkamm schoss auf das Deck der Harpyia herunter, ergoss sich auf das Deck und riss einige Männer mit sich, ein Verletzter schlitterte über die Planken, seine aufgerissenen Augen starrten in den schwarzgrauen Wolkenhimmel. Die Wucht des Scutum schleuderte Tullius zurück, einen Moment zu spät war er dem fremden Kapitän, Cluvius Hortalus, ausgewichen. Heftiger Schmerz zuckte durch seine bereits verletzte Seite und er stolperte um Haaresbreite über den Verletzten hinter ihm, der nur schwach atmete und mit seinen Fingern nach etwas zu suchen schien. Als sich das Schiff wieder anhob den Wellenkamm zu erklimmen und sich abermals den stürmischen Fluten zu stellen, fing sich desgleichen Tullius und umgriff fester den Griff seines Säbels. Seine Augen fixierten seinen Feind, seinen Gegner, der mit Kälte in den Augen und einem verbissenen Ausdruck auf dem Gesicht Hortalus sein Gladius durch die Luft schwang, dabei mit dem Metall eine Gischtfontäne durchschnitt. Beide Männer verschwanden in einem feinen Regen aus grüngrauen Meerwassertropfen, dumpf schlug eine Waffe gegen Holz, ein ächzendes Stöhnen wurde von dem lauten Donnern der Wellen übertönt.
    Mittlerweile waren die Piraten in einer immer schlechteren und prekäreren Lage geraten, viele von den Männern, ehemalige Sklaven oder Galeerenruderer, lagen tot oder verwundert auf dem Deck danieder. Die Soldaten der römischen Triere umringten ein letztes Widerstandsnest der Piraten, ihre Aussichtlosigkeit begreifend ließen manche der Meeresräuber die Waffen fallen, andere wurden von den Gladii der Römer niedergestreckt. Mit einem zufriedenen Lächeln wandte sich ein römischer Offizier um, wollte seinem Kapitän von ihrem Sieg berichten, doch in jenem Augenblick schlug Hortalus wuchtig gegen das Holz des Achterdecks, sein Scutum rutschte ihm aus der Hand und aus seiner Nase floss ein feines Rinnsal Blut. Sein Gladius wehrte den Hieb des Säbels aus, schwer atmend stand Tullius vor ihm und sah auf Hortalus herunter. Schwarze Sterne tanzten vor den Augen des Piraten, seine rechte Hand fühlte sich schon ganz taub an und er hatte seinen Säbel in die linke Hand wechseln müssen, wenngleich auch seine Hiebe niemals mit jener Hand kräftig genug waren, um dem römischen Kapitän das Schwert zu entwinden.
    Der römische Offizier eilte im tosenden Wind auf das Achterdeck zu, wollte seinem Kapitän zu Hilfe eilen, der das jedoch aus den Augenwinkeln wahr nahm und ihn mit einer Handbewegung zurückhielt. Erneut stieß Tullius Säbel nach unten, suchte seinen Weg, um den Kapitän zu durchbohren und wieder das Herzblut durch die gierige Klinge vergießen zu lassen. Die Waffe glitt jedoch vorbei als sich der Kapitän zur Seite warf und von Tullius hinweg rollte, schnell wieder auf die Beine kam und herumwirbelte. Als der Säbel gegen das nasse Holz des Decks stieß, schien es vor Tullius Augen in einem wilden Sternenmeer zu explodieren. Als ob er lange in die Sonne gestarrt hätte, verschmolz alles zu einem schwarzen Fleck um ihn herum. Seine Hand glitt über seine warmfeuchte, blutige Seite, die Kälte war längstens in seine Glieder gekrochen, als das Schwert des Kapitäns sich in seinen Oberschenkel bohrte, spürte Tullius davon bereits nichts mehr.
    Leise seufzend schloss er die Augen und spürte die Wellen unter sich, schien sich von ihnen zu entfernen und wie eine Möwe gen Himmel zu steigen. Fern von all dem Irdischen und fern von allem Ballast schwang er sich zu den schwarzgrauen Wolken hoch, deren Toben und Wüten ihm nichts anhaben konnten. Während Tullius Geist in die tiefe und bodenlose Schwärze hinab glitt, schlug sein Körper auf die Holzplanken, der Gladius wurde dem Kapitän der Triere aus der Hand gerissen. Verdutzt sah der Römer auf Tullius herunter, wusste er doch zu gut, dass er den Piraten kaum verletzt haben könnte. Ein wütendes Knurren entrann der Kehle von Hortalus, er packte den Griff seines Schwertes und hob die Klinge hoch, um sie dem Piraten in den Rücken zu stoßen, aus den Augenwinkeln bemerkte er den Mann zu spät, der sich über Tullius warf, Dardarshi, und ihn mit seinem eigenen Körper zu schützen versuchte.
    Die graublauen Augen des Kapitäns hafteten unverwandt auf dem Gesicht des Piratenkapitäns, Wut und eine gewisse Enttäuschung waren dort abzulesen. Es war nur der Bruchteil einiger weniger Atemzüge, in denen er mit einer Entscheidung rang. Mit einer Hand winkte er den Offizier heran. „Bring Beide rüber und auch die Gefangenen! So leicht werden sie nicht den Tod als Geschenk erhalten, dieses Pack!“ Er schien das letzte Wort schier auszuspucken, erst dann entsann sich der Kapitän der Ulpia wieder an die Frau, sah zu Lucilla herüber und musterte sie mit einer unschlüssigen Falte zwischen seinen beiden buschigen, graumelierten Augenbrauen. Gerade als er auf sie zutreten wollte, die Piraten schon auf die Ulpia gebracht wurden, tobte der Wind heftiger in den Segeln, der Großmast der Harpyia gab ein lautes Stöhnen von sich, ein sterbender Laut gleichend und neigte sich immer mehr zur Seite. Im Fall durch das Wellental brach der Großmast und fiel mit einem tosendem Gebrüll auf das Deck herunter, Holz barst und der Mast drang in die Seite der Harpyia hinein, schon streckten sich die Finger der See gierig nach dem Inneren des Schiffes aus und die Wassermassen fluteten über und unter das Deck. Schreie ertönten von der Seite der Ulpia, deren Deck sich rapide mit zur Seite neigte. Nicht mal einen Atemzug brauchte Hortalus, lief auf die Enterbrücken zu, trotz der gefährlichen Neige und packte schnell Lucilla am Handgelenk, zog sie mit auf die Enterbrücke und auf die Ulpia hinüber. Um Ambrosius hatte sich der Römer nicht gekümmert, ein Mann mehr oder weniger schien ihn nicht zu interessieren. „Macht die Enterbrücken los!“ Was noch auf der Harpyia stehen oder gehen konnte, versuchte schnellstens noch auf die römische Triere zu kommen, einige Enterbrücken wurden von der Wucht der Harpyia mitgerissen, viele gelöst und Taue wurden gekappt. Von der Harpyia tönten verzweifelte Schrei von all jenen, die es nicht mehr geschafft hatten, darunter mischte sich auch der ängstliche Schrei einer Frau, Tetischeri floh an die Rehling und versuchte auf die Bordwand zu klettern, streckte die Hände aus, doch die Wellen trennten ohne Gnade die Schiffe auseinander.
    „Nein!“ Dardarshi wehrte sich nun gegen den Griff seiner Wärter, die ihn unter das Deck werfen wollte. „Tischeri…! Helft ihr doch…“ rief er noch laut und wollte wieder zurück zur Harpyia. Schon wurde das ehemalige Piratenschiff von einer hohen Welle gepackt, ohne Segel schaffte es den Aufstieg nicht mehr, das Schiff wurde unter der riesigen Welle begraben und riss die Unglückseligen an Bord mit in die Tiefe. „Nein…!“ flüsterte Dardarshi, Entsetzt und Ungläubig starrte er auf die Stelle, wo das Schiff verschwunden war. Einer der römischen Soldaten hielt inne und lockerte den Griff um Dardarshis Armen, dem nun Tränen über sein zernarbtes Gesicht liefen. „Rafft die Vordersegel, bringt die Gefangenen unter Deck!“ Der Sturm wütete um die Ulpia, ganz als ob die Winde und das Meer zeigen wollten: Ein Schiff war ihnen nicht genug.

    Ein Wetterleuchten zuckte über den düsteren Himmel und die Wolkenmassen hinweg, mit einem lauten Donnern spritzte eine Gischtfontäne an der Seite des Schiffes hoch und ergoss sich über das Oberdeck beider Schiffes, die Schreie der Männer wurden davon übertönt. Mächtige Berge von Wasser türmten sich vor den beiden Schiffen auf, drohten sie immer wieder mit der Macht ihrer Masse verschlingen zu wollen. Immer und immer wieder ritten die beiden Schiffe zu dem Kamm der Wellen hoch und glitten tief in das Tal hinab. Ein gellender Schrei und einer der Piraten fiel von Bord, war schon im nächsten Moment in den Fluten verschwunden. Im stürmischen Wind jagten die Kronen der Brecher vor der Dünung dahin und begruben die Wellenkämme, so weit das Auge reichte, in Strudeln von sahnigem Weiß. Nur in den jetzt viel tieferen Tälern zeigte das Meer seine graugrüne Farbe.
    Gewandt stand Tullius auf als er der Körper seines Angreifers tot von ihm herunter glitt. Überraschung zeichnete sich in seinem Gesicht ab und er sah auf den blutigen Säbel, seinen Säbel hinunter, den Lucilla in den Körper des Soldaten gestoßen hatte. Feine Wassertropfen perlten an seiner Wange entlang, seine dunklen Haare klebten ihm an der Stirn, seine Lippen kräuselten sich zu einem feinen Lächeln. In dem Augenblick der Zeitlosigkeit, kein Sandkorn schien mehr weiterrinnen zu können, erwiderte Tullius Lucillas Blick. Schwälle von Flugwasser wurden von den Kämmen der Wogen gerissen, legten einen dunklen, gräulichen Schleier über die wogenden Wasser und füllten die Luft mit Nässe. Feine Tröpfchen rieselten auf Lucilla und Tullius hinab, der sie mit seinen dunklen Augen ansah, seine Hand legte sich behutsam unter ihr Kinn, strich ihr mit seinen Fingerspitzen über die Kinnkuppe. Die Wärme seine Körpers war deutlich zu spüren, so nah stand er an Lucilla. Mit dem Blut an ihren Händen, den Toten zu ihren Füßen fand Tullius unversehens Gefallen an ihr. Die Erregung des Kampfes mischte sich zum ersten Mal während eines Gefechtes mit einem anderen Gefühl, Verlangen nach der, ihm doch bis dahin lästigen, Römerin. Als sich turmhohe Sturzseen am Heck aufbauten, beugte sich Tullius vor und küsste Lucilla, salzig schmeckten ihre Lippen. Seine Hand suchte sich einen Weg zu ihrem Rücken, glitt an dem Nassen und vom Meerwasser durchtränkten Gewand hoch, zog sie dabei fest an sich. Forsch und mit wachsender Leidenschaft küsste er Lucilla weiter. Völlig vergessen schien der Sturm, achtlos das wütende Gefecht um sie herum. Ein Todesschrei riss Tullius doch schnell wiederum in die Wirklichkeit zurück, nur ein kurzer Augenblick war vergangen, weniger als zwei Atemzüge. Tullius löste sich von Lucilla und sah sie amüsiert an. Schnell zog er seinen Säbel aus der Leiche und griff nach dem Gladius eines Soldaten, welchiges er Lucilla in die Hand drückte.
    “Das nächste Mal solltest Du das Schwert fester halten, Lucilla.“
    Eine feindliche Waffe blitzte auf und sauste in ihre Richtung, Tullius stieß Lucilla zur Seite, damit sie hinter dem Großmast Schutz fand, gerade im letzten Atemzug brachte er seinen Säbel dazwischen. Das Metall schlug gegen Metall, es gab ein hässliches Kreischen als die Schwertklingen übereinander schabten. Der römische und bullige Soldat drückte das Gladius herunter, Tullius stemmte sich dagegen. Immer tiefer sank das Gladius herunter, die Schneide wollte sich in das Fleisch des Piraten bohren, doch dann zog Tullius blitzschnell einen Dolch aus seinem Gürtel und stieß diesen in die ungeschützte Achselhöhle des Soldaten, der Druck schwand und mit einem überraschten Seufzen sank der Mann auf die Planken des Schiffes herunter, tränkte das Meerwasser mit seinem Lebenssaft.
    Schwer atmend wandte sich Tullius um und sah zu Lucilla, versicherte sich, dass ihr nicht geschehen war. Dieses Mal nicht nur aus dem Grund heraus, dass der Fluch sich erfüllen konnte. Die Frau gefiel ihm immer besser, unbeugsam, stolz und mutig, außerdem mit dem Blut eines römischen Soldaten der Classis an ihren Händen. Abermals war er durch sie abgelenkt, ein Fehler wie sich herausstellte. Zu spät bemerkte er einen Soldaten, der gewandt die stürmische See ausgleichend, auf ihn zusprang. Und obwohl er noch eine ausweichende Bewegung vollführte, drang das feindliche Schwert in seine Seite, warmes Blut lief über seine Haut. Trotzdem schlug er mit der Faust ins Gesicht des Soldaten und stieß mit seinem Säbel nach.
    „Trierarchus? Wir müssen uns von dem anderen Schiff lösen, das Wasser steht schon zu hoch bei uns!“ Der Kapitän der Ulpia, er stand noch auf seiner Schiffsseite, nickte. „Gleich! Pumpt weiter!“ Er meinte den feindlichen Kapitän ausgemacht zu haben, es war nicht das erste Mal, dass er jenen vor Augen hatte. Eine Hand schoss nach oben, sein Sklave reichte ihm sein Gladius und sein Scutum. Mit einem kalten Lächeln auf den Lippen marschierte der Trierarchus auf die Enterbrücke zu. Wasser spritzte zwischen den Bordwänden hoch und abermalig schienen beide Schiffe in das Tal zu fallen. Mit einem Satz, trotz seiner nicht mehr ganz jungen Jahre, sprang er auf die Enterbrücke, wie so unzählige Male, nur erstmalig bei einem Sturm. Sein Gladius durchschnitt die Luft und drang in die Brust eines Piraten, der sich ihm entgegenstellen wollte. Als die See mit gierigen Fingern nach dem Kapitän der Ulpia griff, sprang er schon auf das Deck der Harpyia. Überrascht verharrte der Trierarchus als er Lucilla erblickte, mit einer Frau an Bord hatte er nicht gerechnet. Doch die Verblüffung währte nicht lange, zielstrebig arbeitete sich der Römer durch die Piraten hindurch, fällte sie wie der Schnitter die Ähren. Tullius starrte den Kapitän an und erkannte ihn sofort, Cluvius Hortalus. Die Blicke beider Männer trafen sich, Tullius voll des Hasses und Hortalus mit eisiger Kälte. In der Eintracht der gegenseitigen Mordlust hoben beide ihre Waffen und stürzten aufeinander zu.

    Die schäumende See wogte wild und unbändig und einem Chrysaor oder einer Skylla gleichend tauchte das fremde Schiff aus den grauschwarzen Wolken und der beleierngrün changierenden See hervor. Die Masten stießen durch die Gischfetzen, der Bug durchbohrte einem wilden Wellenkamm und ähnlich eines Seeungeheuers schien die Triere die Harpyia verschlingen zu wollen. Die dunkle Wolkenmasse hatte nun beide Schiffe in ihre unerbittliche Umarmung gehüllt, wütende Sturmgeister zerrten an den Wellen und ließen sie in wilde Kreuzseen auftürmen. Der Wind heulte in bedrohlicher Lautstärke durch die Takelage des Piratenschiffes, der Mast stöhnte vernehmlich unter dem Druck und immer wieder donnerten die Wellen gegen die Planken des Schiffes, trugen Gischtfontänen auf das Deck und durchnässten jeden, der sich getraute oberhalb des Decks dem Wüten der Götter stand zu halten.
    "Hart wenden!"
    Selbst den Wind und das entfernte Donnergrollen konnte Tullius' Stimme noch übertönen. Das Schiff stöhnte protestierend auf als es von einem Moment zum anderen in den Sturmfluten zu halsen begann. Schwallwasser flutete über die schon rutschigen Planken, ein Pirat hastete an Lucilla vorbei, hangelte sich dabei von einem Haltepunkt zum Nächsten. Er warf ihr nur einen flüchtigen Blick zu, ignorierte sie dann jedennoch. Schon glitt das Piratenschiff in ein Wellental hinein, die fremde Triere entschwand hinter einer brechenden Wellenkrone. Ein einzelner Eimer rollte über das Deck und tauchte in das hungrige Maul der See. Ein lauter Knall, ein Seil am vorderen Segel war gerissen und sauste einer Schlange der Medusa gleichend unbändig und wild durch die Luft. Männer rannten nach vorne und versuchten nach dem Seil zu greifen, auch Tullius kam hinzu.
    "Hoch mit Dir, Munan!"
    Halsbrecherisch kletterte der junge Mann an dem Mast nach oben, während der Bugspriet durch das Wasser pflügte und den steilen Aufstieg des Wellenkammes ertrotzte. Tullius spähte hinter dem Kletteraffen her, der mit Mühe und immer mal ablgeitend, das Seil wieder anbinden konnte. Erst dann wandte sich Tullius ab und sah Lucilla an. Wie gebannt blieb er stehen, ließ das Bild von ihrer Gestalt auf sich einwirken und presste seine Kiefer fest aufeinander. Das war alles ihre Schuld! Finsterer Miene schritt er auf Lucilla zu, hatte nicht übel Lust sie zu packen und über Bord zu werfen, Fluch hin oder her. Das Verhängnis schien schon längstens über ihn eingebrochen zu sein. Einen Schritt entfernt blieb er vor ihr stehen und sah sie mit kaltfunkelnden Augen an, seine Hand ballte sich zu einer Faust, mit der Anderen hielt er sich an einem Seil um den Mast fest. Als ob er einen Marathon gelaufen war, hob und senkte sich seine Brust und er schien mit sich innerlich zu kämpfen. Ein Grollen ertönte, war es von Tullius oder von dem Unwetter? Abrupt wandte er sich von Lucilla ab und marschierte abermals auf das Achterdeck hinauf.
    Einem Dreizack Neptuns gleichend stieß mit einem Mal die Spiere und die Galion der Ulpia durch den benachbarten Wellenkamm, ein lautes Pfeifen und etwas schlug durch das Großmastsegel der Harpyia. Eine eiserne Kugel, ähnlich Tullius' Ballistekugeln, polterte über das Deck, rollte angetrieben von der Fahrt des Schiffes an Lucilla vorbei und verschwand in den zornigen Wogen. Durchnässt und mit verblüfftem Gesichtsausdruck starrte Tullius hinüber zu dem feindlichen Schiff, er hatte nicht damit gerechnet, dass der andere Kapitän im Sturm einen Angriff befehlen würde. Was für ein Wahnsinn. Gleichwohl stieg Ingrimm in ihm auf, er würde nicht aufgeben, er würde nicht weichen.
    "Zu den Waffen!"
    Nicht zu früh, denn wie ein Inferno stieß die Ulpia auf die Harpyia hinunter, Planken stießen gegen Planken, Holz barst und Enterbrücken wurden heruntergeworfen. Soldaten, römische Classissoldaten, stürmten in der wogenden See, im Wüten des Sturmes, über die Enterbrücken. Die Gladii zischten durch die Luft, ihre Scuta schlugen gegen die Waffen der verteidigenden Piraten, Schreie vermischten sich mit dem donnernden Toben der Sturmgeister. Aus den Tiefen des Schiffes drangen mehr Piraten nach oben, Tabat trug dabei einen großen Säbel in der Hand. "Kapitän!" rief er laut und vernehmlich, er warf Tullius den Säbel zu, der ihn aufing und aus seiner schützenden Schwertscheide zog, mit einem Satz war er vom Achterdeck gesprungen und landete federnd neben einer Enterbrücke. Ein römischer Soldat sprang Tullius an, hinwieder verschwanden beide im Nebel einer grüngelblichen Gischtwolke. Chaotisch und wirr schien der Kampf auf dem Deck der Harpyia anzumuten, immer mehr Männer stürzten übereinander her, dabei schlingerten die beiden Schiffe halsbrecherisch und in Todesverachtung durch den Sturm. Unversehens rutschte ein silbern glänzender Säbel über das Deck, die Schwertspitze blieb an den Tauen des Großmast hängen, es war der Säbel des Piratenkapitäns, der rollte jedoch gleich aus dem Gewirr der kämpfenden Männer und rang mit einem Soldaten, seine Faust schmetterte dem Römer ins Gesicht, während dieser ihm mit dem Knie in die Buachgegend stieß, unerbittlich schlugen sie sich, hatten allesamt jedoch ihre Waffe bereits verloren. Leise und lockend summte der Säbel, als der Wind an der Klinge entlang glitt und sich um die scharfe Schneide teilte.

    Düsteres Schweigen lastete auf dem Schiff, der Harpyia. Obwohl der Wind in den Segeln rauschte, das Piratenschiff stetig an Fahrt aufnahm und die meisten Piraten recht betrunken waren, so merkten die Männer schnell die Bedrohung, schließlich floh Tullius nicht vor einem harmlosen Frachtschiff. Das schaukelnde Licht der Lockfässer war noch einige Zeit gut auszumachen, doch auch das verschwand irgendwann hinter den weiteren Wellen. Zeuxis seufzte noch mal und ging weiter ans Werk, schweigend wie der Rest der Mannschaft. Mit stummen Handgesten deutete er Ambrosius was zu tun galt, die ganze Nacht blieben die Piraten auf den Beinen, der Rausch der Saturnalia verflog langsam.
    Stumm verfolgte Dardarshi Lucillas bittere Klagen, mit dem Rücken an die Holztür gelehnt beobachtete er ihre Bewegungen, sein Gesicht war von einer düsteren Wolke umhangen und einige Male nickte er. Unverwandt erwiderte Dardarshi den anklagenden Blick. „Wenn wir an Land gehen können, dann wird Dich der Kapitän freilassen. Ich werde ihn darum bitten. Und sei nicht besorgt, ich glaube nicht, dass die Götter Dich verlassen haben. Gute Nacht, werte Dame.“ Er verneigte sich andeutungsweise, selbst in der Situation scheinbarer Hoffnungslosigkeit mit galanter Höflichkeit, sodann drehte er sich um und verließ die Kabine.


    Der nächste Tag
    Der Morgen graute, am östlichen Horizont bildete sich ein schmaler silberner Streifen, färbte den Himmel immer heller, doch das Schiff folgte mit jeder Welle dem nächtlichen Firmament, der vor den erstem Licht zu fliehen schien. Die Ulpia hatten die Piraten schon in der Nacht aus den Augen verloren. Tullius hegte die Hoffnung sie abgeschüttelt und einige Seemeilen in der Nacht an Distanz zwischen sich und die römische Triere, die er noch zu keinem einzigen Augenblick genauer sehen konnte, gebracht zu haben. Böses Wetter kündigte sich an, das Schiff steuerte auf eine niedrige Wolkenbank zu, über deren breite Front heftige Schauerböen jagten. Blitze im Inneren der riesigen Wolkenmassen waren als gedämpftes Aufleuchten nur zu erahnen, es war empfindlich kalt geworden, und der Wind peitschte Gischt von den Wellenkämmen, die das Gesicht des Kapitäns an der Luvseite des Achterdecks mit eiskaltem Sprühwasser nässte. Doch Tullius war nicht kalt, in ihm loderte ein inneres Feuer, selbst so eine Auseinandersetzung jagte das Blut durch seinen Körper und wärmte ihn von innen. Wie er es doch liebte, herausgefordert zu werden, wenngleich er mit bitteren Gefühlen die Flucht antreten musste. Auf und ab marschierte er und zählte jede Wendung mit den Fingern seiner auf dem Rücken verschränkten Hände, tausend davon, dann würde er unter Deck gehen. Am Ende jeder Bahn blickte er zum Himmel und auf die See. Der Himmel war gefleckt mit Wolken aller Art, im Süden noch blau und weiß, allerdings mit einem unheilschwangeren, stahlfarbenen Rand, im Westen türmten sich graue Sturmbringer auf, doch im Norden und Süden war schon alles schwarz und düster. Auch die See changierte in allen Tönen, wechselte von tiefem Blau über jede Schattierung von Grau bis zu Schwarz, dazwischen immer wieder Striche von gischtigem Weiß, die nicht vom Wind herrührten, sondern von dem auslaufenden Wogen des nahenden Sturmes.
    „Wie viele?“
    Dardarshi seufzte tief, er war gerade auf das Achterdeck gestiegen und beobachtete einen Moment schweigend den Himmel. „Sieben, aber nur die Götter wissen, wen sie noch mit diesem Übel belegen wollen. Wir müssen an Land, am Besten heute noch.“ Tullius nickte und wandte sich wieder ab, setzte seine Runden fort.
    Die Sonne vermochte die Wolken am Himmel kaum zu durchdringen, immer wieder blieb Tullius stehen, sah zum Himmel und dann zum Landstreifen an seiner Seite, scharfkantig zeichnete sich die hispanische Küste in der Ferne ab, die Gischtkronen, die gegen die Klippen brandeten, waren fast zu erahnen. Wenn sie den Sturm bestehen wollten, mussten sie bald an Land gehen. Tausend, Tullius drehte sich um und schritt nach unten.
    Ein zaghaftes Klopfen und die Tür zu Lucillas Kabine öffnete sich, schüchtern und sehr blass trat die junge Ägypterin, Tetischeri, in die Kabine, trug auf ihren Händen ein hölzernes Brett mit einer warmen und dicken Frühstucksuppe, dazu Brot und verdünnten Wein. Vorsichtig stellte sie das Brett auf dem hin und herschaukelnden Tisch ab. Ihre mandelförmigen Augen hafteten sich einen Moment mit verzagten Trübsinn auf Lucilla. „Herrin!“ murmelte sie leise. Demütig wollte sie wieder den Blick senken, doch dann richtete sie ihn wieder auf, wenig Sklavisches stand in ihren Augen. „Vielleicht ist das der Ausweg zu fliehen. Die Männer sprechen von nichts anderen mehr. Das Schiff, dass uns verfolgt, es sind...“ Die Tür wurde aufgestoßen, eine frische Brise, der Geruch nach Salzwasser wurde hereingetragen. Tullius stand in der Tür, sein düsterer Blick haftete sich auf die Ägypterin, mit einer herrischen Geste schien er sie fortwischen zu wollen.
    „Verschwinde!“
    Erschrocken entfleuchte die junge Frau und huschte aus der Kabine. Tullius trat ungefragt weiter in die Kabine und schloss die Tür hinter sich, seine Augen ruhten unverwandt auf Lucilla, er sah von der Nacht erschöpft aus. Schweigend, wie schon Dardarshi in der Nacht zuvor, stand er in der Kabine, brach die Stille jedoch schneller als sein Amicus es getan hatte.
    „Breche den Fluch oder Du wirst mit selber daran sterben, Lucilla. Wenn das Schiff führerlos ist, wenn keiner mehr die Segel setzt und die Ruder bedient, dann wird es in den Tiefen des Meeres versinken, zerschmettert von den Fluten des Unwetter. Breche ihn und ich werde Dich heute noch an Land absetzen, Hispania liegt nördlich von uns. Du hast mein Wort! Ich würde auch auf die Götter schwören, wenn Du dem mehr glauben würdest.“
    Tullius war fest davon überzeugt, dass Lucilla für die Pest an Bord verantwortlich war, ihr Odem brachte das Unheil mit sich, sein Verhängnis, es konnte nicht anders sein. Und diesen wollte er so schnell es ging, von sich und seinem Schicksal lösen. „Kapitän!“ dröhnte die Stimme eines Piraten von oben. „Komm schnell, schnell!“ Erst einen Moment später wandte sich Tullius stumm um und öffnete die Tür, ließ sie offen und ging wieder aufs Deck hoch.
    Unter einer fahlen Sonne, die von den Sturmwolken verschluckt werden wollte, zogen hohe Wogen mit langen, tiefen Tälern dazwischen in gleichmäßiger Folge ostwärts, die Wellenköpfe trugen jetzt Schaumkronen, und Flugwasser wehte in Kaskaden von weißer Gischt an ihren Leeseiten hinunter. In der Takelage heulte der Wind eine halbe Oktave höher. Am Horizont tauchte in den wogenden grauschwarzen Wellen ein Schiff auf. Schnell griff Tullius nach einem Seil und zog sich auf die Rehling hoch, spähte zu dem Schiff. Ein leiser Fluch löste sich von seinen Lippen.
    „Caenum!“
    Und jetzt sah er sie deutlicher, es war eine Triere, ganz eindeutig und sie näherte sich schnell, hatte den Wind direkt im Rücken und den Luvvorteil mit sich. Doch noch schneller als das angreifende Schiff näherte sich der Sturm.
    „Bereit machen zum Gefecht! Zeuxis und Du...“
    Tullius deutete auf Ambrosius.
    „...an die Balliste, aber hurtig!“
    Im Nu brach der Sturm um sie herum aus, die Wolken hüllten das Schiff ein und die ersten Wellenbrecher donnerten auf das Deck der Harpyia.

    Die erste Nacht
    Das Meer umbrandete beide Schiffe in ihrer unablässigen Fahrt durch die schwarzen Wogen des Mittelmeers, die Lichter waren verloschen, es waren nur noch Silhouetten der Masten, der Segel und der Rumpflinien zu erkennen. Mit unsicheren Schritten unterbrochen von einigem Gepolter gingen die betrunkenen Piraten an die Arbeit, setzten die Segel und die Harpyia schien einen Moment über die dunklen Wogenkämme zu fliegen, doch die römische Triere Ulpia hielt sich in ihrem Fahrwasser, verfolgte sie unablässig weiter. Allweil stand Tullius auf dem Achterdeck und hielt das Steuerrad in der Hand, grübelte über einen möglichen Weg nach, die Verfolger los zu werden.
    „Tabat, hol vier Fässer von unten und ein paar Taue und beeil’ Dich!“
    Ein langsames Schlurfen war in der Nähe der Treppen zu hören, von oben schnelle Schritte. Der große dunkelhäutige Tabat duckte sich durch die Luke, warf Lucilla nur einen glasigen Blick zu und taumelte an ihr vorbei, der Gestank von Bier vermischt mit Wein begleitete ihn. Seine massige Gestalt verschwand im finsteren Bauche des Schiffes, als sich ein verzerrtes Gesicht neuerlich daraus herausschälte, Dardarshi stieg mühsam die Treppen hoch, der Geruch nach Kräutern umwog ihn. Zögernd blieb er bei Lucilla stehen und sah sie ernst an, der vage Hauch des Sternenlichtes offenbarte jedoch nicht allzu viel von seiner Mimik. „Dein Fluch scheint nicht nur den Kapitän getroffen zu haben, uns alle, werte Dame. Hier, nimm das und binde es Dir um den Mund, es hält die üblen Miasmen ab.“ Müde und mit hängenden Schultern schlurfte er weiter, ließ nur ein in Kräuteröl getauchtes Linnentuch zurück. Sein missgestalteter Körper verschwand durch die Luke. Für einige Wellenbewegungen war nur das Knarren des Holzes zu hören.
    „Bist Du Dir sicher?“
    Das leise Flüstern, es kam von direkt über Lucilla, dem Achterdeck, drang durch die Holzplanken. Dardarshis Stimme war weniger gut zu verstehen, doch deutlich genug. „Ja, die Pest! Antegos hier hat es auch. Und wer weiß wie viele noch an Bord? Wir müssen an Land.“ Das Drängen und der Ernst in Dardarshis Stimme waren kaum zu überhören.
    „Siehst Du das Schiff hinter uns?“
    Die Antwort von Dardarshi kam erst einen Moment später. „Nein?“
    „Du kannst mir glauben, es ist dicht hinter uns. Es ist mit ziemlicher Sicherheit eine römische Galeere. Weißt Du, was die Römer mit uns machen, wenn sie uns in diesem Zustand erwischen? Sie werden uns schneller ans Kreuz binden als Du zu deinen parthischen Göttern und Deinem Mithra beten kannst, Darshi. Meine Männer sind zu betrunken, um zu kämpfen. Gehen wir jetzt an Land, ist das unser aller Tod. Vielleicht schütteln wir sie ab und morgen können wir den Landfall wagen, jetzt geht es nicht!“
    Kein Murren, kein Widerspruch, doch dann polterte auch schon Tabat an Lucilla vorbei und trug das Verlangte nacheinander auf das Deck hoch, Lucilla beachtete der Riese dabei weniger.
    „Sehr gut, bindet die Fässer aneinander und zurrt die Laterne oben fest, aber leise und haltet dann alles bereit, bis ich es euch sage.“
    Das Sternenlicht wurde verdeckt und Dardarshi trat durch die Luke, blieb bei Lucilla stehen und sah sie wieder an, es war mehr eine Ahnung als dass man es sah. Er seufzte leise und lehnte sich an die hölzerne Wand neben sich. „Es ist Neumond!“ murmelte er, als ob er damit eine tiefe Wahrheit verkünden würde. „Vielleicht...“ Seine Stimme erstarb, konnte er doch kaum der Geraubten davon berichten, dass Tullius die Hoffnung hegte wegen der dunklen Nacht der römischen Triere entkommen zu können. „Komm, werte Dame, oben wird es nur ungemütlich. Gehen wir doch zurück in Deine Kabine!“ Er wandte sich um und ging langsam hinunter.
    „Gut so und jetzt zündet eines der Lichter am Achterdeck an. Und jetzt hoch mit den Fässern und langsam ins Wasser mit ihnen. Gut so! Tabat halte Dich an der Laterne bereit, Munan klettere schon runter auf die Fässer und zünde das Licht erst an, wenn ich es sage.“
    Stille und schließlich ein. „Jetzt!“
    Flink wie ein Affe kletterte der blonde junge Mann von den Fässern, die mit einem langen Seil ins Wasser gelassen worden waren, abermals zurück, so fest aneinandergebunden trugen sie jetzt nur noch eine einzige Laterne. Im selben Moment als die Achterlaterne verlosch, war die Laterne auf dem Fässern angegangen. Einer der Piraten ließ das Seil los und die Fässer trieben schaukelnd von der Harpyia davon und das einsame Licht mit sich. Tullius beobachtete das Treiben des Köders einen Moment ehe er das Ruder hart nach Backbord drehte und die Harpyia sich steil zur Seite legte und in eine andere Richtung pflügte. Und so suchte die gejagte Harpyia in dem Mantel der tiefschwarzen Nacht vor den römischen Soldaten zu entkommen, sie abzuschütteln und im Morgengrauen den Wind weiter westlich einzufangen.

    Klar und funkelnd spiegelte sich Saturn in den dunklen Augen des Steuermann wieder, starr sah er zu den Göttern empor und schien mit jedem Wellengang darauf zu warten, dass sich Mercurius erbarmen würde und seine Seele endlich zu Pluto und in die Unterwelt tragen würde. Der Wind trug jedoch keinen Götterboten mit sich, nur den würzigen Geruch von Land, der hispanischen Erde in der Ferne, gemischt mit dem Sand der Wüste Nordafrikas.
    Mit einem süffisanten: „Wie Du wünscht!“ hatte Tullius seinen Arm gesenkt und mit Lucilla die Kajüte verlassen. Der Wind strich salzig und kühl über ihre Gesichter und spielte mit Tullius dunklem Haar als er aufs Deck trat. An der Reling blieb Tullius stehen und stützte sich mit seinen Handballen auf dem Holz ab, atmete tief den Meeresduft und die frische Nachtluft ein, einige Gischtfetzen spritzten hoch und legten sich wie ein sanfter und kühler Schleier auf seine Handrücken. Seine Lippen kräuselten sich zu einem entspannten Lächeln, sodann kehrte er abermals zu ihrer kleinen Disputatio in der Kajüte zurück.
    „Kultur und die Errungenschaften der Römer? Ob das auch mit Freiheit in der eigenen Heimat aufzuwiegen ist oder die Demütigung, vor fremden Herrschern den Nacken beugen zu müssen, aufwiegt? Ich wage auch das zu bezweifeln, Lucilla. Gleichwohl nehmen wir mal an, es wäre diesen Preis wert.“
    Tullius musterte Lucilla genaustens, wandte nicht den Blick von ihr ab.
    „Aber dann stellt sich doch die Frage, warum haben die Römer Griechenland erobert? Ist es nicht die Kultur aus Griechenland, die Rom überhaupt zu so einem Segensspender gemacht hat? Von der Architektur, der Medizin bis zur Kunst, das Wissen kam von Gefangenen und Sklaven aus einer eroberten Provinz. Waren wir Römer nicht einstens selber nur barbarische Bauern? Und wie sieht es mit dem Reichtum Roms aus und mit dem Luxus? Auch all dieses wird aus den Provinzen gestohlen. Oder was hat Rom schon für Ägypten getan, welche Kultur kann eine so junge Stadt in ein Land von so alter Geschichte tragen? Und Frieden? Ist Germanien eine friedliche Provinz? Oder Dacia? Dass Du Dir die romanisierten und angeblich zufriedenen Germanen als Beispiel herausgesucht hat, zeigt doch nur, wie Rom und seine Bürger ihre Raubtaten vor sich selbst beschönigen und sich belügen.“
    Tullius schloss die Augen als das Schiff wieder tief in einen Wellenkamm hineinfiel und dabei erspürte er die Bewegungen des Schiffes und lauschte dem Knarren des Holzes. Mit geschlossenen Augen setzte er seine Argumentation fort.
    „Ich verheimliche wenigstens nicht, dass ich ein Räuber und ein Pirat bin. Mir scheint, dass es uns sogar noch besser macht. Wir verstecken unsere Gier und Machtgelüste nicht hinter hehren und verlogenen Motiven.“
    Wieder spürte Tullius, dass etwas nicht stimmte. Mit gerunzelter Stirn wandte er sich zu dem Großmast um, sah das vollgeblähte Segel und begriff, dass der Africus sie mit voller Kraft gepackt hatte. Im selben Moment erkannte er das herrenlose Ruder.
    „Was, bei Furrina...?“
    Finsteren Gesichtes ließ er Lucilla an der Rehling stehen und marschierte schnellen Schrittes auf das Heck zu und sprang mit zwei Schritten die kleine Treppe nach oben. Der tote Steuermann, das leere Ruder. Tullius packte das sich langsam drehende Steuerrad und hielt es fest in seinen Händen. Prüfend sah er gen Himmel, nach Steuerbord und nach Backbord, doch da die Lichter ihn blendeten, konnte er nicht ausmachen, ob schon Land in Sicht war. Mit zusammengepressten Lippen und höchst konzentriert griff er nach einer der Laternen und löschte das Licht. Dann ließ er erneut seinen Blick schweifen. Ein schmaler Landstreifen war auszumachen, was Tullius noch nicht beunruhigte. Doch als er sich nach hinten umwandte, erstarrte er. Vage und mehr wie eine Ahnung konnte er die geblähten Segel eines fremden Schiffes ausmachen, eines ohne Lichter an Bord.
    Die anderen Piraten ließen sich nicht von den Untersuchungen Dardarshis stören, feierten immer noch und becherten fleißig. Kniend beugte sich Dardarshi zu dem Flötenspieler herunter, hob seine Augenlieder nach oben und legte sein Ohr an dessen Brust. „Aras, gib mir den Silberteller dort!“ Prüfend hielt Dardarshi den Teller über den Mund des Piraten und betrachtete, wie sich das Silber beschlug. Aufmerksam untersuchte Dardarshi ihn weiter und nickte dann Aras zu. „Hilf mir, ihn nach hinten zu tragen! Du auch!“ wies Dardarshi Ambrosius an. Der Körper des Flötenspielers lag schlaff in den Armen der Männer und er wurde in eine abgelegene Kabine bugwärts getragen, schmale Pritschen standen hier, einer der Piraten, der noch unter einer Verwundung vom letzten Kampf litt, schlief selig in der Kabine. „Dort hin!“
    „Alle Mann an Deck! Sofort!“
    Die Stimme des Kapitäns donnerte bis hinunter in die Kabine. Dardarshi entkleidete den Piraten. „Du!“ meinte Dardarshi zu Ambrosius. „Bring mir von dem Wasser! Und Aras, zünde mehr Lichter an!“ Prüfend hielt Dardarshi eine Öllampe über den Kranken und sah auf ihn herunter, tastete ihn vorsichtig ab. Dann hielt er inne und starrte auf den Flötenspieler, seine Augen weiteten sich, ein entsetzter Ausdruck breitete sich in seinem vernarbten Gesicht aus. „Bei Mithra, steh uns bei. Oh, Apollo, der Du uns hier zu hören vermagst...oh nein!“
    Die zweite Laterne hatte Tullius derweil ebenso gelöscht, seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen lassen. Jetzt sah er das Schiff bei dem Sternenlicht deutlicher, es war mit Sicherheit kein Handelsschiff und es schien sie zu verfolgen. Außerdem trieben sie schon eine Weile lang auf einem völlig falschen Kurs. Tullius fluchte leise und trat dem Steuermann in die Seite, dieser rührte sich bei dem Stoß nicht. In dem Moment stürzten einige betrunkenen Piraten an Deck, einer hielt sich an der Rehling fest, wäre fast von Bord gestürzt. Mühsam versuchten die Männer auf ihre Posten zu eilen.
    „Gefechtsbereit machen, aber still. Pullt die vorderen Segel, los, los.“
    Immer mal wieder warf Tullius einen Blick über seine Schulter, das fremde Schiff näherte sich erschreckend schnell, es musste wohl mindestens eine Galeere sein.
    Auf dem fremden Deck wurde die Harpyia mit Argusaugen betrachtet. Der Trierarchius starrte auf die beiden Lichter, fuhr sich nachdenklich mit der Hand über das Kinn als ein Licht verschwand. Als das Zweite ebenso erloschen war, stieß er ein ärgerliches: „Bucco!“ hervor. „Sie haben uns entdeckt, Ruderschlag erhöhen.“

    Wie schwarze Zungen leckten die Wogen an den Bugplanken der beiden Schiff hoch. Jäger und Opfer, nur wussten die Männer auf der Harpyia immer noch nicht, dass sie dieses Mal die Gejagten waren. Der Großmast ächzte als der Wind stärker die Segel blähte, immer fester gegen die Segelfläche drückte und das Schiff weiter Westwärts trieb, in Richtung der Säulen des Herakles. Das Ruder drehte sich langsam mal in die eine, dann in die andere Richtung, herrenlos und von den Strömungen des Meeres beherrscht.
    Fröhlich und fidel drang die Flöte des dürren Piraten durch das Schiff, vermischte sich mit dem Holzknarren des Schiffes und den dröhnenden Stimmen der feiernden Piraten. Inzwischen hatten die meisten Piraten sich schon mehr als satt gegessen und gaben sich nur noch dem Wein und Gesang hin, feierten ausgelassen als ob es ihr letzter Tag diesseits des Styx war, denn wer wußte schon, was der nächste Tag ihm brachte. Düster brütend starrte der alte Pirat Borgos auf die feiernde Meute, obwohl er kaum an jenen Tag etwas getrunken hatte, waren seine Wangen gerötet und seine Augen blutumrändert. Wie das stumme Verhängnis versuchte er die Feier zu vermiesen, doch die Piraten ließen sich kaum davon beeindrucken.
    „Süß ist im Sommer ein kühlender Trank für den Durstenden,
    süß ist’s
    Für den Schiffer, zu sehn Frühlingsgestirn nach dem Sturm.
    Süßer doch ist’s, wenn dasselbe Gewand zwei Liebende zudeckt,
    Und der Liebe Genuss beide mit Wonne erfüllt...“
    Klar und volltönend schälte sich Aras Stimme aus dem Gegröle der Männer heraus, einige der Männer lachten und übertönten sein Lied und ebenso die Klänge. Ein schriller Ton ließ einige Männer verstummen und als die Flöte abrupt abbrach, wandten sich etliche Blicke auf den dürren Mann. Der Flötenspieler holte ächzend Luft und suchte mit seiner Hand nach dem Becher mit Wein, um seine ausgedörrte Kehle zu befeuchten. Mit einem lauten Krachen zog er stattdessen eine Fischplatte herunter, fiel auf das Deck, die Fischstücke rollten um ihn herum, die Soße floss um sein Haupt und er starrte mit aufgerissenen Augen gen Decke, verdrehte seine Augäpfel und keuchte. Eine Handvoll Piraten lachten schallend über dieses Malheur, doch Aras blinzelte verwirrt und beugte sich runter, besah sich den Flötenspieler genauer. Schnell richtete er sich auf und wandte sich um, hurtig lief er aus dem Raum hinaus. Ein einziger Pirat rief ihm hinterher. „He, Goldstimme, bleib hier und sing noch etwas...“
    Funkelnd spiegelten sich die Kerzen auf den Glaspokalen, das dunkle Glas brach die Strahlen in viele kleine und bunt schimmernde Lichter und warf glitzernde Punkte auf das Innere der Kajüte, als ob eine Götterhand überall kleine Saphire und Smaragde ausgestreut hätte. Mit einem amüsierten Lächeln trank Tullius einen Schluck von dem edlen Weine und ließ die Frage nach dem ‚Warum und Wieso’ weiter unbeantwortet im Raum stehen. Behutsam drehte Tullius den Glaspokal in seiner Hand, verfolgte mit den Augen die Reflexionen auf Lucillas Gewand und ihrem Gesicht und lächelte in sich hinein, schweigend und Lucilla lauschend als ob es nichts Wichtigeres auf der Welt gäbe, doch im Moment gab es das auch nicht. Tullius ahnte noch in keinem Augenblick, was hinter seinem Schiff her war.
    „Meine Person in Frage stellen? Sonderbar. Meinst Du mich selber oder meine Berufung hier auf dem Meere, mein Sum Piratae?“
    Gedanken verloren stellte Tullius das Glas herunter, griff nach seinem silbernen Löffel und widmete sich weiter dem Hummerfleisch. Annähernd in gleichem Maße wie Tullius das Meer verehrte und liebte, so sehr genoss er die Speisen die das blaue Nass hervorzubringen vermochte. Eine schnelle Abwicklung für die Unannehmlichkeit mit dem Fluch hatte Tullius in der Tat nicht erwartet, doch in einigen Wochen würde Lucilla vielleicht anderer Meinung sein. Tullius konnte sich gedulden, war kein Mann der Hast, wenn es sich nicht als notwendig erwies. Einmal hatte er ein Schiff mehr als eine Woche verfolgt, ehe er zugeschlagen hatte, es hatte sich auch gelohnt.
    Die Tür wurde aufgerissen, Aras trat hinein und sah aufgeregt zu Dardarshi, der immer noch sein ewig scheinendes Lied spielte und von der ganzen Unterhaltung entrückt schien. „Herr, ihr müsst kommen, Herr. Ich glaube, einer der Männer erstickt, Herr!“ gab Aras mit sich überschlagender Stimme von sich. Dardarshi senkte die Hände von seinem Instrument und öffnete die Augen, sah einen Atemzug verklärt zu Aras und nickte darnach. „Wenn ihr mich entschuldigt?“ wandte sich Dardarshi an Lucilla und Tullius, der ihn mit einer Handbewegung entließ. Erst als die Schritte entschwunden war, wandte Tullius seinen Blick von dem zurückgelassenen Instrument ab und betrachtete Lucilla eingehend.
    “Ein Pirat? Was ist das? Ein Räuber auf der See. Was macht einen Räuber aus? Er nimmt sich die Dinge, die nicht ihm gehören, notfalls oder häufig mit Gewalt und der Macht der Waffen. Nun, Lucilla, frage ich Dich eins: Was ist der Unterschied zwischen mir und dem Kaiser in dieser Hinsicht. Fällt der Kaiser mit seinen Truppen nicht in fremde Länder und nimmt den Menschen dort ihre Heimat, ihren Besitz und ihre Freiheit? Seine Soldaten unterdrücken die Menschen und versklaven die Frauen und Kinder, verschleppen sie nach Rom und nötigen sie zu entwürdigenden Arbeiten, dabei plazieren sie die Schätze dieser Menschen arrogant auf die Strassen Roms, stellen ihre Räuberei noch prahlend zu Schau. Oder willst Du mir etwa sagen, dass die Germanen kein Anrecht auf ihr Land haben, wo sie geboren wurden? Dass das Land der Dacer ehemals ein römisches Land war, schon von den Göttern als das Unsrige bestimmt? Nein, Lucilla. Auch der Kaiser, die Soldaten Roms sind nichts anderes als Räuber und somit nicht einen Deut besser als ich und meine Piraten.“
    Tullius lächelte kühl und ergriff abermals die Karaffe mit Wein, goss sich und Lucilla nochmalig nach.
    „Hispania? Vielleicht wirst Du das Land in der nächsten Zeit erspähen können. Deine Heimat...“
    Abrupt verstummte Tullius, das Schiff neigte sich etwas stärker zur Seite und wieder knarrte der Großmast. Tullius wandte seinen Blick zu dem Fenster hinter sich und runzelte die Stirn, seine Nackenhaare richteten sich auf. Irgendetwas stimmte nicht, Tullius konnte es nicht genau benennen, aber schon seit geraumer Weile erschien ihm einiges merkwürdig. Die Art wie das Schiff sich bewegte und neigte. Vielleicht...?
    „Vielleicht wagen wir zuerst einen kleinen Gang an Deck , ehe wir mit der nächsten Speise fortfahren?“
    Bedächtig tupfte sich Tullius mit einem Leinentuch ein wenig Wein von der Oberlippe und erhob sich, trat um den Tisch herum und bot Lucilla galant seinen Arm an.

    Einige Wolkenfetzen trieben über das nächtliche Firmament, verschluckte Saturn und Bootes am Sternenhimmel. Das Deck der Triere Ulpia schaukelte sanft in Küstenreichweite, die Segel waren gerefft und einige misstrauische Augenpaare waren auf die dunkle See gerichtet. „Was ist los?“ Ein Mann, nur in einen Lendenschurz bekleidet, trat auf das Deck, streifte im Gehen eine Tunika über seinen Leib. Einer der Matrosen wandte sich zu dem herannahenden Mann. „Trierarchus? Wir haben Lichter auf See ausgemacht, westwärts treibend. Dort!“ Er deutete auf die sich weiter entfernenden Hecklaternen der Harpyia, die nur noch kleine Lichtpunkte in weiter Entfernung waren, wie eine Reflexion der Sterne. Der Kapitän der Ulpia kniff die Augen ein klein wenig zusammen und sah auf die Lichter, eine nachdenkliche Falte erschien zwischen seinen Augenbrauen. „Was sollen wir tun?“ fragte einer der Matrosen. Auf dem Gesicht des Kapitäns zeigten sich flüchtig seine grüblerischen Gedankengänge, sein Abwägen und seine Bedenken. Schließlich nickte er verhalten. „Lichtet den Anker, trommel die Männer an die Ruder. Wir verfolgen die Lichter. Vielleicht ist sie es dieses Mal. Los, an die Arbeit.“ Der Matrose zögerte nur für einen winzigen Bruchteil eines Momentes, überwand dann seine Abneigung nachts loszusegeln und innerhalb weniger Minuten war das Schiff mit Leben gefüllt, die Ankerkette wurde hochgezogen und die Ruder tauchten tief ins Wasser. Die Ulpia nahm die Verfolgung auf.
    Ohne sich von den Gesprächen der Beiden in der Kajüte stören zu lassen, glitten Dardarshis Finger weiter über sein lyraähnliches Instrument. Er schloss die Augen, ließ sich von den Wogen des Meeres weit in die Ferne tragen, Worte flossen in seinen Geist, ein altes Lied aus seiner Heimat. Auch als die Tür aufging, schien der Parther davon nichts zu bemerken. Abermals trat der zottige Pirat hinein, auf seinen Händen trug er einen weiteren Gang des Mahles, doch er spähte ein bisschen unsicher auf den Tisch, wo noch die Hälfte der Eier lagen. Unwirsch deutete Tullius auf die Eier.
    „Nimm sie ruhig mit!“
    Erleichtert nickte der Pirat und stellte die nächste Platte aus Silber auf den Tisch, fein zerschnittene Fischteile, von der Scholle bis zur Krake, von der Languste bis zum Hummer lagen dort, letztere noch mit ihrem Panzer, eine dickliche gelbe Fischsoße umschwamm das Essen, um dem Fisch eine besondere Würze zu verleihen. Auch Brot reichte der Pirat, nahm die Eier und verließ erneut die Kajüte. Nochmals bediente Tullius Lucilla und tat ihr von jedem der Fisch eine Kostprobe auf den Teller, reichte ihr von dem Brot dazu.
    „Vielleicht langweilt mich das Leben tagein, tagaus hier auf dem Schiff? Es könnte doch sein, dass mir das ewige Spiel, vom Jagen und Gejagt werden nicht mehr reicht? Vermutlich bist Du eine kleine Abwechslung in dieser Monotonie. Oder es ist nur eine Laune, die mich dazu treibt. Aber warum ist es Dir wichtig, das zu wissen? Solltest Du nicht lieber den Göttern danken, dass sie Dich schützen. Schließlich hätte ich Dich trotzdem schon längst töten können, stattdessen biete ich Dir Dein Leben und Deine Freiheit an. Wenn Du mich jedoch zu sehr in Frage stellst, vielleicht fällt mir tatsächlich auf, wie unsinnig das doch wäre.“
    Seine Lippen kräuselten sich erneut zu einem gönnerhaften Lächeln.
    „Du wirst wohl kaum mehr entdecken, als Du jetzt schon gesehen hast, Lucilla. Wir sind ein Schiff voller Piraten, wir segeln auf dem Mare Internum und überfallen Schiffe. Meinst Du, dass wir in all den Jahren nicht schon längstens den Soldaten Roms aufgefallen sind? Was sollte ich da noch fürchten, was Du berichten könntest? Vielleicht mein Name? Der ist der Classis längstens bekannt. Schließlich war diese Triere mal ein Schiff der römischen Flotte und der alte Kapitän ein Trierarchus, bis entschieden wurde, dass er doch mehr die See von der Sicht der Fische aus betrachten sollte. Ich hoffe, Du magst Hummer?“
    Selbstgefälllig lächelnd legte er einen halben Hummer auf ihren silbernen Teller und nahm sich ebenfalls von dem Schalentier, mit seinem Löffel begann Tullius von dem zarten Fleisch aus dem Leib des Tieres herauszuholen und aß einen Bissen davon. Genießerisch betrachtete Tullius die wohlschmeckenden Speisen, denn der Genuss von Essen gehörte zu den wenigen Schwächen, die er sich ab und an leistete, neben seinem Sinn für die Schönheit des Meeres.
    „Bedauerlicherweise werde ich Dir heute keine Austern anbieten können, wenn sie auch sonst oft auf unserem Schiff vorhanden sind. Ich liebe diese Muschelart ganz besonders. Aber kommen wir doch zu Deiner Skepsis zurück. Du meinst ich bin kein Römer? Ich bin in Rom geboren worden und in dieser Stadt aufgewachsen. Du bist es nicht, das höre ich eindeutig aus Deiner Aussprache heraus, bei der ich nicht die Sprachmelodie, die in den Vierteln Roms zu hören ist, vernehmen kann, eher eine Betonung, die auf eine Provinz schließen lässt. Gallia wohl nicht, entweder Magna Graeca oder Hispania.“
    Als er ein weiteres Stück vom Hummer verspeiste, lächelte Tullius zufrieden, sowohl über seine kleine Analyse als auch über den Koch. Es war noch der Koch des alten Trierarchus gewesen, dieser war nicht minder froh diesen Tyrann losgeworden zu sein und so kochte er heute mit Leidenschaft für Tullius und die Piraten, aber freiwillig.
    „Das mit dem Fluch sehe ich durchaus ein, hättest Du ihn zurückgenommen, wäre ich vielleicht sogar ein wenig enttäuscht gewesen. Aber was gibt mir die Sicherheit, dass Du den Fluch lösen wirst, wenn Du mein Schiff verlassen hast?“
    In Tullius Augen glitzerte es amüsiert, er fand immer mehr Gefallen daran, sich mit dieser Frau auseinander zu setzen.
    Der Trierarchus der Ulpia ließ die Segel setzen als sie von der Küste der Balearen sich weiter entfernt hatten, trotzdem ließ er die Männer in der Dunkelheit weiter rudern, das Schiff machte einen Satz nach vorne als der Wind gegen die Segel drückte und schnell pflügte das Militärschiff hinter den Piraten her.