Weit, weit entfernt hatte längstens Gracchus' Bruder die Villa Flavia betreten, die ersten Schritte auf den Wegen von Gracchus Leben getätigt, um mit jedem Fuß, den er vor sich setzte, mehr und mehr in die Gestalt von Flavius Gracchus zu schlüpfen, es zumindest zu versuchen. Doch in jenem Carcer schien die Zeit quälend langsam zu verstreichen, die Nacht strich über das Weingut, legte den dunklen Umhang über alle Menschen dort und schien den Moment in die Ewigkeit ausdehnen zu wollen. Erst der nächste Morgen durchbrach jene quälenden Augenblick der Endlosigkeit, der stets das Ungewisse zu begleiten schien. Die Sonne strahlte blendend weiß in den Kellerraum hinein, draußen krähte kräftig ein Hahn, immer wieder drangen Geräusche von weiteren Hühnern, Schritten von Menschen, mal das Lärmen einiger Kinder hinab in den Keller. Doch obwohl schon längstens die Sonne an den Himmel gestiegen war, ließen die Wärter von Gracchus in dem kleinen Carcerraum auf sich warten. Erst einigen Stunden nach Morgengrauen ertönten Schritte und schließlich öffnete sich vorsichtig die Tür zum Carcer.
Dardarshi betrat den Raum, hinter ihm schloss jemand anderes die Tür, der Rigel wurde fest vor das Holz geschoben und verhinderte den Ausbruch von Gracchus, sollte dieser es überhaupt beabsichtigen.
Auf seinen Armen trug der ,von Narben gezeichnete, Mann ein hölzernes Brett mit einer Schüssel voll mit heißem Weizenbrei mit Honig, dazu warmes, frisches Brot und einem Krug mit Ziegenmilch. Schweigend stellte er das Frühstück auf den groben Holztisch und wandte sich schließlich an Gracchus, verneigte sich mit einem respektvollen Ausdruck. „Guten Morgen, verehrter Flavius Gracchus.“
Noch während er die Worte sprach, griff Dardarshi in einen kleinen Segeltuchsack und holte einige Schriftrollen hervor, legte sie sorgsam neben das Frühstück. „Ich bin mir sicher, Dir bedarf es nicht nur der Nahrung für den Körper, sondern auch für den Geist.“ Darshi hatte sich die Schriftrollen noch in Rom gekauft gehabt, sie für sein eigenes Vergnügen erworben, und gab sie nun durchaus ohne Zögern an Gracchus weiter. Dazu legte er auch einige leere Papyri und ein Schreibset, was er sich eigentlich für einige Gedichte, die er noch zu verfassen gedachte, aufgehoben hatte. Fragend hob Dardarshi sein Gesicht an und sah zu Gracchus. „Möchtest Du lieber ungestört sein oder darf ich Dir Gesellschaft leisten, verehrter Flavius?“
Beiträge von Quintus Tullius
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Langsam erwachte die Villa Flavia zu neuem Leben, das Treiben der Sklaven wurde emsiger, Tullius meinte in dem Haus das kräftige Bellen eines Hundes vernehmen zu können, samtweich strich eine Katze an den Fensterläden des Cubiculum vorbei und schmale Lichtstreifen fielen auf den Boden des Zimmers. Tullius hatte sich mittlerweile auf das Bett seines Bruders, sein Bett nun, gesetzt und sah nachdenklich auf das Lager, welches sich direkt neben der Tür des Cubiculum befand. Während er vertieft seine Unterlippe zwischen seinen Fingern knetete, sann er über den Benutzer dieses Nachtlagers nach: War es eine Sklavin, die Bettgefährtin von Manius Flavius Gracchus und die Person, die Gracchus vor ihm, Quintus Tullius, so dringlichst beschützen wollte, der Grund, warum er derart kühl von seiner doch angeblich so schönen Frau sprach?
Unter Tullius raschelte leise der Stoff aus feinem Leinen als er sich zurück lehnte und das Bett taxierte als ob es aller Geheimnisse Schlüssel wäre, vielleicht war es das auch, womöglich verbarg sich jedoch nur ein profaner Hintergrund hinter jener Liegestatt. Mit einem Ruck erhob sich Tullius von dem unerhört dekadent weichen Bett und trat auf den Schreibtisch zu, strich im Vorbeigehen nochmalig über die bronzene Apollostatue und blieb vor einer Reihe von Wachstafeln stehen. Sauber und akkurat lagen sie aufgeschichtet, schienen noch auf das Beschreiben zu warten, dem Griffelstrich Gracchus, welcher das Wachs mit philosophischen Gedangengut, wohlgesetzten Worten oder eindringlichen Botschaften zu beschriften gedachte. Tullius sah auf die leere Tafel hinab, hob sie hoch und starrte mit verkniffenen Lippen an ihr vorbei auf einen schwarzen Punkt an der Wand. Achtlos legte er sie beiseite und nahm am Schreibtisch Platz, suchte mit seinen Augen und seinen Fingern nach einigen persönlichen Schriftstücken, vielleicht Briefen oder gar einem Tagebuch, was ihm mehr über Gracchus verraten hätte. Zerstreut griff er nach der Karaffe mit Wein, goß sich ein und ergriff schließlich ein Schriftstück, was er in einer kleinen Schublade fand. Seine Augen streiften prüfend die elegante Handschrift. -
Die ersten Morgenstunden grauten, lebhaft und in zahlreichen Chören zwitscherten die Vögel im Geäst der flavischen Gärten, um und im Haus. Fahlgelb fielen die Sonnenstrahlen durch die Öffnung im Dach des Atrium, in dem Quintus Tullius, in Gestalt von Manius Flavius Gracchus nun stand. Es war ein Leichtes gewesen, mit diesem Gesicht, der Kleidung seines Bruders, in die Villa Flavia zu gelangen, der Sklave hatte nicht einen Atemzug gezögert und ihn herein gelassen. Noch völlig verlassen und still lag das prachtvolle Atrium zu den Füßen von Quintus Tullius, nein, Manius Flavius Gracchus.
In seinen Augenwinkeln bemerkte Quintus Tullius die diskreten Bewegungen der vielen Sklaven der Villa, ein neugieriges Augenpaar, was sich auf ihn heftete. Lange sollte er nicht in dem Atrium stehen bleiben, die Pracht des Marmors, der edlen Statuen betrachtend, wenn er nicht schon im ersten Moment Verwunderung oder gar Mißtrauen erregen wollte. So schritt er, mit hoch erhobenen Hauptes weiter und in den nächst besten Gang hinein. Im Halbdunkel des Ganges blieb Tullius stehen und bemerkte: Er wußte nichts über den Grundriß der Villa, weder wo die Räume von Manius Flavius Gracchus, die doch jetzt die Seinigen waren, lagen, noch die der anderen Familienmitglieder. Ärgerlich presste Tullius die Lippen zusammen, doch schon der nächste Sklave löste das Dilemma von Tullius. Kalt durchbohrten seine dunklen Augen den Sklaven mit seinem Blick.
„Lass mir etwas Brot und Wein auf mein Zimmer bringen.“
Der Sklave neigte schnell den Kopf und entschwand. Tullius schlenderte unbeirrt weiter, betrachtete den Säulengang und spähte in den nächsten Gang, der genauso leer und verlassen vor ihm lag. Doch die Schritte einer mageren Sklavin unterbrachen seine Erkundung. Sie trippelte hastig an ihm vorbei, warf ihm einen erschrockenen Blick zu und fragte schüchtern: „Herr, möchtest Du hier das Mahl zu Dir nehmen?“
Herrisch winkte Tullius ab.
„Nein, auf meinem Zimmer. Los, spute Dich.“
Dennoch ein wenig unzufrieden folgte Tullius der jungen Frau, die mit einem Ellbogen die Tür zu Gracchus Zimmer öffnete und im Halbdunkel verschwand. Es würde noch ein wenig bedurfen, wollte Tullius tatsächlich als Manius Flavius Gracchus überzeugen können.
Als das Mädchen den Raum verlassen hatte, die Tür hinter sich schließend, stand Tullius alleine in dem Gemach seines Zwillingbruders, starrte düster auf die Einrichtung des Flaviers, die Bronzefigurine sinnend betrachtend. Einen Schritt darauf zu ließ er seine Finger über das glatte und kühle Metall gleiten.
„Dein Heim, Dein Leben, Manius! Wer Du wohl bist...?“
Suchend sah sich Tullius um und begann die Sachen von Gracchus zu durchsuchen, mit der Absicht Hinweise nach der Persönlichkeit seines Bruders zu finden. -
Kleine wilde Strudel bildeten sich in der weinroten Flüssigkeit in Quintus Tullius Becher. Schatten glitten über die Wände und verwoben sich zu einem komplexen Spiel, während die Flammen der Öllampen durch einen kaum spürbaren Luftzug hin und her tanzten. Einem Strudel Neptuns gleichend drehten sich die Strudel im Wein und zogen Tullius Gedanken hinfort wie die hilflosen Planken eines treibenden Schiffes, der Wind seines eigenen Zornes, der maßlosen Arroganz seines Bruders wegen, trieb die zerfetzten Segel seines Gedankenschiffes noch voran. Noch ehe ein Atemzug verging, richtete Tullius seine geistige Aufmerksamkeit wieder auf einen einzigen Fokus, seinen Bruder, den er in keinem Momente unterschätzen durfte oder ihm gegenüber eine Schwäche offenbaren, dies war Tullius sehr wohl bewusst.
Mit einem wachen Ausdruck in seinen Augen lauschte Tullius seinem Bruder, während der Groll in ihm stetig anwuchs. Ein kleiner Funke in ihm, den er bis dato nicht bemerkt hatte, schwoll an, erhielt die Gestalt einer winzigen lodernden Flamme, die noch mit Nahrung versorgt werden musste, oder in einem starken Windhauch eingehen würde. Doch der Keim: Hass war in ihm bereits jetzt zu finden, eine Animosität darauf, dass Gracchus stets die einfachere Möglichkeit im Leben erhalten hatte.
Der Stuhl knarrte marginal unter Tullius Gewicht als er sich zurück lehnte und seinen Arm äußerlich ruhig auf dem Tisch ablegte und Gracchus unverwandt besah.
Über seinen Posten, den von Gracchus, musste Tullius doch ein wenig länger sinnieren, hatte er selten viel Augenmerk auf die Amtsträger der Hauptstadt gelegt, doch ihm schwante, er widmete sich dem letzten Willen der Verstorbenen, was Tullius wohl mehr als ermüdend empfinden würde.
Jede Geste, jede Regung und das feine Mienenspiel von seinem Zwillingsbruder beachtend studierte Tullius ihn, ähnlich ein Raubtier seinem Opfer gegenüber. Doch noch während Gracchus die Worte über die Familie sprach, Tullius merkte am Rande, wie maßlos wohl Gracchus ihn mit der Behauptung der engen Familienbanden am Morgen irreführen wollte, erkannte Tullius, dass dieses Studium nur für wenige Flavier von Nöten sein würde, dennoch befand er die Herausforderung so gänzlich anders zu sein als immer noch sehr reizend.
Jedoch gleich stieg in Tullius der Keim des Verdachtes auf, ob Gracchus ihn nicht einfach belog, vortäuschend sein eigener Bruder kenne Gracchus nicht, ebenso wenig seine Frau. Doch Tullius würde weder sich auf ein Glatteis begeben, was sein Bruder für ihn bereitete oder welches aus Unvorsichtigkeit heraus entstand.
Durchdringend Gracchus taxierend lächelte Tullius kühl, schwieg sich einige Atemzüge aus und sann über jene letzten Worte nach. Den Sklaven von Gracchus mitzunehmen war durchaus eine Versuchung für Tullius, doch die Gefahr, die dieser barg, Tullius würde ihn nicht ständig im Auge behalten können, war zu groß als dass es durch den Nutzen des Mannes, ihn die Familienverhältnisse zu offenbaren und besonders, ihm die Gesichter zu den passenden Namen aufzuführen, aufgewogen wurde.
Im Geiste ging er nochmalig alle Genannten durch, Lucullus, Felix, Furianus, Milo, die beiden Kinder, Serenus und Arrecina, und die beiden Wichtigsten, Leontia und Aquilius. Bei dem letzten Namen meinte er bei Gracchus eine etwas andere Stimmlage wahrgenommen zu haben, doch es war ein Verdacht, der sich an den Rande seines Bewusstseins fest haftete, nicht greifbar war und somit von Tullius als belanglos zur Seite geschoben wurde. Niederschreiben brauchte sich Tullius das Gesagte wahrlich nicht, mal davon abgesehen, dass er nur rudimentäre Schreibkenntnisse besaß und dies stets verborgen hielt. Aber so war immerhin sein Gedächtnis sehr viel stärker geschult worden.
„Bruder, erneut bin ich Dir wohl zu Dank verpflichtet, was deine bereitwillige Auskunft betrifft. Dennoch hoffe ich durchaus, dass Du mit Deinen Worten und Deiner Aufklärung mir eine Falle zu stellen versuchst. Alles andere würde mich durchaus enttäuschen, schließlich solltest Du es mir in diesen Belangen nicht allzu leicht machen.“
Tullius erhob sich und schob den Stuhl an den Tisch heran, mit dem Hauch eines feinen Lächelns kräuselten sich seine Lippen unerheblich, seine Augen blitzten unternehmungslustig auf.
„Aber nun, werter Bruder, so sehr ich auch Deine Gesellschaft genieße, muss ich leider aufbrechen. Benötigst Du Dinge, die Du hier nicht zu finden vermagst, wird Dir mein Amicus das womöglich beschaffen können. Auf bald, Bruder!“
Den linken Arm marginal höher gehoben wandte sich Tullius ab und verließ, ohne einen Blick zurückwerfend, den Raum, ein schwerer Riegel schob sich vor die hölzerne Tür. Im Gang angekommen blieb Tullius stehen, sah auf die kleinere Gestalt, die dort geduldsam wartete.
„Du brauchst nichts zu sagen, Darshi!“
Der Parther sah stumm zu Tullius und zuckte mit der Schulter. „Das habe ich nicht vor. Wenn Du diese Posse betreiben willst, ist das Deine Angelegenheit. Nur solltest Du Dich nicht endgültig mit den Göttern verderben, wenn Du Deinen Bruder tötest.“
Ein höhnisches Lächeln glitt über Tullius Lippen.
„Dafür ist es zu spät, Amicus. Wir sehen uns in einigen Tagen wieder.“
Ehe Tullius die Treppen erklimmen konnte, hielt ihn Darshi am Arm fest. „Was darf er erfahren?“ Verwundert wölbte sich Tullius Augenbraue in die Höhe, doch schon sank sie herunter und Tullius dachte einige Atemzüge über jene Frage nach.
„Was Du als richtig erachtest, mein Freund!“
, gab Tullius schließlich zur Antwort und trat auf die erste Stufe, zögerte nur einen unbedeutenden Augenblick und verschwand in der sich stärker abzeichnenden Dunkelheit. Der letzte Hauch der untergehenden Sonne zeichnete sich über den Bergen ab, einige Schwalben flogen am Himmel und fingen elegant im schwindenden Licht die Fliegen aus der Luft ein. Tullius genoss den Ausblick über die Talschluchten um das einsame Weingut und wandte sich an einen Mann, der Süßholz kauend, auf einigen Holzscheiteln saß.
„Danke!“
, sprach Tullius schlicht aus, ein Wort, was er selten nutzte. Der Mann, breitschultrig und mit Wetter gegerbter Haut nickte kurz. „Keine Ursache, ich stehe eh noch in Deiner Schuld, Kapitän.“
Tullius Mundwinkel verzogen sich schief und schweigend wandte er sich zu dem Pferd um, was bereit stand.
Als das letzte Licht entschwunden war, hatte auch Tullius das Weingut verlassen, ließ seinen Bruder in dem nur von Öllampen erleuchteten Raum, der zudem sehr spartanisch eingerichtet war, zurück. -
Tief in seinem Inneren ruhte ein Vulkan oder viel mehr glich Tullius in gewissen Maßen auch äußerlich einem Feuerberg. Von Außen hatte er etwas schroffes, wirkte an manchen Stellen mit der blühenden Natur dann mehr lieblich, durch den trügerischen Schlaf sogar friedfertig und schien in einem seligen Schlummer zu ruhen. Doch manchmal erbebte er und das rot glühende Magma suchte seinen Weg an die Oberfläche, um alles um sich herum zu zerstören und zu verbrennen, nur Asche und eine öde Mondlandschaft zurück lassend. Als Quintus Tullius den Worten seines Bruders lauschte, entstanden haarfeine Risse im schwarz erkalteten Magma, die die Oberfläche des Kraters bildete. Gleich der Nebel der Hitze aus den Ritzen hervordrang, erbebten Tullius Nasenflügel als Zeichen seines Unmutes und wachsenden Ingrimms. Als schon das erste Magma durch die Lücken quoll, der Druck im Berg immer stetiger wurde, erzitterte der Wein in seinem Becher marginal. Doch mit der üblichen Selbstkontrolle verbot sich Tullius den Ausbruch seines Zornes und zog einen Stuhl heran, auf dem er, außen ruhig und gelassen wirkend, Platz nahm.
An einem Wort alterierte sich Tullius am Meisten: Herumtreiber. Gelassen, wenn das auch nur Trug und Schein war, trank er vom Wein und lächelte verächtlich. Schweigend lauschte Tullius seinem Bruder, schob das Brett mit dem Essen an den freien Platz weiter und blieb stumm bis Gracchus zu Ende gesprochen hatte.
„Wenn Du das meinst, mein lieber Bruder, dann wird das wohl so sein. Ich möchte nicht dem Patrizier von uns Beiden widersprechen, sicherlich hast Du eine philosophische Ausbildung genossen, was sollte ich armer Mann aus der Subura in dieser Hinsicht entgegnen können?“
Triefend vor Hohn sprach Tullius, seine Mundwinkel zuckten dabei im höchsten Maße amüsiert und der Vulkan erlosch in ihm abermals, der Zorn war gebändigt.
„Dennoch möchte ich, meines ahnungslosen und doch eingeschränkten biographischen Hintergrundes zum Trotz, eines anmerken. Ein Spiel kann sehr wohl höchst diffizile sein und eine Komplexität erzeugen, die einen meisterhaften Denker und Analytiker des Lebens erfordert. Darum heißt es nicht, dass das Spiel um Leben und Tod nur einem Schema, dem Wurf von einigen Knochenstücken gleichend, folgen muss. Im Gegenteil, dies langweilt mich doch oftmals maßlos. Außerdem, Manius, ist es durchaus möglich, die Pflichten in diesen ganz extraordinären Wettkampf einzubinden, bedeuten sie doch nur eine weitere fordernde Schwierigkeit in dem Kampf, den man sich in seinem Leben nun mal stellen muss.“
Mit einem Arm stützte sich Tullius auf dem Tisch auf und spitzte nachdenklich seine Lippen und begann unbewusst mit einer Hand seine Unterlippe zu kneten. Nur einen kaum merklichen Atemzug vollführte er die Geste ehe er seine Hand sinken ließ und Gracchus betrachtete.
„Du bist also ein Priester?“
Nicht sonderlich angetan von dieser Eröffnung lehnte sich Tullius zurück und betrachtete sinnend sein Spiegelbild. Der Gedanke an den Fluch keimte in ihm auf, vielleicht hätte er Gracchus in dieser Hinsicht um Hilfe bitten können, wenn Tullius nicht zu sehr stolz darauf war, derer nicht zu benötigen.
„Vielleicht wird doch eines Tages der Moment kommen, an dem Du meinen Tod herbei wünschst, mein lieber Bruder. Mir dünkt, es wir schlechterdings so geschehen. Und Manius, ich werde es Dir nicht so einfach machen, dass Du mich durch einen Lakaien beseitigen lassen kannst. Oh nein, so nicht. So nicht…“
Die letzten Worte murmelte Tullius mehr, sah an Gracchus vorbei und auf die düsteren Schatten, die sich zu Mäulern und Klauen verformten und nach ihm zu greifen schien. So würde es mit Sicherheit nicht passieren, denn der Fluch würde ihn ereilen oder das Kreuz, womöglich war auch das Kreuz der Fluch oder vielmehr Gracchus Ausdruck des Fluches in der Gestalt der personifizierten Rachegötter. Tullius Miene verhärtete sich und er ließ den Becher in seiner Hand kreisen.
“Erzähl mir doch ein wenig von unserer Familie. Wer von ihnen lebt in Rom zurzeit?“ -
Das hauchzarte Band, was sich zu seinem Bruder einen Weg bahnen wollte, sich mit seinem Gegenüber verbinden und zu einem feinen, geistigen Netz von Sympathie und Brüderlichkeit verbinden wollte, zerriss jäh als Gracchus seine Hand abstreifte und sich von Tullius fort drehte. Vielleicht hätte es den Samen der Schwäche in Tullius Seele ausgestreut, hätte die Pflanze von familäre Banden wachsen lassen können, doch so erstarb der Keim, ehe er auch nur die Gelegenheit erhielt zu sprießen. Tullius wandte sich ebenso von Gracchus ab und runzelte über sich verärgert die Stirn, in den letzten Wochen gab er sich immer wieder schwächelnden Gefühlen hin, ließ sich von ihnen beherrschen und kontrollieren, dabei war es stets sein Vermögen, solch ein Negativum zu entgehen, worauf er stolz gewesen war. Wer schwach war, verdiente zu sterben, so einfach war es für Tullius und dieser Grundsatz prägte sein ganzes Leben. Noch ehe mehr von diesen maladen Seelenregungen in ihn hinaufdrängen wollten, verschloss er abermals sein Innerstes tief, verbot sich solch eine sentimentale Anwandlung. Nur ein kaum hörbares Seufzen war der letzte Ausdruck der aufschreienden Leere in ihm, die danach suchte gefüllt zu werden. Kalt lächelnd, seine Miene erneut beherrscht, wandte er sich zu Gracchus, betrachtete schweigend dessen Rückenseite und das Schattenspiel auf seiner groben Tunika.
Prüfend sah er ihn an, sinnierte darüber, warum, sollte sich jene Patrizierin als Schönheit erweisen, Gracchus nicht leidenschaftlicher von ihr sprechen konnte. Hernach schien es wohl zu sein, dass jene Frau zu der Sorte unterkühlte Patrizierin gehören würde, die Art von Frauen, die Tullius wenig schätze und die ihn schnell langweilten. Aber vielleicht würde er sein Vergnügen mit ihr haben, eine Nacht und sie dann negieren und sich anderen Aspekten von Gracchus Leben widmen, ebenso herausfinden, was Gracchus so sehr fürchtete, dessen er, Quintus Tullius, habhaft werden und zerstören könnte.
Langsam schritt Tullius an Gracchus heran und blieb an seinem Rücken stehen, sah über dessen Schulter hinweg auf den verlöschenden Lichtschein, deren orangeroten Facetten in zahlreichen Perlmutfarben über den Boden strich und das Profil von Gracchus erleuchtete.
Jammernde und weinende Männer und Frauen waren Tullius von je her ein Graus gewesen. Und die Art, in der Gracchus von seinen Pflichten und seiner Familie sprach, dünkte ihm gleichermaßen. Tullius Lippen verzogen sich zu einem verächtlichen Lächeln, unsägliche Despektion stieg in Tullius auf und er beherrschte sich eisern, sich nicht mit einem abfälligen Schnauben von seinem Bruder abzuwenden. Der Mann vor ihm war in einem der reichsten Familien des Imperiums geboren, hatte sich nie darum sorgen müssen, ob der nächste Tag den Hungertod für ihn bedeuten würde, nie die Frage, wo er als nächstes schlafen würde. Und ebendies war der Grund warum Tullius die Patrizier noch mehr verachtete, obwohl sie sich ihres Glückes bewusst sein sollten, hielten sie sich mit ihren armseligen Selbstmitleid und Sorgen auf.
„Bruder, Du solltest Dich glücklich schätzen, dass Du eine Familie hast. Und gerade diese Familie, wie mir scheint. Du ergehst Dich zu sehr in den Nachteilen Deines Daseins. Das nenn ich wahrhaft deplorabel, Manius.“
Tullius sah zur Seite und hob marginal seinen linken Arm, in der Tat saß die Toga noch vortrefflicher und behinderte ihn sehr viel weniger. Aber dass sein Bruder ihn in solchen Dingen haushoch überlegen war, daran zweifelte Tullius nicht. Einige Atemzüge lang fragte sich Tullius, wie es wohl gewesen wäre, hätte sie das Schicksal nicht derart grausam entzweit, doch solcher Art Gedanken nachzuhängen war bei Weile mehr als müßig und somit wenig sinnig, also schob Tullius diese beiseite.
„Das Leben ist immerzu ein Spiel, warst Du Dir dessen nicht schon vorher bewusst? Ein Spiel ist immer ein Ringen um das Obsiegen oder Verlieren. Ein ständiger Kampf, der die Menschen fordert, formt oder in den Abgrund stößt. Und in dem Spiel namens Leben finden sich nur die Regeln, die die Stärkeren vorgeben und sie auch durchzusetzen vermögen. Im Moment, Manius, bist Du nicht in der Lage Regeln aufzustellen. Vielleicht ändert sich das in der Zukunft und Du wirst mich das, was ich in den nächsten Tagen tue, sühnen lassen, womöglich auch nicht. Es wird sich zeigen, wie stark Du Dich in diesem Wettkampf erweisen kannst. Ich muss zugeben, von den meisten Patriziern Deines Schlages halte ich nicht viel, sie sind schneller durch meine Hand gestorben als sie ein Gebet an die Götter schicken konnten. Aber, mein lieber Bruder, ich hoffe sehr, Du machst es mir nicht derart einfach. Aber darum werde ich Dir auch die Gelegenheit geben, Deine Würfel in das Ringen um Leben und Tod der Göttin Fortuna hinzuwerfen.“
Genüsslich lächelnd wandte sich Tullius um und trat zu dem Tisch, zog eine Öllampe heran, deren Schein nun ein hölzernes Brett beleuchtete. Aus einer tönernen Karaffe goss Tullius Wein in zwei Becher hinein.
„Ich breche erst in einigen Stunden auf! Vielleicht essen wir noch gemeinsam und Du erzählst mir einige Belange Deiner Familie?“ -
Nur ein sehr schmaler Lichtstreifen fiel in einen benachbarten Keller, mit einem ebenso hohen Gewölbe, zwei Öllampen aus grobem Ton gearbeitet. Ein einsames Lager, ein alter Tisch und ein halbes Fass als Stuhl zierten die Räumlichkeiten. Doch hier hinein wurde dem flavischen Sklaven ein Stoß gegeben, nachdem seine Hände von den Fesseln befreit wurden, und die Tür mit einem lauten Rumpeln hinter Sciurus geschlossen. Durch ein vergittertes Fenster an der massiven, eisenbeschlagenen Tür spähte ein Augenpaar in den halbdunklen Kellerraum hinein. „Zu Essen gib’s später! Decken liegen auf dem Lager.“, verkündete eine raue Stimme, schwere Schritte entfernten sich, ein leises Raunen war noch im Gang zu hören und dann mehrere Füße, die scheinbar eine Treppe erklommen.
Tiefschwarze Ombragen schlangen ihre Arme um die zahlreichen dunkelgrau bis nebelfarbenen Schattenumrisse des Kellers, entfleuchten vor den sich immer blasser färbenden Strahlen, huschten davon, stoben in die dunklen Ecken und suchten langsam mit gierig dunklen Schattenfingern das Land der Sonne zu erobern.
Dass sein Bruder auch in dieser Situation die Contenance bewahrte, weder ihn verfluchte, noch jämmerlich jammerte, sogar noch einen gewissen Funken an Humor offenbarte, gefiel Tullius durchaus und sein Bruder erschien ihm weniger erbärmlich als noch die letzten Stunden. Quintus Tullius Lippen kräuselten sich zu einem hauchzarten Lächeln als er seinen Bruder betrachtete, hob verwundert die Augenbraue, glaubte er doch, dass sein Amicus die Fesseln gelöst hatte, aber scheinbar war Gracchus immer noch durch sie behindert. Mithin trat Tullius um Gracchus herum und beugte sich herunter, streifte mit dem linken Arme die Schulter von Gracchus und löste mit einem Ruck die widerborstigen Seile um Gracchus Handgelenke.
Annährend behutsam ergriff er eine Hand von Gracchus und zog ihn, sich selber aufrichtend, vom Boden hoch. Als sie sich gegenüberstanden, noch nicht einmal einen Finger breit von einander entfernt, lächelte Tullius abermals, legte beide Hände auf Gracchus Schultern und sah ihm durchdringend in die Augen.
„Bruder, ich nehme mir, was mir gefällt und frage nicht darum. Das war von je her so und das wird auch in Zukunft so sein. Sagen wir, es liegt nun mal in meiner Natur und vielleicht in der unserer Vorfahren. Ob Dein Leben mir gefallen wird? Das werde ich in den nächsten Tagen erfahren. Doch du magst womöglich beruhigt sein, wahrscheinlich verliere ich schon schnell die Lust an diesem kleinen Spiel.“
Nicht nur sein Aussehen war verändert, auch der Odeur, den Tullius umgab, war ein gänzlich Anderer. Der Geruch nach einem herben und doch verfeinerten Duftwasser, untermalt vom Hauch von Moschus, ging von Tullius aus. Prüfend taxierte Tullius seinen Bruder, blieb weiterhin so nahe bei ihm stehen und versuchte zu eruieren, wen er in der Villa zu schützen versuchte, denn so allgemein seine Rede gehalten war, so sehr stieg wiederum in Tullius der Verdacht auf, dass das Anliegen weniger Grundsätzlich, sondern ganz Speziell gemeint war.
Immer noch ruhten Tullius Hände auf Gracchus Schultern, Tullius atmete tief ein und streifte dabei Gracchus noch mehr, um seinen Mundwinkel zuckte es amüsiert.
„Natürlich bist Du verheiratet. Das gebührt einem Patrizier schließlich. Ist sie schön, Deine Frau? Eventualiter werde ich mich ihrer annehmen, allenfalls auch nicht. Doch dich scheint es nicht zu stören, wenn ein anderer Mann, selbst wenn es Dein Bruder ist, oder gerade ebendarum, bei Deiner Frau liegt?“
Scheinbar ungläubig schnalzte Tullius mit der Zunge, sah Gracchus unverwandt und ungeniert an, während abermals das sadonische Lächeln seine Lippen umspielte. Unter seinen Fingern spürte Tullius den groben Stoff von Gracchus neuer Tunika. Näher auf das Thema Gemahlin wollte Tullius nun doch nicht eingehen, mehr auf das, was Gracchus nicht ausgesprochen hatte und Tullius um so faustischer machte. Unerheblich beugte sich Tullius noch mehr vor, doch es genügte nur einen Hauch von Gracchus Gesicht entfernt zu sein. Bei jedem Wort, was Tullius sprach, strich sein warmer Atem über Gracchus Wange, Tullius Duft wurde umso eindringlicher.
„Aber Manius, sprich, wen versuchst Du vor mir zu schützen? Eine Konkubine? Eine Verwandte? Einen Verwandten? Wer ist es, der Dir so viel bedeutet, dass Du selbst in dieser desolaten Konstellation darüber betulicht bist. Von wem…“
Als Tullius Gracchus in die Augen sah, stockte Tullius. Ein Funkeln oder ein Ausdruck, den Tullius nicht deuten vermochte, raubte ihm den Gedanken, den er noch äußern wollte. Was es war, konnte auch Tullius nicht benennen, doch das da etwas schwelgte, dessen war sich Tullius gewiss. Tullius verharrte, sah Gracchus in die Augen und versuchte einzig und alleine mit seinem Blick zu detektieren, was es sein könnte. In jedem anderen Augenpaar hätte er nicht so sehr einen derartigen Ausdruck zu ergründen gewollt, doch hierselbst sahen ihn seine eigenen Augen an, waren mehr ein Spiegel zu seiner eigenen Psyche, war doch Gracchus mehr als ein Bruder, sein Zwilling und somit die Hälfte vom Ganzen, wie sein Amicus dargelegt hatte. War das der Grund, warum Tullius selbst mit den größten Reichtümern, der Macht auf hoher See und seinem eigenem Schiff stets unzufrieden gewesen und von einer seltsamen Leere erfüllt war? Zum ersten Mal in seinem Leben erstarrte Tullius, sah seinem Bruder unverwandt in die Augen. -
Neugierig schnüffelte ein kleiner Straßenhund im Innenhof, hob seine Schnauze zu den versammelten Männern auf den Treppenstiegen, witterte in ihre Richtung, verlor jedoch alsogleich das Interesse und markierte nur hic et nunc sein Revier um zu der Ecke mit dem Metzger zu verschwinden, manchmal fielen für ihn kleine Happen von den Innereien ab. In seinem beschränkten Geist ahnte er noch nicht, dass er sich in den nächsten Wochen dort keine Leckereien erhoffen konnte, der Metzger lag mittlerweile tief am Grunde des Tibers. Das Leben wurde immer regsamer in der schäbigen Insula, doch in der kleinen Wohnung im oberen Stockwerk schien die Zeit für einige Atemzüge still zu stehen.
Aufmerksam verfolgte Tullius die Bewegungen von Sciurus, runzelte angestrengt die Stirn, konnte jedoch kaum ein Wort von dem Sklaven vernehmen. Ärgerlich sah Tullius zu seinem Amicus hinüber, der nur andeutungsweise mit der Schulter zuckte, da Sciurus ihm die Sicht geraubt hatte.
Noch ehe sein Bruder einen Laut von sich gab, spürte Tullius die unmerklichen Bewegungen von Gracchus, presste fest die Lippen aufeinander und wünschte sich, dass Gracchus noch ein wenig länger in den Armen der traumlose Schwärze gefangen gehalten worden wäre, hätte ihm das doch sein Vorhaben etwas erleichtert und auch Gracchus einiges an Unannehmlichkeiten weiterhin erspart. Doch Tullius wappnete sich, schlang den Arm fester um Gracchus, damit jener nicht in einer unbedachtsamen Bewegung sich selber durch den Dolch am Hals verletzte.
Einen langen Atemzug lang war Tullius von den Augen seines Bruders gebannt, sah ihn ruhig und kühl an, und obwohl sich Tullius schon seit seiner Kindheit vor vielem verschlossen hielt, von Drohungen, Beschimpfungen und lästerlichen Worten sich nicht berühren ließ, stießen die wenigen Worte von seinem Bruder tief in sein Innerstes hinein. Tullius Nasenflügel erbebten marginal, so brauchte er einen Augenblick um seiner Stimme einen unbeteiligten Ton zu verleihen.
„Womöglich. Doch Du, Bruder, hättest kaum in der Subura überleben können. Geschweige denn dort, wo ich in den letzten Jahren war.“
Auf der Triere hätte der Mann, den er in seinen Armen hielt, wohl kaum die Jahre durch gestanden, die Tullius dort an den Rudern verbracht hatte, doch in Tullius keimte schlechterdings der Verdacht: vielleicht unterschätzte er selber seinen Bruder zu sehr. Nichtsdestotrotz würde er das und das Potential seines Bruders in den nächsten Tagen eruieren, seine Lippen kräuselten sich zu einem feinen Lächeln und er schob Gracchus auf den Tisch zu. Noch einmal wollte er ihm nicht mit dem Dolch an die Schläfe schlagen, denn die Gefahr ihn dabei zu töten, war zu groß.
Noch bevor die Sonne einen Handbreit am Tisch weiter wandern konnte, hatte Tullius, mit der Hilfe seines Amicus, die beiden Männer gefesselt. Den Dolch steckte Tullius schließlich an seinen Gürtel und sah auf Gracchus hinab, keine Regung, kein Mitgefühl zeigte sich in Tullius Antlitz.
„Sei unbesorgt, Bruder, ich töte Dich nicht. Auch Deinen Sklaven nicht, den erst recht nicht. Aber Du wirst nun lernen müssen, dass weder Deine Familie, noch Dein Name oder ein kleiner Halbmond Dich zu schützen vermag. Wir sehen uns später, Bruder.“
Mit einem Ruck zog Tullius einen dunklen Leinensack über Gracchus Kopf, selbiges tat Dardarshi mit Sciurus. „Was tust Du da?“ tönte die Stimme von Laevinia.
„Das geht Dich nichts an!“
Still und verlassen lag die Wohnung in dieser schäbigen Insula, nachdem Tullius seinen Bruder aus der Insula geschafft hatte. In einem Wagen, beladen mit Säcken und Fässern schmuggelte Tullius seine beiden Geiseln aus dem Viertel und auch aus der Stadt hinfort. Überdies kannte Tullius die tausend Augen der Subura, die aus jedem Fenster, jeder Gosse und jedem Loch der Cloaca zu starren schienen, doch wer in der Subura aufwuchs, der lernte wie eine unsichtbare Ratte durch den ganzen Abfall der Stadt zu verschwinden. Und das tat Tullius, mit seinem Bruder. -
Anmutig und mit filigranen Flügeln schwebte ein fahlgelber Zitronenschmetterling über die ersten blühenden Knospen der leuchtend weißen Anemonen. Ein milder Wind strich liebkosend durch die Zweige einer Platane, deren borkige Rinde in allen braunen Farben erstrahlte, von hell bis dunkel. Ihre Wurzeln ragten tief in das Erdreich neben dem kleinen Weingut außerhalb von Rom und in den Sabatiner Bergen gelegen. Idyllische und atemberaubende Talschluchten umgaben die noch kargen Weinberge, deren Weintriebe erst in naher Zukunft ausschlagen würden. Zartrosa fiel die Abendsonne auf das ländliche Gut, tauchte alle harten Konturen in einen weichen Schleier und ließ die sonst strahlend weiße gekalkten Fassade in blassen Pastelltönen erstrahlen.
Doch fiel tiefer, weit unter dem Erdreich, weit unter Sols Scheibe, lag ein hoher Kellerraum, mit einem geziegelten Gewölbedach. Nur durch ein einzelnes vergittertes Kellerfenster fielen die grellen Strahlen der Sonne.[Blockierte Grafik: http://img117.imageshack.us/img117/2386/gewoelbesj4.jpg]
Auf dem rauen Boden wurde Gracchus unsanft von einem grobschlächtigen Mann heruntergelassen. Seiner Toga war Gracchus schon vor einigen Stunden beraubt, ebenso seiner edlen Calcei Patricii, stattdessen war ihm ein grober Mantel übergeworfen und ein altes paar Caligae angezogen worden, doch der Sack war immer noch über ihn gestülpt, die Fesseln schnürten an seinen Handgelenken ein. Einige Atemzüge war es vollkommen still im Gewölbe, dann näherten sich Gracchus Schritte. Der Sack wurde gelöst und Dardarshi zog den groben Stoff von Gracchus Haupt herunter. „Verzeih, werter Flavius, das alles so gekommen ist.“ Der Parther hatte fast eine ganze Stunde auf seinen Freund eingeredet, doch es hatte nicht viel ausgerichtet. Geschickt, trotz des klobigen Erscheinen seiner Hände, löste Darshi die Fesseln und trat von Gracchus ein Schritt zurück, verschwand schließlich in der Dunkelheit.
Ein großer Kellerraum, eine Lagerstätte, ein Tisch und zwei Stühle beherbergten diese Räumlichkeiten, ebenso einige Öllampen aus Ton, gebrannt in den Gestalten einiger einfacher Tiere, Katzen, Pferde oder Vögel. Aus ihren Mäulern züngelten die Flammen des brennenden Öls.
„Bruder, auch ich muss mich entschuldigen. Leider werde ich Dir in den nächsten Tagen nicht den Komfort bieten können, der Dir angemessen wäre.“
Mit einem sadonischen Lächeln auf den Lippen und einem panurgischen Funkeln in den Augen trat Tullius um Gracchus herum. Doch man hätte ihn nicht mehr für Tullius halten können, es war mehr als ob Gracchus nun wahrlich in das Spiegelbild sehen würde, das ihm noch sein Barbier am selbigen Morgen, ehe die ersten Sonnenstrahlen sich über die Stadt gelegt hatten, vorgehalten hatte. Penibel rasiert, die Haare geschnitten und in einer weißen Tunica, mit Gracchus Toga darüber, gekleidet, war kaum mehr etwas von dem schlichten Mann aus der Subura übrig. Aufrecht, stolz und durchaus erhaben sah Tullius auf seinen Bruder hinab, schien schlechterdings in der Lage zu sein die Toga würdevoll zu tragen.
„Ich bin Dir zu Tiefst verbunden. Du hast mir wahrlich einen famosen Einfall geschenkt. Ahnst Du es schon, Manius?“
Tullius trat an Gracchus heran und half ihm auf, sah ihm dabei einlässlich in dessen Augen und Tullius Lippen kräuselten sich zu einem erwartungsvollen Lächeln. -
Goldgelbe Sonnenstrahlen legten sich auf die beiden Brüder, Quintus und Manius, reflektierten an der kalten Schneide des Dolches, welche weiße Lichtflecken in den düsteren Teil der Insulawohnung warf. Tullius legte seine unblutige Hand auf die sich langsam hebende Brust seines Bruders und seine Lippen kräuselten sich zu einem zufriedenen Lächeln. Und schon seit Wochen hatte sich Quintus nicht mehr derart lebendig gefühlt, egal wie der Ausgang dieser Geschichte, dieses Abenteuers war, es erregte ihn beinahe auf gleiche Weise als seine blutigen Beutezüge auf den Planken fremder Handelsschiffe. Das Blut rauschte pochend durch seinen Körper, das leichte und wohlige Schaudern überfuhr ihn und nebst diesem war er völlig klar im Geist. Natürlich gedachte Tullius nicht, dem Sklaven zu berichten, was er in Wahrheit plante und wie er vorzugehen gedachte, geschweige denn, warum er das Ganze veranstaltete. Die Zeit würde als Freundin der schonungslosen Wahrheit all diese möglichen Fragen offenbaren.
„Mach Dir mal keine Gedanken über meine Planung, Sciurus. Aber es freut mich zu hören, daß Du Dich für das Leben Deines Herren entschieden hast.“
Es stimmte Tullius durchaus froher, dieses Dilemma doch mit der Zustimmung des Servus gelöst zu sehen, zumindest hoffte er, für sie alle, dass sich Sciurus auch an diese Worte hielt. Denn nur ungern, wahrlich sehr widerwillig, würde Tullius seinen eigenen Bruder in den Tod schicken wollen. Das eigene Blut vergießen zu müssen, war eine gänzlich andere Tat als fremde Patrizier oder Händler zu ermorden.
„Und Sklaven, die Sklaven Deines Herren dort draußen, habe nicht darüber zu sinnen, was der Flavier macht. Seit wann ist ein Flavier seinen Sklaven gegenüber Rechenschaft schuldig? Schick sie einfach fort, ohne zu erwähnen, dass der Aufenthalt womöglich Tage währen könnte. Außerdem wirst Du hier bleiben, das sollte ihnen für den Moment genügen.“
Seine Gemahlin, erneut verzogen sich Quintus Tullius Lippen zu einem Lächeln. Er konnte sich schon gut vorstellen, was für eine Frau, was für ein Weibchen diese war, nur mehr dazu in der Lage ihre Tage mit Einkaufen auf den Märkten, dem Verjubeln von Gracchus Geld zu verbringen oder in dem Garten der Villa zu flanieren. Seine Verachtung den Patrizier gegenüber bezog sich insbesondere auch auf die Frauen dieses Standes, wobei er von dem weiblichen Geschlecht durchwegs mit Despektion dachte, hielt er sie doch besonders für schwach und nichtig.
Obwohl ein Stechen durch seine Seite raste, zog Tullius seinen Bruder in die Höhe und hielt den schlaffen Körper in seinen Armen, den Dolch weiter an seinen Hals. Seine Wunde schmerzte als er Gracchus mit zur Wand trug und sich dort neben den Fensterrahmen lehnte.
„Keine falschen Worte, Sciurus, ich höre und der Parther sieht alles. Aber ich bin mir sicher, Du bist klüger als Dein Herr in solchen Belangen.“
Tullius brauchte seinem Amicus mit keiner Geste deuten, was zu tun war. Dieser trat auf die Tür zu und öffnete sie, behielt aber genauso wie Tullius den gefährlichen Sklaven gut im Auge. -
Ein despektierliches Lächeln auf den Lippen tragend gab Tullius der Tür einen sachten Stoß, sie schwang langsam zu und nahm den draußen wartenden Sklaven jegliche Sicht auf die Geschehnisse im Inneren. Das Holz knarrte bei jedem bedachten Schritt, den Tullius um Sciurus herum ging und ihn feindesähnlich taxierte. Wie beiläufig, als ob keine Gefahr von Sciurus ausgehen würde, ging er zu einer tönernen Schale und tauchte dort den blutigen Dolch hinein, das Wasser färbte sich mit roten Schlieren und sorgfältig wischte Tullius die Waffe an einem linnenen Tuch ab.
„Setz Dich doch, Sciurus. Wir haben zweifelsohne diese delikate Angelegenheit zu besprechen.“
Selbst an den Tisch tretend, den Dolch in seiner blutigen Hand haltend, warf Tullius dem Mann, Sciurus, vor sich einen prüfenden Blick zu.
„Das ist ohne Frage eine Pattsituation, in der wir uns befinden. Greifst Du mich an, ist der Flavier tot, ersteche ich den Flavier, so bin ich dennoch in Gefahr vom Tode ereilt zu werden. Und Du…?“
Tullius kniete sich neben Dardarshi und schob ihn sachte beiseite, ebenso dessen Hand, deren Zittern er in jenem Momente erspürte. Sanft, gar schon brüderlich liebevoll, zog Tullius Gracchus in die Höhe und lehnte dessen Schulter an seinen Oberschenkel. Die Schneide seines Dolches glitt zart, wie die Liebkosung von den Lippen eines Geliebten, über Gracchus Haut und an seinen Hals, ruhte zartfühlend an seiner Schlagader, bereit in jedem Moment die grausame Kälte des Todes über Gracchus zu bringen. Nachdenklich sah Tullius auf seinen Bruder hinab, strich mit seiner blutigen Hand an dessen Kinn entlang, eine blutige Spur hinterlassend.
„Du bist sein Sklave!“
, mutmaßte Tullius.
„Weswegen Dich bei seinem Tod auch das Jenseits erwarten würde. Doch das muss nicht sein, Sciurus. Mir ist nicht daran gelegen Sklaven zu morden. Nein, ich töte die Herren und Deiner wäre gewiss nicht der Erste. Aber auch das muss nicht sein. Und das liegt nur ganz an Dir, Sciurus.“
Tullius Lippen kräuselten sich zu einem feinen Lächeln, während sein Arm sich fester um seinen Bruder herum schlang.
„Genügend oft habe ich das Sterben eines Menschen beobachtet, ich fürchte das nicht. Aber er, der Flavier in meinen Armen, ängstigt der Tod und das Sterben, es war allzu deutlich in seinen Augen anzusehen. Aber Du Sciurus scheinst mir von einem anderen Schlag zu sein.“
Aufmerksam betrachtete er den blonden Mann.
„Leider habe ich Dich ein wenig unterschätzt, was uns in diese deplorable Konstellation gebracht hat. Aber es liegt nur an Dir Sciurus. Soll der Boden jetzt und in jenem Augenblick mit den Blut von uns allen getränkt werden oder fügst Du Dich meinen Bedingungen und keiner wird sterben? Nicht Dein Herr, nicht ich oder mein Freund, aber auch Du nicht.“
Spielerisch ließ Tullius die Dolchspitze unter Gracchus Kinn entlang fahren, beherrschte sich mühsam, seinen Bruder nicht ein wenig in die Haut zu stechen.
„Du wirst den Sklaven draußen sagen, daß die Situation geklärt ist. Du wirst sie wegschicken und auch keine versteckten Andeutungen machen. Ich werde das genau verfolgen. Anschließend bleiben Du und Gracchus hier. Ihr beide werdet für die nächsten Tage meine Gäste sein. Anschließend werde ich euch Beide gehen lassen. Ob Du mich danach suchen wirst, das wird Dir überlassen sein. Ob Dein Herr andere Mittel nutzen wird, um mich von dem Leben in den Tod zu schicken, das kann er dann durchaus versuchen. Doch im Moment habe ich, wie mir scheint, in diesem Patt die passenden Würfelseiten oben. Denn ich kann nichts mehr verlieren und bin bereit zu sterben. Ist das Dein Herr auch?“
Kühl, aber vollkommen ruhig und gelassen, sprach Tullius die Worte, sah Sciurus mit völliger Todesverachtung entgegen und seine Mundwinkel hoben sich marginal.
„Entscheide Dich, Sciurus.“ -
Der Boden schien sich zu heben und zu senken wie auf dem Deck eines Schiffes und doch war es nur die ruhige Brust von Quintus Tullius. Seine Sinne waren zum Reißen gespannt, sein Atem ging flach und völlig lautlos und er lauschte auf jeden Schritt und jede Bewegung, die vor der Tür getan wurde, versuchte die Art des Gehens einzuschätzen, von jenem Manne, der die Insulawohnung am Betreten war. Schwer und dumpf hallten sie in seinen Ohren, nicht der leichte Schritt, an den er sich noch undeutlich bei Sciurus entsann. Ärgerlich presste Tullius die Lippen aufeinander und verfluchte die Schläue des Eichhörnchens, der sich nicht so einfach in die Falle locken lassen ließ.
Aus den Augenwinkeln nahm Tullius die schmeichlerische Verbeugung von seinem Amicus Dardarshi wahr, der sich umwandte und schnell zu Gracchus ging und neben ihn kniete. Im selben Momente schlug auch Tullius zu, der wusste, dass er zumindest den ersten Ausschalten musste, so es sonst zu viel Lärm verursacht hätte. Quintus Lippen kräuselten sich zu einem feinen Lächeln, er trat franchement vor Brutus, hob eine Augenbraue, in frappierender Ähnlichkeit zu Gracchus.
„Habe ich Dich herein gerufen, Servus?“
Kalt durchbohrte Tullius mit seinen Augen den Mann vor sich, verstellte dabei seine Stimme, um Gracchus besser nachzuäffen, und im nächsten Augenblick, den Moment einer möglichen Verwirrung nutzend, bohrte sich schon Tullius Dolch in den Bauch des Mannes vor ihn. Blut schoss über seine Hand, der warme Lebensodem sprudelte wie eine Fontäne hervor, denn desgleichen an der idealen Stelle am Körper zu zustechen, das hatte Tullius von seinem Amicus erfahren. Mit einem Ruck stieß Tullius den Dolch tiefer durch das größte Gefäss des Menschen und in das Fleisch hinein, presste mit der anderen Hand dem Schläger den Mund zu und sah mit Genuss in seine ersterbenden Augen.
Die Euphorie des Tötens durchdrang ihn vollends, alles um ihn herum schien zu verschwimmen, der Moment dehnte sich zu vielen hundert Lebensaltern, scheinbar, und doch vergingen noch nicht mal drei Atemzüge.
Lautlos zog Tullius den Dolch zurück und ließ den Körper geschickt auf den Boden gleiten, drehte den Dolch hinter seinen Rücken und kam zum Eingang.
„Sciurus, ich würde sagen, Du kommst hinein und machst keine Mätzchen. Ansonsten ist der Flavier tot, schneller als Du ein Stoßgebet zu Iuppiter schicken kannst.“
, sprach Tullius leise, lächelte dabei als ob nicht das Geringste vorgefallen wäre, um den Schein für die anderen Sklaven aufrecht zu erhalten. Dardarshi, der schnell begriff, nahm eines der Küchenmesser und hielt es an die Kehle des bewusstlosen Gracchus. Zwar war sich Tullius bewusst, sein Freund wäre nicht in der Lage einen Menschen zu töten und niemanden, der ihm bis zum letzten Haar glich, aber Sciurus würde das nicht ahnen können. Tullius trat einen Schritt zurück, hielt seine blutige Hand weiterhin hinter seinem Rücken verborgen und deutete mit der Unblutigen Sciurus hinein zu treten. -
Schmale Streifen von Sonnenlicht leuchteten in den kleinen Insularaum hinein, liebkosten mit den Strahlen sanft den rauen Holzboden, glänzte warm auf dem Tisch und legte sich mit einem zartfühlenden Band über den Handrücken von Quintus Tullius, dessen Hand sich langsam auf dem Tisch bewegte und der seine Finger in einem ruhigen Spiel über die Maserung streichen ließ.
Belustigung durchdrang Tullius als er die Schärfe und den brüskierten Unterton seines Bruders bemerkte. Nicht die geringste Regung zeigte sich auf seinem Gesicht, stumm sah er Gracchus an. Erst bei der Metapher mit dem Segelschiff, zuckte sein Mundwinkel unerheblich, seine Nasenflügel bebten und er wandte den Blick ab.
Wie kleine Blitze schossen die Erinnerungen vor seinen Augen entlang, die Triere, der dunkle Bauch, Quintus Tullius als einer der vielen Ruderer, wie sein Amicus. Gnadenlos wurden sie vom Taktgeber angetrieben, die Peitsche durchschnitt die Luft und traf die nackte Haut von Männern, sie zerplatzte unter dem Schlag und Blut rann über den Rücken. Warm spürte er das Blut an seinem Rücken, dort wo jetzt die Sonne von Rom ihn erwärmte. Nicht die ewige Dunkelheit im Schiff, nicht die Peitschenhiebe waren es oder die Ketten um sein Fußgelenk, obwohl er doch ein freier Mann war, nein, die kleinen sadistischen Spielchen des Kommandanten hatten ihn zu seinem ersten Mord geführt. Tullius öffnete die Augen und sah zu Gracchus, Cluvius trat wie der Geist der Lemuren vor sein Angesicht und schien sich über das Abbild seines Bruders zu legen. Tullius zweifelte nicht im Mindesten daran, dass Gracchus als Trierarchius ein selbiger Sadist sein würde, wie alle Patrizier oder Equites. Die Arroganz und Hybris von seinem Bruder schürte mit jedem blasierten Wort mehr die entstandene Flamme des Hasses, als Blasebalg ließen sie die Flammen zu einem kleinen Feuer auflodern.
Nichtsdestotrotz blieb Tullius völlig ruhig, beinahe wie zu Eis erstarrt, denn immer, wenn seine ungute Natur hervorzubrechen drohte, schien ihm alles klar und völlig rein zu sein. So lächelte Tullius schließlich als Gracchus zu Ende gesprochen hatte und erwiderte den Blick fest, unerschütterlich und scheinbar gelassen.
„Du hast Recht, Bruder, es wäre doch unsinnig, wenn wir unser Augenmerk darauf richten würden, Streit und Hader zu schüren und uns gegenseitig imponieren zu wollen. Nein, einer patrizischen Familie gegenüber werde und muss ich mich nun mal beugen. Es war infam von mir so zu sprechen.“
Scheinbar reumütig lächelte Tullius und schloss hinter seinem Rücken die Hand fest um den Dolch, der auf der Holzplatte lag.
„Ein derartiges Geschenk der Götter sollte man wahrlich nicht ausschlagen, doch es dürstet mir nicht nach Geld oder Luxus, mehr meine Familie kennen lernen zu dürfen, und meinen Bruder. Es wäre ein Frevel wider der Natur, sollte ich mich gegen Dich stellen.“
Leise knarrte der Holzboden als Tullius auf Gracchus zutrat, die Sonne umstrahlte Tullius einem Heiligenschein anmutend und dann legte sich der Schatten der Wände um ihn herum, dem Hauch des Tartarus gleichend, Tullius fixierte seinen Bruder mit seinen Augen wie die Schlange die Maus, dabei ein sonniges Lächeln auf den Lippen. Tullius Herz schlug ganz langsam, die Zeit schien sich zu dehnen bis er unmittelbar vor seinem Bruder stand und ihn ansah.
„Mein Bruder, bitte verzeih mir meine Anmaßung!“
, flüsterte Tullius mit rauer Stimme, bemerkte aus den Augenwinkeln, dass sie ausgesprochen günstig standen, durch die schmalen Schlitze am Fenster würden sie nicht entdeckt werden und das Eichhörnchen nicht allzu schnell die Situation ausmachen können. Tullius hob den Arm in einer scheinbar brüderlichen Umarmung, legte Gracchus die Hand auf die Schulter und sah ihm weiter in die Augen, um ihn hypnotisch zu bannen. Und wie eine blitzschnelle Schlange schoss Tullius vor, presste die Hand auf Gracchus Mund und drückte ihn kraftvoll gegen die Wand hinter ihm, legte den Dolch an seine verletzliche Halshaut, wo sanft sich die Ader im Pulsieren ihres Blutstroms hob und senkte. Die Reumütigkeit fiel ab und das hasserfüllte Flackern erschien in den braunen Augen von Tullius.
„Bruder, eine Bewegung und Du stirbst wie ein Schwein in der Subura, Patrizier hin oder her, denn auch Du blutest nur wie ein Sklave oder ein Plebejer.“
Mit brutaler Kraft presste sich Tullius gegen Gracchus, hielt die Hand vor seinen Mund, damit jener nicht nach seinem Gehilfen rufen konnte, und ließ langsam die Dolchspitze an dessen Halsader entlang fahren.
„Du bist ein Narr, Bruder, mich zu unterschätzen. Ein Fluss ist unruhiger als seine Oberfläche und ein Mann der Subura kein hilfloses Opfer. Außerdem vergisst Du vielleicht, daß auch ich dieselben Vorfahren wie Du habe. Und vielleicht, lieber Bruder, schlage ich mehr nach Domitianus, als Du zu ahnen vermagst.“
Das Funkeln seines berechnenden Wahns, Tullius war schon in seiner Kindheit äußerst labil gewesen, glitt über seine Augen und richtete sich mit voller Wucht auf seinen patrizischen Bruder. „Du kannst doch Deinen Bruder nicht töten, das ist ein Frevel.“, raunte Dardarshi, der, sich hastig umsehend, an Tullius Seite kam. Tullius lächelte kalt und seine Schultern zuckten unter hämischem und stummem Gelächter.
„Aber Amicus, Du weißt doch, ich bin bereits verflucht. Was sollte es noch schlimmer machen? Nein, noch werde ich ihn nicht töten, er hat Glück, die Fügung mein Gesicht zu tragen, denn jeden Anderen hätte ich wegen dieser Impertinenz schon längstens die Kehle aufgeschnitten.“
Um seine Worte zu betonen, legte Tullius den kalten Dolch an Gracchus Kehle.
„Eine erste Lektion, mein verwöhnter Bruder: Sieht ein Mann dem Tod ins Auge, so wird ihn das für immer verändern. Übrigens danke ich Dir, Du hast mich auf eine sehr gute Idee gebracht. Doch nun werde ich mich um Dein Eichhörnchen kümmern. Schlafe Bruder, noch wird es nicht Mercurius sein, der deine Seele holen wird!“
Wuchtig schlug Tullius mit dem Dolchgriff gegen Gracchus Schläfe, hielt dabei seinen Körper fest umgriffen und schlug abermals zu, bis Gracchus in die tiefschwarze Bewusstlosigkeit glitt. Langsam ließ er den Körper herabsinken und drapierte ihn neben dem Tisch. Tullius Lippen kräuselten sich zu einem genüsslichen Lächeln, die Lethargie der vergangenen Tage war verflogen, und er wandte sich Dardarshi zu.
„Ein neues Abenteuer, Amicus. Geh zur Tür und locke Sciurus hinein.“
Die Tür öffnete sich und Dardarshi trat davor, sah sich suchend um und dann zu Sciurus. „Schnell, Dein Herr ist ohnmächtig geworden. Ich glaube, das ist alles zu viel für ihn.“ Dardarshi trat eilends in die Wohnung zurück und winkte Sciurus ihm zu folgen. Bis zu jeder Faser seines Körpers angespannt stand Tullius an der Wand neben der Tür, den Dolch in seiner Hand um zuzustoßen, sobald Sciurus durch die Tür trat. -
Mensis um Mensis, Dies für Dies machte sich Quintus Tullius bereits seitdem ihn das Gladius des Trierarchius durchbohrt hatte keine Gedanken darüber, wie sein Leben weiter verlaufen könnte. Trotz alledem verlustierte sich Tullius mehr an der Rede seines Bruders als dass sie Unmut in ihm schürte. Aus den Augenwinkeln konnte er den Schatten dessen Sklaven sichten, der ohne Zweifel das Wohl seines Herren beschirmen wollte. Verächtlich zuckte Tullius Mundwinkel, dann drehte er sich um und ging langsam um seinen Doppelgänger herum, taxierte ihn von oben bis unten in dem Versuch ihn besser einschätzen zu können. Wenn er ihm in der Courage und Hemmungslosigkeit glich, dann wäre es besser seine Worte ernster zu nehmen, in dem Mann durchaus eine ernste Gefahr zu sehen. War er jedoch mehr ein Mann, wie er erschien, ein gelehrter Togaträger, so hätte Tullius bei den Worten nur laut auflachen müssen, die Sinnlosigkeit der Forderungen damit unterstreichend. Doch er tat jenes nicht, sondern ließ nur ein feines Lippenkräuseln als Ausdruck jenes Lachens erahnen. Jedoch stellte Tullius gleich in Gedanken den Umkehrschluss von Gracchus Ausführungen. Ein bisschen weniger eine Rasur, eine normale Tunica und einen Dolch an der Seite, man könnte Gracchus für ihn, den Piraten halten. Es würde ihm nicht die Türen zum Palast oder in große senatorische Hallen eröffnen, nein, er würde das Leben in einem Carcer kennen lernen, bis es jäh an einem Kreuz enden würde. Es war dann doch, dass Tullius unwillkürlich leise lachen musste und sich für einen Momente abwandte, gegen den Tisch lehnte und genüsslich die Augen schloss. Eine Gefahr für das Imperium hielt sich Tullius bereits jetzt, auch ohne, dass er ein magistratisches Ebenbild hatte. Vielleicht war das auch ein wenig impertinent, aber Tullius wusste genug römisches Blut an seinen Händen, um nicht nur ein einfacher Straßenräuber oder Bandit zu sein. Nichtsdestotrotz ließ er seinen Bruder in Ruhe weiter sprechen, hörte ihm aufmerksam zu und fuhr sich mit seiner Rechten über das Kinn, spürte den leichten Spross seiner Barthaare dort und wölbte zwischendrin die Augenbraue nach oben. Dass ihm der Name jenes Mündel von Gracchus nichts sagte, weder etwas bedeutete, noch interessierte, beunruhigte Tullius nicht sonderlich. Aber justament stieg Ingrimm in Tullius auf, mit einem solchigen Mündel verglichen zu werden, einem unnützer Ballast, den man durchfüttern und verstecken musste, damit er keinen Ärger machte, das war er nicht. Auch würde er das niemals aus sich machen lassen. Scheinbar gleichgültig wandte Tullius seinen Kopf dem Flavier zu und musterte ihn unbewegt.
„Mein lieber Bruder, Deine Worte bergen unbeabsichtigt eine Ironie, derer ich mich schwerlich verwehren kann. Ich kann dich nicht zu dem machen, was du sein solltest, doch ebenso wenig kann ich zulassen, dass du bleibst, was du bist, was immer dies auch sein mag. Wenn ich die Worte derart Deiner Rede entreißen und zitieren darf? Wie, Flavius, kommst Du zu dem Gedanken, dass Du die Macht für das eine oder das andere hast. Mit welchen Mitteln würdest Du mich daran hindern können, mein Leben weiter zu gehen, wie gehabt?“
Tullius begegnete dem Blick seines Amicus, der ihn mit leichtem Kopfschütteln deutete, nicht zu viel zu sagen. Aber natürlich hatte Tullius das auch nicht vor.
„Gehen wir doch mal Deine Möglichkeiten durch. Du könntest die Stadtwache auf mich hetzen. Doch das würde Dir nur selber ins Fleisch schneiden, denn ein solcher Skandal wäre Dir mitnichten ersprießlich. Außerdem soll Dir gesagt sein, dass in den allerwichtigsten Dingen man gewisse Angelegenheiten selber regeln sollte. Kommen wir nun zu dieser Option. Vielleicht hetzt Du Dein kleines Eichhörnchen auf mich, um mich vom Antlitz der Welt zu beseitigen. Sicherlich, ein skrupelloses Wesen scheint deinem Sciurus eigen zu sein, doch bin ich mir sicher, dass er nicht Erfolg haben würde. Und dann kommen wir zum Letzten, was Du bereits angedeutet hast. Du willst mich bestechen. Mit Geld, mit Luxus, mit Annehmlichkeiten? Ehrlich gesagt interessiert mich das nicht im Geringsten.“
Dass er schon mehr Gold und Silber besaß als jener Flavius ihm wohl nur ansatzweise geben konnte, ließ er ebenso unerwähnt, wie Andeutungen zu seinem Leben zu machen. In einem Spiel zeigte man noch nicht all seine Trümpfe. Aber der Reichtum als Pirat hatte ihn nicht das ersehnte Glück gebracht, was er sich damit erhofft hatte.
„Aber zur Gänze schlage ich Dein Angebot noch nicht aus. Welche Dinge kann ich, Deiner Meinung, auf selbige Weise erreichen, die ich ohne Dich, nicht erlangen könnte? Im Übrigen werde trotzdem ich entscheiden, wie mein Leben weitergeht und Du hast nicht mal im Ansatz etwas mitzubestimmen, Flavius.“
Amüsiert und gespannt darüber, was ihm der Flavier verheißen würde, begutachtete er seinen Bruder, hob seine Augenbraue unerheblich. -
Schritte trampelten an der Tür der kleinen Insulawohnung vorbei, unten im Innenhof erhob sich das Geschrei zweier keifender Frauen, die Hühner gackerten als ihnen das erste Futter hingestreut wurden, einige Kinder stürmten durch das Tor nach draußen auf die Strasse. Die Geräusche schienen Quintus Tullius zu absorbieren, sein Leben hatte sich mit dem Lebensfluss dieser Menschen vermischt, wenngleich es doch hierselbst völlig falsch war, sowie er justament erfahren hatte. Doch der Laut von einer Hand, die auf Fleisch traf, die schallende Ohrfeige, riss Tullius aus seinen Gedanken. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und langsam stand er auf. Zorn stieg in Tullius auf, er war nicht sonderlich davon angetan, dass dieser Fremde, Zwillingsbruder hin oder her, die Frau schlug, die ihn aufgezogen hatte, obschon er dasselbe Verlangen in sich verspürte. Seine Augen erwiderten den Blick von Gracchus, eine gewisse Kühle sprach aus ihnen heraus. Am Rande bemerkte er, wie Laevinia hastig aufstand und sich in das andere Zimmer zurückzog und schnell die Tür verschloss.
„Oh, das war nur ein Bildnis, werter Flavius.“, erklärte Dardarshi. „Wie Aristophanes beschrieb, war die ganze Gestalt eines Menschen rund, so dass Rücken und Brust im Kreise herumgingen. Und vier Hände hatte jeder und Schenkel ebsensoviel wie Hände, und zwei Angesichter auf einem kreisrunden Hals einander genau ähnlich, und einen gemeinschaftlihen Kopf für beide einander gegenüberstehende Angesichter…doch Zeus zerschnitt die Menschen in zwei Hälften. Seither streben sie danach, ihr anderes Halbscheid zu finden. Was die Menschen daraus zu machen vermögen, obliegt ihnen und ihrem Willen. So steht es ebenso bei euch.“
Mit der Schulter an das Fenster gelehnt, Tullius war während Dardarshis Worte langsam zu den Fensterläden gegangen, sah Tullius durch die schmalen Fensterschlitze zwischen dem Holz. Es drängte Tullius diesen stickigen und engen kleinen Raum zu verlassen, seine Noema in einer unruhigen Wanderung durch die Gossen der Urbs Aeternae ordnen zu können.
Wenn Gracchus ihn derart musterte, sein Zwillingsbruder, ein Theorem dessen sich Tullius nicht ganz einzugestehen vermochte, im selben Raum mit ihm war, würden seine Gedanken in wirren Strudeln gehen, sein Vermögen stets kühl und überlegt eine Angelegenheit zu analysieren schwand wie der morgendliche Nebel von Roma. Eines sickerte jedoch bereits in seine Gedanken. Egal, was geschehen wäre ohne Laevinia, wie sie hätten aufwachsen können, es war zu spät, die Halbteile aneinander zu fügen, wie Dardarshi es andeutete. Tullius hasste die Patrizier wie so manch einer in der Subura, etwas mit den Flaviern zu tun zu haben, war für ihn undenkbar. Vielleicht war es einfach besser, alles zu vergessen und weiterzumachen, wie gehabt.
„Es ist besser, wenn Du gehst, Flavius.“ -
Und ähnlich einem monströsen und doch strahlendweißen Eisblock, der die Meere weit von jener Insula im eisigen Meer durchquerten, sah man nur die schroffe Fassade von Quintus Tullius. Der gefährliche und schneidende Teil von ihm war tief unter der Oberfläche verborgen. Unbewegt sah Tullius auf die Tischplatte, hielt sich mit beiden Händen dort abgestützt, nur alle paar Momente erbebten seine Nasenflügel, betont lethargisch sog er die Luft ein und entließ sie mit einem leisen Hauchen. Unbegreiflich erschien ihm das Gesagte, unfassbar und schockierend, sein gesamtes Gefüge wurde erschüttert, sein Leben erhielt spröde Risse und zerbarst ohne einen Laut. Alles, was er von sich geglaubt hatte, sein Dasein, seine Ursprünge, seine Wurzeln basierten auf Lug und Trug, einem exorbitanten und unsäglichen Schwindel. Mühsam kämpfte Tullius gegen die Aufkeimende Wut und die Sturmwellen des Hasses an, die ihn ergriffen und sich auf seine Mutter stürzen wollten. Einer stummen Mahnung seines Gewissens spürte Tullius die milden Augen seines Amicus auf sich ruhen. Der Dolch lag in allzu großer Nähe und rief ihn lautlos mit der Versprechung der Genugtuung.
Das Schluchzen von Laevinia durchschnitt den Raum und das Schweigen nach der ungeheuren Erkenntnis. Ihr rannen die Tränen über die Wangen. „Früher wart ihr euch sehr ähnlich, so fröhliche kleine Kinder, aber ob ihr euch heute noch gleicht, weiß ich nicht.“, murmelte sie. „Du hattest immer so ein drolliges Lachen, Quintus, wie Dein Bruder. Es verschwand hier in Rom.“, hauchte sie. Kalten Blickes sah Tullius auf und seine Augenbraue wölbte sich nach oben.
„Sei nicht albern, das ist die Subura. Hier hat man nichts zu lachen.“
Justament nahm auch Tullius auf einem der harten Holzschemel Platz und wandte seine Augen von der weinenden Laevina zu Gracchus. Immer noch war Tullius schwerlich die Gefühle abzulesen, die er bei dieser Offenbarung durchlebte. Unbewegt taxierte er seinen Zwillingsbruder. Die Frage hing einige Zeit im Raum ehe sich Tullius bemüßigt fühlte, sie zu beantworten.
„Vielleicht liegt das am Umstand, dass ich vor annährend einer Dekade Rom verlassen habe Ich mutmaße, dass Du wohl erst danach nach Roma kamst, oder zumindest erst danach diesen Bekanntheitsgrad erreicht hast.“
Bis anhin zog Tullius in Gedanken keine weiteren Schlüsse was die ganze Angelegenheit bedeuten könnte, mehr versuchte er den Schock, sein ganzes Leben basierend auf einer Lüge zu verarbeiten. Regungslos und stumm verharrte Tullius, verschränkte die Hände ineinander, eine scheinbar gelassene Haltung würden nicht die weißen Fingerknöchel seine Anspannung und aufkeimende Wut preisgeben. Weder Neugier, noch Freude herrschten in Tullius, ob der Tatsache einen Bruder in jenem Augenblick gewonnen zu haben. Sein Leben hätte vollends anders verlaufen können, jenseits von Subura und Armut, auch ohne die Widrigkeiten der Classis, die ihn mehr oder minder zu dem gemacht haben, was er an jenem Tage darstellte, einen gescheiterten Piraten und Mörder. Immer mehr vom Ausmaß dieser Lebenslüge offenbarten sich ihm, immer weniger davon gefiel ihm. Den Drang aufzuspringen und die Insula zu verlassen, seiner Wut Ausdruck verleihen zu können, unterdrückte Tullius, hob nur marginal seine Augenbrauen und schüttelte andeutungsweise den Kopf. Gleichsam fragte sich Tullius, ob er hätte ahnen können, dass seine Mutter ihn belog, dass ein weiteres Ich von ihm existierte, ein Zwillingsbruder. Es war abermals sein Amicus, der in diese Stille das Wort anhob, in einer Anspielung auf Platon.
„Was Zeus getrennt hat, fügten die Moiren wieder zusammen. Zwei Hälften haben sich gefunden.“ -
Einer wilden Irrfahrt eines verlorenen Blattes auf dem speziös äonenweiten Ozean gleichend schien sein Leben dahin zu wirbeln. Im einem Momente schien er noch der Herr über sein Reich, das Piratenschiff, zu sein, im folgenden Augenblick zerriss alles wie ein wilder Strudel, zerriss nicht nur seine Macht, seine Welt und seine Sicherheit, sondern sogar ihn selber, formte ein zweites Abbild seines Selbst. Tief in sich verspürte Tullius dabei, dass es wohl für die Welt nicht gut wäre, wenn jenes Abbild ihm vom Geiste und den Taten gemahnen sollte und demgegenüber entzückte, nein erregte, ihn die Vorstellung von einem zweiten Ihm, der gemeinsam mit ihm die Welt ein Deut unsicherer machte. Tullius rechter Mundwinkel hob sich geringfügig, was jedoch im Angesicht einer anderen Erkenntnis abermals verschwand.
Er war tot, es konnte nicht anders sein. Vor seinen Augen zischte das Gladius eines römischen Triearchius vorbei und versenkte sich in seinem Herzen, ein sachter Krux machte sich an jenem Platze bereit. Der Tartarus hielt ihn umschlungen, spielte mit ihm, gaukelte ihm scheinbar kaltherzige Träume vor, die noch in mehr Qual und Seelenpein münden würden, es war nur der Beginn seiner Tortour, indem die Götter ihm zeigten, was er hätte sein können, ein vornehmer und, vor allem, reicher Patrizier. Doch gleich darauf verwarf Tullius diese Vorstellung, denn er bildete sich ein, mehr Geisteskraft und Schöpfertum von den Wesen in der tartarischen Pein erwarten zu können als eine Erniedrigung beim Fleischer oder eine verdoppelte Gestalt von ihm. Er war wohl doch nicht verstorben, ruhte nicht am Grunde des ewigen Ozeans, sondern stand in der Subura, lebend und leibhaftig vor einem anderen Quintus Tullius, kongruent und dann wahrlich disparat.
Mit einer gelassenen Handbewegung, die ein stummes Wort implizierte: Unwichtig, wischte Quintus Tullius den Einwand und Einspruch seines Doppelgängers beiseite, dass es doch Gracchus wäre, der das Original wäre, aufgrund seiner edlen Herkunft.
Vollends frappiert betrachtete Tullius die Geste mit der Hand an der Unterlippe, so pflegte er dieser Marotte doch auch manches mal zu frönen. Was ihn mehr erschreckte als die Tatsache einen Doppelgänger zu haben, war das Faktum, dass jener noch dazu dieselben Bewegungen wie er vollführte. Nur mit halben Ohr hörte er noch den Worten seines Ebenbildes zu, vergrub sich in seine eigenen Gedanken, die er stumm mit sich selber ausfocht.
Auf dem Deck der Harpyia war er es gewohnt, Entscheidungen in Bruchteilen von Momenten zu fällen, doch auch dort war eine längere Überlegung so manches Mal notwendig gewesen. Wenn ein fremdes Schiff am Himmel auftauchte, es unbekannt schien, ob es eine Galeere voll mit Soldaten oder ein harmloses Handelsschiff war, oder wenn andere schwierige Situationen auf den Kapitän und seine Mannschaft zugekommen waren. Dann wog Tullius im Geiste, stumm auf dem Achterdeck wandernd, alles ab, analysierte die Lage und fällte dann seinen Entschluss, der dann unanfechtbar war und bis zum bitteren Ende verfolgt wurde, kein Zaudern mehr erlaubte.
Seine Gedanken suchten in seiner Vergangenheit nach Episoden, die ihm Aufschluss auf dieses Rätsel geben konnte. Derweil trat sein Amicus, Dardarshi, auf den Plan, der aufmerksam und mit wachsendem Interesse den Worten von Gracchus gelauscht hatte.
„Werter Flavius Gracchus,“ sprach Dardarshi, dabei seine parthische Akzentuierung der Worte unterdrückend. „Deine Ausführungen sind im höchsten Maße treffend, doch zeigt es sich oftmals, dass aus assertorischen Aussagen keine apodiktischen Axiome folgen; ferner dass sich apodiktische Feststellungen nicht bloß aus apodiktischen Aussagen, sondern auch aus einer Verbindung von apodiktischen und assertorischen Ausführungen erschließen lassen. Gehen wir mal von der assertorischen Behauptung aus: Mein Freund, Quintus Tullius, gleicht Dir erstaunlicherweise aufs Genaueste, seiner Mutter nur von der Haarfarbe und vielleicht der Eleganz sich zu bewegen. Doch führt dies nicht zur apodiktischen Folgerung, dass sie nicht seine Mutter ist, bezeugen doch Aristoteles Studien über das Weitergeben der elterlichen Merkmale, dass manches Mal diese in einer Generation übersprungen werden. Ein Kind eines schwarzen Sklaven kann beispielsweise auch eine weiße Haut besitzen. Vielleicht, und diese Aussage soll nicht beleidigend sein, ist, folgend einer möglichen Syllogistik, Laevinia die Mutter von euch Beiden und der Vater jener Mann, der Dir, Flavius Gracchus, wohl bekannt sein müsste, trägst Du doch den Namen einer großen und wahrhaft edlen Familie des Imperiums.“
Dardarshi musterte sowohl Tullius, der unverwandt sein Doppelbild ansah, und Flavius Gracchus aufs Genaueste und nickte.
„Es könnte eine göttliche Fügung sein, dass ihr euch Beide so ähnlich seid, doch ich wage es, wenn es gestattet ist, zu bezweifeln. Schon die wenigen Worte von Dir, Flavius Gracchus, bezeugen von deinem nous*, das Vermögen der episteme**, sophia***, phronesis**** und deiner techne***** in den geistigen Belangen. Alles Anlagen, die nicht nur in Dir schlummern und erweckt wurden, sondern die auch Quintus Tullius besitzt, zweifelsohne Dein Bruder.“
Zufrieden lächelnd über diesen Schluss nahm Dardarshi, dem das lange Stehen oftmals zu viel wurde, auf einem Hocker Platz. Das Wort Bruder und Entstehung Deines Wesens riss Tullius aus dem unsichtbaren Wandeln in seinem Geiste heraus und er sah in die Dunkelheit, die seine Mutter scheinbar verschluckt hielt.
“Vielleicht bringst Du Licht in die Schwärze dieses Unwissens, Laevinia?“
Wer die Frau, die er für seine Mutter gehalten hatte, war, wusste Tullius in jenem Moment nicht mehr. Langsam und mit gesenkten Schultern trat Laevinia in das milde Sonnenlicht, dass die Spuren des Alters in ihrem Gesicht milderte und sie mit einem weichen Schimmerlicht liebkoste, wie an einen rettenden Anker hielt sie sich am Tisch fest und sah verkrampft an beiden Männern vorbei. „Das ist auch…sehr überraschend für mich!“ hauchte Laevinia schwach. Ihre Unterlippe erbebte und sie sank auf einen Stuhl hinab. Tullius fixierte sie mit kalten Augen und trat auf den Tisch zu, schlug mit seiner flachen Hand auf die Platte.
„Überraschend? Lüge mich nicht an. Los, sprich! Immerhin hast Du seinen Namen sofort erkannt.“
„Von den Wahlen…“ versuchte Laevina in einem schlechten Versuch der letzten Lüge von sich zu geben.
„Ich habe gesagt, lüg’ mich nicht an.“
Trotz seiner drohenden Haltung sprach Tullius seine Worte ruhig, doch schwang dort eine schneidende Kälte mit und eine unterschwellige Drohung. Laevinia sah auf, in Tullius Augen, der bedeutungsvoll zum Dolch sah, und verstand. Schwach hob sie die Hand zu ihrer Stirn und murmelte einige Worte.
“Lauter!“
„Er ist…Dein Bruder, Quintus.“
Dardarshi lächelte zufrieden, dass sein Schluss bestätigt wurde, Tullius wurde ein wenig blasser und warf Gracchus einen schnellen Blick zu.
„Und Du?“
„Ich bin nicht Deine Mutter.“
„Lass mich nicht ungeduldig werden, Laevinia. Nun erzähl schon! Woher weißt Du das alles, was steckt dahinter?“
Schwer atmend als ob sie einen Marathon hinter sich gebracht hätte, um den Athenern vom großen Sieg zu berichten, wenngleich es hier wahrlich um eine völlig andere Geschichte ging, sah Laevinia auf Gracchus, ihre Augen glänzten feucht und beschämt schlug sie die Augen nieder.
„Ich war Kindermädchen bei den Flaviern, ich habe mich mit einigen anderen Frauen, um euch beide gekümmert. Ihr seid als Zwillinge geboren worden, Brüder, die sich in allem glichen. Ein Mann, ich habe ihm damals vertraut, hat mir eingeredet, dass wir frei und reich sein würden, wenn wir einen von euch entführen und gegen Lösegeld wieder herausgeben würden. Er hat alles in die Wege geleitet, ich habe nur einen von euch ausgewählt und mitgenommen.“
Eilends schloss sie die Augen, um niemanden von Beiden in die Augen zu sehen. „Als das Geld übergeben werden sollte, wurde der Mann getötet. Da ich nicht dabei war, konnte ich fliehen, mit dem Jungen. Mit Dir, Quintus. Ich bin nach Rom geflüchtet, da meine Schwester eine Liberta war und sie mich hier aufnehmen konnte. Sie hat nie gefragt, wer der Vater des Kindes war und ich gab Dich als mein eigen Fleisch und Blut aus.“
Wie vom Donner gerührt sah Tullius auf seine vermeindliche Mutter hinab, schien unfähig sich zu rühren und war innerlich erstarrt wie ein blauschimmernder Eisblock, der vom Wasser willenlos mitgetrieben wurde.• * Geist
• ** Wissenschaft
• *** Weisheit
• **** Klugheit• ***** Kunstfertigkeit
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Wie eine alte Frau begann die Insula zu ächzen als das Leben in ihr langsam einsetzte, die ersten Sonnenstrahlen durch die verschlossenen Fensterläden fielen und mit den güldenen Strahlen die Bewohner des Hauses weckten. Die Ratten der Nacht waren in ihren Löchern verschwunden, vom Getier bis zum Menschen, nun würden abermalig die ehrlichen Menschen die Strassen der Stadt bevölkern und ihrer mehr oder minder harten Arbeit nachgehen. Keine Seele außer jenen drei Männern würde um diese Begegnung, dieses stumme Erstaunen wissen, es würde auch kaum einen Menschen, abgesehen von ihnen, interessieren.
Schon seit seiner Kindheit hatte Tullius die Angewohnheit gehabt, die Geschicke um ihn herum unter seine Kontrolle zu bringen. Er hasste die Hilflosigkeit, das Unwissen und nicht die Zügel des Geschehens in seinen Händen zu wissen. Die Verwunderung und Verwirrung, die er tief in sich spürte, die wie die Sturmfluten des Mare Internum über ihn hinwegströmte, war auf dem Gesicht seines Ebenbildes zu konstatieren. Die Hand seines Gegenüber schien die Illusion zu zerbrechen, sie war schlank und feingliedrig, hatte wohl noch nie schwere Arbeit ertragen, Tullius nahm diese Nuancen mit einem gesonderten Anteil seines Bewusstseins wahr. Zaubererei, ein Fluch, Trug und Lug, Lucilla, all jene Optionen durchdrangen Tullius als eine Idee wie die schnellen Feuerschatten in der Höhle. Aber im selbigen Momente wusste er um diese Unmöglichkeit. Mit einem leisen Quietschen öffnete sich die benachbarte Tür, ein grauhaariger Männerkopf streckte sich hinaus um den Grund der morgendlichen Geräusche zu eruieren. Tullius trat einen Schritt aus der Tür und warf dem Mann einen vernichtenden Blick zu, der zog seinen Kopf eilig zurück.
„Ich weiß es nicht!“
, gab Tullius als Antwort auf Gracchus Frage zurück, musterte die anderen Eingänge der Insula und legte eine Hand auf Gracchus Schulter, in der Anderen spürte er noch die vertraute Kühle seines Dolches, wenngleich das Metall langsam die Wärme seiner Haut absorbierte.
„Aber tritt hinein, es muss nicht gleich die ganze Subura davon erfahren.“
Dirigierend schob Tullius den Patrizier durch die Tür und trat zwischen ihn und seinen Sklaven. Kalt sah er Sciurus in die blauen Augen.
„Du bleibst draußen!“
Noch im selben Moment schloss Tullius die Tür vor Sciurus und schob den eisernen Riegel davor. Die pastellfarbenen Töne beleuchteten mild den kleinen, gut gepflegten, wenn auch ärmlichen Raum. Drei Augenpaare sahen Gracchus an, unterschiedlicheren Ausdrucks kaum möglich. Die großen Augen von Laevinia sahen mit banger Furcht zu Gracchus hinauf, langsam rappelte sie sich auf und wich in den Schatten des Raumes zurück. Die fast schwarzen und stets milden Augen des Parther waren in schier unermesslichen Erstaunen auf Gracchus gerichtet, sahen zu Tullius und abermals zu Gracchus. „Bei Mithra, das ist unglaublich!“ hauchte er. In Tullius Augen stand eine Mischung aus Unglauben, gepaart mit Misstrauen, aber auch einer gewissen Faszination. Unverwandt, während er um Manius Flavius Gracchus herum schritt, sah Tullius sein Spiegelbild an, betrachtete ihn von oben bis unten wie eine Koryphäe oder eine Jahrmarktssensation.
„Magistratus Flavius Gracchus war Dein Name?“
Tullius lehnte sich gegen den schweren hölzernen Tisch in der Mitte, legte den Dolch an seine Seite, der Patrizier erschien ihm nicht wie ein Soldat, und er hob seine Hand zu seinem eigenen, vom Dreitagebart gezeichneten, Kinn.
„Mich deucht, Du scheinst von dieser gar erstaunlichen Similarität verwundert zu sein. Ähnlich ergeht es mir auch. Aber wenn ich mich vorstellen darf? Quintus Tullius werde ich genannt, von jenen, die meine Freunde sind und auch von denen, die mich hassen. Erstaunlich, wahrlich eminent. Du gleichst mir bis ins letzte Detail hinein, selbst in der Größe.“
Tullius stieß sich von der Holzplatte ab und ging auf Gracchus zu, blieb dicht vor ihm stehen und besah ihn sich noch mal von Nahem. Tullius Augenbraue wölbte sich nach oben, seine Lippen kräuselten sich zu einem dünnen Lächeln.
„Kolossal!“ -
Perlmuttfarben leuchtete der Himmel im Augenblick der Dämmerung, schlich mit dem sanften Schein über denn fahlblauen Nachthimmel, der sich immer mehr aufzulösen schien und liebkoste mit sanften Fingern den morgendlichen Nebel, der zwischen den hohen Häusern der Subura und den sieben Hügeln der ewigen Stadt schwebte und alle Geräusche und jegliche Grausamkeiten der Urbs ihrer Härte zu rauben schien. Über dem feinen Gespinnst aus Nebel segelte auf aufgefächerten Schwingen ein einzelner Adler, seine scharfen Augen spähten bis hinab zu den Strassen der Stadt und den Gärten der Reichen, mit dem Aufwind trieb er sich bis zu den Hortuli am Rande des Tibers und stieß mit einem gellenden Schrei hinab zwischen die Bäume, um einem kleinen Nagetier die scharfen Krallen in den Leib zu stoßen.
„Eichhörnchen!“
Tullius lachte verhalten und schnitt von dem gebratenem Fleisch ein großes Stück ab, packte es zu den anderen Habseligkeiten, die er zusammengesucht hatte. Schon seit geraumer Weile konnte sich Tullius über diesen Namen: Sciurus, aufs köstlichste amüsieren, nebst der Tatsache, dass ihn eine Person überhaupt oder dieser Mann insbesondere beschützen wollte.
„Das ist der lächerlichste Spitzname, den ich in der Subura gehört habe. Wer sollte so einen Namen schon fürchten?“
Obwohl es noch in der ersten Morgendämmerung war, bereiteten Tullius und Dardarshi schon seit einiger Zeit ihren Aufbruch vor, waren beide gewesene Piraten bescheidene Horae an Schlaf gewohnt und somit schon früh auf den Beinen. Es war nicht der Tod des Fleischers, der Tullius dazu bewogen hatte aufzubrechen. Der Fleischer ruhte mittlerweile am Grunde des Flusses, sein Laden war wegen ‚Trauerfall’ geschlossen und nur wenige in der Subura würden ahnen, was sich hinter diesem Trauerfall verbarg. Doch dass er seit geraumer Zeit verfolgt und ausspioniert wurde, machte Tullius mehr als Misstrauisch. Die Begegnung mit dem Unbekannten in der Fleischerei, danach die Offenbarung des Jüngling und einige andere Begebenheiten hatten ihn dazu durchringen lassen, Rom für eine geraume Zeit wieder zu verlassen, wenn nicht sogar Italia. Die Sesterzen aus der Holzkiste des Fleischers würden für einige Wochen reichen, vielleicht sogar bis weit über die Grenzen des römischen Stammlandes hinaus. Obschon in Roma aufgewachsen, erschien ihm die Stadt nicht mehr wie seine vertraute Gemarchung. „Nimmst Du noch ein Iantaculum ein?“ fragte seine Mutter zögerlich.
„Ja.“
„Warum? Was ist vorgefallen?“
„Das geht Dich nichts an. Darshi, wir brechen gleich auf.“
Sein Amicus kam in den Raum gehumpelt und hatte die Lyra, die er sich vor einigen Tagen geleistet hatte, über die Schulter gebunden. Stets höflich und mit einem freundlichen Lächeln, das mehr aus seinen Augen sprach, verbeugte er sich an jenem Morgen vor der Dame des Hauses, oder eher dieser kleinen Wohnung. Das Klopfen erschien wie ein lautes Donnern der Wellen gegen die Brandung, Tullius Augenbrauen zogen sich misstrauisch zusammen, seine Hand fuhr an seinen Dolch.
„Geh und öffne die Tür.“
Laevinia sah erschrocken von Tullius zu Dardarshi und zögerte. „Wer könnte das…?“
„Öffne!“
, zischte Tullius und trat lautlos an die Seite der Tür, lehnte sich mit dem Rücken gegen die steinerne Wand und zog seinen Dolch. Laevinia schritt besorgt zu dem Eingang, blieb davor stehen und atmete tief ein, um ihre Nervosität zu überspielen. Mit einer reservierten Miene öffnete sie die Tür und spähte hinaus zu dem fremden Mann. Ruhig hörte sie Sciurus an, als der Name seines Herren fiel wurde Laevinia blass, ihre Lippen öffneten sich leicht und ihre Augen weiteten sich vor unbotmäßigen Schreck. „Flavius…Gracchus?“ Ihre Augen spähten an Sciurus vorbei, doch sie konnte nur undeutlich eine weitere Gestalt hinter diesem ausmachen. „Manius…?“ entfleuchte ihren Lippen. Erschrocken schloss sie eilends die Tür vor Sciurus Nase und drehte sich blass wie eine nächtliche Erscheinung eines Lemur um. Laevinias Herz raste, sie starrte entsetzt zu Quintus, der sie mit gelindem Erstaunen betrachtete. „Schnell, Quintus, Du musst weg.“ Längstens hatte Quintus die Stimme jenes seltsamen Mannes aus dem Laden wieder erkannt und musterte seine Mutter mit einigem Misstrauen. Außerdem mochte er es ganz und gar nicht, wenn ihm jemand vorschrieb, was er zu tun hatte oder nicht. Schon gar nicht von seiner eigenen Mutter.
„Flavius Gracchus? Wer ist das?“
Entschlossen, mit dem Dolch in seiner hohlen Hand verborgen, trat er auf die Tür zu. Laevinia drängte sich völlig verängstigt dazwischen und wollte ihn abhalten sie zu öffnen. „Nein, nicht…bitte!“ flehte sie, ihre dunklen großen Augen starrten ihn hilflos an. Mit einer wirschen Handbewegung schubste Tullius seine Mutter zur Seite, sie fiel auf den hölzernen Boden, einen Stuhl mit sich reißend, der laut polterte.
Erneut öffnete sich die Tür und Quintus Tullius erschien ihm Türrahmen, den Dolch gut vor den Blicken verborgen. Ein höhnisches Lächeln umspielte seine Lippen, seine Augenbraue wölbte sich in gespielter Überraschung nach oben.
„So so, das Eichhörnchen ist zurück. Ich sagte Dir bereits, dass Du auf der falschen Spur bist. Außerdem solltest Du Deine Leute in Zukunft besser anweisen, sie sind doch mehr als dilettantisch in ihrer Arbeitsweise.“
Auch Quintus Tullius riet mehr, als er wusste. Aber dass jener Mann vor ihm stand und mit ihm alle seltsamen Begebenheiten anfingen, ließen Tullius zu dem Schluss kommen, dass möglicherweise jener Mann dieser Sciurus sein könnte oder sein besagter Herr. Die ersten Sonnenstrahlen durchdrangen den ätherischen Nebel und fielen in den Innenhof hinein, beleuchteten die Treppen und die Männer. Selten, wenn gar niemals, war Tullius derart überrascht als sich nicht nur die zarten Lichtstrahlen auf seinem eigenen Gesicht, sondern jenes ominösen Herren verirrten. Sprachlos sah Tullius zu ihm. -
Der weiße Mond warf einen langen silbrigweißen Lichtstreifen auf die tiefdunkle Oberfläche des Tibers. Die Wassermassen drängten sich beständig zwischen den beiden Ufern hindurch und kräuselten sich leicht, wenn der Wind hauchzart über die Oberfläche hinweg strich. Ein schwerer Körper durchriss die makellosen Schleier des Wassers und versank in der scheinbar endlosen Tiefe. Er war nicht der erste Mann, der hier sein Ende fand und wird nicht der Letzte sein. Unzählige Körper hatte der Tiber in den letzten Jahrhunderten aufgenommen, verschluckte die Leichen und schien sie nicht mehr hergeben zu wollen.
„Du hast Recht, es ist seltsam!“ Dardarshi vernarbte Augenbraue zuckte nach oben und er schüttelte ratlos den Kopf, deutete auf den Fluss. „Hat das damit zu tun? Steckt der Fleischer dahinter?“
„Nein, er hat mich nur beleidigt. Kehren wir zur Insula zurück. Die Arbeit ist getan!“
Mit geschlossenen Augen sog Quintus Tullius die kühle Nachtluft durch seine Nase hinein und stockte. Es brannte ihm förmlich auf dem Rücken, sie wurden beobachtet. Seine Lippen kräuselten sich zu einem kalten Lächeln, betont lässig wandte er sich um und lenkte seine Schritte weg vom Tiberufer und an einigen sehr schäbigen Insulae entlang.
„Ich denke, wir müssen einen kleinen Abstecher machen.“
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wusste Tullius, dass sein Amicus seine Anspielung verstand.
Schwarze Schatten warfen die hohen Gestalten der Häuser auf die lang gestreckte Gasse, wie leere Augenhöhlen, geistlos und bar von jedem Leben, starrten die Fenster auf die beiden Männer hinab. Doch mit einem Mal war es nur ein Mann, der andere schien von der Erde verschlungen worden zu sein. Ein heller Schrei unterbrach die Stille der Nacht, eine scheinbar krüpplige Gestalt wurde fest gegen die Wand einer Seitengasse gestoßen.
„Warum verfolgst Du uns?“
grollte Quintus Tullius, hatte die Hände tief in die Schultern der Gestalt, es war ein Junge von vielleicht weniger als sechzehn Lenzen, hinein gegraben. Sein von Schmutz erstarrtes Gesicht sah Tullius trotzig und wagemutig entgegen. „Ich verfolge niemanden.“ , erwiderte er mit rauer Stimme und versuchte sich dem stahlharten Griff zu entwinden, es gelang ihm nicht. Ein Dolch blitzte vor seinen Gesichtszügen auf und die scharfe Spitze fuhr bedächtig an seiner schmutzigen Wange entlang.
„Dafür bist Du uns aber schon lange auf den Fersen, Kleiner. Also, warum verfolgst Du uns?“
Schweigen, mit Starrsinn sah der Junge an Tullius vorbei und erschrak nicht einmal als Dardarshi hinzutrat. Tullius, dem das auffiel, packte eine Hand des Jungen und stieß seinen Dolch hinein. Ein gellender Schrei löste sich von dessen Lippen, der in der Nacht klar widerhallte. Tränen rannen ihm über das Gesicht, hinterließen weiße Schlieren auf der braunen Patina.
„Sprich oder ich mache weiter bis Du tot bist, Kleiner!“
Stossweise entrann dem Jungen der Atem und immer wieder erzitterte er, suchte gehetzt nach einer Ausflucht gepaart mit dem dumpfen Aufschluchzen. „Ich…ich soll sehen, was Du tust…und wir sollen auf Dich acht geben…damit Dir nichts passiert.“
Tullius Augenbraue wölbte sich in einer langsamen Bewegung nach oben, um seine Mundwinkel spielte ein leichtes Zucken.
“Tatsächlich? Und wem verdanke ich das?“
Erst der Schmerz des Dolches löste die Zunge des Jungen. Wimmernd flüsterte er leise einen Namen, einen Namen mit dem Tullius nicht sonderlich fiel anfangen konnte. „Sciurus!“
Als sich hastige Schritte der Seitenstrasse näherten, lag der Junge mit einer feinen Spur an der Stirn neben der Häuserwand. Flach und gepresst ging sein Atem. Ein anderes Geschöpf der Subura sah auf ihn hinab und in die nächste dunkle Gasse, von Tullius und Dardarshi war nichts mehr zu sehen.