Beiträge von Quintus Tullius

    Ungesehen zog der schwarze Landstreifen am Schiff vorbei als die Harpyia einen westlicheren Kurs anstrebte. Niemand an Deck sorgte sich darum, noch löschte jemand die Hecklaternen als in der Ferne kleine Lichtpunkte am Küstenstreifen auftauchten.
    Doch von dort wurden einige Augen auf das ferne Schiff der Piraten gerichtet. Ein Matrose stand am Heck der Triere Ulpia, spähte verwundert auf die vorbeiziehenden Lichter, während ihre eigene Triere vor Anker lag, nachts zu fahren war viel zu gefährlich und unberechenbar. Er kniff die Augen zusammen und entdeckte erneut die Lichter, die langsam in einer Seemeile Entfernung an ihnen vorbeizogen. Ein Entschluss musste schnell getroffen werden, der Seemann wandte sich zu einem Mitsoldaten um. „Lauf unter Deck und weck den Trierarchus, er muss sich das selber anschauen!“
    Eine Ratte trippelte das Deck der Harpyia entlang, forschte mit ihrem Näschen nach kleinen Krümeln Essbares, suchend lief sie an dem Steuermann vorbei und entdeckte ein Stück Brot in seinem Tunikazipfel, sie wühlte in seiner Tasche und entschwand schnell in der Dunkelheit ehe der Pirat sie bemerken konnte. Doch er tat es nicht, rührte sich nicht und wurde auch der entfernten Gefahr, die römische Triere, nicht gewahr.
    Auch Quintus Tullius beachtete das kurze Aufleuchten eines Lichtes hinter ihm nicht, es hätte ihn mit Sicherheit alarmiert. Doch er war viel zu sehr von Lucillas Äußerungen abgelenkt und dem Verspeisen eines weiteren Eis. Die Götter des Infernos und die Aussicht gequält im Elysium sein Dasein zu fristen, jagte Tullius erneut ein Schaudern über den Rücken. Und doch verloren Lucillas Worte an Kraft und an Schrecken für ihn, hatte er diese Drohung doch schon einige Male über sich ergehen lassen müssen. Darum fiel es ihm nur mäßig schwer seinen Kopf ein Wenig zurückzulegen und in ein tiefes Lachen auszubrechen. Ihre Sturheit, ihr Widersinn und ihre Bereitschaft bis zum Ende zu kämpfen, das gefiel Tullius durchaus, denn gerade Frauen hielt er doch oft für schwächliche Wesen, die sich wegen ihrer Wertlosigkeit den Männern zu beugen hatten. Es war für Tullius fast schon erfrischend, dass nicht alle Frauen gleich weinend und flehend vor ihm zusammenbrachen.
    „Fürwahr, Lucilla, Du hast recht. In fast allem, was Du sagst. Denn warum sollte ich auch ein schlechtes Gewissen haben? Die Starken herrschen über die Schwachen, es ist überall so, sowohl bei den Tieren als auch bei den Menschen. Oder glaubst Du etwa, der römische Kaiser würde noch einen Tag länger regieren, wenn ein Stärkerer glauben würde, er könnte ihn stürzen? Nein! Und auch hier auf dem Meer herrscht dieses raue Gesetz.“
    Manierlich griff Tullius nach der Karaffe und goss Lucilla mit einem süffisanten Lächeln von dem kostbaren Wein nach. In seinen Augen glitzerte es nicht minder spöttisch als er sich zurücklehnte und Lucilla von oben bis unten musterte, wie ein Stück Ware.
    „Und sicher, ich kann mir Deine Gesellschaft erzwingen. Sicherlich vermutest Du, ich denke dabei an das fleischliche Vergnügen, an die Stillung meiner Lust an Dir. Nun, Du bist schön und Dein Körper begehrenswert. Aber das will ich nicht, danach verlangt es mir nicht. Wenn ich das wollte, hätte ich es mir genauso genommen wie die Stoffe oder das Geschmeide dort. Denn genau das Vergnügen ist auch nur eine Ware.“
    Prüfend musterte Tullius seinen Amicus, Darshi, der mit halbgeschlossenen Augen spielte als ob er von all dem nichts hörte, als ob sein Geist wirklich in weiter Ferne und in seiner Heimat verweilen würde. Doch Tullius wusste, Darshi würde ihn später noch für diese Worte in Frage stellen, auf seine Geliebte in Sardinia verweisen. Doch in manchen Dingen kannte ihn sein Amicus immer noch sehr schlecht. Frauen waren für Tullius bedeutungslos, gaben ihn nur kurz Befriedigung und geliebt hatte er noch nie eine, nichtmals seine eigene Mutter.
    „Es ist Deine Entscheidung, Lucilla. Du kannst hier angenehm und in Frieden die Wochen verbringen, sicher und ohne die Sorge meinen Launen unterworfen zu sein. Mir wäre genauso daran gelegen, wenn wir die ganze Angelegenheit manierlich, wie es sich zwischen Römern doch gehört, abschließen, ohne Drohungen, ohne Flüche und sonstige unangenehme Begebenheiten!“
    Dass er ganz andere Seiten aufziehen konnte, noch nicht mal ansatzweise alle Maßnahmen ergriffen hatte, um ihren Willen zu brechen, sie zu demütigen, sie zu quälen oder leiden zu lassen, all dies ließ er unausgesprochen. Was in seiner Macht lag, konnte sich die Frau denken und Tullius hielt sie nicht für ein dummes Weibchen.

    Gib das Tränklein, Thestylis, den Lorbeer,
    Um den Kessel schlinge rote Fäden;
    Den geliebten Unhold will ich bannen,
    ...Hellen Scheines leuchte Du, Selene,
    Dich beschwört mein leises Zaubersingen,
    Hekate, auch dich, die Höllengöttin:
    Fährst Du aus, dein blutig Mahl zu suchen...


    Zauberhaft glitten die Klänge von Dardarshis Lyra durch die Kajüte, die Dunkelheit und das schwarze Meer schienen Weitweg, dieser kleine Raum wie ein abgeschotteter Oase, fern von allem Irdischen und fern der Heimat. Der Wind umrauschte das Schiff, immer wieder platschte das Wasser gegen die Heckfenster. Eine altes Lied kam Tullius in den Sinn als er Darshis Klängen lauschte, die Zaubergesänge hatte ihm seine Mutter einstmals vorgesungen, tief in ihm die Furcht vor der Macht der Frauen eingepflanzt, die in düsterer Nacht mit ihren Worten mächtige Geister und Göttinnen anriefen, ihnen die Macht über die Männer zu verleihen. Vielleicht war es tatsächlich ein Fehler gewesen, Lucilla seinen wahren Namen zu verraten. Sein Mundwinkel zuckte als Erwiderung auf ihre Worte, es könnte als höhnische Antwort gelten oder ebendies als Furcht. Mit einem feinen Lächeln versuchte Tullius dies zu übertönen und er griff nach der Karaffe, goss sich erneut vom Wein ein, wenngleich sein Glas noch gar nicht ganz geleert war.
    Mit Zufriedenheit verfolgte er mit seinen Augen das Anlegen seines Geschenkes, sah die Rubine auf ihrer Haut funkeln, betrachtete ihren schlanken Hals, verzog seine Lippen zu einem wölfischen Grinsen und trank einen Schluck Wein, um auch solchige Regung zu verdecken. Die Beute hatte durchaus ihn als Raubtier erkannt, wusste aber hoffentlich noch nicht, worauf er wirklich hinaus war und das gedachte er auch nicht einfach und voreilig Preis zu geben.
    Interessiert lehnte sich Tullius zurück als Lucilla gedachte offen zu sprechen. Sein Arm ruhte auf der Kline, seine Finger auf dem Polster, Lucilla sehr nahe, genüsslich nahm er einen Schluck nach dem Anderen von dem köstlichen Tropfen in sich auf. Ob die Käufer sich auch so an jenem Weine gelabt hätten? Ihn genauso genossen und mit Andacht erlebt hätten? Er wagte es zu bezweifeln, lachte jedoch leise auf Lucillas Vermutungen über die Angst seiner Piraten vor ihm. Mit einem Ruck erhob sich Tullius, stellte das Glas wieder auf den Tisch. Ein Schritt und er ging zur ersten Kiste, nachlässig öffnete er die Truhe, der Deckel fiel gegen die Wand, die Nächste und noch eine und noch eine wurde geöffnet. Stoffe, Gold, Geschmeide, Reichtümer ungeahnter Pracht lagen in den Kisten, sie funkelten hell und verführerisch im Kerzenlicht. Mit einem äußerst selbstgefälligen Lächeln wandte sich Tullius um.
    „Siehst Du das, Lucilla? Schon seit fünf Winterwenden befahre ich das Mittelmeer, überfalle Schiffe und entschwinde wieder auf dem weiten salzigem Wasser, damit die Classis keine Spur von mir hat. Und in all dieser Zeit habe ich das hier sammeln können. Ich habe genug, um mich zur Ruhe zu setzen und zu leben, wie ein reicher Senator oder ein hoher Patrizier. Was willst Du mir da noch bieten können? Was bedeuten mir da noch einige tausend Sesterzen mehr, ein wenig mehr Geschmeide oder andere Schätze? Nichts!“
    Spöttisch lächelnd setzte sich Tullius erneut und griff nach seinem Wein, aß sogar ein Ei mit Hühnchenfüllung, ließ Lucilla ausreichend Gelegenheit seine Beute zu begutachten.
    „Es gibt aber doch etwas, was Du mir bieten könntest, Lucilla!“
    Gierig leckte sich Tullius über die Lippe und trank noch einen Schluck. Mit einem seltsamen Funkeln in seinen Augen beugte er sich geringfügig nach vorne.
    „Zuallererst will ich natürlich, dass Du den Fluch von mir nimmst! Ebenso, Dein Versprechen, dass Du selbigen nicht wiederholen wirst, egal in welcher Form. Danach...“
    Tullius verstummte und setzte das Glas an seine Lippen, ließ Lucilla warten und beobachtete sie aufmerksam über den Rand seines Pokals hinweg, genüsslich trank er und sprach erst hintennach.
    „...im Anschluss daran will ich lediglich für einige Wochen Deine Gesellschaft. Nicht mehr und nicht weniger!“
    Das Steuer ächzte leise unter dem Steuermann. Müde blickte er auf die schwarze See, das Stück Holz in seinem Mund schmeckte schon seit Längerem schal. Missgelaunt warf er es in die Dunkelheit und kratzte sich am Rücken. „Verdammte Flöhe!“ murmelte er und wischte sich über die Stirn. Schwarze Flecken tanzte vor seinen Augen, vor ihm ergoss sich die Weite des Mittelmeeres, das nächste Land ein gutes Stück von der Harpyia entfernt. Mühsam versuchte er die Müdigkeit von sich zu wischen, doch seine Stirn glühte schon seit einer Weile, er merkte es wegen der Kälte um sich herum nicht. Langsam sank er auf das Ruder herunter, ein Seufzen kam von seinen Lippen und er brach über dem Steuer zusammen. Sein schlaffer Körper hing über den Holzstreben, dann drehte sich das Ruder langsam zur Seite und er fiel mit einem unmerklichen Plumps auf den Boden. Das Schiff, steuerlos, drehte langsam und träge im Meer bei. Niemand bemerkte den Kurswechsel, niemand ahnte davon.

    Der Bugspriet tauchte tief in das schwarze Wasser hinein, die Gischt prasselte ungehört auf das Vordeck der Harpyia. Nur einige Flügelschlag entfernt zog ein schmaler Landstreifen vorbei. Einige Wolkenfetzen trieben am Himmel, verdeckten die spärlichen Sterne, doch auch kein Mond zeigte sich in jener Nacht am Firmament, es war Neumond. Ungerührt dirigierte der Steuermann das Schiff am Land vorbei und weiter ins südliche Gefilde. Die Segel knatterten leise als eine frischere Brise sie erfasste, doch der Steuermann wusste, dass es nur der Vorbote des Africus sein würde. Eine höhere Welle packte das Schiff und schaukelte es heftiger durch.
    Selbst unten im Bauche des Schiffes merkten die Männer die kurze Seitenströmung als einige Krüge quer über die Tische rutschten und fast von den Fässern heruntergepoltert wären, geistesgegenwärtig, es ging um das kostbare Nass, hielten viele Piratenhände die Krüge fest. Zeuxis lachte laut, dröhnend. „Ach Jüngelchen, Grieche, Gallier, ist doch alles dasselbe!“ Sofort kamen einige Knochen in seine Richtung geflogen und empörte Rufe. „Heyda, das will ich nicht gehört haben!“ oder „Pah, ich bin doch kein Knabenschänder. Pah, Griechen sind doch das Letzte!“, was gleich darauf mit einem. „Willst Du etwa sagen, ich treibe es mit kleinen Jungs? Dir schlag ich gleich die Zähne ein...“ und jenem folgte. „Nichts will ich sagen, gar nichts, lass den Krug wieder sinken.“
    Zeuxis hob beschwörend die Hände. „Jungs, Jungs, so hab ich das nicht gemeint!“ Wieder ließ er sein dröhnendes Lachen ertönen, es hatte etwas Ansteckendes und die aufwallende Prügelei war erst mal im Keim erstickt. Aber dafür hatten die Meisten der Piraten noch nicht genug getrunken.
    Und es wurde wahrlich fröhlichfeucht in jener Runde gefeiert, die Becher immer wieder neu eingeschenkt, das Gelächter vermischte sich mit den gröhlenden, zotigen Rufen, die sich die Piraten gegenseitig zuwarfen. Schließlich griff einer der Piraten, ein dürrer Mann mit einer auffälligen dicken Nase im Gesicht, in eine lederne Tasche hinein und zog eine kleine Knochenflöte hervor. Seine Finger glitten über die Flöte, seine Wangen bliesen sich auf und fröhliche Töne entlockte er dem kleinen Knochenstück. „Sing uns was schönes, Aras! Los, komm, es hat doch sonst keiner so eine goldige Stimme wie Du, Jüngelchen!“, rief Zeuxis. Einer der Piraten, ein junger Mann mit einem feingeschnittenen Gesicht und sonst eher muskulösen Schultern, sah von seinem Essen auf und zuckte mit der Schulter. Grinsend stand er auf und flüsterte dem Flötenspieler etwas zu. Der nickte und griff anders zu, etwas getragenere Töne hallten durch das Unterdeck. Melodisch und volltönend setzte Aras zum Singen an.
    “Wieder unter schwarzen Wimpern
    Mit betörenden Augen schaut mich
    Eros an und treibt mit tausend
    Süßen Lockungen mich in Kypris’
    Unentrinnbar festes Netz...“
    Doch schon wurde sein Lieder unterbrochen: „Was Zünftiges, kein Geschnulze. Ah ne, das geht doch nicht. So was: Auf, Brüder, lasst uns trinken!
    Was warten auf die Nacht!
    Schon ist es der Tag im Sinken-
    Her, was uns fröhlich macht!
    Her den vollen, den schäumenden Becher... “
    Doch auch jener Gesang wurde unterbrochen, eine derbere, kehlige und tiefe Stimme, was schon unheilverkündend anmutete, hob an zum Singen.
    „Nicht mehr zu deuten weiß ich der Winde Stand,
    Denn bald von dorther wälzt sich das Wog’ heran
    Und bald von Dort, und wir inmitten
    Treiben dahin, wie das Schiff uns fortreißt,
    Mühselig ringend wider des Sturms Gewalt;
    Denn schon des Masts Fußende bespült die Flut
    Und vom zerborstnen Segel trostlos
    Flattern die mächtigen Fetzen abwärts...“
    Abermals wurden Knochen und sonstiges Essen geworfen. „Halt’s Maul, Borgos, wir wollen feiern!“ Der alte Mann, Borgos, verstummte und sah brütend über den Tisch hinweg Ambrosius an. Seine weißen Haare hangen zottig über seine Schultern herunter und er griff mechanisch nach dem nächsten Hähnchenstück. Zeuxis schüttelte den Kopf und wandte sich wieder Ambrosius zu. „Na, Jüngelchen, dann kannst Du doch auch singen als Grieche! Bring doch mal was Lustiges für uns!“
    Die Musik aus dem Unterdeck drang nur gedämpft bis zu Kajüte des Kapitäns. Unverwandt sah Tullius Lucilla an, genauso ungeniert wie er sie zwischenzeitlich nochmalig musterte. Um seine Mundwinkel zuckte es amüsiert. Natürlich missfiel ihm der Gedanken nicht, was für eine Macht sein Name haben könnte. Wenn noch in Generationen die Menschen Angst vor ihm hatten, wie vor Sulla, das wäre unbestreitbar anstrebenswert. Genüsslich über jenen Gedanken sinnierend ließ er den rotschillernden Wein in seinem Glas kreisen und nahm schlussendlich einen kleinen Schluck von dem kostbaren Traubensaft.
    „Ich fühle mich sehr geehrt, Lucilla, dass Du Deinen Enkeln Schauermärchen von mir erzählen möchtest.“
    Ob es jemals dazu kommen würde, Lucilla die Fahrt auf seinem Schiff überhaupt überleben würde, ließ er offen und dahingestellt.
    „Aber in der Tat besitze auch ich einen Namen. Ist es klug, ihn Dir zu nennen? Vielleicht nicht, aber einen schlimmeren Fluch als vor einigen Tagen wirst auch Du wohl nicht mehr aussprechen können. Mein Name ist Quintus Tullius.“
    Die Tür der Kajüte öffnete sich, ein seltsamer Anblick bot sich dort. Ein einäugiger Mann mit unrasiertem Kinn und langen, dunklen Haaren, dafür jedoch wie ein Diener ausstaffiert, betrat die Räumlichkeiten, hielt in seiner Hand eine große Platte mit halbierten Eiern, die kunstvoll mit Fisch- und Hühnerfleisch gefüllt worden waren, garniert mit einigen Lorbeerblättern und bunten Gewürzen, Fenchel, Bohnenkraut, Pfeffer, Salz und Knoblauch als Beigabe und Zierde. Etwas unbeholfen und doch nicht ungeschickt stellte der Pirat die Platte auf den edlen Tisch ab, verließ stumm wieder die Kajüte. Und ganz in der Tradition der Saturnalia beugte sich Tullius vor und umgriff mit zwei silbernen Löffeln eine Eihälfte nach der Anderen, reichte sie auf Lucillas Teller, ebenso wie auf den Seinigen.
    „Bevor wir speisen, Lucilla, erlaube mir doch Dir etwas zu den Saturnalia zu schenken.“
    Süffisant kräuselten sich seine Lippen zu einem herablassenden Lächeln und er zog hinter sich eine Kette hervor aus feinen goldenen Gliedern, zwischen jedem Glied war ein goldenes, mit etruskischer Handarbeit verziertes Plättchen, und wiederum dazwischen prangten kleine Rubine, die zum mittleren Teil in einem Höhepunkt von einem strahlendroten Edelstein endete, der in feiner Goldarbeit eingefasst an der Kette hing.
    „Mir ist zu Ohren gekommen, es gibt etwas, was Du unbedingt mit mir besprechen möchtest, Lucilla. Hier ist natürlich eine vortreffliche Gelegenheit dafür. Darshi, magst Du uns vielleicht etwas zum Besten geben?“
    Denn in diesem Momente war deutlich die Stimme des Alten zu hören. Darshi, der sich still zu den Beiden gesetzt hatte, nickte und griff nach einem seltsam anmutendem Instrument, es hatte einen kleinen runden Bauch und dafür einen langen, schlanken Hals, sieben Seiten spannten sich von oben bis unten. Seine gesunde Hand glitt langsam über die Seiten des Instrumentes und entlockten ihr fremdartige Klänge, die Musik schien aus einer anderen Welt zu kommen, von den fernen Landen Parthiens, der Wüste, den fruchtbaren Tälern und den Bergen zu erzählen.

    Der sanfte Umhang der dunklen Nacht hatte sich schwer über das Meer gelegt, hüllte den Hort der grausamen Piraten, die Harpyia, in scheinbar endlose Nacht. Saturn und Venus suchten mit ihren kleinen Lichtern, mitsamt ihrer Geschwister, am Himmelsfirmament diese Finsternis zu durchdringen. Die Schiffslaternen am Heck schaukelten bedächtig bei dem sanften Wellengang hin und her. Der bärtige Steuermann hing gelangweilt am Ruder, kaute langsam auf einem Stück Süßholz herum, spuckte in die dunkle See und bedauerte inbrünstig sein erbärmliches Los hier zu stehen während unten seine Kameraden fröhlich die Saturnalien feiern durften.
    Ebendas taten jene Piratenkumpanen auch tief unten im immerdunklen Bauche des Schiffes. Auch hier erleuchteten, an Ketten schwingende, Laternen den Raum der Piraten, die sich an Bänken, Hockern, um Tische und Fässer versammelt hatten, vor sich Holz- und Tonplatten, die mit hohen Bergen von Köstlichkeiten aus der See, aber auch den Käfigen aus dem Schiffsinneren, Hühner allesamt, bedeckt waren, Krüge voll mit gewürztem, süßen Wein und herbes Bier wurden herumgereicht, jeder der Piraten griff gut gelaunt, ohne auf ihre Tischmanieren zu achten, bei den Speisen zu.
    Ambrosius bekam just einen kräftigen Klaps von Zeuxis auf die Schulter, der sich mit einem breiten Grinsen neben den „Ex“-Sklaven und jetzigen Scheinpiraten auf der Bank niederließ und Ambrosius aus einem schaumüberlaufenden Krug Bier in einen Holzbecher goss. „Na, Jüngelchen, “ Die Gewohnheit hatte sich Zeuxis trotz Ambrosius Ermahnung nicht abgewöhnt, so fuhr er ungeniert fort. „...siehst nimmer so grün um die Nase aus! Komm, schlag kräftig zu, kannst es auf dem Gerippe gut gebrauchen.“ Heiter und selig gelaunt, es waren immerhin Saturnalien, lachte der Pirat und griff mit seiner breiten Pranke nach einem knusprigen Hähnchenschlegel. Der Tag und die Schießübungen waren natürlich wieder arbeitsreich gewesen und der Pirat hatte Ambrosius immer wieder versucht den Unterschied zwischen einem Geitau, einem Schot und wozu ein Belegnagel gut war zu erklären. Seine gelblich verfärbten Zähne gruben sich in das weiße Fleisch des Hähnchens. „Sach mal, Jüngelchen“, sprach er mit vollem Mund, „bist Du eigentlich Gallier? Siehst so blass wie die Nordlichter dort aus.“
    Verfeinerter und gesitteter ging es an anderer Stelle im Schiff zu. Am Heck leuchtete Licht aus der Kajüte des Kapitäns. Das Licht hob und senkte sich, wenn eine Welle das Schiff wieder stetig auf dem schwarzen Ozean weitertrug. Am Nachmittag bereits war Tetischeri mit feinem koischen, weinrotem und den aus Byssos kommenenden Stoff, auch Muschelseide genannt, einem geraubten und sündhaft teurem Kleid, in die Kabine von Lucilla geschlüpft, hatte ihr alle möglichen Accessoires und silbergoldene Bänder für das Kleid mitgebracht. Am Abend dann führte sie Lucilla durch die engen Gänge, wurde mit jedem Schritt, welcher sich der Kajüte am Heck näherte, schweigsamer und ängstlicher. Die junge Ägypterin hatte immer noch große Angst dem Kapitän zu begegnen und mied somit jegliche mögliche Begegnung mit dem Piratenanführer. Vor der Tür blieb sie stehen, hatte den Blick schüchtern gesenkt und flüsterte leise. „Das ist die Kajüte, Herrin! Ich geh wieder...“ Ihre Hand klopfte sachte an der Tür. Ehe sie daran zu hindern war, verschwand sie schnell in dem düsteren Gang hinein, war schnell von der Dunkelheit verschluckt.
    Die Tür wurde geöffnet, Dardarshi stand am Eingang. Er lächelte zu Lucilla, neigte höflich seinen Kopf und deutete sogar eine galante Verbeugung an. „Meine Dame, willkommen und was für eine Freude und Ehre, die Du uns an diesem Abend erweist. Bitte, tritt doch ein!“
    Die Kajüte des Kapitäns war mit unzähligen Bienenwachskerzen ausgeleuchtet. Am Fenster standen silberne Kerzenleuchter, die ihr Licht auf der schwarzen Wasserfläche reflektierten. In einem schummrigen und schmeichlerischen gelben Ton beleuchteten die unzähligen Flammen die üppige Pracht der Kajüte, den edlen Tisch aus Kirschholz in der Mitte des Raumes mit den reichhaltig verzierenden Schnitzereien, den geschwungenen Tischbeinen und den Goldintarsien an der Seite des Tisches und den Füßen. Feines ägyptisches Linnen mit goldenen Stickereien lag über der Holzplatte, silberne Teller und rotblaues ägyptisches Glas funkelten im Kerzenlicht. Die zahlreichen Kisten mit Tullius Beute waren nur teilweise verschlossen, prangten doch an vielen Stellen zahlreich das Gold, der Schmuck und die edlen Stoffe hervor.
    Der Kapitän stand am Heckfenster, seinen Rücken hatte er der Tür zugewendet und sah sinnierend in die Dunkelheit hinaus. Auch an jenem Abend trug er keine römische Kleidung, sondern eine gallische Hose aus schwarzem, feinem Stoff, der sich um seine Hüfte enger schmiegte, an den Beinen etwas bauschte und in hohen Soldatenstiefeln, Calcei recht ähnlich, verschwand. Darüber ein schwarzes Hemd und eine dunkelrote, goldbestickte Weste. Als Dardarshi, der in ein dunkelgrünes Gewand, ähnlich eines Kaftans, bekleidet war, Lucilla begrüßte, wandte sich der Kapitän um und sah Lucilla an. Unmerklich wanderte er mit seinem Blick über Lucilla und hob schon fast überrascht, aber durchaus angetan die Augenbrauen, lächelte dann gleichdrauf kühl. Das Holz unter ihm knarrte als er auf Lucilla einen Schritt näher trat und sie unverwandt ansah.
    “Bezaubernd! Setz Dich doch bitte!“
    Mit einer Hand deutete Tullius auf die üppig bedeckte Kline.
    „Etwas Wein?“
    Es war mehr eine rethorische Frage, denn schon griff seine Hand nach einer silbernen Karaffe und er goss von dem Caecuber, den er vor einigen Wochen von einem italischen Schiff erbeutet hatte, in das ägyptische Glas hinein. Der Wein perlte rot und schimmernd in dem feinen Glas und schaukelte mit dem Wellengang. Erst dann nahm er seinerseits auf der zweiten Kline in dem Raum Platz.
    „Ich hoffe, Du hast Dich von den Strapazen der ersten Tage ein wenig erholen können, Lucilla?“
    Weiter den intensiven Blick auf Lucilla gerichtet, nahm er eines der Gläser in die Hand. Bedächtig schaukelte er den Wein in seinem Glas und roch daran, was für ein Wein, was für ein Glück jenen erbeutet zu haben.

    Der stille Riese durchbrach erneut die Oberfläche des Wassers, sein massiger Körper tauchte für einen kurzen Moment auf eher er mit einem mächtigen Flossenschlag erneut in der Tiefe des Mittelmeeres verschwand. Die Harpyia schien keine Intention zu haben, dem Wal auszuweichen, keiner der Seemänner widmete dem Wal große Aufmerksamkeit, waren doch alle eher mit der Kriegsmaschine, dem kleinen Spielzeug des Kapitäns, beschäftigt. "Auch da kann ich nur Deiner Klugheit und Deiner Weitsicht recht geben, Lucilla, denn nichts ist nur gut oder durch und durch schlecht. Auch die Menschen nicht." Dardarshi sah vage in Richtung des Achterdecks und des Kapitäns. "Oh ja, ein Wal kann einem Schiff schon sehr gefährlich werden. In einigen alten Schriften habe ich einst von einem Wal gelesen, der größer sein soll als die Akropolis von Athen, länger als dieses Schiff. Wollte einer versuchen einen solchigen Wal zu erlegen oder anzugreifen, der würde mit einem Schlag von der Flosse, größer als das Großsegel, tief und für immer ins Wasser gedrückt werden. Worauf ich jedoch schon seit Jahren Ausschau halte, sind die sagenumwobenen Seeschlangen oder einen Ketos. Bis jetzt leider vergeblich. Aber mach Dir keine Sorgen, werte Dame, der Wal wird das Schiff nicht angreifen. Ich habe sie schon des öfteren beobachten dürfen, habe gar einige Skizzen von ihnen anfertigen können. Aristoteles hat sich schon mit jenen Tieren beschäftigt, es ist eine wahre Freude dem alten Meister auf diesen Pfaden in der Naturphilosophie folgen zu dürfen."
    Die Wasserfontäne des Wals tauchte in einiger Entfernung nochmals auf, schnell hatte das Tier diese Distanz zwischen sich und dem Schiff gebracht.
    "Ich hoff', Du hast es Dir mal gemerkt, Jüngelchen. Also, vorne ist der Bug und hinten das Heck, zu dieser Seite Steuerbord und dort Backbord. Wenn Du das verwechselst, lachen Dich alle aus! Wir sind zwar Piraten, aber wir verstehen was von der Seemannschaft, Jüngelchen. Der Kapitän legt großen Wert darauf." Zeuxis lehnte neben den Seilen, die die Fässer für die Ballistenübungen festhielten. Zusammen mit Ambrosius sollte er auf das Kommando des Kapitäns warten, um die Seile zu kappen. "Luv ist die Seite, wo der Wind herkommt und Lee, wo er hin entschwindet. Du siehst, im Luv zu sein, kann von Vorteil in einem Gefecht, aber auch bei manchen Seemanövern sein. Jedes Segel hat seinen eigenen Namen, wenn Du lernen willst, sie zu reffen, also sie zusammenzufalten, solltest Du die Namen schon kennen. Sonst nimmst Du einen Reff vom Großsegel weg, während der Kapitän eigentlich das Marssegel meint. Was für ein Desaster dann! Das ist das Geitau, auch mancherorts Schoten genannt, mit der Leine kannst Du das Segel reffen...red ich Dir zu schnell, Jüngelchen? Komm, ich zeig' Dir mal 'nen solches Tau!" Zeuxis gab Ambrosius einen Klaps auf den Hintern, lachte dröhnend und marschierte zum Großsegel mit ihm.
    Derweil war die Balliste wieder gespannt und die erste Bleikugel wurde in die Halterung eingelegt.
    "Erstes Fass los!"
    Zeuxis, der gerade eines der Schoten seiner Lehrjungen Ambrosius zeigen wollte, grummelte seufzend und marschierte schnell wieder zum Faß zurück, löste eines der Taue. Das Faß wurde flugs von der Strömung mitgerissen und von einem der Wellen kurz unter das Wasser gedrückte, ehe es abermals erschienen.
    "Ausrichten, Zielen."
    Tullius hatte eine Sanduhr hervor gezogen und hielt sie vor sich, während die Männer hastig beschäftigt waren, das Fass anzuvisieren.
    "Feuer!"
    Ein lautes Klacken, ein Sirren und ein Platschen. Tullius brauchte gar nicht hinzusehen, die ersten Schüsse würden mehr als katastrophal sein, nicht mal eines Blickes würdig.
    "Anziehen, Ausrichten, Zielen!"
    Wieder wurde hastig die Sehne auf gekurbelt, die Bleikugel eingelegt und auf das Faß gezielt.
    "Feuer!"
    Platsch, im Wasser und das Spiel ging von vorne los. Aber und abermal versenkten die Piraten mit leisem Fluchen und angestrengter Konzentration die Bleikugeln im Meer, näherten sich dabei jedoch stetig ihren Übungszielen. Als dann eine Kugel mit einem lauten Krachen in das Faß einschlug, jubelten die Piraten begeistert auf. Noch zwei Mal mussten sie weiter üben, trafen das Faß zwar nicht, waren jedoch von ihrem einzigen Treffer beflügelt. Tullius nickte nach einer Weile.
    "Das reicht für heute! Zeuxis und Gorgoys, kümmert euch um die zweite Balliste. Ich will sie in drei Tagen auf der Bugseite aufgestellt haben."
    Mit einem prüfenden Blick auf den Trimm des Schiffes und die aufgeblähten Segel, ging Tullius die Treppen vom Achterdeck herunter, wirkte nicht unzufrieden mit der Segelspannung und wie das Schiff im Meer lag. Ehe er Achterdecks im Bauche des Schiffes verschwand, drehte sich Tullius um und sah zu Dardarshi, dem er andeutungsweise zunickte und dann unter Deck ging.
    Dardarshi hatte die Beobachtung der Ballistenübungen beendet, es war nun auch nichts mehr zum Zuschauen. "Wo waren wir stehen geblieben, Verehrteste? Ah ja, die Wale. Wusstest Du schon, daß die Juden eine eigene Legende mit einem Mann haben, der von einem Wal verschluckt wird? Im Übrigen lädt Dich der Kapitän heute Abend zum Essen in seiner Kajüte ein."

    Wie eine Königin segelte der schlanke und weiße Vogel am blauen Himmel entlang, die Spitzen der Flügel unterbrachen mit einem schwarzen Tupfer das makellose weiße Federkleid. Still und wie ein stummer Zeuge aus der jenseitigen Welt verfolgte die Möwe die Harpyia, deren Bug durch das tiefblaue Wellenmeer hindurch pflügte. Sanft, aber durchaus frisch wehte die stete Brise über das Oberdeck des Piratenschiffes. Diese Idylle wurde durch das scheppernde Geräusch von Metall auf dem Achterdeck unterbrochen als eine Metallkugel auf die Holzplanken fiel und kullernd über das erhöhte Deck rollte, drohte auf das Oberdeck herunterzufallen. "Aufgepasst dort unten!" schon knallte die Bleikugel herunter und rollte neben Lucillas Füßen entlang. Mehrere der Piraten standen um die große und beeindruckende Balliste herum, die mit großen eisernen Nägeln am Achterdeck festgenagelt und -gezurrt stand, daneben lag in einer großen Kiste ein Berg von klobigen Bleikugeln, die mit der Balliste gegen andere Schiffe verschossen werden konnten, drei Männer bemühten sich ächzend und mit einer Winde, die stramme Sehne an der Balliste nach hinten zu kurbeln. Mit verschränkten Armen stand der Kapitän daneben. Er trug ein recht unrömisches, sich im Wind bauschendes schwarzes Hemd, welches lose über seine dunklen, gallischen Hosen hing. Als er der Kugel hinterher sah, bemerkte er auch Lucilla. Seine Augen hefteten sich auf sie, durchdringend und mit kalter Abneigung. In dem Momente ertönte ein lauter Knall und ein gellender Schrei, die Sehne der Balliste war gerissen und hatte mit mehr Kraft als die Katze, die Peitsche, es könnte, einen der Piraten an der Schulter und halb im Gesicht getroffen. Mit einem leisen Fluch auf den Lippen wandte sich Tullius wieder um, ignorierte Lucilla nun.
    "Tragt ihn runter! Dann holt eine neue Sehne. Und passt das nächste Mal besser auf! Gorgoys, lass die Fässer herunter, aber noch am Seil. Wir machen sie los, wenn die Sehne aufgespannt ist."
    Der verletzte Pirat winkte ab, wollte wohl nicht heruntergebracht werden, obwohl ihm aus einer breiten Wunde an der Stirn das Blut ins Gesicht lief.
    "Hör mit dem Unsinn auf, komm wieder hoch, wenn es aufgehört hat zu bluten, aber wir sind ehedem noch mit den Vorbereitungen beschäftigt."
    Der Pirat nickte und wankte dann mit Hilfe eines dunkelhäutigen Piraten die Treppen vom Achterdeck herunter und an Lucilla vorbei, der er einen kalten und haßerfüllten Blick zuwarf. "Hexe!" murmelte der Verletzte und war im Bauche des Schiffes entschwunden. Aus ebensolchem folgte Dardarshi auf das Deck hoch, er hatte der Römerin bei weitem nicht so schnell folgen können. Seufzend trat er an ihre Seite und rieb sich seine rechte Hüfte. "Ich sagte doch, mit mir kannst Du hoch, werte Dame! Das ist zu Deinem eigenen Schutz!"
    Die Männer auf dem Achterdeck waren derweil beschäftigt, die Balliste erneut mit einer dicken Sehne auszustatten. Tullius überwachte die Arbeiten daran von der Steuerbordseite des Achterdecks aufmerksam, ignorierte das Oberdeck völligst. Es platschte laut, als drei Fässer, die an Seilen noch mit dem Schiff verbunden waren, am Heck ins Wasser gelassen wurden. Wie kleine Beiboote wurden sie hinter dem Schiff hergezogen.
    Dardarshi berührte Lucilla kurz an ihrem Ellenbogen. "Komm, spreche den Kapitän jetzt besser nicht an. Gehen wir doch am Seitendeck zum Bug." Dardarshi wandte sich um und lief langsam das Seitendeck entlang, wich mal einer Rolle von sorgfältig zusammengelegten Tauen aus, ebenso einem Piraten, der ein Schot fest surrte. Nur mühsam humpelte der Parther auf die Bugspitze zum Bugspriet. "Mittlerweile habe ich das Meer tatsächlich schätzen gelernt, hielt ich es früher doch für einen üblen Gegner für den Mensch, immer bestrebt mit den Wellen ihn unter Wasser zu drücken und das Leben zu nehmen!" Am Bug blieb der Parther stehen und hielt sich an einem Tau fest, seine Augen spähten über das Meer. Kleine Schaumkronen verfingen sich in den Bugsprietnetzen und fielen auf die barbusige Harpiengestalt am Bug. "Ein Wal!" Dardarshi hob seine narbige Hand und deutete auf einige Wellenkämme, wo eine Wasserfontäne in die Luft wirbelte und sich gar schließlich ein bleigrauer Rücken erhob, der über und über mit Muscheln, Tang und borkigen Buckeln versäht war, die riesige Flosse erhob sich aus dem Wasser und glitt wieder elegant hinein. "Beeindruckend! Oder meinst Du nicht auch?" Ganz selig über jene Entdeckung drehte sich der Parther herum.

    "Hoiho! Ihr Männer, unserm Sang
    Hoiho! Antwortet Widerklang.
    Des weit ergoß'nen Meeres Heer
    Lacht nun mit heiterm Antlitz her.
    Er hat die Schiffbahn glatt gemacht,
    den wilden Sturm zur Ruh' gebracht:
    Die schwere Springflut nun gezähmt,
    Hat nun sich stillem Ruhm bequemt.


    Hoiho! Ihr Männer, unserm Sang,
    Hoiho! Antwortet Widerklang.
    Frisch angestemmt und gleichen Schlag,
    Bis Kiel und Bord erheben mag!
    In Eintracht mit dem blauen Meer
    Lacht wolkenlos der Himmel her.
    Und frisch geregt vom Windes..."
    Ein schmerzhafter Laut unterbrach den Mann, der leise in der Nähe der Kabine die Worte des römischen Matrosenliedes mit seiner rabenähnlichen Stimme krächzte. "Halt's Maul, der Kapitän haßt das Lied. Und knüpf lieber die Taue weiter!" Ein Grummeln und ein: "Ja, ja, ist ja schon gut!" war die einzige Antwort darauf. Tetischeri nickte ehrfürchtig und gehorsam auf die Einschärfung, Lucillas Worte über den Fluch. "Eine Zauberin ist wahrlich sehr viel mächtiger als ein Kapitän, vielleicht mächtiger als mancher Basileos oder Pharao es je sein kann. Frauen wohnt auch eine viel größere Macht bei, gegeben durch Isis und den anderen Göttern. Meine Mutter hat mir erzählt, daß die Pharaonin Kleopatra auch eine mächtige Zauberin war, hatte sie doch die größten Römer in ihren Bann gebracht." Andeutungsweise schüttelte sie den Kopf auf das Angebot. "Ich hab keinen Hunger, werte Herrin. Und ob ihr den Kapitän sprechen könnt, das kann nicht ich entscheiden." Es klopfte an der Tür und zögerlich öffnete sich diese.
    Dardarshi trat in die Kabine, musterte das Essen, seine vernarbten Lippen zogen sich in die Breite- es war wohl eine Art von Lächeln. Mühsam ging der Parther durch den Raum und zog sein Bein dabei hinter sich her, bemüht nicht durch den Wellengang des Schiffes zu straucheln. Tetischeri sprang schnell von ihrem Hocker auf und half Dardarshi auf jener Sitzgelegenheit Platz zu nehmen. Dardarshi warf ihr einen dankbaren und durchaus liebevollen Blick zu, schenkte dann jedoch seine Aufmerksamkeit gänzlich Lucilla. Tetischeri setzte sich auf den Boden, lehnte sich dabei sachte gegen Dardarshi, in einer vertrauten und schutzsuchenden Geste.
    Mit seiner rechten Hand, sie war über den ganzen Rücken mit brandigen Narben versehen und sein kleiner Finger stand in einem unnatürlichem Winkel ab, strich er Tetischeri zärtlich durch ihre ebenholzfarbenen Haare.
    "Bona Saturnalia, werte Dame!" Seine Augen sahen Lucilla milde an, seine Stimme enthielt keinen Hohn. "Der Kapitän wird Dir einige Freiheiten gewähren. Du wirst auf dem Schiff sein können, fast als ob Du ein Gast wärst. Das bist Du mit nichten, doch es ist Dir genauso gestattet, hier in der Kabine zu wohnen, Tetischeri wird Dir alles bringen, was Du brauchst. Ansonsten darfst Du die Enge dieses Raumes mit mir verlassen, um an Deck ein wenig zu Tage zu flanieren!"
    Dardarshi hob seine andere Hand zu seinem vernarbten Kinn, fuhr sich sinnierend dort entlang, diese Hand war von gesunder Haut überzogen, seine Finger dort schlank und wirkten wie die eines Gelehrten und weniger eines grobschlächtigen Piraten. Nachdenklich suchten Darshis Augen Lucilla zu ergründen, doch er ließ das wieder und lehnte sich ein wenig nach hinten. "Möchtest Du vielleicht jetzt ein wenig an die frische Luft? Und wie ist Dein Name, wenn ich fragen darf?"

    Sanft plätscherten die Wellen gegen die Bordwand der Harpyia. Dass sie kein Wind antrieb, wegen der gerefften Segel, war überall im Schiff zu spüren, hatte doch das stete Rauschen des Meeres um sie abgenommen. So glitt das Schiff nur geisterhaft von der Strömung getrieben durch das Meer, als ob keine Seele an Bord das Schiff lenken könnte, was natürlich nur trügerisch war. Die gutgelaunten Männer beim Essen waren durch die Planken und Schotts des Schiffes deutlich zu hören, wenn auch das Wirrwar aus Stimmen keine verständlichen Wortfetzen offenbarten. Während Schwamm für Schwamm, Wasserschwall für Wasserschwall den Dreck der letzten Tage von Lucillas Haut wusch, somit die äußerlichen Spuren ihrer entwürdigenden Einpferchung beseitigten, wurde das Getrappel vom Schiff wieder lauter und eine deutliche Stimme, ein unverwechselbarer Timbre, drang nach unten.
    "Ein Reff im Großsegel wegnehmen! Leesegel setzen! Kurs Westsüdwest! Und luvt noch etwas an! So ists richtig!"
    Merklich nahm die Harpyia Fahrt auf, das Holz des Schiffes gab eine leises Seufzen von sich als der Wind stärker über die Segelfläche strich und nach vorne durch die Wogen des Meeres drückte, weiter Südwestwärts und weiter weg vom italischen Land, in eine ungewisse Fremde für Lucilla.
    Tetischeri verfolgte die Wandlung von Lucilla nur mit scheuen Blicken, traute sie sich doch zu keinem einzigen Moment Lucilla direkt oder offen anzusehen. Folgsam tat sie alles, damit Lucillas Herrichten einfacher und komfortabler vonstatten gehen konnte. "Ich weiß es nicht, warum er auf dem Schiff bleiben will. Er spricht nicht gerne darüber, Herrin!" murmelte sie leise. "Aber er meinte etwas von einer Blutschuld, die ihn dazu verpflichten würde!"
    Mit ineinander verschränkten Händen und ruhig wartete Tetischeri neben dem Tisch während Lucilla sich weiter wusch und ihre Haare in den Kessel tauchte. Das Wasser im Kessel bewegte sich immer schaukelnder und das Schiff hob und senkte sich in der Fahrt schneller, fing laufend mehr von der Brise in ihrer Segelfläche auf. Tetischeri Finger griffen nach dem Kamm. Vorsichtig nahm sie eine dicke dunkle Haarsträhne von Lucilla in ihre andere Hand und setzte den Kamm an. Sorgsam begann sie das Durcheinander in den Haaren von den Haarspitzen an zu lösen, dabei bedacht Lucilla keine Schmerzen zuzufügen. Ihre Finger waren dabei auch recht gewandt.
    "Plündern? Morden und Rauben? Ich glaube andere Ziele haben diese Wilden und Barbaren nicht. Es sind doch fast alles ehemalige Sklaven, die der Pirat von den erbeuteten Schiffen geholt hat. Viele von ihnen sind von dem Kapitän von den Ruderbänken geholt worden und so manch einer ist ihm deswegen bis zum Tod loyal. Oder es ist die Gier, die diese Männer antreibt. Die Gier sich zu rächen und reich zu werden. Was brauchen sie noch für Ziele?" Tetischeris Stimme klang bitter und dabei doch sehr ängstlich, war jedoch weniger ein Flüstern mittlerweile.
    "Ich habe gehört, dass der Kapitän auf die Küste Africas zuhält. Vielleicht..vielleicht...!" Tetischeri verstummte. Vielleicht konnte man dort fliehen, hatte sie anfügen wollen, aber sie traute sich nicht. Hatte sie doch schon vor langem viel von ihrer Hoffnung aufgegeben, gerettet zu werden. Es würde sich bestimmt keiner mehr um sie kümmern wollen. "Vielleicht will er jedoch auch wieder zu dieser Insel mit den freundlichen Fischern!" Immer mehr Strähnen wurden von ihren sanften Finger gelöst und gekämmt. Ihre Finger hielten die Haare oberhalb der Stelle wo sie kämmte, damit das Ziepen nicht Lucilla störte. "So hat das auch immer meine Amme gemacht.", murmelte sie wieder ganz versunken. Schnell schüttelte sie die Erinnerung an ihre Familie, ihren Vater und ihrem Heim von sich. "Ich weiß nicht, was sie mit Euch vorhaben, Herrin. Darshi hat mir dazu auch nichts gesagt." Nunmehr fuhr der elfenbeinerne Kamm glatt durch Lucillas dunkle Haarmähne hindurch.
    Vielleicht auch keinen Moment zu früh, näherten sich doch erneut Schritte der Kajüte. Die Tür wurde aufgerissen, ohne dass vorher angeklopft wurde. Ein Mann mit zernarbten Gesicht, schwarzen verfilzten Haaren und einem ausgebrannten Augen trat hinein. Von ihm ging ein säuerlicher Geruch aus als er mit einem breiten Holzbrett in den Raum schritt und es auf dem Tisch abstellte. Ein finsteren Blick zu Lucilla werfend, dabei kurz an seinem Amulett, einige Hühnerknöchelchen, greifend, wandte er sich um und verließ eisig schweigend die Kabine.
    Auf dem Brett stand eine große tönerne Schüssel mit stark eingedicktem Mulsum und einem dicken Fleischstück, was in der Fischsoße schwamm, nebst einem Krug mit verdünnten Wein lag dort noch ein Stück Brot für Lucilla bereit.
    Tetischeri ließ den Kamm sinken und strich Lucillas Haare etwas zurück. "Herrin, Ihr solltet Euch in Acht nehmen. Die Besatzung fürchtet, haßt Euch jedoch bereits jetzt schon. Sie glauben, dass Ihr Unglück an Bord gebracht habt und wollen Euch am liebsten über Bord werfen und den Nereiden opfern."

    Eine Glocke schlug auf dem Oberdeck, drei Mal genau und im selbigen Moment brach ein lärmender Tohuwabohu aus, chaotisch lief die Wachmannschaft hin und her, die Männer rannten die Treppen herunter, Gelächter brach aus, so manch ein derber Spruch wurde losgelassen, die Männer begaben unter Deck, um ihre wohl verdiente Essenspause in Anspruch zu nehmen. Die junge Frau zuckte nur kurz zusammen, sie war diese Zeit inzwischen einigermaßen gewöhnt. Bei Lucillas Bestätigung, sie wäre eine Zauberin, senkte die Frau schnell wieder ihren Blick, strich das blaue Gewand auf ihrem Arm sorgfältig glatt und trat auf die Koje zu, wo sie die Kleider hinlegte und einen Schritt zurück machte. An der Tür klopfte es, ein brummiges: "Det Wasser is' doa! Vorsischt, kocht noch!" und schon verschwanden schwere Schritte.
    "Ja, Herrin, ich hab auch einen Kamm hier und alles, was Ihr zum herrichten braucht." Sie ging zaghaft zur Tür, öffnete sie und holte einen Kupferkessel herein, warmes, dampfendes Wasser blubberte leise in dem Kessel, der am Unterrand vom Ruß schwarz gefärbt war. Vorsichtig, damit das heiße Wasser nicht überschwappte, trug Tetischeri das Behältnis in die Kajüte und hievte dieses auf den Tisch. Obwohl es stand, bewegte sich das Wasser träge im Kessel hin und her, je nachdem wie das Schiff von den Wellen sanft hoch und runter gehoben wurde. Stumm und Lucillas Blick vermeidend, zog sie eine tönerne Waschschüssel unter dem Tisch hervor und einen Schwamm, der aus den Tiefen des Meeres stammen musste. "Das ist eigentlich der Raum vom großen Zauberer Dardarshi, Herrin. Er hat ihn Euch überlassen, schläft jetzt bei der Mannschaft, Herrin!"
    Flüchtig hob Tetischeri ihre Mandelaugen, senkte diese jedoch auf ihre kleine Tasche, die sie hervor holte. Aus dieser 'zauberte' sie einen elfenbeinernen Kamm hervor, kleine Phiolen mit Ölen und sogar ein Töpfchen mit Balsam. Erneut glitt Tetischeris schlanke und zierliche Hand in das Täschchen und als sie mit einigen Haarnadeln wieder hervor kam zögerte sie für einen Moment. Still stand sie und sah auf das träge schauckelnde Wasser. Es schien als ob sie etwas sagen wollte, sich jedoch nicht traute. Ihre Unterlippe erzitterte und sie schien mit ihrer Fassung zu kämpfen. Mehr wie ein feiner Windhauch entronnen ihr die nächsten Worte. "Ich habe lange zu Nephtys gebetet, Herrin, dass sie jemanden wie Euch schickt. Selbst wenn es mein Leben kostet, damit dieser böse Geist von der Welt verschwindet, wird es gut sein. Dann wird mein Vater in der Unterwelt zufrieden sein. Doch bitte..." Sie hob nun dennoch ihre Augen, die feucht glänzten. "...verschont Darshi, solltet Ihr mächtiger als er sein. Selbst wenn er seinen Kapitän schützen würde und auch einer von ihnen ist, so ist er der gütigste Mensch, den ich kenne. Er hat mich vor diesen grausigen Wilden und einem schlimmen Tod bewahrt, Herrin!" Ihre dunklen Augen drückten tiefen Respekt vor Lucilla aus, genauso Ehrfurcht und auch Angst. Eine Träne fiel über ihre Wange, perlte an ihrem zierlichen Kinn entlang, schnell sah sie wieder zu den filigranen Glasphiolen herunter. "Kann ich euch helfen mit dem kämmen, Herrin?" fragte die junge Ägypterin schüchtern und kaum hörbar.

    Stützend hielt Dardarshi seine vernarbte Hand an Lucillas Ellenbogen als er ihr Schwanken bemerkte. Doch nur für einen vagen Moment, ließ gleich wieder von ihr ab und schüttelte bedauernd über die ganze Misere den Kopf. „Nein, junge Frau, wenn der Kapitän Dich umbringen wollte, hätte er sich nicht so viel Mühsal gemacht.“ Seine Lippen verzogen sich wohl zu einer Art von Lächeln, die Narben ließen es jedoch grotesk wirken. „Aber Du bist eine sehr kluge Frau. Du hast ihn an einer verwundbaren Stelle gepackt, sehr klug!“ Dardarshi beugte sich runter und kroch in den Käfig hinein, seine dicken Hände griffen sehr sanft nach dem Jungen, prüfend fuhr er ihm seine Stirn, lauscht an seiner Brust und schüttelte seufzend den Kopf. „Bei Mithra, es sieht übel um den Kleinen aus!“ murmelte er und zog den Jungen aus dem Käfig hervor. „Aras!“ Einer der Piraten kam die Treppe herunter gelaufen, er trug eine grobe Tunica und lief auf den Holzplanken barfuß, war jedoch sehr breitschultrig und groß gewachsen, hatte dazu wiederum ein recht fein gemeißeltes Gesicht, einer griechischen Statue ähnlich. „Nimm den Jungen! Er ist mir zu schwer!“ Aras, der Lucillas Blick auswich und in ihrer Gegenwart seltsam befangen wirkte, beugte sich herunter und hob den Jungen spielend leicht auf seine Arme hoch, wandte sich um und marschierte mit einem leichten Gang die Treppe hinauf.
    „Komm, werte Dame, mach Dir keine Sorgen! Solange der Kapitän Deine Macht fürchtet, wird er Dir auch nichts antun. Kluge Frau!“
    Fein lächelnd hinkte Dardarshi auf die Treppe zu. Mühsam zog er sich die Stufen hinauf, zog dabei sein Bein hinter sich her.
    Die Sonne strahlte warm auf sie herunter, die See wogte in sanften Wellen um das Schiff herum, die Segel waren gerefft und die Ruder eingezogen. Völlig still lag das Schiff in den Wellen, um sie herum war weit und breit kein Land zu sehen. Nur ein endlose Weite von Meer zog sich um sie herum, in vielen blaugrünen bis silberweißen Tönen changierend. Trotzdem umwehte eine sanfte und milde Brise das Schiff.
    Dardarshi atmete heftig ein als er erst Mal die Treppen hinter sich gebracht hatte und sah zurück zu Lucilla, nickte ihr zu und nahm den Weg über das Deck. Auf dem Achterdeck bot sich jedoch ein seltsames Bild. Der Kapitän stand auf der Rehling, völlig nackt und ungeniert verharrte er dort, die Brise spielte mit seinen dunklen Haaren, einige Gischtfetzen fielen auf seine bloßen und muskulösen Schultern und er hatte die Augen geschlossen, sog die Luft tief durch die Nase ein. Dann streckte er seine Arme über den Kopf und sprang ins Wasser, schnellte wie ein Pfeil in die blaue See hinein, verschwand in der Tiefe des Wassers wie ein Sohn Neptuns.
    Jedoch noch eine andere bekannte Seele war am Oberdeck der Harpyia auszumachen. Ambrosius war, wie einige andere der Piraten, dazu angehalten das Deck zu schrubben. Mit Salzwasser und einem Schrubber mussten sich die Männer mühselig von Bug bis Heck, von Backbord zu Steuerbord arbeiten. Das Salz sollte auf der Haut brennen, war doch kein Balsam für empfindliche Hände, immer mal wieder blieb ein Holzspan an der Haut hängen oder bohrte sich dort hinein. „Nicht einschlafen, Jüngelchen!“ trieb der 'Entführer' von Ambrosius, der Riese, ihn an, dessen Name Zeuxis war. „Wir wollen doch das Deck noch vor dem Banken klar haben, nech? Hoi, schau mal, die Hexe! Das die noch nicht tot ist!?!“ Er deutete mit seiner Schrubberhand auf Lucilla, die aufs Deck geführt wurde, schüttelte den Kopf und setzte sein Schrubben fort.
    Dardarshi verharrte nur kurz als er seines Kapitäns gewahr wurde, langsam setzte er seinen Weg fort, bedächtig, um nicht über das nasse und frisch geputzte Deck zu fallen. Unter dem Achterdeck führte wieder eine Treppe hinunter, die Dardarshi auch mühsam überwand und Lucilla durch einen schmalen Gang führte. Vor einer Kajütentür blieb er stehen und öffnete sie. Dahinter lag eine Kabine, die doch um etwas geräumiger als diejenige von Lucilla auf dem Handelsschiff war. Auch komfortabel eingerichtet war sie, hatte eine schon dekadent wirkende breite Koje an der Seite, die mit Kissen bedeckt waren, einen Tisch, eine Truhe und eine silbergoldene Öllampe auf dem Tisch. Ein winzig rundes kleines Loch ließ ein wenig vom Sonnenlicht in die Kajüte hinein. Dardarshi hielt die Tür auf. „Die ist für Dich, werte Dame! Ich schick Dir gleich Tetischeri und auch etwas zu Essen! Um den Jungen kümmere ich mich!“ Dardarshi wollte sich schon abwenden. „Fliehen würde nichts bringen, darum verschließe ich die Tür auch nicht. Aber das nächste Land ist zu weit weg, werte Dame!“ War das Bedauern darüber in seinen Augen? Er drehte sich zu schnell um und schloß die Tür hinter Lucilla.
    Es verging kaum einen Moment als sich schon wieder die Tür öffnete, eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren und einer sehr zierlichen Statur trat hinein. Ihr Blick war scheu auf den Boden gerichtet. Über ihrem Arm trug sie eine lange dunkelblaue Tunica und einen etwas helleren Überwurf. „Herrin!“ murmelte sie. Nur zögerlich hob sie ihre Auge, die großen Mandelaugen sahen Lucilla mit Ehrfurcht und Staunen an. „Ihr seid die große Zauberin? Wie Darshi einer ist?“ Ein rollender Akzent lag in ihrem Latein, wenn sie sich auch sehr bemühte, die Worte richtig auszusprechen.

    Es war einer der Piraten, der Ambrosius die schwierige Entscheidung, vielleicht gar die Schlimmste in dessen behüteten Leben, abnahm. Denn in jenem Augenblick als der Rammsporn sich gelöst hatte, das Schiff gerade die Ruder abermalig tief ins Wasser tauchte, kam dieser aus dem Bauch des untergehenden Handelsschiffes hochgesprungen, über seine Schulter hatte er einen prall gefüllten Jutesack geworfen und prompt fiel sein Blick auf Ambrosius, der mit sich haderte, wie er denn nun zu den Piraten kommen konnte. Der Pirat, er war ein riesiger Mann mit einer rotbraunen wilden Lockenmähne, grinste breit und trat auf Ambrosius zu.
    „Ahoi, was für einen Prachtjüngelchen haben wir denn hier? Hoi, willst Du Pirat werden? Nichts leichter als das, mein Hübscher!“
    Der Pirat lachte dröhnend, packte Ambrosius am Gürtel und schwang ihn mit Kraft und einem riskanten Wurf über die Reling. Das Piratenschiff war gerade noch nahe genug, damit Ambrosius hart auf den Planken landen konnte und nicht platschend im Wasser. Neben ihm kam der Pirat federnd herüber und zwinkerte ihm gutgelaunt zu. „Komm mit, Jüngelchen, sonst wirft Dich unser Kapitän noch über Bord. Der mag so Schwachbrüstige wie Dich nicht sonderlich. Ich aber schon!“ Lachend marschierte der Pirat quer über das Deck und winkte Ambrosius ihm zu folgen. Schon verschluckte das Unterdeck jenen Piraten.
    Ob Quintus Tullius den Sklaven von Lucilla bemerkt hatte? Natürlich, aber gewisse Freiheiten duldete Tullius bei seinen Piraten durchaus, hätte jener eine Frau mit an Bord gebracht, ohne ein Wort zu verlieren sähe es jedoch anders aus. Außerdem war Tullius mitunter derzeit mehr mit dem sinkenden Schiff beschäftigt. Der Nebel verschluckte nach und nach das sinkende Frack als sich die Harpyia mit kräftigen Ruderschlägen entfernte, dumpf dröhnte die Trommel und das Ächzen der Männer, das Knarren des Holzes und hell das Plätschern des Wassers.
    Der geisterhafte Nebel schluckte die Harpyia, ungesehen und wie ein böser Albtraum verschwand sie, hinterließ viele grausig ermordete Menschen und einige Unglückselige, die versuchten, sich schwimmend das Leben zu retten. Die Tage vergingen, keine Beutefeier wurde an Deck des Schiffes zelebriert, diszipliniert, fast wie ein militärisches Schiff brachte die Harpyia Distanz zwischen sich und ihrem Opfer. Denn selbst im Winter war die Classis auf dem Meer anzutreffen, die Tage als die Römer nur kleine Nussschalen fuhren entgültig vorbei.
    Ambrosius hatte das Glück gehabt, nicht zu jenen zu gehören, die im Wasser ertranken, von der Kälte verzehrt und von Neptuns Reich und seiner Finsternis verschlungen wurden. Doch gar zu glücklich war sein Schicksal wohl nicht. Denn wie es sich herausstellte, war auch für ihn an Bord viel zu tun. Nach einer heftigen Auseinandersetzung, die jener Pirat mit seinem Kapitän führte, durfte der Sklave an Bord bleiben, wurde jedoch schon am nächsten Tag mit einem Schrubber und einem Eimer versorgt, es hieß Deck schrubben oder in der Kombüse aushelfen.
    In eintöniger Monotonie musste Lucilla ihre Dasein in dem engen Käfig fristen, wurde nicht ein einziges Mal heraus gelassen, noch nicht mal um ihre Notdurft zu verrichten. Nur ab und an wurde ein neuer Eimer zu ihr und dem Jungen, der in ein unruhiges Fieber gefallen war, gebracht. Zwei Mal am Tag kam einer der Piraten und schob ihr und dem Jungen einen großen Napf mit Eintopf oder Brei zu oder mal einen Krug mit brackigem Wasser. Nur der Wechsel vom Tag zu Nacht, das Läuten der Schiffsglocke, wenn wieder Wachwechsel war oder Backen und Banken angesagt war, nur diese ließen noch eine Ahnung von Zeit übrig.
    Eine Woche später und in viel südlicheren Gefilden. Die Sonne strahlte seit langem das erste Mal wieder aufs Oberdeck hinunter, doch im Unterdeck war es düster, klamm und dunkel wie eh und je.
    Der kleine Gallier, Aeddan war sein Name, hustete leise und röchelnd, jeder Atemzug wurde von einem leisen Pfeifen begleitet. Seine Augen waren fiebrig auf die Stäbe des Käfigs gerichtet. Er hatte schon seit zwei Tagen nichts mehr von dem Brei essen wollen. Seine Augen hoben sich und richteten sich mit einem verschleierten Blick auf Lucilla. „ Màthair?“ Die Holzplanken knarrten und ein Mann trat humpelnd an den Käfig heran. Er umgriff eine Holzstange und sah hinein, hielt eine kleine Öllampe vor sich. Sein Gesicht war hässlich verzerrt, Brand- und Peitschennarben hatten sein Züge zu einer monströsen Erscheinung werden lassen, seine riesige Nase ragte nach vorne, schien einem entgegen springen zu wollen. Doch seine dunklen Augen sahen Lucilla und den Jungen sanftmütig und mit Mitgefühl an. Betroffen suchte er nach dem Schlüsselbund an seinem Gürtel und griff nach einem Schlüssel, öffnete das Schloss und zog die Tür zum Käfig auf. „Mein Name ist Dardarshi. Kommt, ihr dürft jetzt raus.“ Er reichte Lucilla die Hand, um ihr und dem Jungen hinauszuhelfen.

    Ein heftiger Ruck ging durch das Handelsschiff, immer schräger neigte sich das Deck, die Fluten strudelten schneller in den Leib des Schiffes. Jedes von Lucillas geschleuderten Worten schien das Ächzen des Schiffes zu untermalen, die Enterbrücken stöhnten laut und auch das Piratenschiff legte sich ihrem Opfer folgend, der Rammsporn steckte tief in den Planken, stestfort tiefer in das Wasser hinein. Der ältliche Pirat hielt sein Gladius erhoben, weiterhin noch im Schlag gegen den Jungen begriffen, der allweil leise schluchzte und die Augen festzusammengepresst hielt, in der Hoffnung alles Schlimme mit seinen Augenliedern auszublenden. Der Pirat mit den graumelierten Haaren sah Lucilla in die Augen, seinige drückten Kälte und keine Furcht vor ihrem Fluch aus. Es schien dem Mann eher noch eine Genugtuung zu sein, mehr Bangnis bei Lucilla zu erkennen als er selber verspürte. Lucillas Weihespruch, das Opfer ihres eigenen Lebens und das des gallischen Jungen für eine grausame Rache wollte der Pirat nutzen, um das Schwert herunterfahren zu lassen, die Worte mit Blut zu beisegeln. Doch just in dem Momente griff eine Hand nach seinem Schwertarm, verdutzt sah der Pirat zur Seite und erkannte seinen Kapitän.
    „Bring beide zur Harpyia! Sperr’ sie in den Käfig! Lebend!“
    Schneidend und kalt kamen die gepressten Worte von Tullius, unverwandt durchbohrte er mit seinen Augen Lucilla wie mit kalten Dolchspitzen. Der Pirat nickte überrascht und packte Lucilla, warf sich die Römerin leicht wie ein Daunenkissen über die Schulter und klemmte sich den gallischen Jungen unter den Arm. Und schon war der Pirat auf der Enterbrücke, balancierte gewandt und gewagt über den eisgrauen Fluten des Mittelmeeres, kleine Schaumkronen bildeten sich um den Strudel, der tief in das Handelsschiff eingesogen wurde, wie Neptuns tödliche Wasserwirbel, die jedes Schiff für immer ruhelos auf den Grund sogen. Doch dann waren wieder Schiffsplanken zu sehen. Der Pirat marschierte stetig auf eine schwarze Luke zu, ignorierte die Hiebe des kleinen Jungen und sonstigen Widrigkeiten durch seine Geiseln, sein gestählter Körper war weitaus schlimmeres gewohnt.
    Die Schwärze des Schiffes umfing Lucilla und im nächsten Moment wurde sie hart auf den Boden geworfen, neben und halb auf ihr landete der kleine Junge, der einen wimmernden Laut von sich gab und flugs aufs Neue sich an Lucilla klammerte und Schutz bei der Römerin suchte, hatte er doch in wenigen Momenten alles verloren, was ihm lieb und teuer war.
    „Versenkt das Schiff! Und zündet es an!“
    Die Stimme, diese tieftönende und alles Holzknarren, Wasserrauschen übertönende Stimme, drang erneut bis nach unten zu Lucilla. Der Pirat, dessen Konturen von dem spärlichen Licht der schmalen Öffnung zum Freien beleuchtet wurde, schlug die Tür zum Holzkäfig zu, versperrte ihn mit einer dicken Kette und wandte sich um, verschwand wieder an Deck.
    Todesschreie, Angstschreie, sie waren wieder vom anderen Schiff zu hören und dann die platschenden Geräusche als ob einige über Bord gehen würden. Die Harpyia ächzte unter dem Zerren des Handelsschiffes. „Werden...wir sterben?“ flüsterte der Junge tränenerstickt, sich fest an Lucillas Taille klammernd, sein Tränennasses Gesicht an ihre Schulter gepresst.
    Hastige Schritte eilten die Treppen hinunter, geisterhafte Erscheinungen stürzten an dem kleinen Holzkäfig vorbei, der gerade Platz für Lucilla und den Jungen bot. Die Ruderbänke wurden besetzt und eine tiefe Trommel geschlagen, die Ruder tauchten ins Wasser und die Bewegung, weg von dem untergehenden Schiff, war durch das ganze Schiff zu spüren. Ein Stoß und die Harpyia schien sich vom Ballast ihrer Beute wieder freigemacht zu haben.
    „Tabat, schneller. Wir müssen aus dem Strudelbereich heraus. Antegos, Kurs Süd-Südwest und pullt verdammt noch mal schneller. Setzt das Marssegel, aber flott!“
    Dieses Timbre von dem Kapitän war unschwer zu verwechseln. Die Harpyia nahm immer mehr an Fahrt auf und entfernte sich von dem Locus Pugnae.

    Nur sehr knapp konnte Tullius der fliegenden Schüssel ausweichen, trotzdem streifte sie schmerzhaft seine Schulter, flog an ihm vorbei und polterte gegen die hölzerne Wand der Schiffskajüte. Mit einer solchen Gegenwehr hatte Tullius nicht gerechnet, nicht bei einer Frau. Und es war in der Tat eine Frau, die unter der Decke hervorgesprungen war und ihm die ersten zornigen Worte und Geschosse entgegenschleuderte. Dementsprechend verblüfft blieb Tullius stehen und sah Lucilla an. Doch dann erstarrte er. Götter des Infernos, Carna und die Furien, die Rachegeister, jedes Wort war wie ein kalter und harter Peitschenhieb für Tullius. Sofort erkannte er die immense Bedeutung dieses Fluches, war es doch keine Floskeln von einer unwissenden und hysterischen Frau gesprochen, sondern ein mächtiger Bann, eine starke Verwünschung. Etwas, was ihm mehr Angst einjagte als der Tod selber.
    Sie wirkten, die Worte hielten Tullius regungslos und gebannt, er schien sich nicht rühren zu können. Unter seinen Füßen senkte sich das Deck immer mehr zur Schräge, das erste Wasser drang in die Kabine hinein und benetzte die Sohlen seiner Schuhe. Neptun bewahre vor dem Fluch! Doch als Lucilla den Löffel wieder sinken ließ, löste sich der Bann über Tullius. Zorn, Hass und auch eine gewisse Bewunderung machten sich in ihm breit, es bewegte ihn, dass eine Frau mehr Mut zeigte als fast alle Männer, denen er bis jetzt in seinem Leben begegnet war. Seine Unterlippe bebte vor Zorn als er auf Lucilla zuschritt, finster stierte er sie an und er schien selber dem Inferno entstiegen zu sein mit all dem Blut an seinem Leib.
    Grob und um Beherrschung kämpfend packte er Lucilla am Arm, stieß sie fester gegen die Wand. Sein Säbel schwang in die Luft. Dafür würde sie sterben müssen, ihr Blut würde sich mit dem seiner zahlreichen Opfer vermischen und sie würde erst im Hades ihre Worte bereuen können. Doch dann zögerte Tullius, der Fluch, dieser vermaledeite Fluch.
    Wäre Lucilla keine Frau, sondern ein Mann, Tullius hätte nicht gezögert und sie mit auf sein Schiff genommen und angeheuert, hätte ihr Leben geschont. Aber Frauen ließ er nie am Leben, sie waren wie Kinder nur Ballast. Doch diese Frau hatte es gewagt ihn, Quintus Tullius, zu verfluchen. In seinen Augen stand der Zwiespalt geschrieben, töten oder ihr Leben schonen.
    „Ambubaia! Scortum! Das wirst Du büßen, Weibstück!“
    Doch in dem Moment ließ er seinen Säbel wieder sinken, grob riss er an Lucillas Arm und zerrte sie hinter sich her aus der Kabine heraus. Im Gang war das Wasser schon bis zu den Knöcheln gestiegen, der Bug des Handelsschiffes stand schon tief im Gewässer, sog immer mehr von den Fluten des Meeres in sich auf. Schleifend und zerrend führte Tullius Lucilla an Deck nach oben, wo die Piraten ohnedem damit beschäftigt waren, die Beute auf das Piratenschiff zu schaffen und die Passagiere mit den Sklaven der Ruderbänke hochzutreiben. Tullius stieß Lucilla zu den anderen Passagieren. Gavia schluchzte leise, eine breite Blutspur war an ihrer Wange zu sehen, ihre Haare völlig zersaust. Auch der kleine gallische Junge stand daneben und kämpfte tapfer mit seinen Tränen, zitterte am ganze Körper. „Was soll’n wir mit ihnen machen, Kapitän?“
    Tullius sah nicht zu dem älteren Piraten, der ihn angesprochen hatte, hatte seine Augen nur auf Lucilla gerichtet, durchbohrte sie mit kalten Blicken.
    „Tötet alle Schiffsgäste und lasst die Sklaven frei, wenn sie sich an Land retten können, ihr Glück!“
    Ein erschrockener Aufschrei ging durch die überlebenden Reisenden. Ungerührt gingen die Piraten auf sie zu. Der gallische Junge presste sich plötzlich an Lucillas Gewand und umschlang sie ängstlich. „Ich hab Angst!“, schluchzte der Junge. Entsetzt weiteten sich seine Augen als Gavia mit einem Gladius durchbohrt wurde und auf den Boden sank. Der großgewachsene Pirat mit dem weißmelierten Bart sah finster auf den Jungen herunter, keine Gnade, noch Mitgefühl regte sich in seinen Augen. Er hob das Gladius, um auch den Jungen zu töten.

    Mit einem lauten Krachen rammte der Sporn tief in das Schiff hinein. Holz barst, das Wasser strudelte in den Bauch des Schiffes hinein, doch noch langsam genug, damit es nicht gleich versank. Tullius hielt sich an einem Tau fest als der Ruck durch die Harpyia ging, Tullius brauchte kein Wort zu verlieren, seine Männer wussten um jeden Handgriff Bescheid. Die Enterplanken sausten herunter, die dornigen Enden bohrten sich in das Holz hinein und wieder war Tullius der Erste, der auf einer der Planken sprang. Für einen Moment stand er oben, hielt den Säbel in seiner Hand und sah mit amüsierter Genugtuung auf das bunte Treiben, die panische Flucht der Menschen herab. Sein Herz schlug höher, der Drang das Leben auf dem Deck auszulöschen stieg wie die Lava aus einem Vulkan hervor. Federleicht sprang er auf das fremde Deck, balancierte das Schaukeln der Wellen aus und schlug mit seinem Säbel dem ersten Mann, es war der Gallier und Vater des kleinen Jungen, mit dem Säbel über seinen breiten Wams, mit einem erschrockenen Schrei, der Mann hatte sich auch gegen die Piraten mutig, aber in einem törichten Verteidigungsversuch stellen wollen, sank er zu Boden. Tullius war schon an ihm vorbei, die Piraten folgten ihm auf das Handelsschiff.
    „Vorwärts! Tötet sie, tötet sie alle!“
    Tullius Stimme, sein Aufruf zum Gemetzel durchdrang das Schiff, bis tief in den Bauch hinein. Gewandt sprang Tullius auf einige Ballen hinauf. Die Piraten breiteten sich wie ein Schwarm bösartiger Insekten über das Schiff auf. Die Seeleute, die sich gegen sie wehren wollten, wurden gnadenlos neidergemetzelt.
    Ein dunkelhäutiger Mann schlich mit einer Keule unterhalb von Tullius entlang, bemerkte diesen auf den Stoffballen nicht. Tullius verfolgte dessen Weg, der auf einen Piraten zuführte. Lächelnd wartete Tullius einen Moment, dann schnellte er herunter und landete, sich abfedernd, hinter dem Schwarzen. Ehe dieser sich umdrehen konnte, stieß er seinen Säbel in den Rücken des Mannes. Blut floss langsam am Säbel entlang und tropfte auf Tullius Handrücken, die Keule fiel polternd auf die Holzplanken und dann folgte der Schwarze seiner Waffe. Schon stürmte Tullius weiter, es war jedoch ein ungleicher Kampf. Schreie mischten sich mit dem Röcheln der Sterbenden, den Hilferufen, dem Flehen um Gnade. All das blieb im Dunst des Nebels ungehört. Das Blut der Getöteten breitete sich wie ein kleiner See auf dem Deck und in den Ritzen der Planken aus, tropfte tiefer und in den Bauch des Schiffes. Ein einzelner roter Tropfen traf eine junge Decima, die sich gerade unter einer Decke versteckte. Warm und feucht zugleich war das Blut, bedrohlich und schaurig.
    Die Schreie erstarben auf dem Deck, von irgendwo in der Tiefe des Schiffes war ein leises Schluchzen zu hören, dann Schritte. Tullius stand am Eingang zu den Treppen nach unten. Er hatte genau gesehen, dass noch einige ins Schiffsinnere geflohen waren. Ein fröhliches Pfeifen entlockte er seinen gespitzten Lippen und langsam ging er die Treppe hinunter, seinen blutigen Säbel in der Hand. Gut gelaunt, der Rausch durchdrang ihn wieder, ging er den schmalen Gang entlang, eine Handvoll Männer folgten ihm. Er riss die erste Kabine auf, ein entsetzliches Geschrei erhob sich, verächtlich ließ er einen seiner Männer in die Kabine stürmen und dieser zerrte Gavia an den Haaren heraus und nach oben. Tullius ging weiter, jeder Schritt betonte das nahende Unheil. Die meisten Türen beachtete er nicht, seine Männer kümmerten sich darum. Doch eine weckte sein Interesse, sie war abgeschlossen. Tullius blieb stehen und sah sie an, ein fieses Grinsen im Gesicht geschrieben.
    Langsam wandte er sich um, mit einem Ruck trat er die Tür auf und schritt hinein in die Kabine. Sein Blick irrte durch den kleinen Raum, sah die Essensreste und dann in die Ecke. Um seine Mundwinkel zuckte es, er lachte leise und kalt. Seine Schultern zuckten, stetig tropfte das Blut von seinem Säbel auf den Holzboden. Blutspritzer waren in seinem Gesicht, seine Kleidung von dem Lebenssaft seiner Opfer getränkt und seine Augen flackerten irre.
    “Willst Du nicht herauskommen und um Gnade flehen?“

    Der nächste Tag brachte keine solche schöne Wintersonne über das sonst strahlend blaue Mittelmeer. Ein trüber Milchdunst hing über dem Meer, ein Nebel hüllte die See und alle darauf ein, die Neptuns Reich betreten hatten. Wie ein feiner Schleier legte er sich um das Handelsschiff. Auch jedes Geräusch schien die feuchte Nebeldecke verschlucken zu wollen. Immer wieder rauschten die Wellen gegen den Bug des Schiffes, hoben es sanft hoch und ließen es wieder in das Meer hineingleiten, stetig. Die Segel waren leicht gebläht und immer wieder tauchten die Ruder des Schiffes in das Wasser hinein. Niemand vermochte weiter als einige Dutzend Fuß in den Nebel hineinzuspähen, doch zügig arbeitete sich das Schiff weiter. Ein kleiner Junge, der Sohn eines gallischen Händlers, stand am Bug. In seinen Händen hielt er ein kleines knöchernes Pferd in der Hand. Seine Hosen plusterten sich bei dem Wind auf, die Wassertropfen perlten in seinen Haaren und seine Wangen waren rot vom kühlen Morgen gefärbt. Und er lachte vergnügt, jedes Mal wenn sich das Schiff hob und mit einer gleitenden Bewegung wieder zurück fiel. Munter spähte der Junge an den Horizont.
    Da, da blitzte etwas auf. „Papa! Da ist ein anderes Schiff, Papa!“ rief der Junge zurück. Sein Vater, mit seiner Seekrankheit kämpfend und am Speiloch stehend, ignorierte den Jungen. Auch die anderen Seeleute nahmen den kleinen Jungen nicht für voll, ein Fehler, wie sich noch herausstellen sollte.
    Denn das andere Schiff war nicht nur eine Illusion des Nebels, ein kleiner Kinderstreich, es war die Harpyia, ein Piratenschiff. Auf der Triere stand auch Quintus Tullius ganz vorne, ein diabolisches Grinsen zeigte sich auf seinem Gesicht. Das Schiff verfolgten sie schon seit gestern Nachmittag, die Harpyia umschlich ihre Beute wie eine Löwin die Gnuherde.
    Und der Nebel kam Tullius gerade recht, langsam und fast völlig lautlos ruderten die Piraten immer näher. Einige Männer standen hinter ihm bereit, die Messer und Säbel gezückt, die Gladii bereit und voll des Tatendranges, der Lust zu Morden. In wenigen Tagen waren die Saturnalien und die Meisten sehnten sich nach einer zünftigen Feier.
    „Langsam, ruhig, Männer!“
    Tullius flüsterte die Worte, doch die Männer nahmen es auf und es bereitete sich wie stille Post über das Schiff aus. Das Schiff näherte sich noch langsamer, die Ruder versanken fast zärtlich streichelnd in den Wellen. Tullius hob seine rechte Hand, die Ballistra auf dem Heck sollte sich bereit machen. Tullius war im höchsten Maße stolz auf jene Waffe, die sie erst vor einigen Tagen auf dem Heck festgeschraubt hatten. Er wusste zwar im Moment noch nicht, ob er jene auch hier einsetzen wollte, der Rückstoß war doch immer enorm, aber es reizte ihn bis zu seinen Fingerspitzen.
    Da, wieder hatte er das Schiff, die Beute kurz gesichtet. Gierig fuhr er sich mit der Zunge über seine salzigen Lippen. Doch in dem Moment drehte sich einer der Seeleute des Handelsschiffes um und erblickte für einen ganz vagen Augenblick das Piratenschiff. „A...a...ala...alarm! Alarm!“
    Tullius fluchte leise.
    “Auf geht’s! Rammt es! Los, Männer!“
    Die Piraten tauchten wie eine geisterhafte Erscheinung aus dem Nebel auf. Die Ruder tauchten tief ins Wasser und der Rammsporn sauste schnell auf die Seite des Schiffes zu.

    Die Ziege kletterte wendig mit ihren kleinen Hufen den felsigen Abhang hinauf, zwischen denen allerlei Gestrüpp wuchs, ihr schwarzweiß geschecktes Fell glänzte im Sonnenlicht, die kleinen Hörnchen wippten bei jedem Sprung unermüdlich auf und ab. Auf einem Felsvorsprung blieb sie stehen und knabberte an einem dornigen Busch. In dem Moment wurde sie an der Seite von einem Speer getroffen, ein letztes Meckern und sie brach zusammen. „Guter Wurf!“
    “Glück!“
    „Du bist ja nur neidisch!“
    „Ich? Neidisch? Pah, dass ich nicht lache!“
    Tullius stand neben Darshi, der grinsend beobachtete wie ein junger Mann eifrig den schrägen Abhang nach oben zu der toten Ziege kletterte. Nachdenklich betrachtete Tullius den jungen Mann als er die Ziege an den Hörnern packte und hinter sich herschleifte. Schließlich schweifte er mit seinem Blick ab und blieb dann an einem hohen violettrotblühenden Oleanderbusch hängen. Die Zweige bewegten sich sanft in der Brise, die vom Meer herkam und die Blüten hatten sich zur Sonne ausgerichtet. Fahlgelbe Falter tummelten sich um den hohen Strauch. „Hübsch, sehr hübsch sogar!“
    „Ja, schon!“
    „Ha, ich wusste es doch. Ich hab mich schon immer gewundert, dass Du Dich noch nie in eine Frau verliebt hast!“ Darshis Stimme troff vor Triumph und Schalk in der Stimme. Endlich schien er das seltsame Verhalten seines Freundes ergründet zu haben.
    Tullius drehte sich zu Darshi um und seine Augenbrauen wanderten nach oben, fast schon unter seinen Haaransatz. Manchmal und eigentlich nicht selten bargen die Worte des Parthers immer die Unverständlichkeiten und mysteriösen Geheimnisse seiner Herkunft in sich. War das wieder eine Weisheit aus seinem Land, eine Erkenntnis über die menschliche Natur, weil sie sich an der Schönheit der Welt erfreuen kann? Doch stellte sich eine nicht unbedeutende Frage nach den Worten seines Amicus. Was hatte ein Oleanderbusch mit den Frauen in seinem Leben zu tun?
    „Wovon redest Du?“
    Vergnügt lehnte sich Darshi gegen einen Felsen, mit seinem narbigverformten und markanten Kinn deutete er auf den jungen Mann, der, mit seiner schlaffen Beute auf der Schulter, schon fast den halben Abhang herunter geklommen war. „Na, der! Ich hab doch Deinen Blick gesehen. Du bist doch schar...“
    „Hör auf mit dem Unsinn, Darshi! Ich bin doch kein solcher Lüstling wie Du, Parther. Und lass es, mich zu ergründen zu wollen wie ein Weib es tut.“ Somit war das geklärt, oder etwa nicht?
    Ein heiseres, gackerndes Lachen drang durch die Räumlichkeiten. Rauch vom Ofen stieg auf, es roch nach Wein, frisch gebackenem Brot, gebratenem Ziegenfleisch. Das Zicklein von der mittaglichen Jagd lag inzwischen säuberlich zerschnitten auf einem großen, bemalten Tonteller. Dampf stieg auf und vermischte sich mit dem Rauch des Feuers in der Mitte des großen Hauses. Piraten, Männer des Dorfes, die Frauen und Kinder tummelten sich in dem Innenhof, aßen und unterhielten sich angeregt. Tullius lief festen Schrittes durch den Hof, die junge Ägypterin saß direkt hinter Darshi und hatte ihre Finger an seiner Schulter, schon fast in der vertrauten Geste einer Liebhaberin. Unter Tullius strengen Augen zuckte sie verängstigt zusammen und kauerte sich schutzsuchend hinter Darshi.
    „Wir brechen morgen auf, Decius!“
    Decius, der Dorfälteste, sah Tullius nicht sonderlich überrascht an und nickte nur.
    Der nächste Tag, Piraten trennten sich mit viel Abschiedsgetue von den Frauen, ihren Kindern oder Freunden im Dorf. Die Beiboote brachten sie wieder an Bord zurück. Der Anker wurde gelichtet und da eine Flaute herrschte, stießen die vielen Ruder der Triere in das türkisblaue Wasser hinein. Die Harpyia ließ die Insel hinter sich zurück, bereit wieder ihre Fangzähne in ein nächstes Opfer zu schlagen.


    Die Gischt spritzte an den Felsen in einer hohen Fontäne hoch, silberblaue glitzernde Funken tanzten durch die Luft als der feine Niederschlag herunterfiel. Tullius stand am Rande der Steine, die aus dem Wasser mitten in der Bucht aufragten. Einige kleine Meerkrebse tummelten sich zwischen den Felsen und suchten tiefer im Wasser Schutz als sie die Erschütterungen von Tullius Stiefeln auf den Felsen spürten. Tullius dunkelblaue Tunika wurde von der Wasserfontäne durchträngt, es störte ihn nicht. Den Frieden dieser Bucht genießend verharrte Tullius einige Minuten. Erst als er bis auf die Haut mit Wasser durchtränkt war, wandte er sich wieder um und schritt die Felsenbrücke zum Strand zurück. Celvina wartete dort, geduldig, ohne ihn zu stören und Tullius dabei unverwandt beobachtend. Vom letzten Stein sprang er auf den goldenen Sand, einige Muscheln zerbrachen unter seinen Stiefeln. Mit einem Seufzen auf den Lippen setzte er sich neben Celvina, die ihn weiterhin ruhig ansah. Der goldgelbe Sand blieb an seiner Kleidung haften, er stützte sich auf seine beiden Hände ab und sah auf das blaue Meer. Es war Celvina, die schließlich das Schweigen brach. „Ich habe Dich ver...“ Weiter kam sie nicht. Um mögliche sentimentale Gespräche zu unterbinden beugte sich Tullius vor, umschlang sie an der Hüfte und küsste sie fest.
    Celvina, die verstand, was in Tullius vorging, ließ es geschehen, erwiderte den Kuss und ließ sich auf den Sand herunter pressen. Tullius Hände wanderten an ihrer Seite entlang, tiefer und unter ihre Tunika, tastete mit seinen rauen, schwielligen Händen an ihren zarten Innenschenkeln entlang und zog dabei das Gewand immer höher, über ihre Brüste und streifte es ihr schließlich ab. Mit seinem schweren Körper wälzte er sich über sie, zog sich sein Obergewand vom Körper herunter, was nass auf den Sand klatschte und öffnete die Schnürung seiner barbarischen Hose. Tullius war keiner, der sich mit langem Vorgeplänkel aufhielt. Bald erfüllte sein Keuchen das kleine Stück Strand auf dem sie lagen. Er drückte ihre Hände fest in den Sand und spürte fast denselben Rausch wie bei einem Gefecht. Aber nur fast, denn die Macht zu Töten war eine gänzlich Andere als die Macht eine Frau zu besitzen. Und mehr war es für Tullius nicht, Macht und Besitz, das war, was für ihn zählte und wichtig war, Gefühlsdusseleien gab er sich nicht hin, auch das war ein Luxus für die Schwachen und die Frauen.
    Schwer atmend, erschöpft und mit einem leichten Nachschaudern lag Tullius auf dem Rücken, den Sand unter seiner bloßen Haut spürend und in den blauen Himmel schauend. Zärtlichkeiten, Küsse oder sanfte Worte, das erwartete Celvina auch schon nicht mehr, hoffte sie vielleicht noch darauf, aber sie kannte Tullius seit gut drei Jahren und wusste um seine Natur allzu gut. Beide lagen einige Minuten schweigend in der lauen Wintersonne, ließen den Schweiß und das Meerwasser auf ihrer Haut trocknen. „Wie lange bleibt ihr dieses Mal?“
    „Ein paar Tage, vielleicht etwas länger. Aber nicht allzu lange. Wir müssen noch mal zuschlagen vor den Saturnalien. Die Winterstürme sind danach zu unberechenbar!“
    Tullius sah sie nicht an als er die Worte sprach. „Hast Du über meine letzten Worte nachgedacht?“
    „Nein!“
    Tullius richtete sich auf und griff nach seiner nassen Tunika. Mit einigen Handgriffen schnürte er seine Hose wieder zu und richtete sich auf. Celvina sah ihn schweigend an, doch in ihren Augen war kein Vorwurf zu sehen. „Kommst Du heute Abend?“
    „Vielleicht!“
    Tullius zuckte mit der Schulter und marschierte davon. Seine Schritte trugen ihn fort von der Frau und über einen Klippenkamm tiefer ins Land. Er blieb nie lange nach der körperlichen Vereinigung an der Seite einer Frau, hatte keine Lust mit einer längere Zeit zu sprechen, lief es doch zwangsläufig auf Zukunftspläne, Gefühle oder seinem Innenleben hinaus. Das ging keine Frau etwas an. Der dichte struppige Cypressenwald verschlang Tullius.

    Der Wind strich durch seine kurzen dunklen Haare als er die Treppen zum Deck erklomm. Seine blutigen Kleider hatte Tullius schon vor vielen, vielen Stunden gewechselt. Tullius war in seinen Kleidungsgewohnheiten durchaus exzentrisch. So trug er eine barbarische, schwarze lederne Hose, darüber eine recht kurze schwarzblaue römische Tunika, die er mit einem Silbernieten verzierten Gürtel um der Taille gerafft hielt und dazu die festen Soldatenstiefel, Caligae. Am Bug war Tabat dabei die Neuen in die Kunst der Segelkunst einzuweisen. Jeder Pirat musste an Bord jeden Handgriff beherrschen, darauf legte Tullius großen Wert. Am Heck angekommen ließ Tullius seinen Blick über den blauen Horizont schweifen. Oft hatte es ihn gereizt weiter in den Westen zu Segeln, die Säulen des Herkules hinter sich zu lassen und, den Erzählungen seines Amici folgend, nach den sagenumwobenen Glücklichen Inseln zu suchen, wo das Gold und die schönen Frauen im Überfluss vorhanden sein sollen. Tullius schloss die Augen, ließ sich mit dem Wind in die Ferne tragen, wo unentdeckte Reiche auf ihn warteten. Doch der Moment der Schwäche verging schnell als er ein Fluchen hinter sich vernahm. Tullius spähte über die Heckabgrenzung aufs Deck hinunter.
    Darshi saß dort auf einer Rolle mit Tauen, in der Hand eine kleine Wachstafel und zu seinen Füßen kauerte die junge Ägypterin. Tullius Augenbrauen zogen sich verärgert zusammen. Darshi, der seinen Blick zu spüren schien, sah auf und dann zu der Ägypterin. Auf einige Worte von Darshi stand sie schnell auf, warf Tullius noch einen völlig verängstigten Blick zu und verschwand hastig durch eine kleine Luke. Tullius wandte sich ab und wieder dem Meer zu.
    Das Schiff senkte und hob sich träge unter den Wellen, am Himmel schwebte eine einzelne weiße Möwe, deren spitze Schreie die Verheißung auf Land sein konnte. Der Ärger über die Frau an Deck verging wieder. Er sah es Darshi nicht nach, vieles verzieh er dem Parther. Denn er war sein ältester Weggefährte an Bord. Tullius war natürlich nicht schon immer Pirat gewesen, eigentlich erst seit einigen Jahren. Er hatte es sogar mit einer ehrlichen Arbeit versucht, war aus Rom weggegangen, um bei der Classis sein Glück zu versuchen, Karriere beim Militär machen, Ansehen gewinnen und so aufsteigen, sich einen Namen machen. Er war gescheitert, gescheitert an einem Mann- Cluvius Calvaster. Immer wenn er an diesen Mann dachte, dann stieg unsäglicher Hass in Tullius auf, aber auch eine tiefe Genugtuung.
    „Land! Land in Sicht! Sardinien!“ Eine sardinische Möwe also.
    Auch Tullius scharfe Augen, wenngleich nicht so scharf wie die von Phestos oben im Mast, sahen die feine Linie und leichten Erhebungen der gebirgigen Insel. Sardinien, ein beliebtes Versteck für Tullius, waren doch so viele prominente Römer dort, dass die Classis dort fast nie nach Piraten suchte, wie bei anderen Inseln.
    Erst viele Stunden später kam die Insel immer näher. Immer klarer wurden die Berge, die scharfkantigen Klippen und das sanfte türkisblaue Wasser um die feinen Sandstrände der Insel. Die Triere umrundete langsam die Insel und fuhr dann in eine Bucht hinein. Der Anker rasselte laut als er durch das Loch in der Bordwand herunter fiel und platschend im Wasser verschwand.
    „Tabat, Du behältst die Neuen im Augen. Ansonsten, macht uns keinen Ärger, Männer, und viel Vergnügen.“
    Beiboote wurden herunter gelassen und grölende, gutgelaunte Piraten ruderten zu dem großen Fischerdorf, was in die Bucht gebaut war. Auch Tullius stand zwischen ihnen und sah mit verschränkten Armen zu den weißgekalkten Häusern, den kleinen Fischerbooten und dem Tempel des Neptuns. Dem Dorf ging es gut, aber auch nur weil die Piraten seit Jahren immer wieder zu ihnen kamen und viel Beute bei ihnen verfeierten. Jeder Dorfbewohner war verschwiegen, wussten sie doch wie schwer das Leben noch ohne die Piraten gewesen war. Auch den Tempel verdankten sie der Harpyia, huldigten doch sowohl die Piraten als auch die Dorfbewohner dem Gott der Meere.
    Der weiße Sand knirschte als die Boote gegen das Land stießen. Mit einem Sprung landete Tullius im seichten Wasser, was an seiner Hose hochspritzte. Watend trat er durch die sanften Wellen auf den Sandstrand, wo schon viele Dorfbewohner und die Dorfältesten auf ihn warteten. Mit freundlichen und lachend gesprochenen Worten wurde Tullius begrüßt, ganz wie ein römischer Kommandant oder Ehrenmann. „Salve, Tullius. Es ist schön, Dich so bald wieder zu sehen. Gab es gute Beute?“ fragte einer der Anführer des Dorfes.
    „In der Tat! Eine fette Beute. Aber wir müssen ein paar Tage bei euch bleiben. Ich hoffe, es stört euch gerade nicht, Decius?“
    Decius schüttelte lächelnd den Kopf. „Aber nicht doch. Ihr alle seid immer bei uns willkommen. Wollt ihr nicht vielleicht noch bis zu den Saturnalien bleiben?“ Tullius zuckte mit der Schulter.
    “Wir werden sehen!“
    Die Piraten, Dorfbewohner und Frauen des Dorfes begrüßten sich wie Familienmitglieder, Freunde und alte Bekannte und das waren sie auch oftmals. Es gab einige Kinder der Piraten in diesem Dorf und so manch einer der alten Veteranen der Harpyia hatte sich hier nieder gelassen. Tullius verwehrte es keinem seiner Piraten, wenn sie schon mindestens ein Jahr auf seinem Schiff gedient hatten. „Quintus!“ Die Stimme drang durch die Menschen als Tullius sich gerade umdrehte, um einen steinigen Felsen zu erklimmen mit der Absicht seine kleine Bucht aufzusuchen. Er drehte sich um, eine brünette Frau im mittleren Alter trat auf ihn zu.
    „Celvina!“
    „Zur Bucht?“ fragte sie und sah mit ihren bernsteinfarbenen Augen zu Tullius hoch. Tullius nickte. „Darf ich Dich begleiten?“ Wieder nickte er und drehte sich um, bestieg nun doch den Felsen, auf dem ein schmaler Weg vom Dorf wegführte...

    Das große und breite Heckfenster der Kapitänskajüte hob und senkte sich, die Wellen spiegelten sich auf der silbernen Fläche wieder und offenbarten schließlich die Gesichtszüge von Quintus Tullius. Ausdruckslos sah dieser in den großen Spiegel, der die eine Wand seiner Kajüte zierte. Es war ein prächtiger, mit Gold gesäumter Spiegel, in dessen Zierschmuck sich eine barbusige Venus räkelte. Auch der Rest der Kabine spiegelte die üppige Pracht seiner reichhaltigen Beute wieder, ein breites Federbett mit feinem koischen und linnen Tüchern bedeckt, ein edler Kirschtisch in der Mitte mit schön geschnitzten, geschwungenen Beinen und Goldintarsien, silbergoldene Öllampen mit Rubinen und Smaragden versehen, massive silberne Teller auf dem polierten Tisch und feines ägyptisches Glas. Und überall standen Kisten voll mit Tüchern, Schmuck und Edelsteinen. Alles, was er in den letzten Jahren erbeutet hatte. Mit dem Gold, was er sich erkämpft hatte, wofür er gemordet und geplündert hatte, hätte man inzwischen eine kleine Legion für einen Monat finanzieren können. Doch immer noch trieb Tullius die innere Unruhe, das Streben nach etwas, was er sich schwer erklären konnte, denn das Piratentum an den Nagel zu hängen kam ihm nicht in den Sinn.
    Seine Hand griff nach einem Stück seidenen Stoffes und tauchte diese in eine feine tönerne Schüssel, die er vor einigen Wochen einem syrischen Schiff abgenommen hatte. Er musterte sein Spiegelbild und wischte sich langsam den Blutstropfen von seiner Wange. Erst dann wusch er seine blutigen Hände und färbte das Wasser in einen blassrosanen Ton. Die Tür der Kabine öffnete sich leise und Schritte kamen hinein. Tullius wandte seinen Blick nicht in die Richtung, er wusste allzu gut, wer es wagte ihn nach einem Gefecht zu stören.
    „Nicht jetzt, Darshi!“
    Der kleine Parther, Dardarshi, schloss ungerührt hinter sich die Tür und ging langsam zu einem der zwei Klinen, die neben dem Kirschholztisch standen. Jeder Schritt war vorsichtig gesetzt, dann seitdem ihm auf der Ruderbank vor fünf Jahren die Beine gebrochen worden waren, konnte er schwer laufen. „Das Mädchen kann uns Geld bringen! Hab doch etwas Mitleid mir ihr. Du weißt, was für Bestien die Männer sind!“
    Der rotverfärbte Seidenstoff landete in der Schüssel. Tullius drehte sich um und sah in das grotesk verzerrte Gesicht des Parthers, dessen riesige Nase noch das Hübscheste in seinem Gesicht war. Die Peitschen- und Brandnarben verzerrten das Gesicht zu einer unmenschlichen Fratze, doch die Augen des Parther waren tiefgründig und dunkel wie die Nacht.
    „Es hebt die Moral, wenn sie ab und an eine Frau haben. Außerdem weißt Du doch, Gnade ist ein Luxus...“ „...für die Schwachen. Ja, ich weiß, Quintus. Doch du tust unrecht. Es ist eine Sache, zu töten, wenn wir es tun müssen. Aber das Mädchen muss nicht sterben, es ist weder eine Bedrohung, noch hat sie sich etwas zu Schulden kommen lassen.“ Tullius sah ihn ärgerlich an und ging zum Tisch, wo ein Weinkelch bereit stand. Er goss sich von dem Falerner, auch erbeutet natürlich, in ein blaugrünschimmerndes Glas hinein.
    „Ich schulde Dir keine Rechenschaft, Amicus!“
    Der laute Schrei des Mädchens, was durch das Schiff drang, ließ Darshi zusammen zucken. Tullius beobachtete ihn genau dabei, wusste er doch um das weiche Herz das Parthers. Doch mehr als Freundschaft verband die Beiden und somit hatte Darshi eine Narrenfreiheit, die Andere auf dem Schiff bei Weitem nicht hatten. „Du sagtest einst, ich soll Dein Gewissen sein, Quintus! Das bin ich jetzt. Halte die Männer zurück und lass das Mädchen laufen, bitte!“
    Tullius Mundwinkel zuckte amüsiert. Er trank einen tiefen Schluck Falerner, er verdünnte nie seinen Wein, und seufzte kehlig. Schließlich lachte er.
    „Ich muss betrunken gewesen sein. Ein Römer aus der Subura kann sich kein Gewissen leisten. Auch nicht in der Gestalt eines gelehrsamen und rührseligen Parther, Darshi! Aber gut, geh zu den Männern. Sie sollen es für heute gut sein lassen. Ich werde überlegen, ob ich meinem ‚Gewissen’ nachgeben soll! Aber nur Dir zu Liebe, Amicus!“
    Darshi stand breit lächelnd auf. „Ich danke Dir! Ach, wie sieht es mit den Neuen aus? Tabat? Und gibt es heute eine Cena bei Dir?“ Tullius stellte den Weinbecher zur Seite und nickte bei beiden Fragen andeutungsweise. Darshi wandte sich um und verharrte nur kurz als er Tullius weitere Worte hörte.
    „Lass Kurs auf Sardinien setzen. Wir müssen uns für einige Tage verkriechen.“
    Die Tür öffnete und schloss sich wieder. Kurze Zeit später hörten die Schreie im Schiffsbauch auf. Tullius beachtete das nicht mehr. Er sah aus dem Heckfenster hinaus und auf das offene Meer, Quell seiner Freiheit. Und trotzdem war er unzufrieden. Warum nur?

    Ein zerschnittenes Segel flatterte im Wind, Blut rann an dem weißen und gestärkten Segeltuch herunter und bildete langgezogene Fäden. Ein großer, dunkler Schatten fiel gegen die weiße Oberfläche, ein Pirat mit einigen dicken Bündeln Stoff lief zufrieden grinsend über die Enterbrücke auf die Harpyia zurück. Die Piraten plünderten das Schiff aus, trugen Kisten, Warenkörbe, Stoffballen und Gewürzsäcke hinüber auf das Piratenschiff. Noch mal erklangen aus dem Bauch des Schiffes Todesschreie hervor als einige der dortigen Rudersklaven starben. Indessen war das Rasseln von Ketten zu hören, die Sklaven aus dem Bauche der Kleopatra traten auf Deck und blinzelten als die Sonne ihnen direkt ins Gesicht strahlte. Brutal wurden sie von einigen libyschen Piraten weiter an den Bug getrieben. Tullius, der sich am Plündern nicht beteiligt hatte, trat mit hocherhobenem Haupt und wie ein römischer Kommandant vor die Sklaven, die ihn verängstigt, apathisch oder stoisch ansahen.
    „Pack, Abschaum oder Vieh, das seid ihr für diejenigen, die das Schiff einst beherrscht haben. Ebendiese, die jetzt tot um euch herum liegen. Vielleicht ist der heutige Tag für euch der Segen der Götter oder auch ein Fluch. Es wird in eurer Hand liegen. Denn zehn Männern von euch werde ich heute und hier die Freiheit gewähren, ihr dürft auf meinem Schiff mitsegeln und euren ehemaligen Herren und Unterdrückern beweisen, zu welchen Bluttaten ihr fähig seid. Aber eines verlange ich von jedem von Euch, Loyalität. Niemand stellt meine Befehle in Frage oder mein Handeln. Nichtsdestotrotz verspreche ich euch viel, ihr könnt euch rächen und reichlich Beute machen. Eines Tages werdet ihr mit der Beute wie Krösus an Land glücklich leben. Also, wer will leben und unter mir segeln?“
    Die Sklaven sahen sich unsicher an, doch die Entscheidung war schnell getroffen. „Ich will!“ rief der Erste, der Bann war gebrochen. „Nein, ich...“ „Nimm mich!“ brüllten sie durcheinander. Tullius Schultern zuckten unter einem stummen Lachen. Es war jedes Mal dasselbe. Mit prüfendem Blick schritt Tullius die Reihe der überlebenden Rudersklaven entlang. Immer wieder deutete er auf den einen oder anderen Mann.
    “Du! Und Du! Du bist doch ein Germane? Dann Du auch! Und Du, Du und der auch, Du und Du und Du!“
    Tullius blieb vor einem eher schlankeren Mann stehen, bis dahin hatte er robuste, einigermaßen gesunde und muskulöse Männer heraus gesucht. Doch der trotzige Blick in den Augen des Mannes ließ Tullius verharren. Er sah ihn einen Moment nachdenklich an.
    „Grieche?“
    Der Mann hob überrascht seinen Blick. „Ja!“ Tullius sah ihn fest an, dann nickte er und ging weiter.
    „Der Grieche auch. Gebt dem Rest die Schlüssel. Wenn sie sich selber befreien können, war es ihr Glückstag.“
    Die zehn Auserwählten sprangen über die Enterbrücken auf das Piratenschiff. Alle samt schienen erleichtert zu sein, gerettet worden zu sein. Tullius sah sich auf dem Schiff um. Ein heller Schrei ertönte und ein derbes Fluchen, ein Pirat kam nach oben, auf seinen Schultern trug er einen menschlichen Körper, eine Frau. Tullius warf dieser Beute nur einen kurzen Blick zu ehe er sich an einen nubischen Piraten wandte, Tabat.
    „Wenn der Letzte von Bord ist, zünde das Schiff an!“
    Wie eine lodernde Fackel tanzten die Feuerzungen an dem Segel hoch. Schon längst hatte sich die Harpyia von der Kleopatra losgemacht, die Piraten ruderten von der sinkenden Flammenpracht weg. Eine schwarze Rauchsäule stieg gen Himmel. Hektisch versuchten die zurückgebliebenen Sklaven sich auf der Kleopatra zu befreien, einigen gelang es und sie sprangen hastig ins Wasser hinein. „Kapitän, willste Du die Frau haben?“
    Tullius, der mit einem schiefen Grinsen den Untergang seiner geplünderten Beute betrachtete, sah zu dem älteren Piraten, der ein hübsches junges Mädchen zu ihm führte. Sie trug eine feine Tunika und hatte ägyptische Gesichtszüge. „Bitte, mein Vater wird Dich reich belohnen. Er lebt in Alexandria, bitte, Herr!“ Flehend sah sie zu Tullius und in ihren Augen standen Tränen. Mitleidlos erwiderte Tullius den Blick. Gnade ist ein Luxus für Schwache!
    „Nein, vergnügt euch mit ihr. Tötet sie, wenn ihr fertig seid!“
    Die schönen Mandelaugen weiteten sich starr. Als der Pirat sie um die Taille packte, löste sich ein entsetzter Schrei. Tullius wandte sich ab. Ihr Kreischen verfolgte ihn noch bis er zu seinem privaten Bereich am Heck kam und in seine weitläufige Kajüte trat...