Er wusste es nicht, konnte es gar nicht wissen, aber mit seinen Gedanken hatte er bereits im Vorfeld die Überraschung vorweg genommen, welche sich Epicharis ausgedacht hatte. Doch auch Epicharis konnte dies nicht erahnen, und so verhielt sie sich nicht so, wie sie es in diesem Moment vielleicht getan hätte, hätte sie nur gewusst, dass Aristides etwas ahnte.
Er schien gefangen zu sein von dem Vogelflug, folgte den Bahnen des Tieres mit dem Blick, bis es nurmehr ein winziger Punkt am Horizont vor der nun immer rascher untergehenden Sonne war. Über seine Worte konnte sie nur schmunzeln, denn er stellte den Dienst als monoton und langweilig dar, und gar als unnötig. Sie hegte jedoch die gleichen Gedanken wie er, und im Gegensatz zu ihm schwieg sie nicht, sondern sprach sie aus. "Es mag dir müßig vorkommen, dieses Lager zu bewachen, und doch tust du es. Nicht etwa aus Übungszwecken, sondern weil du ein Mann bist, der seinem Kaiser und seinen Männern treu ist, Marcus. In den dunklen Nächten in Parthien, wenn man den Feind von allen Seiten vermuten kann, wirst du dir wünschen, es sei nur ein Kauz, der vorbeifliegt und sich nicht weiter um die Palisaden kümmert", sagte sie, und in ihrer Stimme schwangen doch leichte Besorgnis und Melancholie mit. Die untergehende Sonne tauchte alles in ein gleißendes Licht, golden wie die Stickereien auf ihrer Palla, rot wie die Tunika, welche Aristides trug, und hell wie ein Stern in dunkler Nacht. Epicharis wusste schon jetzt, dass sie diesen Abend nicht vergessen würde.
Aristides' Worte klangen sehnsüchtig, als er von der Heimat sprach. Und was er sagte, konnte Epicharis nur zu gut verstehen. Vermutlich mochte sie Hispania deswegen so sehr, weil sie dort stets glücklich gewesen war als Kind. So wie es ihrem Verlobten mit diesem fruchtbaren Land ging, so erging es Epicharis mit Africa, denn im Gegensatz zu ihm war sie niemals dort gewesen. Doch irgendwann würde sie nach Alexandria reisen und alles bestaunen. Den großen Leuchtturm vor dem Hafen, das Museion, die verschiedenen Tempel längst verstaubter, altägyptischer Götter, die Menschen, das Land... Ihre Gedanken wurden unterbrochen von einem braungelockten Kopf, der kurz he rsah und dann auch schon wieder verschwand. Epicharis schmunzelte peinlich berührt, denn was mochte der Soldat schon denken? Ein ranghoher Soldat und eine junge Dame allein auf einem Wachtturm, den Sonnenuntergang im Rücken...da blieb nicht viel Raum für Spekulationen, die Situation erschien glasklar.
Eine Weile hatte sie den Blick auf den Boden gerichtet, sich der Tatsache bewusst, dass Aristides sie unverwandt musterte. Eine Frau spürte solche Blicke schließlich stets. Und als sie zögerlich den Blick hob, ihn an Aristides' Gestalt empor gleiten ließ, schließlich an seinem Gesicht anlangte, da entdeckte sie, dass es nicht nur irgendein Blick war, sondern ein besonderre. Und von einer auf die andere Sekunde war Epicharis befangen und hatte diesen erschreckend großen Kloß im Hals. Sie gab es ja zu, sie war angetan von diesem Mann, sie war nicht schockiert, dass sie ausgerechnet ihn heiraten sollte, und sie sah auch nicht der Tatsache freudig entgegen, dass er im Krieg vielleicht fiel und ihr somit die Heirat erspart blieb. Wie viele andere an ihrer Stelle mochten so denken? Sie sah ihm entgegen, das Herz bis zum Hals klopfend, folgte dem Weg seiner Hand mit dem Blick, bis diese ihre Wange erreicht hatte. Für eine Winzigkeit nur schloss sie die Augen, und als sie sie wieder aufschlug, sah sie wieder Aristides' Gesicht. Die Szene erinnerte sie an jene Situation im Hortus, doch anders als damals nahm er seine Hand nicht fort und brachte damit Epicharis Handinnenflächen zum Schwitzen. Das geschah bei ihr immer dann, wenn sie sehr aufgeregt war. Ihr Atem ging etwas flacher, und auf seine Worte hinweg entgegnete sie nichts, da sie befürchtete, der Frosch in ihrem Hals mochte sie die Antwort quaken lassen. Sie nickte nur. Sie nickte und wartete, was er nun vor hatte.