Kurz fragte sie sich noch, wie Medeias Mann die wahrhaftig leise gewisperten Worte hatte vernehmen können, welche sie ihrer Sklavin zugeflüstert hatte, doch da war Aristides auch schon heran und alles andere erschien ihr nun unwichtig. Und - na sowas - täuschte sie sich oder errötete er wahrhaftig? Epicharis sah fasziniert, wie sich ein leicht rötlicher Schimmer auf Aristides' Gesicht ausbreitete, die Wangen überzog und auch vor den Ohren nicht Halt machte. Dass Männer in Verlegenheit gerieten, war ihr doch tatsächlich neu. Früher hatte sie stets alle Männer mit ihrem Vater verglichen, und da dieser nun einmal die Fassung in Person war und sie bisher niemanden des anderen Geschlechts zum Erröten gebracht hatte, sah sie nun ganz aufmerksam hin. Am lustigsten fand sie Aristides' Ohren, welche bald in einem wirklich tiefen Rot zu glühen schienen.
Epicharis' Mundwinkel umspielte ein sanftes Lächeln ob der ehrlichen Freude, die er offen zur Schau trug. Zwar verstand sie sein Murmeln nicht und hob fragend eine Braue, doch die sich anschließenden Worte waren klar und deutlich. Die Claudierin ließ sich von ihrem Verlobten ein wenig weiter weg führen, doch nur einige Schritte, dann blieb er wieder stehen. Sie hoffte, dass Kassandra ihr folgte, denn sie würde sie und ihren gehüteten Lederbeutel wohl recht bald brauchen, denn Aristides hatte gewiss nicht ewig Zeit. "Beinahe hatte ich befürchtet, wir würden es nicht rechtzeitig schaffen. Ich hätte mich sehr gegrämt, wenn wir den Kai nur mehr verlassen vorgefunden hätten", gestand sie leise und hob den Blick, um Aristides anzusehen. Dieser strich, scheinbar gedankenverloren, über den dunkelblauen Stoff ihrer Palla. Was hätte Epicharis dafür gegen, nun seine Gedanken lesen zu können! Kaum war dieser gedanke zu Ende gedacht, trug Aristides eine unerwartete Bitte vor. Sie wollte ihn schon leicht spöttelnd fragen, ob ihm der Wind so wenig behagte, der hier unten am Meer doch etwas kräftiger war und gewiss auf See noch mehr zunehmen würde, um alles mit der leicht klebrigen, salzigen Schicht Neptuns zu überziehen, da wich ihr verschmitzter Ausdruck einem überraschten, denn Aristides legte ihr die Begründung für seinen Wunsch dar. Zwei oder drei Sekunden lang stand Epicharis die schiere Verwunderung ins Gesicht geschrieben, dann breitete sich allmählich das gleiche warme Gefühl aus, welches sie schon auf dem Turm gespürt hatte, und Epicharis fühlte sich leicht befanden und seltsam schwach. Aristides' Wunsch hatte ihr verdeutlicht, dass es für ihn nicht nur eine Zweckehe war, sondern er sie vermissen würde, und das Wissen darum raubte ihr den Atem und ließ den Abschied, den sie bisher so weit von sich schieben konnte, plötzlich in sehr greifbare Nähe rücken.
Sie senkte den Kopf, ihr Blick fiel an einem muschelverkrusteten Pfeiler hinab ins doch schon tiefere Wasser. Ein Schwarm kleiner Fische zog seine Kreise und verschwand bald unter dem Kai. Irgendwo hinter sich hörte Epicharis Medeia schluchzen. Und als sie den Blick wieder hob, schimmerten die Augen etwas. Noch konnte sie unterdrücken, was in ihr vorging, doch so stark sie auch sein mochte, die Aussicht, jemanden für Jahre zu verlieren, für den man seine Gefühle eben erst entdeckt hatte, zwang über kurz oder lang jeden in die Knie. Sich fangend, sog Epicharis die salzige Luft ein und zog anschließend ihre Palla von den Schultern, gab damit helle Haut frei, die als Schönheitsmerkmal unter den Frauen Roms galt. "Marcus..." murmelte sie zögernd und leicht hilflos in Ermangelung geeigneter Worte. Er sprach bereits weiter und vom Schreiben. Epicharis nickte tapfer, fragte sich einen Herzschlag später aber, was er wohl sagen wollte. Der Anflug eines Schmunzelns zeigte sich bei ihr, als er erneut errötete. "Ich weiß, dass du nicht viel Zeit haben wirst, und daher freue ich mich umso mehr, dass du mir trotzdem schreiben möchtest", sagte sie und faltete abwesend ihre Palla. Einen Wimpernschlag später sah sie nachdenklich auf den blauen Stoff hinab, reichte diesen dann Aristides mit dem Anflug eines Lächelns. "Dein Wunsch ist sonderbar, aber ich erfülle ihn dir gern, Marcus. Ich werde oft an dich denken.... Was wolltest du eben sagen?"
Jetzt wäre wohl auch der passende Moment gewesen, sich von Kassandra den ledernen Beutel reichen zu lassen, doch ehe sie auch nur daran denken konnte, war Aristides schneller. Er holte eine Kette hervor, an der ein wunderschöner Anhänger aus hellem Mondstein und blauem Saphir prangte, der Epicharis' Blick gefangen nahm. Die Worte ihres Verlobten über die Herkunft des Schmuckstücks verdeutlichten, was ihm dieser Anhänger bedeuten musste, und dass er ihn Epicharis anvertraute, löste Ehrgefühl wie Zuneigung gleichermaßen in ihr aus. Behutsam nahm sie die Kette an sich, sah darauf hinab und strich mit dem Daumen über den Anhänger. "Schutz und Glück? Brauchst du beides nicht sehr viel dringender als ich?" fragte sie leise und sah auf. "Ich werde dieses Schmuckstück hüten wie einen kostbaren Schatz und es dir unversehrt zurückgeben, wenn du wiederkommst. Marcus...ich weiß, dass ich nichts werde ändern können, aber mir ergeht es nicht wohl dabei, dich gehen zu lassen. Ich sorge mich um dich." Ihre Stimme war nurmehr ein Flüstern. Sie zog die Kette über ihren Kopf und entschied, dass auch eine Patrizierin das Recht hatte, sich gebührend zu verabschieden - besondere Situationen erforderten eben besonderes Verhalten, und den Beginn eines Krieges konnte man wohl durchaus als besondere Situation werten. Da sie nun die Hände frei hatte, Marcus jedoch ihre Palla hielt, machte Epicharis einen schnellen Schritt nach vorn, schlang die Arme um seinen Hals und bettete die Wange so an seinen Brustharnisch, dass ihre Nase seinen Hals berührte. "Mein tapferer Centurio...kehre mir bloß wieder unversehrt zurück, das ist alles, worum ich dich bitte", wisperte sie. Mehr musste wohl auch gar nicht gesagt werden. Und mehr vermochte Epicharis auch nicht zu sagen, denn ihre Stimme versagte, der Frosch war wieder da. Trönen schimmerten in ihren Augen, und sie schloss sie, weil sie doch stark bleiben wollte angesichts des Abschiedes, sich aber doch eingestehen musste, es nicht zu können.