Beiträge von Flavia Epicharis

    Ein Chaos - das war es. Das war das rechte Wort. Leontia war ohnmächtig, Aristides zornig, Gracchus war bemüht um Aufrechterhaltung der Stimmung und Serenus war geflohen. Vesuvianus verhielt sich sonderbar väterlich, Antonia schien geschockt, Furianus fand es amüsant, Epicharis war blass und ein bedeutender Teil der Gäste hatte von allem nur peripher etwas mitbekommen. Einige weitere, wie Senator Flavius Felix oder auch Dolabellas Vater waren noch nicht einmal erschienen oder würden sich sogar nicht einmal die Mühe machen. Epicharis ließ sich einen Becher Wasser reichen, umklammerte ihn wie den sprichwörtlich letzten Strohhalm und sah ihren Vater an, von dem sie die milden Worte der Zuversicht nun am allerwenigsten erwartet hatte. Irritiert blinzelte sie ihn an, bemüht um die Wiederherstellung eines ehrlichen unbesorgten Lächelns. Etwas geistesabwesend nickte sie auf seine Frage hin, bemerkte es jedoch im Nicken und lächelte ihn an, um angemessener zu reagieren. "Ja. Danke Vater."


    Kurz darauf war Aristides, der sich eben wegen dieses unfähigen Sklaven entschuldigt und Leontias Geleit auf ein Cubiculum veranlasst hatte, auch schon wieder heran. Epicharis hatte nicht mitbekommen, welcher Zorn nun auch noch des Sklavens wegen in Aristides wohnte. So schmunzelte sie denn nur bei seinen Worten und versuchte nicht, ihn zu besänftigen, wie sie es wohl sonst getan hätte. "Ich hoffe, du wirst Recht behalten, Marcus", sagte sie und reckte dann den claudischen Hals, um der Geste zu folgen. Als sie das Ziel seines Deutens gewahrte, riss sie sogleich vor Freude die Augen auf. "Ja, das ist Großonkel Myrtilus! Ich wusste gar nicht, dass er in Rom ist! Er kommt aus Baiae...oh wie schön! Entschuldigt mich bitte einen winzigen Moment", wandte sie sich dann an die um sie stehenden Gäste, um anschließend auf Myrtilus zuzustürmen, der sich gerade im Gespräch mit Tiberius Durus befand. Das hinderte die Großnichte jedoch nicht daran, den alten Mann auf stürmische Art und Weise zu umarmen. "Onkel! Wie schön, dass du da bist!"


    Nur wenig später erfüllte der feengleiche Klang von Glöckchen die Luft, und nicht nur Epicharis wandte sich erstaunt um, um zu sehen, was nun geschehen würde. Festlich gekleidete Sklaven mit silbernen Tabletts betraten den Raum und mischten sich unter jene, die ohnehin schon gelegentlich Wein ausschenkten. "Komm doch bitte mit, ich möchte dir meinen Verlobten vorstellen. Tiberius Durus, entschuldige uns bitte einen Moment." Und damit führte Epicharis den alten Mann ohne eine Widerrede zu akzeptieren in Aristides' Nähe, der ebenfalls einen neuen Gast begrüßte. Selbst Epicharis kannte ihn, es war Decimus Meridius, ein enger Vertrauter des Kaisers und ein Mann, dessen Name in aller Munde war. Aristides stellte sie gerade vor. "Es ist mir eine Freude, dich persönlich kennenzulernen, Senator. Man liest sonst nur in der Acta von dir und deinen rühmlichen Taten", entgegnete sie und wandte sich anschließend wieder an alle. "Dies ist übrigens Claudius Myrtilus, mein Großonkel aus Baiae." Sie lächelte gerade noch in die Runde, da erklang ein Räuspern und das Schlagen von Holz auf Marmor. Epicharis wandte sich erneut um und dem Geräusch zu, das von einer Art Zeremonienmeister herrührte. Gespannt blickte Epicharis ihn an. Er lud die Gäste nun offiziell ein, sich zum Mahl zu legen. Viel Sklaven gingen in Position, darunter auch etliche claudische, und erwarteten die Gäste neben den Klinen. Aristides deutete auf die Liegen, und Epicharis bekräftigte seine Worte, indem sie sie indirekt wiederholte. "Ja, lasst uns speisen." Und damit ließ sie sich von Aristides zu einer Kline geleiten, nahm gesittet darauf Platz und nahm sich vor, als eine erste Änderung in der flavischen Villa zu beantragen, dass den Frauen auch Stühle oder Sessel zur Verfügung stehen würden statt Klinen. Sie wartete, bis die Klinen in der Nähe belegt waren, und beobachtete dann kurz Meridius, der doch eigentlich verheiratet war, seine Frau aber nicht mitgebracht hatte. Sie tauchte die Finger in das ihr dargebotene Rosenwasser, trocknete sie an dem reinweißen Linnen ab und bediente sich an den vielerlei kulinarischen Köstlichkeiten, welche die Sklaven auftischten. Mit forschendem Blick suchte sie den Raum nach Antonia ab, sie hätte sich gern noch mit der lieben Verwandten unterhalten.

    Nur noch einen flüchtigen Moment skeptisch, betrachtete Epicharis Luciilla, ehe sie entschied, dass es Aristides Schuld war und sie ihm sauer sein sollte. Damit war der Sesterz gefallen, und Epicharis wirkte mit einem Mal nicht mehr so angespannt. Lucillas lockere Bemerkung über Venus hatte dabei sehr geholfen, und auch das ehrlich erfreute Lächeln in Kombination mit dem Gespräch über die neueste Mode klangen einladend und fröhlich, keinesfalls so, als füre Lucilla etwas im Schilde. Musste also doch Aristides der Schurke gewesen sein. Epicharis warf ihm einen Blick zu, der vermutlich leicht gepiekt hätte, hätte er nur Konsistenz gehabt. Dann wandte sie sich demonstrativ an die Auctrix, obwohl sie sich des erschrockenen Blickes ihres Verlobten durchaus bewusst war.


    "Es ist schön, dich zu sehen, Lucilla! Die ganze Redaktion? Ich glaube schon, bin mir aber nicht sicher, weil ich kaum jemanden kenne bisher. Aber das kann man ja ändern, nicht wahr?" Fröhlich lächelt sie die Auctrix an, blickte anschließend selbst an sich herunter und nickte. "Armanicus, du hast Recht! Ich konnte einfach nicht widerstehen, als ich letzte Woche zufällig an seinem Laden vorbeischlenderte. Deine Tunika ist von Versaccus? Oh ja, jetzt wo du es sagst, ich glaube, ich habe es noch in den Auslagen gesehen, kurz bevor du es dir weggeschnappt haben musst. Ein wirklich sehr schönes Stück, brilliant gearbeitet, aber das ist man von Versaccus schließlich gewohnt, nicht wahr? Wobei Chanellus auch enige wunderbare Stücke hat. Hach, als Frau von heute ist man ständig der Qual der Wahl ausgesetzt, findest du nicht?" Epicharis setzte einen gespielt gequälten Gesichtsausdruck auf und lachte. Kurz bedachte sie Aristides mit einem kostlich amüsierten Schmunzeln, als sie dessen wenig eloquentes Stottern vernahm, und sie beantwortete ihm die zwei Fragen in gleicher Manier, aber doch mit etwas Witz, immerhin befanden sie sich in Gesellschaft: "Ich bin aus Rom mit der Reisekutsche gekommen. Und die Braut ist eine Kollegin von mir", klärte sie ihn auf.


    Epicharis blickte nun wieder Lucilla an, die Aristides mit Fragen bombardierte, angesichts derer er sich nicht mehr recht im Stande sah, unbefangen zu antworten. Die Claudierin schmunzelte nun doch etwas besänftigt, immerhin schien sie ihn ziemlich aus dem Konzept gebracht zu haben, und das war durchaus etwas wert. Nun schon nicht mehr so entrüstet über sein unrühmliches Verhalten. Dennoch konnte sie es sich nicht verkneifen, auf seine letzten Worte mit einem verhaltenen Kichern und folgenden Worten zu antworten: "Oh, ich vermute, die Schlachten werden von nun an nicht nur auf dem Feld ausgefochten werden...."


    Da trat gerade ein weiterer Hochzeitsgast hinzu. Epicharis sah von Lucilla zu der Frau, die sich als Germanica Aelia vorstellte. Sie hatte den Eindruck, diesen Namen schon einmal gehört oder gelesen zu haben, nur wo? Dann fiel es ihr ein: Das kleine Schildchen am Schreibtisch der Lectrix im Domus der Acta. Das, was so schwer abging, weil es scheinbar mit Zement fetgemörtelt worden war. Entweder saubere Sklavenarbeit oder besitzergreifende Manier der Ex-Lectrix. Epicharis neigte den Kopf. "Salve! Ich nehme an, du bist eine Acta-Mitarbeiterin? Die ehemalige Lecrix, kann das sein? Nun ja, ich bin die neue", stellte sie sich vor. "Claudia Epicharis. Und das hier ist mein Verlobter, Flavius Aristides." Dass er Soldat war, konnte Aelia sicher selbst sehen.


    Ehe Epicharis noch etwas anderes sagen könnte, ertönte ein ohrenbetäubender Lärm von draußen, anschließend gellten hunderte Kehlen in militärischer Manier einen Glückwunsch ins Praetorium, der an den Wänden nachhallte wie ein mächtiger Glockenschlag. Epicharis hatte das Gefühl, zu vibrieren. Es blieb jedoch keine Zeit, sich von dem Schrecken zu erholen, denn ein gleichförmiges "Aaah!" und "Ohhh!" erfüllte den Saal, da die Braut den Raum betrat. Epicharis reckte den gazellenartigen Hals, um etwas sehen zu können. "Oh, es geht los!" flüsterte sie aufgeregt und machte schon mal das Taschentuch bereit. Gespannt verfolgte sie die nun stattfindenden Rituale. "Sieht sie nicht hinreißend aus? Welch hübsche Braut!" flüsterte sie ergriffen und tupfte mit dem Taschentuch herum.


    Endlich war der Priester fertig und hatte das Wohlwollen der Götter bestätigt, Medeia und ihr Bräutigam waren damit also verheiratet und Epicharis klatschte freudig Beifall. "Feliciter! Feliciter!" fiel sie in die Glückrufe der anderen ein. Jemand warf mit Bohnen und Erbsen, einem Symbol der Fruchtbarkeit. "Ach schaut nur, wie schön! Was für ein glückliches Paar! Feliciter!"

    Epicharis glaubte zwar nicht daran, dass Vesuvianus etwas einzuwenden haben würde, wenn sie Lectrix war, aber sicher war sicher. Was das Gehalt anging... Sie würde ihn einfach fragen und dann Gewissheit haben. Genauso sorglos war sie, als Lucilla ihr von der Beförderung der Ex-Lectrix erzählte. Auctrix P.P.A - das war ja schon etwas. Anerkennend nickte die Claudierin und hatte kein schlechtes Gewissen mehr. Während Lucilla sprach, hörte sie ihr aufmerksam zu, um keinen Punkt der Arbeit einer Lectrix zu verpassen. Wie es sich anhörte, lief das alles sehr flüssig und ohne Probleme ab. Epicharis würde sich wohl auch schnell hineinfinden und wenn sie eine Frage hatte, würde sie nicht zögern, Lucilla damit zu bombardieren. "Hört sich., wie du es erzählst, eigentlich ganz leicht an. Wie viel Zeit habe ich denn, um alle zu erscheinenden Artikel korrekturzulesen?" fragte sie, als Lucilla mit der groben Erklärung fertig war. "Und soll ich die Artikel hier korrigieren oder kann ich sie mir ohne weiteres nach Hause holen lassen?" Das würde vermutlich Nordwin besorgen, oder Dexter. Einer der beiden eben, denn beide hatten flinke Füße. Bei Kassandra und Dhara hatte sie so ihre Zweifel daran, dass sie nicht einen klitzekleinen Umweg über die Märkte machen würden. Da kam auch schon Ion zurück, warf Epicharis einen kurzen Blick zu und fragte Lucilla anschließend, ob er ihnen den Wein schon reichen oder die Becher erstmal auf dem Tisch einschenken sollte.

    Zitat

    Original von Marcus Flavius Aristides
    Schwarze, glänzende Haare, die Hautfarbe von sattem Gold oder dem warmen, feinen Sand im Sonnenschein, dunkle Augen, die fröhlich ihren Esprit verstrahlten, und eine anmutige Gestalt, die ihm tief in sein Gedächtnis gebrannt wurden vor doch nicht allzu kurzer Zeit- Decima Lucilla. Marcus atmete tief ein und sah die Frau an, die er in seinen Gedanken schon schlecht hin als die Traumfrau erhoben hatte. Eine, die alles, was Marcus begehrte und verlangte in sich vereinte. Witz und Humor, genau der Typ von Schönheit, den er so sehr mochte- kein blasses Mädchen- dazu noch eine erfrischende und fröhliche Art, die anzustecken und verzaubern vermochte. ...... Ein Lächeln trat auf sein Gesicht und er trat an die Seite von Lucilla. „Das Brautpaar kann glücklich sein, denn wie ich sehe, ist Venus herab gestiegen ihnen den Segen persönlich zu bringen. Salve, Decima Lucilla.“


    Die Rechnung hatte er vermutlich ohne Epicharis gemacht, die natürlich ebenfalls geladen war und die unwissend nur kurz nach Aristides das Praetorium betreten hatte. Die Luft im Raum war trocken, und so hatte sie sich zuallererst ein Glas Wasser organisieren lassen müssen, welches sie in kleinen Schlucken getrunken hatte. Nun hatte sie ihren Verlobten erblickt und steuerte ihn gerade an, denn sie kannte hier so gut wie niemanden und erhoffte sich, dass er ihr die wichtigsten Personen kurz vorstellen würde. Was sie sich allerdings nicht erhofft hatte war, dass Aristides, sobald man ihm den Rücken kehrte, mit anderen anbändelte, was das Zeug hielt. Sicherlich wähnte er sie noch nicht hier.


    Eifersüchtig ob des Blickes, den er ihr zuwarf, steuerte sie durch die anwesenden Soldaten - ihre purpurne Tunika erschien nun wohl wie ein Funken, der kurz vor dem Überspringen war - und schaffte es trotzdem irgendwie, ihre Fassung und das aufgeschlossene Lächeln zu bewahren, als sie just in jenem Moment neben Aristides stehen bleib, in dem er einer anderen venusgleiche Schönheit nachsagte. Epicharis' Lächeln dauerte fort, doch sie legte Aristides eine Hand auf den Unterarm und ritzte mit einem der manikürten Fingernägel in seine Haut, während sie gleichzeitig sagte: "Lucilla, wie schön dich ebenfalls hier zu sehen. Welch hübsche Tunika du trägst! Sicher betörst du viele Männer am heutigen Tag mit deiner Erscheinung." Und bei ihrem eigenen hatte sie angefangen. Jetzt musste Epicharis nur noch herausfinden, ob Lucilla es darauf anlegte... Dass sie Lucilla zuerst begrüßt hatte, war sicher auch Aristides nicht entgangen.


    Wenn die hübsche Claudierin eines war, so war es besitzergreifend in diesem Punkt. Sie warf Aristides ein zuckersüßes Begrüßungslächeln zu und konnte sich nicht entscheiden, ob sie nun Lucilla gegenüber skeptisch oder Aristides gegenüber sauer sein sollte. Vorerst wartete sie jedoch besser Lucillas Reaktion ab, natürlich höflich lächelnd. Insgeheim konnte sich Epicharis auch nicht vorstellen, dass Lucilla... Nein, sie hatte doch diesen Senator, mit dem sie Verlobt war, der sie aber nicht heiraten wollte. Zumindest sagte man das so.

    Zu Epicharis' Beruhigung flüsterte Antonia ihr einige Worte zu. Sie war ihrer Verwandten sehr dankbar dafür, denn so musste sie nicht weiterhin Ratte und Maske ansehen, sonden hatte eine Aufgabe, auch wenn diese nur kurzweilig war: Zuhören. Dies tat sie auch, und zwar mit zerknirschtem wie verlegen wirkendem Gesichtsausdruck. Leontia, die schließlich noch bei Epicharis und Antonia stand, schien indes ihre Fassung zu verlieren. Man konnte regelrecht sehen, wie ihre Blässe noch weiter zunahm und sich ein ungesunder Farbton beimengte, ehe ihre Knie nachgeben und sie zusammensackte. Nun war es an Epicharis, ein erschrockenes "Oh!" zu formen. Sie ließ Antonia los und suchte Leontia zu stützen, doch zum Glück hatte Aquilius sie schnell gepackt und bekam noch Hilfe von Durus, der schnell hinzukam. Epicharis trat hastig zwei, drei Schritte zurück und warf der schlafend wirkenden Leontia besorgte Blicke zu.


    Einige herrische Worte aus den Mündern des Sacerdos und ihres Verlobten durchbrachen die lieblichen Klänge, die den Instrumenten von flinken Sklavenhänden bereits wieder zögerlich abgerungen wurden, als ein Sklave mit feuchtem Tuch herbeieilte und die Stirn der Flaviern betupfte. Epicharis sah sich um. Irgendwo entdeckte sie Dolabella, ihren Vater und auch Senator Macer. Ihr fehlte die Lockerheit, ihnen allen grüßend zuzulächeln, und außerdem trat nun auch ihr Verlobter an sie heran und entschuldigte sich für das unmögliche Verhalten seines Sohnes. Epicharis atmete tief ein und leicht zittrig wieder aus. Sie zwang sich zu einem Lächeln, suchte nur kurz Aristides' Blick - in der kurzen Zeit konnte er sicher ihre plötzliche Scheu erkennen - und entgegnete anschließend mit wackeliger und nur leiser Stimme, denn die Worte waren nur für Aristides, nicht aber für die Gäste bestimmt: "Es ist...schon in Ordnung. Ich meine, diese Sache eben war...grausig...aber... Du musst ihn nicht bestrafen. Wir...vielleicht sollten wir ihn nicht zwingen, wenn er nicht hier sein will, Marcus. Er kennt mich kaum und wird Angst haben, dass ich ihm den Vater wegnehme..." Sie versuchte ein missratenes Lächeln hinzubiegen und schaffte es auch so, dass es zumindest wieder gesellschaftsfähig war, auch wenn ihre Augen nicht mitlächelten und Epicharis noch etwas bang ums Herz war.


    "Wie geht es ihr?" richtete sie nach einem peinlichen Moment der Stille eine Frage an den Personenkreis um Leontia. Epicharis fühlte sich indirekt dafür verantwortlich, dass die hübsche Dame in Zartblau das Bewusstsein verloren hatte. Zerknirscht suchte sie nun auch den Blick ihres Vaters.

    Epicharis hob den Blick und folgte den Bewegungen ihres Vaters. Er erschien ihr abweisend und desinteressiert bezüglich ihrer Gefühle. In Epicharis' Blick mischte sich Bedauern und ein vager Hauch Enttäuschung. Doch statt etwas auszusprechen, erhob sie sich kurz nach den Worten ihres Vaters nur, sich umwendend und den Blick aus dem Fenster richtend. "Nein. Das war alles. Hab Dank für dein Ohr, Vater", entgegnete sie leise und sah ihn dabei nicht an. Er mochte diese Worte vielleicht bei weitem nich so kalt gemeint haben, wie sie klangen, doch sie kamen wie norditalisches Eis aus den Alpen bei seiner Tochter an.


    Sie wusste ja, dass er nie besonders gut in Gefühlsdingen gewesen war. Ihn hatte der Tod ihrer und Priscas Mutter sehr getroffen, aber statt ihn zu brechen, hatte er Vesuvianus nur noch härter und abweisender allen Gefühlsdingen gegenüber gemacht. Epicharis bedauerte dies sehr, denn nun, da sie jemanden brauchte, der ihr eben nicht nur das Ohr lieh, sondern auch die Arme und eine starke Brust, nun vermisste sie ihre Schwestern und auch ihre lange verstorbene Mutter sehr. Dennoch; sie sollte nicht so viel Zeit verschwenden sonden besser gleich auf diesen Brief antworten, dachte sie bei sich. Je eher sie ihn schrieb, desto eher erreichte er Aristides und ersparte ihm weiteres Ausharren in Ungewissheit.

    Epicharis sah es ähnlich wie Aristides. Zuerst war kaum jemand da, dann schließlich schienen alle auf einmal zu kommen. Das war ja keinesfalls schlecht, nur eben insofern ungünstig, dass man nach einer Begrüßung schon direkt weiterziehen musste, um den nächsten Gast nicht zu lange warten zu lassen. Doch nachdem die Begrüßungen vorbei sein würden, wäre alles ungezwungener und entspannter. Epicharis fand sich zudem heute zum allerersten Mal in der Rolle der Mit-Gastgeberin wieder, und somit wurde einfach erwartet, dass sie sich natürlich auch um die Gäste kümmerte. Von den Gedanken ihres Verlobten konnte sie freilich nichts wissen, ebenso wenig von seinem bisherigen Neigungen, die Frauen betreffend, doch dies war in einer patrizischen Ehe wohl auch eher Nebensache. Dennoch, Epicharis würde gewiss mit einiger Abscheu reagieren, wenn sie jemals erfahren musste, dass ihr Gatte die Nähe einer Lupa oder gar einer anderen Frau suchen würde, weil er mit ihr nicht zufrieden war. Was Aristides mit der Offenbarung durch die Götter meinte, konnte sie nicht erahnen, schien dies doch eine Art geheimes Schlagwort zu sein, welches nur Gracchus und sein Vetter im Zusammenhang verstanden.


    Von Durus sah Epicharis wieder zurück zu Aristides, der den Tiberier auch bereits entdeckt hatte und sogleich entsprechende Worte an seinen Vetter richtete. Sie empfand seine legere Art als recht angenehm, und noch ehe er sich versah, legte sie ihm die Hand auf den Unterarm und verabschiedete sich fürs Erste von Gracchus, den sie, wie sie sich vornahm, im Auge behalten würde, erschien er ihr doch recht suspekt. Denn im ersten Eindruck wirkte er sowohl zuvorkommend als auch freundlich, und Epicharis hätte ihm seine so schmeichelnden Worte ohne weiteres geglaubt - wäre da nicht das Wissen um die selten lächelnde Antonia gewesen. Epicharis war sich sicher, dass er das Spiel, welches sie Antonia geschenkt hatte, damit sie und Gracchus es gemeinsam spielen konnten, noch nie angerührt, geschweige denn gesehen hatte. Mit einem herzlichen Lächeln nahm sie jedoch an Aristides' Seite die Glückwünsche entgegen, die Gracchus aussprach. "Hab Dank, Flavius Gracchus. Wir werden gewiss später noch Zeit zum Plausch haben." An Aristides' Seite schritt sie nun also Durus entgegen, an dessen Name sie sich Dank des guten Namengedächtnisses problemlos erinnern konnte. Nur kurz schweifte ihr Blick wieder zurück zu dem inzwischen leeren Platz an der Säule, bei der sie vor Kurzem noch einen Schatten gewahrt hatte. Es musste wohl doch eine Illusion gewesen sein. Aristides begrüßte Durus, und auch Epicharis hieß ihn willkommen. "Senator, auch mich freut es, dich so bald nach dem Bankett wiederzusehen." Einen Moment später huschte ihr Blick zu Aquilius, den sie bereits durch einen ebenso amüsanten wie interessanten Zwischenfall kennengelernt hatte. Er stand bei Dolabella, die augenscheinlich wieder zurück aus Germanien war. Epicharis verspürte den Wunsch, zu ihr zu eilen und sie zu begrüßen, doch zog in jenem Moment das Mädchen an Aquilius' Seite ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich. Sie wurde zwar teilweise von ihm verdeckt, doch war ihre Schlichtheit und die leicht deplacierte Aufmachung deutlich genug zu erkennen. Sie fragte sich, welch unglückliche Umstände wohl zu einer Ehe des Flaviers mit diesem Mädchen geführt haben mussten. Das Haar hing unschön herab und sie schien nicht gerade begeistert davon, heute hier zu sein. Irritiert blickte sie zu Aristides, der gerade einen recht affablen Ausspruch machte und damit wieder einmal bewies, dass er nicht allzu viel Wert auf adäquate Konversation legte. Bei Epicharis äußerte sich dies darin, dass sie verhalten schmunzelte und anschließend wieder zu Aquilius und diesem Mädchen blickte, wer auch immer sie war. Doch kurz darauf wurde ihr die Sicht auf das Grüppchen versperrt, denn ihr Vater trat dazwischen. Epicharis lächelte ihm liebevoll zu, löste sich jedoch immer noch nicht von Aristides, da dieser ohnehin gerade Vesuvianus gewahrte und auf ihn zu schritt, um ihn zu begrüßen. Es folgte eine kleine Unterhaltung über Politik, der Epicharis kaum etwas abgewinnen konnte, da sie von den Plänen ihres Vaters bereits unterrichtet war und sie - gelinde gesagt - nicht guthieß. Wer sorgte sich schon gern um einen Verlobten im Krieg und zusätzlich noch um einen Vater in Germanien? Zumal sich Epicharis beinahe sicher war, dass er sie gewiss nicht mitnehmen und ihr das rauhe Land im Norden zeigen wollte, auch wenn Deandra gehen durfte und auch Prisca fern von Rom in Tarraco weilte.


    Glücklicherweise wurden Epicharis' Gedanken und damit auch ihr Blick nun aber auf ein weitaus angenehmeres Bild gelenkt, denn Antonia betrat den Säulengang und gleich darauf auch Leontia, die wie bei ihrem letzten Aufeinandertreffen in eine makellose Tunika gewandet war und mehr denn blenden aussah. Auch Antonia schien wirklich ernsthaftig erfreut zu sein, und so wandte sich Epicharis schnell an Aristides und seine Gesprächspartner, um gewinnend zu lächeln. "Entschuldigt mich bitte einen Augenblick, ich bin gleich wieder da", sagte sie und wandte sich einen Moment von den Männern ab. Leontia war zuerst heran und ergriff Epicharis' Hände in einer gar vertrauten Geste, die Epicharis mehr als alles das Gefühl gab, aufs herzlichste Willkommen geheißen zu werden. Die Claudierin lächelte und zeigte dabei fröhlich die geweißten Zähne, ihrerseits das herzige Drücken der Hände erwidernd. "Leontia, ich freue mich sehr, dich wiederzusehen! Gewiss hätte auch ich diese Umstände nicht erwartet, doch umso schöner ist der Anlass, findest du nicht? Deine Tunika ist wahrhaft ein Traum, dieses Blau ist einfach magnifik! Vielen lieben Dank für deine Wünsche. Wir werden hoffentlich gut miteinander auskommen", erwiderte Epicharis herzlich und meinte jedes der Worte vollkommen Ernst. Sie erinnerte sich noch recht gut an den Bummel über den Markt, bei dem sich Leontia als durch und durch modebewusste und luxusorientierte Einkäuferin, wie Epicharis selbst eine war, herausgestellt hatte. Nur wenig später wandte sich Epicharis auch an Antonia, die eben dazugetreten war. Ehe diese sich versah, hatte Epicharis ihre Großcousine auch schon umarmt, beinahe mochte man es ungestüm nennen, doch für Epicharis waren damit die wichtigsten der Gäste anwesend, was gewiss nicht heißen sollte, dass die anderen unwichtig oder gar nichtig waren. Doch zu Leontia hatte sie nicht zuletzt durch den wunderschönen Nachmittag (nach welchem die Fuße eine eingehende Massage benötigt hatten) eine besondere Beziehung, und Antonia gehörte außerdem zur Familie und damit war schon alles gesagt. "Ach Antonia, ich freue mich sehr, dass du da bist. Ja, es ist beinahe amüsant zu nennen, bald wieder in der gleichen Villa beherbergt zu sein, nicht wahr?" sagte sie lachend, nachdem sie die Cousine wieder aus ihren Armen entlassen hatte.


    Sklaven wuselten bereits emsig durch das Peristyl, doch es fehlten freilich noch einige Gäste, weswegen das Mahl noch etwas auf sich warten lassen würde. "Oh, welch hübsches Schmuckstück", entfuhr es Epicharis nun, und sie wies auf die Bernsteinkette um Antonias hübschen Hals. Da fiel ihr ein, dass sie den beiden den Verlobungsring noch gar nicht gezeigt hatte, und so hob sie, aufgeregt wie ein kleines Kind, die Hand und ließ den verschlungenen, gold und silber durchwirkten und in den Zwischenräumen mit feinen Perlchen besetzten Ring im Licht der Fackeln aufblitzen. Die Gemme aus Elfenbein schimmerte matt und zeigte ein glückbringendes Symbol. "Schaut einmal! Ist er nicht wunderschön?" begeisterte sie sich für Aristides' exquisiten Geschmack, was Schmuck betraf.


    In jenem Moment traten zwei Sklaven hinzu, die Epicharis' Aufmerksamkeit auf sich zogen, da sie nicht höflich und zuvorkommend herumwuselten, sondern jeder mit etwas in den Händen, das von einem Tuch verdeckt wurde, auf Aristides und sie zu kamen und sich dabei ängstlich umsahen. Augenblicklich warf sie ihrem Verlobten einen alarmierten wie besorgten Blick zu. Hatte dies vielleicht etwas mit der Nachricht zu tun, die ihn vorhin ereilt hatte? Die beiden blieben vor dem Paar stehen und rezitierten jemanden, den Epicharis recht schnell als Serenus identifizierte, nicht zuletzt wegen der Worte. Zuerst erschrocken starrte Epicharis die Totenmaske an, dann blickte sie ehrlich berührt und etwas bedrückt zur Seite - immerhin ging es wohl um Aristides' erste Ehefrau, von der Epicharis nichts wusste. Doch die Worte des zweiten Sklaven drangen nur zu gut in ihre Ohren, und so wandte sie den Blick abermals zum Ort des Geschehens. Sie verdaute noch die harschen Worte des Jungen, die der Sklave so dreist vor der gesamten Öffentlichkeit ausrichtete - Epicharis hätte ihn allein deswegen schon als Kreuz schlagen lassen - da zog der Sklave das Tuch herunter und hervor kam eine tote Ratte.


    Epicharis sog erschrocken die Luft ein, eine ungemütliche Stille breitete sich aus und sogar die Musiker verstummten vereinzelt. Die Claudierin griff sich fassungslos in einer Geste an die Brust und starrte das tote Vieh an, das seitlich auf der silbernen Platte lag und sie in grässlicher Manier anstarrte, die kleinen Klauen wie zum Anprangern erhoben. Epicharis schluckte und tastete nach Antonias Hand, um sie in ihrer Bestürzung zu drücken. Was würde nun geschehen? Zögerlich warf sie einen Blick zu Aristides und anschließend zu Vesuvianus, ehe sie den Blick gen Boden senkte. So viel zu dem herzlichen Willkommen, welches Aquilius ihr versichert hatte.

    Unbewusst nestelte Epicharis an einer Ecke der kräftig violetten Palla herum, die zu ihrer fliederfarbenen Tunika - und auch zu Aristides' Tunika, wie sie eben feststellte - passte. Nur drei Tage in Rom waren ihm vergönnt, dann würde er bereits wieder abrücken müssen. Epicharis verspürte das Bedürfnis, ihn am letzten Tage persönlich verabschieden zu können. Sie wusste bereits jetzt, dass es schwer werden würde, ihn ziehen zu lassen, denn von diesem Tage an würde alles unberechenbar, unvorhersehbar und vor allem in keineswegs geraden Bahnen verlaufen. Nach dieser Mitteilung - sie registrierte dabei ebenfalls, dass ihm die Salier wichtig waren und empfand dies als angenehm - kam ein leicht beschwerliches Seufzen über ihre Lippen und ein unterdrückt-verzagter Ausdruck mochte sich auf ihrem Antlitz einfinden. Doch sie schwieg, denn noch hatte sie einige Zeilen in Erinnerung, welche Aristides ihrem Boten mit auf den Weg zurück nach Rom gegeben hatte.


    Kurz darauf trat ein Sklave an ihren Verlobten heran und er entschuldigte sich. Epicharis wollte nicht stören, auch wenn der Gesichtsausdruck Aristides' doch etwas verwundert wirkte, und so machte sie einige wenige Schritte in die entgegengesetzte Richtung und auf ein wunderschönes Blumenbukett zu, in welchem weiße Rosen ihre gerade erblühten Knospen in hübschem Kontrast zu blauen, wunderbar duftenden Blüten darboten. In Gedanken zupfte eines der silbrigen Schmuckbänder zurecht und sah auf, als sie Aristides' gesenkte Stimme vernahm, wie er einem Sklaven etwas auftrug. Dann blieb er noch eine Weile an Ort und Stelle, während der Sklave mit missmutiger Miene an Epicharis vorbei ging und irgendwo in der Villa verschwand. Sie sah ihm nach und wandte den Blick schließlich verwundert zurück zu ihrem Verlobten, der sich nun endlich umgewandt hatte und erneut auf sie zu kam. Täuschte sie sich, oder wirkte er aufgewühlt? Epicharis ging ihm ein wenig entgegen und musterte ihn beim Näherkommen aufmerksam wie forschend zugleich. Seine Verwirrung fand schließlich in dem Geständnis Ausdruck, den Drehpunkt ihres Gesprächs vergessen zu haben. Epicharis schmunzelte. "Das macht nichts, Marcus. Es war sicher etwas wichtiges." Und ganz offensichtlich auch etwas, das ihm Kopfzerbrechen bereitete, stellte sie bei einem weiteren Blick in sein Gesicht fest. Ehe sie noch etwas weiteres erwidern konnte, erklang von schräg hinter ihr eine angenehme Männerstimme. Epicharis wandte sich überrascht um, hatte sie sich doch allein mit Aristides gewähnt. Schon als der Mann sich näherte, stellte sie fest, dass es ein Flavier sein musste. Nicht nur die vertraute Anrede, sondern auch seine Begrüßung zeigten ihr dies, denn er klopfte ihrem Verlobten sehr vertraut in einer Umarmung auf die Schulter.


    Epicharis legte locker ihre Hände ineinander und wartete mit einem nur unmerklich unsicher wirkenden Lächeln darauf, dass er auch sie begrüßte, was er umgehend tat. Dies war also Flavius Gracchus, jener Ehemann der Antonia, der sie so oft unglücklich wirken ließ. Seine Komplimente wie auch die Verbeugung waren reine Etikette, zumindest vermutete Epicharis dies. Immerhin hatte der Flavier wohl eine gewisse Ausbildung genossen, das bewies neben dem Umstand, dass er ein Patrizier war, auch seine Ausdrucksweise. Dankend neigte die Claudierin das Haupt, die perlenbesetzte, zierlichen Ohrcreolen untermalten die Bewegung leise klingelnd. "Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Flavius Gracchus. Ich habe schon einiges von dir gehört. Erlaube mir jedoch, dir noch einmal persönlich zur Vermählung mit meiner Großcousine zu gratulieren. Mir war es bedauerlicherweise nicht möglich, persönlich zu den Festivitäten zu erscheinen. Antonia hat dir sicher die Gründe mitgeteilt", erwiderte sie. Dass sie viel gehört hatte, war schlichtweg eine leere Phrase, nichts weiter, denn alles, was sie wusste, hatte sie in Erfahrung bringen lassen oder sich nach ihrem letzten Besuch selbst zusammengereimt. Gracchus sollte angeblich ein kluger Kopf sein. Jemand, der den Genius eines bedeutenden Philosphen hatte. Nun, Epicharis würde schon noch herausfinden, warum Antonia ihn nicht ausstehen konnte und warum er sie so unglücklich machte.


    Allmählich schienen die Gäste auch einzutreffen, denn nun waren erneute Schritte zu hören. Schritte, die zu Tiberius Durus gehörten, wie Epicharis einen Blick später feststellte. Sie lächelte ihm bereits freundlich zu, überließ das erste Begrüßen jedoch ihrem Verlobten, da dieser schließlich hier wohnte. Aus den Augenwinkeln gewahrte sie zudem eine Bewegung in den Schatten, die eine Säule auf den von zahlreichen flinken Sklavenhänden polierten Boden warf. Eine Narretei der Sinne - oder war es doch etwas anderes? Epicharis wandte sich wieder Gracchus zu, an dessen Seite immer noch keine Antonia aufgetaucht war. Leichte Besorgnis war aus Epicharis' Stimme herauszuhorchen, als sie nach ihr fragte. "Meine Großcousine wird dem Fest doch beiwohnen können? Es wäre sehr schade, wenn das Unwohlsein sie wieder plagt."

    Der Ianitor hatte Epicharis und ihre Sklaven ohne lange Umschweife eingelassen. Direkt am Vestibulum hatte sie erneut ein festlich gekleideter Sklave begrüßt und angedeutet, dass sie ihm folgen sollte. Sie wurde durch das Atrium geleitet, während man die claudischen Sklaven bereits abfing, um sie einzuweihen in der Prozedere des Abends. Epicharis indes folgte dem flavischen Sklaven, der sie am Eingang zum Peristyl entließ, indem er auf Aristides deutete, der unweit des Säulenrandes stand und eine Hand voll Sklaven dabei beobachtete, wie sie dem Ambiente den letzten Schliff verliehen. Das Geräusch ihrer Schritte und das leise klirren des goldenen, Filigranschmucks allerdings musste sie verraten haben, denn aus dem Anschleichen und Überraschen wurde nichts, da er sich bald umwandte und ihr entgegen kam. Bereits beim Näherkommen hatte Epicharis sich staunend umgesehen. Sie viele wunderschöne Blumengestecke, Kränze und andere unerwartete wie stilvolle Zierden waren verwendet worden, doch es sah keinesfalls überladen oder gar hässlich aus, sondern wirkte angenehm und luftig.


    Jetzt aber hatte Epicharis ersteinmal nur einen Sinn für ihren Verlobten. Ein letztes Mal strich sie abwesend über den golddurchwirkten Stoff ihrer dezent elfenbeinfarbenen Tunika, dessen gestickte Ornamente kleine Vögel formten, die zwischen rankenden Blättern ihre Späße trieben. Dann war Aristides heran und Epicharis hatte Mühe, den Wunsch zu unterdrücken, ihn zu umarmen und ihm zu sagen, dass sie wirklich sehr froh war, ihn zu sehen. Seine Worte schmeichelten ihr wie stets, wenn er sie begrüßt hatte, und verlegen warf sie einen Blick zur Seite. Sie ließ ihn in seiner Begrüßung gewähren und erhaschte bei dem kurzen Seitenblick auf so pärchtige Rosensträucher, dass sie einen flüchtigen Moment neidisch auf den Rosenbesitzer und vor allem dessen Gärtnerbesitz war. Wenn sie an die heimischen Rosen dachte... Nein, besser nicht. Der sanfte Blick ihres Verlobten indes und seine zärtliche Geste vertrieben die garstigen Gedanken schon bald wieder aus dem claudischen Kopf, und Epicharis schenkte ihm ein glückliches Lächen, das bei ihren ersten Worten von einem verschmitzten Zwinkern begleitet wurde.


    "Marcus, du schmeichelst mir. Ich bin wirklich froh, dass du diese freien Tage bekommen hast. Allerdings wäre ich auch umgehend nach Mantua gereist, hätte man sie dir nicht bewilligt." Epicharis kam nun doch einen weiteren Schritt näher und unterschritt damit eigenmächtig den Anstandsabstand. Doch sie tat noch mehr als dies, denn sie erhob sich grazil auf die Zehenspitzen und hauchte einen flüchtigen Kuss auf Aristides' Wange, ehe sie wieder einen halben Schritt zurück machte und lieb lächelnd zu ihm hinauf blinzelte. "Ich freue mich sehr, dich wiederzusehen. Wann wirst du wieder fort müssen?"

    Epicharis, die ja nun nicht gerade damit hausierte, politisch interessiert zu sein, wusste aber doch einiges über die Politik Roms und über die Männer, welche Schlagzeilen in diesem Metier machten. So war es auch wenig verwunderlich, dass die Claudierin die Prudentierin nun direkt auf den neuen Consul ansprach. "Dann bist du mit dem neuen Consul Prudentius verwandt?" fragte sie also. "Ja, mich freut es auch." Nett schien sie ja zu sein. Epicharis ließ sich etwas weiter ins Wasser rutschen und gewahrte aus den Augenwinkeln die gelockte Sklavin, die sich näherte und bald hinter der Patrizierin niederließ. Sie spürte sanfte Hände auf ihren Schultern, die kreisend begannen, sie zu massieren. Epicharis seufzte und überlegte, was sie mit ihrer neuen Bekanntschaft reden könnte, doch da nahm Aquilia dies schon in die Hand und fragte sie etwas. Die Patrizierin ging nur zu gerne darauf ein. "Natürlich darfst du fragen, warum denn auch nicht?" entgegnete sie lächelnd. "Ich bin zum ersten Mal seit sicherlich drei Jahren, wenn nicht sogar länger, wieder hier. Ich habe eine Zeit lang in Spanien gelebt, musst du wissen. Eine schöne Gegend, aber ich bin froh, wieder zu Hause und bei der Familie zu sein. Und du? Was ist mit dir, kommst du oft in die Thermen? Ich habe mir jedenfalls fest vorgenommen, wieder regelmäßig herzukommen. Es geht doch nichts über Entspannung und das Ambiente hier. Da kommen selbst die besten Balnei nicht heran." Epicharis nickte bekräftigend. Wenn sie da an die claudischen Bäder dachte... Nun, die waren zwar exquisit und luxuriös, aber eben doch anders als die öffentlichen Thermen.

    Epicharis blickte der wallenden Gestalt sprachlos hinterher und wagte es erst zu flüstern, als das Mädchen schon weit genug weg war, um ihre Worte zu hören. "Hast du das gesehen?" wisperte sie. "Sie ist beinahe geschwebt! Wie lange muss man wohl üben, um so beschwingt gehen zu können?" Fasziniert sah Epicharis der Priesterin noch hinterher, bis sie endgültig ein einem der Schatten verschwand, die immer wieder vom Licht durchbrochen wurden. Schließlich wandte sie sich zu Aristides um und zog ihre Hand, die in seiner lag, mitsamt der seinen hervor, um einen kurzen Augenblick darauf zu schauen. Bald fand ihr Blick jedoch den seinen. "Jetzt müssen wir warten. Jetzt wird es sich entscheiden."


    Die Stimme klang so gar nicht mehr wie die ihre, sondern wirkte fast ein wenig melancholisch und verwirrt, zugleich aber auch sanft, was wohl die Umgebung machte und der Umstand, dass Epicharis leise sprach, wie sie so vor ihrem Verlobten stand und zu ihm aufsah.

    Die Tür flog auf und spuckte Carla Columna aus, welche gehüllt in einen wallenden, knallroten Mantel und in Begleitung eines hageren, hohlwangigen Sklavens die Taverne betrat und zielstrebig einen bereits besetzten Tisch ansteuerte. Sie schälte sich aus ihrem Mantel und drückte selbigen dem Sklaven in die Hand, machte eine wedelnde Geste und scheuchte den Sklaven davon. Erst dann setzte sie sich an den runden Tisch, dessen riefiges und gefurchtes Eichenholz schon so manche Delle mittels Bierkrug oder Weinkelch verpasst bekommen hatte. Carla schürzte die Lippen und musterte ihr Gegenüber. Der Mann trug dunkle Kleidung und einen Kapuzenparka, wirkte ausgemergelt und sah sich ständig nach etwas oder jemandem um. Seine Augen hatten einen stechenden, eisblauen und ebenso -kalten Blick, sein flammend rotes Haar lugte nur ansatzweise unter der Kapuze hervor, die er selbst hier im Schankraum aufgezogen hatte.


    "Nun? Ich bin da, wie verabredet", machte sich Carla bemerktbar und winkte zeitgleich nach der Bedienung, damit diese einen Becher Wasser brachte. Irgendwo in den Schatten hielt sich der hagere Sklave bedeckt.
    "Und dir ist auch wirklich niemand gefolgt?"
    "Nein. Nur Duris, und der stellt nun wirklich keine ernstzunehmende Bedrohung dar. Können wir dann anfangen?" fragte Carla und gab sich wirklich die größte Mühe, nicht zu gereizt zu klingen. Nebenbei brachte die Bedienung das Wasser und Carla angelte Griffel und Tafel hervor. Der Vermummte sah sich ein letztes Mal unsicher um und rückte noch näher an den Tisch heran. Er umfasste seinen Krug und beugte sich soweit wie möglich zu Carla heran, die ihn inzwischen mit neugierig dreinschauenden Augen musterte.
    "In Ordnung."
    "Sehr gut. Wie hast du vom Sachverhalt erfahren?"
    "Ich bin...war ein Palastdiener. Ich gehörte zu denen, die dafür Sorge zu tragen hatten, dass in der Aula Regia stets alles perfekt ist. Die Blumen, die Teppiche, Mosaika...Vorhänge, Kohlebecken..sowas eben."
    "Ahja. Hm. Und wie hast du nun etwas von diesem Gesrpräch mitbekommen?"
    "Ich habe die Kohle erneuert, denn es fällt keine Sonne in die Audienzhalle, und deswegen war es selbst im Maius noch kühl, besonders am Morgen. Claudius kam morgens. Die Augusta hat zwar ihre Diener fort geschickt, aber mich hat sie übersehen."
    "Übersehen? Naja.... Du bist ja nicht gerade klein..."
    "Ja...ich weiß. Mir war ein Kohlestück heruntergefallen, ich muss mich wohl danach gebückt haben, als sie in meine Richtung sah. Andererseits hatte ich es auch nicht darauf angelegt, entdeckt zu werden. Ich wollte allerdings auch nicht lauschen. Das war mehr so ein...naja, Zufall."

    Carla machte sich eifrig Notizen, auch zu Verhalten und Wortwahl des Erzählers. Sie nippte an ihrem Wasser und legte schließlich den Kopf schief, um ihr Gegenüber zu mustern. Sie sprachen so leise, dass nur jemand in unmittalbarer Nähe ihr Gespräch hätte mithören können. Doch da weder jemand unter dem Tisch, noch in der Nähe saß - sie hätten es sehen können - war es sicher, dass niemand mithören konnte.

    Epicharis besah sich die junge Frau - sie mochte sicher jünger sein als ihre eignen neunzehn Sommer - nun eingehender. Sie wirkte frisch und eher mädchenhaft denn fraulich, was an sich natürlich kein Makel war, wohl aber für die Heirat neben der Herkunft unter anderem ein Auswahlkriterium sein würde für den Mann. Epicharis wusste nicht einmal, wie sie nun auf derartige Gedanken kam, und so ermahnte sie sich gedanklich und betrachtete nun erneut die kleine Mondsichel aus Elfenbein, ehe sie wieder zu ihrer brünetten Sitznachbarin blickte. "Hmm.... Na, kostbar ist es nicht, aber du hast recht, wir geben es besser ab." Glücklicherweise kam die Sklavin nun, um Epicharis zu massieren, und so schickte die junge Claudierin den Lockenkopf noch einmal fort, damit sie den Patrizierfußschmuck an der richtigen Stelle zur Verwahrung abgab. Wenn man den Knöchelschmuck verlor, so war dies zwar bedauerlich, doch konnte man sich schnell und sorglos einen neuen beschaffen lassen. Kurz blickte sie den Schritten der Sklavin noch nach, dann wandte sie sich wieder um. Es war doch zu schade, einen Nachmittag ganz allein in den Thermen zu verbringen. Ihre Schwestern und die engsten Freundinnen weilten derzeit außerhalb Roms. Viele der Freundschaften Epicharis' waren während ihres Aufenthaltes in Spanien allmählich im Sande verflossen. Das war bedauerlich, aber eben nicht zu ändern. Hier bot sich nun vielleicht die Möglichkeit, eine neue Freundin zu gewinnen, weshalb sich Epicharis nach einem Moment des Nachdenkens dazu entschloss, die Braunhaarige neben ihr erneut zu piesaken. "Hm, ich bin übrigens Claudia Epicharis - und du?" versuchte sie ihrer Nachbarin ihren Namen zu entlocken, während die rehbraunen Augen freundlich drein blinzelten.

    Es war kurz vor dem Mittagessen, als Carla Columna an Ion vorbei in das Domus der Acta stürmte und wild mit irgendwelchen Pergamenten herumfuchtelte. Sie rauschte mit ihren vielen klingelnden goldenen Armreifen an dem perplex schauenden Ion vorbei und in das Redaktionsstübche und schnurgerade auf Vulpus Volantus zu. Vor ihm blieb sie abrupt stehen, doch ihre Parfümwolke "Odem des Nils" traf den armen Redakteur indes mit voller Wucht. "Ha!" begeisterte sie sich und wedelte triumphierend mit den Pergamenten vor Vulpus' Nase herum. "Du wirst nicht glauben, was ich für eine heiße Spur ich gerade verfolge!" betonte sie und klatschte die Pergamente nun auf den Schreibtisch vor Vulpus. Mit einem selbstgefälligen Grinsen auf den Lippen zog sie sich einen Stuhl heran und strich sich das braune Haar aus der Stirn. Ungeduldig wartete sie auf eine - irgendeine! - Reaktion von Vulpus. Die Pergamente enthielten hastig hingekritzelte Stichworte. Namen wie Claudius Marcellus und Ulpia Drusilla fielen, an den Rand waren kleine Herzchen geschmiert und die Worte 'Armors Pfeil', sowie 'unbändige Liebe' und 'heiße Nächte'. "Nun sag schon was!" verlangte Carla und grinste.

    Oh, wie lange war Epicharis nicht in den Thermen des Agrippa gewesen! Es war eine halbe Ewigkeit her, mit Sicherheit aber über drei Jahre. Heute hatte sie sich endlich einmal die Zeit genommen, die Badeanstalt aufzusuchen. Bei der ganzen Aufregung der letzten Tage war dies auch dringend nötig.


    Mit einer handtuchtragenden Sklavin hatte an ihrer Seite betrat sie das Bad von den Umkleiden her. Dhara und Kassandra waren mit Nordwin in der Stadt und tobten sich aus. Kaum hatten die nackten Füße den beheizten Boden der inneren Thermen betreten, seufzte Epicharis auch schon erfreut auf und sog den Geruch ein. Eine Sklaven der Einrichtung liefen tüchtig umher oder kümmerten sich mit einer herzhaften Massage oder anderweitig umdie Badegäste, die zu dieser Zeit natürlich nur aus Frauen bestand, wie es die Badeordnung erforderte. Nun, zuerst wollte die Claudierin sich im Frigidarium auf das Bad vorbereiten, also schritt sie mit grazilen Schritten auf das Kaltwasserbecken zu, welches gerade von nur zwei Besucherinnen genutzt wurde. Nachdem sie den großen Onkel in das kühle, unbeheizte Wasser gehalten und kurz eine Grimasse gezogen hatte, stieg sie die fünf Stufen in das Marmorbecken hinab. Ihr Körper reagierte augenblicklich auf die sie nun umgebende Kühle, und Epicharis fröstelte. Dennoch setzte sie sich auf eine der unter Wasser liegenden Bänke und harrte einige Minuten aus. Inzwischen hatten die beiden Frauen das Becken wieder verlassen und jemand Neues war dazu gekommen.


    Doch lange hielt Epicharis es nicht mehr aus, und so erhob sie sich bald und verließ das Frigidarium. Die bereitstehende Sklavin mit den braunen Locken hüllte sie rasch in ein großes Tuch ein und folgte der Claudierin in den nächsten Raum, der verschiedene Wasserbecken und deutlich mehr Besucherinnen enthielt. Hier war die Temperatur bei weitem angenehmer, sodass Epicharis der Sklavin das Handtuch zurückreichte. Die Mosaike an den Wänden zeigten maritime Szenen und viele Fische, an der längsseitig liegenden Wand befand sich eine über lebensgroße Statue des Neptun, die Epicharis nun ansteuerte. Vor ihr blieb sie stehen und ließ sich eine Muschelkette reichen, welche die sie begleitende Sklavin mit sich führte. Epicharis lächelte die Statue an und legte die hübsch gearbeitete Muschelkette als Geschenk für den Gott an dessen großen Fuß, verharrte noch einen Moment und wandte sich dann um, um eines der beheizten Becken anzusteuern.


    Sie entschloss sich für ein mittelfrequentiertes Becken, stieg die wasserbedeckten Stufen hinunter und suchte sich einen freien Platz zwischen zwei Frauen, die sie beide mit einem Lächeln und einem grüßenden Kopfnicken bedachte. Zufrieden seufzend ließ sie sich auf der Marmorbank nieder und wartete darauf, dass die Sklavin das Handtuch los wurde und mit einer einleitenden Nacken- und Schultermassage begann.


    In jenem Moment gewahrte sie einen patrizischen Halbmond, der an einem schmalen, aber gerissenen Lederbändchen direkt unter ihr lag. Sie fischte das kleine Schmuckstück vom Boden und aus dem Wasser und betrachtete sich kurz die Knöchel ihrer Sitznachbarinnen, dann fragte sie eine der beiden: "Entschuldige, gehört dies dir?" Die Frau sah auf den Mond hinab und verneinte. Epicharis entschuldigte sich noch einmal für die Störung und wandte sich dann an die Thermenbesucherin auf der anderen Seite. "Verzeih, das hier lag im Wasser, gehört es vielleicht dir?" Fragend musterte sie die Frau neben sich.



    Sim-Off:

    Du, der du dies liest, bist herzlich eingeladen, mitzuschreiben. :)

    Was Dhara sagte, klang durchaus logisch und schlüssig. Dennoch - war es nicht um vieles besser, wenn ein Ehemann nicht nur liquide, sondern vielmehr freundlich und liebevoll war? Während Dhara sich bereits verschiedener Körperpartien mit ihren Wunderhänden annahm, dachte Epicharis über die Worte der Sklavin nach. Sie hatte etwas Ähnliches in seinen Augen gesehen, oder zumindest geglaubt, es zu sehen. Dass Dhara diese Annahme nun bestätigte, ließ sie nicht mehr an der Echtheit dieser Vermutung zweifeln. Ein leises Kichern kam über ihre Lippen, als Dhara sie mit einem Kaninchen und Aristides mit einer Schlange verglich. "Dhara", sagte sie. "Du amüsierst mich mit deinen Vergleichen. Spricht man in Babylon so? Vergleicht man die Menschen dort mit Kaninchen und Schlangen?" Sie musste noch einmal lachen, verstummte aber, als Dhara ihr versicherte, dass sie selbst den Kaiser würde betören können. Epicharis, die sich ja in Bauchlage befand, drehte den Kopf, sodass sie Dhara ansehen konnte. "Das meinst du ernst, hm? Aber hast du die Augusta einmal gesehen? Sie wirkt um vieles anmutiger und erhabener. Sie ist bildhübsch und man spricht selbst in den entlegendsten Provinzen von ihrer Klugheit. Neben ihr bin ich nur ein junges Mädchen. Aber weißt du was? Ich muss es auch gar nicht mit ihr aufnehmen können oder mich mit ihr vergleichen. Ich bin einfach, wie ich bin. Und ich glaube, dass auch Marcus sich darüber im Klaren ist." Sie sah die Sklavin noch ein wenig an und drehte dann den Kopf wieder in die kleine ovale Öffnung in der Liege, die dazu diente, komplett gerade auf der Liege zu liegen. Sie seufzte wohlig unter Dharas massierenden Händen. Geduldig hörte sie die Worte über Nordwin an. "Etwas weiter rechts....mmh... Bedauerlicherweise ist der alte Rufus an den letzten Iden verstorben. Er war ein guter Gärtner, hatte definitiv den grünen Daumen. Seitdem suchen wir jemanden, der gartenkundig ist und seinen Platz einnehmen kann. Solange wir noch niemanden gefunden haben, muss Nordwin eben aushelfen. Ich habe ihn dazu abgestellt, weil er Rufus ab und an zur Hand gegangen ist bei der Gartenarbeit. Bedauerlicherweise scheint ja nichts auf ihn abgefärbt zu haben", schloss sie trocken.

    Vesuvianus reagierte ganz so, wie Epicharis es erwartet hatte. Er war gefasst und zielorientiert, wie immer. Das war es, was ihren Vater ausmachte. Gerade jetzt mochte sie dieses Verhalten nicht. Es hätte ihr u ein Vielfaches besser gefallen, wenn er sie einfach umarmt und getröstet hätte, statt so zu tun, als käme nur eine der beiden Möglichkeiten in Frage, obwohl es doch tatsächlich zwei Entscheidungsmöglichkeiten gab. Er wirkte gar so, als hinge er eigenen Gedanken nach. Epicharis sah ihn vorwurfsvoll an. Sie wusste ja, dass er stets das Beste für sie und Prisca wollte, doch in ihren Augen verhielt er sich einfach nur unmöglich. Frustriert seufzte sie und ließ die Ausschweifungen ihres Vaters an sich vorüberziehen. Er hätte ihr keine Entscheidungsfreiheit eingeräumt? Das war so kalt, so...gefühllos. Epicharis wünschte sich nichts mehr, als verstanden zu werden, wünschte sich Deandra oder ihre kleine Schwester Prisca herbei. Oder ihre Mutter. Sie hätte sie vermutlich in den Arm genommen und ihr geholfen. Vesuvianus' Worte indes waren nicht das, was Epicharis brauchte. So antwortete sie auch nicht direkt auf seine Frage, sondern zog die Arme um den Oberkörper, als würde sie frösteln, und sah auf ihren Schoß, um ihren Vater nicht ansehen zu müssen. "Ich vermisse Mutter", flüsterte sie. "Und Prisca und Deandra." Wie gut hätte eine tröstliche Umarmung getan, wie schön wäre die Illusion gewesen, dass sie wirklich diese Entscheidungsfreiheit gehabt hätte, die ihr Aristides eingeräumt hatte - auch wenn sie sich aus freien Stücken trotzdem nicht gegen ihn entschieden hätte. So aber fühlte sie sich seltsam allein, obwohl ihr Vater doch augenblicklich gekommen war und ihr so nah gegenüber saß. Langsam und zerknirscht wegen ihrer Äußerungen hob die junge Frau den Blick und touchierte die Augen Vesuvianus', um zu sehen, was in ihm vorging. Fast befürchtete sie einen wütenden Ausbruch - kein angenehmes Gefühl, aber was war seit diesem Brief schon angenehm?

    Genaugenommen war ihr der kleine Serenus weder sonderlich erzogen vorgekommen, noch sehr höflich. Die Erklärung, die Flavius Aquilius ihr für dieses Verhalten lieferte, erklärte allerdings so einiges. Epicharis konnte es nicht verhindern, verstehend zu nicken. Wenn der Junge wirklich auf dem Land aufgewachsen war, war sein Verhalten durchaus verständlich - er kannte es eben nicht besser. Ihre Aufgabe würde es somit wohl sein, ihm die Erziehung zukommen zu lassen, die man bisher schmerzlich an ihm vermisste. Keine besonders erfreuliche Aufgabe, zugegebenermaßen. Auf seine weiteren Worte entgegnete sie: "Oh, glaub mir, diese Überraschungen erlebst du auch, wenn du inmitten der Familie weilst." Schmunzelnd winkte sie ab und blinzelte anschließend in die Sonne.


    Aquilius sprach nun von Hispanien, und Epicharis dachte an die unbeschwerten und fröhlichen Tage bei ihrer Tante zurück. Sie glaubte, sie schwach an die Erwähnung des flavischen Familienzweiges in Tarraco im Zuge eines Gesprächs ihrer Tante mit anderen spanischen Frauen erinnern zu können, es ging wohl um Beziehungspflege und Verbindungsknüpfungen, doch waren diese Erinnerungen nur mehr vage und sie konnte sich nicht mehr recht daran erinnern. "Ganz recht, das wäre ein lustiger Zufall", entgegnete sie und blickte verlegen zur Seite, als er auf ihr Erscheinungsbild zu sprechen kam. "Wenn es der Fall war, so kann ich mich nicht erinnern. Allerdings ist mein letzter unbeschwerter Aufenthalt in Spanien auch schon ein Weilchen her. Zuletzt pflegte ich meine Tante, da war nicht viel Zeit, um die Stadt mit all ihren Vorzügen zu genießen." Kurz dachte sie an Tante Sagitta zurück und seufzte leise, dann folgte sie mit dem Blick der Geste des Flaviers, der auf den Tempel des Mars deutete. "Sehr gern", sagte sie und setzte sich in Bewegung. "Dann bist du also ein Marspriester? Marcus erzählte mir, dass viele Flavier als Sacerdotes tätig seien. Ein wichtiges Amt, dessen Bedeutsamkeit von vielen leider unterschätzt wird", plauderte sie. Nordwin und die anderen Sklaven folgten ihr in einigem Abstand.

    Epicharis staunte nicht schlecht. So ein junges Mädchen, und sie klang schon sehr erfahren und reif. Die Situation kam ihr zunehmend gruseliger vor. Verstohlen warf sie Aristides einen Blick aus den Augenwinkeln zu. Die Priesterin schnüffelte an dem Weihrauch herum und zauberte ganz plötzlich eine Wachstafel samt Griffel hervor. Auch der Mann an ihrer Seite schien leicht angespannt. Doch so ängstlich Epicharis auch war, so aufgeregt und abenteuerlustig war sie, was dieses Unternehmen anging. Nun fand ihre kleine Hand doch den Weg in jene ihres Verlobten, und zwar ganz von selbst. Die Claudierin machte einen halben Schritt nach vorn und räusperte den Frosch in ihrem Hals fort, denn er fühlte sich eher wie eine dicke, schleimige Kröte an. Es folgte eine eindringliche Warnung der Priesterin an das Pärchen, und Epicharis warf Aristides einen Blick zu. Jetzt wurde es spannend! Sollten sie das Orakel fragen, ob sie hübsche Kinder bekommen würden? Damit täten sie es austricksen, denn wenn es mit einem Ja antwortete, war raus, dass Aristides Epicharis ehelichen würde. Wenn es aber nein sagen würde, so wäre nicht klar, ob nur die Kinder hässlich oder gar die Ehe nicht zu Stande kommen würde. Unschick nagte Epicharis an ihrer Unterlippe, und unterließ es sofort, als sie es merkte. Vielleicht sollte sie auch fragen, ob er wirklich so charmant und zuvorkommend war - oder ob er sich nur so gab, um sie zu umgarnen? Aristides jedoch wirkte nun vollkommen gefasst und souverän, als er die Frage formulierte. Zufrieden vernahm sie seine Worte, sie hätte die Frage, die eigentlich aus vielen kleinen Fragen bestand, nicht besser formulieren können. Als er sie ansah, lächelte sie ihm kurz zu; seine Hand zu drücken erschien ihr dann doch zu viel für den Moment. Dann sah sie die Priesterin erwartungsvoll an, wie sie eifrig auf der Tafel kritzelte. Nun hieß es wohl warten.

    Epicharis hatte einige Anläufe gebraucht, bis der Brief an Aristides schließlich soweit in Ordnung war, dass sie ihn so senden wollte. Sie ließ Nordwin bereits vor dem Siegeln ausrichten, dass sie Dexter als Boten einsetzen wollte, um einen wichtigen Brief schnellstmöglich und persönlich nach Mantua überbringen zu lassen. Nun begab sie sich mit der gesiegelten Schriftrolle ins Atrium, übergab diese dem jungen Sklaven und richtete einige letzte Anweisungen an ihn. Dann verschwanden sowohl Dexter als auch Epicharis.