Epicharis sah es ähnlich wie Aristides. Zuerst war kaum jemand da, dann schließlich schienen alle auf einmal zu kommen. Das war ja keinesfalls schlecht, nur eben insofern ungünstig, dass man nach einer Begrüßung schon direkt weiterziehen musste, um den nächsten Gast nicht zu lange warten zu lassen. Doch nachdem die Begrüßungen vorbei sein würden, wäre alles ungezwungener und entspannter. Epicharis fand sich zudem heute zum allerersten Mal in der Rolle der Mit-Gastgeberin wieder, und somit wurde einfach erwartet, dass sie sich natürlich auch um die Gäste kümmerte. Von den Gedanken ihres Verlobten konnte sie freilich nichts wissen, ebenso wenig von seinem bisherigen Neigungen, die Frauen betreffend, doch dies war in einer patrizischen Ehe wohl auch eher Nebensache. Dennoch, Epicharis würde gewiss mit einiger Abscheu reagieren, wenn sie jemals erfahren musste, dass ihr Gatte die Nähe einer Lupa oder gar einer anderen Frau suchen würde, weil er mit ihr nicht zufrieden war. Was Aristides mit der Offenbarung durch die Götter meinte, konnte sie nicht erahnen, schien dies doch eine Art geheimes Schlagwort zu sein, welches nur Gracchus und sein Vetter im Zusammenhang verstanden.
Von Durus sah Epicharis wieder zurück zu Aristides, der den Tiberier auch bereits entdeckt hatte und sogleich entsprechende Worte an seinen Vetter richtete. Sie empfand seine legere Art als recht angenehm, und noch ehe er sich versah, legte sie ihm die Hand auf den Unterarm und verabschiedete sich fürs Erste von Gracchus, den sie, wie sie sich vornahm, im Auge behalten würde, erschien er ihr doch recht suspekt. Denn im ersten Eindruck wirkte er sowohl zuvorkommend als auch freundlich, und Epicharis hätte ihm seine so schmeichelnden Worte ohne weiteres geglaubt - wäre da nicht das Wissen um die selten lächelnde Antonia gewesen. Epicharis war sich sicher, dass er das Spiel, welches sie Antonia geschenkt hatte, damit sie und Gracchus es gemeinsam spielen konnten, noch nie angerührt, geschweige denn gesehen hatte. Mit einem herzlichen Lächeln nahm sie jedoch an Aristides' Seite die Glückwünsche entgegen, die Gracchus aussprach. "Hab Dank, Flavius Gracchus. Wir werden gewiss später noch Zeit zum Plausch haben." An Aristides' Seite schritt sie nun also Durus entgegen, an dessen Name sie sich Dank des guten Namengedächtnisses problemlos erinnern konnte. Nur kurz schweifte ihr Blick wieder zurück zu dem inzwischen leeren Platz an der Säule, bei der sie vor Kurzem noch einen Schatten gewahrt hatte. Es musste wohl doch eine Illusion gewesen sein. Aristides begrüßte Durus, und auch Epicharis hieß ihn willkommen. "Senator, auch mich freut es, dich so bald nach dem Bankett wiederzusehen." Einen Moment später huschte ihr Blick zu Aquilius, den sie bereits durch einen ebenso amüsanten wie interessanten Zwischenfall kennengelernt hatte. Er stand bei Dolabella, die augenscheinlich wieder zurück aus Germanien war. Epicharis verspürte den Wunsch, zu ihr zu eilen und sie zu begrüßen, doch zog in jenem Moment das Mädchen an Aquilius' Seite ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich. Sie wurde zwar teilweise von ihm verdeckt, doch war ihre Schlichtheit und die leicht deplacierte Aufmachung deutlich genug zu erkennen. Sie fragte sich, welch unglückliche Umstände wohl zu einer Ehe des Flaviers mit diesem Mädchen geführt haben mussten. Das Haar hing unschön herab und sie schien nicht gerade begeistert davon, heute hier zu sein. Irritiert blickte sie zu Aristides, der gerade einen recht affablen Ausspruch machte und damit wieder einmal bewies, dass er nicht allzu viel Wert auf adäquate Konversation legte. Bei Epicharis äußerte sich dies darin, dass sie verhalten schmunzelte und anschließend wieder zu Aquilius und diesem Mädchen blickte, wer auch immer sie war. Doch kurz darauf wurde ihr die Sicht auf das Grüppchen versperrt, denn ihr Vater trat dazwischen. Epicharis lächelte ihm liebevoll zu, löste sich jedoch immer noch nicht von Aristides, da dieser ohnehin gerade Vesuvianus gewahrte und auf ihn zu schritt, um ihn zu begrüßen. Es folgte eine kleine Unterhaltung über Politik, der Epicharis kaum etwas abgewinnen konnte, da sie von den Plänen ihres Vaters bereits unterrichtet war und sie - gelinde gesagt - nicht guthieß. Wer sorgte sich schon gern um einen Verlobten im Krieg und zusätzlich noch um einen Vater in Germanien? Zumal sich Epicharis beinahe sicher war, dass er sie gewiss nicht mitnehmen und ihr das rauhe Land im Norden zeigen wollte, auch wenn Deandra gehen durfte und auch Prisca fern von Rom in Tarraco weilte.
Glücklicherweise wurden Epicharis' Gedanken und damit auch ihr Blick nun aber auf ein weitaus angenehmeres Bild gelenkt, denn Antonia betrat den Säulengang und gleich darauf auch Leontia, die wie bei ihrem letzten Aufeinandertreffen in eine makellose Tunika gewandet war und mehr denn blenden aussah. Auch Antonia schien wirklich ernsthaftig erfreut zu sein, und so wandte sich Epicharis schnell an Aristides und seine Gesprächspartner, um gewinnend zu lächeln. "Entschuldigt mich bitte einen Augenblick, ich bin gleich wieder da", sagte sie und wandte sich einen Moment von den Männern ab. Leontia war zuerst heran und ergriff Epicharis' Hände in einer gar vertrauten Geste, die Epicharis mehr als alles das Gefühl gab, aufs herzlichste Willkommen geheißen zu werden. Die Claudierin lächelte und zeigte dabei fröhlich die geweißten Zähne, ihrerseits das herzige Drücken der Hände erwidernd. "Leontia, ich freue mich sehr, dich wiederzusehen! Gewiss hätte auch ich diese Umstände nicht erwartet, doch umso schöner ist der Anlass, findest du nicht? Deine Tunika ist wahrhaft ein Traum, dieses Blau ist einfach magnifik! Vielen lieben Dank für deine Wünsche. Wir werden hoffentlich gut miteinander auskommen", erwiderte Epicharis herzlich und meinte jedes der Worte vollkommen Ernst. Sie erinnerte sich noch recht gut an den Bummel über den Markt, bei dem sich Leontia als durch und durch modebewusste und luxusorientierte Einkäuferin, wie Epicharis selbst eine war, herausgestellt hatte. Nur wenig später wandte sich Epicharis auch an Antonia, die eben dazugetreten war. Ehe diese sich versah, hatte Epicharis ihre Großcousine auch schon umarmt, beinahe mochte man es ungestüm nennen, doch für Epicharis waren damit die wichtigsten der Gäste anwesend, was gewiss nicht heißen sollte, dass die anderen unwichtig oder gar nichtig waren. Doch zu Leontia hatte sie nicht zuletzt durch den wunderschönen Nachmittag (nach welchem die Fuße eine eingehende Massage benötigt hatten) eine besondere Beziehung, und Antonia gehörte außerdem zur Familie und damit war schon alles gesagt. "Ach Antonia, ich freue mich sehr, dass du da bist. Ja, es ist beinahe amüsant zu nennen, bald wieder in der gleichen Villa beherbergt zu sein, nicht wahr?" sagte sie lachend, nachdem sie die Cousine wieder aus ihren Armen entlassen hatte.
Sklaven wuselten bereits emsig durch das Peristyl, doch es fehlten freilich noch einige Gäste, weswegen das Mahl noch etwas auf sich warten lassen würde. "Oh, welch hübsches Schmuckstück", entfuhr es Epicharis nun, und sie wies auf die Bernsteinkette um Antonias hübschen Hals. Da fiel ihr ein, dass sie den beiden den Verlobungsring noch gar nicht gezeigt hatte, und so hob sie, aufgeregt wie ein kleines Kind, die Hand und ließ den verschlungenen, gold und silber durchwirkten und in den Zwischenräumen mit feinen Perlchen besetzten Ring im Licht der Fackeln aufblitzen. Die Gemme aus Elfenbein schimmerte matt und zeigte ein glückbringendes Symbol. "Schaut einmal! Ist er nicht wunderschön?" begeisterte sie sich für Aristides' exquisiten Geschmack, was Schmuck betraf.
In jenem Moment traten zwei Sklaven hinzu, die Epicharis' Aufmerksamkeit auf sich zogen, da sie nicht höflich und zuvorkommend herumwuselten, sondern jeder mit etwas in den Händen, das von einem Tuch verdeckt wurde, auf Aristides und sie zu kamen und sich dabei ängstlich umsahen. Augenblicklich warf sie ihrem Verlobten einen alarmierten wie besorgten Blick zu. Hatte dies vielleicht etwas mit der Nachricht zu tun, die ihn vorhin ereilt hatte? Die beiden blieben vor dem Paar stehen und rezitierten jemanden, den Epicharis recht schnell als Serenus identifizierte, nicht zuletzt wegen der Worte. Zuerst erschrocken starrte Epicharis die Totenmaske an, dann blickte sie ehrlich berührt und etwas bedrückt zur Seite - immerhin ging es wohl um Aristides' erste Ehefrau, von der Epicharis nichts wusste. Doch die Worte des zweiten Sklaven drangen nur zu gut in ihre Ohren, und so wandte sie den Blick abermals zum Ort des Geschehens. Sie verdaute noch die harschen Worte des Jungen, die der Sklave so dreist vor der gesamten Öffentlichkeit ausrichtete - Epicharis hätte ihn allein deswegen schon als Kreuz schlagen lassen - da zog der Sklave das Tuch herunter und hervor kam eine tote Ratte.
Epicharis sog erschrocken die Luft ein, eine ungemütliche Stille breitete sich aus und sogar die Musiker verstummten vereinzelt. Die Claudierin griff sich fassungslos in einer Geste an die Brust und starrte das tote Vieh an, das seitlich auf der silbernen Platte lag und sie in grässlicher Manier anstarrte, die kleinen Klauen wie zum Anprangern erhoben. Epicharis schluckte und tastete nach Antonias Hand, um sie in ihrer Bestürzung zu drücken. Was würde nun geschehen? Zögerlich warf sie einen Blick zu Aristides und anschließend zu Vesuvianus, ehe sie den Blick gen Boden senkte. So viel zu dem herzlichen Willkommen, welches Aquilius ihr versichert hatte.