Beiträge von Flavia Epicharis

    Sie wusste nicht, ob sie lachen und erschrocken sein sollte. War denn das einfache Wachs einer Kerze alles, was Dolabella zu opfern gedachte? Epicharis blickte sie prüfend an, während sie vor dem Schrein kniete und stumm betete. Dolabella schien ganz in dem Glauben zu sein, ihr Tun wäre angemessen. Epicharis überlegte, was sie nun tun sollte. Sie wollte ihre entfernte Cousine nicht auf offener Straße zurechtweisen. Vermutlich verschüchterte sie das gar so sehr, dass sie nicht mehr opfern wollte. Also entschloss sich Epicharis dafür, Dolabella stumm zu zeigen, wie man Mercurius richtig opferte, damit Dolabella es sich abschauen und lernen konnte..


    So kniete sie sich neben Dolabella und fischte den Opferkuchen aus dem mitgebrachten Korb. Sorgsam stellte sie ihn neben Dolabellas Kerze und die Glutschale aus Weihrauch.


    "Mercurius, wir danken dir dafür, dass du Dolabella sicher heim geleitet hast, auch wenn ihre Reise sicherlich nicht zum besten Zeitpunkt und in angemessener Weise erfolgte", sagte Epicharis leise und ehrfürchtig. Sie griff nach den Opferkeksen und legte sie zum Kuchen. Normalerweise hätte man die Gaben verbrannt, doch war dies an einem Schrein nicht möglich. Dolabella schenkte sie ein Lächeln und deutete auf die restlichen Kekse im Korb, die aus Spelz und Dinkel gebacken waren. Sie selbst entnahm dem Korb die kleine Amphore guten Weines und stellte sie auf den schmalen Tisch. Für die Lorbeeren war kaum noch Platz, aber Epicharis legte sie einfach auf Kuchen und Kekse, senkte anschließend den Kopf.


    "Großer Mercurius, nimm diese Gaben zum Dank für die Begleitung an, mit der du meine Großnichte beschenktest", sagte Epicharis und linste aus halb geschlossenen Augen zu Dolabella hinüber um zu sehen, was sie gerade tat.

    Ihre Lippen kräuselten sich zu einem Schmunzeln bei der Bemerkung des Octaviers. Sie verstand durchaus, was er mit seinen Worten meinte, immerhin war sie nicht auf den Kopf gefallen. Einer der Umstände für die Vorurteile der Plebejer den Patriziern gegenüber, so glaubte sie, resultierte aus dem tief verwurzelten Neid einiger Plebejer. Sie wollte den Octavier nicht ankreiden und mit diesen Menschen zusammen in einen Topf stecken, und doch ertappte sie sich dabei, wie sie den Kopf schüttelte, als er von einer Tätigkeit sprach.


    "Ich vermag nicht zu sagen, was ein Plebejer über eine Patrizierin denken mag, doch ich bin davon überzeugt, dass eine Patrizierin zu ihrer Familie stehen sollte, dass sie ihren Manne stärken und kräftigen sollte. Die einzige Tätigkeit von Ehre wäre der Dienst im Vestatempel, doch dies ist nicht der Grund, aus dem ich grübelnd durch den Morgen wandle. Es ist vielmehr die Entscheidung, ob ich dazu geboren bin, Vesta zu dienen, oder aber meiner Familie einen Erben zu schenken, Octavius Victor", sagte sie bestimmt, aber nicht hochtrabend, sondern vielmehr erklärend. Sie konnte schließlich nicht ahnen, wie der Otavier selbst zu Patriziern stand. Epicharis seufzte und bemerkte die versteckte Stichelei des Senators nicht. Zu schwer wogen die Probleme, die ihr Leben ihr derzeit bereitete. Sie dachte an das Bankett, dass sie um ihres Vaters Willen organisieren sollte, damit er sich ein Bild über die potentiellen patrizischen Ehemänner machen konnte. Ein Blick hin zu dem Ocatvier veranlasste sie jedoch erneut zu einem Lächeln.


    "Aber reden wir nicht mehr davon, es ist müßig. Früher oder später werde ich Gewissheit erlangen. Vorhin sprachst du von den Problemen Roms. Gewiss gibt es in einer Stadt dieser größe mehr Probleme als in kleinren Städten, doch sind Diebstähle und Steitigkeiten nicht etwas alltägliches in jeder Stadt? In meiner Zeit in Tarraco gab es viele solcher Zwischenfälle, und auch in Mantua soll es Verbrechen geben. Ich denke, dass die Anzahl der kriminellen Aktivitäten mit einer Stadt wächst."

    Nachdem ein Sklave ihr vom Eintreffen des Aurelius Corvinus berichtet hatte, war Epicharis die Treppe herunter gekommen. Sie hörte Deandras Stimme und die des Gastes, noch ehe sie am Zielort ankam. Bald darauf trat sie ins Triclinium und ging auf Deandra und Corvinus zu.


    "Aurelius Corvinus, ich freue mich, dass du der Einladung folgen konntest und heiße dich in der Villa Claudia herzlich willkommen", sagte Epicharis und lächelte einnehmend. Deandra hatte nicht übertrieben, er sah wirklich sehr gut aus, wie Epicharis feststellen musste. Sie trug eine dunkelgrüne Tunika, die von silbernen Fibeln auf den Schultern gehalten wurde, dazu zwei kostbare Armreifen mit eingefasstem Malachit am linken Arm. Im hochfrisierten Haar steckten kleine Perlen und ihren Hals zierte eine Kette, auf der sich Malachit und Perlen abwechselten.


    "Setzt euch doch bitte. Deandra hat mir schon viel von dir erzählt. Du siehst ganz so aus, wie sie dich mir beschrieben hat", sagte sie und nahm selbst in einem der Korbsessel Platz. Das stimmte zwar so nicht, denn beschrieben hatte Deandra ihren ehemailgen Bruder nicht, aber es schadete schließlich nicht, wenn man das Gespräch mit einem ernst gemeinten Kompliment begann. Epicharis blickte zu Deandra. Täuschte sie sich oder schien sie nervös?

    So schnell, wie man die Seite eines Buches herumschlagen konnte, so schnell wechselte ihr Vater nun das Thema. Epicharis kannte das von ihm. Das tat er, wenn er nicht näher darauf eingehen wollte. Sie fand zwar, dass es eine recht rabiate Art und Weise war, dies zu verdeutlichen, akzeptierte den Einfluss des Militärs auf das Wesen ihres Vaters aber. Etwas anderes wäre ihr auch gar nicht übrig geblieben, bei näherer Betrachtung. Sie atmete tief durch und führte sich vor Augen, was diese Worte für Prisca, Deandra und sie bedeuteten. Vesuvianus hatte allem Anschein nach für mindestens zwei seiner drei Töchter Pläne im Auge, und Epicharis sollte nun helfen, diese Pläne zu präzisieren, indem sie ein Fest organisierte, zu dem neben der Familie auch alleinstehende Patrizier eingeladen werden sollten. Sie schwieg und spielte scheinbar gedankenverloren mit dem Weinbecher, ganz auf das Spiel ihrer Finger bedacht, und doch zugleich ihrem Vater konzentriert zuhörend. Dann schwieg er und sie hob den Kopf, um ihn zu betrachten. Er blickte sie nicht an, was für Epicharis erneut ein Zeichen war, dass diese Entscheidung unwiderruflich war. Sie überlegte eine Weile, dabei in den Becher starrend.


    "Wie viel Geld steht mir für den Einkauf zur Verfügung?" fragte sie schließlich. Sie konnte gut handeln und würde vermutlich weit unter dem Kontingent bleiben, das Vesuvianus ihr zur Verfügung stellen würde, trotzdem fragte sie besser, ehe sie mehr ausgab, als er eingeplant hatte.

    "Und für wann soll ich die Gäste laden?"

    Interessiert und neugierig linste Epicharis über Deandras Schulter, somit einen gewissen Sicherheitsabstand wahrend und sich hinter der Älteren versteckend. Als sie das zusammengefaltete und ziemlich vergilbte Stück Pergament fanden, sog Epicharis die Luft durch die Zähne hindurch ein. Erstaunt griff sie danach, doch leider zu spät. Staubige Seiten waren durch Deandras Finger geglitten und hatten die Stelle verdeckt, an der sich das Geheimnis verbarg. Ihr Herz klopfte bist zum Hals, als Deandra Seite um Seite zurückblätterte. Unbewusst senkte sie die Stimme zum Flüstern ab.


    "Meinst du, das sind verbotene Aufzeichnungen eines Claudiers?" fragte sie Deandra und sah sie bedeutungsvoll an. Vielleicht war es sogar ihr Vater gewesen, der die Seite markiert oder Notizen hier vergessen hatte. Würde sie hier etwas über ihre Mutter erfahren, an die sich Epicharis kaum mehr erinnerte? Mit vor Aufregung klammen Fingern rutschte sie näher an Deandra heran, als plötzlich die Tür aufflog. Epicharis zuckte erschrocken zusammen und schlug eine Hand vor den Mund, um den Aufschrei zu verhindern. der Sklave Deandras kam herein, und sie regelte auch sogleich diese Angelegenheit. Epicharis blieb Zeit, ihren Herzschlag zu beruhigen und das Adrenalin niederzukämpfen. Dennoch stand sie ertappt und errötet vor dem inzwischen zugeschlagenen Buch. Sie wartete. bis Deandra den Sklaven wieder hinaus schicken würde, damit sie diesen kleinen Zettel aus dem Buch fischen und lesen konnten. Die Ergründung des Kinderkriegens war mit einem Mal eher nebensächlich geworden. Sie fühlte sich, als nähme sie selbst an einer Expedition teil, die aufbrach, umd verloren gegangenes Gut der Götter zu finden.

    "Ich wäre gern einmal dort gewesen. Erzähl doch etwas von Griechenland", bat Epicharis Dolabella, während sie dem Schrein stetig näher rückten. Dann waren sie auch bald an dem Schrein der Mercurius angelangt und Epicharis stellte den Korb ab. Sie öffnete die reichlich verzierte Klappe auf Brusthöhe und zog eine Art Lade heraus. In einem kleinen Behältnis waren einige wenige vetkrocknete Fäden Weihrauch und Holzstäbchen zu finden. Epicharis griff nach einem dieser Glimmhölzer und entfündete es an der kleinen Feuerschale, die stets neben dem Schrein brannte. Stumm brachte sie den Weihrauch zum glimmen, sodass bald wenige weiße Schwaden aufstiegen, als die Weihrauchfäden knisternd zusammenschrumpelten. Epicharis trat zurück und sah zu Dolabella.
    "Du kannst loslegen", sagte sie sanft. Sie war sich sicher, dass der Gott ihnen nun Aufmerksamkeit schenken würde.

    Epicharis überlegte eine Weile.
    "Hmmmm", machte sie schließlich.
    "Eigentlich hast du recht. Wir müssen nur aufpassen, dass uns keiner erwischt.


    Zusammen mit Deandra stand sie plötzlich auf den Füßen, und sie verließen in gemeinsamem Einverständnis und gleichwie Aufregung das Zimmer der Claudia, um der Bibliothek entgegenzustreben.

    Um die Geheimnisse der Schriften des Ovids zu ergründen, fanden Deandra und Epicharis sich also in der claudischen Bibliothek ein. Nordwin, dessen Schritte Epicharis' Weg zufällig gekreuzt hatten, bekam den Auftrag, niemanden in den Wissensraum hineinzulassen, immerhin schickte es sich in keinster Weise für eine Patrizierin, in den Lehren des Ovids den Geheimnissen des Geschlechtsverkehrs auf den Grund zu gehen.


    Gerade zog Epicharis sich einen Sessel heran und stieg nach oben, sich an Deandras Schulter festhaltend. Gesucht hatte sie nicht, denn sie wusste, wo die Ars Amatoria standen, wenngleich sie sich auch noch nie getraut hatte, sie aus dem Regal zu ziehen und die Staubschicht verräterisch zu durchbrechen. Die Angst, unliebsame Fragen zu beantworten, war stets stärker als die Neugier gewesen. Jetzt aber hatte Deandra mit ihren Fragen dafür gesorgt, dass Epicharis' Neugier wieder angewachsen war. Und zu zweit war man sowieso immer mutiger als allein.


    Bald hatten ihre schlanken Finger das schwere Buch gefunden und zogen es aus dem Regal, zusammen mit vielen tausend Staubkörnern. Epicharis musste niesen und reichte Deandra das schwere Werk, stieg dann schnell vom Stuhl und ging zu ihrer Schwester.


    "Vielleicht sind da auch Abbildungen drin", flüsterte sie, während sie über Deandras Schulter spähte. Hoffentlich ertappte sie niemand bei dem, was sie hier taten...

    Epicharis sah verlegen zur Seite, als ihr Onkel sie mit bewundernden Blicken und Komplimenten überhäufte. Natürlich hörte sie so etwas gern, schließlich war sie eine Frau. Bei der Aufforderung, sich einer eingehenderen Musterung zu unterziehen, breitete sie die Arme aus, blieb aber sitzen.


    "Ja, ich bin es. Etwas größer und hoffentlich auch schlauer als bei unserem letzten Treffen, aber immer noch deine Nichte", sagte sie und zwinkerte Vitulus lächelnd zu. Sie folgte seiner Erscheinung mit den Augen und stellte fest, dass er nicht mehr der Onkel war, der streng auf Disziplin achtete, wie er es in der Legion getan hatte. Vitulus kam ihr etwas fülliger vor, aber vielleicht erinnerte sie sich auch nur schlecht an den Onkel, der er vor Jahren gewesen war. Nach dem Grund für den Ausstieg aus dem Militär zu fragen, traute sie sich nicht. Wenn er es für nötig erachtete, würde er ihn ihr auch so offenbaren. Das Wort "zurückgezogen" machte sie etwas skeptisch. Vesuvianus hatte etwas derartiges erwähnt, aber sie hatte sich keinen Reim darauf machen können. Nun konnte sie es, und es gefiel ihr nicht. Eine grüblerische Falte bildete sich auf ihrer Stirn, die jedoch bald abgelöst wurde vom Überraschen auf ihrem Gesicht.


    "Du schreibst die Geschichte der Gens nieder? Das ist eine wundervolle Idee. Da bin ich mir sicher, dass es kein anderer besser könnte als du es vermagst, Onkel! Aber sag mir doch, warum lebst du zurückgezogen? Hast du denn keine Pläne für die Zukunft oder ist gar die Legion daran schuld, dass du niemanden mehr sehen magst?" fragte sie ihn forschend. Alles war akzeptabel, aber nicht, dass ein so großer Mann in der Geschichte der Claudier zurückgezogen und allein lebte, vielleicht in der Annahme, dass sich keiner mehr um ihn scherte. Epicharis wollte ihn erst gar nicht den Eindruck bekommen lassen, dass keiner sich mehr für ihn interessierte, daher fügte sie noch folgendes an, auch wenn es nur indirekt stimmte.


    "Vater hat nach dir gefragt, er würde dich gern mal wieder sehen."


    Dabei beobachtete sie seine Reaktion. Vielleicht hatte er sich ja mit jemandem zerstritten, was nicht wünschenswert, aber dennoch eine Begründung sein konnte. Ihr Blick fiel auf das Spielbrett, welches sie auf dem Schreibtisch abgelegt hatte, aber sie entschied, dass dies kein günstiger Moment war, um lustige Spiele zu spielen.


    "Mich freut es auch, Onkel Vitulus. Ich habe dich sehr vermisst, als ich in Tarraco bei Tante Sagitta war. Nach Rom führt mich eigentlich nur die Sehnsucht nach euch allen. Ich habe gehört, dass Marcellus auch wieder in Rom ist, und Prisca natürlich. Die Villa in Mantua ist oft recht leer, kaum etwas ist los, auch wenn ich nun eine neue Schwester habe, Deandra Aureliana. Aber dadurch, dass sie oft unterwegs und Vater ständig im Kastell ist, sitze ich zu oft allein zu Hause. Ich habe mich mit Vater darauf geeinigt, eine Weile in Rom zu verweilen und dann wieder eine Zeit lang in Mantua zu wohnen. Auf diese Weise kann ich euch alle in regelmäßigen Abständen sehen."


    Epicharis lächelte und war wieder einmal in die Rolle der kleinen Nichte verfallen, ohne es selbst zu merken.

    Wo das Feilschen etwas war, das andere einem Sklaven überließen, so tat es die Claudia stets selbst, da sie dabei die größeren Erfolge erzielte als Nordwin oder eine der Sklavinnen der Gens. Außerdem bereitete es ihr Freude, redegewandt einen Händler herunterzuhandeln. Augenscheinlich gelang ihr das nun auch wieder, natürlich unterstützt von dem altgedienten Soldaten, der sie begleitete. Sie musste verwegen Schmunzeln, als der Händler "meine Damen" sagte und somit den Tiberier gewollt oder ungewollt diskreditierte, doch es war nicht ihre Aufgabe, ihn deswegen zurechtzuweisen. Was allerdings ihre Aufgabe war, war die Wahrnehmung des Angebots, das der Händler nun machte. Epicharis wusste um die Masche mancher Händler, sich selbst als arme Schlucker darzustellen, um den Kunden Milde und Güte zu entlocken. Vielleicht war dies ein Grund dafür, dass die Claudierin entgegen ihres Wesens bei Händlern eine Ausnahme machte, was Milde und Nachsicht betraf. Sie musterte den Gegenstand ihrer Begierde noch einmal genauer und sagte dann in einem Ton, der ihre definitive Meinung ausdrückte:
    "Nun gut. Sagen wir zweihundertundachtzig, inklusive einer Tunika Intima."


    Fragend betrachtete sie den Händler. Wenn er darauf einging, wäre es ein wirklich gutes Geschäft, das sie (und vermutlich auch der Händler) gemacht hatte. Allerdings würde es dann bei dieser einzigen Tunika bleiben und keine weiteren würden folgen.

    Epicharis hoffte natürlich auch, dass Antonia sich freuen würde. Wenn es sich irgendwie einrichten ließ, würde sie die Großcousine irgendwie dazu bringen, das Spiel gleich mit ihr auszuprobieren. Fürs erste aber sah sie ihren Vater an, wie er sich an Hühnerschenkeln gütlich tat und sie nebenbei nach Iulianus ausfragte. Die junge Claudierin antwortete nach einem kurzen Zögern, denn sie fragte sich, ob Iulianus irgendetwas angestellt hatte, womit er die Geringschätzung oder Missbilligung ihres Vaters auf sich gelenkt hatte.


    "Er erzählte von seinem Werdegang. Ich fragte ihn auch nach den Absichten, die er für die Zukunft hegt, aber hierauf hat er nicht konkret geantwortet. Als er von seiner Zeit als Pontifex sprach, hatte ich den Eindruck, er sei der Meinung, die Götter hätten sich gegen ihn gestellt. Ansonsten waren es eher Ansichten und Meinungen, die wir austauschten. Er entschuldigte sich bald darauf und ließ Prisca und mich allein."


    Kurz überlegte Epicharis, ob sie ebenfalls Priscas Entscheidung bezüglich des Dienstes als Priesterin erwähnen sollte, ließ es dann aber bleiben. Das war ganz die Sache ihrer Schwester und sie wollte ihr nichts vorwegnehmen. Prisca sollte es ihm selbst sagen können, sofern er es nicht ohnehin schon wusste. Weil die Oliven die Claudierin so derart einnehmend anlächelte, ließ sie eine zwischen ihren Lippen verschwinden und kaute bedächtig auf ihr herum.

    Zuerst erwiderte Epicharis nichts darauf, sondern beobachtete Dolabella verstohlen von der Seite her. Der Ton in ihrer Stimme verriet, dass sie sich wirklich grämte, und die Claudierin wollte lediglich sehen, ob sie es auch wirklich so meinte. Dolabella schien nachdenklich und ernsthaft zerknirscht, sodass Epicharis schließlich sprach.


    "Ja, das solltest du wirklich. Aber ich kann dir versichern, dass jeder früher oder später Fehler macht und sie nicht einmal gleich bemerkt. Als ich oft bei Tante Sagitta in Tarraco Ferien gemacht habe, sind mir eine ganze Reihe Fehler unterlaufen", erzählte sie, um Dolabellas schlechtes Gewissen zumindest etwas zu mindern.


    "Man hat mich beispielsweise in der Öffentlichkeit auf einem Pferd gesehen. Das mag sich für eine Plebejerin schicken, aber ganz bestimmt nicht für eine Patrizierin. Jetzt weiß ich es, damals wusste ich es nicht. Und das war bei weitem nicht das einzige. Als kleines Mädchen habe ich mich mit den spanischen Kindern sogar geprügelt..."


    Das stimmt zwar nur halb, weil die meisten Jungs gehörigen Respekt vor ihr gehabt hatten, aber es schadete nichts, wenn sie es Dolabella so erzählte. Sie schmunzelte in Erinnerung daran, blickte aber dabei geradeaus und wies auf einmal nach vorn, wo in der Entfernung der Schrein zu erkennen war.
    "Ha, sieh mal, wir sind fast da."

    Ich habe gestern bis um 19h gearbeitet und bin danach noch einkaufen gefahren. Das war zwar mit einigen Problemen verbunden, ging aber dennoch glatt. Allerdings wollte mein Auto heute morgen nicht mehr anspringen.


    Bei uns ist ein Radiosender schlagartig ausgefallen und eine alte Kastanie auf dem Nachbargrundstück wurde entwurzelt, ist aber zum Glück nicht auf das Wohnhaus gefallen. Das wäre wirklich unschön gewesen. Den gestrigen Abend hab ich dann vor dem Fernseher verbracht, eingewickelt in eine Decke und mit einem heißen Kakao mit Schuss, während es draußen gestürmt und geregnet hat.


    Heute früh ist der komplette Mitarbeiterparkplatz der Firma überschwemmt. Die parken nun alle bei Rewe, Herkules und Aldi gegenüber und die Einkäufer bekommen keinen Parkplatz. :D

    Epicharis lächelte freundlich, während der Mann den beiden Claudiern den Weg erklärte und dabei in Gedanken die Abzweigungen durchging, schließlich die Größe des Schreines andeuten wollte. Mit keiner Miene zeigte sie, dass die Erscheinung des Alten ihr vor Augen führte, wie vergänglich Menschen doch waren und dass niemand ewig lebte. Im Gegenteil, ihr Ausdruck zeigte Güte und Dankbarkeit, als sie den Kopf neigte.


    "Hab Dank, Sacerdos. Mögen die Götter stets über dich wachen", sagte sie, ehe sie sich gemächlich Dolabella zuwandte. "Komm", sagte sie sanft und setzte sich mit dem Korb über dem Arm in Bewegung, um den Tempel zu verlassen. Sie war sich vollkommen dessen bewusst, dass Dolabella sie beobachtete, und versuchte daher, als gutes Beispiel voranzugehen.


    Kaum hatten sie den Tempel der Minerva verlassen, folgten sie der Wegbeschreibung des alten Mannes. Epicharis hoffte, dass sich der Priester nicht vertan hatte und sie sicher ankamen, denn Dolabella wollte schließlich weiterpacken und nach Rom reisen. Aber das hier war nun wichtiger, das musste sie einfach einsehen.


    "Hast du wenigstens einen Zettel dagelassen oder später einen Brief geschickt, nachdem du weggelaufen bist?" fragte sie die Jüngere.

    Sim-Off:

    Entschuldige, ich habe deinen Hund mit dem von Arrecina verwechselt, und das war laut Bild im Saturnalien-Thema definitv ein schwarzer Labrador Retriever. Über Mastinos weiß ich Bescheid, es stand eben nur nirgends die Rasse hier. ;)


    Epicharis musste grinsen, aber da dies in dieser Situation und vor allem bei Antonias Schelte gänzlich unpassend war, hob sie ihre Rechte vor die Lippen und suchte so ihren Gesichtsausdruck etwas zu mindern. Bei der Vorstellung seitens ihrer Verwandten nickte Epicharis dann, nun nicht mehr grinsend, und sagte höflich:
    "Ich freue mich, dich kennen zu lernen, Flavius Serenus."


    Dem Hund schenkte sie lieber keine Beachtung mehr, er knurrte ohnehin nur noch bedrohlich und machte nicht gerade Anstalten, erneut gestreichelt werden zu wollen, es sei denn, sein Herrchen würde ihn streicheln. Die Erwähnung von Flavius Flexis als mächtigsten Senator Roms ließ Epicharis erneut schmunzeln, doch sie sagte nichts. Sein Vater, dessen war sie sich sicher, würde erheblichen Spaß mit diesem Früchtchen von Sohn haben. Epicharis nahm sich vor, selbst besser auf ihre Kinder acht zu geben, sollte sie sich nicht für den Beitritt in den Vestakult entscheiden. Serenus war zwar weder verwahrlost noch dumm, sondern genau das Gegenteil, aber auf seine eigene Weise war er doch ein ziemlich unerzogener Junge, denn er log, ohne ein Wässerchen trüben zu können, und war für sein Alter dermaßen Schlagfertig, dass sich die Claudierin durchaus vorstellen konnte, ihn dereinst auf der Rostra große Reden schwingen zu hören.


    Antonias Frage beantwortete sie mit einem milden Lächeln.
    "Ich denke, ein Besuch auf dem Forum dürfte seinem jugendlichen Ungestüm etwas Einhalt gebieten. Außerdem tut es dir gewiss auch gut, wieder einmal etwas zu unternehmen. Ich würde also vorschlagen, dass wir den Jungen Herren begleiten", sagte sie und zwinkerte Serenus letztendlich zu.

    Sim-Off:

    Macht nichts :)


    Kaum war die Aufforderung zum Eintreten gekommen, öffnete sich die Tür und Epicharis fegte regelrecht herein. Ohne die Tür zu schließen trugen sie ihre schnellen Schritte zum Schreibtisch, hinter dem der lang vermisste Onkel saß und ihr entgegen sah, und während sie das mächtige Möbelstück schon umrundete, legte sie Spielbrett und Kasten darauf ab, um die Hände frei zu haben.


    "Onkel Vitulus!" rief sie aus. "Ich habe dich ja sooo vermisst!"
    Dann war sie auch schon heran und umarmte ihn aufs Herzlichste. Wie lange hatten sie sich nun nicht gesehen? Es mussten drei Jahre oder mehr gewesen sein, denn ehe sie aufgebrochen war, um die Tante in Tarraco zu pflegen, war er noch in der Legion gewesen und hatte nie Zeit gehabt. Aufgrund dieses Umstandes fiel nicht nur das Widersehen stürmisch aus, sondern auch die Umarmung brachte gewisse Gefühle zum Ausdruck.


    Bald aber ließ Epicharis den Onkel wieder zu atem kommen und wandte sich um, um die Tür schnell zu schließen und sich dann rasch in einen Korbsessel zu setzen. Aufmerksam taxierte sie den Onkel, ihren Lieblingsonkel, wie sie stets zu sagen pflegte.
    "Sag bitte, wie geht es dir? Was machst du den ganzen Tag? Vater sagte, du seist nicht mehr in der Legion."

    Verblüfft über den Wandel in der Stimme des Jungen sah Epicharis ihn an. Sie war durchaus positiv überrascht. Der Kleine mochte vielleicht zehn oder elf sein, dennoch hatte sie eine solch redegewandte Zunge nicht erwartet, schon gar nicht in diesem Alter. Aber es war schließlich ein flavischer Sprössling, den sie da vor sich hatte, also genoss er mit Sicherheit eine der besten Ausbildungen, die in Rom zu finden waren. Vermutlich würde er bald nach Griechenland gehen, um dort in Rhetorik, Mathematik und was es sonst noch alles gab gelehrt zu werden. Später einmal würde er als großer Flavier auf der Rostra Reden halten.


    Epicharis blinzelte und stand wieder im Garten, vor ihr der Junge, hinter ihm das kleine Mädchen und neben ihr Antonia. Gerade bekam das Mädchen den Auftrag, das arme Tier herunterzulassen. Epicharis achtete darauf, dass sie es auch wirklich tat. Im gleichen Moment nahm ein sehr hübscher Hund neben dem Jungen Platz. Epicharis konnte ihre Augen nicht vom seidig glänzenden Fell des treuen Begleiters lösen und ging sogleich in die Hocke, um dem Tier über das Fell zu streichen.


    "Was für ein prächtiger Bursche", sagte sie bewundernd und schaffte es einige Augenblicke später, sich wieder zu erheben. Gerade sprach der Junge von den Saturnalien und Antonia, und wieder erstaunte sie seine gepflegte Ausdrucksweise und die wohlgewählten Worte. Ein überraschter Blick streifte Antonia, wandelte sich aber rasch in ein herzliches Lächeln.


    "Ich bin übrigens Claudia Epicharis", stellte sie sich mit sanftem Ton in der Stimme vor.
    "Antonia ist meine Großcousine. Und wer bist du?"


    Beinahe hätte sie an ihre Frage ein "kleiner Mann" angehängt, doch im letzten Moment biss sie sich auf die Zunge. Es stand ihr nicht zu, den kleinen Flavier so zu kosen.

    "Ich danke dir für die Hilfe, aber noch steht niemand zur Debatte. Nach deiner Erzählung weiß ich auch nicht recht, ob mich das freuen oder bedrücken sollte", sagte Epicharis und wirkte nachdenklich. Zum Glück aber brachte Antonia sie bald wieder auf andere Gedanken, indem sie zweifelnd und zögernd ihre dahingeschiedene Hoffnung auf ein Zueinanderfinden mit ihrem Ehemann kund tat. Epicharis blickte Antonia eine ganze Weile an, dann hatte sie im Stillen für sich einen Entschluss gefasst. Sie würde sobald wie möglich mit Nordwin darüber reden, schließlich konnte er sich ruhig auch mal nützlich machen. Und Epicharis befand, dass Antonia in Bezug auf Gracchus vielleicht etwas Hilfe nötig hatte. Sie lächelte, als sie sich den eventuellen guten Ausgang vorstellte. Allerdings wandelte sich ihr selbstzufriedener Gesichtsausdruck beinahe schlagartig in ein entsetztes Herumfahren, als ein lauter Wasserplatscher erklang, gefolgt von Flüchen. Das waren eindeutig Kinderstimmen. Dann tauchte eine flüchtende Katze auf und verschwand wieder, dicht gefolgt von einem augenscheinlich patrizischen Jungen und einer kleinen Sklavin. Epicharis schmunzelte.


    "Nanu, wer war denn das?" fragte sie Antonia interessiert. Dass ein kleiner Junge hier lebte, hatte sie gar nicht gewusst. Noch während sie darüber nachdachte, war ein erschreckend gepeinigt klingendes Miauen zu hören. Da die Kinder nicht gerade leise waren, konnte man ebenfalls sehr gut ihre Worte verstehen. Und die waren es, die Epicharis' Augen groß werden lassen.


    "Oh. Vielleicht sollte man das Tier eher fortbringen. Wer weiß, wem es gehört", merkte sie bedauernd an, weil ihr die Katze jetzt schon leid tat, sie sich aber nicht in die Erziehung fremder Kinder einmischen wollte. Sie war sich ganz sicher, dass ihr eigener Sohn dafür augenblicklich ins Bett gegangen wäre. Aber das war ja nun einmal ansichtssache.

    Zwischen vielen Menschen hindurch hatte auch Epicharis bald ihren Weg in die vordersten reihen gefunden. Nordwin verschaffte ihr Platz und hielt zugleich unliebsame Leute von ihr fern. Einem schmuddeligen Kind allerdings steckte sie flüchtig eine Sesterze zu und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. Bald war sie vorn angekommen und hatte sich an einem strategisch gut gewählten Punkt platziert, denn später würde sie von hier aus alles sehen können und zugleich nicht ins Gerangel kommen, wenn es eine Volksspeisung geben sollte und alle nach vorn drängelten.


    Eine Information, die vor wenigen Tagen wie ein Lauffeuer durch die Stadt gegangen und sogar über ihre Grenzen hinausgetragen wurde war, dass der Kaiser höchstselbst in seiner Funktion als Pontifex Maximus das Opfer leiten würde. Das war natürlich eine Sensation, immerhin sah man den Kaiser zuletzt kaum auf eventuellen Feierlichkeiten. Gespannt stellte sich Epicharis auf die Zehenspitzen und machte einen langen Hals, um über die Schulter eines großen Mannes hinwegzuspähen. Eben traten der Kaiser und seine Gefolgschaft aus dem Tempel heraus und machten sich bereit für die Ansprache und das Opfer. In der Menge entdeckte Epicharis auch Tiberius Vitamalacus, dem sie dezent, aber freundlich zunickte. Doch das Opfer war nun wichtiger, und gespannt verfolgte sie jeden Handgriff.

    Am späten Nachmittag überzeugte sich Epicharis noch einmal höchstselbst davon, dass das Triclinium zur Zufriedenheit aller hergerichtet worden war. Natürlich war es an sich nur ein Gast, er kommen würde, ein Aurelier, Deandras vormaliger Bruder, aber Epicharis beharrte darauf, dass trotzdem alles nett hergerichtet war. So fanden sich zahlreiche Blumenbuquets im Raum verteilt, die Liegen waren ordentlich gebürstet worden und für sie selbst und Deandra standen bequeme Korbsessel bereit. Epicharis wusste nicht recht, wie Deandra es halten würde mit dem Speisen, ob sie eine eher moderne Frau war, die sich, den Männern gleich, beim Essen auf eine Kline legte, oder ob sie die alte Sitte pflegte und sitzend aß. Epicharis selbst aß niemals im Liegen, das verbot ihr ihre Einstellung zur traditionellen Seite, und sie glaubte auch, dass Deandra dem ebenfalls entsprach, nur sicher konnte sie eben nicht sein.


    Eine Sklavin wischte gerade noch die letzten Staubkörner von der Platte, auf die später am Abend das Essen aufgetragen werden sollte. Epicharis hatte sich für Pullum Lasertum entschieden, für Huhn mit Ingwer, dazu verschiedene Beilagen (unter anderem auch Moretum Alium und frisches Brot, Epicharis liebte diesen Aufstrich) und als Nachspeise konnte man wählen zischen Dulcia Domestica und Globi. Ganz sicher war es viel zu viel, aber dann würden sich die Sklaven freuen und ganz gewiss würden alle satt werden. Epicharis hatte mit dieser Aussicht schon den ganzen Tag lang nur Wasser getrunken und inzwischen einen ordentlichen Hunger entwickelt. Von der Obstschale, die eben gebracht wurde, stibitzte sie sich daher einen Pfirsich und aß ihn gut gelaunt auf dem Weg in den sonnenbeschienenen Garten, wo sie die Zeit verbrachte, bis es galt, sich frisch zu machen und schließlich auf den Gast und Deandra zu warten.