Beiträge von Flavia Epicharis

    Unterdrückt musste sie kichern, als sie an eine Sponsalia im Castellum dachte, dann schüttelte sie belustigt den Kopf und formte lautlos mit den Lippen die Worte "Na ob das gut gehen wird?". Erneut kicherte sie, schenkte aber bald dem Händler ihre volle Aufmerksamkeit. Epicharis besaß zwar kein übermäßig großes Verhandlungsgeschick, aber es reichte durchaus für die meisten ihrer Ansprüche aus. So war es auch kein Wunder, dass sie die Absicht des Tiberius Vitamalacus hinter seinen Worten beinahe eugenblicklich erkannte und nun, scheinbar mit anderen Augen, erneut die Qualität in Augenschein nahm.


    "Hmmm. In der Tat. Und einige der Nähte scheinen mir nicht fest genug zusammengeknüpft. Dreihundertundzwanzig Sesterzen sagst du? Nun, das ist ein stolzer Preis für eine Tunika dieser Qualität. Vielleicht sollte ich dein Angebot noch einmal überdenken, denn so kostbar die Fibeln und die Stickerei auch sein mögen, so nützt es nichts, wenn der schicke Stoff beim Platznehmen reißt oder die Nähte bei einer unbedachten Bewegung aufspringen, nicht?" fragte sie den Mann zuckersüß und lächelte kokett.


    Epicharis war plötzlich eine annähernd perfekte Schauspielerin, die darauf abzielte, den Händler nachgiebiger werden zu lassen. 320 Sesterzen für dieses hübsche Teil überstiegen ihr Budget, beziehungsweise das ihres Vaters. Ein kritische Blick ging in Richtung des Tiberiers, als einen nachdenklichen Vorschlag äußerte.
    "Vielleicht sollten wir eher bei dem anderen Schneider vorbeisehen, den du erwähnt hast."

    Epicharis betrachtete Deeandra einen Moment engehend und rang sich schließlich zu folgender Feststellung durch:


    "Ich glaube kaum, dass es irgendeiner Frau gefällt, wenn ihr Mann sich anderweitig vergnügt. Stell dir nur vor, die Gewissheit, dass dein Ehemann just in diesem Moment bei einer anderen Frau liegt und das mit ihr teilt, was er nur mit dir teilen sollte...das muss schrecklich sein. Aber so ist es wohl bei den meisten arrangierten Ehen. Wir Frauen haben für den Erben und die Vermehrung der Blutlinie zu sorgen, das ist für viele Männer alles. Ich glaube nicht an die Liebe, weißt du. Zu viele Ehen werden zweckmäßig eingegangen, ich glaube nicht, dass die meine anders ablaufen wird. Mann kann sich nur fügen und seine Rolle gut spielen."


    Sie seufzte und lehnte sich etwas zurück. Das Reden hatte sie durstig gemacht, und so trank Epicharis einen tiefen Schluck des Saftes, der sich in ihrem Becher befand.


    "Eine blöde Phase?" fragte Epicharis und grinste.
    "Naja, ich werde es ja morgen sehen. Kümmerst du dich um die Einladung? Dann werde ich die Köche anweisen, eine anständige Cena vorzubereiten, es sei denn, du hast etwas anderes im Sinn?"


    Kurz darauf saß Epicharis Deandra mit großen Augen und einem entsetzten Ausdruck auf den Lippen gegenüber.
    "In der Acta?" fragte sie überflüssigerweise. Relativ schnell danach allerdings entspannte sich ihr Ausdruck wieder und Epicharis zuckte mir den Schultern.
    "Na was soll's, das ist sicherlich schon eine ganze Weile her. Man wird es schon vergessen haben - solange es sich nicht wiederholt, zumindest."

    Sie zog es vor, nichts weiter zu den Gedanken zu sagen, die sie so sehr beschäftigten an diesem kühlen Wintermorgen. Stattdessen blickte Epicharis auf den kleinen See hinaus, auf dem immer noch dichter Morgennebel lag wie eine Decke, die man über das schlafende Wasser ausgebreitet hatte. Kaum da der Senator sprach, wandte Epicharis ihm wieder ihre volle Aufmerksamkeit zu. Sie wusste nicht recht, wie sie seine Bemerkung in Kombination mit seinem Gesichtsausdruck deuten sollte, aber da er kurz darauf schon wieder ernst dreinblickte, machte sie sich keine weiteren Gedanken über den Anflug eines anzüglichen Grinsens und vernahm interessiert seine Worte, die darauf hindeutete, dass er seiner Arbeit überdrüssig war. Epicharis sah ihn forschend an.


    "Dann musst du entweder einer müßigen Tätigkeit nachgehen, oder aber dein eigener Vorgesetzter sein, wenn du nach diesen wenigen Stunden schon deiner Arbeit überdrüssig bist und eine Erfrischung im Park suchst", schlussfolgerte sie lächelnd und legte den Kopf schräg.


    Sie musterte seine Erscheinung und konnte beim besten Willen an seiner Toga nicht ablesen, was er wohl beruflich tat, ob er ein Magistrat im Dienste Roms war, oder aber ein hochrangiger Bediensteter des Palastes oder gar etwas anderes. Kaum hatte der Senator Octavius nach dem Grund für ihre Anwesenheit in diesem kleinen Park gefragt, so wich das Lächeln von ihrem Gesicht und sie wurde erneut nachdenklich. Nachdem sie ihm gedeutet hatte, dass sie gern ein paar Schritte spazieren gehen würde, setzte sie sich in Bewegung und dachte nach, ehe sie ihm antwortete.


    "Nein, es war nicht Iunos Ruf, dem ich folgte. Es war vielmehr die Frage, welchen Weg die Götter mir angedacht haben. Ich bin zwar nicht schlauer als vorher, aber wenigstens habe ich eine nette Bekanntschaft gemacht", sagte sie schließlich und lächelte den Senator an.
    "Auch war es nicht Erholung, die ich suchte. Erholung hatte ich während des letzten Jahres gewiss zur Genüge."

    Während Epicharis Antonia folgte, sah sie sich interessiert in der Villa um. Es gab viel zu entdecken, aber auch viele Parallelen zu der claudischen Villa, wie sie feststellen konnte. Im Garten angekommen, blieben die beiden Claudierinnen ersteinmal stehen. Epicharis tat es Antonia gleich und sog die kühle Luft ein, die über dem prächtigen Garten hing. Im Frühjahr war er gewiss noch schöner anzusehen als jetzt, wo es kuhl war und keine Blume blühte. Aufmerksam lauschte sie Antonias Worten und unterbrach sie nicht ein einziges Mal aus Angst, dass die Cousine ihres Vaters sonst verstummen und das Thema wechseln würde. Erst, als eine Frage an sie gerichtet wurde, setzte sie sich in Gang und spazierte durch den Garten in der Hoffnung, Antonia würde ihr folgen.


    "Ich habe ein paar wenige Leute kennengelernt, darunter einen Aurelier und einen Tiberier. Die Namen von ein paar Senatoren sagen mir ebenfalls etwas, aber die kämen nicht in Frage, schließlich sollte ich standesgemäß heiraten, wenn ich nicht der Vesta dienen will", dachte Epicharis laut nach.
    "Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, worauf man bei einem potentiellen Ehemann achten soll. Antonia. Ich fühle mich nicht in der Lage, mir allein vom Aussehen und seiner Tätigkeit ein Bild über jemanden zu machen, der vielleicht schon bald mein Ehemann sein wird."


    Epicharis sah die Großcousine gequält an. Das hatte sie noch niemandem erzählt, nicht einmal Prisca oder Deandra. Dann begann Antonia, von der Ehe zu reden, und Epicharis hing gebannt an ihren Lippen. Was sie da erzählte, ließ in Epicharis den Verdacht aufkommen, dass etwas mit Antonia nicht stimmte. Dass etwas mit ihrer Ehe nicht stimmte. Und Antonia lieferte prompt die Antwort darauf, was nicht stimmte. Epicharis sah sie mitleidig an und legte ihr eine Hand auf den Unterarm.


    "Oh Antonia, es ist sicherlich nicht deine Schuld! Vielleicht hat er einfach nur zu viel Arbeit oder..." oder sein Herz gehört einer anderen? Nein, das konnte sie ihr doch nicht sagen! Epicharis verstummte und zuckte hilflos mit den Schultern. Da kam ihr eine Idee, die sie Antonia allerdings nicht verriet, noch nicht.


    "Du bist eine der schönsten Frauen, die ich kenne. Also, wenn er dich nachts nicht besucht, muss es einen anderen Grund haben, an dir kann es einfach nicht liegen. Vielleicht denkt er das gleiche von sich wie du von dir, dass du ihn abstoßend findest und er es dir niemals wird recht machen können? Auch Männer sollen so denken, habe ich mir sagen lassen. Sagitta hat mir viel erzählt. Das meiste waren zwar romantische Geschichten, aber bei einigen war ganz bestimmt auch ein Funken Wahrheit dabei. Vielleicht solltest du dich einmal aussprechen mit ihm? Das zumindest würde ich an deiner statt versuchen. Eine zwanglose Cena, ein gemeinsamer Spaziergang - oder ihr probiert einfach das Spiel aus, was ich dir geschenkt habe. Was meinst du?"


    Erwartungsvoll sah Epicharis Antonia an. Sie hatte es noch nie leiden können, wenn in ihrer Umgebung die Menschen unglücklich waren. Und dass Antonia unglücklich war, stand fest.

    "Ich weiß nicht", sagte Epicharis und zuckte hilflos mit den Schultern. Woher sollte sie das auch wissen? Sie selbst hatte noch mit keinem Mann im Bett gelegen. Das wäre inakzeptabel gewesen. Sie würde schon bis zur Hochzeit warten, falls es überhaupt eine geben würde und sie nicht doch Vestalin wurde. Deandras Annahme, dass ihr ehemaliger Bruder ihr ganz gewiss alles erläutern würde, sah sie mit Skepsis. Epicharis hätte niemals einen mann gebeten, soetwas zu erklären, nicht einmal einen Bruder, wenn sie einen gehabt hätte.


    "Ich weiß es nicht", sagte sie zum zweiten Mal und sah Deandra nun etwas unglücklich an.
    "Ich war doch noch nicht verheiratet, Deandra. Aber manche sollen das wohl jede Nacht verspüren oder gar mehrmals hintereinander, andere nicht so oft. Aber ich weiß es eben nicht mit Bestimmtheit."


    Deandra sprach weiter und deckte eine vermeintliche Ungereimtheit auf, über die Epicharis selbst eine Weile nachrätselte.
    "Also", sagte sie schließlich, "ganz bestimmt meinte die Tante nicht küssen, sonst hätte sie das doch gesagt, nehme ich an. Sondern, also, sie sagte, dass man bei der Kopulation den anderen berührt. Aber was genau nun damit ist und wo man sich berühren muss, damit man ein Kind empfängt, kann ich dir nicht sagen. Warum wartest du nicht, bis es soweit ist? Oder fragts jemanden, was genau Kopulation genau bedeutet?"


    Eine Weile sagte niemand etwas. Dann murmelte Epicharis:
    "Du, Deandra, ich glaube, wir sind ganz schön unterbelichtet."


    Sie kicherte nervös und setzte sich anders hin. Froh darüber, sich zumindest etwas vom Thema zu entfernen, nickte sie.
    "O ja, das Werk steht in der Bibliothek. Aber ich habe mich auch bisher nicht getraut, nachzulesen."


    Ein verschwörerisches Blitzen trat in Epicharis' Augen, sie grinste Deandra fragend an, ohne die Frage überhaupt zu stellen.

    Prüfend hatte Epicharis den Kopf schräg gelegt und musterte Deandra, wie sie von ihrem Bruder erzählte. Er musste ja wahrhaftig ein junger Gott sein, wenn er derart viele Mädchen gehabt hatte oder noch immer hatte.


    "Wer weiß, vielleicht ist er ja wirklich interessant", sagte sie laut vor sich hin, was sie gerade dachte. Dann ert fiel ihr auf, was sie gesagt hatte, und sie schlug sich beschämt die Hand vor den Mund und sah Deandra erschrocken an.


    Sie nickte, als ihre Schwester auf die Erziehung zu sprechen kam.
    "Das ist wohl war. Nicht auszudenken, welche Schande man der Familie bereitet hätte, wenn man vor der Ehe... Und stell dir nur mal vor, man erwartete unverheirateter Weise ein Kind? Oh nein, das wäre grauenvoll. Aber zum Glück gibt es Mittel und Wege, ein solches Kind nicht austragen zu müssen, sofern man es rechtzeitig bemerkt."


    Nicht, dass sie jemals in eine Situation gekommen wäre oder jemals in eine solche kommen würde, in der sie dieses Wissen benötigen würde. Epicharis schüttelte nachdrücklich den Kopf. Bei Männern war es gewiss etwas anderes. Hatten sie ein Techtelmechtel, war es für sie ein Leichtes, es niemanden merken zu lassen. Ansehen konnte man es ihnen auch nicht, was manchmal ein Problem war. Ihr kam die Tiberierin in den Sinn.


    "Ich weiß nicht, Männer haben es in dieser Hinsicht leichter. Man sieht es nicht so eng, wenn sie sich mehr als eine nette Unterhaltung nehmen, und als Frau kann man sich auch niemals sicher sein, dass der Mann sich nicht durch andere Betten schläft. Eine Flavia stand in der Klatschspalte der Acta? Schlimm, sowas. Ich weiß bisher nur von den gerüchten, die sich um eine Tiberia ranken. Sie heiratete einen plebejischen Senator, dem man die Hurerei nachsagt, unter vorgehaltener Hand, versteht sich."


    Wieder schüttelte sie missbilligend den Kopf. Ihr Vater, dessen war sie sich sicher, würde sie wenn überhaupt niemals an einen Plebejer verheiraten. Dann fiel Epicharis etwa ein.


    "Aber ich bin mir sicher, dass dein Bruder trotz allem ein guter Mensch ist", beeilte sie sich zu versichern.
    "Morgen passt mir übrigens recht gut, wenn er also etwas Zeit erübrigen kann, können wir ihn gern hierher einladen, oder möchtest du ihn besuchen? Es wäre mit beides recht. Ach und Deandra, wenn das Heimweh dich einmal zu sehr plagen sollte, kannst du mich gern aufsuchen kommen."


    Epicharis lächelte ihrer Schwester zu und war ehrlich froh, dass sie hier war. Vielleicht verhielten sie sich nicht zänkisch, wie es Schwestern untereinander manchmal taten, sondern mehr wie Freundinnen, die sich liebgewonnen hatten, aber Epicharis machte das nichts im Geringsten aus.


    "Nein warte, man hat dich beim Reiten erwischt?" hakte sie mit großen Augen nach und kicherte.

    Epicharis wagte nicht, Deandra anzusehen. Trotzdem bemerkte sie, dass ihre Schwester noch immer erwartungsvoll vorgebeugt saß und auf die Fortführung der Epicharis'schen Weisheiten wartete. Sie sah sich nun in der Bredouille. Wie drückte sie das Wenige, was sie wusste, am elegantesten aus, ohne dabei zu viel zu verraten? Angestrengt nagte sie auf ihrer Untrerlippe, eine schlechte Angewohnheit, die sie seit ihrer frühsten Kindheit besaß, wenn sie nervös war. Und bei Iuppiter, sie war nervös!


    "Naja, das ist auch etwas, hm, schwer zu erklären", gab sie hilflos zurück und sah Deandra entschuldigend an. Sie hob die Schultern und blickte zerknirscht drein.


    "Ja weißt du, das, was ich dir erzählen kann, das habe ich von Tante Sagitta... Aber sie war schon sehr verwirrt, als sie mir das erzählte. Ähm...also... Ja, es müssen beide nackt sein."


    Bei den Göttern, war das denn so schwer? Epicharis blinzelte mehrmals und versuchte, sich Sagittas Worte wieder ins Gedächtnis zu rufen. Kind, hatte sie gesagt, Kind, die Kopulation kann schmerzhaft, aber auch erfüllend sein. Epicharis hatte sie nur mit großen Augen angestarrt und nichts verstanden.


    "Tante Sagitta hat es mir so erklärt: Wenn der Mann Gelüste verspürt, dann berührt er die Frau an ihren empfindsamsten Stellen. Und irgendwie muss das Kind ja in den Bauch kommen, also muss er es herein bekommen. Und das geschieht, äh, bei der Kopulation. Sagitta sagte, dass die Kopulation schmerzhaft oder angenehm sein kann. Herrje, ich komme mir so schrecklich alt vor, Deandra, in welche Situation du mich bringst!"


    Epicharis kicherte albern und verstummte dann, nun wieder ernst. Ob sich die einstige Aureliern etwas darunter vorstellen konnte? Epicharis erinnerte sich an einen Schriftsteller, der sich einst diesem Thema gewidmet hatte.
    "Ovid soll es veranschaulicht haben in einigen seiner Schriften", offenbarte sie ihrer Schwester.

    "Ja!" empörte sich Epicharis und nickte mit großen Augen.
    "Ihrer Tochter hat sie ein vergiftetes Kleid geschenkt, die war nicht mehr zu retten. Und die Söhne hat sie umbringen lassen, um ihrem Mann eins auszuwischen. Schrecklich, nicht?"


    Epicharis ließ sich auf einem Sessen nieder und schüttelte noch einmal nachdrücklich den Kopf. Dann erst fiel ihr auf, dass Deandras Wangen gerötet waren und sie irgendwie verlegen wirkte. Mit gerunzelter Stirn wollte Epicharis soeben nachhaken, da stellte Deandra eine Frage in den Raum, die ihr die Sprache verschlug. Mit großen Augen starrte sie Deandra an, die hoffnungsvoll zurück sah.


    "Äääh..." entfuhr es ihr, weil sie nicht schnell genug den erstaunten Mund schließen konnte. Verwirrt hockte sie auf ihrem Sessel. Na, das war ja mal eine Frage! Schnell ging sie in Gedanken durch, was Tante Sagitta ihr zu diesem Thema erzählt hatte, ehe sie schließlich verstorben war.


    "Also ich weiß, dass man zu Orbona beten soll, wenn man sich Kinder wünscht... Mutinus Mutunus ist bestimmt auch nicht falsch, der sorgt dafür, dass man fruchtbar genug ist, und... Vitumnus schenkt den Kindern das Leben, wenn...naja, wenn der Mann bei der Frau gelegen hat. Alemonia nährt das Kind im Mutterleib", erklärte Epicharis etwas unsicher und wie auswendig gelernt. Es gab da natürlich noch andere Dinge, aber die wagte sie gerade nicht, auszusprechen. Schließlich genügte es nicht, wenn der Mann im selben Bett wie die Frau schlief, soviel war klar.

    Summend saß sie vor dem großen Spiegel und ließ sich von der alten Vera das Haar bürsten. Sie hatte heute sehr lang geschlafen, denn bis spät in die Nacht hinein hatte sie ihre Nase noch in einer Schriftrolle versenkt. Die Medea des Euridipes hatte es ihr angetan. Nun betrachtete sie sich im Spiegel und fragte sich, was eine herzensgute Mutter veranlassen konnte, aus Eifersucht ihre eigenen Kinder zu ermorden, nur weil der Mann sich durch fremde Betten schlief. Gerade schüttelte sie in Gedanken darüber und zum Leidwesen der Sklavin den Kopf, als es klopfte.


    "Herein?" fragte Epicharis und rollte die Augen in Richtung Tür, ohne erneut den Kopf zu bewegen. Sonst hätte die Sklavin vielleicht erneut die Augenbrauen hoch gezogen. Als sie ihre neue Schwester eintraten sah, zeigte sich ein Lächeln auf Epicharis, die zum Glück schon gewandet war. Sie schickte Vera mit einer Handbewegung fort und erhob sich, um zu Deandra zu gehen und ihre Hände zu ergreifen.


    "Liebe Schwester, was führt dich her? Verzeih meine Aufmachung, aber die Medea hat mich heute Nacht so sehr gefesselt, dass beinahe eine ganze Kerze heruntergebrannt ist. Hast du die Medea gelesen? Kannst du dir vorstellen, dich mit dem Mord an deinen Kindern an deinem Ehemann zu rächen, weil er dir untreu ist? Ungeheuerlich."


    Epicharis schüttelte entsetzt den Kopf und zog Deandra dann sanft zur Sitzecke.
    "Komm, setz dich doch."

    Kurz dachte Epicharis daran, wie sich manch eine alleingelassene Ehefrau trotz einer bestehenden Ehe mit anwesendem Ehemann über einen plötzlichen Tod desselbigen freuen würde, zumindest insgeheim, wenn schon nicht offen zur Schau getragen. Aber sie sagte nichts dazu, dass sowohl die Iulierin als auch der Tiberier ihren einstigen Gegenpart verloren hatten.


    "Oh, sie war Duumvir?" rutschte es ihr beinahe empört, aber ganz gewiss überrascht heraus. Sie war jemand, die mit der Mentalität erzogen wurde, dass anständige Frauen nicht arbeiteten, sondern ihre Männer nach Kräften unterstützten. Eigentlich hatte sie von den Iuliern, die ja nun doch den Patriziern irgendwie nahe standen, gedacht, dass auch sie etwas darauf achteten, dass man das Äußere wahrte, indem man als Frau keine Verwaltungsämter bekleidete. Vermutlich, nein, augenscheinlich hatte sie sich hier getäuscht und verstummte mit einem Lächeln. Die Worte bezüglich der Sponsalia erfreuten sie nämlich, auch wenn sie es nach wie vor nicht verstand, dass sich ein Patrizier mit einer Plebejerin vermählen wollte. Wo die Liebe eben hin fiel, wenn sie denn überhaupt fiel, hieß das.


    "Dann werdet ihr vornehmlich auf einem Landgut feiern müssen, welches groß genug für das halbe Exercitus Romanus ist", entgegnete sie keck und schenkte ihm ein belustigtes Lächeln. Dass der Tiberier nun den Verkäufer arrangierte, vermerkte sie als Pluspunkt, während ihre Finger wieder einmal fasziniert über das zarte Grün der Tunika glitten. Kurz nach Vitamalacus' Bemühungen erschien der Händler, der Epicharis vermutlich einzig aus dem Grund nicht sah, dass sie dicht an der Tunika stand. Schließlich schien er sie doch zu bemerken und machte mit höflichen Anpreisungen auf seine Waren aufmerksam. Epicharis warf dem Tiberier einen vielsagenden Blcik zu und sagte zu dem Händler:


    "Gern, doch zuvor erlaube mir die Frage nach dem Preis für dieses Kunstwerk."
    Dabei deutete sie auf die Tunika hinter ihr.

    Antonias Kommentare erschienen Epicharis etwas seltsam zu sein. In Verbindung mit ihrem Gesichtsausdruck, den sie immer wieder zu überspielen suchte, war es auch nicht schwer, eins und eins zusammenzuzählen. Doch vorerst beherrschte sie sich und fragte nicht die Frage, die ihr so sehr auf der Zunge brannte in diesem Moment, sondern nahm sich das Getränk, das man ihr reichte, und ging auf Antonias Frage ein.


    "Weißt du...um ehrlich zu sein, wollte ich heute mit dir darüber reden", begann sie vorsichtig und sah Antonia leicht zögernd an. Vielleicht dachte sie, dass dies nicht ganz der richtige Ort für solcherlei Gespräche war?


    "Ich sprach mit Vater darüber, er hat derzeit noch keinen potentiellen Ehemann für mich in Aussicht. Und er hat es mir freigestellt, ob ich Vestalin werde oder heirate... Aber ich selbst bin mir unschlüssig. Der Dienst im Vestatempel ist eine gute Alternative sofern sie eine alte Eule wie mich noch annehmen", sagte Epicharis und zwinkerte.
    "Umgesehen habe ich mich nicht. Bisher war keine Zeit dazu, und ich bin ja noch nicht lange wieder hier. Vater sagt, dass er es lieber sähe, wenn ich heiratete, Antonia."


    Epicharis sah die Ältere leicht verzagt an und seufzte leise. Trotz der Gedanken, die ihr im Kopf herumspukten, bemerkte sie eine Änderung in Antonias Verhalten. Ganz wenig nur, aber in Verbindung mit der Erwähnung ihres Ehemanns konnte Epicharis sich etwas zusammenreimen, dass Antonia mit der Beschreibung Gracchus indirekt bestätigte. So ließ die Claudierin Antonia zu Ende erzählen und wusste hinterher kaum mehr als vorher. Epicharis nagte einen Moment lang auf ihrer Unterlippe, Antonia beinahe mitleidig ansehend, dann legte sie ihre Hand auf die Antonias.


    "Antonia, sag, wollen wir etwas spazieren gehen? Diese Villa hat doch mit Sicherheit einen prächtigen Garten. Ich möchte dich gern fragen, wie die Ehe ist, und draußen können wir sicher ungestörter reden. Was meinst du?" fragte sie die andere und lächelte ihr aufbauend zu. Das alles hörte sich gar an, als war die Ehe von Antonia und Grachhus eine jener lieblosen Ehen, vor der sich Epicharis selbst fürchtete. Eine Ehe, in der die Eheleute weder mehr voneinander wussten als die Leute auf der Straße, noch etwas zusammen unternahmen. Das beste Beispiel war die Sache mit dem Ludus Latrunculorum. Sie mochte ihre Großcousine sehr, daher fand sie es auch schade, dass diese womöglich in ihrer Ehe nicht aufging. Gern würde sie Antonia helfen oder einfach nur zuhören, wenn diese sich ihren Kummer von der Seele redete, aber Epicharis war sich nicht sicher, ob Antonia sich öffnen würde. Dass sie Kummer hatte, war jedoch für sie offensichtlich.

    Vitulus sollte suspendiert worden sein? Epicharis machte ein erstauntes Gesicht und sah ihren Vater an, als erwarte sie, dass er seinen schlechten Scherz zurücknahm. Sie hatte ihren Onkel stets für einen prinzipientreuen Mann gehalten. Dass er einfach dem Dienst fern blieb, konnte sie nicht nachvollziehen. Ihre Stirn legte sich in Falten, während Vesuvianus weitersprach.


    "Dann werde ich sehen, wie es Onkel Vitulus ergeht. Er lebt doch in Rom, nicht? Und Marcellus...ach, ich werde einfach alle besuchen. Das sollte ja nicht so schwer sein, wenn ich erst einmal wieder in Rom bin, immerhin ist es nur eine Villa. Früher oder später werden sie alle dort anzutreffen sein, und ich habe ja Zeit, es eilt ja nicht", sinnierte sie laut nach.


    Insgeheim nahm sie sich vor, Marcellus davon zu erzählen, dass Vater ihn gern wieder einmal treffen würde. Er konnte ja, wenn sein Amt es zuließ, mit ihr zusammen zurück nach Mantua reisen, denn dass Vesuvianus seinen Posten verließ, was nicht möglich, und von der Tätigkeit eines Magistrats wusste Epicharis herzlich wenig.


    "Dann werde ich Antonia besuchen. Ich wollte ihr ohnehin noch ein geschenk überreichen. Es ist zwar sehr spät, aber es kommt von Herzen und wird sie hoffentlich erfreuen. Es ist ein hispanisches Ludus Latrunculorum!"


    Die Claudierin wirkte begeistert, und das war sie in der Tat auch. Dieses Spiel zählte zu ihren Lieblingsspielen. Vermutlich war sie auch deswegen wirklich gut darin. Sie erinnerte sich noch gut daran, dass sie ihre Familie oft, sehr oft, mit diesem Spiel belagert hatte, so lange, bis sich endlich jemand erbarmt und mit ihr gespielt hatte. Was Epicharis nun allerdings auffiel, war die interessierte und beinahe gespannte Miene ihres Vaters, als er Iulianus ins Spiel brachte.


    "Ja", begann Epicharis daher etwas vorsichtig.
    "Ich fand ihn ganz nett. Wir haben zusammen zu Abend gegessen, zusammen mit Prisca. Er war manierlich und ein angenehmer Gesprächspartner."


    Gerade noch konnte sie die Frage unterdrücken, warum ihren Vater das so sehr interessierte. Wenn er es ihr sagen wollte, würde er das schon tun, auch ohne ihre Nachfrage. Nun war es Epicharis, die ihren Vater forschend ansah.

    "Es freut mich, dich kennenzulernen, Octavius Victor."


    Epicharis kramte kurz in ihrem Gedächtnis. Auch diesen Namen hatte sie irgendwann einmal in der Acta gelesen, nur einfallen wollte ihr natürlich nicht mehr, in welchem Zusammenhang. Nun gut, jedenfalls würde sie nicht fragen, welcher Tätigkeit der Senator nachging, denn das war nicht angemessen. Die kleine Verbeugung und das sich an die Vorstellung anschließende Lächeln imponierten Epicharis, denn nicht jeder Plebejer wusste, wie man sich am besten wie ein zuvorkommender Mann verhielt. So sah sie sein Verhalten mit einem erfreuten Lächeln und antwortete ihm sogleich.


    "Es ist die Wahrheit und klingt nicht beleidigend, Senator. Es ist auch nicht die Schönheit, um deretwegen ich die Götter beneide, sondern die Einfachheit, mit der sich nichts für sie ändert. Sie haben ihren Platz inne in der Welt und sie werden ihn niemals aufgeben müssen. Ganz entgegen uns Sterblichen, die wir uns Gedanken um unsere Zukunft machen. Nichts ist so unumstößlich wie das Wissen um die Alterung. Irgendwann - vielleicht schon sehr bald - werde ich alt und faltig sein. Doch mehr vermag ich nicht zu wissen. Werde ich verheiratet sein und meinem Manne einen Erben schenken, oder werde ich der Vesta dienen, das heilige Feuer hüten und glücklich sein? Nichts ist so sicher wie das Altwerden, Octavius Victor."


    Trübselig blickte Epicharis den Mann an, der nahe bei ihr stand. Es war gewiss nicht richtig, dass sie ihn mit ihren Entscheidungsproblemen überschüttete, und doch kam genau dies dabei heraus. Sie lächelte verzeihend.


    "Entschuldige bitte, ich wollte dich nicht mit meinen nichtigen Problemen langweilen. Was führt dich an einem solchen Tag, noch dazu früh am Morgen hierher?" fragte sie einerseits, weil sie das Thema wechseln wollte, andererseits, weil es sie wahrhaftig interessierte.

    Zusammen mit der ihr etwas zaghaft erscheinenden Dolabella betrat Epicharis wahllos einen der mantuanischen Tempel. Schnell hatte sie einen Sacerdos ausfindig gemacht, den sie nun ansprach.


    "Verzeih, ehrbarer Sacerdos, wir sind hier, um Mercurius zu opfern. Könntest du uns wohl helfen, einen geeigneten Ort zu finden? Meine Großcousine und ich sind lange nicht mehr in Mantua gewesen, sodass uns die Orientierung fehlt, was die Tempelanlagen anbelangt."


    Entschuldigend blickte die Claudierin den Sacerdos an und sah dann zu Dolabella. Sie selbst hielt einen Korb, in dem sich einige Opfergaben befanden. Sie hatten sie aus der Villa Claudia mitgenommen. Darunter befanden sich Opferkekse, ein Opferkuchen und die Blüten eines winterblühenden Baumes aus dem Garten der Villa. Auch einige Sesterzen hatten die Claudierinnen mitgenommen. Epicharis war sich nicht sicher, ob Dolabella jemals einem Gott selbsttätig geopfert hatte. Sie selbst hatte es schon einige Male getan, noch bevor sie nach Tarraco aufgebrochen war.

    Es fiel Epicharis durchaus auf, dass Dolabella sich schuldig fühlte und sich auch so verhielt. Der Griff an ihren Hals war wie ein Eingeständnis eines Fehlers. Epicharis betrachtete ihre Großcousine noch einen Moment ernst, dann zeigte sich langsam neben der Sorge auch wieder ein kleines Lächeln, wenn es auch nicht ganz so unbefangen und ungetrübt war wie vor dem Geständnis Dolabellas. Schließlich sah sie, dass Dolabella es zumindest begriffen hatte, wie unschicklich so etwas war, wenn sie es vielleicht auch nicht so bereute, wie Epicharis es sich gern gewünscht hätte. Den leisen Einwand wusch sie mit einer Geste beiseite.


    "Es wird so viel Zeit in Anspruch nehmen, wie es eben in Anspruch nehmen mag. Du möchtest doch sicher nicht, dass Mercurinus dich auf deiner Reise nach Rom ebenso schützend geleitet wie hierher, nicht? Also sollten wir nicht hudeln, sondern sorgfältig opfern. Na, nun komm. So weit ist es nicht, wir gehen zu Fuß."

    Über die Wiedersehensfreude hinweg bemerkte Epicharis nicht, dass Antonia scheinbar nicht gut auf die Ehe zu sprechen war, die sie mit dem flavischen Gracchus eingegangen war. Dies sollte später auch der Grund sein, aus dem sie ihre Großcousine fröhlich über ihren Gatten ausfragen sollte.


    Doch zuerst galt es, eine traurige Miene aufzusetzen, denn Tante Sagitta war vorerst noch das Gesprächsthema. So nickte Epicharis bedauernd.
    "Sie starb im Schlaf, die Ärzte sagten, sie hörte einfach auf zu atmen und passierte friedlich den Fluss. Sicher geht es ihr nun besser, wo sie wieder mit Onkel Caudex vereint ist."


    Davon, dass man große Mengen Schlafmohn auf dem Tisch neben ihrem Bett gefunden hatte, sagte Epicharis nichts. Sie hatte niemandem verraten, dass Sagitta vermutlich etwas nachgeholfen hatte. Das war ihre Art, danke zu sagen für die schöne Zeit, die sie als Kind stets auf dem Gut der Tante hatte verbringen dürfen. Alle zwei Jahre war sie dort gewesen, hatte viel gelern und getan in dieser Zeit. Epicharis blinzelte die Gedanken an Vergangenes fort und erklärte Antonia nun, was es mit ihrer neuen Schwester auf sich hatte.


    "Oh, das waren romantische Gründe. Zwar war es kein Blutsverwandter, doch ist es dennoch unschicklich, das weißt du doch. Wir können vermutlich in Bälde mit einer Verlobung rechnen, auch wenn ich nicht genau weiß, wer der Auserwählte ist. Aber bitte, plaudere das nicht aus, es ist sozusagen eine inoffizielle Neuigkeit. Und ja, sie war eine Aurelia."


    Epicharis zwinkerte Antonia zu und beobachtete dann aufgeregt, mit welche bedächtigen und vorsichtigen Bewegungen die Großcousine das Papier von dem Kästchen löste. Sie selbst hätte vermutlich kurzen Prozess mit dem Papier gemacht, ehe sie sich erinnert hätte, dass dies keinesfalls angemessen gewesen wäre. Antonia allerdings strahlte so eine innerliche Ruhe aus, dass die quälende Langsamkeit, mit der sie das Holzkistchen von seinem Gefängnis befreite, kaum verwunderlich war. Immer wieder sah Epicharis von Antonia hinunter auf das Geschenk und wieder zurück in Antonias Gesicht. Es freute sie, zum zweiten Mal bei ihrem Besuch ein Lächeln auf deren Zügen zu sehen. Es schien ihr, als sei dieses das erste ehrliche Lächeln, das sie an diesem Tag von ihr sah.


    "Nichts täte ich lieber, Antonia. Es freut mich, wenn es dir gefällt. Das Kistchen enthält zwei Sätze Spielsteine. Du kannst es auch mit deinem Gemahl spielen. Aber erzähl mir doch von ihm. Wie war die Hochzeit, waren denn viele Gäste da? Welcher Tätigkeit geht er nach, wie sieht er aus? Ach du weißt schon, erzähle mir einfach alles", lachte Epicharis und sah Antonia anschließend wissbegierig an.

    Epicharis erschrak und wandte sich blitzschnell um, um einen Mann mittleren Alters unweit neben sich stehen zu sehen, der sie freundlich anlächelte und sich für seine eben gesprochenen Worte sogleich entschuldigte. Mit leicht schräg gelegtem Kopf musterte sie den Mann und erkannte, dass er ein Senator war. Doch viel zu lange war sie Rom fern geblieben, sodass sie nicht einmal wusste, wer die wichtigsten Stellen der ewigen Stadt nun bekleidete und ob dieser Mann zu jenen gehörte oder nicht. Seine Worte schienen ihr freundlich gewählt zu sein, keinesfalls anrüchig oder gar belästigend, sodass die junge Patrizierin recht schnell wieder in ihr unschuldiges Lächeln zurück fand und einmal mehr über den Fuß der marmornen Statue strich, während sie ihm antwortete.


    "Es wäre nicht langweiliger als das Leben der Götter, denn sie sind es, die vollkommen sind, nicht wir", entgegnete Epicharis. Sie ließ einen Augenblick verstreichen, dann erst nickte sie grüßend und trat einen Schritt näher heran.


    "Verzeih meine Laune, doch ich war in Gedanken und ahnte nicht, dass jemand meine unsinnigen Worte hört. Man nennt mich Epicharis und ich bin eine Claudierin. Und mit wem habe ich die Ehre, Senator?"


    Ein freundliches und durchaus aufgeschlossenes Lächeln zeigte sich nun auf den Zügen der Claudierin, die wohlwissend registrierte, dass ihre zwei Sklaven sich bereit hielten, um nötigerweise eingreifen zu können. Doch Epicharis fürchtete sich nicht vor einem Senator, der sicherlich nicht unschuldigen Patrizierinnen am Morgen in einem Park auflauern würde.

    Kaum betrat Antonia den Raum, da sprang Epicharis auch schon auf und nahm die Hände, die ihr die Großcousine entgegen streckte, um sie herzlich zu drücken. Freudestrahlend sah sie die nun mit einem Flavier verheiratete Claudierin an.


    "Liebe Großcousine, wie schön, dich zu sehen! Lass mich dir aber zuerst noch einmal persönlich gratulieren zu deiner Eheschließung! Du hast den Brief doch bekommen, ja?" fragte sie nach und hoffte, dass der Cursus Publicus ihn nicht verschludert hatte auf dem Weg vom warmen Spanien ins kühlere Italien. Erst jetzt ging sie auf die Fragen ein, die Antonia ihr stellte, während sie mit der Großcousine den Sitzgelegenheiten entgegenstrebte und sich im gleichen Korbstuhl wie zuvor niederließ.


    "Ich bin erst seit rund drei Wochen wieder in Italien. Die Zeit zuvor habe ich in Tarraco verbracht, bei Tante Sagitta. Sie benötigte Pflege und eine helfende Hand in verwaltungstechnischen Dingen. Nun bin ich zurück, auch wenn ich eine schlechte Nachricht mitbringe, denn Tante Sagitta ist über den Fluss gegangen, friedlich und des Nachts."


    Epicharis schwieg einen Moment und gedachte der verstorbenen Tante, schließlich aber lächelte sie und wandte sich den anderen Fragen zu.


    "Oh, mir geht es gut, Antonia, wie auch der Familie. Es gibt ein neues Familienmitglied - ich habe eine neue Schwester. Deandra heißt sie, und entstammt den edlen Aureliern. Vater hat sie adoptiert und wir verstehen uns gut. Sonst gibt es kaum etwas zu berichten. Ich wollte dich einfach nur besuchen um zu erfahren wie es dir geht und dir natürlich dein Geschenk zur Nuptiae übergeben, das dir hoffentlich gefällt, auch wenn es mit reichlich Verspätung eintrifft. Doch wenigstens übergebe ich es dir persönlich."


    In jenem Moment trat der stumme Sklave vor und reichte Epicharis sein in rotes Seidenpapier eingeschlagenes Etwas. Die Claudierin nahm das Kästchen entgegen und übergab es dann lächelnd Antonia. Gespannt wartete sie darauf, dass diese das Geschenk auspackte. Darin befand sich ein Kästchen aus Zedernholz, mit kleinen eingesetzten Emblemen aus Elfenbein, die verschiedene Motive darstellten. In dem Kästchen selbst lagen ein kunstvoll gefertigtes Spielbrett des Ludus Latrunculorum, die Tabula Latruncula, sowie sechzehn hübsche, halbkugelförmige Latrones aus bekannten Edelsteinen.

    Da Epicharis ein solches Gefühl nicht kannte, zum Glück, sah sie Deandra nur von ehrlichem Mitleid erfüllt an und versuchte den Eindruck zu vermitteln, dass es ihr ehrlich leid um ihre Brüder tat, auch wenn sie sie nicht gekannt hatte. Sie versuchte sich vorzustellen, wie es sein musste, doch es gelang ihr nicht. So schwieg sie denn bedrückt und sagte nichts weiter dazu. Deandras Worte waren auch so schon einprägsam genug, ohne ihre eigenen unerfahrenen Bemerkungen zu diesem Thema. Glücklicherweise wechselten die Frauen bald das Thema und kamen auf Deandras Bruder zu sprechen.


    "So? Wenn er gut aussieht, scheint er damit auch Erfolg zu haben, oder?" stichelte Epicharis und schmunzelte.
    "Mach dir keine Gedanken, ich kann gut auf mich aufpassen. Vielleicht kann er mich auch gar nicht ausstehen, wer weiß?"


    Epicharis malte sich aus, dass Deandras Bruder ein großer, breitschultriger Mann war, der mit seinem Charme das bekam, was er wollte, und vermutlich auch ihre Knie vor Schwäche zittern ließ. Andererseits konnte er aber auch ein heimtückischer Kerl sein, der die Frauen entweder erkaufte oder aber belog, um das zu bekommen, was er gern hätte. Epicharis schmunzelte und entschloss sich dazu, nicht weiter darüber nachzudenken, sondern sich überraschen zu lassen.


    "Das wäre wirklich prima. Ich mag Wagenrennen, weißt du? Zwar habe ich bisher nie einen Favoriten gehabt, aber wenn Zeit war, bin ich stets unter den Zuschauern zu finden gewesen."


    Epicharis nahm ihren Becher und trank einen Schluck, einerseits, um die Kehle zu benetzen, andererseits, um noch etwas mehr Spannung aufzubauen, ehe sie ihr Geheimnis verriet. Doch in diesem Moment äußerte Deandra eine Vermutung und nahm Epicharis damit den Wind aus den Segeln. Verblüfft sah sie ihre neue Schwester an.


    "Woher... Naja, sagen wir so: Wir hatten hier mal einen Sklaven, Joseph hieß er und er war schon alt. Der war für den Stall und die familieneigenen Pferde zuständig. Und weil ich als kleines Mädchen einiges an Überzeugungskraft einsetzen konnte, hat er mir heimlich das Reiten gelehrt, immer wenn Vater nicht da war. In meiner Zeit bei der Tante in Hispania habe ich wieder geritten, wenn auch nur auf ihrem Landgut. Natürlich schickt es sich nicht, aber es macht Spaß, so ab und an. Und wenn man es verbotenerweise tut, noch viel mehr!"


    Epicharis grinste und musste laut lachen.