Beiträge von Flavia Epicharis

    Größer und größer wurden die Augen Epicharis'. Zuerst zerriss es der Verlobten das Herz - und sie fühlte sich an sich selbst errinnert. Dann kehrte der Verlobte heim und glaubte, die Verlobte tot darnieder liegend finden zu müssen. Und nun wollte er sich in sein Schwert schtürzen! "Nicht!" entfuhr es Epicharis beinahe zeitgleich wie Aristides. Den Gehalt seiner Worte erkannte sie einen Bruchteil später, und der Blick, den sie ihm daraufhin zuwarf, zeugte von missverstehen. Und dann trat die Verlobte auf die Bühne, klärte das Wirrwar auf und machte damit die Tragödie noch größer. Epicharis nagte angespannt auf ihrer Unterlippen, die Sklaven, Antonia und Gracchus vergessen, ja selbst dem fortwährenden Hineinschieben irgendwelcher Süßigkeiten zu ihre Seite schenkte sie keine Beachtung mehr. Was war das nur für ein Durcheinander. Hoffentlich war das Stück eine Tragödie mit unwahrscheinlichem guten Ausgang! Der Vetter, dachte sie sich, der war wie Gracchus. Er versuchte auch, alles richtig zu machen. Überhaupt haftete vielen Männern Roms diese Dringlichkeit an, der Welt zu zeigen, dass sie es wert waren. Was auch immer. Epicharis konzentrierte sich wieder auf das Stück, nicht aber, ohne zuvor noch den Sklaven böse anzuschauen, der Aristides die Platte mit den Leckereien fast direkt vors Gesicht hielt. Jener blickte Epicharis alarmiert an - er hatte von Fiona von dem Wechselbalg gehört, der in ihr stecken musste - und zog sich zurück. Samt Platte.

    Epicharis hatte jegliches Zeitgefühl vergessen. Draußen senkte sich die dieser Tage ohnehin unsichtbare Sonne weiter und weiter dem Horizont entgegen, küsste ihn schließlich und vereinte sich mit ihm. Im Zimmer wurde es entsprechend dunkler. Düstere Schatten legten sich über alles, einer wärmenden Decke gleich, krochen das Bett hinauf und hüllten schließlich auch Epicharis ein und Gracchus, den sie immer noch fest und geborgen hielt. Ihre eigenen Tränen waren irgendwann versiegt, Gracchus' Leib erzitterte dann und wann jedoch noch, sodass sie weder sprach noch ihre Position änderte, auch wenn ihr linker Fuß kribbelte, weil er eingeschlafen war. Nachdenklich und gedankenlos zugleich, starrte sie Löcher in die Luft, vorbei an Gracchus' wirrem Haar.


    Irgendwann dann brach er das Schweigen wieder, und mit dem, was er sagte, stellte er Epicharis erneut vor die Schwierigkeit, eine passende Antwort zu finden. Eine, die ihm einerseits versicherte, dass sie ihn ernst nahm, andererseits deutlich machte, dass sie ganz und gar nicht seiner Meinung war - und das am besten noch, ohne ihn vor den Kopf zu stoßen. Wieder einmal musste ihre Unterlippe dran glauben, denn sie sog sie zwischen die Zähne und dachte nach. In beständig gleichförmiger Bewegung zogen die Finger ihre Bahnen durch das flavische Männerhaar und suchten Gracchus die Angst vor den habgierigen Geistern zu nehmen. So verzweifelt, wie er diese Worte geflüstert hatte, so ratlos was Epicharis, was sie tun konnte, um ihm zu helfen. Einem Kind hätte sie angeboten, bei ihr zu schlafen, aber bei Gracchus war das eine Sache, die sie einfach nicht tun durfte. Nicht nur, dass es hässliche Gerüchte geschürt hatte, sie würde ihn mit einem solchen Vorschlag nur glauben machen, dass sie ihn nicht ernst nahm. "Doch", widersprach sie ihm schließlich mit einer Entschlossenheit, die sie selbst im ersten Moment verwirrte. "Sie sollten dir nicht die Schuld für ihr Schicksal geben, du kannst nichts dafür." Es stand für Epicharis vollkommen außer Frage, dass es Geister gab. Sie selbst glaubte daran, wie wohl jeder Römer. Doch Gracchus musste sich einfach irren, oder aber die Geister der Verstorbenen irrten sich. Eine andere Erklärung gab es nicht dafür. Epicharis hatte aufgehört, Gracchus durchs Haar zu fahren. Sie hatte sich ein wenig zurückgelehnt und sah ihn nun von schräg oben an. Sein Gesicht war eine einzige Grimasse, verweint, traurig, ängstlich und verwzweifelt, befand sie. Es tat ihr in der Seele weh, ihn so zu sehen.


    "Ich werde dir helfen. Das muss aufhören. Und du darfst dir auch nicht die Schuld daran geben, Manius. Dann werden sie einsehen, dass sie fehlgeleitet wurden", erklärte sie ihm entschlossen und berührte seine Wange, die ein ganz klein wenig kratzig war, mit den Fingerspitzen der rechten Hand. Was sonst konnte sie ihm anbieten, um zu helfen? Sie wusste es nicht. Deswegend sah sie ihn aufmerksam an, eine Mischung aus Zuneigung und Frage im Blick.

    Obwohl alles an Bridhe augenblicklich freuderfüllt zu strahlen begann, glaubte Epicharis ihr nicht recht. All die zur Schau getragene Freude erreichte nicht die Augen, die nach wie vor von einer gewissen Trauer beseelt und damit im Widerpsruch zu dem standen, was Bridhe ihr Glauben machen wollte. Epicharis lächelte schwach und nahm erneut einen Bissen von dem leckeren Brot. Dass sie dann ihren Vorschlag annahm, weiter Bridhe genannt zu werden, bestätigte Epicharis' Vermutung nur noch. Doch sie kannte die Frau nicht gut genug, um Trost zu spenden oder ihr zuzureden, also schwieg sie weiterhin und nickte nur. Sie würde sie gern bei dem Namen nennen, den ihre Vorfahren ihr gegeben hatten, und ob sie sich nun Brigantica oder Bridhe merkte, war wohl einerlei.


    Interessiert lauschte Epicharis den Geschichten des fremden Volkes und ihres Glaubens. Es war fast wie ein Abenteuer, an dem sie teilnahm, wenn auch nur in Gedanken. Allerdings verstand sie nicht ganz, warum man wollte, dass die Geister der Ahnen an diesem Samhainabend die Lebenden heimsuchten. "Oh", machte Epicharis dann, als Bridhe von ihrer Mutter sprach. Augenblicklich dachte sie an ihre eigene Mutter und wirkte ein wenig bedrückt. "Meine Mutter ist gestorben, da war ich noch ganz klein."


    "Ja", erwiderte sie dann und lächelte ein wenig. "Seit drei Tagen erst. Weißt du denn das nicht? Ich dachte, du wärst vielleicht da gewesen?" Aber mit dem Kind war das wohl kaum der Fall. Vielleicht hatte man ihr sogar verboten zu kommen, weil das Kind sonst vielleicht das Opfer gestört hätte? Epicharis sah Bridhe nachdenklich an und lächelte dann vage. "Marcus Aristides ist mein Ehemann. Ihn wirst du doch aber kennen, oder?" Daran, dass Bridhe irgendwann einen Ehemann finden würde, zweifelte Epicharis nicht. Sie war doch noch jung und hübsch zudem.


    "An dem Gehäuse erkennt man die Zukunft? Tatsächlich?" fragte Epicharis verblüfft nach. Das war eigentlich wie eine Eingeweideschau, aber doch anders. Die Zukunft konnte man da schließlich nicht erkennen, nur ob man die Gunst der Götter hatte oder nicht. Interessiert begutachtete Epicharis den rotwangigen Apfel. "Können wir das machen? Kann man da unserer beider Zukunft erkennen oder nur die von einem?" Eigentlich wie ein Orakel, dachte sich Epicharis. Ob Bridhe eine Art Orakel war? Ein wenig bewundernd musterte sie die Libertina. Sie platzierte einen Ellbogen auf den Tisch und stützte ihr Kinn mit dem Handrücken ab, während sie das tat, den Kleinen wohl behütet im anderen Arm und auf dem Schoß. Und als Bridhe von den Opferungen erzählte, war Epicharis auch ganz aufmerksam. So vieles schien sich doch nicht zu entscheiden. Vielleicht waren diese Kelten nur langsamer gewesen auf dem Weg, den die Römer schon gegangen waren, überlegte sie. "Und was opfert ihr so?" fragte sie nach. Vielleicht ergaben sich da noch weitere Gemeinsamkeiten.


    Der Kleine in Epicharis' Armen brabbelte ein wenig vor sich hin und begann, an seiner Faust zu lutschen. Dabei sabberte er ein wenig, und etwas von der Spucke blieb an Epicharis' Gewand kleben. Doch statt den kleinen Kerl schnellstmöglich wieder loszuwerden, gluckste Epicharis nur entzückt und sagte zu Bridhe: "Ach guck mal, wie süß! Drei Monate schon, bist du aber groß..." wandte sie sich dann wieder an den kleinen Diarmuid. "Wenn er älter ist, darf er sicher mit dem kleinen Gracchus Minor spielen." Zumindest wäre das wünschenswert. Allerdings konnte Minor nicht mehr mit seinem zukünftigen Leibsklaven aufwachsen, denn dieses Kind war nun frei und hatte später einmal die Möglichkeit, das Bürgerrecht zu erwerben und damit ein waschechter Römer zu werden. Epicharis blickte versonnen auf ihn hinunter, hob dann aber den Kopf und sah Bridhe wieder an. "Nicht mehr, natürlich. Und was machst du nun? Außer dich um deinen Schatz zu kümmern, meine ich." Irgendetwas musste sie doch tun, man würde ja krank werden, wenn man den ganzen Tag allein mit einem Kleinkind drinnen hockte.

    Vor einer halben Stunde wäre es ihr noch schrecklich peinlich gewesen, vor Gracchus zu weinen - wieder einmal. Sie hätte angenommen, dass er glaubte, sie würde stets nur in seiner Gegenwart weinen. Doch jetzt war alles fort. Ausgelöscht von der Woge der Gefühle, dem Chaos, in das sie sich hineinmanövriert hatte, nur weil sie es wieder nicht hatte lassen können. Vermutlich war das ihr Fluch – eine höchst ungesunde Mischung aus Optimismus, Hilfsbereitschaft, Mitleid, Frohsinn, Verweichlichung und Leichtigkeit. In ihrem eigenen, kleinen Dilemma gefangen, bemerkte Epicharis die Veränderung Gracchus' erst, als er zu zittern begann. Ihr erstes Blinzeln daraufhin war fasziniert, das zweite tendierte gen liebevoll und beim dritten zog sich ihr Herz zu einem festen Knoten zusammen, so übermächtig war das Bedürfnis plötzlich geworden, ihn einfach nur zu schützen. Experten würden diese Empfindung wohl abstruserweise als Mutterinstinkt bezeichnen.


    Epicharis sog die Luft ein, als er von den Larven sprach, verstand nicht, wie er sich so etwas nur einreden konnte - doch kam es sogar noch schlimmer. Er machte sich allen Ernstes für den Tod so vieler aus seiner Familie verantwortlich. Mit zusammengezogenen Brauen und ratlos nach unten verbogenen Mundwinkeln hockte Epicharis dort wusste zum ersten Mal in Gracchus' Gesellschaft nicht, was sie zu ihm sagen sollte. Am liebsten hätte sie herausgeschrien, dass er ein Hornochse war, wenn er sich so etwas selbst eintrichterte, aber sie verstand nur zu gut, was er sich dabei dachte, und so schwieg sie. Sie selbst hatte auch lange Zeit keine andere Möglichkeit gesehen als ihre Existenz, dass ihre Familie sich von ihr abgewandt hatte, ihr Vater, ihre Stiefmutter und ihre Geschwister. Doch das hier war noch eine Spur schärfer. Gerade, als Epicharis den Mund öffnen und etwas erwidern wollte, von dem sie erst im genau selben Moment gewusst hätte was es sein würde, glitzerte verräterische Flüssigkeit in Gracchus’ Augen. Und Epicharis saß wie gelähmt, betrachtete, wie ein Blinzeln später sich eine erste, einzelne Träne ihren zögerlichen Weg über die Wange und das glattrasierte Kinn bahnte. Ihr war die Kehle wie zugeschnürt, als sie das sah. Niemals hätte sie vermutet, dass er sich ihr öffnete, geschweige denn weinte. In einem klaren Moment wäre es ihr vermutlich als eine logische Schlussfolgerung auf ihr Drängen hin erschienen, doch da war keine Logik in Epicharis, nicht einmal mehr kontrolliertes Denken. Was er beschrieb, klang so schrecklich, so furchteinflößend und grauenvoll, dass sie es sich gar nicht vorstellen wollte. Da war es kein Wunder, dass Sciurus das Thema wechselte oder Gracchus morgens nicht ausgeschlafen aussah. Immer noch war Epicharis unfähig, sich zu rühren. Mehr und mehr Tränen drängen hinaus und schüttelten die geschundene Seele. Epicharis weinte stumm. Erst die Bewegung, die Gracchus noch den letzten Rest der Selbstbeherrschung raubte, ließ ihre Starre dahinschmelzen. Sie konnte sich nicht länger all dieser Verzweiflung entziehen, es machte sie ganz krank, ihn so zu sehen und nicht zumindest zu versuchen, ihm zu zeigen, dass sie ihn nicht allein lassen würde. Ein leises Rascheln verursachte die Bewegung, mit der sie sich direkt neben den warmen Körper Gracchus’ setzte, mit dem Rücken ebenfalls an die kühle Wand. Ein Arm legte sich um seine Schultern, zog ihn mit sanfter Gewalt nach rechts und damit hin zu Epicharis, die inzwischen ebenfalls die Beine angewinkelt hatte. Auch ihr anderer Arm umschloss nun Gracchus. Wie ein kleines Päckchen. Sie legte ihre Wange an sein Haar und begann wie von selbst, ihn sachte zu schaukeln. Dabei rollte unermüdlich, doch leise Träne um Träne, versickerte in Tunika, Palla oder Haar. Es war Epicharis vollkommen egal, ob er sich nun dagegen sträubte, dass sie ihn so hielt oder nicht. Mit eiserner Sanftmut hielt sie ihn so geborgen, ihr eigener Kopf vollkommen leergefegt und nur mit trüber Düsternis angefüllt, wattig und warm. Gracchus’ Worte nahm sie einfach so zur Kenntnis, erwiderte für den Moment jedoch nichts, sondern ließ ihn einfach in Ruhe. Sie war da für ihn, das sollte er wissen, es spüren. Und auch, wenn böse Zungen etwas anderes behaupten würden, so trieb Epicharis nichts anderes als ihr ureigenstes Wesen dazu, hier bei Gracchus zu sitzen und nichts weiter zu tun als ihn festzuhalten.


    Er wollte nur, dass sie stolz waren. Epicharis presste die Lider aufeinander, wollte die unaufhaltsam quellenden Salzperlen endlich zurückdrängen, aber die Art, wie Gracchus sich ihr anvertraute – dass er es tat – führte eher zum Gegenteil. Wieder erbebte der nicht mehr grave, sondern so zerbrechliche Körper, ungeachtet dessen, was der Verstand wohl zu verhindern suchte. Epicharis’ Rechte veränderte ihre Position ein wenig und fuhr nun beruhigend durch das flavische, kurz geschorene Haar. Zum ersten Mal nahm sie ganz bewusst den Geruch wahr, der Gracchus anhaftete. Wie ein Sommerregen, der so wechselhaft war, erschien er ihr. Ihre Nägel strichen gleichförmig sanft über seine Kopfhaut, wieder und wieder, in ebenso eintöniger Geste wie das fortwährende Wiegen ihrer beiden Körper. Immer noch fand sie in ihrem Kopf nichts, keine Worte, die ihn vielleicht trösten konnten. Nur der stetige Rhythmus ihres Herzschlags, den er sicher auch hören musste, war da. So präsent wie Epicharis. Stetig und stark. Kaum mehr als ein Hauch war ihre Stimme, als sie dann sprach. Keinen Gedanken verschwendete sie mehr an die richtige Ansprache. In diesem Moment gab es nur eine, die ihr geeignet erschien. „....Manius.“ Er war weg, der Gedanke. Plötzlich vergangen in Düsternis. „Ich bleibe bei dir.“ Mehr war nicht zu sagen. Sie hätte ihm versichern können, dass es nicht seine Schuld war, dass sie stolz auf ihn war - wie die kleine Schwester, die sich immer einen großen Bruder gewünscht hatte, der so war wie er. Aber das alles wären zu viel der Worte gewesen, hätten vermutlich nicht einmal bewirkt, dass Gracchus sie erwog, und so beschränkte sich Epicharis nur darauf, ihm das Gefühl zu geben, nicht allein vor dem vermeintlichen Scherbenhaufen zu stehen.



    inspired by I-IV

    Unverständnis trat in den wehmütigen Blick, mit dem Epicharis Gracchus betrachtete. Den Inbegriff der römischen Tugenden, auch wenn das für ihn scheinbar bedeutete, nichts und niemanden an sich heran zu lassen. Auf das Nichtverstehen folgte Enttäuschung, denn seine erneute Zurückweisung konnte nur bedeuten, dass er ihr nicht genügend Vertrauen entgegenbrachte oder sie nicht einmal annähernd in dem Maße schätzte wie sie ihn. Epicharis biss sich auf die Lippe und senkte den Blick wieder auf die Schale, deren frohgemuter Inhalt sie jetzt mit hämischen Mandelaugen anzugrinsen schien. Das Herz zog sich in ihrer Brust zusammen, nicht um ihretwillen, sondern um der Qual wegen, der er sich selbst fortwährend aussetzte. Auch als er die Kunde vom vermeintlichen Tode Aristides' in die Villa Claudia getragen hatte, kurz auf die boshafte Ankündigung in der Acta Diurna folgend, hatte sie diesen Blick gesehen. Sie erinnerte sich noch ganz genau. Inzwischen aber schmerzte es ungleich mehr, einen so lieben, nahen - störrischen! - Menschen derart gepeinigt reden zu hören. Und wieder gab er sich die Schuld am Tod eines Familienmitglieds. Erst beim zweiten Teil des Satzes riss Epicharis förmlich das Kinn in die Waagerechte und starrte Gracchus an.


    Und starrte.
    Die Kehle war ihr zugeschnürt, als sich ihr der Fehler erschloss, den sie begangen hatte, ihn misszuverstehen. In einem anderen Licht betrachtet, gab alles einen anderen Sinn. Es erschien ihr schlagartig so klar, seine Reaktion, die Flucht vor ihrer Berührung, seine Worte von eben... Aber wie hatte er annehmen können, dass sie...? Zumal seit der Hochzeit nicht einmal eine Woche vergangen war? Epicharis' Herz schlug einen schnellen Rhythmus, ihre Pupillen hatten sich in Erkenntnis geweitet. Ein seltsames Kribbeln durchzog ihren Körper, so als hätte sie ihr Schiff eben noch rechtzeitig um einen tückischen Eisberg herummanövriere können. Sie schluckte, benetzte die Lippen. Und Gracchus hatte sich immer noch abgewandt und vermied jeden Blick. Ohne Frage glaubte er wohl, sie vor den Kopf gestoßen zu haben. Ihre Stimme schwankte leicht, als sie, nach einer Ewigkeit, wie es schien, endlich Worte fand. "Ich liebe Marcus. Ich bin... Ich war nicht mit der Absicht hierher gekommen..." Zerstreut blickte sie auf die weiche Unterlage. Was hatte sie sagen wollen? Jedes Wort schein fortgewischt. Epicharis schloss die Augen, hob eine Hand und strich sich in verlorener Geste über die Wange. Nach erneutem Ein- und Ausatmen setzte sie erneut an, sich zu erklären. "Celerina. Ich habe gehört, was passiert ist. Ich wollte nach dir sehen, das ist alles. Ich dachte..." Erneut verstrickte sie sich in unkoordinierten Sätzen. Die Eloquenz lag ihr nicht einmal halb so gut wie Gracchus, selbst jetzt, da ihn diese seltsame Krankheit in zähem Honig gefesselt hielt. Mit zunehmender Hitze - denn Epicharis' Gesicht hatte eine Rötung angenommen, die bei normalen Lichtverhältnissen unmissverständlich sichtbar gewesen wäre - verstrickte sie sich mehr und mehr in den Fäden ihrer Gedanken, und so entschloss sie sich in einem letzten, verzweifelten Versuch, alle Rhetorik über Bord zu werfen und sich einfach das von der Seele zu reden, was ihr wichtig war. "Du gibst dir die Schuld dafür, nicht wahr? Das hast du bei Marcus getan, du tust es jetzt wieder. Du bist nicht derjenige, der sich abschottet und allein auf seinem Bett sitzt, das bist du sonst nicht. Ich weiß das. Du möchtest für deine Familie das Beste und jeglichen Rückschlag von ihr fern halten, damit das Schiff nicht kentert. Aber dabei vergisst du, dass deine eigene, kleine Jolle mit jedem Sturm mehr und mehr Schaden nimmt, wenn du dir nicht helfen lässt, sie zu reparieren!" Epicharis schnappte nach Luft und kam in der gleichen, schnellen Bewegung so nahe an Gracchus heran, dass sie ihn sozusagen zwischen sich und der Wand einkeilte. Die Schale war gekippt und ergoss ein Honigkuchenallerlei auf das Bett, doch Epicharis sah es nicht. "Dein Gewissen plagt dich, du schläfst schlecht, jeden Morgen hast du tiefe Augenringe, auch wenn Sciurus sich in Schweigen hüllt, wenn man ihn fragt, was dich bedrückt und wie man dir helfen kann. Denkst du denn, ich sehe das nicht? Ich bin nicht blind, Manius Gracchus!" Epicharis' Augen glitzerten nun verräterisch, sie war den Tränen nahe. Inzwischen hatte sie ihre Hände auf seine Schultern gelegt und ruckelte ein wenig an ihm herum. "Du bist mir wichtig, ich bewundere dich, aber in diesem Punkt bist du so halsstarrig, dass ich alles tun würde, damit du endlich aufwachst und erkennst, dass ich dir nichts Böses will. Mir war meine Familie auch immer wichtig. Ihr seid jetzt meine Familie, ich bin eine von euch, eine Flavia. Im Leben nicht fiele mir ein, Antonia das anzutun, was du dachtest! ... Ich möchte dir so gern helfen, aber wie kann ich das, wenn du dich immer wieder zurückziehst, ob das nun dieser blöde Sprachfehler ist oder...oder das jetzt hier?" Inzwischen kullerten die Tränen munter hinunter. Epicharis schniefte herzhaft und ließ dann plötzlich Gracchus wieder los, um ihn schmerzlich anzustarren. "Ich hab doch nur noch euch", flüsterte sie.

    Ein helles Lachen erklang, als Aristides sein Kompliment noch einmal unterstrich. Diesmal erwiderte Epicharis, abgesehen von ihrem Lachen, jedoch nichts darauf und ließ ihn einfach gewähren. Im nächsten Moment drang ein entferntes Scheppern an wohl alle Ohren im Haus, kurz darauf folgte ein kleiner, aber lautstarker Disput, dann war es wieder ruhig. Epicharis hatte die Stimme des Kochs herausgehört und vermutete, dass jemand etwas fallen gelassen oder umgestoßen hatte. Natürlich hatte sie auf- und zur Tür gesehen, damit Aristides Spielraum gegeben: Bei seiner Liebkosung zuckten ihre Halsmuskeln kurz zusammen und sie entzog ihm reflexartig den Hals. "Aah, du weißt doch, dass das kitzelt", schalt sie ihn liebevoll und zahlte es ihm sogleich heim, indem sie mit spitzem Finger in seine Seite piekte. Sonst war sie weniger albern - dafür aber umso kitzeliger -, aber bei Aristides war das etwas anderes. Im Stillen nannte sie ihn manchmal einen Brummbär, da er sie an den trägen, brummigen Bären im Hortus erinnerte, in dem er sie gefragt hatte. So lange war das nun schon her...


    Und tatsächlich bestätigte er gleich schon wieder, dass er diese Bezeichnung auch wirklich verdiente, nicht nur des Brummens wegen, sondern auch wegen des Ausdrucks auf seinem Gesicht. Epicharis schmunzelte verschmitzt, natürlich konnte er nicht wissen, was sie sich dabei dachte. Sie schob das Schreibzeug mit einer nebensächlichen Geste fort und entzog es damit auch unwissentlich den neugierigen Augen ihres Gemahls - denn natürlich stand sein Name in dem Brief und noch so einiges anderes. Das Benetzen seiner Lippen nahm Epicharis zum Anstoß für eine neue Information, deren Wichtigkeitsgrad sie selbst allerdings sehr viel geringer einstufte als Aristides das tun würde. "Ach, ich habe mir übrigens gedacht, dass wir zusammen etwas Schönes zu Abend essen könnten. Deswegen habe ich...hm, den Koch - ich vergesse ständig seinen Namen - beauftragt, eine kleine Überraschung vorzubereiten." Wie diese Überraschung im Detail aussah, verriet sie natürlich nicht, sonst wäre es schließlich keine Überraschung mehr gewesen. Aber es war ja auch noch ein wenig hin bis zum Abendessen.


    Seine Erzählung verfolgte sie Aufmerksam, was man auch an den leicht zusammengekniffenen Augen und dem seitlich geneigten Kopf erkennen konnte. Hin und wieder schaukelten die Ohrringe, wenn sie eine leichte Bewegung machte, und am Ende war sie ebenso verwundert wie Aristides. "Dieser Vescularius, nicht?" fragte Epicharis nach und nickte dann ernst. "Ich habe mich neulich mit Soterica getroffen. Du weißt schon, die Tochter von Dallius Sparsus, dem Bäcker in der... Ach, nicht so wichtig. Jedenfalls liefert Dallius Sparsus wohl hin und wieder auch etwas in den Palast, und deswegen hat er gute Kontakte. Sie sagt, dass der Kaiser inzwischen wohl so krank ist, dass er sich nicht mehr aus seinem privaten Flügel rausbewegt. Kannst du dir das vorstellen? Ich meine, da muss ja etwas dran sein, wenn dein Praefectus nicht wegen einer Entlassung zum Kaiser geht. Immerhin ist er sein Stellvertreter." Epicharis runzelte nachdenklich die Stirn. "Vielleicht war der Kaiser deswegen auch nicht bei den Rennen", vermutete sie. Aristides schien das weniger eigenartig zu finden und machte einen Vorschlag, den Epicharis ehrlicherweise ein wenig erstaunte. Zunächst sagte sie nichts. Inzwischen hatte sie schon so viel von Agrippina gehört, dass sie gar nicht mehr wusste, was sie glauben sollte. Sicher wäre es wohl am besten, sie einfach selbst kennenzulernen, aber in Epicharis hatte sich inzwischen etwas entwickelt, dass man am ehesten mit Prüfungsangst gleichsetzen konnte, sodass sie eigentlich ganz froh darum gewesen war, Aristides' Mutter noch nicht kennengelernt zu haben. "Meinst du? Wolltest du nicht...vielleicht zu den Wahlen kandidieren?" Ein wagemutiges Lächeln später fuhr sie fort. "Ach. Du hast Recht, vielleicht sollten wir einfach ein wenig reisen, dann kannst du mit viel mehr Tatendrang an die Sache herangehen." Denn für Epicharis stand es außer Frage, dass ihr Ehemann nicht einfach so herumlungern, sondern etwas aus sich machen würde.


    Epicharis fuhr erneut mit einem Finger am Rand der Phalera entlang, lächelte plötzlich und beugte sich zu Aristides hin. "Habe ich dir eigentlich schon mal gesagt, dass ich unglaublich stolz auf dich bin?" fragte sie ih rhetorisch und küsste ihn dann auf die Nase. "Unsere Kinder werden auch ganz stolz sein auf ihren Papa." Und wenn Aristides nicht dafür sorgen würde, dann würde Epicharis das übernehmen.

    Raschelndes Gras und Laub verrieten Epicharis, dass Fiona ihre stumme Geste verstanden hatte und sie verließ. Die Patrizierin blieb im Garten zurück, allein mit sich und ihren Gedanken. Stumm sann sie darüber nach, ob sie nicht vielleicht doch überreagiert hatte. Aber dass sie von Fiona enttäuscht war, konnte sie nicht leugnen. Die Bitte der Sklavin hatte sie aus dem Konzept gebracht, es war ihr unverständlich, warum sie ausgerechnet jetzt zum ersten Mal davon sprach. War Epicharis zu weichherzig? Vermutlich war sie das. Und vermutlich hatte Fiona das erkannt und erst jetzt gefragt, weil sie sich einfach nicht getraut hatte, Menecrates diese Bitte zu stellen. Er hätte ohnehin abgelehnt. Überhaupt schien er inzwischen kein Herz mehr zu haben.


    Epicharis schob die trüben Gedanken an ihre Familei fort. Sie belasteten sie nur noch mehr als das Gespräch von eben es tat. Ein kühler Hauch kündigte an, dass ein neuer Regenschauer im Anmarsch war, und nach einem weiteren verstrichenen Moment wandte sich Epicharis zum Gehen und verließ ebenso den Garten. Sie hatte später noch einen Brief zu schreiben. Vielleicht würde sie das auf andere Gedanken bringen.


    - finis -

    Eine erneute Woge der Zuneigung zu Gracchus schwappte über Epicharis hinweg, als er sich selbst das Wissen darum eingestand, Selbstkastei zu üben, indem er sich nicht gestattete, die Trauer offen zu zeigen. Das ehemals claudische Kinn senkte sich gemächlich gen Brustbein, ihr Blick wurde nochmals eine Spur weicher und sie unterdrückte den Impuls, erneut nach seiner Hand zu greifen. Warum nur tat er sich das an? Ließ sich nicht helfen, indem er mit ihr sprach und sein Leid teilte? Epicharis verstand es nicht. "Lieber Gracchus, du weißt, dass alles, was wir hier miteinander teilen, niemandes Ohr erreichen wird, wenn du es nicht möchtest", erwiderte sie, nicht minder leise im Tonfall, doch um so viel mehr Emotionen reicher in der Stimmlage.


    Warum nur wollte er sich ihr nicht anvertrauen? Schon im Garten, als sie ihn besucht hatte vor einiger Zeit, und als er kaum ein verständliches Wort herausgebracht hatte, war da dieses Gefühl gewesen, dass er ihr einfach nicht genügend vertraute. Genaugenommen war es verständlich, immerhin gehörte sie nicht richtig zur Familie. Und doch machte es sie traurig, nicht, weil nicht sie es war, deren Hilfe er zurückwies, sondern weil er sich niemandem anvertraute, so schien es ihr. Irgendwann mochte er daran zerbrechen, denn gleich wie stark ein Mensch war, irgendwann einmal war selbst das größte Fass gefüllt und bereit zum Bersten. Epicharis nagte an ihrer Unterlippe und suchte nach Worten, die es Gracchus erleichtern würden, sich zu öffnen. Auch ihr Blick fiel nun auf die Schale mit den unangetasteten Honigkuchen, die nicht mehr als eine Geste der Umsorgung darstellten. Das Relief einer Gänsemutter, die ihre Küken unter den Fittichen barg, fing kurz ihren Blick ein. "Irgendwann musst du dir selbst eingestehen, dass es so nicht weitergehen kann. Ich meine... Was ist das für ein Leben, wenn man sich selbst so isoliert, wie du es tust? Auf Dauer kann das doch nicht gut gehen. Und es tut dir auch nicht gut, das sehe ich doch." Auf Epicharis' Stirn war nun eine Falte entstanden, ein Anzeichen dafür, dass ihr Gracchus' Problem am Herzen lag, denn dass es eines gab, war für sie offensichtlich. Ein tiefer Seufzer entwich ihrer Brust. "Niemand hat gewusst, was passiert."

    Die Schale mit den Honigkeksen kippte ein wenig, als Gracchus sich bewegte und von ihr wegrutschte. Seine Hand entglitt Epicharis, und sie runzelte im Ansatz die Stirn ob seines Verhaltens. Gleichzeitig interpretierte sie es als Abwehrmechanismus hinsichtlich der Sache, bezog seine Reaktion nicht etwa auf sich selbst und ihre trostspendende Berührung. Das ließ auch die entstandenen Runzeln auf der vormals claudischen Stirn wieder weichen und einen milden Ausdruck auf ihre Züge treten. Gracchus war verwirrt, natürlich war er das, sie wäre es auch gewesen, wenn jemand eine so schlechte Botschaft an sie herangetragen hätte. Und so über die Maßen verantwortungsbewusst, wie er war, wollte er wohl keinen Trost. Sich nicht die Blöße geben, jemandem zu zeigen, dass er verletzlich war. Epicharis kannte Gracchus nun schon lange, wenn auch aus der Entfernung, aber sie war findig und klug, und so war es nicht schwer zu erraten, was in ihm vorgehen mochte. Zudem wollte sie Gracchus so sehen, den starken, stets beherrschten und so intelligenten Gracchus, dem die Familie so wichtig war, dass er darüber bisweilen sich selbst vergaß. Das machte ihn umso liebeswerter und auf eine Weise attraktiv, die zwar nicht Aristides' Attraktivität entsprach, aber in Epicharis große Anziehungskraft ausübte und ihr das Gefühl gab, behütet zu sein. Und sie war stolz darauf, nun mit Gracchus verwandt zu sein. Es war zum Teil auch sein Verdienst, dass Epicharis mit der Heirat eine große Last von der Brust genommen worden war, denn nicht nur ihr Gemahl, sondern die ganze Familie hatte sie wirklich herzlich empfangen.


    Epicharis überlegte kurz, ob sie Gracchus nachsetzen sollte, verwarf den Gedanken dann aber. Nicht nur seine Körperhaltung, auch seine Stimme wirkten so, als würde er einfach nicht damit fertig werden, dass sie sich um ihn kümmern wollte. Die Flavia beschlich der Verdacht, dass sich die vormalige Beziehung zwischen Antonia und Gracchus wohl nicht gerade zum Positiven hin gebessert hatte, wenn er nun so...scheu war. Sie nagte einige Male an ihrer Unterlippe, nahm dann die Schale auf und stellte sie auf den Platz, an dem Gracchus eben noch gesessen hatte. "Ich habe dir Plätzchen mitgebracht." Stille. Sie schien zu knistern in der Dunkelheit, und Epicharis wurde es allmählich unbehaglich zumute. Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, herzukommen?


    So schnell, wie der Gedanke sich gebildet hatte, löste er sich auch schon wieder auf. Natürlich war es gut, hergekommen zu sein! Gracchus brauchte jetzt jemanden, ganz sicher. Sie konnte ihn nicht allein lassen. Und überhaupt, diese triste Dunkelheit brachte ihn nur auf trübe Gedanken! Epicharis rutschte nach vorn, hin zur Bettkante, und erhob sich. Sie zog die Vorhänge auf, die wenigstens ein kleines Bisschen der hereinbrechenden Nachtschwärze vertrieben. In Gracchus' Cubiculum kannte sie sich nicht aus, hätte zuerst die Öllampen suchen müssen, ehe sie sie vielleicht gefunden hätte. Und um einen Glimmstängel zu organisieren, hätte sie ihn kurz allein lassen müssen, und das wollte sie nicht. Als das erledigt war und die dunkelgrauen Schatten sich um ein paar Nuancen erhellt hatten, kam sie zurück und setzte sich wieder auf die Kante des Bettes. "Du solltest nicht allein sein." Aufmerksam sah sie zu ihm hin, die geringe Entfernung mutete ihr wie Meilen an, zwischen ihnen ein klaffender Abgrund, den es zu überwinden galt. "Gräme dich nicht. Du kannst nichts dafür. Ich weiß, wovon ich rede." Doch sie ahnte nicht, dass Gracchus ihre Worte und das darauf folgende, aufmunternde Lächeln durchaus missinterpretieren konnte.

    Ein knappes - und so gar nicht Gracchus-typisches, einfaches - Ja später konnte der Bewohner des Zimmers sehen, wie sich die Klinke langsam gen Boden senkte und eine schmale Gestalt in zartem Violett schob sich in den recht dunklen Raum hinein. Epicharis' Augen mussten sich erst ein wenig an die vorherrschende Dämmerung gewöhnen, doch als sie die Tür schloss, konnte sie bereits mehr erkennen als undeutliche Schemen verschiedenster dunkler Nuancen. Zunächst wunderte sie sich, dass Gracchus keine Lampen entzündet hatte, dann erinnerte sie sich daran zurück, wie sie empfunden hatte, als die Nachricht wegen Aristides kam. Sie hatte sich auch nur verkriechen wollen und war froh gewesen, wenn die Dunkelheit ihre Tränen verborgen hatte.


    Eine Welle des Mitgefühls schwappte über Epicharis' Empfinden hinweg. Als sie sich umwandte, suchten ihre Augen Punkte des Raumes ab, an denen Gracchus sich verborgen halten konnte. Sie fand ihn nicht dort, wo sie vermutet hatte, jegliche Sitzgelegenheit war verlassen, doch auf dem Bett sitzend entdeckte sie ihn dann. Mehr als einen winzigen Augenblick brauchte sie nicht für die Ortung ihres neuen Verwandten, und schon gesellte sie sich zu ihm, ließ sich neben ihm nieder, ehe er aufstehen konnte und platzierte die Schüssel, deren Schönheit im Dunklen nur noch zu erahnen war, zwischen sich und ihm auf der weichen Unterlage.


    Sie sagte nichts. Momente verstrichen, in denen Epicharis einfach dort neben Gracchus saß und schwieg. Erst dann suchte ihre Hand nach seiner, fand sie schließlich und drückte sie tröstend. Worte erschienen ihr belanglos und oberflächlich. Die Geste drückte all das aus, was sie nicht in Worte hätte fassen können, ohne die Situation zu verändern. Verschlossen in einem anderen, stillen Kämmerlein ihres Gedächtnisses war die Freude der Hochzeit wegen, ihr Verstand beschäftigte sich nur mit dem Verlust, der Celerinas Tod für die Familie darstellen musste. Und sie hatte sie nicht einmal richtig kennenlernen können, hatte es auf später verschoben. Nun war dazu keine Zeit mehr. Epicharis, die bis eben auf der Bettkante gesessen hatte, streifte mit geübter Bewegung die einfachen Sandalen von den Füßen und platzierte sich selbst dann, begleitet von leisem Stoffrascheln, direkt neben Gracchus, der mit dem Rücken an der Wand saß. Eigentlich, so rief sie sich in Erinnerung, wäre es Antonias Aufgabe gewesen, ihn nicht allein zu lassen. Aber Antonia hatte, wenn sie bereits von der Tragödie wusste, sicherlich selbst genug damit zu tun. Epicharis war vermutlich die einzige, welche die Tatsache nicht gar so schlimm traf wie alle anderen. Und so saß sie nun an Gracchus' Seite, hielt seine Hand und schwieg gemeinsam mit ihm, ohne etwas aufdrängen zu wollen.

    Schrecklich, einfach schrecklich war die Nachricht! Epicharis hatte es vor einigen Stunden von einem Sklaven erfahren und war einfach schockiert gewesen. Aquilius war nicht im Hause, wusste daher noch nichts vom Tod seiner Nichte. Wo Aristides war, wusste Epicharis gerade nicht. Antonia war mit ihrem Kind beschäftigt, ob sie es wusste, konnte Epicharis nicht sagen. Aber sie wollte nicht Gefahr laufen, es ihr preiszugeben. Das wäre nicht rechtens gewesen, denn sie kannte Celerina bisher kaum. Gracchus aber wusste es mit Sicherheit, denn er hatte den Boten empfangen, wie Epicharis hatte herausfinden können. Was musste jetzt in ihm vorgehen?


    Epicharis hatte nicht lange gezögert. Ihren Brief an Aelia hätte sie ohnehin nicht fertigschreiben können, so plötzlich, wie die Nachricht sie getroffen hatte. Nach einer Weile des Hin-und-her-Überlegens schob sie also das Tintenfass fort und legte die Feder ab, dann stand sie auf und legte sich im Hinausgehen eine Palla um die Schultern.
    Auf dem Weg hin zu Gracchus' Cubiculum, wo sie es zuerst versuchen wollte, kam ihr eine Idee, und sie machte einen Umweg über die Culina. Gute zehn Minuten später stand sie dann endlich vor der fein gemaserten Tür zu Gracchus' Reich, hielt die filigrane Schale, deren Seiten stilisierte Vögel zeigten, in der einen Hand und klopfte mit der anderen an.

    "Brigantica", Epicharis nickte, runzelte dann aber die Stirn. "Du wirkst nicht so glücklich mit deinem neuen Namen. Möchtest du lieber Bridhe genannt werden?" fragte sie. Als sie Fiona von ihrem Vater übertragen bekommen hatte, hatte Epicharis zunächst auch überlegt, ob sie vielleicht gemeinsam einen Namen finden konnten, der leichter auszusprechen war. Epicharis tat sich zwar nicht schwer damit, fremde Wörter zu erlenen, doch machten ihr die andersartige Aussprache ein wenig zu schaffen, was Bridhe sicher auch bei der Aussprache des Namens ihres Sohnes aufgefallen war. Erneut betrachtete sie die glückliche Einheit von Mutter und Kind, zeigte dann allerdings Überraschung, als ihr Gegenüber davon sprach, die Lemuria nicht zu kennen. Wie alt mochte der Kleine sein? Ganz neugeboren war er nicht mehr, sein Gesichtchen wirkte nicht mehr ganz so zerknautscht wie das von Klein-Gracchus. Die Lemuria waren ein langes Fest, das einmal jährlich gefeiert wurde. Jede Familie Roms feierte es, daher erschien es Epicharis doch sehr seltsam, dass Bridhe es nicht kannte. Was eine neue Frage aufwarf. Doch die würde sie erst ein wenig später stellen. Zuerst hörte sie die Erzählung von den Bräuchen der Kelten, die ihr seltsames Samhainfest feierten.


    "Ein Feuer, um den Geistern den Weg zu leuchten?" wunderte sie sich. Sicher sollten die Geister besänftigt und fern gehalten werden von den Häusern. Vielleicht lenkte man sie mit dem Feuer von den Häusern ab? Ja, das klang durchaus logisch. Dennoch fragte Epicharis nach. "Den Weg wohin denn? Oh, da ist ein Ring drin?" Epicharis kicherte. "Dann solltest besser du ihn finden, ich habe ja eben erst geheiratet", sagte sie fröhlich. "Was hat es mit dem Apfel auf sich? Mir scheint, dieses Samhain ist ein lustiges Fest. Habt ihr auch öffentliche Opferungen?" Nein, Epicharis musste nicht erst auftauen, es entsprach ihrem Naturell, offenherzig und wissbegierig zu sein.


    Inzwischen hatte Bridhe ihren Sohn beruhigt und Epicharis grübelte immer noch darüber nach, wer der Vater war und was Bridhe hier eigentlich so tat. Im nächsten Satz allerdings stellte sich heraus, dass sie wohl eine Cubicularia war. Epicharis nickte zum Zeichen, dass sie verstanden hatte. "Dann bist du Aquilius' Sklavin? Oder Cubicularia?" fragte sie schließlich doch, wonach sie wieder einen Bissen Brot nahm. Bridhes eigenes lag vor ihr auf dem Tisch, der Sohnemann war schließlich dazwischengekommen. Auf den bezogen sich Epicharis' Blicke nun wieder stärker, und sie strahlte, als Bridhe ihr den kleinen Mann reichte. Sie streckte die Arme aus und nahm das kleine Menschlein entgegen. Es war ihr nach wie vor ein Rätsel, wie aus den kleinen Füßen und Händen später man die Pranken eines ausgewachsenen Mannes werden konnten. Sie bettete den Kopf des Kindes vorsichtig in ihrer Armbeuge und hatte dann nur noch Augen für ihn. Der Kleine schien es gut zu finden, nach Epicharis' Haarsträhnen zu greifen, zupfte daran und brabbelte vor sich hin. Die Flavia versuchte, ihm die Haare sanft zu entwinden, schaffte es schließlich und gab ihm stattdessen einen kleinen Finger zum Spielen. Der Wunsch, ein eigenes Kind zu haben, war nun fast übermächtig. Wie gut es doch war, dass sie damals nicht doch zu den Vestalinnen gegangen war! Was sie da alles verpasst hätte... Das ganze Leben wäre an ihr vorbeigezogen, und wer hätte sie alt und verbraucht schon noch haben wollen? "Ach nein, ist er niedlich... Wie alt bist du denn, hm?"

    Es kam nicht oft vor. Das kam es sicher nicht. Ein stummer Betrachter mochte vielleicht sogar behaupten, dass es nie vorkam. Doch wenn es vorkam, dass Epicharis wütend wurde, war es eines sicher niemals: Schön für denjenigen, gegen den sich Epicharis dann wandte. In diesem Fall war es Fiona.


    Zunächst hätte Epicharis Stein und Bein geschworen, dass Fiona niemand war, der unüberlegt oder ungerecht urteilte. Von dieser Meinung kam sie allerdings schnell ab, als sie die allzu offensichtliche Gefühle auf dem Gesicht der Sklavin und an deren Körperhaltung ablas. Eines konnten Frauen nämlich ganz wunderbar, es war ihnen sozusagen angeboren: Sie waren meistens wahre Spezialisten, was die Deutung von Emotionen und Gedanken ihrer Mitmenschen betraf. Auf Epicharis' Stirn zeigten sich allein bei der Betrachtung der sklavischen Züge die ersten steilen Falten. Fionas Worte lösten einen Mechanismus in Epicharis aus, der vor langer Zeit verschütt gegangen war, nun aber mit aller Macht an die Oberfläche drängte. Niemand redete so herablassend mit ihr, wenn sie nichts für die Situation konnte!


    Epicharis sprang einen Bruchteil nach Fiona ebenfalls auf und ergriff die Sklavin erstaunlich fest für ihre Statur am Handgelenk, zog sie herum und zwang sie damit, ihrer Herrin ins Gesicht zu sehen. Statt einer Ohrfeige seitens Epicharis erntete Fiona vorerst nur einen Blick, der ihr zu verstehen geben sollte, dass Gutmütigkeit nun das Letzte war, das Epicharis verkörperte. "Rede... Nie wieder so mit mir, hast du verstanden?" artikulierte sie mühsam beherrscht nach einigen Augenblicken des stummen Kräftemessens mit Fiona. Einerseits enttäuscht darüber, so von Fiona angegangen worden zu sein, andererseits erschrocken über ihre eigene Reaktion, ließ Epicharis das Handgelenk ihrer Sklavin dann urplötzlich los und wandte sich demonstrativ von ihr ab, um scheinbar interessiert in den hinteren Teil des Gartens zu schauen. Sie hoffte, dass Fiona diese Geste als die Aufforderung, zu gehen, verstehen würde, als die sie gemeint war. Gleichzeitig fragte sie sich, warum sie so überhastet reagiert hatte. Allmählich sank der Adrenalinpegel wieder, und Epicharis wurde innerlich ruhiger. Doch Fiona bedachte sie mit keiner einzigen Geste, keinem Blick mehr.

    Auf die nachträglich ausgesprochene Einladung hin nickte Epicharis nur dankbar. Die Frau setzte sich ihr gegenüber und bot ihr dann ein Stück Brot an. Eigentlich hatte Epicharis kaum Hunger, andererseits war sie eben auf dem Weg ins Triclinium gewesen. Da konnte sie genauso gut hier ein Stückchen Brot essen, das gebot die Höflichkeit allein schon. Und Bridhe hatte ohnehin schon zwei Stücke abgeschnitten und schob ihr nun eines hin. "Danke", entgegnete Epicharis. Und als sie einen ersten Bissen genommen hatte, sagte sie: "Mmmh, das ist wirklich gut - gehst du öfter dem Koch zur Hand?" Süßes Brot schmeckte, wie Epicharis feststellte, fast so wie die kleinen Kuchen, die man überall in der Stadt kaufen konnte. Nur ein paar Krümel blieben auf dem Tisch zurück, als das Brotstückchen verschwunden war.


    Der gehegte Verdacht bestätigte sich, dass sie Keltin war. Die darauf folgende Antwort allerdings warf schon einige Fragen auf. Epicharis runzelte die Stirn und bedachte Bridhe mit einem fragenden Blick. "War?" Dann trat erkennen in ihren Blick. Sicher hatte man ihr beim Kauf einen neuen, einfacheren Namen gegeben. "Wie nennt man dich jetzt?" fragte sie daher.


    "Samhainabend?" echote sie dann. "Ist das so etwas wie die Lemuria?" Sie konnte sich sonst keinen Reim darauf machen. Sie betrachtete die spärlichen Gaben auf dem Tisch erneut. Wie ein Fest sah das nicht aus. Aber das lag gewiss daran, dass der Sklavin die Mittel fehlten, und da sie sie nicht vor den Kopf stoßen wollte, sagte sie nichts dazu, sondern deutete stattdessen auf das süße Brot. "Darf ich noch ein kleines Stückchen? Es ist wirklich sehr gut. Was sind deine Aufgaben im Haus? Als Bäckerin hättest du sicher eine große Anhängerschaft", bemerkte sie freundlich und wandte sich dann nach dem Kind um, dass zunächst quengelte und dann zu schreien begann. Auf Epicharis' Gesicht war nun der Ausdruck zu sehen, der jeder Frau eigen ist, wenn sie sich ein eigenes Kind wünscht: Sie litt mit. Seine Mutter holte ihn auch gleich hervor und schaukelte ihn ein wenig. Wie herzig der Kleine doch war. Epicharis schmunzelte vor sich hin, konnte dem Drang dann aber doch nicht widerstehen. "Was ist er goldig! Diarmuid... Möchtest du mal zu mir kommen?" sprach sie mit dem Kleinen. "Darf ich?" wandte sie sich danach lächelnd an Bridhe.

    Weder Fiona noch Epicharis rührten sich. Das ging eine ganze Weile so. Jeder hing wohl seinen eigenen Gedanken nach, auch wenn man die des jeweils anderen wohl nicht erahnen konnte. Epicharis jedenfalls haderte mit sich selbst und hinterfragte ihre Reaktion auf Fionas Bitte. Jedoch konnte sie nicht feststellen, woran genau die Sklavin Anstoß gefunden hatte. Wind zupfte zaghaft an den Zweigen der Rosenbüsche um sie herum und lie0 das am Boden liegende Laub leise rascheln. Der würzige Duft von feuchter Erde und nassem Gras war sehr intensiv und drang weit in Epicharis' Lungen ein, als sie tief durchatmete.


    Fionas Worte ließen die Patrizier wieder aufsehen. Doch Fionas Blick konnte sie nicht einfangen. Die Sklavin fixierte den Boden. Epicharis ließ einen Moment verstreichen, ehe sie antwortete. "Wie meinst du das, Fiona? Wie könnte ich dir dazu etwas sagen, wo ich doch nicht mehr weiß, als das, was du mir eben gesagt hast? Dass er dein Verlobter ist. War. Und dass du ihn suchen willst? Wie stellst du dir das vor?" fragte sie nach und schüttelte dabei andeutungsweise den Kopf. "Und was wäre, wenn du ihn gefunden hättest? Du erwartest von mir, dass ich dir blind vertraue. Und dass ich dich bevorzugt behandle. Du kennst mich inzwischen. Habe ich je ungerechte Entscheidungen in Bezug auf euch getroffen?"

    Zunächst nur gespannt, harrte Epicharis voller Erwartung des Stückes. Auf den Prolog folgend, bei dem sie sich noch nichts Besonderes dachte, spielte sich die erste Szene auf der provisorischen Bühne ab, in deren Verlauf die Hand Epicharis' mit dem Weinbecher langsam sank und das Gefäß schlichlich abstellte, nur um darauf ergriffen sich an die Brust zu fassen. Das war ihre Geschichte, Aristides' und ihre. Sprachlos verfolgte sie den weiteren Verlauf des ersten Aktes und durchlebte Empfindungen und Gedanken noch einmal. Sie hatte darauf verzichte, Aristides genauer über das Erlebte auszufragen, denn schon beim ersten Mal hatte sie feststellen müssen, dass er nur widerwillig darüber sprach. Doch die unzähligen Narben auf seinem Körper, die sie in der Hochzeitsnacht erstmalig zu Gesicht bekommen hatte, waren mehr als genug Antwort auf jedwede Frage in dieser Richtung gewesen.


    Als der Böse dem Mann auf der Bühne das Schwert in die Brust stieß, sog Epicharis vor Spannung sie Luft ein. Aristides lag zu weit entfernt, als dass sie nach seiner Hand hätte greifen können, sonst hätte sie es vermutlich getan. Wie mutig der Krieger war, als er immer wieder angriff und sich letztendlich fort zog, in Sicherheit. "Oh", hauchte sie ergriffen, als es hieß, dass der Sklave eine schlechte Nachricht verfasste. War er nun tot, der tapfere Recke? Epicharis' Brauen zogen sich traurig zusammen. Welch eine Tragödie! Aber, dachte sie sich, wenn das Stück ihre und Aristides' Geschichte widerspiegelte, dann konnte der Soldat nicht tot sein... Sicher war es nur eine falsche Nachricht, oder sie würde falsch interpretiert werden. Der Verlobten aber würde es dennoch schlecht gehen.


    Ein Sklave war neben Epicharis getreten, um ihr eine Ausswahl kleiner Happen auf einem Tablett feilzubieten, aber sie winkte nur abgelenkt mit der Hand, sich vollauf auf das Geschehen vorn konzentrierend. Der Sklave setzte seine Arbeit allerdings fort, hielt nun Aristides das Tablett kleiner Köstlichkeiten hin.

    Owain also. Ein seltsamer Name. Aber Fiona war schließlich auch ein seltsamer Name. Epicharis seufzte leise, als sie die Tonlosigkeit in ihrer Stimme heraushörte. Es war also doch nicht richtig gewesen, Fiona damit aufheitern zu wollen, indem sie sie nach ihrem Geliebten fragte. Bekümmert schwieg die Flavia daraufhin, betrachtete Fiona nur mit einem um Verzeihung bittenden Blick, der deutlich unglücklicher wurde, als die ersten Tränen bei Fiona kullerten. Der Sonnenschein wollte nun gar nicht mehr zur Situation passen, schien sogar wie Hohn auf den feuchten Blättern und dem sattgrünen Gras zu glänzen.


    "Fiona", versuchte Epicharis vergeblich, ihre Sklavin zu beruhigen. Doch diese sprang auf. Sah sie an, als sei Epicharis dafür verantwortlich, dass sie damals ihren Verlobten verloren hatte. Fionas Worte verletzten Epicharis, die nun betrübt zu ihrer Sklavin aufsah. "Geh nur, wenn du möchtest", sagte sie matt und sah fort.

    Die Frau sagte nichts, sondern starrte Epicharis nur weiterhin an. Dass sie verängstigt war, darauf kam die Flavia gar nicht. Und warum auch? Sie hatte schließlich keine schlechten Absichten. Ganz fasziniert war sie von dem kleinen Geschöpf in der Wiege, dass sich nun reckte und streckte und ganz offensichtlich aufgewacht war. Als sie die Hand zurückzog und die Frau mit warmem Lächeln wieder ansah, fiel ihr ein, dass sie deren Namen noch gar nicht kannte. Auch gewahrte sie nun den Ton in ihrer Stimme und die alarmierte Haltung. Epicharis überlegte, wie sie ihr die Angst nehmen konnte, zog sich einen Stuhl gegenüber dem Bridhes heran und setzte sich. Dabei ließ sie neuerlich den Blick über das kärgliche Mahl und die Kerze streifen.


    "Diarmuid... Ist das keltisch? Bist du Keltin?" fragte sie freundlich und warf dann dem Kind noch einmal einen kurzen Blick zu. "Er ist wirklich ganz reizend. Und wie heißt du? Ich bin Epicharis." Dabei vergaß sie, der Frau ihren Status hier in der Familie zu nennen. Es war ohnehin schon ein wenig seltsam, dass es flavische Sklaven gab, die nicht auf der Hochzeit geholfen hatten. Allerdings, mit dem Kind wäre es vermutlich auch schlecht gewesen, überlegte die Flavierin. "Du singst wunderschön. Wovon handelt das Lied? Es klang so traurig." fragte sie Bridhe dann weiter aus. Ihr fielen auf Anhieb noch viele Fragen ein, aber sie hätte die Fremde damit wohl nur überrollt, ganz zu schweigen davon, dass es sie wohl nur noch mehr verängstigt hätte als ohnehin schon. "Du hast doch nichts dagegen, dass ich mich zu dir setze?" Vermutlich würde sie ohnehin mit Nein antworten, aus Angst, Epicharis vor den Kopf zu stoßen. Doch daran dachte sie nicht.