Beiträge von Flavia Epicharis

    Die frohe Kunde hatte sich verbreitet wie ein Lauffeuer. Auch, dass Celerinas Leibsklavin nicht mit ihr heimgekehrt war. Nicht nur für Epicharis war es wie ein Wunder, dass Celerina doch nicht verstümmelt und tot war, verbrannt durch ein grausiges Feuer. Ob Gracchus es bereits wusste, ahnte Epicharis nicht - doch sie war sich sicher, dass er nun ganz und gar wahrhaftig einsehen würde, dass es keinen Fluch gab, der auf ihm oder sonst einem flavischen Familienmitglied lastete.


    Epicharis hatte mit sich gehadert, ob sie nicht besser Celerina noch für eine Weile ihre Ruhe lassen sollte, sich dann aber dagegen entschieden. Sie musste sich einsam vorkommen, und das, was sie erlebt hatte, war vielleicht besser zu ertragen, wenn sie jemandem davon erzählen konnte. So sah sie zunächst in der Küche vorbei, um anschließend mit einem kleinen Honiggebäckstück auf einem schmucken Tellerchen vor der Tür zu Celerinas Gemächern zu stehen und zu klopfen. Dass Epicharis damit wohl endgültig zur neuen flavischen Mutter Teresa mutierte, störte sie nicht im Geringsten.


    Die anwesende Sklavin öffnete, nachdem sie Celerinas Wünschen Folge geleistet hatte, und teilte ihrer Herrin leise mit, wer dort vor der Tür stand und auf Einlass oder Abweisung wartete.


    Sim-Off:

    Chimerion, bist du nun an mir vorbei oder schon vor mir anwesend oder...? -.^ Schade, dass mein Post von dir einfach übergangen wurde.

    Auf dem Bratzug wurde die Braut von zwei Sklavinnen begleitet, die eine Spindel und einen Spinnrocken mit sich führten, und von drei Jungen, deren Eltern noch leben mussten. Die drei Jungs trugen Weißdornfackeln und führten den Zug an. Brautjungfern gab es meines Wissens nach nicht, und die Sklavinnen dürften aus dem eigenen Besitz gestammt haben.


    Es gab auch Helfer, die die Braut zu Beginn des Zugs dem Mann "entrissen" haben, denn eigentlich war das wohl nicht so Friede, Freude, Eierkuchen, wie das bei den meisten Hochzeiten hier ausgespielt wird. Die Braut hat sich ganz irr gebärdet und die Brautmutter hat da wohl auch eine große Rolle gespielt.


    Aristides hat ein ganz nettes Buch zum Thema gehabt, an das haben wir und größtenteils gehalten bisher. Die Infos sind daraus, leider weiß ich Titel und Autor gerade nicht. Aber vielleicht kann er das ja nachreichen. :)



    Ich persönlich glaube nicht, dass es Brautjungfern in irgendeiner Form damals gab. Die Brautjungfern waren ursprünglich ja dazu da, böse Geister von der Braut abzulenken und ihr bei den Vorbereitungen zur Hochzeit zu helfen. Im antiken Rom hat man das mit den Spottversen und Kehrreimen gemacht, bzw. ohnehin den Sklaven die Vorbereitungen überlassen. Brautführer (also männliche Brautjungfern) brauchte es damals auch nicht. Aufgepasst haben die Sklaven, und die Braut "geführt" in dem Sinne hat ja die Pronuba.

    Gerade von Tucca hätte sie nicht erwartet, dass er so locker mit einer solchen Formulierung umging. So war es an ihr, ein wenig nachdenklich dreinzuschauen. Und sie war dankbar dafür, dass er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Sie blickte den kleinen Schwarzhäutigen an und nickte ihm kurz zu. Er war Tuccas Augenlicht, und ohne ihn ging er nirgendwo hin, weil er es nicht konnte. Ob sich der Sklave darüber bewusst war, welche Macht er im Grunde damit über Tucca hatte? Er konnte ihm sonst etwas einflüstern, und dem armen Claudier blieb nichts anderes übrig, als seinem Sklaven Glauben zu schenken.


    Epicharis dachte kurz nach. Im Grunde wusste sie nichts von Tucca. Gut, er hatte stets zurückgezogen in Ravenna gelebt, und während der wenigen Male, die sie sich auf Festen und Feiern ...gesehen hattenm war Epicharis noch klein gewesen. Genauer betrachtet, hatten sie nie wirklichen Kontakt zueinander gehabt. Es war seltsam, dass er nun in Rom war, wo doch alles noch fremder für ihn sein musste als in seinem eigenen Haus im Norden Italiens. "Es geht mir bestens, danke", erwiderte Epicharis. "Ja, doch. Das kann man wohl so sagen. Es ist hier nicht viel anders als zu H...in der Villa Claudia", sagte sie und hätte um ein Haar zu Hause gesagt. "Ein wenig mehr Trubel, auch bedingt durch Antonias Kind - und stell dir vor, neuerdings haben wir hier sogar einen Arbor Felix!" Epicharis war sich bewusst, dass sie einen Gedankensprung machte, aber der Gedanke war ihr eben in den Sinn gehopst. "Möchtest du dich setzen? Vielleicht etwas trinken? Oder wartest du auf jemand bestimmten?"

    Es schien sich alles zum Guten gewendet zu haben. Dem Jungen hatte der Aufenthalt auf dem Land scheinbar sehr gut getan. Das Lächeln, das Epicharis entgegenstrahlte, war echt. So ein süßes Lausbubenlächeln konnte selbst Serenus nicht vortäuschen. Eine kleine Gerölllawine purzelte vom flavischen Herzen, gleichzeitig lächelte Epicharis ihrem Stiefsohn zurück. Er hatte sie sogar Mutter genannt. Sie musste sich beherrschen, schnappte zitternd nach Atem - der ihr dann stockte und im Halse stecken blieb. Zwanzig Pfund? Sie blinzelte Serenus an, verkniff sich mit Mühe einen Blick an sich herunter. Und alle soeben gehegten Gedanken wurden im Geiste revidiert. Er hatte sich scheinbar nicht geändert. Weder in seinem Charakter noch bezüglich der Sichtweise Epicharis betreffend. Sie wusste, dass sie immer noch in die gleichen Tuniken passte wie vor einem Jahr.


    Sie überlegte, doch nicht lange. Ein Flavius Serenus war nicht der einzige, der in Rafinessen vielerlei Art geschult worden war. Epicharis gab sich keine Mühe, ein unechtes Lächeln echt wirken zu lassen. Sie sah Serenus ein wenig traurig an. Und sie erwiderte nichts auf dessen als Kompliment verpackte Stichelei. Damit, so wusste sie, konnte man den Leuten am ehesten den Wind aus den Segeln nehmen, auch wenn ihr durchaus eine garstige Anspielung auf seinen Kleinwuchs auf der Zunge lag. Immerhin machten die meisten Jungen erst kurz vor dem Ablegen der Bulla einen Sprung nach oben. Serenus war nur wenig gewachsen seit ihrem letzten Aufeinandertreffen, fand sie. "Das soll heißen, dass wir auf uns gestellt sind. Dein Vater und dein Onkel bereiten die Vorspeise zu. Wir waren in diesem Jahr schlichtweg zu spät dran, es gibt keine unbeschäftigten Freien mehr." Das sollte als Erklärung genügen, selbst für Serenus. Beinahe demonstrativ nippte sie ein weiteres Mal an ihrem Weinbecher, wobei die Ohrringe leise klingelten, dann wandte sie sich an Cassim. "Du heißt Cassim, nicht wahr?"

    Leises Knistern drang aus einem der angrenzenden Räume. Papier, das geknickt und kurz darauf glatt gestrichen wurde. Das Geräusch eines Bandes, das über Papier strich und geknotet wurde. Epicharis band eine Schleife. Dann hielt sie das in dunkelblaues Papier eingepackte, verspätete Geschenk vor sich hin und musterte es kritisch. Vielleicht würde es ihm ja gefallen. Es war schon peinlich genug gewesen, dass sie nichts für Serenus gehabt hatte, als er so plötzlich aufgetaucht war. Aber wer hätte auch ahnen können, dass er genau zu den Saturnalien auf der Matte stand?


    Als sie Schritte hörte, wandte sie sich um und sah zum Eingang ins Atrium. Nordwin war soeben in einem der Gänge verschwunden. Epicharis widmete sich wieder dem Geschenk, klemmte es sich unter einen Arm und stand dann auf. Mit der anderen Hand klaubte sie die restlichen Papierstreifen und das übrig gebliebene Stück Band zusammen, dann verließ sie das Tablinum und machte sich auf den Weg zu ihrem Zimmer. Während sie das Atrium durchquerte, fiel ihr Blick auf einen Mann. Sie kannte ihn, im Grunde zwar nur flüchtig, aber dennoch wusste sie, wer er war und ahnte auch, was er hier machte. Kurzentschlossen bog sie also nach links ab, statt geradeaus weiterzugehen, und kam auf Tucca und seinen Schatten zu. "Tucca, ich bins, Epicharis. Schön, dass du hier bist. Wie geht es dir?" sprach sie ihn an, als sie bei ihm angelangt war. Im letzten Moment hatte sie die Formulierung "schön, dich zu sehen" vermieden.

    Bridhe ging nicht weiter auf den Vater ein, was Epicharis ein wenig stutzen ließ. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Wusste sie nicht, wer der Vater war? Oder empfand sie den Vater als ungeeignet? Epicharis grübelte darüber nach, aber es wollte sich ihr nicht erschließen, was genau Bridhe diesen traurigen Zug um die Lippen bescherte. Lautlos seufzte sie und betrachtete Bridhe dabei, wie sie das schlanke Messer nahm und dazu ansetzte, den Apfel zu teilen. Doch sie hielt inne und starrte Epicharis an. Epicharis erwiderte den Blick und sah, dass ihr Gegenüber plötzlich Tränen in den Augen hatte.


    Augenblicklich keimte ein schlechtes Gewissen in Epicharis. Was hatte sie falsch gesagt? Kurz blickte sie betreten auf das kleine Köpfchen Diarmuids hinunter, sah dann Bridhe wieder an, als sie zu sprechen begann. Bereits nach wenigen Worten berührte die Aufrichtigkeit das zarte claudische - flavische! - Herz, so dass auch Epicharis' Augen sich ein wenig mit Flüssigkeit füllten. Das Messer wurde wieder fort gelegt. Epicharis löste eine Hand von dem Kleinen und griff über den Tisch nach Bridhes Hand, um sie kurz zu drücken. "Es ist traurig, wenn man an einem Festtag allein sein muss, ob das nun ein römischer oder ein keltischer ist. Ich würde dir wirklich gern helfen, damit du nicht mehr so traurig bist. Du wirst sehen, irgendwann wirst du jemanden finden, der dir das gibt, was jeder zum Leben braucht. Und bis dahin lass mich dir helfen." Epicharis wusste selbst nicht so genau warum, aber diese triste Situation, die Bridhe umgab, ging ihr doch recht nahe. Und es würde gut tun, etwas Gutes zu tun. Aufmunternd lächelte sie, zog dann ihre Hand zurück und blickte zu dem Kleinen hinunter, als dieser ein zufriedenes Seufzen ausstieß. "Ein Kind sollte glücklich aufwachsen", stellte sie fest und sah dann Bridhe wieder an.


    "Ja, das meine ich. Wieso auch nicht? Wenn es dir Spaß macht und du es kannst? Brot und Leckereien werden immer gegessen. Und du hättest sogar schon einen Kunden, nämlich mich." Epicharis schmunzelte. "Es sollte eigentlich nicht schwer sein, das nötige Startkapital zu stellen. Ich würde Marcus fragen. Und vielleicht mit Aquilius reden..."

    Dass der Junge überraschend eingetroffen war, hatte Epicharis mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Es war wohl ihr Glück gewesen, dass er nicht schon zur Hochzeit plötzlich aufgetaucht war und sie mit einem neuerlichen Schauergeschenk bedacht hatte. Dafür war ihr die tote Ratte auf dem Silbertablett zu ihrer Verlobung noch allzu deutlich im Gedächtnis geblieben. Auch, wenn sie sich sagte, dass der Junge damals gar nicht gewusst hatte, was er da tat. Sie hatte noch eine ganze Weile allein vor dem Schminktisch gesessen, unschlüssig darüber, was sie zu ihm sagen sollte. Im Grunde war sie nun seine Stiefmutter. Und egal was er tun würde, sie würde sich ganz gewiss nicht klein kriegen lassen! Zumindest vorgenommen hatte sie sich das.


    Als die Frage nach der Gewandung geklärt war und Epicharis sich in ihre blutrote Tunika gekleidet hatte - heute musste sie es selbst machen, schließlich waren die Saturnalien-, stand sie wieder vor dem Spiegel. Sie legte sich eine goldene Kette mit Rubinen um den Hals, dann kontrollierte sie die goldenen Fibeln auf ihren Sitz und klipste sich noch baumelnde Ohrringe an. Solchermaßen zufriedengestellt, erneuerte sie noch einmal die rote Tünche auf ihren Lippen, dann verließ sie ihre Gemächer. Die Villa war still heute, die meisten Sklaven bereits ausgeflogen. Nirgendwo hörte man geschäftiges Tun, von der Küche einmal abgesehen. Aus ihr drang auch hin und wieder ein Fluch, der Epicharis amüsiert schmunzeln ließ. Sie wusste, wer da fluchte, klirrte und schepperte. Dennoch lenkte sie ihre Schritte nicht zur Hilfe, sondern ging ins Triclinium. Und als sie es erreichte, wünschte sie sich in die Küche: Serenus und dieser Kriegssklave saßen dort.


    Diesen Cassim hatte sie schon das ein oder andere Mal gesehen, sich aber nie mit ihm unterhalten. Nordwin hatte ihn als seltsam deklariert. Und sie wusste zwar, dass er ihrem Mann gehörte, aber nicht, was sie von ihm halten sollte. Und Serenus... Das Bildnis einer toten Ratte manifestierte sich, als sie über die Schwelle trat und sich unwohl zu fühlen begann. Auch, wenn der Junge damals schließlich in jugendlichem Leichtsinn gehandelt hatte. Und Unwissend. Cassim verlangte eben nach Wein. Sie zauberte ein neutrales Lächeln auf ihre Lippen. "Salvete." Und griff nach Bechern und Krug, um sich und dem Sklaven einzuschenken. Wortlos reichte sie ihm den Becher, setzte sich dann selbst auf den Rand einer Liege. "Frohes Saturnalienfest", wünschte sie beiden und nippte am Wein. Da fiel ihr ein, dass sie nichts für den Jungen hatte... "Es kommen leider keine Freien, Serenus", teilte sie ihm mit, verriet aber nicht den Grund. Ihrem Mann wollte sie nicht in den Rücken fallen.

    Epicharis wurde aus dem Mann nicht schlau. Ein wenig ratlos sah sie ihn an. Zwar musste er schon einiges an Ehrgeiz besitzen, um sich im CD das Bürgerrecht erarbeiten zu wollen und das auch zu schaffen, aber warum genau er sie nun angesprochen hatte, wollte ihr nicht aufgehen. So stand sie ein wenig ratlos zwischen ihren bepackten Sklaven und wusste nicht recht, was sie dazu sagen oder ob sie nicht einfach gehen sollte.


    "Na, dann wünsche ich dir viel Erfolg bei deinem Vorhaben", sagte sie schließlich. Mit der Materie kannte sie sich schließlich auch nicht weiter aus, immerhin war sie nicht nur Bürger, sondern gehörte als Patrizierin dem römischen Adel an. Und nun, da sie eine Flavia war, sogar einer bekannten Kaisergens. Sie wartete noch einen Augenblick auf die Antwort - oder eine Frage-, dann würde sie dem Fremden noch einen schönen Tag wünschen und sich abwenden.

    Auf dem Weg röteten sich Epicharis' Wangen durchaus mehrere Male, was Dunkelheit und Schleier allerdings doch recht gut verbargen. Zumindest hoffte sie das. Ihre Hand in Aristides' war zunächst kühl, wurde auf dem weiteren Weg des Zuges jedoch wärmer und schwitziger. Nun wäre es also bald soweit. Zunächst aber würde der Ritus vollzogen werden müssen. Prüfend sah sich Epicharis nach Minna und Fiona um. Irgendwo entdeckte sie auch Antonia und lächelte ihr ein wenig unsicher zu.


    Von irgendwo her hörte sie Nordwin lachen, dann verkündete auch er einen Spottvers.
    "Flavius, du mächt'ger Krieger,
    heut bist du ein großer Sieger!
    Kriegst du doch die Claudia,
    jippieh jeh, hipp hipp hurra!
    Drum beweis' ihr auch das Kriegsführwissen
    und drück' sie ordentlich in die Kissen!
    Zeig ihr, wo der Hammer hängt
    der sie ihn and're Sphären lenkt!
    Hossa!"


    Oh ja, Epicharis nahm sich vor, mit Nordwin ein ernstes Wörtchen zu reden. Und mit denen, die auf seine Reime mit fröhlichem Gelächter antworteten, ebenso. Andererseits stand ein besonderer Zweck hinter solchen Verlautbarungen, und Epicharis sollte froh darüber sein, dass so viele der Gäste munter die bösen Geister vertrieben. Wie auf ein Zeichen hin, prasselten nun auch wieder Nüsse und Bohnen auf sie und Aristides hinunter. Irgendwo im Dunkel abseits des Weges konnte man Tauben gurren hören, die sich wohl über jede Hochzeit freuten.


    Und dann waren sie angekommen. Die Villa der Flavier war hell erleuchtet, von drinnen waren leise einige musische Töne zu vernehmen. Vermutlich Instrumentalisten, die noch einmal probten, ehe die Gäste drinnen weiterfeiern würden. Die drei Jungen traten zur Seite. Epicharis warf Aristides einen liebevollen Blick zu, dann ließ sie ihn los und sah sich nach Fiona und Minna um. Jemand hielt ihr eine flache Schale mit Öl hin. Epicharis schloss die Augen, der Großteil der Gäste war verstummt. Nur das stetige Prasseln und gelegentliches Knacken der Fackeln war zu hören, hier ein Hüsteln, dort ein Fußscharren. "Ianus, Cardea, hier stehe ich nun vor euch und ersuche um Einlass in mein neues Heim. Ich bitte euch, haltet die bösen Geister fern von diesem Haus, lasst sie nicht über die Schwelle treten und versagt ihnen den Zutritt, aufdass Zufriedenheit und Glück stets unbehelligter Gast in der Villa Flavia sein werden", sprach Epicharis ein kurzes Gebet an die Götter der Schwellen. Dann griff sie nach dem kurzen Pferdehaarpinsel, der in der Schale mit dem Öl lag, und bestrich damit die Pfosten zur rechten und zur linken Seite. Jemand reichte ihr die Wollfäden, die es danach zu befestigen galt. Epicharis legte den Pinsel zurück und begann, mit ruhigen Bewegungen die bunten Bändchen zu platzieren. Als sie der Meinung war, dem Ritus Genüge getan zu haben, gab sie die restlichen Fäden Fiona und wandte sich dann zu Aristides um. Jetzt würden sie starke Männerarme der Gäste über die Schwelle tragen müssen, damit sie nicht stolperte, und Aristides überantworten. Er würde im Atrium warten und ihr Feuer und Wasser darreichen. Epicharis lächelte dem jungen Decimer zu, der in der Nähe stand. Von ihm würde sie sich gern tragen lassen.

    "Oh, wie ergreifend!" hauchte Epicharis, die gen Ende das ein oder andere Tränchen nicht zurückzuhalten vermochte. Natürlich war es ihr ganz klar, dass dies hier Aristides' und ihre Geschichte war, zumindest im Grundgerüst. Als Aristides bereits klatschte, fiel auch Epicharis ein und applaudierte in schnellem Rhythmus. Ein Seitenblick zu Aristides hin bestätigte Epicharis' Vermutung, dass auch ihm das Stück gefallen hatte. Es ging gar nicht anders! Strahlend sah sie zu Gracchus und Antonia, ließ das Applaudieren allmählich verebben.


    Ihre Lippen teilten sich, sie wollte etwas sagen, doch dann entschied sie sich anders, klappte den Mund wieder zu und erhob sich flugs. Erst Gracchus, dann Antonia wurden aufs Herzlichste umarmt. "Vielen, vielen Dank! Das war das schönste Geschenk von allen", sagte sie begeistert und blickte wieder hinüber zu Aristides. Sie war bereits auf dem Weg zu seiner Liege, um sich irgendwie neben ihn und seinen Bauch zu setzen, als plötzlich jemand von der Post angekündigt wurde. Überrascht blieb Epicharis stehen, musterte den seltsam gekleideten Mann und setzte sich dann zu ihrem Ehemann, als der Postbote Geschenke ankündigte. Ein prüfender Blick streifte Gracchus und Antonia - hatten sie auch hier die Finger im Spiel? Andererseits wäre es wohl einfacher gewesen, einem flavischen Sklaven diesen Sack in die Hände zu drücken, als eigens jemanden vom Cursus Publicus zu engagieren. So wandte sie sich dem Postmenschen zu und wartete gespannt.

    Epicharis schwieg betreten, als Bridhe von ihrer Kindheit sprach. Einer Kindheit, die offensichtlich nicht lange gewährt hatte. Sie dachte an ihre eigene zurück. Zwar war ihre Mutter ebenfalls viel zu früh gestorben, aber Epicharis hatte nicht in ihre Rolle schlüpfen müssen. Dafür hatte es Ammen und SKlaven gegeben, und die ein oder andere Frau, die ihren Vater getröstet hatte. So schwieg Epicharis dazu und sagte nichts. Stattdessen krümelte sie ein wenig mit ihrem Brot herum und blickte dann und wann den Kleinen von schräg oben her an. Als Bridhe bezüglich Aristides antwortete, sah Epicharis auf und versuchte, in ihrem Gesicht ihre Meinung über ihn abzulesen, aber wirklich erkennen konnte sie nichts. Allerdings schien sie auch nicht recht über ihn sprechen zu wollen, also schwieg Epicharis auch hierzu und blickte nun auf den Apfel, den Bridhe genommen hatte. Ein wenig beklommen hielt sie den kleinen Diarmuid fest, lächelte jedoch wieder, als er das Fäustchen aus seinem Mund nahm und und glucksend ein wenig Spucke auf dem Tisch verteilte. "Ein Goldstück. Ich wünschte, ich hätte auch so einen kleinen, aufgeweckten Jungen. Sein Vater muss sehr stolz auf ihn sein." Immer noch wusste sie nicht, wer der Vater des Kindes war. Sonst hätte sie es als klüger betrachtet, hierzu zu schweigen.


    "Ist unser Schicksal nicht miteinander verbunden, wo wir nun beide in diesem haus wohnen?" fragte Epicharis freundlich und griff nebenbei nach der klebrigen Hand des Kleinen. der nun wieder zu quietschen begann. "Über die Zukunft... Ich möchte wissen, ob ich glücklich bleibe", erwiderte sie dann, stutze aber und berichtigte sich. "Nein, warte. Ich möchte wissen, ob ich dir und deinem Kind helfen kann, damit du nicht mehr so einen traurigen Blick hast." Ein freundliches und ganz und gar nicht hintergründiges Lächeln begleitete diese Worte. Diarmuid schwieg und sah mit großen Augen die Kerze an, die er eben erst entdeckt hatte.


    "Ach, das ist ja fast wie zu unseren Festen", sagte Epicharis schließlich. Eigentlich war das auch nicht wenig verwunderlich, immerhin traten die römischen Götter in Zweitjobs auch in anderen Regionen auf. Andererseits waren viele auch nur Heidengötter, und wer konnte schon sagen, wann es ein römischer Gott war, der in eine andere Rolle geschlüpft war, und wann ein Heidengott oder gar ein Hirngespinst? Epicharis wurde von diesen gedanken abgelenkt, als Bridhe wieder auswich. Sie schien nicht sonderlich viel mit den Flavier zutun haben zu wollen, schlussfolgerte Epicharis daraus. Und sie war nun auch eine Flavia. Ein wenig traurig über die Ablehnung, blickte sie wieder zu Diarmuid hinunter, dem allmählich die Äuglein zufielen. Selig betrachtete Epicharis ihn und begann, ihn ein wenig hin und her zu wiegen. "Du solltest Bäckerin werden", sagte Epicharis spontan. "Mit einem eigenen Laden vielleicht."

    Wie einfach Epicharis ihm eine Freude machen konnte. Aristides schien regelrecht aufzuleben, während in der Ferne die klappernden Essensvorbereitungen von einem baldigen Schmausen kündeten. Dass diese Cena im wahrsten Sinne des Wortes eine Überraschung für Aristides sein würde, dessen war sie sich sicher.


    Es wunderte sie nur ein wenig, dass ihr Ehemann meinungslos zu sein schien, was den Kaiser anbelangte. Nachdenklich musterte sie ihn, das Schulterzucken, das Stirnrunzeln und den plötzlich aufkeimenden Geistesblitz. Nach schmunzeln war ihr dennoch nicht zumute, immerhin hatte sie schon allerhand über diesen Präfekten gehört, und das meiste davon hatte recht befremdlich angemutet. Bei Aristides' Vergleich mit dem Prätorianer war es nun Epicharis, die die Stirn runzelte. Ein Moment des Schweigens zog sich in die Länge, in dem Epicharis überlegte. "Iulianus hatte keinen Sohn. Also hat er einen Mann ausgewählt, den er kannte und der ihm vertraute. Haben die beiden nicht früher in der Legion zusammen gedient? Also, wenn du mich fragst, dann ist das der Grund für diese Adoption damals gewesen. Damals dürfte Valerianus auch um einiges vielversprechender gewesen sein...aber schau ihn dir doch jetzt mal an", sagte Epicharis und schüttelte den Kopf. "Meinst du? Ich finde nicht, dass ein Praefectus Urbi einen solchen Einfluss haben sollte. Wer weiß, vielleicht ist es auch sein Verdienst, dass der Caecilier nun abgelöst wird. Dieser Artorier erscheint mir weitaus weniger gefährlich, zumal er dieses Kommando auch neu bekommt. War das nicht dein Kastellpräfekt?" Fragend zogen sich Epicharis' Brauen zusammen, während sie ihren Mann musterte.


    Und sie musterte ihn noch eingehender, als er nicht viel zum Senatorendasein zu sagen hatte. Epicharis seufzte leise. "Marcus", begann sie, und wenn Aristides sich an Gelegenheiten zurückerinnerte, die diesen Tonfall beinhalteten, dann würde er ahnen, dass ihm nun eine mittelschwere Standpauke bevorstand. "Sieh mal, mit deinem Bein kannst du nicht mehr in den aktiven Dienst zurück. Und in der Verwaltung würdest du vor Langeweile sterben. Der Tempeldienst ist natürlich auch eine Option, aber ich glaube nicht, dass...er zu dir passt." Eigenlich war es eher Aristides, der nicht zum Tempeldienst passte... "Oder ein Collegium. Hättest du daran Freude?" Prüfend sah Epicharis Aristides an und erwartete natürlich ein Nein. Umgehend sprach sie weiter und untermauerte ihre Aussagen mit einer grazilen Geste. "Wie ehrenvoll wäre da der Sitz im Senat? Die Flavier haben so viele Senatoren hervorgebracht, mehr als viele anderen Familien. Ich bin mir sicher, dass du es schaffen würdest. Und natürlich würde ich dir helfen, wo ich kann." Wenn ihn das noch nicht überzeugte, würde es nun Epicharis' unschuldiges, einnehmendes Lächeln tun. Und falls das auch nichts half, setzte sie noch etwas obenauf. "Stell dir nur die leuchtenden Augen Serenus' vor, wenn du Senator Flavius Aristides bist, und nicht mehr nur Centurio. Und du würdest auf vielen Gastmählern und Gelagen bei wichtigen Persönlichkeiten eingeladen werden..." Wohin er sie natürlich mitnehmen würde, immerhin war sie nun seine Frau. Jetzt kam es nur noch auf Aristides' Reaktion an. Wenn er nun begann, sich zumindest ein wenig mit dem Gedanken anzufreunden, hätte sie schon fast erreicht, was sie wollte.


    "Nein, die Rothaarige", erwiderte sie automatisch auf seine Frage und dachte fast augenblicklich zurück an die nachmittägliche Situation im Garten. Wieder kam ein leiser Seufzer über ihre Lippen, und ein plötzlicher Lufthauch ließ die Flammen im Raum flackern. Würzige Gerüche zogen nun in den Raum hinein. Das Essen musste bald fertig sein. Interessiert lauschte sie den Worten ihres Mannes. Dass ein so zuvorkommender Sklave wie Hannibal morden könnte, mochte Epicharis gar nicht glauben. Doch welchen Grund hatte sie, an Aristides' Worten zu zweifeln? Eine steile Falte entstand auf ihrer Stirn. Der Seufzer am Ende der Worte veranlasste sie dazu, ein wenig vage zu lächeln und ihre Hand über seine leicht stoppelige Wange streicheln zu lassen, dann jedoch erstarrte sie ein wenig und ließ die Hand wieder sinken. "Er hat wieder jemanden umgebracht?" Dass er es einmal getan hatte, war schlimm genug. Doch mehrmals? Und erst kürzlich wieder? Epicharis lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter, sie fröstelte ein wenig. "Hast du ihn zur Rede gestellt? Was hat er gesagt?"

    Figuren auf seinem Schachbrett. Das war wohl wirklich das, was der Vater in seinen Söhnen gesehen hatte. Zwar war dies weit verbreitet, doch Epicharis hielt nichts davon, wenn Väter ohne Rücksicht auf Wünsche und Begabungen bestimmten, wer was zu tun und zu lassen hatte. Es war ihr daher nur allzu verständlich, dass Gracchus sich geweigert hatte, einer der aufrückenden Bauern zu sein. Epicharis horchte geduldig all den Worten, die aus Gracchus hinausflossen. Jeder dieser Informationen war neu für sie, integrierte sie allerdings auch ein Stückchen mehr in die flavische Familie, deren Mitgleidern diese Geschichte vermutlich gut bekannt war. Doch sie bezweifelte, dass ebenso viele von Gracchus' daraus resultierender innerer Pein wussten, denn sie wusste, dass er zu denen gehörte, die ihr Innerstes nicht bereitwillig auf einem Silbertablett servierten. Umso mehr schätzte sie, dass er sie einweihte, ihr Vertrauen mit seiner Geschichte schenkte, als sei sie mehr als nur angeheiratet.


    Als er vom besiegelten Unheil gesprochen hatte, wurde es still im Raum. Epicharis schwieg und dachte nach. Konnte es sein, dass man Wut und Verderben schriftlich übermitteln konnte? Dass die Geister aus der Unterwelt einem Brief folgten und den Empfänger heimsuchten? Epicharis glaubte an Geister, aber dass sie einem in jugendlichem, weingeschwängertem Leichtsinn gesprochenen Fluch folgten, war doch sehr fragwürdig. Und was hatte Gracchus gesagt? Sein Vater habe sich sehr aufgeregt und sei dann gestorben. Da war ein fehlendes Puzzlestück. Sie versuchte, sich die Situation vorzustellen. Ein Mann, der am Schreibtisch saß, schäumend vor Wut. Der Zeter und Mordio brüllte, der Dinge durch die Gegend warf und einen hochroten Kopf hatte.... Und dann sah sie ihren Verwandten Myrtilus vor dem geistigen Auge, und alles ergab plötzlich einen Sinn. Epicharis war nun aufgeregt. Ihr Herz machte einen angestrengten Hüpfer und ihre Wangen begannen zu glühen. Einiges an Zeit war verstrichen seit Gracchus' letztem Wort, aber nun schüttelte Epicharis plötzlich hastig den Kopf. "Nein, Manius, das waren nicht die Geister der Unterwelt! Mein Urgroßonkel Myrtilus, dem ist genau das gleiche passiert! Er lebt noch, aber er ist nicht mehr wie vorher. Er hat keine Luft mehr bekommen, ich weiß noch, Callista war ganz aufgeregt deswegen. Ich glaube, da war irgendetwas mit seinem Sohn...so genau weiß ich das nicht mehr. Er hat sich immer so aufgeregt über Cethegus, ist scharlachrot angelaufen und hat nur noch schwer Luft bekommen dann. Nach einem besonders schlimmen Anfall ging es ihm lange Zeit sehr schlecht, und er hat wohl nur überlebt, weil sein Sklave schnell genug gehandelt hat. Hinterher sagte er, dass er einen schrecklich grausigen Schmerz in der Brust gespürt hatte. Und er konnte sehr lange seine linke Seite nicht bewegen, nicht laufen oder etwas halten. Der Arzt sagte, dass er großes Glück gehabt hat. Und dass sein Herz schon alt wäre und nicht mehr so viel Kraft hat. Meinst du nicht, dass... Es war ganz sicher so, Manius. Du trägst keine Schuld daran. Ganz bestimmt nicht." Sie schwieg kurz, fügte dann jedoch noch etwas an, dessen sie sich eigentlich selbst nicht so ganz sicher war, von dem sie aber hoffte, dass es Graccchus überzeugte - wenn es nur mit genügend Überzeugung vorgetragen wurde. Also sammelte sie all jene in sich zusammen. "Die Inferiores kommen doch nur, wenn man es auch wirklich so meint. Und das hast du doch nicht. Sonst hätten sie ihn gleich heimgesucht und nicht erst gewartet, bis dein Vater deinen Brief bekommt." So souverän wie möglich waren die Worte vorgetragen worden. Epicharis hielt die Luft an und hoffte, dass Gracchus einsehen würde, dass er sich lange Zeit selbst verrückt gemacht hatte.

    Huch, wo kam denn der plötzlich her? Epicharis hatte den zweiten Mann gar nicht gesehen. Verstohlen hielt sie nach weiteren Ausschau. Auf ihre Frage antwortete Quintus Philo nicht, stattdessen erteilte er ihr eine Lektion in Sachen Cultus Deorum. Natürlich wusste Epicharis, dass man auch als Peregrinus bei einem Priester in die Lehre gehen konnte. Aber irgendwann war auch die Schule mal zu Ende, und wenn sich Philo dann nicht das Bürgerrecht verdient hatte, würde er eben nicht befördert werden. So dachte sie sich das und runzelte dann die Stirn. "Ja, das schon... Nur wie willst du die Civitas erlangen, wenn du als Priesterschüler arbeitest?" Sie zumindest hatte noch nie von jemandem gehört, der sie damit erlangt hätte. Es sei denn, man suchte sich einen ziemlich guten Patron. Dann blieb einem vielleicht erspart, in der Verwaltung oder im Militär ziemlich ranzuklotzen. Aber wenn er eh dem Kult beitreten wollte, sollte er sich vielleicht jemanden suchen, der dort auch tätig war. Aurelius Corvinus kam ihr in den Sinn, ihr Arbeitgeber. Und der hatte schließlich keine schlechte Stellung inne. Oder Gracchus. Jemand anderen kannte sie ohnehin nicht. Aber es war auch nicht an ihr, Quintus Philo zu raten, sich einen Patron zu suchen. Und was er sonst noch wissen wollte, blieb ihr verborgen, denn er sagte schließlich nichts weiter dazu. Ein wenig ratlos stand Epicharis inmitten ihrer Sklaven, die wiederum ihre Einkäufe trugen, und wusste nicht so recht, was sie von diesem Mann und seinem Begleiter halten sollte.

    Zögerlich zog er sich zurück und seufzte tief. Es war ihm jetzt sicher peinlich, geweint zu haben. Aber statt sich wieder zu verschließen und sie fortzuschicken, was Epicharis insgeheim schon ein wenig befürchtet hatte, begann er zu erklären, was vor ihr vermutlich kaum jemand aus seinem Munde vernommen hatte. Ohne ihn zu unterbrechen und ohne durch eine Regung eine Wertung abzugeben, saß sie neben Gracchus, das Gesicht ihm zugewandt, und hörte ihm einfach nur zu.


    Selbst jetzt, in dieser verzweifelten Situation, büßte er nichts von seiner Eloquenz ein, wenn er auch ab und an noch Buchtsaben verschluckte oder stockte. Epicharis bewunderte diese Eigenschaft an Gracchus. Ohne seine Sprache wäre er nicht mehr er selbst gewesen, und sie hoffte wirklich, dass die Götter einen wirklich guten Grund gehabt hatten, ihn dergestalt zu quälen. Die Frage, ob er glaubte, dass er die Schuld am Tod seiner Eltern trug, stellte sie nicht. Es war nur allzu offensichtlich, dass das Übel hiermit seinen Anfang genommen hatte und mit jedem weiteren Familienmitglied schlimmer geworden war. Doch was konnte sie nun tun, um Gracchus davon zu überzeugen, dass es nicht seine Schuld gewesen war? Ein winziger Funken Zweifel war selbst in ihr selbst: Was, wenn die Geister wirklich begonnen hatten, die Lebenden zu holen, nur weil Gracchus sie dazu aufgefordert hatte? Mit einem entschiedenen Blinzeln schob sie diesen unsinnigen Gedanken fort. Natürlich war das nicht so! Sie kannte niemanden, der sich so sehr bemühte wie Gracchus, sei es als Pontifex, als Senator, Magistrat oder Familienoberhaupt. Dennoch wusste sie nicht, was sie Logisches sagen sollte, das ihn von diesem Weg ins Dunkel holte, auf den er sich selbst immer wieder zurückverfrachtete. So blieb sie erst stumm sitzen, wandte den Kopf und blicke ebenfalls in die Schatten des Zimmers, nachdenklich.


    "Es sind doch die Absichten, die zählen", sagte sie plötzlich in die Stille hinein und sah Gracchus nun seitlich an. "Es gibt niemanden, der im Zorn nicht schon einmal so etwas gesagt hat." Sogar ihr war das schon passiert. Und noch schlimmer - sie hatte an den Göttern gezweifelt, damals, als die falsche Nachricht von Aristides gekommen war. "Es kann doch nicht falsch gewesen sein, dass du deinem Vater einst die Stirn geboten hast. Schau, wo du jetzt stehst. Du hast eine liebenswürdige Frau und einen Sohn, bist einer der angesehensten Männer des Reiches. Dein Vater hat nicht erkannt, dass du es allein schaffen kannst, und deswegen warst du wütend. Das ist doch vollkommen normal." Epicharis hob, während sie sprach, beide Schultern und ließ sie dann wieder sinken, nagte an ihrer Unterlippe, ehe sie erneut sprach. "Wie..wie ist er denn gestorben?" fragte sie vorsichtig nach. Vielleicht konnte sie mit der Antwort dann ihre Aussage noch untermauern.


    An sich war das alles schon eine verzwickte Sache. Für Epicharis hörte es sich an, als sei Gracchus' Vater als sehr willkürlicher Mensch gewesen. Wie ihr eigener Vater... Epicharis seufzte leise. Und seine Mutter hatte sich umgebracht, nachdem ihr Ehemann gestorben war. Wenn Gracchus sich also die Schuld am Tod des Vaters gab und die Mutter sich genau deswegen umgebracht hatte, dann lag auf der Hand, dass er sich dafür auch verantwortlich fühlte. Und all jene, die danach folgten, glaubte er ebenfalls verurteilt zu haben mit dieser ominösen Anrufung der Inferiores. Aus der Saat war inzwischen ein mächtiger Baum erwachsen. Da brachte es nichts, die Zweige zu stutzen - es musste die ganze Wurzel heraus, oder der Baum würde bei jedem Regenguss wieder zu wachsen beginnen. Nur wie Epicharis das anstellen sollte, ohne die rechte Schaufel zu haben, war ihr noch schleierhaft.

    Epicharis, die nur blaue Stoffe und weiße Schals gekauft hatte, nicht aber trug - immerhin war es noch Herbst, und die herbsliche Mode war geprägt von Terracotta und Laubgrün - legte nun den Kopf ein wenig schief und bedeutete Nordwin, ihrem Leibwächter, mit einem Blick, aich zurückzuhalten. Der Hüne trat auch tatsächlich ein wenig zur Seite und hin zu den anderen Sklaven, die hinter und um Epicharis herumstanden und Schachteln und Taschen trugen. Der Fremde fragte sie indirekt nach einer Wohnung, was Epicharis doch verwunderte. Sah sie denn so aus, als würde sie in einer Insula wohnen? Prüfend blickte sie an sich herunter und befand: nein. Weder die pastellfarben-dezente Stola in erdigem Orange, noch die cremefarbene Palla oder die raffiniert mit Perlen verzierten Sandalen aus Rehleder ließen sie wirken, als würde sie sich gerade einmal eine Insula leisten können. Aber, so sagte sie sich, der Mann war wohl kein Römer, sonst wäre ihm dies sogleich ins Auge gestochen. So versuchte sie, darüber hinwegzuschauen.


    "Verstehe ich dich richtig und du fragst, wo du hier Räume anmieten kannst?" fragte sie nach, denn Quintus Philo hatte bisher keine konkrete Frage dahingehend gestellt. Er schien außerdem ziemlich aufgeregt zu sein, denn schon sprang er zum nächsten Thema und bewegte Epicharis' Braue damit, sich ein wenig zu heben. "Priester? Ich dachte immer, dass nur römische Bürger Priester werden können. Aber da gehst du am besten zur Regia, da helfen sie dir sicher weiter." Vielleicht hatte sie sich auch geirrt. Aber so recht glauben mochte sie es nicht, denn welcher Nicht-Römer konnte sich schon mit voller Inbrunst den Göttern widmen?

    Blau war gefragt in diesem Winter, und zwar in allen Schattierungen und Nuancen. Wie ein Gletscher aus den Alpen wollte man aussehen, und das erreichte man zudem, indem man schneeweiße Felle zu langen Schals verarbeitete und sich um den Körper schwang. Epicharis hatte gleich zwei solcher Felle erstanden, die angeblich von einem Tier namens Iltis stammten, das weiter oben im Norden lebte. Nicht gerade billig waren die Schals gewesen, aber Aristides hatte sich als großzügig erwiesen, und Epicharis fand, dass diese weißen Fellschlangen ganz famos zu ihren neuen Stolas und Tuniken passte. Nordwin war einer derjenigen, die die Ehre hatten, Epicharis' Einkäufe sicher nach Hause zu tragen. Und dorthin waren sie gerade auch unterwegs, als ein Mann sie ansprach.


    Epicharis wandte sich um und beäugte den Menschen, Nordwin trat neben sie und bemühte sich, wie immer, grimmig dreinzusehen. "Du störst nicht, Quintus Philo aus Patavium", erwiderte sie ebenso höflich wie der Fremde. "So? Dann willkommen in Rom. Kann ich dir denn irgendwie weiterhelfen?" Erkundigte sie sich, da der Fremde nach seiner Vorstellung nicht direkt weitersprach. Sicher wollte er nach dem Weg fragen oder etwas in der Art. Wenn man neu in Rom war, konnte die Stadt mit ihren Gassen und Sträßchen schließlich ganz schön für Verwirrung sorgen.

    Zunächst bekam Epicharis so gut wie keinen Bissen herunter. Deswegen beschränkte sie sich darauf, kleine Schlucke Apfelsaft zu sich zu nehmen und die Gästeschar zu mustern. Hier und dort führte sie das ein oder andere interessante Gespräch, nahm noch Glückwünsche entgegen oder versicherte, gut auf Aristides acht zu geben. Im Takt der angenehmen Musik wippte sie dann und wann mit dem Fuß, verteilte hier ein Strahlen und dort ein Lächeln, und bald entzündete man die Lichter, die überall in den Bäumen, auf niedrigen Mauern und entlang der Wege verteilt waren. Nicht nur, dass der Garten sich damit in ein romantisches Meer aus Licht verwandelte, die kleinen Lichter wiesen auch den Gästen den Weg, wenn sie sich von der Terrasse entfernen oder wieder zu ihr zurückfinden wollten.


    Es dauerte nicht lange – zumindest kam es Epicharis so vor, als sei kaum ein Wimpernschlag vergangen seit dem gegenseitigen Eheversprechen – da verkündete eine Kinderstimme, den Abendstern zu sehen. Dies war der Punkt, an dem Epicharis kurz ihr sorgloses Lächeln verlor und voller Wehmut ihrer Mutter gedachte, die diesen wichtigen Part nicht mehr erleben konnte. Es wäre ihre Aufgabe gewesen, das Schauspiel einzuleiten, das Epicharis Aristides entreißen und begleitet von Helfern zur Villa Flavia zu bringen. Eine Hand wurde ihr entgegen gestreckt, Aufbruchstimmung machte sich auch unter den Gästen breit. Epicharis legte ihre Hand in die von Aristides und ließ sich aufhelfen, nun wieder lächelnd. Statt ihm entrissen für kurze Zeit zu werden, wie es die Tradition eigentlich verlangte, hatte sie sich dafür entschieden, den Zug zu ihrem neuen Heim gemeinsam mit ihm anzutreten. Die drei Knaben sollten ihnen beiden leuchten und Minna und Fiona endlich ihre wichtige Rolle spielen dürfen. Epicharis hatte bisher nie selbst Spottverse erdichtet, aber sie war sehr gespannt, was man für und über sie und Aristides rufen würde. Die Tatsache, dass viele der Gäste Soldaten waren, versprach, dass sie wohl mehrfach erröten würde, sobald es los ging. Einige Sklaven verteilten Erbsen, Linsen und Nüsse an die Gäste, Fiona und Minna reichte man Spindel und Spinnrocken, die, beide ein Symbol der Weiblichkeit, zudem die Versinnbildlichung der häuslichen Tugend darstellten. Epicharis hatte die beiden Sklavinnen ausgewählt, da ihr beide ans Herz gewachsen waren und sie zudem in ihr neues Heim begleiten würden. „Ich bin soweit“, sagte sie zu Aristides und nahm an seiner Seite Aufstellung für den Brautzug, der nun gleich beginnen würde. Allerorts knisterten Fackeln, den Knaben glänzten verantwortungsbewusst die Augen im gelblichen Licht – und in Epicharis nistete sich wieder die Aufregung ein. Nun dauerte es wahrlich nicht mehr lange, bis sie und ihr Gemahl allein waren, während die Gäste ausgelassen weiterfeiern würden. Sie würde es dennoch nicht versäumen, jedem, der geholfen hatte, diesen Tag zu etwas ganz Besonderem zu machen, eine kleine Belohnung zuzustecken.

    Aristides schien wohl großen Hunger zu haben, da er kaum nach ihrer Bemerkung häufiger schlucken musste als eben noch. Doch noch während sie das dachte, korrigierte sie sich selbst - Aristides konnte immer essen. Aus diesem Grund hatte sie auch am Vormittag ein langes Gespräch mit dem Koch geführt, der ihr versprochen hatte, ihr Worte zu befolgen. Weitestgehend zumindest. Wie gut das funktionieren mochte, würde sich dann wohl während der nächsten Wochen herausstellen, aber der heutige Abend war für sie der ideale Zeitpunkt. Dieser Neuanfang sollte auch ein Neuanfang in gänzlich anderer Hinsicht sein, als Aristides das wohl gegenwärtig vermutete. "Ja", erwiderte sie schlicht auf sein Lob des Kochs wegen, schmunzelte ihren Gemahl dann an. "Das wirst du sehen, wenn es soweit ist. Lange wirst du dich nicht mehr gedulden müssen." Wie zur Bestätigung klapperte wieder etwas im hinteren Teil des Hauses.


    "Ja, genau das meine ich. Überhaupt lässt er sich doch nirgendwo blicken. Ich habe ihn nur auf dem Forum gesehen, bei der offiziellen Ernennung. Sonst hört man nur dieses und jenes, das meiste ist natürlich an den Haaren herbeigezogener Unsinn... Aber die Gerüchte, dass er zu krank sei, um sein Amt richtig auszufüllen, häufen sich. Schau dir nur mal an, was da derzeit mit dem Consul los ist. Aelius Quarto wird für ein weiteres Jahr kandidieren. Wenn du mich fragst, dann nimmt er Valerianus die Arbeit damit ab, die er selbst machen sollte. Und dass dein Stadtpräfekt ihn schon gar nicht mehr fragt wegen Dingen, wo er sonst fragen sollte, ist doch auch ein Zeichen dafür, dass Valerianus nicht recht den Fuß auf den Boden bekommt." Epicharis sprach ganz offen, was sie natürlich in der Öffentlichkeit niemals getan hätte. "Meinst du nicht auch?" wandte sie sich wieder an Aristides, der irgendwie dasaß, als machte er sich darüber keine sonderlich großen Gedanken. Genauso wie über seine weitere Zukunft. Sein verwunderter Blick verwirrte Epicharis einen kurzen Moment, dann aber dachte sie sich, dass sie wohl nur zu fix das Thema gewechselt hatte, und reagierte scheinbar arglos wie eh und je. "Zum Vigintivirat, mein Schatz. Die Meldefrist ist noch nicht um, und du wolltest doch irgendwann Senator werden, hm? Stell dir nur vor, wie stolz Serenus wäre...und unsere Kinder." Epicharis lächelte ein typisches Epicharislächeln, aus dem Aristides sowohl Zuneigung herausdeuten konnte, als auch das Wissen darum, dass jeder Widerspruch mit treffenden Argumenten und einem herzlichen Lächeln abgeschmettert werden würde. Natürlich sah sie sich als seine Ehefrau im Zugzwang, dafür zu sorgen, dass er nicht dem Müßiggang anheim fiel. Und selbstredend hatte sie für sich eine nicht wenig wichtige Stellung auserkoren, an der Seite ihres Mannes, der Senator werden würde.


    Seine Zeit im Militär sollte ihn da allerdings nicht so schnell loslassen. Epicharis bemerkte den melancholischen Blick und vernahm das fast qualvolle Seufzen, und sie hob eine Hand und wuschelte Aristides durch das feuchte Haar. "Auf dich natürlich", antwortete sie so prompt und mit einer solchen Überzeugung, dass sich ihm hoffentlich keine Frage nach dem Warum stellte. Und schon wechselte er das Thema, was Epicharis nur wieder zeigte, wie viel ihm seine Zeit im Militär bedeutete und dass er deswegen nicht darüber reden wollte, um die Tatsache kurzzeitig zu vergessen, dass die Zeit für ihn nun vorbei war. Sie lauschte seinen Worten und fühlte sich augenblicklich an die Situation von vorhin erinnert, die im Garten mit Fiona. Ein nachdenkliches Gesicht machte sie, zumal sie auch nicht ganz verstand, worin nun das Problem mit Hannibal lag. Sie hatte ihn stets als zuvorkommenden Sklaven erlebt, und dementsprechend verwundert war auch ihr Ausdruck, als sie antwortete. "Ich glaube, da ist heute der Wurm drin. Fiona hat vorhin... Aber ach, erzähle du erst einmal deine Sache. Wie meinst du das mit Hannibal? Was hat er denn getan, das dich in Schwierigkeiten bringen könnte? Und hast du mit ihm schon darüber geredet?"