Zögerlich zog er sich zurück und seufzte tief. Es war ihm jetzt sicher peinlich, geweint zu haben. Aber statt sich wieder zu verschließen und sie fortzuschicken, was Epicharis insgeheim schon ein wenig befürchtet hatte, begann er zu erklären, was vor ihr vermutlich kaum jemand aus seinem Munde vernommen hatte. Ohne ihn zu unterbrechen und ohne durch eine Regung eine Wertung abzugeben, saß sie neben Gracchus, das Gesicht ihm zugewandt, und hörte ihm einfach nur zu.
Selbst jetzt, in dieser verzweifelten Situation, büßte er nichts von seiner Eloquenz ein, wenn er auch ab und an noch Buchtsaben verschluckte oder stockte. Epicharis bewunderte diese Eigenschaft an Gracchus. Ohne seine Sprache wäre er nicht mehr er selbst gewesen, und sie hoffte wirklich, dass die Götter einen wirklich guten Grund gehabt hatten, ihn dergestalt zu quälen. Die Frage, ob er glaubte, dass er die Schuld am Tod seiner Eltern trug, stellte sie nicht. Es war nur allzu offensichtlich, dass das Übel hiermit seinen Anfang genommen hatte und mit jedem weiteren Familienmitglied schlimmer geworden war. Doch was konnte sie nun tun, um Gracchus davon zu überzeugen, dass es nicht seine Schuld gewesen war? Ein winziger Funken Zweifel war selbst in ihr selbst: Was, wenn die Geister wirklich begonnen hatten, die Lebenden zu holen, nur weil Gracchus sie dazu aufgefordert hatte? Mit einem entschiedenen Blinzeln schob sie diesen unsinnigen Gedanken fort. Natürlich war das nicht so! Sie kannte niemanden, der sich so sehr bemühte wie Gracchus, sei es als Pontifex, als Senator, Magistrat oder Familienoberhaupt. Dennoch wusste sie nicht, was sie Logisches sagen sollte, das ihn von diesem Weg ins Dunkel holte, auf den er sich selbst immer wieder zurückverfrachtete. So blieb sie erst stumm sitzen, wandte den Kopf und blicke ebenfalls in die Schatten des Zimmers, nachdenklich.
"Es sind doch die Absichten, die zählen", sagte sie plötzlich in die Stille hinein und sah Gracchus nun seitlich an. "Es gibt niemanden, der im Zorn nicht schon einmal so etwas gesagt hat." Sogar ihr war das schon passiert. Und noch schlimmer - sie hatte an den Göttern gezweifelt, damals, als die falsche Nachricht von Aristides gekommen war. "Es kann doch nicht falsch gewesen sein, dass du deinem Vater einst die Stirn geboten hast. Schau, wo du jetzt stehst. Du hast eine liebenswürdige Frau und einen Sohn, bist einer der angesehensten Männer des Reiches. Dein Vater hat nicht erkannt, dass du es allein schaffen kannst, und deswegen warst du wütend. Das ist doch vollkommen normal." Epicharis hob, während sie sprach, beide Schultern und ließ sie dann wieder sinken, nagte an ihrer Unterlippe, ehe sie erneut sprach. "Wie..wie ist er denn gestorben?" fragte sie vorsichtig nach. Vielleicht konnte sie mit der Antwort dann ihre Aussage noch untermauern.
An sich war das alles schon eine verzwickte Sache. Für Epicharis hörte es sich an, als sei Gracchus' Vater als sehr willkürlicher Mensch gewesen. Wie ihr eigener Vater... Epicharis seufzte leise. Und seine Mutter hatte sich umgebracht, nachdem ihr Ehemann gestorben war. Wenn Gracchus sich also die Schuld am Tod des Vaters gab und die Mutter sich genau deswegen umgebracht hatte, dann lag auf der Hand, dass er sich dafür auch verantwortlich fühlte. Und all jene, die danach folgten, glaubte er ebenfalls verurteilt zu haben mit dieser ominösen Anrufung der Inferiores. Aus der Saat war inzwischen ein mächtiger Baum erwachsen. Da brachte es nichts, die Zweige zu stutzen - es musste die ganze Wurzel heraus, oder der Baum würde bei jedem Regenguss wieder zu wachsen beginnen. Nur wie Epicharis das anstellen sollte, ohne die rechte Schaufel zu haben, war ihr noch schleierhaft.