Nikolaos schwindelte. In seinen Ohren rauschte es. Jetzt gab es keine Möglichkeit mehr, halt zu machen oder umzukehren. Er räusperte sich.
"Hochverehrter Eparchos", begann er.
"Uns ist sehr viel an der Freundschaft zum römischen Volk gelegen, wir versuchen daher, diese mit allen Mitteln gegen alle Widerstände in der Polis zu verteidigen. Ich denke, ich kann offen zu dir sein: Wir wissen auch genau, dass ohne euren Schutz Alexandria im Chaos versänke und dass der ägyptische Pöbel nicht lange zögern würde, uns Hellenen zu zerfleischen, dass auch andere Völker von außen, die Räuber der Wüste, und viele Barbaren mehr über uns herfielen.
Falls irgendjemand in deiner Gegenwart uns, also den hellenischen und makedonischen Einwohnern Alexandrias, unterstellt, wir würden am liebsten unser Staatswesen ohne den Schutz des göttlichen Basileus führen, so irrt oder lügt er. Nur Narren, die eigentlich ihres Bürgerrechtes nicht würdig sind, können derartiges wollen. Zumal unter unseren höchsten Würdenträgerin eine hochangesehene römische Bürgerin ist. Diese ist von der Mehrheit der Bürger in ihr Amt gewählt worden, folglich kann die Mehrheit der Bürger der Polis gar nicht dagegen sein, dass der göttliche Basileus Alexandria beschützt und beherrscht.
Ich habe nun aber den Verdacht, dass es Kreise gibt, die versuchen, jene Narren unter den Bürgern (jene Narren, die sich Bürger schimpfen) weiter gegen die römische Schutzmacht aufzubringen. Lange wähnte ich die Schuldigen unter den Räubern von Rhakotis oder unter einigen Bürgern der Polis.
Die Stimmen dieser wenigen, aber umso frecheren Narren wurden in letzter Zeit immer lauter.
Dies lag nicht zuletzt daran, dass Teile der Legion des göttlichen Basileus gewisse Dinge taten, über die wir lange gesprochen haben, weshalb ich sie nicht weiter ausführen möchte.
Ich dachte lange, diese Taten wären arglos geschehen und ungeschickter Weise.
Als ich zu dir kam, von jenen Taten zu berichten, nötigte mich der hochverehrte Magister Officiorum, ihm zuvor den Kern meines Anliegens zu schildern anderenfalls er mich nicht zu dir gelassen hätte.
Der Legionspräfekt Appius Terentius Cyprianus erfuhr von meinem, diesem Gang. Ich weiß nicht, ob du mit ihm darüber gesprochen hast. Falls doch, so weiß ich nicht, ob er danach diesen Brief an uns Prytanen richtete - oder zuvor.
Im Anschluss an jenen Vorfall folgte das Manöver im Delta-Viertel. Ich bin wahrlich nicht allzu bewandert in militärischen Fragen, habe mein ganzes Wissen darüber in meiner Amtszeit als Strategos erworben, aber es ist mir schleierhaft, welchen Zweck diese Übung haben sollte. Gewöhnlicherweise pflegen Schlachten auf dem Feld ausgetragen zu werden - und nicht in Städten. Und einer Belagerung würde Alexandria, soweit ich darüber ein Urteil abgeben darf, ohnehin nicht standhalten, denn die Mauern umgeben die Stadt nicht vollständig.
Den Narren unter den Politen, von denen ich sprach, war es jedenfalls sprichwörtliches Wasser auf den Mühlen. Auch das einfache Volk, Nichtbürger aus aller Herren Länder, wurde weiter aufgebracht.
Hochverehrter Eparchos, als du noch das Kommando über die in Nikopolis stationierten Legionen inne hattest, gab es zwar eine Bande von Aufständischen und Räubern, die die Legion zusammen mit der Stadtwache rasch zur Strecke brachte, und den Mord am Vorsteher des Mouseions, der damit zusammenhing, und der auch rasch aufgeklärt werden konnte. Aber bis du das Kommando abgegeben hast, blieb es bei einzelnen Banden von Aufrührern. Die Gesamtheit des einfachen Volkes blieb - wenigstens einigermaßen- ruhig. Die tapferen Soldaten der Legion taten alles, das einfache Volk nicht zu sehr zu belasten, ohne freilich ihre Aufgaben zu vernachlässigen.
Seit du das Kommando nicht mehr inne hast, stehen die Dinge anders: Es kommt zu Übergriffen von Soldaten auf Unschuldige, es kommt zu höchst zweifelhaften Aktionen.
Lange hielt ich Unwissenheit einzelner Soldaten für den Grund, dann glaubte ich, es handle sich um Unwissenheit der hohen Offiziere und des ehrenwerten Legionspräfekten, dann glaubte ich, es handle sich um Dummheit.
Aber es kann doch nicht ein Mann, der derart dumm ist, dass ihm versehens solche Dinge unterlaufen, zum Legionspräfekten des Heeres des göttlichen Basileus werden!
Nun versucht jemand möglicherweise, mit diesen Gerüchten über Spitzel, über deren Wahrheitsgehalt ich nichts weiß, auf die ich aber, sowie es mir erlaubt ist, es auszusprechen, nicht viel gebe, einen Keil zwischen dich und uns zu treiben, die wir zuvor gemeinsam mit dir versuchten -natürlich jeder auf seine Weise und nach seinen Möglichkeiten- das alexandrinische Volk zu beruhigen, Aufstände zu verhindern und die Ordnung zu sichern.
So kommt mir der schreckliche Verdacht: Es steckt keine Dummheit dahinter, sondern ein Plan:
Wenn in der Provinz und in der Polis das Chaos ausbräche, so gehörten wir, diese Männer, diese ehrenwerte Römerin und ich, zu den ersten, die darunter litten und in Schwierigkeiten gerieten. Das steht außer Frage. Zuerst ist es eine Sache der Hellenen und Makedonier Alexandrias, und einiger römischer Bürger, die hohe Ämter in der Polis haben.
Aber wer litte als zweites? Die Getreideversorgung Roms geriete in Schwierigkeiten. Natürlich kann die römische Legion Aufstände niederschlagen, soviel es ihren Führern beliebt. Aber wer soll das Getreide ernten? Und wo sollte Handel getrieben werden, wenn Alexandria in Schutt und Asche läge?
Und wer würde für diese Mißstände in Rom verantwortlich gemacht werden?
-Du. Dir würde unterstellt, deine Provinz versänke Schutt und Asche.
Es scheint Männer zu geben, die dies wollen.
Sollten es etwa wir Alexandriner wollen? Weshalb!?! Du hast dich als überaus großzügig und gütig erwiesen, hast Geschick bewiesen im Umgang mit dem einfachen Volk, hast uns Hellenen und Makedonen geholfen!
Wer also sonst sollte es wollen?
Das weiß ich nicht.
Ich glaube aber, es gibt in der Provinz und vor allem in der Legion in hohen Ämtern Männer, die, wenn sie denn nicht selbst dahinter stecken, jenen wenigstens helfen, vermutlich um ihres eigenen Vorteils willen.
Um es gänzlich auszusprechen: Ich vermute, Appius Terentius Cyprianus ist, wenn er nicht Kopf ist, so zumindest ein Teil einer möglichen Verschwörung.
Ich weiß, ehrenwerter Eparchos, dass es mir eigentlich nicht zusteht, dir Ratschläge zu geben. Aber da dein Unglück auch unser Unglück wäre, bitte ich: Entsinne dich derer, die neben dir als Kandidaten für das Amt des Praefectus Aegypti in Erwogung gezogen worden sind! Prüfe, wer ihre Klienten sind und wer deren Klienten! Und prüfe jene, die dich umgeben: Prüfe, wem dein Magister Officiorum zuarbeitet außer dir! Prüfe, ob dein Klient* Quintus Fabius Vibulanus dir die Treue wirklich hält, die er dir versprach! Er nämlich war es, der jenen Vorfall provozierte... . Und prüfe, was in Nikopolis geschieht! Prüfe, welche Absichten Appius Terentius Cyprianus hat! Prüfe, wer seine Freunde in Rom sind!
Ich hoffe, meine Worte lenken nicht deinen Zorn auf mich.
Du hast gewiss die Macht, nun mit mir zu tun, was dir beliebt.
Du hast auch die Macht, kurzen Prozess auch mit uns Hellenen und Makedonen zu machen, wie es dir vermutlich einige raten werden.
Ich verlange nicht, dass du an unser Wohl denkst. Ich flehe dich nur an, an dein eigenes Wohl zu denken.
Und ich bitte dich, das nicht erst zu tun, wenn es dafür zu spät ist.
Ich denke, ich kann auch in dieser Angelegenheit offen zu dir sprechen:
Wenn du mit uns, also den führenden Bürgern der Polis, kurzen >Prozess< (weswegen auch immer! Es gibt nichts, wofür man uns den Prozess machen müsste.) machst, wie es dir vielleicht gewisse Leute empfehlen, so hast du niemanden, der dafür sorgt, dass die Bürger der Polis ruhig bleiben. Du hast auch niemanden, der dafür sorgt, dass jene Narren, von denen ich sprach, nicht allzu großen Zulauf erhalten.
Zwar brauchen wir dich noch viel mehr, als du uns brauchst, aber ganz ohne uns kommst du nicht aus.
Auch wenn manche Männer es dir weismachen wollen: Die römische Legion kann nicht Alexandria im Falle eines Aufstandes einfach in Schutt und Asche legen. Kann sie schon, dann aber nicht ohne die Not des römischen Volkes in Kauf zu nehmen, ja gar herbeizuführen.
Ganz gleich, wie dir meine Ratschläge gefallen werden: Ich bin mir sicher, du wirst dich ihrer entsinnen, wenn es so weit kommt, wie ich fürchte."
Er senkte in (scheinbarer) Demut sein Haupt. Entweder der Zorn des Eparchos entlüde sich an ihm - oder nicht. Er hob den Kopf wieder.
"Ich bin fertig mit meinen Ausführungen. Wenn du noch Fragen hast, so stelle sie."
Sim-Off:*Dass er Corvus' Klient ist, hat Nikolaos SimOn in einem Gespräch mit Lucius Iunius Silanus erfahren - zu finden in Nikolaos' Wohnhausthread.
edit: SimOff eingefügt.