Beiträge von Nikolaos Kerykes

    Nikolaos selbst kam etwas später zum vereinbarten Platz unter der Säulenhalle am Garten. Ihm folgte ein Gehilfe, der einen Stapel Schriftrollen trug. Die Mittagshitze war noch nicht ganz verflogen. Es war ein warmer Tag für diese Jahreszeit. Er kündigte die Zeit der Überschwemmungen an, die Zeit, in der sich das ganze Leben in Alexandria verlangsamte, da die Hitze bei Mensch und bei Tier keine schnellen Bewegungen zuließ. Wohl denen wenigen Glücklichen, die wie Nikolaos keiner körperlichen Arbeit nachgehen mussten. Wehe den vielen, die als Hafenarbeiter, Nilschiffer, Wasserträger, Fuhrleute, Kloakenreiniger, Bauarbeiter und Landarbeiter arbeiteten.


    "Sei gegrüßt, werter Marcus Duccius.", sagte Nikolaos höflich. Er war guter Dinge, auch wenn ihm die Hitze zusetzte. Während des Mittags hatte er selbst in seinem kühlen Zimmer auf seinem Ruhebett keinen Schlaf gefunden. Eine Mücke war auf unbekanntem Wege durch den dünnen Seidenschleier geschlüpft, der das Mittagslager eigentlich vor ihr hätte schützen sollen. Drei Stunden lang hatte er dagelegen und ihr bedrohliches Surren ausgehalten. In der Hoffnung, sie möge bald ihrem seidenen Gefängnis entweichen, ohne sein Blut als Beute zu nehmen. So kam es, dass er müde war und in seinen Gliedern wenig Kraft. Aber er würde nicht selbst ausgefeilte Reden vortragen, sondern zuhören.


    "Gut, dass du schon hier bist. Hast du dich der Aufgabe angenommen?"

    Der Gelehrte ließ sich zu einem wohlwollenden Lächeln hinreißen. Irgendwie gefiel ihm dieser neue Schüler. Er machte einen aufgeweckten Eindruck. Auch waren ihm Menschen, die Widerspruch entgegenbrachten (sofern dieser sich in Grenzen hielt...) lieber als solche, die alles unterwürfig hinnahmen, aber während des Unterrichts nichts zustande brachten. Auch schien der Römer mit dem barbarischen Äußeren niemand von der Sorte verwöhnter reicher Schnösel zu sein, dem man überhaupt erst einmal Anstand einbläuen musste.


    "Das freut mich sehr, denn so steht deiner Aufnahme nichts mehr im Wege. Im Mouseion schlafen möchtest du nicht, sagtest du? Dann muss ich dir wohl auch nicht den Schlafsaal weisen lassen."


    Er sah den neuen Schüler an, als mustere er ihn nun ein letztes Mal. Obwohl seine Entscheidung, bei Sosimos für ihn zu sprechen, bereits feststand.


    "Wenn du keine Fragen mehr hast, darfst du nun gehen. Setze dich schon an deine Aufgabe. Ich würde mich sehr freuen, wenn du zur ersten Lehrstunde etwas mitbrächtest, was wir für deinen Unterricht verwenden können. Ich erwarte nichts Perfektes, die Perfektion werden wir im Untericht hineinbringen, aber ich wünsche, dass du dir Mühe gibst."

    Nikolaos lachte ein ehrliches Lachen auf den Kommentar des Halbbarbaren, der ihm zunehmend sympathischer wurde.


    "Sage mir, möchtest du heute Abend bei mir essen? Vielleicht kann das hübsche Wesen ja auch kochen... wobei ich das lieber Peistratos überlasse... Kräuterkundigen ist nicht zu trauen...", flachszte Nikolaos. Er war guter Dinge, war er doch wohlfeil zu einer Sklavin gekommen. Den alten Peistratos wagte er nicht mehr, auf Botengänge zu schicken; ihn wollte er etwas schonen.


    Etwas ruppig aber nicht unvorsichtig nahm der Gehilfe die Sklavin an sich und führte sie zu Nikolaos. Dieser musterte sie, als überlege er, ob er sie wirklich nach Hause nehmen wollte. Mit gespielter Gekränktheit verzog er die Miene und rieb sich die ringbesetzten Hände.


    "Sei gegrüßt, Mädchen. Hast du einen Namen oder soll ich dir einen geben?", fragte er.

    Zwar bluteten seine Wunden nur noch ein wenig, aber Nikolaos wankte immer noch. Und der Schmerz schien den ganzen Körper zu durchströmen. Aber seltsamerweise fiel der Gymnasiarchos nicht in Ohnmacht. Er ging auf das Tor zu. Sein Blick war wie zu einem Tunnel verengt und nur noch innerhalb eines kleinen Kreises in der Mitte des Gesichtsfeldes scharf. Seine Hände zitterten. Schweiß rann ihm die Stirn und den Rücken hinab. Für das Geschehen um ihn herum hatte er keine Augen mehr. So sah er nicht, dass die wütende Menge unter dem Einsatz brutalster Gewalt auseinandergetrieben worden waren. Unter anderen Umständen hätte dieser Anblick bei ihm Übelkeit und Abscheu erregt.


    "Ich will für euch hoffen, dass ihr die junge Römerin hineingelassen habt.", presste er hervor, als er sich vor den Torwachen aufgebaut hatte. "Falls nicht, und falls ihr auch nur ein Haar gekrümmt worden ist, dann wehe euch-" Er schwankte einen Augenblick, ehe er wieder aufrecht vor den Soldaten stand, die um einiges größer waren als er selbst. "Und jetzt laßt mich zum Präfekten. Sofort." Blut rann ihm die Mundwinkel hinab und gab ihm ein fast dämonisches Aussehen. Seine Augen funkelten zornig. Seine Zähne rieben knirschend aneinander.

    Ich glaube für das Geldversteck unterm Schlafstrohsack auf dem Küchenfußboden braucht kein Sklave die Zustimmung des Herren oder der Herrin. Er darf sich, falls der Herr etwas dagegen hat, einfach nicht dabei erwischen lassen, wenn er ein paar Münzen abzweigt. (ganz von den Sklaven zu schweigen, denen der Herr sogar ein Gehalt bezahlt)


    Und das mit dem Zugriff des Herren darauf fände ich wiederum zu aufwändig ;). Wenn der Herr seinen Sklaven bestiehlt (ja, richtig, bestiehlt, ich glaube, das peculum war zeitweilig sogar rechtlich geschützt! (auch wenn ein Sklave kaum einen Prozess gegen den Herren gewinnen würde)), dann kann er das einfach SimOn machen und, wie es bei einem anständigen Miteinanderspielen sein sollte, überweist der Sklave das Gestohlene einfach in der WiSim.


    Ohne solche Einschränkungen wie Vollmacht auch für den Besitzer und Zustimmung des Besitzers wäre es doch gar nicht viel mehr Aufwand für den WiSim-Chef, wenn Sklaven an der WiSim teilnehmen könnten, oder? (Vielleicht haben wir dann irgendwann den ersten reichen Freigelassenen à la Trimalchio ;) )

    Schade, dass dieser Vorschlag schon einmal abschlägig beschieden worden ist.


    Der Zugriff von Sklaven auf das Besitzer-Vermögen war nicht so sehr Gegenstand meines Anliegens. (Für die Familienschatztruhe im Atrium braucht man schließlich keine unterschriebene Vollmacht, sondern den Schlüssel ;). Und die Möglichkeit, SimOn anderen Leuten die Vollmacht zu Vertragsschlüssen im eigenen Namen etc. zu geben, ist ja mit dem Institor gegeben. Mir ging es eher darum, dass Sklaven auch in der Wisim die Möglichkeit haben, zu zeigen, dass sie unterm Kopfkissen ein paar Sesterzen gespart haben (oder eben im größeren Umfang, wenn sie zu den wenigen Glücklichen gehören).) Ich glaube kaum, ein Sklave, dem ein Gehalt gezahlt wird, darbt, um sich dieses bis zur Freilassung aufzusparen (vom dem peculium für den Freikauf abgesehen). Mir ging es darum, dass es die Möglichkeit für "reiche" Sklaven geben sollte, sich schöne Kleidung etc. zuzulegen. Ansonsten hat dein Vorschlag aber durchaus etwas für sich.

    Bereitwillig überließ Nikolaos sein Instrument der Penelope. Beeindruckt beobachtete er, wie sie es geschickt stimmte. Er wartete, bis Penelope ihre Arbeit beendet hatte, ehe er auf ihre Frage antwortete. Er wollte sie nicht stören.


    "Pythagoras war es. Man sagt, er habe beim Verweilen vor eine Schmiede den Zusammenhang zwischen dem Gewicht der Hämmer und den Tönen entdeckt. Andere sagen, er habe einzelne Saiten genommen und ihre Dicke und ihre Spannung verändert, und Unterschiede im Klang gehört. Wiederum andere-"


    Er wusste nicht, ob er Penelope dafür Verständnis hatte, schien sie doch gegenüber mysthischen Erklärungsansätzen eher abgeneigt.


    "-sprechen von göttlicher Eingebung."


    Von letzteren gab es im Mouseion einige. Pythagoras galt ihnen als großer Lehrer, ja als eine Art Prophet (beinahe auf solche Weise, wie es die Ioudäer mit einigen ihrer großen Männer zu halten pflegten.) Als Schüler war Nikolaos mit einigen Anhängern von neu- oder pseudopythagoräischen Geheimlehren in Berührung gekommen.

    Diese Frage stellt sich mir schon seit einiger Zeit. Der besitzlose, arme, ausgebeutete Sklave ist nämlich für unsere Zeit gar nicht unbedingt der Regelfall. Ein Sklave kann sehr wohl Vermögen besitzen, auch wenn natürlich darüber der Herr verfügen kann, sowie er das möchte.


    Viele Sklaven wurden sogar bezahlt, ja genauso bezahlt wie freie Arbeiter. Wenn man einem Sklaven die Möglichkeit gibt, ein kleines Vermögen anzusparen, um sich gegebenfalls vielleicht einst freikaufen zu können, arbeitet er doch gleich viel besser.


    Auch gibt es seit der Kaiserzeit unter Sklaven eine erhebliche Differenzierung: Es gibt natürlich die armen Landarbeiter- und Steinbruchsklaven, die für ein bisschen Nahrung schuften. Und es gibt die Haussklaven, die zwar erheblich angenehmer leben, aber der Willkür ihrer Herren ausgeliefert sind.


    Allerdings muss man bedenken, dass viele höherqualifizierten und verantwortungsvollen Dienstleistungen von Sklaven ausgeführt wurden, während bei einfachen Handlangertätigkeiten die Herren oft auf freie Lohnarbeiter zurückgriffen.


    Der Beruf des "Institors" wurde nicht, wie in den wenigen Fällen bei uns im IR durch freie Männer ausgeführt, sondern durch Sklaven. Das hatte vor allem einen Grund: Einem Sklaven kann man sein Vermögen anvertrauen. Geht dieser verantwortungslos damit um, hat man schließlich ein einfaches Druckmittel: Auspeitschen, Entbindung vom Posten und Einsatz auf dem Landgut, Verkauf...


    Andererseits hatte ein Sklave, der seinem Herren als "Institor" diente, zum Teil eine gewisse Autonomie, die er schließlich brauchte, um überhaupt als Bevollmächtigter seines Herren handeln zu können.


    Und natürlich erhielt ein Institor oft auch Vergünstigungen in Form eines Gehaltes. Die waren sehr im Sinne des Besitzers, konnte er dadurch schließlich eine erhöhte "Motivation" des Sklaven erreichen, gute Arbeit zu leisten.


    Die sprichwörtlichen "reichen Freigelassenen" (wie der gute alte Trimalchio bei Petronius Arbiter) sind sicher nicht erst nach der Freilassung reich geworden. Ich vermute, solche Leute konnten schon als Sklaven ein gewisses Vermögen anhäufen. (Hinzu kamen natürlich auch die Geschäftsbeziehungen zum ehemaligen Besitzer und dessen Geschäftsfreunden).


    Ich fände es gut, wenn diesen Umständen Rechnung getragen würde und auch Sklaven in die WiSim eingebunden würden, sofern sie es möchten.


    Wirtschaftliche Homogenität der Sklavenschicht ist für unsere Zeit ein Anachronismus.


    Aber ich weiß nicht, vielleicht standen ja spieltechnische Beweggründe dafür, die Sklaven nicht in die Wisim einzubinden.


    Allerdings glaube ich, das Gegenteil ist der Fall: Durch die Möglichkeit für Sklaven, "reich" zu werden, böten sich viele Spielmöglichkeiten für Servi und Servae, auch schon vor der Freilassung. Vielleicht würde das auch die hohe Wegsterberate bei Sklaven etwas reduzieren.


    Spätestens ab der Kaiserzeit konnte man, sofern man gewisse Fähigkeiten hatte und Glück mit dem Besitzer, als Sklave durchaus eine gewisse Karriere machen. Auch am Kaiserhof gab es viele Sklaven, die schlicht durch ihre Nähe zum Kaiser großen Einfluss hatten.

    Mit einer Miene, die eine Art väterlich strenge Milde ausdrückte, bedachte Nikolaos das Mädchen, das zu spät gekommen war. Erstaunlich viele Mädchen waren unter den Schülern. Die Sitte, auch die Töchter zu Epheben zu machen, schien um sich zu greifen. Dazu trug womöglich bei, dass der militärische Teil der Ephebie allenfalls symbolisch vollzogen wurde und durch die Anwesenheit der Römer bedingt keine praktische Grundlage hatte. Nicht einmal der symbolische Teil wurde noch allzu häufig vollzogen.


    "Seinen Teil zur Polis beitragen, das ist eine sehr wichtige Angelegenheit, und das erste Thema dieser Unterrichtsstunde. Sage mir, wertes Mädchen, welche Pflichten hat ein jeder Bürger gegenüber seiner Polis?"

    Die Frechheit der Sklavin gefiel Nikolaos außerordentlich. Etwas Raubkatzenhaftes hatte sie an sich. Und auf Klugheit schien sie hinzudeuten, diese feine zarte Unverschämtheit. Er versuchte, ernst dreinzublicken, konnte sich aber die Anzeichen eines unterdrückten Grinsen nicht verkneifen. Dich werde ich zu zähmen wissen., dachte er.


    "Sei gegrüßt, werter Marcus Duccius.", erwiderte Nikolaos den Gruß freundlich. "Ich hoffe, du bist nicht gekommen, um auch diese Sklavin zu kaufen. Was meinst du, sind sechshundert Sesterzen zu teuer?" Er lächelte. Zufrieden nahm er zur Kenntnis, dass es sonst kein Gebot von einem der Umstehenden gab. Auch wenn einige verschwenderisch gekleidete Männer - und auch Frauen (diese lockeren alexandrinischen Sitten!)- unter ihnen waren.


    "Oh ja, vorlaut ist sie. Aber mir ist Frechheit gepaart mit Klugheit lieber als Unterwürfigkeit mit Dummheit gepaart."


    Der Sklavenhändler schien seine Ware rasch loswerden zu wollen. Oder war er einfach enttäuscht davon, dass niemand mitbot?


    Einer der Gehilfen kam auf Nikolaos zu. Dieser wies einen seiner Begleiter an, dem Gehilfen sechshundert Sesterzen zu geben. Einem anderen Begleiter befahl Nikolaos, die neuerworbene Sklavin in Empfang zu nehmen.



    Sim-Off:

    Geld ist überwiesen.

    Beim Einwand des Schülers musste Nikolaos laut auflachen.


    "Unsere Priesterschaft ist nicht so streng wie die des Sarapis oder die der Isis.", sagte er, immer noch lachend. "Unter den berühmtesten und vortrefflichsten Männern des Mouseions sind viele Ioudäer, die, wie du sicher weißt, nur einem einzigen Gott opfern, der ihnen obendrein verbietet, anderen Göttern zu opfern." Wieder lachte Nikolaos. "Auch gibt es solche Gelehrte, die fremden Kulten angehören." Er sah den jungen, blonden Römer an.


    "Ich fürchte, du scheinst nicht recht zu wissen, was ein Priesteramt in Alexandria bedeutet. Vom Sarapis-, vom Isiskult und von einigen Gottheiten, die vor allem von Aigyptern verehrt werden, abgesehen, können die meisten Priesterämter von jedem freien Bürger übernommen werden, der dafür von der Bürgerschaft ausgewählt wird. Wir lehren niemanden die notwendigen Dinge für ein solches Priesteramt. Die notwendigen Dinge dafür lernt jeder, der Bürger werden wird, vor der Zeit seiner Ephebie.


    Mit unserer Kultstätte ist es freilich etwas anders beschaffen. Wir sind von der Polis unabhängig, wie zum Beispiel auch die Isispriesterschaft oder der Sarapiskult. Allerdings sind wir weniger streng in der Wahl der Mittel zur Verehrung der Götter.


    Alles, was du in diesen heiligen Hallen tust, sei es, dass du einem Lehrer zuhörst, sei es, dass du liest oder selbst schreibst, alles tust du dem Apollon und den Mousen zum Gefallen.


    Dennoch kann sich kein Schüler und kein Lehrer gewissen Feierlichkeiten verschließen. Selbst die Ioudäer unter uns Priestern nehmen zwar an den Opfern selbst nicht teil, jedoch selbstverständlich an den Feierlichkeiten, die ihnen vorausgehen und ihnen folgen.


    Du musst keinen religiösen Posten übernehmen wollen. Du handelst wie von selbst zum Wohlgefallen der Götter, wenn du dich an die Regeln und Gebräuche dieser heiligen Hallen hälst. Diesen freilich kannst du dich nicht verschließen, wenn du Schüler sein möchtest."


    Er sah den jungen Mann prüfend an. Er hoffte, dieser hätte alles verstanden. Für Nichthellenen war es oft sehr schwer, zu begreifen, was Hellenen im Allgemeinen unter Religion verstanden.

    "Wie dir bekannt sein dürfte, verfügt Alexandria über ein eigenes, großes Stadion. Das Pentathlon könnte dort stattfinden, die Wettkämpfe mit Pferden und Waffen im Hippodrom, Ringkämpfe in der Palästra des Gymnasions, der Sängerwettstreit im Odeion des Gymnasions. Über einen Mangel an geeigneten Gebäuden können wir uns also nicht beklagen."


    "Es ist gut, dass aus der Stadtkasse ein Teil der Ausgaben bestritten werden kann. Allerdings werde auch ich selbst, und ich glaube, vom Kosmetes das Gleiche sagen zu können, meinen Teil dazu beisteuern."

    Nikolaos nahm sich eine Dattel und zerkaute sie langsam. Auch nahm er einen weiteren Schluck des kühlen Weines. Seine Warnung hatte offenbar Wirkung auf das Oberhaupt der Familie der Bantotaken gezeigt, auf welche Weise auch immer. Aber die Entscheidung schien dem jungen Mann nicht leichtzufallen. Da war es nur zu gut, dass Nikolaos in Bezug auf Ánthimos Milde gezeigt hatte.


    Der Gastgeber biss in eine Feige, die mit Honig überzogen und mit Anis gespickt war. Fast geräuschlos kaute er auf der Frucht. Süßer Saft rann ihm die Kehle hinab und vermischte sich mit den letzten Tropfen Wein.


    Im Garten sangen und krächszten Vögel. Sperlinge waren da, die leicht in der Luft zu tanzen schienen. Am kreisrunden Teich stolzierten zwei Ibisse, wie reiche Bürgerinnen der Stadt zuweilen am Hafen. In der Luft flatterten Bienen und Schmetterlinge umher, aber auch Mückenschwärme.


    Dass der Gast ihn bezichtigte, aus gewissen anderen Gründen ihm das Angebot unterbreitet zu haben, ließ den Gastgeber aufhorchen. Er sah Timótheos freundlich an, dabei aber mit einem durchdringenden, prüfenden Blick, fast wie der eines Vaters, der dem Sohn in einer peinlichen Angelegenheit auf die Schliche gekommen war.


    "Es nicht so, dass ich von einem geplanten Anschlag auf eure Familie wüsste.", sagte Nikolaos ernst, aber mit einem süffisanten Lächeln. "In einem solchen Fall hätte ich euch sofort gewarnt, und nicht dich zunächst eingeladen und dir jenen Vorschlag unterbreitet."


    Er sah sein Gegenüber nachdenklich an. Einer der Ibisse stakste auf das Peristylon zu, auf den Abschnitt, in dem die beiden Sessel standen. Er krächszte und schlug mit seinem langen, gebogenen Schnabel gegen den Sessel des Gastes.


    "Sie sind schon ganz zahm.", sagte Nikolaos plötzlich, wie in Gedanken versunken und gab dem Ibis einen Wink, woraufhin dieser wieder zum Teich zurückstakste.


    Konzentriert wandte er sich wieder dem Gast zu.


    "Timótheos, als Strategos bekämpfst du das Verbrechen in der Stadt. Das ist eine sehr ehrenvolle Aufgabe, aber auch eine sehr gefährliche. Ohne den Schutz gewisser Männer ist dieses Amt nicht nur für den Inhaber, sondern auch für die Seinen nicht ungefährlich."


    Er blickte dem Gast lange schweigend in die Augen, ehe er weitersprach.


    "Ánthimos, dein ehrenwerter Bruder, wurde bis vor kurzem vom berühmten und verdienstvollen Mithridates gefördert. Leider ist der ehrenwerte Mithridates, wie ich kürzlich erfahren musste, einem Unfall zum Opfer gefallen."


    Wieder ein durchdringender Blick.


    "Damit hat euer edles Geschlecht keinen Beschützer mehr. Bitte verzeihe mir die drastische Formulierung: Ihr seid damit gewissermaßen Freiwild. Vielleicht weihte euch der ehrenwerte Mithridates nie in seine Geschäfte ein, aber er soll ein Mann mit weitreichenden Kontakten gewesen sein. Mit Kontakten in Kreise, auf die ich selbst weniger Einfluss habe, als er es hatte."


    Wieder eine Pause. Nikolaos wollte dem Gast Gelegenheit geben, die Dringlichkeit zu erkennen.


    "Nichtsdestotrotz kann ich euch Schutz bieten. Freilich nur bieten, ihr seid freie Bürger und müsst selbst wählen."

    Ein elegant gekleidete junger Herr wurde auf einer Sänfte an den Platz herangetragen, auf dem der Sklavenhändler seine Ware feilbot. Die junge Sklavin war ihm aufgefallen. Eine Zierde wäre sie für sein Haus. Er ließ sich absetzen und ging einige Schritte auf den Händler und die Ware zu. Mit kühlem Blick betrachtete er sie. Als der Sklavenhändler die nützlichen Eigenschaften der Sklavin anpries, verzog der vornehme Herr skeptisch das Gesicht.


    "Ich biete dir sechshundert, wenn sie zeigt, was sie kann, und wenn du nicht übertrieben hast.", sagte der elegant gekleidete und dick geschminkte Mann. "Sie soll in allen Sprachen reden, von denen du sagst, sie könne sie. Und rechnen soll sie! Kann sie es nicht, so ist nicht einen einzigen Sesterzen wert. Hübsch ist sie schließlich nicht, und für schwere Arbeit scheint es auch unbrauchbar, das abgemagerte Geschöpf."

    Nikolaos sah in die Runde. Der Kreis um ihn hatte sich gefüllt. Er begutachtete die Hände einiger Schüler danach, ob sie sauber waren. Den Kosmetes begrüßte er mit einem höflichen Nicken.


    "Ah, der ehrenwerte Kosmetes. Sei willkommen."


    Dann wandte er sich der ganzen Runde zu.


    "Guten Morgen. Falls ihr mich nicht kennen solltet, ich bin Nikolaos, der derzeit amtierende Gymnasiarchos. Wir sind heute zusammengekommen, damit ihr in die sittlichen Grundlagen unseres Gemeinwesens eingeweiht werdet.", sagte Nikolaos trocken, aber dabei freundlich.


    "Ich nehme an, dass ihr alle lesen und schreiben könnt. Falls einer unter euch ist, bei dem es nicht zutrifft, so soll er einen der Grammatiklehrer aufsuchen. Einer von diesen hält auf der anderen Seite der Stoa Unterricht ab."


    Er blickte prüfend in die Runde.


    "Da dem nicht so zu sein scheint, werden wir nun beginnen. Einer von euch soll mir die wichtigsten Tugenden eines Bürgers nennen und beschreiben."


    Er sah sich um, ließ dabei auf einigen Gesichtern seinen Blick länger wirken, auf andere weniger lange.

    Als Cleonymus zu ihm kam, ließ Nikolaos vor Schreck den Krater fallen. Mit einem dumpfen Schlag zerbarst er an den Treppenstufen. Eine Lache aus Wein breitete sich aus. Nikolaos seidenes Chiton sog sich voll damit. Verwundert sah er an sich hinunter.


    "Oh...", murmelte er.

    Nikolaos hatte während des Gesprächs zwischen Iunia Axilla und den Torwächtern nicht innegehalten in seinem Gang zur Absperrung der Stadtwache. Nur einmal hatte er sich umgedreht, um sich zu vergewissern, dass die Römerin hineingelassen wurde. Er hatte ein schlechtes Gewissen, dass er sie mitgenommen und somit in Gefahr gebracht hatte. Nun war sie in Sicherheit, sogar in größerer Sicherheit als im Gymnasion, und Nikolaos konnte seine verwegenen Pläne weiterverfolgen.


    Die Torwächter hatte er keines weiteren Blickes gewürdigt. Schnurstracks näherte er sich der Absperrung. Endlich hatte er sie erreicht. Unwirsch drängte er sich an den Stadtwächtern vorbei. Seine Leibwachen, einige Stadtwächter und Staatssklaven folgten ihm rasch. Sie müssen denken, ich sei wahnsinnig, dachte Nikolaos. Vielleicht war er es auch. Aber so verwegen der Plan war, so durchdacht war er auf der anderen Seite. Ihn umzubringen wäre wohl schwierig, denn eine Traube von bewaffneten und kräftigen Männern umgab ihn. Aber das Theater würde, so hoffte er, seine Wirkung zeigen.


    Vom Tor aus konnte man das Spektakel anfangs noch sehr gut sehen, später verschwand der Gymnasiarchos in der Menge. Auch wenn die Furcht ihm die Knie weich werden ließ, versuchte er aufrecht voranzugehen. Ein geworfener Stein verfehlte seinen Kopf nur knapp. Ein anderer streifte ihn an der Schulter, riss ihm das Gewand auf und riss eine Wunde in seine Haut. Der Schmerz warf ihn fast zu Boden, war er doch keinen Schmerz gewohnt. Ich bin wahnsinnig.


    "Beruhigt euch! Beruhigt euch! Wir alle wollen doch keinen Aufstand! Beruhigt euch! Schert euch davon! Geht nach hause! Denkt an eure Frauen und eure Kinder!", rief er mit Pathos in die Menge, die ihn da umzubringen versuchte. Er wusste, dass sein Anblick lächerlich wie traurig wäre. Er spürte die Erniedrigung förmlich. Aber er verfolgte damit ein Ziel. Das vor Augen ertrug der verweichlichte wie hochmütige Gymnasiarchos die Schmähungen und die Verletzungen. "Die Römer sind zu unserem Schutz hier! Sie bewahren uns vor den Angriffen der Räuber der Wüste, der wilden Parther und des Gesindels!"
    Die Ironie, die angesichts seiner eigenen Lage in diesem Satz lag, war durchaus beabsichtigt.


    Er taumelte weiter. Dreck warfen die Menschen nach ihm. Ein Haufen Kot traf ihn mitten im Gesicht. Wo sie einen Zipfel seiner kostbaren Kleidung zu fassen bekamen, griffen die Leute zu und zogen daran. Bald lief er in Fetzen durch die Menge. Speichel, Schmutz und Häme trafen ihn gleichermaßen.


    "Römerfreund!" Ein Schmutzklumpen traf Nikolaos am Ohr. "Korruptes Schwein! Kriechst den Römern in den Arsch-" "Hinaus mit ihm!" "Zu den Haien mit ihm!!!"


    Nikolaos machte kehrt. Sein Ausflug in die Menge hatte nicht lange gedauert, aber an seinem Äußeren deutliche Spuren hinterlassen. Mit Kot, Blut, Speichel, Fischinnereien, Staub, verdorbenem Gemüse waren seine Kleidung, seine Haut und seine Haare besudelt. Die Kleidung bestand nun mehr aus Fetzen, denen man nicht mehr ansehen konnte, dass sie zum Teil einst aus koischer Seide, aus feiner Baumwolle bestanden hatte und kostbar eingefärbt gewesen war. Die Wunde an der Schulter war nicht die einzige geblieben. Er schwankte. Ihm schauderte. Vor seinen Augen verschwomm die Welt. Mit letzter Kraft schleppte er sich hinter die Stadtwächterreihe. Diese hatte alle Mühe, den Pöbel zurückzuhalten. Es waren zu viele und zu aufgebrachte Menschen dort.


    "Zwecklos!", sagte er laut zu Timótheos. "Sie hören nicht auf mich!" Seine Verzweiflung war gespielt. Sein Blick sprach eine andere Sprache. Listig sah er den Strategos an.


    Er hoffte fast, dass die groben Torwächter in Gelächter ausbrechen würden. Dies würde ihm sehr nützen. Aber er beachtete sie nicht. Obgleich das ganze Theater auch für sie bestimmt war. Ich bin wahnsinnig!, dachte er. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Aber sein Blick war - so seltsam dies erscheinen mochte -beinahe zufrieden.

    Mit einer solchen Reaktion seitens der Soldaten hatte Nikolaos ja bereits gerechnet. Er wandte sich von ihnen ab und Axilla zu.


    "Ich fürchte, werte Iunia Axilla, den Herren sind ihre Befehle wichtiger als die Unversehrtheit einer ehrbaren römischen Jungfrau. Sie werden uns nicht hineinlassen. Falls der Mob uns nicht in Stücke reißt, bleibt dir jedoch, dich bei deinem ehemaligen Vormund, dem ehrenwerten Iunius Silanus, der immerhin inzwischen den Rang eines Präfektens inne und das Wohlgefallen des Imperators erworben hat, über diese Behandlung zu beschweren. Natürlich nachdem wir uns bei dem ehrenwerten Praefectus Aegypti beschwert haben. Ich bin mir sicher, weder der ehrenwerte Iunius Silanus noch der hochverehrte Praefectus Aegypti werden über diesen Vorfall sehr erbaut sein.", sagte Nikolaos kaltblütig.


    Er hatte dabei sehr deutlich gesprochen, sodass die Soldaten jedes Wort verstanden haben dürften. Nun wandte er sich vom Tor ab und machte einige Schritte in Richtung des Sicherheitsgürtels von Stadtwächtern, als habe er ernsthaft vor, sich in die aufgebrachte Menge zu stürzen.


    "Folge mir, werter Iunia Axilla. Die Torwächter haben ihre Befehle..."


    Er zögerte nicht, sondern ging Schritt um Schritt weiter auf die Absperrung zu.