Rasch hatte Nikolaos den Brief gefunden, schließlich lag er gut sichtbar auf dem großen Schreibtisch. Auch viele andere Schriftstücke lagen dort herum, es wurde Zeit, dass der Gymnasiarchos einmal aufräumte, oder aufräumen ließ.
Behutsam nahm er das Papyrusblatt in die Hände und las es sorgfältig. Nicht lange brauchte er dafür, schließlich war er im Lesen geübt. Er legte es wieder auf den Tisch und suchte nach einer Wachstafel und einem Griffel. Er schrieb den Text noch einmal ab, um ihn mit Bemerkungen zu versehen.
"Gut, dass der junge Herr seine Verwandten gefunden hat. Er schien etwas ausgelaugt von der Reise zu sein. Ich denke, er war froh darüber, in dir eine solch zuvorkommende Helferin gefunden zu haben.", sagte er frei jeglichen Untertons und damit wiederum durchaus zweideutig, während er schrieb.
Gesetzesvorschlag von Marcus Achilleos, Bürger der Polis Alexandria und Mitglied der Priesterschaft der Musen und des Apollons:
"Ich nutze hiermit mein Recht als Bürger Alexandrias einen Vorschlag zur Verbesserung der Sicherheit aller Bürger zu machen. Dieser Vorschlag sieht eine Erweiterung des Strafrechts vor. Man kann jetzt natürlich entgegnen, dass das Strafrecht Roms für die Polis übernommen wurde, doch habe ich bereits juristisch geklärt"
Geklärt - inwiefern?
", dass lokal gültige Ergänzungen möglich sind. Folgenden Paragraphen schlage ich vor:"
Paragraphen wofür? In die Katastis zu übernehmende?
"Jedwede Person, die Kenntnis einer Straftat hat und diese nicht den Behörden meldet, ist so zu bestrafen, als hätte sie selbst die gleiche Straftat begangen."
Das wird nicht durchkommen i.d. Ekklesia!
"Begründung: Wer Kenntnis einer Straftat besitzt, und sie nicht den Behörden meldet, der unterstützt diese Tat damit implizit. Es ist dabei nicht wichtig, ob man die Straftat nicht meldet, weil man Komplize ist, es einem einfach egal ist oder man Angst hat. Wichtig ist nur, dass man seiner Bürgerpflicht nicht nachkommt. Gesetze haben die Aufgabe, unerwünschtes Verhalten zu bestrafen. Es steht außer Frage, dass die Vertuschung einer Straftat ein unerwünschtes Verhalten ist. Das Nicht-Melden einer Straftat kommt aber einer Vertuschung gleich. Deshalb ist es zu bestrafen. Ebenfalls sollte die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Deshalb soll die Strafe der Strafe für die Tat entsprechen."
Wie ist zu beweisen, dass jemand von einer Straftat gewusst hat? Wer kann in Köpfe sehen, und erkennen, ob Kenntnis von etwas vorhanden ist oder nicht?
Die Notizen zeigte er seiner Schreiberin nicht. Sie würden nur ihm als Grundlage für ein Gespräch mit Markus dienen.
Iunia Axilla schien das Bedürfnis zu haben, mit ihm darüber zu sprechen, wie sich nun herausstellte. Sie hatte auch schon unaufgefordert Platz genommen.
"Ich sehe da im Grunde nur ein Problem: In dieser Form wird der Gesetzesentwurf in der Ekklesia aus tausend Kehlen laut verdammt werden und mit dem Gesetz möglicherweise auch der Antragssteller.
Ich werde mit Markus Achilleos darüber sprechen. Sollte er darauf bestehen, den Entwurf zu belassen, wie er ist, so werde ich es jedoch unverändert auf die Tagesordnung der nächsten Ekklesia setzen.
Mag ein Antrag aussichtslos scheinen und auch viele Mängel oder einen grundsätzlichen großen Mangel aufweisen, so muss er dennoch vom alexandrinischen Volk gehört werden.
Es ist nicht meine Aufgabe, freie Bürger von ihrem Willen abzuhalten. Ich kann lediglich Ratschläge erteilen. Ob sie angenommen werden oder nicht, das liegt nicht in meiner Hand.
Nun aber sage mir, welche Schwierigkeiten du in diesem Antrag siehst."