Der Gymnasiarchos selbst unternahm an diesem Tag einen Spaziergang am Hafen entlang. Er war in nervöser Stimmung und hoffte, der frische Wind aus Richtung der See würde ihn zur Besinnung bringen und ihm zu klaren Gedanken verhelfen. Seit Tagen saß er ganze Tage entweder in seiner Amtsstube, in seinen Räumen im Museion, in seiner Schreibstube im Lagerhaus oder zuhause und ordnete Aufzeichnungen und Dokumente. Er wollte in jederlei Hinsicht Ordnung in sein Leben bringen. Zwar konnte er über seine neue Schreiberin nicht klagen, doch wollte er sie zunächst prüfen, ehe er sie in die Geschäfte seines Handelshauses einweihte. Nikolaos hasste Geschäfte. Am liebsten hätte er ein solches Landgut, dessen Pachterträge allein ihm seine teure Lebensart und das Führen verschiedener Ehrenämter erlaubte. So musste er jedoch mindestens einmal in der Woche das Lagerhaus aufsuchen und seinen Angestelllten auf die Finger schauen.
Und noch etwas gab es, was ihn belastete und ihm das Gefühl gab, an einer seltsamen Krankheit zu leiden. Hätte er nicht wieder einmal die Bürde eines hohen Staatsamtes auf sich genommen, und klammerte er sich nicht, wie er es tat, an seinen Einfluss in der Polis Alexandria, den er um keinen Preis verlieren wollte, so wäre er wohl am liebsten nach Achaia, in die attische Landschaft gereist. Einige Jahre schon hatte er sie nicht mehr zu Gesicht bekommen. Zwar wusste er genau, dass er sich, wenn er sich nach Athen wagte oder bloß in die Nähe, in große Gefahr begäbe. Dennoch war ein Verlangen in ihm, dies der Gefahr zum Trotz einmal zu tun.
Mit diesen Gedanken ging er am Hafen entlang. Er war allein. Er trug einen dunkelblauen Chiton aus Baumwolle und ein meergrünes Himation aus Schafswolle, das schwer war und etwas zu warm für diesen Tag. Zwar war gerade die kälteste Jahreszeit in der Gegend von Alexandria, doch dieser Tag war warm genug, auch wenn er sich nicht ganz in die drückende Hitze des langen Sommers verirrt zu haben schien.
Nikolaos ging durch die Straßen, mal mit dem Strom der Menschenmassen, mal dagegen an. Es wimmelte von Straßenhändlern, Bettlern und Huren. Daneben patroullierten oder lungerten römische Soldaten herum. Sklavenhändler boten ihre menschliche Ware feil. Hier und da wurden Schiffe entladen oder beladen. Die Hafenarbeiter schwitzten und fluchten. Hier und da knallte eine Peitsche auf das Straßenpflaster oder auf den Rücken eines Unglücklichen. Nikolaos wich Sänften und Fuhrkarren aus, wurde von in bunte Seidenkleider gehüllten und von zerlumpten Gestalten gestoßen oder stieß diese an. Er trat mit seinen hochsohligen Schuhen auf andere Schuhe, bloße Füße, auf die Hände von auf dem nackten, schmutzigen Boden sitzenden Bettlern, gegen Hühner und gegen Katzen, auf Münzen und knapp an Kot vorbei.
Plötzlich stand ein riesiges Untier vor ihm. Nikolaos erstarrte vor Schreck. Ein Hund war es, doch mehr ein Raubtier als ein treuer Begleiter des Menschen. Er versuchte, auszuweichen, doch konnte er keinen großen Bogen um diesen Hund machen, da von beiden Seiten ihm Menschenmassen entgegen kamen. Um den Hund hatte sich ein Kreis gebildet, den niemand zu betreten wagte. Um weiterzugehen, müsste Nikolaos diesen durchschreiten und wäre in Reichweite der Bestie. Nun sah er erst, dass der Hund von einem großen, jungen, blonden Mann mit einem etwas barbarischen Aussehen mit sich geführt wurde. Flehenden Blickes sah Nikolaos den Jungen an und wich noch einen Schritt vor dem Untier zurück.
Erst danach erkannte er seine Schreiberin, die neben dem jungen Mann stand.
"Äh- sei gegrüßt Iunia Axilla-", stieß er hervor, ohne die Bestie aus den Augen zu lassen. Ihm schien es, als giere der Hund schon danach, ihn zu zerfleischen.
edit:Da bist du mir zuvorgekommen. Ich habe dich mal eingebaut in meinen Beitrag.