Etwas irritiert betrachtete Nikolaos den Gelehrten und dann die Schriftrolle. Er erkannte sie als Katastis der Polis Alexandria und seine Verwirrung wuchs weiter. Am liebsten hätte er den Gelehrten gefragt, worauf diese hinauswollte, doch stattdessen nahm er die Schriftrolle entgegen und öffnete sie. Im Paragraphen 7 ging es explizit um die Beziehung zwischen dem Basileus der Rhomäer und der Polis. Was hatte das zu bedeuten? Nikolaos konnte sich an den Wortlaut des ersten Absatzes nicht erinnern. Er drehte die Rollen, bis er auf den von Theodoros erwähnten Textabschnitt stieß. Gehorsam las er.
"§ 7 Unterstützung durch die Rhomäer
(1) Die Verwaltung des Museions sowie der Städte Iuliopolis und Nikopolis unterstehen einzig und allein dem Basileus der Rhomäer bzw. dessen Stellvertreter, dem Eparchos."
Jetzt wurde Nikolaos allmählich klar, worauf der Gelehrte hinauswollte und Wut schäumte in ihm auf. Doch er beherrschte sich und zwang seiner Gesichtsmuskulatur ein leichtes Lächeln ab. Er überlegte, ob er abwarten sollte, was Theodoros vorzubringen hatte, doch er beschloss, ihm das abzunehmen.
"Läuft dein Anliegen darauf hinaus, dass du mir stellvertretend für die Polis vorwirfst, sich widerrechtlich in die Angelegenheiten des Museions einzumischen?", fragte er, bemüht, jeglichen Unterton zu vermeiden und sich in klarer, neutraler Sprache auszudrücken. Innerlich kochte er. Seine Lage war ihm nicht besonders angenehm. Einerseits war er Schüler und hatte somit vor dem Stellvertreter des Epistates zu kratzfüßeln, andererseits stand er in Konkurrenz zu diesem Mann.
Ohne auf eine Antwort zu warten, legte Nikolaos eine Schlinge, von der er hoffte, dass sie reißfest sein würde.
"Sollte dies der Fall sein, kann ich dich natürlich beruhigen.", begann er sanft und freundlich. "Der Eparchos ist in der Sache bereits hinzugezogen. Ein rhomäischer Centurio nimmt an den Ermittlungen teil. Jedoch hat der Eparchos wie du selbst sehen kannst darauf verzichtet, der Polis diese Angelegenheit zu entziehen. Vielmehr ist es eine Zusammenarbeit. Ich weiß nicht, was schlimm daran sein soll. Hätte der Eparchos Wert darauf gelegt, die Sache ohne die Polis zu erledigen, hätte er mir dies wohl deutlich gesagt. Ich weiß nicht ob du den Eparchos kennst - " Eine Kunstpause. "ich würde ihn jedenfalls als einen Mann bezeichnen, der offen ausspricht, was er denkt." Eine längere Pause. "Falls es dir nicht behagen sollte, dass Beamten der Polis sich der Sache angenommen, ganz davon abgesehen, dass Tychios soweit ich weiß Bürger dieser Stadt war, was die Sache in meinen Augen sehr wohl zu einer Angelegenheit der Polis macht, steht es dir selbstverständlich frei, ein darauf hinauslaufendes Gesuch an den Eparchos zu richten." Nikolaos sah Theodoros ernst an. Das Lächeln war aus seinem Gesicht gewichen.
Beiträge von Nikolaos Kerykes
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Nikolaos blickte Timokrates ernst an. "Verzeih mir dieses Versäumnis, Timokrates und verzeihe es mir auch im Namen des Koinons.", sagte Nikolaos leise und sanft. "Die Ereignisse hatten sich gewissermaßen überstürzt, mir blieb keine Zeit, und als es dann anstand, zum Eparchos zu gehen, war es leider zu spät. Ich hoffe, es hat dich nicht allzu sehr gekränkt, es erst beim Eparchos zu erfahren... ." Nikolaos sprach bewusst von einer persönlichen Kränkung, er wollte davon ablenken, dass sein Versäumnis eigentlich in erster Linie nicht Timokrates zuwider handelte sondern dem Koinon. "Natürlich wird derartiges nicht erneut vorkommen.", schloss er seinen Beschwichtigungsversuch. Er hoffte, er würde damit Erfolg haben. Timokrates sah wirklich sehr aufgebracht aus. Oder täuschte er sich da? Hatte sich der Archipyrtan wieder beruhigt? Nikolaos hoffte das Beste und machte sich auf das Schlimmste gefasst.
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Ich brauche Weihrauch. Schließlich will ich der guten Agatha Tyche auch etwas bieten... .
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Da Nikolaos in diesen Tagen schwer mit seinem Amt, seinen Mitbeamten und sonstigen Dingen zu kämpfen hatte, beschloss er, der Agatha Tyche ein Opfer zu bringen. Schließlich lagen viele Dinge möglicherweise in ihrer Hand.
So ging er nicht zum Tychaion irgendwelcher Debatten wegen sondern allein, um der Agatha Tyche ein Paket mit Weihrauch und anderem Rauchwerk zu schenken. Er hatte dazu ein reinweißes Gewand angelegt, das nun zum Vorschein kam, als er sich seiner dicken Chlamys aus Wolle entledigte und sie seinem Grammateos reichte, der ihn begleitet hatte. Am Eingang des Tempels tauchte er seine Hände in ein Wasserbecken aus Bronze und benetzte seine Stirn damit.
"Nimm den Schmutz von meiner Seele, damit ich der Göttin rein entgegen treten werde, als sei ich ein Säugling. Nimm den Schmutz von meiner Seele, damit die Göttin ihr Antlitz nicht verzieht, wenn ich ihr unter die Augen trete. Ich weiß, dass ich mich besudelt habe, doch nun nimm den Schmutz von mir.", murmelte er vor dem Wasserbecken stehend. Dann nahm er das Räucherwerkpaket seinem Grammateos aus den Händen und betrat einen inneren Teil des Tempels. Er sah sich nach einem Opferhelfer um. -
Ein Grummeln breitete sich in der Gruppe der Wächter aus. "So eine Scheiße.", krächszte ein junger Mann, wohl noch jünger als sein oberster Dienstherr. "Und was willst du uns schlimmes antun, mein Kleiner?", grölte ein anderer. "Du bist nicht der Strategos, habe ich recht?" Gelächter brach aus. Doch plötzlich verstummte es. Cleonymus Blick hatte den Männern irgendwie Angst eingejagd. "Halt`s Maul, Timon. Der ist pervers, das sehe ich dem doch an. Der verpfeift uns beim Strategos... ." Einer der Männer räusperte sich. "Wer beweist uns denn, dass du ein Phylax bist?"
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Als Nikolaos das Gesicht der Gestalt im Fackelschein erschien, prägte er sich sein Aussehen gut ein. Er glaubte diese Frau noch nie gesehen zu haben. Fröstelnd lauschte er ihren Worten. Was war das? Nur das Fauchen eines Tieres oder mehr? Nikolaos drehte sich kurz um und sah erleichtert die Katze. Sie ernährt sich sicher von Aas, dachte er und erschauderte. Dann wandte er sich rasch wieder der Frau zu. Als sie sagte, wer den Epistates in den Brunnen geworfen habe, erschauderte er noch einmal. Eisig lief ihm ein Schmerz den Rücken hinunter. Er wusste jedoch nicht, ob er der Frau glauben konnte. Was trug sie im Schilde? Er blickte ihr tief in die Augen und musste sich zwingen, seinen Blick nicht scheu abzuwenden. Bleich und von harten, schwarzen Schatten durchzogen war das Gesicht der Frau im Schein der Fackel. Wer war sie?
"Werte Frau, erzähle mir, wie du es gesehen hast.", sagte Nikolaos sanft. Er wollte sie nicht verschrecken. Daher hatte er es auch unterlassen, zu fragen, wer sie überhaupt sei. Das würde er sogleich noch hinterherschieben, wenn sie geantwortet hatte. -
(einfügen: kurze Zusammenfassung der Lehre des Aristoteles von der Dichtkunst.)
Nun liegt es aber nicht nur am Dichter, sondern auch an den Schauspielern, die Zuschauer in den Zauberbann des Mysteriums zu ziehen. Zuerst einmal ist es nötig, dass jedem Schauspiel ein Mann vorsteht, der genau weiß, wie das Schauspiel am Ende durchgeführt werden soll. Meist ist dieser Mann der Dichter des Schauspiels selbst. Er soll, wie ein Mystagoge beim Mysterium, darauf achten, dass die Schauspieler, die zugleich Hierophanten sind, die Zuschauer also die Neulinge vortrefflich in das Mysterium einweihen, allerdings nur bis zu einer bestimmten Ebene. Kein Zuschauer soll wissen, wie das Schauspiel entstanden ist, welche Mühen die Handelnden hatten, welche frevelhaften Zwistigkeiten während der Proben stattfanden. Dies würde die Gemüter der Zuschauer vom eigentlichen Zweck des Schauspiels abbringen. Ich spreche von Zuschauern als Neulingen, denn anders als bei den Rahmen-Mysterien unterscheidet sich jedes Schauspiel vom anderen, allerdings nur soweit, wie es die allgemeinen Regeln erlauben. Somit ist jeder Zuschauer einerseits eingeweiht, wenn er schon einmal im Theater war, andererseits voller Erwartung auf das, was ihm noch unbekannt ist.
Der Leiter des Schauspiels sollte die Figuren so mit Schauspielern besetzen, dass sowohl die Körper als auch die Seelen von Darstellern und Figuren eine gewisse Übereinstimmung haben. Ich spreche von einer gewissen Übereinstimmung, denn eine vollständige Übereinstimmung ist unmöglich.
So besetze der Leiter die Rollen mit Menschen, die ihnen am ähnlichsten sind. Der Greis wird von einem Mann gespielt, der zwar nicht so alt ist, dass ihm das Spielen unmöglich wäre, jedoch alt genug, um glaubhaft zu sein. Den Jüngling spielt der Jüngling, den Mann mittleren Alters ein Mann mittleren Alters. Für zarte Weiber nehme man zarte Jünglinge voller Blut, für kräftige Bauernweiber und feiste Matronen Jünglinge mit einem Überhang an Schleim in der Peripherie. Dabei ist es wichtig, sicher zu gehen, dass der Jüngling jung genug ist und seine Stimme nicht während der Proben oder gar während der Aufführunstage brüchig wird und zu der eines Mannes wird. Sehr männliche Weiber können auch durch Männer gespielt werden.
Was für die Figur an der Person des Schauspielers mangelt, wird durch Masken ersetzt. Außerdem haben die kräftigen Gesichtszüge der Maske, den Sinn, auch aus der Ferne das Gesicht erkennbar zu machen. Durch die Maske wird die Stimme des Schauspielers so verstärkt, dass es auch in den hinteren Reihen möglich ist, seine Worte deutlich zu hören. Trotzdessen sollte ein Schauspieler, wenn er auf der Bühne spricht sehr laut sprechen, wenn er gar schreit sollte er so schreien, dass es ihm selbst unerträglich laut vorkommt. -
Was soll das Schauspiel bewirken?
Die Aufgabe des Schauspiels ist es, wie Aristoteles sagte, eine Reinigung der Seelen der Zuschauer (und auch und vielleicht in noch viel größerem Maß der Schauspieler) durch Mitleiden oder anderes Mitfühlen zu erreichen. Dabei muss der erste Handelnde der Tragödie so gestaltet sein, dass jeder Zuschauer sich selbst in ihn hineinversetzen kann, so als stecke ihn ihm die Seele eines jeden Zuschauers. Es ist für jeden freien Menschen nötig, seine Seele genauso gründlich zu reinigen wie seinen Körper, denn nur mit reiner Seele kann ein Bürger über das Wohl der Polis entscheiden, nur mit reiner Seele ist ein Mann seiner Familie ein gerechter und guter Herr.
So ist jedes Schauspiel auch zugleich wieder, wie ursprünglich, ein Mysterium. Ein Mann geht aus dem Theater und hat den Schmutz der Seele mithilfe von Schaudern, Zittern, Zähneklappern, Heulen und Lachen hinter sich gelassen. Ob die Reinigung durch Heulen oder durch Lachen geschieht, ist gleichgültig. Lachen und Heulen sind die Grundfähigkeiten eines jeden Menschens und eines jeden Gottes. Nur ein Mensch oder ein Gott kann lachen oder heulen, ein Tier ist dazu nicht in der Lage.
Doch wie erreicht man Geheul und Gelächer? -
Nikolaos war zu Fuß und nur von zwei Dienern begleitet zum Haus des Leonidas gekommen. Offenbar hatte er es eilig. Er selbst ging zur Tür und klopfte.
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Nikolaos nickte zustimmend. "Die Polis wird dein überaus ehrenhaftes Vorgehen zu schätzen wissen, Praefecte.", sagte er.
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Nikolaos vergewisserte sich, dass niemand außer den beiden im Raum war und dass die Tür geschlossen war. Den Grammateos hatte er zuvor weggeschickt, mit dem Auftrag, vor der Tür zu warten und niemanden an die Tür zu lassen. So wollte Nikolaos Mithörer vermeiden.
"Das ist gut. Es gibt einige Probleme. Ich muss zugeben, doch bitte behalte das für dich, da dieses Geständnis mein politischer Ruin sein könnte, dass ich das Gefühl habe, mir entgleitet die Situation. Kürzlich im Koinon hat der Archipyrtan sehr deutlich angedeutet, er wäre dafür, Neuwahlen durchzuführen. Dabei stünde auch das Amt des Strategos zur Disposition. Ich habe zwar nicht vor, dieses Amt eine weitere Amtszeit lang durchzuführen, benötige aber Zeit für die Klärung der Verbrechen. Wobei, wie du siehst, die Rhomäer uns dabei vieles aus der Hand nehmen. Einerseits ist das gut, andererseits trägt das zu dem Gefühl bei, das ich bereits beschrieben habe.
Aber zuerst die Probleme mit der eigenen Polis, bevor wir zu weiteren Schritten bezüglich des Falls übergehen. Falls es zu Neuwahlen kommen sollte, würde ich gerne dich als Strategos sehen. Ich würde es traurig finden, wenn mein Ziel, der Ausbau der Stadtwache, von irgendeinem Bürger einfach versickern gelassen würde. Ich setze dabei mein volles Vertrauen in dich -" Nikolaos legte eine bedeutsame Pause ein. "Ein gewisser Mensch, der jetzt schon versucht, den Einfluss unter den Pyrtanen an sich zu reißen und der, wie mir vorkam, mich bei verschiedenen Entscheidungen ausbooten wollte, wird danach streben, selbst das Amt des Exegetes zu erlangen und zum Beispiel das Amt des Strategos von einem seiner Zöglinge besetzen zu lassen." Wieder eine Pause. Nikolaos blickte Cleonymus ernst an. "Du bist ein Bürger, Cleonymus und dein Wort hat die gleiche Gültigkeit wie das eines Timokrates oder sonstirgendjemanden. Und ich weiß, dass auch du es nicht zulassen wirst, dass die Stadtwache wieder zum Trümmerhaufen wird. Daher bitte ich dich, mit mir gewissermaßen ein Bündnis einzugehen und in Zukunft alles, was du als politisch handelnder Mensch tust, mit mir abzusprechen. Wenn wir geschickt handeln, kann unser Bündnis Einfluss halten und dazugewinnen. Doch auch gut gemeinte aber missglückte Aktionen schon können alles zerstören. Sage mir, kann ich auf dich zählen?" Nikolaos blickte Cleonymus tief in die Augen. -
Nikolaos trat ein. "Chaire, Theodore. Es ist mir eine Freude, dich zu sehen. Nun ja, die Ermittlungen im Mordfall gehen sehr zäh voran, doch es hat sich an anderer Stelle ein Abgrund aufgetan. Es gab einen kleinen Aufstand im Rhakotis-Viertel, der allerdings schnell niedergeschlagen wurde. Ob es da einen Zusammenhang gibt, ist noch nicht bekannt." Mehr wollte Nikolaos seinem Meister nicht erzählen, er wollte seine Pflicht, die er schon einmal durch Versäumnis und insofern Nicht-Erzählen verletzt hatte nun nicht noch einmal durch Zuviel-Erzählen verletzen. Nikolaos hatte allerdings ohnehin das Gefühl, dass seine politische Karriere möglicherweise bald beendet sein würde. Wobei natürlich für ihn sprach, dass er, freiwillig und gezwungeraßen, der tätigste Archont war.
"Ich hoffe jedenfalls, dass sich bald jener finden wird, der diesen Frevel begangen hat.", schloss Nikolaos ernst. Dann heiterte sich sein Gesicht etwas auf. "War es das, weshalb du mich holen ließest?" -
Sim-Off: Es ist eigentlich nicht meine Art, SimOff-Kommentar einfach mal dazwischen zu schieben, doch die Stimme des Nikolaos hat der Antrag auf Neuwahlen nicht erhalten. Lediglich dem Antrag, diese Frage (die Frage ob überhaupt Neuwahlen) in die nächste Ekklesia zu bringen, hat er zugestimmt. Siehe hier Dennoch hat Timokrates mit unkollegial vielleicht nicht ganz unrecht
. Nimm`s aber bitte nicht persönlich.
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Sim-Off: öhm... der Grammateos hatte zuvor mit dir gesprochen, nicht der Strategos
Nikolaos erschrak über das plötzliche Hereinplatzen seines Kollegen. Timokrates schien sehr aufgebracht zu sein. Und der Archipyrtan begann auch sogleich, ohne Nikolaos eines Grußes zu würdigen. Im Vorraum stand der Grammateos wie angewurzelt und beobachtete das Schauspiel. Dass er als Strategos angeredet worden war, freute ihn insgeheim, doch zugleich kam ihm das Verhalten des Mannes, den er durch dessen häufige Besuche schon besser kannte, sehr seltsam vor.
"Schließ bitte die Tür, Grammateos." Grammateos hatte er den Grammateos genannt, da ihm dessen Name auf die Schnelle nicht eingefallen war. Das Opium tat ihm nicht gut. Dann wandte er sich sogleich Timokrates zu.
"Chaire, werter Timokrates. Mich freut, dich zu sehen, doch dein Betragen verwundert mich etwas. Was bedrückt dich so, dass du es derart emetiv mir vor die Füße speien musst? Bitte erläutere mir deine Frage, mir scheint, es ist keine Frage, die an mich gerichtet ist." Nikolaos Stimme war sanft und ruhig. "Bevor du beginnst, darf ich dir etwas zu trinken anbieten?" -
"Ob die Pyrtanen das Vertrauen des Volkes genießen, wird sich schon darin äußern, ob die Ekklesia für eine sofortige Neuwahl spricht oder einen geringen Verzug duldet. Wenn die Amtszeit, wie du sagst, bereits überschritten ist, wie sollen dann einige weitere Wochen der Demokratie noch gefährlicher werden als die bereits nicht mehr rückgängig zu machende Überschreitung?"
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Der Grammateos stöhnte. Noch so ein Kerl, der etwas vom Strategos wollte. "Entschuldige bitte", sagte er zum Soldaten und öffnete die Tür.
"Chaire, Archipyrtan.", sagte der Grammateos. "Was kann ich für dich tun?" Diesen Satz hatte er schon so oft von sich gegeben, dass er inzwischen wie mechanisch seinen Mund verließ. -
Nikolaos trat zur Tür und klopfte.
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Die erste Reaktion Nikolaos`auf das plötzliche Erscheinen des Gnorimos war Schreck, jedoch verbarg er diesen Schreck. Dann kam Ärger über den unfreundlichen Ton des beinahe-Mitschülers hinzu. Doch auch dies verbarg Nikolaos.
"Sehr wohl", antwortete Nikolaos und erhob sich. Rasch verließ er den Schlafraum. Ohne auf den Gnorimos zu warten (falls dieser ihm folgen sollte) machte er sich auf den Weg zu Theodoros Arché.
Auch wenn er den Gnorimos noch nicht richtig kannte, hatte Nikolaos schon beschlossen, ihn nicht zu mögen. Du Schönling, dachte er grimmig, ohne darauf zu achten, dass er im Grunde selbst ein Schönling war, wennauch seine Schönheit in letzter Zeit etwas gelitten hatte. Nikolaos wettete, dass der Gnorimos mehr Zeit für die Pflege seines wallenden langen Haupthaares aufwandte als für Studien. Doch schnell wichen diese Gedanken der Frage, was Theodoros wohl von ihm wollte. -
Der Grammateos des Strategos öffnete nach einiger Zeit. Offenbar hatte das Klopfen ihn aus der Mittagsruhe gerissen.
"Ah, der Soldat!", entfuhr es dem Grammateos. "Chaire. Was kann ich für dich tun?" -
"Gut.", meinte der Strategos kühl, als befürchte er, durch einen allzu warmen Tonfall der Stimme die Leiche vorschnell verwesen zu lassen. "Dann soll der verehrte Epistates seine würdige Ruhe bald finden." Er betrachtete das Stück Stoff. Dann nahm er es in die Hand. "Zu der Kleidung des Epistates gehörte es offenbar nicht. Jedoch vermutete ich, dass dieser Fetzen aus einem Kleidungsstück stammt. Es scheint ein teures Kleidungsstück zu sein. Also haben der Epistates und der Besitzer dieses Kleides miteinander gekämpft." Nikolaos notierte in Gedanken: Doch warum sollte der Epistates gekämpft haben, wenn er vergiftet wurde? Wem hat er bloß am Rock festgehalten? Ich sollte nach diesem Stoff Ausschau halten.
"Sage mir Doros, gab es unter den Gelehrten vor dem Tod des Epistates eine Art Symposion oder eine andere Zusammenkunft? Vielleicht auch nur im kleinem Kreis? Wer gehörte zu den Freunden des Epistates?"
Nikolaos sah den Iatros durchdringend an. Er hatte das Gefühl, der junge Mann, der kaum älter als er selbst war, verheimlichte ihm etwas. "Kommt dir das Stück Tuch bekannt vor?", schob er noch hinterher.