Beiträge von Nikolaos Kerykes

    "Chaire, Theodoros", sagte Nikolaos freundlich, aber etwas schüchtern. Offenbar war er wieder in seiner Funktion als Schüler hier. "Ich habe etwas für dich." Er reichte Theodoros die Rolle. "Falls du etwas daran auszusetzen haben solltest, sage es mir."

    "Warum lernen wir dies alles, ohne Musikinstrumente überhaupt anzurühren?", fragte auf einmal ein besonders verwegener Schüler. Alle anderen starrten ihn daraufhin an. War er mit den Gesetzen des Museions noch nicht vertraut, oder war er einfach nur tollkühn, lebensmüde gar? Nikolaos empfand ein gewisses Mitgefühl mit diesem armen Vorlauten, schon bevor die unweigerliche Folge seiner Frechheit einsetzte.
    Innerhalb eines Moments, so kurz, dass es kaum möglich war, ihn in Zeit auszudrücken, war der Gelehrte zum Schüler gestampft.
    "Was fällt dir ein? Was maßest du dich an? Nichtswürdiger, hat dein Vater dich nicht Gehorsam gelehrt? Was machst du, Schwein, an diesem heiligem Ort? Dich sollte man sofort rauswerfen! Widerling! Insekt! Parasit!" Dann wandte sich der Gelehrte, mit vor Wut tiefrotem Gesicht und tobend an die übrigen. "Euch alle sollte man rauswerfen! Nichts an Verstand habt ihr! Ihr bildet euch ein, Musik sei das herumzupfen an der Lyra, das kraftlose Pusten in einen Aulos! Das bildet ihr euch ein! Doch ihr seid nicht zum Spielen hier, nichtswürdige Käfer!" Das Wort Käfer ließ Nikolaos beinahe schmunzeln, doch er konnte sich das zu seinem Glück noch verkneifen. Das Geschrei hatte offenbar die Stimme des Gelehrten angegriffen. Heiser und etwas leiserer setzte er seine Tirade fort. Seine Mundwinkel zuckten, er bewegte sich unkoordiniert, sein Gesicht war noch rötlicher angelaufen. "Ihr sollt die Theorie erlernen! Verstehen! Durchdringen! Bevor ihr eure schmutzigen Finger an ein Instrument legt. Verstanden?!!?"
    Der Gelehrte fiel plötzlich wie ein gelehrter Wasserschlauch in sich zusammen. Die Schimpftirade hatte ihn viel Kraft gekostet. "Also gut, fahren wir fort.", keuchte er, noch völlig außer Atem und mit kraftloser Stimme. Doch er zögerte. Offenbar hatte ihn das alles aus dem Konzept gebracht.


    (Fortsetzung folgt)

    Nachdem sich Nikolaos im Tiergarten des Museions bei einem Zoologen vergewissert hatte, dass es diesen Riesen- oder Rosenkäfer nicht in der Sammlung gab, ging er mit einem noch einmal korrigierten Text zum Bureau des Theodoros. Er hatte seinen Namen aus der Abschrift für Theodoros entfernt, schließlich wollte er nach Möglichkeit bescheiden wirken. Nikolaos bezweifelte inzwischen, dass es diesen Käfer überhaupt gab, doch das war nun nebensächlich.
    Er hatte sich noch immer nicht ganz erholt vom Zwang, überall Käfer zu sehen, als er an die Tür des Theodoros klopfte, in der Hand eine aufgerolltes Papyrus.


    Über das Paarungsverhalten des Rosenkäfers oder auch westafrikanischen Riesenkäfers


    Eine Zusammenfasssung aus verschiedenen Büchern.



    I. Die Gestalt des Käfers


    Dieser Käfer ist von verschiedenen Autoren, unter anderem von einem gewissen Klyos von Epheseos, dem Rhomäer Plinios Nestor, Hippolythos Korintheos Nestor sowie von einem Mann unbekannter Herkunft namens Lysias, ausführlich beschrieben worden.
    Im folgenden wird der Autor, bei einer Fülle an Bereichen des Lebens des Käfers, die beschrieben wurden, sich auf das Paarungsverhalten konzentrieren. Um jedoch dies zu verstehen, muss man einiges über die Gestalt des Körpers dieses Käfers wissen.
    Der Rosenkäfer ist sehr groß, seine Länge und seine Breite kann die Länge und die Breite einer menschlichen Hand erreichen, wobei dies nur bei wenigen Beispielen zu beobachten war. Hippolythos Korintheos Nestor nennt vier Exemplare, die er auf einer Reise in den Westen Afrikas gesammelt haben will, die diese Größe erreicht oder gar geringfügig überschritten haben. Allerdings seien diese Tiere nach wenigen Tagen in Gefangenschaft gestorben und ihre Körper verrottet, weshalb der Beweis dieser Behauptung dem Autoren Hippolythos unmöglich sei.
    Derselbe Hippolyth schreibt von Hörnern, die diese Käfer besitzen sollen, dies jedoch wird auch von Klyos von Ephesos und Lysias behauptet, weshalb es sehr wahrscheinlich ist, dass seine Angaben richtig sind.
    Die besagte Art von Käfern soll einst überall südlich des mittleren Meeres der Welt gelebt haben, sich jedoch aus unbestimmten Grund in den Westen des Landes südlich des mittleren Meeres zurückgezogen haben. Daher hat der westafrikanische Riesenkäfer seinen Namen.



    II. Der Kampf um die Frauen


    Die männlichen Rosenkäfer haben ein Horn, mit dem sie gegeneinander kämpfen. Die Sieger dieser Kämpfe dürfen sich anschließend mit den weiblichen Rosenkäfern vereinen. Manchmal sterben auch Käfer bei den Kämpfen um die Weibchen, doch das geschieht nicht allzu häufig. Dennoch ist das Verhalten der Käfer grausam zu nennen. Der Unterlegenere wird nicht geschont und getröstet, sondern wird nun von allen gemieden oder gar, in anderen Fällen, misshandelt.



    III. Die Vereinigung der Käfer und die Ablage von Eiern; Unterschiede zwischen der Art der Leibesfrucht von Käfern zu anderen Wesen


    Die Vereinigung zwischen zwei Käfern findet am Boden oder aber auf Bäumen oder Sträuchern statt. Weibliche Käfer lassen nur die Sieger der Kämpfe zum Beilager zu. Nach der Vereinigung mit dem männlichen Käfer legt der weibliche Eier ab, deren Zahl von einigen bis zu einer Vielzahl stark schwanken kann. Diese Eier werden vom weiblichem Käfer vergraben, damit diese geschützt sind. Beim Menschen und bei einer Vielzahl anderer Wesen sind die Leibesfrüchte dadurch geschützt, dass sie eben im Leib der Mutter liegen. Bei den Käfern ist dies unmöglich, da ihre Leiber nicht ausgedehnt werden können, denn sie umgibt einer Haut statt eine starre Rüstung aus Horn.



    IV. Die Geburt und das Entwickeln der entgültigen Käfer-Gestalt


    Nach einigen Wochen haben die Eier des Käfers ein Wesen geboren, dass dem späteren Käfer nicht im geringsten ähnlich sieht. Dieses blinde, taube und wohl auch gefühllose Wesen hat noch keine Rüstung sondern nur eine weiße Haut. Dieses Wesen frisst sehr viel. Nach einiger Zeit baut es sich eine Höhle aus Stein und den Absonderungen seines Leibes und legt sich darin schlafen. Nach einem Schlaf von einigen Tagen kommt ein fertiger Käfer aus der Höhle gekrochen. Dieser besitzt nun eine Rüstung und ist bald selbst fähig, mit anderen Käfern Kinder zu zeugen.

    Nach einiger Zeit sah Nikolaos nur noch Käfer. Er selbst schien sich in einen Käfer verwandelt zu haben, der in einer dunklen Ecke in der nächtlichen Bibliothek hockte. Inzwischen hatte er die Öllampe entzündet. Allerdings hatte er sie weit von den Büchern entfernt in eine Wandnische gestellt. Das senkte das Risiko, die kostbaren Rollen und Codices abzufackeln, verminderte aber auch das Licht. Nikolaos hatte Probleme, die Buchstaben noch zu erkennen, zumal die Schrift, die er gerade durcharbeitete, schon etwas älter und deshalb verblasst war. Er schrieb inzwischen die dritte Fassung seiner Zusammenfassung nieder.


    Über das Paarungsverhalten des Rosenkäfers oder auch westafrikanischen Riesenkäfers


    Eine Zusammenfasssung aus verschiedenen Büchern von Nikolaos Kerykes, Schüler am Museion von Alexandria.



    I. Die Gestalt des Käfers


    Dieser Käfer ist von verschiedenen Autoren, unter anderem von einem gewissen Klyos von Epheseos, dem Rhomäer Plinios Nestor, Hippolythos Korintheos Nestor sowie von einem Mann unbekannter Herkunft namens Lysias.
    Im folgenden wird der Autor, bei einer Fülle an Bereichen des Lebens des Käfers, die beschrieben wurden, sich auf das Paarungsverhalten konzentrieren. Um jedoch dies zu verstehen, muss man einiges über die Gestalt des Körpers dieses Käfers wissen.
    Der Rosenkäfer ist sehr groß, seine Länge und seine Breite kann die Länge und die Breite einer menschlichen Hand erreichen, wobei dies nur bei wenigen Beispielen zu beobachten war. Hippolythos Korintheos Nestor nennt vier Exemplare, die er auf einer Reise in den Westen Afrikas gesammelt haben will, die diese Größe erreicht oder gar geringfügig überschritten haben. Allerdings seien diese Tiere nach wenigen Tagen in Gefangenschaft gestorben und ihre Körper verrottet, weshalb der Beweis dieser Behauptung dem Autoren Hippolythos unmöglich sei.
    Derselbe Hippolyth schreibt von Hörnern, die diese Käfer besitzen sollen, dies jedoch wird auch von Klyos von Ephesos und Lysias behauptet, weshalb es sehr wahrscheinlich ist, dass seine Angaben richtig sind.
    Die besagte Art von Käfern soll einst überall südlich des mittleren Meeres der Welt gelebt haben, sich jedoch aus unbestimmten Grund in den Westen des Landes südlich des mittleren Meeres zurückgezogen haben. Daher hat der westafrikanische Riesenkäfer seinen Namen.



    II. Der Kampf um die Frauen


    Die männlichen Rosenkäfer haben ein Horn, mit dem sie gegeneinander kämpfen. Die Sieger dieser Kämpfe dürfen sich anschließend mit den weiblichen Rosenkäfern vereinen. Manchmal sterben auch Käfer bei den Kämpfen um die Weibchen, doch das geschieht nicht allzu häufig. Dennoch ist das Verhalten der Käfer grausam zu nennen. Der Unterlegenere wird nicht geschont und getröstet, sondern wird nun von allen gemieden oder gar, in anderen Fällen, misshandelt.



    III. Die Vereinigung der Käfer und die Ablage von Eiern; Unterschiede zwischen der Art der Leibesfrucht von Käfern zu anderen Wesen


    Die Vereinigung zwischen zwei Käfern findet am Boden oder aber auf Bäumen oder Sträuchern statt. Weibliche Käfer lassen nur die Sieger der Kämpfe zum Beilager zu. Nach der Vereinigung mit dem männlichen Käfer legt der weibliche Eier ab, deren Zahl von einigen bis zu einer Vielzahl stark schwanken kann. Diese Eier werden vom weiblichem Käfer vergraben, damit diese geschützt sind. Beim Menschen und bei einer Vielzahl anderer Wesen sind die Leibesfrüchte dadurch geschützt, dass sie eben im Leib der Mutter liegen. Bei den Käfern ist dies unmöglich, da ihre Leiber nicht ausgedehnt werden können, denn sie umgibt einer Haut statt eine starre Rüstung aus Horn.



    IV. Die Geburt und das Entwickeln der entgültigen Käfer-Gestalt


    Nach einigen Wochen haben die Eier des Käfers ein Wesen geboren, dass dem späteren Käfer nicht im geringsten ähnlich sieht. Dieses blinde, taube und wohl auch gefühllose Wesen hat noch keine Rüstung sondern nur eine weiße Haut. Dieses Wesen frisst sehr viel. Nach einiger Zeit baut es sich eine Höhle aus Stein und den Absonderungen seines Leibes und legt sich darin schlafen. Nach einem Schlaf von einigen Tagen kommt ein fertiger Käfer aus der Höhle gekrochen. Dieser besitzt nun eine Rüstung und ist bald selbst fähig, mit anderen Käfern Kinder zu zeugen.


    Nikolaos hatte diese Abhandlung zwar in Prosa geschrieben (was gar nicht mal so üblich war), doch er hatte sie in einem eleganten Attisch geschrieben. Nun las er sie noch einmal durch und wr zufrieden. Er löschte das Licht und verließ die Bibliothek mit seinen Aufzeichnungen in der Hand. Einen Bibliothekssklaven, dem letzten, der sich zu so später Stunde hier noch aufhielt, gab er den Auftrag, die Bücher wieder einzusortieren, was dieser sogleich machte.



    Sim-Off:

    Die Autoren, bis auf Plinius, sind von mir erfunden.

    Tatsächlich, es gab da einen Rosenkäfer irgendwo in dem Massen an Wörtern, die allmählich Nikolaos um den Kopf zu schwirren schienen.
    Und dann tauchte ein weiterer Rosenkäfer auf. Und noch einer. Und wiederum einer. Und wieder ein anderer.
    Einer dieser Rosenkäfer stammte aus dem Gebiet, das die Rhomäer Germania nannten. Wo lag diese eigenartige Landschaft überhaupt? Nikolaos glaubte, irgendwo im Norden, also kam dieser Rosenkäfer nicht in betracht. Dort, ein Rosenkäfer, dessen Herkunft mit dem westlichen Teil Afrikas angegeben wird. Nikolaos zückte seine Feder und ein Stück Papyrus.


    Die männlichen Rosenkäfer haben ein Horn, mit dem sie gegeneinander kämpfen. Die Sieger dieser Kämpfe dürfen sich anschließend mit den weiblichen Rosenkäfern vereinen. Manchmal sterben auch Käfer bei den Kämpfen um die Weibchen, doch das geschieht nicht allzu häufig. Dennoch ist das Verhalten der Käfer grausam zu nennen. Der Unterlegenere wird nicht geschont und getröstet, sondern wird nun von allen gemieden oder gar, in anderen Fällen, misshandelt.
    Die Vereinigung zwischen zwei Käfern findet am Boden oder aber auf Bäumen oder Sträuchern statt. Weibliche Käfer lassen nur die Sieger der Kämpfe zum Beilager zu. Nach der Vereinigung mit dem männlichen Käfer legt der weibliche Eier ab, deren Zahl von einigen bis zu einer Vielzahl stark schwanken kann. Diese Eier werden vom weiblichem Käfer vergraben, damit diese geschützt sind. Beim Menschen und bei einer Vielzahl anderer Wesen sind die Leibesfrüchte dadurch geschützt, dass sie eben im Leib der Mutter liegen. Bei den Käfern ist dies unmöglich, da ihre Leiber nicht ausgedehnt werden können, denn sie umgibt einer Haut statt eine starre Rüstung aus Horn.
    Nach einigen Wochen haben die Eier des Käfers ein Wesen geboren, dass dem späteren Käfer nicht im geringsten ähnlich sieht. Dieses blinde, taube und wohl auch gefühllose Wesen hat noch keine Rüstung sondern nur eine weiße Haut. Dieses Wesen frisst sehr viel. Nach einiger Zeit baut es sich eine Höhle aus Stein und den Absonderungen seines Leibes und legt sich darin schlafen. Nach einem Schlaf von einigen Tagen kommt ein fertiger Käfer aus der Höhle gekrochen. Dieser besitzt nun eine Rüstung und ist bald selbst fähig, mit anderen Käfern Kinder zu zeugen.


    So Nikolaos Notizen aus verschiedenen Quellen. Nun musste er sie nur noch ins reine bringen. Was war das? Lief da eben ein riesiger Käfer, so groß wie eine menschliche Hand, über den Tisch? Es kribbelte Nikolaos auf der Haut, die Berge an Büchern scheinen sich in einen gewaltigen Schwarm von Krabbeltieren aufzulösen. Es wurde Zeit, dass er seine Arbeit abbrach. Doch er wollte noch weiterlesen.


    Sim-Off:

    Da es nicht den einen Riesen- bzw Rosenkäfer gibt, habe ich einfach verschiedene Käferarten miteinander vermischt. Ich hoffe, auf naturwissenschaftliche Exaktheit wird keinen Wert gelegt ;) . Auch habe ich einiges an Fehlkenntnissen eingestreut, die zur damaligen Zeit wohl Lehrmeinung waren. Soweit ich gelesen habe, gab es für antike Naturforscher keinen Unterschied zwischen dem Geschlechtsakt von Menschen und dem von Käfern, zumindest von den Begrifflichkeiten her nicht ;) .

    Gewisse Konflikte, wenn es nur das gewesen war, wäre das wohl kaum ein Grund, einen Menschen über die Styx zu schicken. Entweder waren die Konflikte größer gewesen, als Theodoros glaubte, oder aber der Grund des Verbrechens lag doch ausschließlich hinter den Mauern des Museions. Nikolaos konnte sich lebhalft vorstellen, dass dieser Ort bei all seiner Heiligkeit doch ein Schlangennest war. Schließlich waren auch die Priester des Apollons nur Menschen, und welcher Mensch war nicht von menschlichen Leidenschaften getrieben?
    "Zurück zu den Neidern am Museion. Ich fragte bereits, wen du dazu zählen würdest... .", begann Nikolaos vorsichtig und diplomatisch.

    Rasch, um nicht zuviel Zeit zu verschwenden, bevor er die Soldaten "offiziell" einteilte, sagte Nikolaos flüsternd: "Gut. Dann geht das übrige Contubernium geschlossen zum Sarapeion, die übrigen Tempel der Stadt werden dann allein von der Stadtwache bewacht. Hast du Einwände dagegen?"

    Nachdem der Bibliothekssklave ihm einige Rollen und Codices herausgesucht hatte und diese in eine von Nikolaos ausgewählte stille Ecke in der Bibliothek getragen hatte, konnte sich der Schüler an die Arbeit machen. Bei der Auswahl der Werke für seine Arbeit hatte sich Nikolaos auf den Rat des Gelehrten verlassen, doch nicht nur. So gab es eine größere Anzahl naturgeschichtlicher Werke, die nun auf einem blank polierten Arbeitstisch lag, und darauf wartete, von Nikolaos durchforscht zu werden. Angesichts der vielen Blätter und Rollen beschlich den jungen Schüler ein leichter Anfall von Furcht... . Doch er ließ sich nicht entmutigen, sondern nahm sich sogleich den ersten Band vor, den irgendein griechischer Autor angeblich alleine geschrieben hatte, der Nikolaos unbekannt war. Er hatte sich Feder, Tinte und Papyrus, das es im Museion in einer unerschöpflichen Menge zu geben schien, bereit gelegt sowie eine Öllampe, falls seine Arbeit bis in die Nacht dauern sollte. Er machte sich ans Werk... .

    Während langsam die Dämmerung voranschritt, versank Nikolaos tiefer in seinen Dämmerzustand. Doch dann kamen ihm ganz irdische, nüchterne Gedanken. Er hoffte, er würde vom Mysterium nicht enttäuscht werden. Es würde sicher nur ein Abklatsch, ein eklektisches Mischmasch der Mysterien vergangener Zeiten sein, doch er hoffte, dennoch Befreiuung darin zu finden. Er hatte schon seit einiger Zeit nicht mehr Götter verehrt, seit einigen Wochen nicht mehr, das letzte Mal war der Aufenthalt im Sarapeion gewesen.
    Das Mysterium, hoffte Nikolaos, würde eine Steigerung der Erlebnisse im Sarapeion sein. Isis war schließlich, in einer ihrer vielen Erscheinungsformen, Braut des Bakhos und Mutter des Bakhos, und ist Serapis selbst nicht auch eine Erscheinung des Dionysos?
    Nikolaos merkte in seinen Gedanken nicht, dass der Diener zurückkehrte und ihn fragend anblickte, ohne zu wagen, ihn anzusprechen.
    Dann hörte er eine Stimme. Sie weckte ihn aus seinen inneren Versenkungen, ohne ihn jedoch aufzuschrecken. Er drehte sich nach dem Ursprung der Stimme um, sehr langsam, um sich Zeit zu geben, zu erwachen.
    "Chaire, verehrte Artoria Medeia. Es freut mich sehr, dass du gekommen bist.", sagte Nikolaos, ohne dass in seinen Worten Übertreibung gewesen wäre, denn seine Freude war ehrlich. An diesem Abend würde er ehrlich bleiben. Er war weder Politiker noch Geschäftsmann noch Schüler noch Knabe heute sondern uneingeschränkt Mensch. "Wenn du möchtest, können wir sofort aufbrechen." Er sah die schöne Frau auf der Sänfte neben der Seinen einen Moment an. Ein Windzug fuhr durch die Schleier, mit denen das Gestell seiner Sänfte umwickelt war. "Wie war dein Weg hierher?", fragte er höflich.

    "Ich vermute, dass diese Frage Gebiete berühren wird, in denen man nicht gerne herumstochert, doch leider bin ich gezwungen, sie direkt zu stellen: Wer zählte zu Tychios`heftigsten Neidern?" Nikolaos legte eine Pause ein, um Theodoros Zeit zum Antworten zu geben. Dann meinte er: "Liege ich richtig in der Annahme, dass die großen Familien insbesondere die der Nearchäer und der Krateiden sind?"

    Beim Stichwort Wahl horchte Nikolaos auf. "Du sprichst von einer Wahl, als wüsstest du genau, dass die Volksversammlung bald eine fordern wird. Wenn ich mich nicht irre, ist es doch Angelegenheit der Ekklesia, über Neuwahlen zu entscheiden?" Er sah Timokrates durchdringend an. Er ließ seine Worte und seinen Blick einige Zeit wirken, dann wechselte er das Thema, ohne es aus den Augen zu verlieren. "Ich dachte daran, dass das Fest von der Polis ausgetragen wird, aber diese dabei auf die Unterstützung, insbesondere die finanzielle, durch den Eparchos und andere Personen zurückgreifen würde. Man könnte dieses Fest unter das Zeichen der Freundschaft zwischen den Poleis Alexandria und Rom stellen und somit den Eparchos auch in die Organisation mit einbeziehen, wobei die Hauptverantwortung bei der Polis bleiben sollte." Das Thema Geld war Nikolaos unangenehm. Er hatte bereits hohe Schulden bei Nikodemos, und wahrscheinlich würden sich bald noch mehr anhäufen. "Die Höhe des Preisgeldes hängt davon ab, wieviel Geld wir sammeln können. Ich denke aber daran, lieber mehrere Preise für unterschiedliche Arten von Leistungen auszuloben als einen großen. Man könnte das ganze in Preise für Schauspieler und in Preise für Autoren unterteilen, wobei man dabei wiederum zwischen bereits bekannten und etablierten und jungen Talenten unterscheiden sollte."

    "Gut", antwortete Nikolaos, ebenfalls sehr leise. "Gibt es für die Basileia bereits andere Einheiten zur Verstärkung der Torwache, oder sollen diese auch aus dieser Centurie rekrutiert werden?" Er überlegte kurz. Dann fuhr er leise fort. "Ich schlage vor, dass vier Contubernia Gänge durch die Stadt unternehmen und Aufrufe verteilen. Ein weiteres Contubernium würde ich gerne zur Bewachung des Museions einsetzen. Dieses wird die Stadtwache in ihrer Aufgabe unterstützen. Zwei Contubernia sähe ich gerne in der Nähe der Agora. Ein Contubernium sollte sich aufteilen und die übrigen Tempel, mit Ausnahme des Museions, bewachen. Das letzte, wenn ich mich nicht verzählt habe, sollte uns folgen und eventuell noch anfallende Aufgaben übernehmen. Gibt es an der Aufteilung noch etwas zu verbessern? Kann man ein Contubernium auseinanderreißen, um die einzelnen Soldaten an verschiedenen Orten einzusetzen?"

    "Es gibt dort gewiss Männer, die die Veranlagung dazu hätten.", antwortete Nikolaos. Aber die brauche ich selbst für die Stadtwache - hätte er gerne hinzugefügt. "Wann finden die Spiele noch gleich statt? Wenn es bis dahin noch genug Zeit gibt, könnte ich an die Ausbildung der Stadtwache durch die Rhomäer einige interne Wettkämpfe der Stadtwache im Gymnasion anknüpfen lassen, in denen die besten Athleten ermittelt werden könnten. Wir sollten vielleicht, außer möglichen Athleten, eine Abordnung des Pyrtaneions nach Nabataea entsenden. Gibt es hier jemanden, der daran Gefallen finden könnte?"

    "Das mit dem Zimmer dürfte kein Problem darstellen. Ich kann dir ein gutes, ruhiges Zimmer in einem Gasthaus herrichten lassen, sofern du nichts dagegen hast, in einem Gasthaus zu wohnen. Ich selbst wohne übrigens auch dort. Wenn du möchtest, können wir auf unserem Weg zum Museion dort halt machen.", sagte Nikolaos, erstaunlich freundlich. Offenbar gewöhnte er sich langsam an die Anwesenheit des Soldatens.
    Der Gruss, den Quintus Octavius Augustinus Minor Cleonymus entgegenbrachte, kam Nikolaos etwas befremdlich vor. Nun gut, der Mann war Rhomäer und Soldat, beim rhomäischen Stratos schien man solche merkwürdigen Sitten zu lernen.

    "Chaire", antwortete der Diener höflich. "Genau. Artoria Medeia ist es, die der kyrios aufsuchen wollte. Ist sie dort?" Er hatte inzwischen die zweite Sänfte außer der seines Herrn bemerkt. Der Diener schien etwas nervös zu werden, denn er spürte den Blick seines Herrn im Nacken. Doch Nikolaos war keineswegs ungeduldig. Er saß in seiner Sänfte und war in einen dämmrigen Gemütszustand versunken. Gedanklich saß er nicht in einer Sänfte in einer Straße vor einem Gasthaus in Alexandria, gedanklich war er bereits bei Dionysos, in der Unterwelt, im Schoß der großen Mutter. Eine leichte Windbrise fuhr durch Nikolaos Haar und durch seine Kleidung. Ob er sie gespürt hatte? Mit offenen Augen, die jedoch in die Ferne zu blicken schienen, oder ins Innere seiner Selbst, saß er regungslos da. Jemand würde ihn wecken müssen, wenn es weiterging.

    Nikolaos hatte durchaus gemerkt, dass Theodoros`Ton ihm gegenüber stark abgekühlt war. Doch wenigstens schien er ihn als Strategos zu akzeptieren.
    "Wer war vor dem Tod des Epistates der angesehenste Mann im Museion?", fragte Nikolaos scheinbar harmlos. "Ich werde natürlich außer im Museion auch in der Stadt nachforschen. Doch ich möchte mir alle Wege offen halten. Welche Ämter übrigens bekleidete der Epistates außer dem des obersten Priester des Apollons noch?"

    "Direkt hat sie nichts damit zu tun. Ich wollte dich lediglich um deine Meinung dazu bitten." Dann verbesserte er sich : "Allerdings wollte ich auch zeigen, dass es durchaus andere Wege gibt, sich erkenntlich zu zeigen. Doch in diesem Fall werde ich natürlich den der einmaligen Spende vorziehen, da ich in Bezug auf laufende Ausgaben für mich keine andere Zuständigkeit sehe als die Stadtwache." Wieder eine Selbstkorrektur: "Wobei natürlich diese Spende doch wahrscheinlich auch zweckgebunden sein dürfte. Mein anderes Anliegen, weshalb ich zu dir kam, bezieht sich auf die Idee, ein Theaterfest zu veranstalten. Wir hatten beim Bankett des Leonidas ein anregendes Gespräch darüber begonnen, nun könnten wir es, etwas mehr in der Rolle von Archonten in ihrem Amt, fortsetzen, wobei es natürlich immer noch frei und ungezwungen sein kann, wir stehen schließlich nicht vor dem Koinon... . Ich könnte doch, sollte ich ein Darlehen von der Polis in Anspruch nehmen, etwas mehr spenden, als ich sonst gespendet hätte, dafür etwas mit einem bestimmten Ziel. Falls wir dieses Theaterfest organisieren sollten, bräuchten wir Geld für ein Preisgeld. Natürlich müssten wir außer uns selbst und den Eparchos der Rhomäer noch weitere Persönlichkeiten in die Pflicht nehmen. Falls unser Plan, viele Autoren und Schauspieler nach Alexandria zu locken, aufgehen sollte, würde ich, neben einer Geldspende im Falle eines Darlehens, auch die Unterkunft zum Teil übernehmen können." Es gehörte zu Nikolaos rhetorischer Taktik, durch stark verwinkelte Gedankengänge den Gesprächspartner gewissermaßen zu verwirren. Ob das bei Timokrates funktionieren würde, wusste er nicht.

    Nikolaos`Selbstbewusstsein tat die plötzliche offenbar künstliche Bescheidenheit des Soldatens gut. Seine Miene hellte sich etwas auf.
    "Das mit der gemeinsamen Sache erachte ich durchaus als sehr wichtig. Schließlich sollten wir keine Gelegenheit auslassen, um zu zeigen, dass Polites der Polis Rom auch Polites von Alexandria sind und somit besondere Freundschaft zwischen den beiden Poleis besteht.", antwortete Nikolaos. "Als Gebäude, die bewacht gehören, schlage ich, natürlicherweise, das Museion vor, ebenso den Tempel der Tyche und somit die Agora, ferner mit jeweils nur zwei Wachen jeden Tempel der Stadt und auch die Wache der Basileia sollte Verstärkung erhalten. Ich wäre dir dankbar, wenn du dafür neben den Männern der Stadtwache, die die Polis stellen wird, auch einige Legionäre abkommandieren könntest." Während sie den Raum verließen nickte Nikolaos zustimmend. "Ich empfinde es als durchaus hilfreich, einen Berater zu haben, der erfahren ist, wie du es zu sein scheinst."
    An der Tür von der Säulenhalle zum Vorzimmer der Arché wurde geklopft. Nikolaos öffnete selbst. Cleonymus war es, der geklopft hatte. "Chaire Cleonymus!", sagte der Strategos freundlich und in einem wärmeren Ton, als den, in dem er mit dem Rhomäer gesprochen hatte, allerdings dafür weniger höflich sondern eher freundschaftlich. "Gut, dass du so rasch gekommen bist." Dann wandte er sich wieder an den Centurio. "Das ist Cleonymus, er wird nach der Bewaffnung der Stadtwache eine Einheit der Schwerttragenden führen. Er stellt gewissermaßen einen Ansprechpartner der Stadtwache dar. In dieser Angelegenheit genießt er mein volles Vertrauen." Wieder an Cleonymus gerichtet: "Dieser ehrenwerte Mann ist Centurio Quintus Octavius Augustinus Minor, er wurde vom Eparchos beauftragt, sich an den Ermittlungen im Mordfall am Epistates des Museions zu beteiligen." Er legte eine kurze Pause ein. "Weißt du schon von dem schrecklichen Verbrechen, das im Museion verübt wurde?"

    "Chaire Theodoros", sagte Nikolaos eintretend, etwas schüchtern. Doch dann wurde seine Stimme wieder fester und bestimmter. Schließlich war er nicht als Schüler hier sondern als Beamter. "Um Missverständnisse zu vermeiden, ich bin heute nicht als Schüler hier, sondern als Beamter. Als Schüler hätte ich es selbstverständlich nicht gewagt, dir unter die Augen zu kommen, bevor ich die Aufgabe, die du mir gabst, erfüllt hätte." Er lächelte scheu und hoffte, Theodoros wäre nicht allzu zornig.
    "Ich möchte dich um deine Hilfe bitten. Es geht um den grauenhaften Tod des Epistates. Da du in diesem Tempel mein einziger Vertrauter bist, auch wenn ich möglicherweise dein Wohlwollen und Vertrauen durch Dummheit beschädigt habe, kam ich zu dir. Bei meiner Aufnahme als Schüler hörte ich zufällig, während ich im Vorraum der Stege des Epistates wartete, einen sehr heftigen Streit aus der Stege. Jemand sagte so etwas zum Epistates wie : >Du wirst sehen, dass ich am längeren Hebel sitze. Fahr doch zum Hades!<
    Weißt du, wer dem Epistates derartig feindselig gegenüberstand, dass er ihm soetwas offen wünschte? Ich habe den Mann gesehen, er ist blind vor Zorn hinausgelaufen. Doch leider habe ich ihn bisher nicht mehr gesehen."