Beiträge von Nikolaos Kerykes

    Nikolaos bemerkte die Verlegenheit Axillas, ließ sich das aber nicht anmerken.


    "Hier in Alexandreia sind die Sitten lockerer und selbst die tugendhaftesten Bürger nicht frei von einer gewissen Nachlässigkeit - das muss wohl an der Hitze liegen."


    Plapperte er da beinahe so naiv wie seine Schreiberin? Er erkannte sich selbst kaum wieder. Sie gingen auf die belebte Agora hinaus. Wahre Menschenmassen tummelten sich hier. Die Luft war voll vom Geruch verschiedener Duftöle, vom Schweiß, von Staub und von würzigen Speisen. Schamlos boten selbst Huren an einer Straßenecke ihre Dienste an. Nikolaos verstand durchaus, warum Alexandreia für viele ein Sündenpfuhl war - sogar für schlimmer als das wollüstige Rom mit seinen Nüttchen, Strichjungen, jungen verdorbenen Schuljungenfreiern, alten Lustmolchen galt. In Richtung Mouseion gingen sie, welches nicht weit vom Gymnasion lag. Prachtvoll waren alle Bauten an der Agora- und in ihren Dimensionen unmenschlich. Die Säulenhallen schienen wie für Riesen gemacht. Bei aller Schönheit war Alexandreia doch nicht so harmonisch, wie das in der Straßenführung chaotischere aber besser proportionierte Athen. An einigen Stellen bröckelte die Pracht, an einigen fraß sich der salzige Meerdunst in die Mauern. Überall waren Inschriften und Schmierereien. Selbst die Palmen und Bäume, die das Meson Pedion flankierten, waren häufig Opfer von Liebhabern, die die Geliebte in kleinen Verschen priesen, von Spöttern geistreicher und grober Art. Nikoalos fiel eine einzige lateinische Inschrift auf CAIVSASINUSNAZARENUSQUE, daneben ein Strichmännchen mit dem Helm eines römischen Legionärs, das vor einem gekreuzigten Esel niederkniete. Offenbar Schöpfung eines auf Saufreise befindlichen Soldatens.


    "Immerhin ist deine ehrenwerte Cousine eine große Rednerin. Wenn du möchtest, kann ich die die Redekunst lehren. Äh, hast du die Schmiererei mit dem Esel gesehen?"

    "Unter den Getreuen des Alexanders, die ich erwähnte, ist der mit dem Namen Ptolemaios für Alexandreia besonders wichtig. Nach dem frühen Tode des Alexanders – den einige als Heimrufung durch die Götter bezeichnen, andere als das elende Ende eines Trunkenboldes – ich erwähne dies nur der Vollständigkeit halber, nie käme es mir in den Sinn, das Andenken unseres großartigen Stadtgründers zu schmähen- stritten jene Getreuen darüber, wie das Großreich weiter zu beherrschen sei. Perdikkas, ein General Alexanders, wurde Chilarch und beherrschte so das ganze Reich anstelle eines Königs. Ptolemaios, dem die Pläne des Perdikkas nicht geeignet schienen, das Erbe Alexanders wohlzubehalten, wurde Satrap von Aigyptos. Bald aber trat er in die Nachfolge Alexanders als Königs von Ägypten. In Alexandreia ließ er sich mit seinen Gefolgsleuten nieder.


    Schon damals war Alexandreia überaus prächtig. Der Baumeister Dinokrates von Rhodos hatte einen überaus geschickten Sinn für eine Anlage der Straßen und Stadteile bewiesen, der nicht nur die Regeln der Symmetrie und des goldenen Schnittes – man denke dabei an das Verhältnis der beiden Plateiai- beachtet und in jedem Winkel der Stadt für angenehm frische und gesunde Lüfte sorgt, sondern auch die Harmonie des Kosmos widerspiegelt. Seither gab es viele Erweiterungen – doch in der inneren Stadt ist der Plan des Dinokrates noch genau zu erkennen. Seht euch um! Selbst die Insel Pharos, die Homer beschreibt, könnt ihr besuchen. Und das Grab des Alexanders! Ihr merkt, der Geist der alten Zeit ist lebendig!


    Ptolemaios ließ prachtvolle Paläste errrichten, Gärten anlegen, brachte dem Land großen Wohlstand, richtete eine Verwaltung ein und verteidigte Ägypten gegen die anderen Nachfolger Alexanders, so gegen Seleukos im Osten. Er gewährte Freiheiten, Freiheit aber nicht.


    Von Anfang an hatte immer einer ganz Ägpyten beherrscht. So verlangte es die Notwendigkeit. Die Nilschwemme, die Bewässerung, der Ackerbau und die jährliche Landverteilung waren Aufgaben, bei denen keine Zwietracht herrschen durfte und kein Streit, wollte man nicht verhungern*. So war es in Aigyptos seit Anbeginn des ehernen Zeitalters. Alles Land gehörte dem Herrscher, doch er verteilte es zur Nutzung – mal klug und wohltätig, mal raffgierig und dumm. Der Ackerbau und der Handel lagen in der Hand des Herrschers – also des Staates, wenngleich es hier kein Politie war und die Bürger Untertanen waren. Aus den großen Poleis Griechenlands kennen wir es ganz anders: Ackerbau und Handel liegt in der Hand jeder einzelnen Hausgemeinschaft. Die Ausgaben für das Gemeinwesen übernehmen solche Bürger, deren Haus reich genug ist – ihr alle wisst hoffentlich, worum es sich bei der Leiturgie handelt*². Ptolemaios, den wir Soter nennen, indes tat es nicht anders als alle Könige Ägyptens, die ihm vorausgegangen waren. Aber er nahm auf die Bedürfnisse der Menschen Rücksicht: So verteilte er sein Land so, wie es den Sitten des jeweiligen Volkes entsprach. Die Ägypter waren an die Art der Landzuteilung der alten Könige gewöhnt, so beließ er es dabei. Griechen und Makedonen stiftete er Poleis mit einer Asty und einer Khora. So auch Alexandreia. Aber man muss bedenken, dass nun alles von seiner Mildtätigkeit abhing.


    Auch waren die meisten Polites gleichzeitig Beamten des Königs. Es gab also Freiheiten, aber ob es Freiheit gab? Nicht die Freiheit des glänzenden Athens an seinen ruhmreichsten Tagen. Aber Sicherheit und Wohlstand, der gedieh. Aigyptos wurde das reichste Land der bekannten Welt. Es gab nichts, was es nicht gab in Alexandreia. So ist es heute noch. Weniger Volksversammlungen gab es in Alexandreia als Feste*³. Die Bürger trugen statt Wolle bald Seide.


    Ptolemaios war freigiebig – manche sagen in frevelhafter Weise verschwenderisch, doch er ließ bei seinen Festen auch die Geringsten mit Speisen beschenken und er ließ viele Tempel errichten - , er regierte klug und baute ein Beamtenwesen auf, das heute noch fortbesteht, er versuchte die widerstrebenden Interessen der Völker zu vereinen, wie es schon Alexander in der damaligen Provinz Ägypten getan hatte und er eroberte zwar wenig, schützte das Reich aber vor Eindringlingen und den Begehrlichkeiten anderer Herrscher, kämpfte gegen Piraten und förderte so den Handel. Der tätige Dank der Griechen und Makedonen dafür war die Treue – oder waren gar die Wohltaten des Herrschers tätiger Dank für die Treue der Untertanen?


    Alexandreia jedenfalls erblühte. Es gab damals noch die Boulé. Wie heute gab es damals die Prytanenschaft und andere Beamten. Es gab ein Dikasterion und regelmäßige Volksversammlungen. Es gab führende Männer wie in jeder Polis – und Ptolemaios oder sein Statthalter, wenn er selbst auf Feldzügen war, ließ sie gewähren, solange sie nicht gewisse Grenzen überschritten und solange sie Treue schworen und dem Gottkönig opferten. Sie opferten; allein die Aigyptoi – die seit jeher von Königen beherrscht wurden - waren aufrührerisch, doch weniger gegen den König, als gegen seine Beamten, die Griechen und Makedonen waren. Nicht die Alleinherrschaft widerstrebte ihnen – nein, sie waren missgünstig gegen jene, die dem Herrscher treu waren und daher besondere Wohltätigkeiten erfuhren. Kein Aufrührer brachte aber nur die Herrschaft ins Wanken. Ptolemaios Soter hinterließ seinem Nachfolger ein starkes und wohlhabendes Reich."



    Sim-Off:

    * "Hydraulische Gesellschaft" nennt man das in der modernen Staatskunde ;). Heute hat Bürokratie einen sehr unangenehmen Klang, im Alten Ägypten war ein Heer von Schreibern, Wesiren und soweiter notwendig, um das Großreich zu verwalten. Für Polites war ein solches System natürlich etwas befremdlich. Gab es bei ihnen doch nur abhängige Wahlämter, deren Inhaber ein jeder kannte.


    *² Staatskassen bzw. einen Staatshaushalt kannten die Poleis zumindest in klassischer Zeit, als sie noch unabhängig von hellenischen Königen waren, gar nicht. Für Ausgaben der Polis wurden einfach reiche Bürger von der Volksversammlung verpflichtet ("Leiturgie" hieß dieser Dienst). (Inhaber von Ämtern mussten ohnehin viel für das Gemeinwohl ausgeben.) Standen besondere Ausgaben an, wie zum Beispiel ein Krieg, wurde die Ehre der Leiturgie an entsprechend viele Bürger verteilt.


    *³ Der Autor Jean-Marie André stellt in seinem Buch "Griechische Feste, römische Spiele - Die Freizeitkultur der Antike" die These auf, die hellenischen Könige (so auch und in besonderem Maße die Ptolemäer) hätten eine Art "Spaßgesellschaft" (die Bezeichnung verwendet der Autor nicht, aber es entspricht ungefähr seiner Meinung) etabliert, um die Privilegierten ihrer Untertanen (in Ägypten Makedonen und Griechen) ruhig zu stellen. Ausschweifende Privatfeste galten in der klassischen Antike in den meisten Poleis als verwerflich (nur mit staatstragendem / staatskultischen Charakter wurden solche Feste betrieben), während in der Zeit der hellenischen Königreiche das entstand, was man heute allgemein (und fälschlicherweise) mit "Orgien" (eigentlich bedeutet das Wort soetwas wie (Dionysos-)Mysterien-Feier) bezeichnet, also nicht mehr die gepflegten Gelage (bei denen es ja aus prüder Sicht auch schon hoch her ging), sondern Riesenfeste, bei denen die halbe Bürgerschaft besoffen gemacht wurde.



    Es geht bald weiter mit Ptolemaios Philadelphos und dem Mouseion.

    An einem Feiertag des Apollons, genaugenommen am 21. Tag des Mesori, wenige Tage nach dem Besuch des alten Sosimos, stand Nikolaos' großer Tag an.


    In der Nacht davor hatte er wenig geschlafen. Im Traum hatte er beim Opfer alles falsch gemacht, war ausgelacht worden. In seiner Amtszeit, die ebenfalls Trauminhalt war, war das Chaos im Mouseion ausgebrochen. Zwischen den Büchern wurden wilde Reigen getanzt, nicht das weihevolle Räuspern der Gelehrten, sondern Lustschreie waren zu hören. Gärtner und Schreiber stahlen Tiere aus dem heiligen Hain und Bücher aus der Bibliothek, schlugen schließlich Steine aus den Mosaiken der Fußböden, um sie zum Markt zu tragen. Alle Schüler waren immer betrunken und lungerten in allen Gängen herum. Die Gelehrten selbst waren oft die schlimmsten Säufer. Schließlich drangen römische Soldaten in das Heiligtum ein - nur um sich den Gelagen anzuschließen. In die kostbaren Wandgemälde wurde an vielen Stellen der Gebäude Reklameschriften für das Porneion des Harpokrates, die Würfelstube des Kallimachos aus Korinth und für vielerlei Dinge eingeritzt. Endlich schritten die Männer der Isispriesterschaft ein: Nikolaos wurde in Ketten gelegt und weggebracht.


    Aufgrund des Schlafmangels war er am Morgen fast ruhig. Doch bald kehrte die Unruhe zuirück. Nikolaos nestelte selbst noch kurz vorher an seinen weißen Gewändern herum. Er fauchte Sklaven an und scheuchte sie umher. Der Raum, der ihm zur Vorbereitung zur Verfügung stand, wimmelte von Menschen. Nikolaos Lieblingsschüler brachten stark verdünnten Wein und Obst, Brot und Käse. Zuhause hatte er keinen Bissen herunterbekommen.


    Endlich war er bereit. Er trat in die Exedra hinaus, um seine Kollegen zu begrüßen. Von hier aus würde eine kleine Prozession zum Heiligum beginnen. Selbstverständlich auf Nikolaos' eigene Kosten (und auch von ihm selbst ausgewählt) war ein weißer Stier herbeigeschafft und ausstaffiert worden. Um seinen Kopf trug er eine Binde. Sein Leib war mit Bändern und Blumengirlanden geschmückt. Das Tier war mit Opium betäubt worden. Diener und Opferhelfer warteten mit Körben voller Blumen und Räucherwerk, mit Kannen voll Wein. Nikolaos rückte den Priesterkranz auf seinem Kopf ein letztes Mal zurecht.

    Nikolaos grinste. Diesmal war es nicht gehässig, sondern von einem eher freundlichen Spott. Gerade bei Schülern hatte er es sich angewöhnt, sie zunächst einzuschüchtern und mit Strenge zu behandeln, ehe er sanfter und milder wurde, wenn er meinte, die Schüler würden es nicht ausnutzen.


    "Ich dachte dir bereits gesagt zu haben, dass ich weder zwei Menschen noch ein König bin, ehrenwerte Berenike aus dem Geschlecht der Bantotaken."


    Die Antwort der jungen Frau namens Berenike nahm Nikolaos mit einem Nicken zur Kenntnis.


    "Was du sagst, ist genau das, was ich zu vermitteln mich täglich anstrenge."


    Er hörte weiter zu.


    "Ich weiß es nicht genau, habe Vermutungen darüber, kann und werde diese aber nicht vor euch aussprechen.


    Das hat weniger mit Misstrauen gegen euch zu tun - ich weiß schließlich, dass euer Familienoberhaupt sehr um das Wohl der Polis bemüht ist und alles Verhalten, das der Polis schadet, mit Härte unterdrücken würde- sondern vielmehr damit, dass es etwas ist, wohinein ich euch, als angehende Epheben, nicht ziehen möchte, da hier möglicherweise Wissen für den Träger dieses Wissens nicht ungefährlich ist.


    Ich hoffe im übrigen darauf, dass sich die Lage bald entschärft hat oder sich mindestens nicht noch weiter zuspitzt. Mein Anliegen ist es, dass die nächsten Prytanen sich damit nicht mehr befassen müssen."


    Wie auch immer er das erreichen wollte. Die aus seiner Sicht einfachste Lösung wäre es, wenn der Basileus die Führungsspitze der Legion, der Statthalter seine Kanzlei vor die Tür setzen und gegen zuverlässige Männer eintauschen würde. Doch den beiden das ans Herz zu legen war Nikolaos nicht mächtig genug... Und mächtige Freunde in Rom hatte er leider auch nicht.


    "Es ist gut, dass ihr beiden euch besonders für das Wohl der Polis einsetzen wollt. Eigentlich sollte das jeder Bürger tun - aber wenn ich eure Mitschüler betrachte...


    Emilía, mich freut, dass du auch die Bürde eines Amtes übernehmen würdest. Wie du vielleicht schon weißt, ist dies in Alexandria seit einiger Zeit auch Frauen möglich. Selbst die priesterlichen Aufgaben von Ämtern übernehmen in einigen Fällen Frauen - ohne dass es großen Anstoß erregt.


    Dass du als Schreiberin arbeitest, ist ein überaus glücklicher Umstand. Denn auf diese Weise erhälst du Einblicke in die alltäglichen Amtsgeschäfte eines Prytanen.


    Es ist nicht aber nur so, dass du die Erlaubnis des kyrios deiner Familie brauchst. Auch musst du dir darüber bewusst sein, dass ein Amt innerhalb eines Jahres ein Vermögen verschlingen kann. Aber du wirst sicher, wenn du das wirklich möchtest, Unterstützung von deinem Cousin erhalten - oder von einem möglichen reichen Ehemann, wenn sich ein solcher für dich interessiert und wenn er dir solcherlei Betätigung gestattet."


    In Athen gäbe es keinen Ehemann, der soetwas gestatten würde. Ekklesiazusen gab es nur bei Aristophanes...


    Dass mit dem Ehemann hatte Nikolaos ganz beiläufig gesagt, ohne dass er über seine Worte nachgedacht hätte. Nun, da sie ausgesprochen waren, kam ihm ein Gedanke.

    In einem einfachen Wollchiton und mit einer Chlamys, dessen Zipfel Nikolaos über sein Haupt gezogen hatte, trat er hinaus. Die Kleidung war schlicht und eher grau als weiß. An den Füßen trug der Gymnasiarchos einfache Ledersandalen, deren Riehmen an einigen Stellen eingerissen waren. Sein Gesicht war ungeschminkt. So war es viel dunkler als sonst. Und man konnte einen hässlichen Pickel im linken Mundwinkel und dunkle, vereinzelte Bartstoppeln erkennen. Zart blieb das Gesicht weiterhin.


    "Ah, Axilla, schön, dass du schon hier bist. Wollen wir losgehen?"


    Die Sonne schien und Nikolaos grinste sonnig. Er sah nicht mehr wie der Gymnasiarchos aus, sondern wie irgendein junger Mann. Vielleicht der Sohn eines Handwerkers oder eines größeren Bauers aus der Khora, oder wie ein öffentlicher Schreiber, ein Privatgrammatiklehrer, ein Arztgehilfe, ein niederer Beamter oder ein Privatschreiber.


    "Ist dir etwas eingefallen?"

    Nikolaos hustete trocken. Den schweren Rauch in der Luft hatte er schon tagelang eingeatmet. Angeblich sollte das böse Miasmen zerstören, die ansonsten in die Wunde eindringen könnten, die Nikolaos vor Urgulania sorgsam mit seiner Decke verbarg. Ein Schüttelfrost überkam ihn und er schloß für einen Moment die Augen. Danach sah er aber Urgulania umso aufmerksamer an.


    Seine Augen wurden wacher, sein Blick ruhiger. Dass Urgulania in Alexandreia bleiben wollte, beunruhigte ihn auf der einen Seite, da er diese Stadt für sehr gefährlich hielt - und das nicht wegen der kleinen Räuber der Hüttenviertel. Andererseits beruhigte es ihn, da er glaubte, sich auf die Klientin verlassen zu können.


    "Sollte er Mörder bezahlen, dich zu töten, so wird er selbst nicht mehr lange leben."


    Nikolaos hatte dies trocken und ruhig gesagt, ohne Eifer. Aber mit einer echten Grausamkeit. Er wusste, dass er für die Bestrafung des Terentiers auf seine Art auch um den Preis der fast zwangsläufigen, eigenen Hinrichtung sorgen würde, überschritte dieser jene Bannlinie.


    "Sofern ich selbst nicht vorher sein Opfer bin.", fügte er regungslos hinzu. "Dann aber wird er vielleicht auch nicht lange leben. Es gibt Menschen, denen ich mein Haus nicht anvertrauen würde - meine Rache aber durchaus."


    Nun wurde sein Blick weicher. Echte Freundlichkeit lag in seiner Stimme. Aber er musste zweimal ansetzen, da ihm beim ersten Mal die Luft wegblieb.


    "Ich danke dir tausendfach, dass du der Polis weiter dienen möchtest. Wenn du währenddessen jedoch Angst bekommen solltest, scheue dich nicht, dich mir anzuvertrauen. Wir wollen es nicht erst zu weit kommen lassen.


    Was Axilla betrifft: Ich habe im Hafen ein Schiff, das ich nie auf Handelsfahrten schicke. Daher steht es dort immer bereit. Innerhalb einer Woche können zuverlässige und fähige Leute von mir das Schiff bereit zum Auslaufen machen und von verschiedenen Freunden Proviant holen. Ich muss es ihnen nur anordnen.


    Für den Fall, dass ich - verhindert sein sollte, kannst du darüber selbst verfügen. Eine entsprechende Nachricht werden die Leute noch heute von mir erhalten. Peisistratos, mein alter Haussklave, oder Lyros, der Pächter des Gasthauses schräg gegenüber des Kroneions wird dir helfen."

    Nikolaos hatte auf den verständnislosen Blick des Cleonymus nicht reagiert. Unbeteiligt saß er da und hörte sich die Ausführungen an. Hin und wieder hörte er besonders aufmerksam zu, manches Mal nickte er, manches Mal sah er den Redner fragend an. Am Ende der Rede sah er Urgulania fragend an und erhob sich dann.


    "Den Ausführungen des werten Kosmetes entnehme ich, dass hinter diesen Taten keine böse Absicht stand. Ich selbst schenke ihm Glauben, doch das genauso zu tun oder nicht, muss jeder selbst entscheiden.


    Die angesprochene Verdrehung der Tatsachen würde durchaus zu dem Soldaten passen.


    Von daher würde ich dem ehrenwerten Kosmetes und ehemaligen Strategos keine heimlichen Pläne unterstellen, die er uns nicht jetzt und an diesem Ort offenbart hätte.


    Rügen möchte ich allerdings die Tatsache, dass du, ehrenwerter Cleonymus, uns andere Prytanen nicht gleich ins Vertrauen gezogen hast. Zwar wäre dies vor deinem Entschluss schwer möglich gewesen, jedoch hättest du zum nächstmöglichen Zeitpunkt danach eine Versammlung des Koinons einberufen müssen. Überhaupt sind dererlei eigenmächtige Taten überaus gefährlich und sollten nur bei größter Gefahr, höchster Eile und mangels Möglichkeit, dies abzusprechen, und dann auch nur mit größter Vorsicht geschehen, und dann anschließend gewissermaßen auf den Tisch gebracht werden, damit das Prytaneion darüber urteilen kann und damit die Verantwortungsfrage eindeutig geklärt ist und keine bösen Überraschungen nach langer Zeit zu tage kommen, die dem ganzen Prytaneion schaden.


    Von meiner Sicht auf die Dinge würde ich es allerdings in Bezug auf Ahndung des Vergehens innerhalb unseres Kollegiums bei einer scharfen, sehr scharfen, und deutlichen, überaus und -hoffentlich- ausreichend deutlichen Rüge belassen, da wir es uns, so glaube ich, zur Zeit nicht leisten können, den Stand der Prytanenschaft Alexandreias durch nach außen sichtbare Uneinigkeit zu schwächen.


    Nun bleibt allerdings noch die Frage zu klären, was wir dem ehrenwerten Eparchos auf die Vorwürfe antworten werden. Auch hier wäre ich dagegen, einen Schuldigen aus unseren Reihen an ihn auszuliefern, weil mit dieser Antwort dem Terentier rechtgegeben wäre und wir alle lügen gestraft wären und dadurch ohnegleichen blamiert."


    Er hatte bei seinen Vorwürfen an Cleonymus diesen streng angeblickt. Er hoffte, dieser wäre klug genug, nun zu schweigen und nichts zu erwidern. Zwar verbarg und überspielte Nikolaos dies sehr kunstvoll, doch er hatte vor, Cleonymus zu retten. Er hoffte, dieser würde das verstehen und sich nun nicht ins Verderben stürzen. Dann könnte ihm Nikolaos auch nicht mehr helfen...

    Nikolaos hatte inzwischen mit der Flamme einer Fackel das Räucherwerk zur Glut gebracht. Schwerer, dichter Rauch stieg auf und ging in bizarren Formen an der Decke des Heiligtums auseinander.


    ">Kind, in der Klaue liegend, beeile dich, mir vom Viehzeug zu erzählen, oder wir beide werden in Zorn fallen. Denn sonst werde ich dich in den staubigen Tartaros, in schreckliche hoffnungslose Dunkelheit bringen, und weder Mutter noch Vater wird dich je befreien...<"*


    Nach einiger Zeit löschte er die Glut mit Wein. Es zischte und dampfte. Mit einem Spatel reinigte Nikolaos den Nebenaltar. Nikolaos sang noch lange die Hymne, begleitet vom Tympanon und von den Auloi der Opferhelfer. Seine Stimme war etwas heiser und sein Gesang war wenig kunstvoll, es war mehr ein Murmeln denn ein Gesang. Ein tiefes Raunen in der alten, fremdartig klingenden Sprache des Homers.


    "...Heil dir, oh Hermes, Gnadenbringer, Führer des Reisenden, Stifter der guten Dinge!"


    Als dieser Gesang vorrüber war, begann er, die fünfte Gestalt des Hermes zu preisen, den Dreifachgrößten. Diese Gestalt hatte er erst in Alexandreia kennengelernt.




    Sim-Off:

    *Soweit ich mich entsinne, geht es hier darum, dass Apollon seine Herde zurückhaben will, die ihm Hermes gestohlen hat ;).

    Auf die Beteuerung hin nickte Nikolaos zuerst lediglich. Dann aber fügte er trocken und mit regungsloser Miene hinzu:


    "Das sollte allerdings selbstverständlich sein, zumal ich mir nicht vorstellen kann, dass es euren Cousins gefiele, würdet ihr der Polis durch Ausplaudern von Dingen, die man besser nicht ausplauert und ähnlichen Dingen schaden."


    Er ging langsam weiter voran. Sie waren nun fernab der Palästra und fern ab jener Säulenhalle, die ein Stadion in der Länge maß und als Laufbahn diente (schützte ihr Dach doch vor der sengenden Sonne.)


    Als das Mädchen die Vorkommnisse am Basileia-Tor ansprach, verfinsterte sich Nikolaos' Miene.


    "Ich möchte hier vorausschicken, dass Alexandreia nie eine freie Polis war. Ptolemaios und seine Nachfolger haben den Bürgern lediglich die Gnade erwiesen, das Land in dieser Form zu nutzen - ohne dass es jemals jemand anderem gehört hätte als den Ptolemaioi. Im Grunde ist die ganze Polis-"


    Er war sich nicht sicher, ob er da Dinge verriet, die denkbar ungeeignet waren, Epheben auf ihre Pflichten vorzubereiten.


    "-ein Theater, das die Ptolemaioi eingerichtet haben, um ihr griechisches und makedonisches Gefolge ruhigzustellen und sich dessen Treue zu versichern."


    "Das heißt natürlich lange nicht, dass die Polis keine Polis ist. Denn dieses Theater ist sehr wichtig. Und auch die Polis ist wichtig, um das Gleichgewicht zu sichern. Dieses Gleichgewicht zu sichern ist ein großer Teil dessen, was ich mit den Verteidigungspflichten meinte.


    Auch alle Herrscher - die Ptolemaioi und alle Römer - wussten um die Bedeutung dieses Gleichgewichtes. In einem gewissen Rahmen ist die alexandrinische Bürgerschaft wirklich frei und kann selbst bestimmen. Die meisten der Basileioi - ob nun Makedonen oder Römer- waren zudem überaus großzügig und haben die Stadt und ihr Umland gedeihen lassen und wenig Grausamkeit gegenüber den Bürgern an den Tag gelegt.


    Die Stadt und die Bürgerschaft blühten gleichermaßen. Seht die prachtvollen Bauten, seht die blühenden Gärten. Der Handel brachte den Bürgern Wohlstand.


    Dass durch den Wohlstand einige alte Tugenden zugunsten der Dienstbeflissenheit gegenüber den Herrschern litten, sei an dieser Stelle übergangen. Alexandreia war nie ein ehrwürdiges Athen, sondern immer die Hauptstadt eines Königreiches, wenngleich mit einer Bürgerschaft, die der König gewähren ließ.


    Die Bürgerschaft dankte es ihnen, indem sie keinen Aufruhr schürte. Es gab in den vergangenen Jahrhunderten unter allen Aufständischen kaum Makedonen oder Griechen. Aufstände waren meist Aufstände der Aigyptoi oder der Fremden - und sie richteten sich weniger gegen den jeweiligen Herrscher als gegen alle Makedonen und Griechen. Neid war der Beweggrund dieser Aufstände, weiter nichts *.


    Die römischen Basileioi waren meist sogar noch milder und nachsichtiger als die aus dem Stamm der Ptolemaioi. Und ihre Statthalter fielen der Polis kaum zur Last, ebensowenig die Soldaten*². Alexandreia gedieh weiter.


    Nun aber ist es in letzter Zeit, seit der ehrenwerte Eparchos nicht mehr selbst auch das Kommando über die Legion inne hat, zu bedauerlichen Vorkommnissen gekommen: Teile des römischen Stratos sind auf der Agora aufmarschiert, direkt vor dem Tychaion, es kam zu Übergriffen auf Bürger der Polis, es kam zu überaus grausamen Drohungen gegen die Bürger der Polis - und gar gegen Römer! - , die Aufstände, die in der Zeit, als der ehrenwerte Eparchos gleichzeitig Legionskommandant gewesen war (und ich selbst Strategos), nur kleine, vereinzelte Aufruhre unter den Aigyptoi gewesen waren, mehrten sich. Uns, die Bürgerschaft Alexandreias, läßt man nicht mehr gewähren, sondern macht uns im Gegenteil für den Aufruhr des Pöbels der Aigyptoi verantwortlich!


    Ich rede mich seither in jeder Volksversammlung gewissermaßen um Kopf und Kragen, um jene Bürger zu beruhigen, die die Ereignisse zu einer Art Feindschaft gegen die Römer bewogen haben.


    Glücklicherweise ist der Eparchos selbst noch milde und nachsichtig. Aber das muss nicht ewig andauern, wenn die Lage sich weiter zuspitzt.


    So ist es umso mehr die größte Bürde der führenden Bürger, das Gleichgewicht aufrecht zu erhalten, zumal dies immer schwieriger wird."


    Er sah die beiden Mädchen abwechselnd prüfend an. Seine Drohung mit den Cousins war ernst gemeint. Er kannte die beiden noch nicht lange genug, um ihnen zu vertrauen. Andererseits wusste er um die Notwendigkeit, Bürger heranzuziehen, die die feinen Strukturen der Macht verstanden und jenes Gleichgewicht zu bewahren helfen würden.


    "Ihr beide wollt die Ephebie durchlaufen. Wollt ihr dies lediglich des Ansehens wegen, oder wollt ihr in Zukunft auch zu jenen gehören, die das Gleichgewicht zu wahren versuchen?"




    * Der "Neid war natürlich durchaus berechtigt. Häuften doch die Makedonen und Griechen, die alle höheren Beamten der Könige stellten und den Handel kontrollierten, unermesslichen Reichtum an, während die armen Fellachen bereits unmittelbar hinter der Khora unter der Last der Steuereintreiber litten und kaum zum bloßen Überleben genug von den Früchten ihrer Hände Arbeit behielten.


    *² Die Fellachen indes litten unter den Römern sogar noch mehr als unter den Ptolemaiern, da die Steuern inform von Getreidelieferungen an Rom zu den vorher üblichen Abgaben hinzukamen. Die makedonisch-griechische Beamtenschicht, die nun nicht mehr den Ptolemäern sondern den Römern diente, sich ansonsten aber ähnlich verhielt, gab die höhere Steuerlast an die Aigyptoi weiter.


    Griechen bzw. Makedonen und Römer hatten eigentlich - von den Ereignissen der letzten Zeit abgesehen -weniger Probleme miteinander. Plünderten sie doch in trauter Eintracht die armen Schichten des Volkes aus. (Und missgönnten dabei, in kluger Einsicht, dem jeweils anderem seine Pfründe nicht. Es blieb für beide genug übrig - die dritte Partei musste eben noch mehr abgeben.) Aber, obgleich das Elend ständig sichtbar war, so sah es Nikolaos nicht ein, dass sein prachtvolles Haus, seine schönen Kleider, der öffentliche Luxus der Polis mit dem Hunger der Fellachen bezahlt war.

    "Nunja, wir können auch über Dichter aus deinem Volk sprechen.", sagte Nikolaos und zeigte ein leichtes Grinsen mit einem feinen, ironischen Zug. Es gab römische Dichter, die er schätzte, aber insgesamt war er der Ansicht, die besten römischen Dichter griffen das auf, was griechische zuvor entwickelt hatten und verarbeiteten es im besten Fall sehr kunstvoll.


    "Denn leider kann ich dir bei vielen Tieren nicht einmal sagen, wie sie heißen. Wenn es dir nicht anders geht, bleibt uns nur, über sie zu staunen."


    Er lächelte. Irgendetwas in ihm rief nach Zerstreuung und Vergnügen. Und davon bot Alexandria reichlich. Zwar behagten ihm als Athener aus einem Geschlecht, das schon vor Jahrhunderten führende Bürger gestellt hatte, das gesellschaftliche Klima nicht, das die hellenischen Monarchen in den ehemaligen Poleis eingeführt hatten und das die römischen Kaiser aufgegriffen und weiter hatten blühen lassen, aber auf der anderen Seite hatte es für ihn durchaus Reize. Seine Erzieher hatten ihm alte Tugenden anerzogen, und Nikolaos hielt sie teilweise hoch, aber ganz konnte er sich dem Zauber der Dekadenz nicht entziehen. Gespräche in schattigen Säulenhallen am Musentempel waren da noch ein sehr unschuldiges Vergnügen, welches auch gestrenge Philosophen vor Sokrates sicher gutgeheißen hätten.


    "Dann laßt uns aufbrechen, oder, werte Axilla? Ich muss mir nur sogleich ein schlichteres Gewand anlegen - damit mich auf dem Weg nicht jeder als Gymnasiarch erkennt. Du solltest dir vielleicht einen Schleier auf das Haupt legen."


    Er machte einige Schritte in Richtung eines Hinterraumes, in dem er einige persönliche Sachen eingelagert hatte und in dem übrigens auch ein Ruhebett stand, das er gerne nutzte, während die Schreiber dachten, er arbeite. Für einen Augenblick hielt er inne und wandte sich wieder nach Axilla um.


    "Wenn dir auf dem Weg etwas einfällt, worüber du sprechen möchtest, sage einfach bescheid. Ich will schließlich nicht dich belehren, ich möchte mich lieber mit dir unterhalten. Wir treffen uns am besten gleich unter dem Portikus des Gymnasions."

    Nikolaos nickte. Allmählich erholte er sich vom Schreck - und der Schreck wurde durch echte Freude ersetzt. Er wusste zwar um die große Bürde -war doch Apollon für seine Unerbittlichkeit und seine Neigung bekannt, auch im Schlechten Einfluss auf die Menschen zu nehmen, wenn er gerade gekränkt war, aber gleichzeitig wusste er auch um die große Ehre. Er durfte sich in eine Linie einreihen, der so große Männer wie der Dichter Kallimachos, den er sehr bewunderte (und der ihn dazu veranlaßt hatte, sich auch für den römischen Dichter Katull zu interessieren) und der Geograph Erastothenes Ruhm gebracht hatten. (Andererseits wusste Nikolaos auch, dass er immer gegenüber diesen Bibliothekaren, die zuweilen eine Verehrung wie Heroen genossen, ein sehr kleines Licht bleiben würde. Er hoffte jedoch - und er hoffte mit Grund-, nicht schlechter zu sein als jene Parasiten, die für Ptolemaios Euergetes die Hallen und Haine des Mouseions gepflegt, d.h. geplündert hatten, nachdem der König alle Gelehrten verjagd hatte. Und schon gar nicht schlechter als jener Kydas, der nicht einmal lesen und schreiben konnte, wie man sich häufig erzählte.


    Tief atmete Nikolaos aus. Er lächelte, und in diesem Lächeln lag noch ein Zug von Schüchternheit. Sosimos war für ihn immer ein ehrfurchtsgebietender Mann gewesen, den er zu manchen Zeiten sogar mehr gefürchtet als verehrt hatte. Ihm schwindelte. Ihm, der zum zweiten Mal hintereinander das Amt des Gymnasiarchos und Hermes-Herakles-Priester bekleidete. Doch mit diesen Staatsämtern verhielt es sich anders als mit der Bruderschaft der Musen. Während Nikolaos die Vorgänge der Polis, oder "Polis", längst zu durchschauen glaubte, war er gegenüber der Priesterschaft des Apollons und seiner Gefährtinnen ehrfurchtsvoller, insbesondere gegenüber jenen, die viel länger Priester waren als er selbst.


    "Das halte ich für eine ausgezeichnete Idee. Ich werde gleich morgen beginnen, mich nach einem geeigneten Opfertier umzusehen."


    Dass dafür der Priester selbst auf den Viehmarkt ging, war bei besonders wichtigen Opfern nichts Ungewöhnliches. Schließlich waren seine Augen kritischer als die von Opferhelfern, die möglicherweise so rasch wie möglich den Auftrag erfüllen wollten.


    "Ich danke dir, hochverehrter Sosimos.", sagte er schließlich.

    Ich weiß nicht, ob,wann und wieoft ich in den nächsten Tagen zum Schreiben komme. Ich habe mir Arbeit ins Wochenende mitgenommen - und ein bisschen vom Sonnenschein will ich auch haben.

    "Ich werde nicht viel erzählen, nur das nötigste, damit wir rasch zur Geschichte dieser Stadt kommen können.


    "Alexander der Große wurde vor über vier Jahrhunderten in Makedonien geboren. Sein Vater war Philipp der Zweite, der als König Makedonien bereits eine gewisse Größe und Macht gegeben hatte, im übrigen aber wenig lobenswertes* an sich hatte. Des Königs Machtbegierde erstreckte sich auch auf die freien Poleis Hellas, so auch auf das große Athen, das er mit räuberischer Erpressung seinem Reich einzuverleiben versuchte. Die Reden des berühmten Demosthenes zeugen von den verzweifelten Versuchen der Attiker, dem lüsternen Streben Philipp des Zweiten von Makedonien Einhalt zu gebieten. Der Bund der freien Poleis unterlag dem Heer der Makedonen. Doch auch im eigenen Land achtete er die hergebrachte Ordnung wenig, erregte so den Unmut der Vornehmen Makedoniens und starb, wie Tyrannen oft zu sterben pflegen*². Wenig kann man ihm zugute halten, darunter, dass er – auch wenn sein Ziel das der Befriedigung seiner Machtgier war- mit Schaffung des Korinthischen Bundes, in den er viele Poleis zwang- die Knechtschaft durch die Perser vorerst abwehrte.


    Alexanders Mutter war die Königstochter Olympia von Epiros. Sein Lehrer war der berühmte Aristoteles. Olympia misstraute der Zweitfrau ihres Mannes, und so ist zu vermuten, dass die Edlen Makedoniens ihre Unterstützung nicht vermissen ließen. Aristoteles erzog den jungen Alexander und unterstützte ihn darin, sich das große Wissen und die feine Bildung der Bewohner Hellas anzueignen, die den Makedonen zur damaligen Zeit, als sie noch ein städtebewohnendes Reitervolk waren, abging*³.


    Alexander war – zwar kein Philosoph- doch an den guten Wissenschaften durchaus nicht uninteressiert. Jedoch leistete er zu Pferde – man denke an die Zähmung des Bukephalos, die er angeblich als Zwölfjähriger erreicht hatte- und auf dem Schlachtfeld mehr als im Garten der Künste. Als achtzehnjähriger Jüngling wandte er in der Schlacht bei Charoneia das Schicksal auf die Seite der Makedonen. Zwei Jahre später war der räuberische Vater tot und Alexanders Halbbrüder und viele Abkömmlinge edler Geschlechter mit Erwartungen an den Thron ebenso – Alexander hingegen war König Makedoniens und Hegemon des Korinthischen Bundes, und mit den Truppen der Bundesgenossen zog er gegen die Perser und deren lüsternen und grausamen König Darius den Dritten, der selbst den Persern ein widerlicher Herrscher war, den sie hassten und den sie vieles mehr entgegenbrachten als Treue. Der Jüngling drängte die Perser zurück, befreite die Poleis Kleinasiens von der Knechtschaft, konnte dank der Gunst der Götter Sieg um Sieg erringen.


    Der bedeutendste dieser Siege war der in der Schlacht in der Ebene Issos. Darius floh und ließ – feige wie er war- sein Frau, seine Mutter, seine Töchter in die Hände der Sieger fallen – die jedoch schonten die Frauen und taten ihnen keine Gewalt an. Alexander zog nun in Richtung der Kyrenaika und eroberte auf dem Weg Syrien und die Stadt Tyros, während ihm andere Städte freundlich empfingen und das Volk der Ägypter ihn zu seinem Herrscher wählte, er dem Amun in Siwa opferte und zum Sohn des Gottes von der Priesterschaft auserkoren wurde und er schließlich Alexandreia gründete, eine von mindestens zwölf Städten mit diesem Namen, einer Weissagung des Amuns folgend, wie man sich erzählt. Dann zog er in das Kernland Persiens, wo sich Darius versteckte. Alexander blieb unbesiegt – unbesiegbar war er. Denn – so sagt man sich- die Götter hatten ihn zum Liebling auserkoren.


    Nun hatte Alexander große Teile Persiens in seine Gewalt gebracht – und er begann weise zu herrschen. Aber sein Ehrgeiz trieb ihn an und ließ ihm keine Ruhe. Niemand weiß, ob es göttliche Fügung war oder gar Wahnsinn. Alexander wollte weiter in den Osten ziehen – aber seine Strategen stritten mit ihm. Jeder, der seinen Plänen im Wege stand, starb rasch und bald. Die Soldaten der Bundesgenossen schickte er heim, bald auch die makedonischen Truppen.
    Sollte er die Züge seines frevelhaften Vaters angenommen haben? Sein Freund, der ihm das Leben gerettet hatte, der treue Klitos, fand den Tod; ebenso Kallisthenes, dem wir die Aufzeichnungen über die Feldzüge verdanken. So auch jeder, der ihm den Kniefall verweigerte. Dennoch hielten einige Heerführer trotz allem und unter allen Widrigkeiten zu Alexander: Seleukos, dessen Vater schon dem Vater Alexanders als Stratege gedient hatte, Lysimachos ein makedonischer Adeliger, Neoptolemos, ein Gefährte Alexanders, Leonnatos aus dem Geschlecht der Lynkesten, ein verdienter Kommandeur, Peithon, Offizier der Leibgarde Alexanders, Antipatros, Reichsverweser von Makedonien, Asandros, Nikanor, beides Offiziere Alexanders, Peukastes, Leibwächter und späterer Statthalter der Satrapie von Persepolis, Oxyartes, König von Baktrien, Stiefvater und Gefolgsmann Alexanders, und, nach vielen mehr, die ich auslassen werde, Ptolomaios, der im Verlauf der Geschichte wichtig für die Alexandreia werden sollte. Dabei ist jedoch in einzelnen Fällen vielleicht weniger Treue der Grund für die Treue selbst.


    Er herrschte, davon abgesehen, mit Bedacht über sein Reich. Auf dem Weg zu einem Feldzug in das Land jenseits Syriens und auf der anderen Seite des roten Meeres holten die Götter ihn zu sich.


    Alexander ist ein großer Mann, der seinem Vorbild, dem großen Helden Achilles wohl gleichkommt, daran ist kein Zweifel, auch wenn er Züge an sich trägt, die durchaus zweifelhaft sind und auch wenn er die freien Poleis zwar rettete doch damit gleichsam in eine - wennauch meist milde- Knechtschaft führte. "


    "Habt ihr Fragen soweit?"



    Sim-Off:

    * Die üble Meinung über Philipp II. war insbesondere bei den Athenern weit verbreitet.


    *² Das Staatsideal, dass Nikolaos von haus aus anerzogen worden ist, besteht wohl in einer Art Adelsrepublik wie in Athen vor den Tyrannen und vor Perikles, die viele "demokratische" Reformen einleiteten ;).


    *³ In der Tat war auch die Ansicht, die Makedonen seien Barbaren, vor Alexander bei den "Griechen" verbreitet.



    Wird bald fortgeführt mit Ptolomaios. Da wird es dann auch spannender ;). (Gerade in Hinblick auf die Frage, ob Alexandreia je eine echte "Polis" war.)

    Nikolaos saß auf einem Stuhl und sah auf die Übungsplätze des Gymnasions hinaus. Obgleich es noch Vormittag war, kroch schon etwas von der alexandrinischen Hitze in die schattigen Räume des Gymnasiarchen. Auf dessen Arbeitstisch stapelten sich Anträge von Bürgern. Er hatte angefangen, sie zu lesen. Schnell jedoch hielt er das nicht mehr aus. Angesichts der großen Sorgen, die er um die Polis hatte, waren ihm die kleinen Fehden zwischen Nachbarn, die Sorgen der Isispriesterschaft, die Klagen des Sarapis-Kultvereines über die Isispriesterschaft, feinsinnige Vorschläge zur Umformulierung von Gesetzen, größenwahnsinnige Vorschläge für die Volksversammlung bezüglich der grundsätzlichen Ausrichtung, Klagen über vermehrte Beutelschneiderei und derartiges mehr widerlich.


    Auch fühlte er sich zu matt, irgendetwas zu tun. Nicht wie sonst unterhielt er sich mit Besuchern des Gymnasions. Opfer standen an diesem Tag nicht an.


    War er seines Amtes müde geworden? Oder krank? Die Ereignisse der letzten Wochen hatten ihn wahrlich mitgenommen. Zwar war er gesünder als noch vor einiger Zeit - aber das Gefühl allgemeiner Schwäche hatte ihn nicht verlassen.


    Fast dankbar war er da über die Störung durch seine Schreiberin.


    "Nun, es wären noch einige Briefe auszutragen-"


    Erst jetzt blickte er sich nach ihr um. Er erhob sich und schob den Stuhl beseite.


    "aber das können auch die Hilfsschreiber erledigen. Sonst ist nichts zu tun, du kannst gehen."


    Plötzlich lächelte er. Die Niedergeschlagenheit wich von ihm.


    "Du kannst aber auch mit mir einen Spaziergang machen. Wir könnten uns unterhalten. Vielleicht über Dichtung - oder worüber auch immer du sprechen möchtest."


    Nun grinste er.


    "Ich kann dich auch zu einer Rednerin ausbilden. Heute."


    Ein wenig verrückt kam er sich selbst dabei vor. Er hätte nie zugegeben, wie dankbar er seiner etwas ungestümen Schreiberin in letzter Zeit war - und an diesem Tag war für die Ablenkung, die sie ihm brachte.


    Aber schon verdunkelte sich die gerade aufgehellte Miene des Gymnasiarchen wieder.


    "Wir sollten natürlich in einem Hain spazierengehen, nicht gerade auf dem Fremdenmarkt-"


    Er wollte nicht von Urgulania dafür verantwortlich gemacht werden, stieße Axilla etwas zu. Außerdem - außerdem mochte er sie sogar - ein bisschen...


    Schöne Zeiten waren es, dachte er, als ich noch unerkannt die Stadt durchstreifen konnte, als ich noch ein armer grüner Junge war! Bei dem Gedanken an seine Ankunft in Alexandria wurde ihm fast wehmütig ums Herz. Wie aufregend und wundervoll damals alles war! Die Stadt erschien ihm bunt und voller Eindrücke zu sein. Er hatte sich an den Gerüchen des Fremdenmarktes, am lebhaften Treiben des Meson Pedion, an den seltsamen Pflanzen der Gärten, an den vielgestalten Menschen erfreuen können. Dieser eigenartige Zauber hatte sich längst in Luft aufgelöst. Wie gerne würde er unbeschwert durch die Straßen streifen. Ohne, dass ihn jedermann als Gymnasiarch erkannte.


    Seine Miene hellte sich wieder auf. Er erwartete, was sich Axilla wünschte.


    "Wir könnten uns Tiere im Paneionshain ansehen oder im Hain des Mouseions. Wir könnten einen Ausflug in die Khora machen, ich habe einen Reisewagen in der Stadt. Gegen Abend wären wir sicher wieder zurück. Deine Cousine bräuchte sich gar keine Sorgen machen. Oder wir könnten nach draußen gehen, in die Säulenhalle hinaus, und ich könnte dir Dinge über die Götter erzählen oder über die Geschichte der Welt -"


    Begeisterung war etwas, das Nikolaos lange nicht mehr empfunden hatte. Nun schien sie zu ihm zurückzukehren. Seine Augen leuchteten. Soviel Freude hatte er zuletzt am Halbbarbaren gehabt, der nun leider ins Barbarenland zurückgekehrt war.

    Nikolaos ging gemächlich voran. Als Berenike ihren und den Namen ihrer Schwester nannte, nickte er.


    "Ihr seid also mit den Brüdern Ánthimos und Timothéos verwandt und mit der berühmten Kitharödin Penelope?", fragte er ohne Neugier, sondern mit höflicher Aufmerksamkeit. "Erst kürzlich hatte ich die Ehre, den ehrenwerten Timothéos meinen Gast nennen zu dürfen. Beide Brüder haben sich schon viel um die Polis verdient gemacht. Ihr könnt stolz darauf sein, demgleichen edlen Geschlecht zu entstammen - das tut ihr doch, oder?"


    Er blickte Emilía tief in die Augen. Seine Augen waren dunkel und glänzten wie Pech oder wie dunkler Bernstein. Er sah, dass er nicht viel älter war als Berenike, die ältere der beiden Schülerinnen. Nun gut, in Alexandria pflegte man seine Söhne - und Töchter- recht spät in das Gymnasion zu schicken.


    "Nun gut, zurück zu deiner Frage. Wie ich bereits andeutete, ist die Sache etwas verzwickter. Ich werde dir keine Geheimnisse verraten. Nur werde ich die Sache näher beleuchten, als ich es für die Dummköpfe mit reichen Vätern getan habe."


    Nun blickte er abwechselnd Berenike und Emilía an. Sein Blick war streng.


    "Zuvor müsst ihr beide mir nur versprechen, dass ihr nicht damit hausieren geht, dies von mir im Gymnasion gelernt zu haben. Es sind zwar eigentlich Dinge, die jeder aufmerksame Bürger, der sich an den Geschäften der Polis beteiligt, wissen müsste, dennoch könnte es vielleicht ein schlechtes Licht in den Augen gewisser Kreise auf mich als Amtsträger werfen, wenn ich sie offen ausspräche."


    Durchdringend blickte er die Schwestern an. Er beobachtete aufmerksam jede Regung in der Miene der beiden.


    "Wenn einer von euch meint, noch nicht das Pflichtgefühl für die Polis so weit entwickelt zu haben, um Dinge für sich zu behalten, deren Aussprechen der Polis schaden könnten, so möge sie bitte jetzt gehen. Ich nähme das niemandem übel - erst recht keinem Schüler- aber ich will es wissen, bevor es zu spät ist."


    Inzwischen hatten sie eine Ecke des Säulenganges erreicht, die weit ab vom geschäftigen Treiben, weit ab von den Ringern und Athleten, weit ab von plaudernden Besuchern, dozierenden Lehrern und Reden schwingenden Demagogen war.


    Nachdem er beide abwechselnd ausgiebig beobachtet hatte, wandte er sich an die Jüngere der beiden.


    "Werte Emilía, du sprachst von Unruhen. Vielleicht könntest du mir sagen, was genau du darüber weißt."


    Er lächelte milde.


    "Keine Sorge, das ist kein Verhör und auch keine Prüfung. Ich möchte nur einen Anknüpfungspunkt für unser kleines Gespräch haben."

    Das Zimmer war mit Vorhängen verdunkelt. Ein süßlicher, schwerer und zugleich scharfer Geruch lag in der Luft. Eine Öllampe flackerte schwach. Das wenige Licht, das durch die dunkelblauen Vorhänge drang, brachte vermutlich sogar mehr Helligkeit in den Raum.


    In einer dunklen Ecke auf einem Stuhl mit einer hohen Lehne saß Nikolaos. Er versank förmlich in Kissen und Polstern und Decken. Nur sein Gesicht schaute aus dieser Flut aus Seide und Leinen und Baumwolle hervor.


    Das Gesicht war blass. Noch blasser als gewöhnlich. Wie aus heller Asche geformt war es, und zugleich gelblich. Auch das Haar des Nikolaos war stumpf und hatte keinen Glanz. Die Schrammen waren nur noch schwach zu erkennen. Die Augen des Gymnasiarchen lagen tief in den Höhlen und wurden von dunklen Ringen bekränzt.


    Die Augen selbst jedoch glänzten fiebrig. Dabei aber seltsamerweise gleichzeitig wach und aufmerksam. (Nur wer Nikolaos kannte, wusste, dass dies nur noch ein Schatten seiner Luzidität im gesunden Zustand war.)


    "Khaire, werter Iunia Urgulania. Es freut mich, dass du so rasch gekommen bist. Ich hätte dich gerne in einer erfreulicheren Angelegenheit zu mir gebeten, aber dir sind sicher die Ereignisse der letzten Tage bekannt."


    Nikolaos sprach mit sehr, sehr leiser Stimme. Gar nichts herrisches hatte ihr Ton an sich. Er richtete seinen Oberkörper etwas auf.


    "Ich meine damit jenen Aufstand am Tor zur Basileia, und füge rasch hinzu, dass ich ihn für inszeniert halte und für ein Mittel, mit denen gewisse Leute ihre frevlerischen Zwecke verfolgen.


    Das ist es, warum ich bange. Natürlich gab es schon immer Aufstände in Alexandria. Aber nun werden sie, und nenne mich einen Toren, wenn ich mich täuschen sollte, angefacht - oder gar inszeniert. Die Machtgier einiger Leute - das sagte ich alles bereits beim Eparchos.


    Dieser tut leider nichts dagegen, sondern läßt sich womöglich weiterhin von seinen schlechten Freunden Gefährliches einflüstern.


    Ehrlich gesprochen: Ich habe Angst. Nicht so sehr um mich selbst. Sondern vielmehr um unser Staatswesen - und um dich und deine Familie. Ich habe die böse Ahnung, alle schrecklichen Dinge, die auf dem Rücken Alexandreias ausgetragen werden, sind Intrigen unter Römern, vielleicht auch unter Hellenen, aber hauptsächlich unter Römern. Du bist Römerin - und daher fürchte ich um dich. Wenn du auch fürchtest und wenn diese Furcht übermächtig wird, so sei dir gewiss, dass ich alles tun werde, dich und deine Cousine in Sicherheit zu bringen.


    Wenn du bleiben möchtest, werde ich alles tun, dich zu beschützen. Aber leider bin ich einigen Männern gegenüber selbst machtlos. Gegen die verbrecherischen Umtriebe eines Kyprianos und seiner Spießgesellen kann ich wenig ausrichten - wenn sich nicht der Eparchos auf unsere Seite stellt.


    Das wollte ich dir sagen, damit du weißt, dass du nicht verloren bist, sollte es - sollte es zur Eskalation der Lage in Alexandrea kommen. Das wollte ich vorausschicken, um nun mit dir über die Lage der Polis zu sprechen und was wir tun-"


    Er musste husten. Dabei verzog sich sein Anlitz zu einer dämonischen Fratze.


    "-was wir tun können. Ich spreche mit dir darüber, da ich dich von allen einflussreichen Bürgern der Polis für die Vertrauenswürdigste halte. Wenn du dich entschieden haben solltest, wegzugehen, sage mir dies sogleich. Ich würde dir selbstverständlich auch später noch dabei behilflich sein, aber ansonsten würde ich damit keine Zeit verlieren und dich nicht mit Gedanken über die Lage der Polis quälen."


    Wieder musste er husten. Trocken war dieser Husten und er erzeugte ein Geräusch wie von rasselnden Ketten.


    "Werte Urgulania. Wärst du bereit, dich in der nächsten Prytanie, wenn - hoffentlich - das Gröbste überstanden ist für die Polis, für hohe Ämter zur Verfügung zu stellen?


    Ich will keine Spannung aufkommen lassen: Ich werde mich vermutlich zurückhalten. Ich fürchte, meine Person ist vielen Römern ein Dorn im Auge. Ich glaube, in einer exponierten Position nach allem was geschah zu schaden. Ich weiß, dass Kyprianos mich hasst. Ich sehe es - selbst am Blick des Vorzimmerschreibers des Eparchos sehe ich es. Der ist nämlich Günstling des Terentiers... Ich fürchte, ich habe selbst des Eparchen Zorn erregt, als ich ihm sagte, was ich dachte und immer noch - und noch vielmehr!- denke.


    Allerdings möchte ich nicht, dass alles aus dem Ruder läuft.


    Daher frage ich dich: Möchtest du wieder als Exegetes die Geschicke der Stadt leiten?


    Bitte fühle dich nicht bedrängt. Ich würde jede Antwort akzeptieren. Ich frage, nicht um dich zu überreden, sondern um mit deiner Antwort selbst planen zu können. Ehrlich gesagt traue ich momentan von allen unseren Verbündeten nur dir und Ánthimos zu, die Geschicke der Polis zu leiten. (Nicht, dass ich die anderen für Nichtsnutze halten würde, es ist nur so, dass es ihnen vielleicht an Erfahrung für dieses Amt mangeln könnte. Und nun ja, Cleonymus... ich fürchte, er schadet der Polis, wenn er nur den Mund öffnet...) Leider ist das Verhältnis zwischen mir und Ánthimos nicht unbelastet, und ich fürchte, er würde daher meinen Rat nicht hören.


    Das wäre mir überaus wichtig. Ohne mich überhöhen zu wollen, glaube ich, dass ich Erfahrung habe, die die Polis braucht, um in diesen Zeiten zu bestehen.


    Nur in einem herausragenden Amt sollte ich mich nicht so schnell wieder vor den Römern blicken lassen.


    Ich hoffe, du verstehst was ich meine."


    Er ließ sich wieder zurücksinken.

    Noch vom Krankenbett, auf dem er nach jenem unglückseligen Vorfall am Tor zur Basileia lag, hatte Nikolaos gewisse Befehle gegeben, die nun von Lohndienern unter Aufsicht eines Sklaven ausgeführt wurden.


    Am Fuße des Hügels, auf dem das Wohnhaus des Landgutes stand, machten sie sich am Boden zu schaffen. Einige Karren standen daneben, auf denen Dornenbüsche, bereits großgewachsene, mitsamt ihrer Wurzeln lagen. Vermutlich waren sie einfach irgendwo dort ausgegraben wurden, wo der Segen der Nilschwämme nie hingelangte.


    Es war Mittag, und die Arbeiter hielten nicht inne und machten keine Rast. Es schien eine dringende Angelegenheit zu sein mit den Dornensträuchern. Sie wurden dicht an dicht mit einigen Abstand zum Garten um diesen gepflanzt. Alte Sträucher, die bereits eine Hecke bildeten, wurden nicht herausgerissen. Die neue Hecke wurde lediglich vor sie gesetzt.


    Der Aufseher schlug gelegentlich mit der Peitsche nach den Arbeitern und fluchte häufig. Die Arbeiter schwitzten und fluchten ebenfalls, denn die Dornen rissen ihnen die Haut auf. Bald waren alle Hände blutig und am übrigen Körper kurze und längere Schnitte verteilt, die bluteten und Fliegen anlockten.


    Am späten Nachmittag schließlich war der Garten von allen Seiten von hohen Dornenhecken umfriedet. Zwei der Hecken waren bis an den Meerestrand verlängert. An mehreren Stellen war die Befestigung - darum handelte es sich zweifelsohne- durchbrochen. Diese Stellen, bis auf eine, die in einer Achse zum Haupttor des Hauses lag, waren allerdings verborgen und dabei gleichzeitig vom Haushügel aus gut einsehbar. Gitter wurden an diesen Eingängen hinter den Dornenbüschen, das heißt auf der Hausseite, verborgen deponiert, um sie rasch schließen zu können.


    Am Abend endlich war der Aufseher zufrieden und zahlte den Tagelöhnern ihren Lohn aus. Er zahlte verhältnismäßig gut, denn damit erkaufte sich sein Herr und Auftraggeber Diskretion.

    Nach der von ihm veranschlagten Pause, die er zu einem Gespräch mit den beiden eifrigen Schülerinnen genutzt hatte, fand sich der Gymnasiarchos mit einiger Verspätung wieder am alten Platz in der Säulenhalle ein.


    "Ich hoffe, ihr habt eure Pause gut genutzt.


    Wir fahren also fort mit der Geschichte Alexandrias im Besonderen. Um die Geschichte Alexandrias zu verstehen, muss man sich mit dem großen Alexander befassen, der heros unserer Polis ist.", begann er sogleich.

    "Du hast mich keineswegs in Bedrängnis gebracht. Mich freut im Gegenteil deine rege Beteiligung an meiner Lehrstunde. Nur kann ich einige Dinge nicht-"


    Er wurde von einem anderem Mädchen unterbrochen. Streng blickte er es an. Eher eine junge Frau war dieses Mädchen.


    "Ich habe deiner ehrenwerten Schwester keine Weisheiten mitzuteilen.", entgegnete Nikolaos in einem freundlichen Ton aber mit einem strengen und etwas ärgerlichen Gesichtsausdruck.


    "Im Übrigen bin ich weder König noch zwei Menschen, du darfst mich in der Einzahl anreden."


    Der Ärger wich einem bissigen Spott.


    "Nur einige praktische Dinge bezüglich unserer Polis. Nun gut, du kannst gerne an unserem Gespräch teilnehmen.", fügte er hinzu. Seine Züge entspannten sich. Seine Stimme wurde weicher, und Wohlwollen sprach aus ihr.


    "Gehen wir ein wenig. Diese Seite der Säulenhalle ist nun weniger belebt, da sind wir ungestört.


    Darf ich eure beiden Namen erfahren?", fragte er höflich.

    Der Torsklave:



    Der nubische Torwächter ließ die Besucherin rasch hinein und führte sie zum Zimmer des Hausherren, dessen Eingang von einem dunkelblauen Vorhang verschlossen wurde.


    "Iunia Urgulania ist nun hier, kyrie.", flüsterte der Sklave durch den Vorhang in das Zimmer. Eine Weile geschah nichts. Der Sklave hielt das Ohr an den Vorhang. Offenbar war ihm endlich geantwortet worden.


    "Der kyrios bittet dich, einzutreten.", sagte der Torsklave und entfernte sich rasch.