Nikolaos hörte dem Gast lächelnd zu, ohne die Miene auch nur zu verziehen. Bei der Beteuerung der eigenen Treue und der der Hausgenossen lächelte der Gymnasiarchos nicht ohne einen leisen Anflug von Spott. Aber sein Blick blieb gütig. Dass er keineswegs milde Gaben zu verteilen hatte - sondern seinerseits jene mögliche Zweckfreundschaft dringend brauchte (um seine eigene Haut zu retten)- davon ließ er sich hinter seiner undurchdringlichen Maske nichts anmerken.
Er nahm einen Schluck Wein, ließ ihn lange im Mund, als koste er ihn. Eine Dattel, spülte er mit einem weiteren Schluck Wein hinunter. Mehr trank er dann ersteinmal nicht. (Er wollte keine Assoziationen mit seinem Auftritt am Ende der Hochzeit des Bruders seines Besuchers wecken...)
Als der junge Mann zu flüstern begann, lachte Nikolaos kurz, leise und trocken.
"Du brauchst nicht flüstern. In meinem Garten gibt es keine bösen Lauscher. Dass du dich und deine Brüder mir für ebenbürtig hälst, ist mir weniger peinlich als es mir vielleicht sein sollte. Meinst du, ich habe nichts besseres zu tun, als mich mit Schwächlingen zu umgeben? Hielte ich dich und die deinen nicht für fähig, im Sinne der Polis gut und klug zu handeln, warum sollte ich euch einen derartigen Vorschlag machen? Daher wollen wir aufhören, zu flüstern, ja zu tuscheln wie kleine Mädchen und stattdessen wie Männer sprechen.
Ich weiß im übrigen auch, dass du als Familienältester nicht uneingeschränkt kyrios bist. Ich nehme an, soviel älter bist du nicht einmal. Aus diesem Grunde verlange ich auch keine Entscheidung von dir allein in diesem Augenblick für deine ganze Hausgemeinschaft und für deren ganzes Bestehen."
Er griff wieder zum Obstteller. In diesem Moment schreckten Vögel von einer nahen Strauchhecke auf und flogen hoch in die Luft, ehe sie bald wieder zurückkehrten.
"Sollte es im übrigen deinem Stolz zuwider laufen, dich als Schutzbefohlenen unterzuordnen, können wir das Verhältnis auch anders nennen. Es geht mir nicht darum, wie bei den Römern, eine Schar an Klienten, ja eine Herde zusammenzusuchen, die ich bei jedem Anlaß vorzeigen kann wie manch anderer seine Gemmensammlung. Solche Kindereien habe ich nicht nötig. Es geht mir nicht um äußerlichen Ruhm, um Ruhmessucht, oder gar um die Begierde, andere zu beherrschen, sondern darum, Männer zu gewinnen, auf die ich mich verlassen kann und die mir hinter meinem Rücken keine Schwierigkeiten machen."
Er lächelte wieder einmal. Das ihm eigene, zarte Lächeln war es. Trotzdem er auf die dreißig zuging, hatte der Mann aus dem Geschlecht der Keryken etwas Knabenhaftes an sich.
"Es ist erfreulich, dass du mir gut zugehört hast und dass du meinen Vorschlägen nicht völlig abgeneigt scheinst. Über die Form der Verbindung können wir später noch ausführlicher sprechen, wenn du dich mit deinen Brüdern beraten hast.
Nun, nachdem ich dir freimütig meine Pläne für die nächste Prytanie offenbart habe, könntest du mir vielleicht sagen, welcher Fortgang deiner Laufbahn als Demagoge dir vorschwebt."
Völlig unbefangen hatte Nikolaos sein Gegenüber einen Demagogen genannt und ihm damit eine gewisse Macht zugestanden. Überhaupt schien er gar nicht aufgeregt zu sein und so gar nicht eifrig. Nachdem er schon im früheren Verlauf des Gespräches seine drastischen Warnungen ausgesprochen hatte, führte er die Unterhaltung über ernste Dinge in einem fast heiterem Plauderton weiter. Dabei ließ er aber keinen Zweifel daran, dass er ernsthaft im Sinn sprach.